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Kinder sind unsere wirklichen Lehrer.
Lerne, ihnen zuzuhören – sie erzählen
dir von der Schönheit und der Sorglosigkeit,
die du nur im gegenwärtigen
Moment wiederfindest.

[ Tibetische Weisheit ]

Vorwort

Wenn wir Eltern werden, wird unser bisheriges Leben weitgehend auf den Kopf gestellt. Auf der einen Seite kann wohl niemand sonst eine so bedingungslose Liebe in uns wecken wie ein kleines Kind. Auf der anderen Seite bringt uns auch kaum jemand so an unsere Grenzen.

Die Lehre Buddhas kann eine wertvolle Unterstützung sein, die täglichen Herausforderungen des Elternseins zu meistern. Sie werden in diesem Buch keine festen Regeln und kein Erziehungsprogramm im üblichen Sinne finden. Stattdessen erhalten Sie durch die vorgestellten Übungen in Meditation und Achtsamkeit die nötige Hilfestellung, um eine andere Haltung der Welt und Ihrem Leben gegenüber einzunehmen. Sie lernen, Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und Ihren Kindern zu üben und so Ihr Verhalten auf eine Weise zu ändern, dass ein gelassenerer und somit glücklicherer Umgang miteinander möglich ist.

Lienhard Valentin
Petra Kunze

Kapitel 1

1. Die Kraft der Achtsamkeit

Elternsein ist einer der schwersten Berufe, die es gibt. Und dennoch gilt professionelle Begleitung noch häufig als Indiz für Versagen. Dabei könnten wir gerade bei dieser Aufgabe, für die wir nie eine Ausbildung durchlaufen haben, einen klugen und hilfreichen Coach gebrauchen.
Buddhas Lehre, wie wir durch Achtsamkeit unser Leben bereichern, kann uns diese wohlwollende Unterstützung bieten.

Warum Buddha
Eltern
glücklicher macht

Vielleicht zweifeln auch Sie öfter daran, dass Sie Ihrer Erziehungsaufgabe gerecht werden und Ihre Kinder auf angemessene Weise ins Leben begleiten können. Vielleicht waren Sie erst heute Morgen mit Ihren Gedanken ganz woanders und haben Ihr Kind kurz abgefertigt, statt ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht haben Sie auch die Geduld verloren, Ihr Kind ärgerlich angefahren, weil Sie in Eile waren und einfach gar nichts so lief, wie Sie es wollten. Besonders in stress-geladenen Momenten ertappen wir uns häufig dabei, überhaupt nicht die Eltern zu sein, die wir gerne wären. Elternsein ist sicherlich eine der anstrengendsten Aufgaben, die es gibt. Das Letzte, was wir uns wünschen, sind noch mehr Aufgaben, noch mehr, was wir machen sollen, um »gute« Eltern zu sein.

In diesem Buch geht es zunächst einmal darum, INNEZUHALTEN, einen Schritt zurückzutreten und Ihre Situation mit den Augen eines Buddha zu betrachten. Vielleicht sehen Sie dann deutlicher, was Sie wirklich wollen, welche Werte Sie in Ihrem Familienleben verwirklichen möchten und wie Sie einen Weg finden können, der es Ihren Kindern und Ihnen selbst ermöglicht, ein erfülltes Leben zu führen und die Beziehung zueinander wesentlich zu verbessern.

Weisheit für das ganze Leben

Die große Faszination und Anziehungskraft, die für immer mehr Menschen auf der Welt vom Buddhismus ausgeht, kommt nicht von ungefähr: Es sind seine scheinbar einfachen, zeitlosen Weisheiten, die uns so fesseln. Wir spüren die tiefe Wahrheit, die in ihnen steckt. Und doch ist es nicht einfach, diese Einsichten auch in unserem Alltag wirksam werden zu lassen. Nehmen wir beispielsweise den buddhistischen Satz: »Es ist, wie es ist.« Hätten wir diesen Satz verinnerlicht, könnten wir mit viel mehr GELASSENHEIT durchs Leben gehen. Doch wie schwer tun wir, uns im Alltag, Gegebenheiten zu akzeptieren! Stattdessen versuchen wir sie zu ändern – wohl wissend, dass uns das nicht gelingen wird. Auch mit der Einladung »Lebe im Hier und Jetzt« haben wir Schwierigkeiten. Oft schwelgen wir in Erinnerungen oder schmieden Pläne für die Zukunft. Und nur selten gelingt es uns, ganz im momentanen Augenblick präsent zu sein – obwohl wir leicht erkennen könnten, dass es letztlich nur diesen Moment gibt: Die Vergangenheit existiert nicht mehr, und die Zukunft gibt es noch nicht. Nur im Augenblick leben wir wirklich, und wie wir diesen Moment leben, beeinflusst maßgeblich, wie jeder folgende sein wird.

