Vorwort

Vor einigen Jahren steckte ich in einer tiefen Lebens– und Glaubenskrise. Meine geliebte Frau hatte sich in die Arme eines anderen Mannes geflüchtet. Dass ich selbst sie dahin getrieben hatte, war mir natürlich nicht klar.

Liebe, Sicherheit, Bodenständigkeit und Selbstachtung, die ich mir selbst nicht geben konnte, forderte ich von meiner Frau. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich sie damit einengte. Ihre Suche nach Freiheit und gleichzeitiger Geborgenheit bei einem anderen Mann waren nur folgeichtig. Als ich herausfand, dass meine Frau mich betrügt, stürzte ich in das tiefste Loch meines Lebens. Alle Lebenswerte waren aus den Angeln gehoben. Nichts schien mehr wirklich wichtig. Ich wollte nur meine Frau zurück. Aber je mehr ich um sie kämpfte, desto mehr engte ich sie ein. Aus eigener Kraft konnte ich diesen Teufelskreis nicht durchbrechen. Mir entglitt der Lebenssinn. Ich dachte daüber nach, alles hinzuwerfen. Coachs, die ich aufsuchte, halfen nur kurzzeitig. Augenblicklich fiel ich ins nächste Loch. Weder Beruf noch Freundschaften interessierten mich. Ich magerte auf 59 Kilo ab. Niemand konnte mir meinen Schmerz nehmen. Außer ich mir selbst.

Was wollte mir diese größte Krise meines Lebens zeigen?

Warum musste ich sie erleben? Was spiegelte sie mir?

Warum musste es so wehtun?

Vor allem: Welchen Nutzen konnte ich aus ihr ziehen?

Auf alle diese Fragen sollte ich in den folgenden Jahren Antworten finden. Antworten, die mein Leben glücklicher, reicher und lebenswerter machten. Ich begann, diverse Intuitions– und Mentaltechniken zu erlernen, besuchte Seminare, las unzählige Bücher und kam Stück für Stück dem Menschen näher, der ich längst war.

Ich lernte auf diesem Weg mein wahres Ich erkennen. Ich begriff, dass unsere alltäglichen Verstrickungen durch momentane Ich-Identifikationen hervorgerufen werden.Wir sind aber mehr als nur Ich. Wir sind multiple Wesen, die ein vollkommenes Potenzial in sich tragen. Wir sind alle fähig, dieses vollkommene Potenzial zu entdecken und zu leben.

Dieses Buch möchte ein Reisebegleiter sein auf dem Weg der Erkenntnis, dass unsere Blockaden und Probleme uns das Tor zu unserer Vollkommenheit öffnen.

Wir leben in unserer dualen Tageswahrnehmung nur einen Pol unserer Vollkommenheit bewusst aus. Der Gegenpol liegt oft im Schatten. Ihn bewusst zu erkennen, ihm Licht zu geben, um sich dadurch mit dem Geschenk des gesamten menschlichen Reichtums zu belohnen, ist eine der schönsten Lebensaufgaben.

Es ist mir ein tiefes Anliegen, Ihnen den Weg zu Ihrem wahren Selbst und damit zur Fülle Ihrer Möglichkeiten zu öffnen. Genau wie ich ihn mir öffnen durfte, um gemeinsam mit meiner Frau unser Leben auf der Ebene von Freiheit und Glück fortzusetzen. Ich möchte Sie mit diesem Buch einladen, sich als Schöpfer Ihrer bewusst gestalteten Realität zu erkennen und in allen von mir beschriebenen Übungen selbst auszuprobieren.

Sie halten somit nicht nur einen weiteren Ratgeber in Sachen Lebensweisheiten in Händen, sondern werden mit jeder beschriebenen Übung tiefer eintauchen in die Welt Ihres wahren Potenzials. Sie werden eingeladen, den eigentlichen Sinn Ihres Lebens, Ihre wahre Bestimmung und Berufung zu entdecken.

Denn nur wer seine Herzensaufgabe erkennt und lebt, kann Unmögliches vollbringen. Wir brauchen dafür niemand anderen als uns selbst!