Du musst der Wandel sein, den du in der Welt sehen möchtest.

[ Mahatma Gandhi | indischer Politiker (1869–1913) ]

Wege zu einer neuen Beziehungsqualität

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Lehre des Buddha eignet sich nicht, um ein Erziehungsprogramm aufzustellen oder Leitsätze und Regeln zu verfassen, die Eltern raten, was sie in bestimmten Situationen tun sollten. Zur Bewältigung dieser Aufgaben gibt es einfach keine allgemeinen Patentrezepte, denn diese berücksichtigen nie die konkrete Gesamtsituation. Fragen wie »Was mache ich mit einem fünfjährigen Mädchen, das nicht aufräumen will?« könnten hier nicht angemessen beantwortet werden. Dafür müssten wir die Gesamtsituation vor uns ausbreiten sowie uns in das Kind und in die Eltern einfühlen. Wir können Sie mit diesem Buch jedoch darin unterstützen, Ihre eigenen ANTWORTEN zu finden.

Denn eine buddhistische Sicht und Praxis verändert den Blick auf Ihre Kinder und Sie selbst. Wie auch der Dalai Lama betont, ist der Buddhismus eine Schulung des Geistes und des Herzens. Und damit gewinnt Ihre Aufgabe als Eltern eine ganz neue Qualität. Sie lernen, Ihre Kinder und ihre Bedürfnisse besser wahrzunehmen, ihr eigentliches Wesen zu erkennen. Sie begegnen Ihren Kindern dadurch mit mehr Liebe, Respekt und Dankbarkeit, mit mehr Vertrauen und Gelassenheit. Es gelingt Ihnen leichter, alte, rigide Vorstellungen loszulassen, Verantwortung abzugeben und auch in Konfliktsituationen nicht die Nerven zu verlieren, sondern ruhig zu bleiben.

Selbstverständlich müssen Sie den Buddhismus nicht im Sinne einer Religion praktizieren, um der Achtsamkeit in Ihrem Leben einen festen Platz einzuräumen. Sie werden sehen: Buddhas tiefe Weisheiten bereichern den Umgang mit Ihren Kindern jeden Tag aufs Neue. Lassen Sie sich also darauf ein, täglich Ihren Geist und Ihr Herz im Sinne seiner Lehren zu trainieren.

Weisheitsgeschichte

Ein Suchender kommt zu einem Meister und schildert diesem verzweifelt, was er alles getan hat, um zu innerem Frieden und Glück zu finden. Der Meister lacht und antwortet: »Auf deiner Suche nach Glück eilst du so schnell durch dein Leben und bist ständig so beschäftigt, dass das Glück dich nie einholen kann. Du musst nämlich wissen: Dein Glück läuft immer hinter dir her, aber es erwischt dich einfach nicht, wenn du ständig in Bewegung bist. Halte inne, und es wird dich erreichen.«

Wer war Buddha?

Wie essenziell Buddhas Einsichten sind, zeigt sich vor allem an der unverminderten Aktualität und Anziehungskraft, die bis heute von der buddhistischen Lehre ausgeht. Doch Buddha war nicht von Geburt an ein Erleuchteter, sondern erlangte erst im Laufe seines Lebens durch viele Umwege seine WEISHEIT.

Vor über zweieinhalbtausend Jahren wurde er als Königssohn Siddhartha Gautama im Himalajagebiet geboren. Nach seiner Geburt prophezeite ein Weiser seinem Vater, dem König, dass dieses Kind eines Tages entweder ein erleuchteter Weltenlehrer oder ein großer König sein werde. Weil er sicherstellen wollte, dass er einen großen Nachfolger bekäme, hielt der König alles Leid von dem heranwachsenden Jüngling fern. Nur Schönheit, junge Menschen und Luxus umgaben ihn.

Doch eines Tages ritt er mit einem Bediensteten aus und begegnete das erste Mal in seinem Leben Armut, Krankheit und dem Tod – und zum ersten Mal sah er einen Wandermönch, der diese Welt aufgegeben hatte, um nach der Wahrheit zu suchen. Dies beeindruckte ihn so tief, dass er sein Luxusleben hinter sich ließ und einen Weg suchte, das Leiden zu überwinden. Er unterwarf sich strenger Askese, bis er nur noch Haut und Knochen war.

Eines Tages erinnerte er sich wieder an seine Tante und das Gefühl von innerer Freiheit, das er in seiner Kindheit durch ihre Liebe und ihr Mitgefühl erfahren hatte. Da seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war, hatte diese Tante ihm die Gefühle vermittelt, die er als Kind gebraucht hatte. So gab er die Askese auf, fing wieder an zu essen, wurde erleuchtet und begann, seine EINSICHTEN an andere weiterzugeben. Eines Tages begegnete er einem Mann, dem die besondere Ausstrahlung des Buddha auffiel. So fragte er ihn: »Was bis du? Ein Gott?« »Nein«, antwortete der Buddha, »ich bin wach!« Und dies drückt auch sein Name aus, denn Buddha heißt übersetzt »der Erwachte«.

Ein neuer Blick auf unsere Kinder

Wenn wir von da ausgehend, wo wir gerade stehen, uns einfach immer wieder erinnern, etwas mehr Aufmerksamkeit, Einfühlsamkeit und Geduld mit uns und unseren Kindern aufzubringen, werden sich unser Leben und die Beziehung zu unseren Kindern entscheidend verändern. Wir können versuchen, unsere eigene INTUITION zu entwickeln und ihr mehr und mehr zu vertrauen und zu folgen.

Im Zen-Buddhismus wird diese innere Haltung der »Anfänger-Geist« beziehungsweise der »Don´t-know-mind« genannt. Er kennzeichnet die Fähigkeit, alles, was wir schon zu wissen glauben, beiseitezulassen, die innere Leere des »Ich-weiß-nicht« zuzulassen und uns immer wieder völlig neu und ohne vorgefertigte Meinungen auf eine Situation oder einen Menschen einzulassen.

Im Geist eines Anfängers gibt es unendlich viele Möglichkeiten, im Geist eines Experten nur wenige.

[ Shunryu Suzuki | japanischer Zen-Meister (1905–1971) ]

Jedes Kind ist ein Geheimnis

Normalerweise ist unsere Sicht auf das Leben stark durch unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit oder angelerntes Wissen geprägt. Dieses Wissen kann auf der einen Seite durchaus hilfreich sein, es kann aber auch unsere Sicht auf das, was wir tatsächlich gerade vor uns haben, verschleiern. Denn nur im Hier und Jetzt können wir unsere Kinder so sehen, wie sie sind, und ihnen wirklich begegnen. Die wichtigste Vo-raussetzung dafür ist, dass wir mit unseren Kindern in Kontakt sind. Bei einer von Buddhas Lehre geprägten Haltung unseren Kindern gegenüber geht es nicht darum, diese so zu erziehen, dass sie sich an uns anpassen und so werden, wie wir uns das erträumen. Natürlich kann es zunächst einmal enttäuschend sein, wenn sich der Sohn so gar nicht fürs Theaterspielen oder Musizieren im Kindergarten oder in der Schule interessiert. Aus der Traum, den Nachwuchs jemals auf der Bühne erleben und voller Stolz seinen Auftritt beklatschen zu dürfen. Sicher mag es auch schwer zu akzeptieren sein, wenn die Tochter den Übertritt aufs Gymnasium nicht schafft, wenn alle in der Familie Akademiker sind.