Als ich das aus tiefstem Herzen erkannte, konnte ich meiner Frau mit einer neu entdeckten Größe begegnen und sie in ihrem Drang nach Freiheit verstehen und unterstützen.

Sie und nur Sie allein sind der wichtigste Mensch in Ihrem Leben. Haben Sie sich das tatsächlich einmal vor Augen geführt? Ich meine nicht mental begriffen, sondern emotional und körperlich empfunden?

Gehören Sie zu jenen Menschen, die sich morgens vor den Spiegel stellen können, um festzustellen, wie schön und einzigartig Sie sind? Können Sie sich berühren und streicheln und dem Spiegel zeigen, wie wert sie sich schätzen? Nein? Jain? Ja?

Mir fiel es mein halbes Leben lang extrem schwer, mich vor dem Spiegel zu umarmen. Ich litt unter mehr als nur einem Minderwert. Ich war mir selbst nie genug. Alle um mich herum hatten es geschafft. Nur ich nicht. Ich blickte zu allen auf, die gesellschaftlich etwas darstellten. Es brauchte viele Jahre und unzählige Krisen, die mich dahin brachten, endlich mein wahres Selbst zu erkennen, es anzunehmen und täglich Kraft aus ihm zu schöpfen. Krise sei Dank. Denn alle Krisen sind nichts als Leuchtbojen im spärlich ausgeleuchteten Meer unseres Lebensweges. Wer das erkennt, hält einen großen Schatz an Erkenntnis bereits in der Hand: Die Krise ist eine Abkürzung in die Freiheit.

Ich möchte Ihnen mit diesem Buch die Möglichkeit geben, Ihr Lebensmeer zu erhellen, damit Sie Leuchtbojen frühzeitig erkennen und auf Ihrem persönlichen Weg zum Erfolg die richtige Richtung finden. Wobei ich Erfolg als etwas sehe, das Sie befähigt, in jedem gewünschten Lebensbereich genau das erfolgen lassen zu können, was Sie aus tiefstem Herzen erfolgen lassen wollen.

Dazu gehört kein Studium, sondern Stille, Intuition, das Wissen um die Dualität unserer Wahrnehmung und die hundertprozentige Überzeugung, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Und Liebe.

Dann fehlt nur noch die Tat. Das ist das Einzige, was ich Ihnen nicht abnehmen kann. Aber ich versuche, Ihnen mit meinen Anleitungen so viele praktische Hilfestellungen wie möglich zu geben, damit Sie Ihre intuitive Kreativität spielend leicht in Ihr Leben integrieren können.

Jedoch: Tun müssen Sie es selbst! Es geht um Ihre Persönlichkeitsentwicklung. Die Person, um die es dabei geht, sind Sie. Nur Sie allein können und dürfen diesen Ihren persönlichen Weg gehen.

Ich werde mich in diesem Buch mit allen meinen persönlichen Lebenserfahrungen, Höhen und Tiefen, all meinem spirituellen Wissen buchstäblich vor Ihnen entblättern. Mir scheint der Weg über meine persönlichen Krisen der ehrlichste und bodenständigste zu sein. Ich denke, nur durch schonungslose Ehrlichkeit ist es möglich, sich dem wahren Selbst zu öffnen und so den größtmöglichen Nutzen für uns und unser Lebensumfeld zu erhalten.

Sie werden in diesem Buch erfahren, auf welche Art unser Leben und unsere Wahrnehmung dual zusammenhängen und warum und wozu Lebenskrisen notwendig und nützlich sind. Gewissermaßen sind sie die Nuggets auf unserer täglichen Suche nach Glück.

Der Weg Ihrer Persönlichkeitsentwicklung führt Sie unweigerlich dahin, dieses Glück in jedem Moment Ihres wertvollen Seins zu entdecken. Nur aus dem Moment heraus sind wir kreativ. Der bewusst erlebte Moment macht uns zu authentischen Schöpfern unserer Realität. Und zwar genau jetzt. Nicht morgen, sondern jetzt.