Doch jedes Kind bringt sein eigenes Wesen mit, das sich bestmöglich entwickeln soll. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Eltern unsere Kinder nicht verbiegen, sondern versuchen, sie in ihrem Wesen zu verstehen und sie einfühlsam ins Leben zu begleiten, damit sie ihr Inneres entfalten und ihre eigenen POTENZIALE VERWIRKLICHEN können. Auch wenn diese ganz andere sind als unsere – und die Herausforderung dementsprechend besonders groß ist.

Nobody is perfect – nicht einmal Eltern!

Wir wollen unbedingt eine gute Mutter, ein guter Vater sein und einfach alles richtig machen. Wie oft sorgen wir uns, dass wir Rabeneltern oder Versager sein könnten, wenn wir wieder einmal ungeduldig oder unaufmerksam waren! Doch zum Glück brauchen Kinder keine perfekten Eltern oder solche, die ihnen vormachen, sie seien perfekt und würden immer richtig handeln. Kinder durchschauen das ohnehin sehr schnell. Sie können Ihre Erwartungen an sich selbst und an Ihre Kinder also getrost zurückschrauben, ebenso die Vorstellung, Sie seien für alles verantwortlich, was mit Ihren Kindern zu tun hat. Nach buddhistischer Auffassung ist unser Einfluss auf unser Leben, unsere Kinder und ihre Eigenschaften begrenzt. Aber wir haben sehr wohl eine Wahl, mit welcher Einstellung wir unseren Kindern begegnen, wie wir mit ihnen und den entstehenden Situationen umgehen. Dafür sind wir als Eltern tatsächlich selbst verantwortlich. Kinder brauchen also vor allem MENSCHLICHE ELTERN mit Stärken und Schwächen, die bereit sind, immer wieder ihre innere Einstellung zu überprüfen, an sich zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln. Und die, selbst wenn sie mal nicht so verständnisvoll reagierten, wie sie es eigentlich wollten – was uns im Alltag mit unseren Kindern allen so ergeht –, trotzdem dranbleiben und ihren Weg nicht aus den Augen lassen.

In diesem Buch möchten wir Ihnen mithilfe der buddhistischen Praxis zeigen, wie Sie eine Haltung Ihren Kindern gegenüber entwickeln können, die in erster Linie von Respekt und Achtung, von Liebe und Vertrauen geprägt ist.

Sich mit Buddha auf den Weg machen

Die buddhistische Praxis kennt eine Vielzahl von Übungen, von der Achtsamkeitspraxis bis hin zur Meditation, die Ihnen dabei helfen, Ihre Einsichten zu vertiefen und in den Alltag zu integrieren. In diesem Buch können Sie verschiedene Möglichkeiten ausprobieren. Menschen sind verschieden – darauf nimmt auch die buddhistische Geistesschulung Rücksicht. Sie brauchen daher auch nicht alle empfohlenen Übungen zu machen, sondern können auswählen, was Ihnen zusagt.

Gutes Beginnen

Damit sich etwas entwickeln kann, empfiehlt es sich allerdings, die ausgesuchten Übungen REGELMÄSSIG zu praktizieren. Richten Sie sich am besten eine feste Zeit ein, die Sie Ihren Übungen widmen. Lassen Sie sich dabei von niemandem stören, und stellen Sie für die Dauer der Übung alles beiseite, was Sie gerade beschäftigt. Gönnen Sie sich eine halbe Stunde täglich und noch etwas Zeit zwischendurch, die Ihnen ganz allein gehört (siehe auch >). Vielleicht besorgen Sie sich ein Notizbuch, das extra für Ihre Aufzeichnungen reserviert ist, die Sie sich bei manchen Übungen machen sollten. Suchen Sie sich am besten etwas Ansprechendes aus, das Sie zum Schreiben einlädt, denn durch das Ausformulieren unserer Gedanken und Gefühle wird uns noch bewusster, was in uns vorgeht.

Für die Meditationen können Sie sich auf einen Stuhl setzen oder ein Meditationskissen oder -bänkchen benutzen – experimentieren Sie einfach ein wenig mit Ihrer Art zu sitzen. Zwingen Sie sich nicht in eine aufrechte Haltung, sondern orientieren Sie sich daran, wie Sie am meisten Raum für Ihre ATMUNG haben. Manche Meditationslehrer schlagen vor, eine innere Haltung der Würde einzunehmen, wie ein wahrer König oder eine wahre Königin – dabei kommen Sie ganz automatisch zu einer aufrechteren Stellung. Ihre Haltung spiegelt Ihren inneren Zustand wider und wirkt sich auf diesen aus. Wenn Sie sich hängen lassen, neigt auch Ihr Geist dazu, träge und unbeweglich zu sein. Strengen Sie sich krampfhaft an, so wird auch Ihr Geist eng und rigide. Die Hände können Sie auf den Knien ablegen oder auf Bauch oder Brust platzieren, die Augen offen lassen oder schließen – ganz wie es für Sie passt. Natürlich können Sie auch im Liegen meditieren, allerdings fällt es den meisten Menschen schwerer, dabei aufmerksam zu bleiben. Vielleicht haben Sie auch Lust, sich einen Meditationsplatz einzurichten, der Sie zu Ihrer Auszeit regelrecht einlädt.

Die längeren Meditationen unter der Rubrik »Energie auftanken« können Sie gezielt dazu nutzen, sich zu regenerieren. Mit diesen Hilfsmitteln können Sie die Erkenntnisse so verinnerlichen, dass sich Ihr Leben tatsächlich verändern wird – weil Sie sich danach anders verhalten. Sie werden sehen, dass Sie schon bald zu mehr Harmonie und GLÜCK finden und das Leben mit Ihren Kindern um vieles leichter wird und (noch) mehr Freude bereitet.

Lernen Sie
zu surfen

Keine Sorge, wir schicken Sie nicht wirklich auf ein Surfbrett und lassen Sie durch die Wellen reiten. Doch die Metapher des Surfens, die der amerikanische buddhistische Meditationslehrer Jack Kornfield eingeführt hat, beschreibt den Alltag von Eltern einfach besonders treffend. Wer kennt das nicht: Geht es uns gut, sind wir innerlich im Gleichgewicht, dann gestaltet sich auch das Leben mit unseren Kindern leichter und harmonischer, und selbst höhere Wellen können wir normalerweise elegant nehmen, ohne herunterzufallen. Wir wissen auch, wann wir eine Pause brauchen oder eine Stärkung. Geht es uns dagegen schlecht, sind wir gestresst, ungeduldig oder in Gedanken woanders, dann übersehen wir leicht die herannahenden Wellen, die uns zur Gefahr werden können – und schon liegen wir im Wasser.

Im Alltag mit unseren Kindern surfen zu lernen, ist eine schwierige und komplexe Angelegenheit. Wir haben alle möglichen Dinge zu erledigen, sind immer wieder mit hohen emotionalen Wellengängen konfrontiert, und jede Unachtsamkeit oder innere Unflexibilität kann uns vom Brett fallen lassen. Aber wenn wir immer aufs Neue beginnen, statt uns darüber zu beklagen, was für erbärmliche Anfänger wir sind oder dass die Wellen einfach nicht so sein wollen, wie wir es gerne hätten, werden wir zunehmend stabiler stehen und weniger Wasser schlucken. Wir werden Ihnen in diesem Buch Wege zeigen, wie Sie bei starkem und schwachem Seegang, im Alltag und in Krisenzeiten Ihr INNERES GLEICHGEWICHT bewahren. Sie werden feststellen, wie positiv sich das auf Sie und Ihre ganze Familie auswirkt. Es gibt zahlreiche Experten, die uns beibringen wollen, wie man »richtig« mit Kindern umgeht. Aber egal welchem Ansatz wir uns verbunden fühlen – letztlich haben wir damit im besten Fall eine Art Anleitung in der Hand, die uns eine mehr oder weniger gute Übersicht verschaffen kann. Jedes Kind, jeder Elternteil, jede Situation ist anders, und dem kann keine noch so gute Anleitung gerecht werden. Im Gegenteil: Wenn wir uns vorstellen, auf einem Surfbrett zu stehen und die nächste Welle kommt, ist es nicht sehr hilfreich, erst in den Anweisungen nachzulesen, was nun zu tun wäre. Vielmehr geht es darum, so PRÄSENT wie möglich für das zu sein, was gerade geschieht. Denn um den gegenwärtigen Moment zu erfassen, ist weniger Denken gefragt, sondern fühlende Wahrnehmung, also Intuition.

Du kannst die Wellen nicht aufhalten, aber du kannst lernen, auf ihnen zu reiten.

[ Jack Kornfield | amerikanischer Meditationslehrer ]

Achtsamkeit als Schlüssel

Wie gelingt es uns, diese Intuition zu entwickeln? Der Schlüssel liegt in der Praxis der Achtsamkeit. Mit ihr können wir die Fähigkeit erlangen, im gegenwärtigen Moment auf wohlwollende, freundliche, nicht urteilende und einfühlsame Weise präsent zu sein. Wir können lernen, mit unserer Aufmerksamkeit ganz bei einer Sache, bei uns, bei unseren Kindern, im Hier und Jetzt zu verweilen. Wir können unseren Blick für das Wesentliche schärfen und so zu mehr Akzeptanz und GELASSENHEIT kommen – was vor allem unser Familienleben bereichert. Wenn wir unseren Kindern ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, können wir ihr Wesen erkennen und unsere Beziehung spürbar vertiefen. Der amerikanische Achtsamkeitslehrer Jon Kabat-Zinn hat es sehr treffend so ausgedrückt: »Achtsamkeit unterstützt uns in unseren täglichen Bemühungen, mit unseren Kindern wirklich in Kontakt zu sein. Sie hilft uns, für unsere Kinder zu Quellen bedingungsloser Liebe zu werden, Augenblick für Augenblick, Tag für Tag.« Die Praxis der Achtsamkeit ist im Grunde genommen nichts speziell Buddhistisches – sie wird in allen Weltreligionen geübt, um den Geist zu sammeln. Allerdings wurde diese Praxis im Buddhismus auf besonders umfassende und systematische Weise kultiviert. Und während dieses Geistestraining in den meisten Weltreligionen vor allem auf die Beziehung zu Gott gerichtet ist, zeigt der Buddhismus zahlreiche Wege auf, wie Achtsamkeit unseren Alltag verschönern kann.

Mit Achtsamkeit das Leben bereichern

Die Praxis der Achtsamkeit hilft uns dabei, wacher zu werden, mit uns selbst und unserem Leben mehr in KONTAKT zu kommen und so in Harmonie mit uns und der Welt zu leben. Aus buddhistischer Sicht ist unser normaler Zustand alles andere als wach, sondern äußerst begrenzt und einengend. Meist sind wir in Gedanken verloren und verbringen einen Großteil unseres Lebens eher im Halbschlaf – wir funktionieren sozusagen auf Autopilot.

Uns in Achtsamkeit zu üben bedeutet also, die Welt, die Menschen um uns herum und uns selbst genauer wahrzunehmen und Gewohnheiten und MUSTER zu entlarven, die dieser Achtsamkeit im Wege stehen. Das kann beispielsweise der immer gleiche Weg zur Arbeit sein, der uns gar nicht mehr die Besonderheiten der Strecke registrieren lässt. Oder reflexartiges Schimpfen, wenn unser Kind eine schlechte Note in der Schule bekommt. Achtsamkeit bedeutet aber auch, dass wir alles, was wir wahrnehmen, erst einmal so annehmen, wie es ist, ohne es zu bewerten. Das größte Hindernis dabei sind unsere Gedanken. Sie kreisen praktisch ständig in unserem Kopf herum, obwohl wir sie die meiste Zeit über nicht einmal registrieren. Deshalb hilft es, zunächst einmal unserem Geist mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Gedanken sind nur Momentaufnahmen

Gedanken prägen unser Leben, und nur selten werden wir uns darüber bewusst, wie sehr wir in Gedanken verloren sind. Schon wenn wir morgens aufwachen, liegen unsere Gedanken nicht mehr mit uns im Bett, sondern sind schon bei dem, was heute alles zu tun ist. Und während das Wasser in der Dusche auf unseren Körper rieselt, bringen wir vielleicht schon die Kinder in die Schule oder befinden uns bereits an unserem Arbeitsplatz, anstatt die entspannende Wirkung des warmen Wassers zu genießen und den belebenden Duft unseres Shampoos. Auf diese Weise verpassen wir regelmäßig einen Großteil unseres Lebens. Wir fahren in den Urlaub, um uns zu erholen – aber schon nach kurzer Zeit sind wir gedanklich gar nicht mehr dort, sondern schon bei der neuen Kindergartengruppe, in die der Jüngste nach den Ferien gehen wird, oder bei dem aufregenden Projekt, das in der Arbeit auf uns wartet. Wir sind überall, nur nicht da, wo wir uns tatsächlich körperlich befinden.

Wir denken praktisch ununterbrochen, in Bildern und Worten, in Verbindung mit Emotionen wie Freude und Angst. Unsere Gedanken setzen sich zusammen aus Erfahrungen und Befürchtungen, aus schönen und schrecklichen Bildern, aus einem Sammelsurium verschiedener Interpretationen. Kaum ist ein Gedanke aufgeblitzt, kommt im nächsten Moment schon ein neuer.

Wir werden ständig abgelenkt

Unser Denken besteht größtenteils aus Bewertungen, die aus unseren Vorlieben und Abneigungen entstehen sowie aus Vorstellungen und Meinungen. Gedanken ermöglichen uns zum Beispiel Erinnerungen und Visionen, wir können an die Vergangenheit denken und uns in eine Zukunft gedanklich hineinträumen. Die Gefahr ist, dass wir die Gegenwart verpassen, wenn wir ständig in Gedanken verloren sind. Wenn wir uns zum Beispiel heute schon Sorgen machen, ob unser Kind gut in der Schule mithalten kann, obwohl es noch Jahre in den Kindergarten gehen wird, verpassen wir, das HIER UND HEUTE zu genießen. Mithilfe der Achtsamkeitspraxis kommen wir wieder mehr in Kontakt mit unserem Erleben. Die folgende Übung kann Ihnen davon einen ersten Eindruck vermitteln, indem Sie versuchen, mit der Aufmerksamkeit bei sich zu verweilen.

ÜBUNG

Achtsames Erforschen

Was haben Sie bei der Übung erlebt? Wenn Sie diese Erfahrung damit vergleichen, wie Sie üblicherweise essen – was fällt Ihnen auf? Versuchen Sie, das Erlebte NICHT ZU BEWERTEN, Sie brauchen jetzt nichts anders oder besser zu machen. Es geht einfach nur darum, dass Sie üben, sich einer Erfahrung im gegenwärtigen Moment bewusster zu werden – unabhängig davon, ob diese angenehm, unangenehm oder ganz einfach neutral ist.

Unser Denken durchschauen lernen

Im Alltag ist es alles andere als einfach, die Aufmerksamkeit auf unsere Erfahrung im gegenwärtigen Moment zu richten. Unser Denken scheint ein Eigenleben zu führen und ist nur schwer zu fassen: Es ist komplex, chaotisch, unvorhersehbar und häufig auch ungenau, ohne erkennbaren Zusammenhang und widersprüchlich.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit öfter auf unseren Geist richten, wird sich dieser Eindruck noch bestätigen, und wir werden die Erfahrung machen, dass wir unsere Gedanken bisher zu wichtig genommen, sie mit der Wirklichkeit verwechselt haben. Denn in der Regel neigen wir dazu, unsere Gedanken überzubewerten und uns viel zu schnell mit ihnen zu identifizieren. Erst wenn wir sie achtsam wahrnehmen, bemerken wir, wie flüchtig, wie unzureichend und unwichtig unsere Gedanken meist sind. Wir erkennen, dass sie sich allzu leicht zwischen uns und unser Erleben schieben und es auf diese Weise färben. Haben wir erst einmal unser Denken durchschaut, verliert es langsam seine MACHT über uns. Glauben Sie also nicht alles, was Sie denken. Denn Ihre Gedanken haben mit der Realität nicht unbedingt etwas zu tun. Häufig hindern sie uns daran, wirklich im Hier und Jetzt zu sein.

Wie eine Seuche kann es sich zum Beispiel auswirken, wenn unsere Gedanken von Sorgen um die Zukunft beherrscht werden. Diese Ängste bringen uns dazu, etwas von unserem Kind zu erwarten, zu dem es noch gar nicht reif genug ist. »Ist es vielleicht entwicklungsverzögert, wenn es ENTFALTEN KANN