Nur JETZT gestalten Sie Ihr Leben zielsicher und erfolgreich. Je mehr wir über uns und unser wahres Selbst mit allen unseren unbewussten Programmierungen erfahren, desto zielsicherer können wir unserer wahren Bestimmung nachkommen: Zu leben, zu lieben, zu lernen und zu erennen, dass das Glück in jedem Augenblick unseres Lebens bereits in uns steckt.

Dazu werde ich Sie mit der Kraft Ihrer Träume konfrontieren. Ich werde Ihnen helfen, Ihren inneren Autopiloten kennenzulernen, um ihn für Ihre Lebensgestaltung zu nutzen. Ich möchte Ihnen zeigen, wie Sie Ihre Intuition schulen, um selbstständig Lebensaufgaben, die im Tagesbewusstsein schwer zu bewältigen sind, im inneren Dialog mit Ihrem Unbewussten zu lösen. Sie können lernen, die Energie Ihrer Gedanken für hellsichtige und hellfühlende Wahrnehmungen in jedem Lebensbereich einzusetzen.

Sie werden nach der Lektüre dieses Buches fähig sein, sich intuitiv alle wichtigen Lebensfragen kreativ beantworten zu können. Sie werden Ihr Sein in die Richtung öffnen, in der Ihr größtmögliches Potenzial schlummert.

Jedes Kapitel eröffne ich mit einer persönlichen Lebenserfahrung, um Ihnen zu zeigen, in wie viele Löcher ich fallen musste, damit ich hier ankommen konnte. Danach lasse ich ein wenig Theorie einfließen, um Ihnen anschließend gezielte Übungen des gesamten MindLifeBalance®-Systems vorzustellen. Oft habe ich zugunsten des emotionalen Leseflusses die Reihenfolge aus Persönlichem, Theoretischem und Praktischem vermischt. Das Buch soll nicht nur Wissen vermitteln, es soll auch unterhaltsam bleiben.

Seien Sie versichert, egal was auf den folgenden Seiten geschrieben steht, es geht ausschließlich darum, was es bei Ihnen auslöst. Wozu es Sie befähigt. Was Sie davon mit in Ihr persönliches Leben nehmen. Sie sind die Hauptperson in diesem Buch. Nur Sie allein.

Ich bin glücklich, Sie auf dieser Reise ein Stück weit begleiten zu dürfen.

Ihr Sebastian Goder

www.MindLifeBalance.de 23. 5. 2013 Portixol

Traumbilder

Mein Flug durchs Treppenhaus

Im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren mussten meine Schwester und ich mit meinen Eltern alle Vierteljahre einmal zu Oma und Opa fahren. Sie lebten zwar in der gleichen Stadt, aber die Fahrt zu ihnen kam einer langen Reise gleich. Niemand hatte Lust darauf. Niemand wusste, worüber man bei Tisch reden sollte. Niemand sah die Notwendigkeit, die beiden alten Menschen, die rauchend an einem separaten Tischchen vor einer gewaltigen Bücherwand saßen, in irgendeiner Weise zu unterhalten. Meine Mutter verzog sich in die Küche und machte Heringssalat. In meiner Erinnerung gab es immer Heringssalat, wenn wir bei Oma und Opa waren. Mein Vater vertiefte sich in ein Buch aus dem großen Wandregal und meine Schwester malte Sonnen, Wiesen und Prinzessinnen.

Und ich?

Durch die stetige Ruhe einer tiefen Langeweile, die nur durch das sanfte Ausblasen des Zigarettenrauchs von meinem Opa rhythmisch unterbrochen wurde, driftete ich scheinbar unbewusst in eine meiner ersten tiefen Meditationen. Später nannte ich sie »Ausritte«. Ganz sanft ließ ich mich auf diese meditative Stimmung ein.

Zuerst sah ich nur auf die Kringel, die mein Großvater in die Luft blies. Er war sehr nett zu mir und behandelte mich immer wie einen Erwachsenen. Das lag aber nur daran, dass er keine Ahnung hatte, wie er mit Kindern umgehen sollte. Er blies also seine Kringel in die Luft und bemühte sich, sie sehr rund und gleichförmig zu gestalten. Einer folgte auf den anderen. Und ich tat nichts weiter, als ihnen zu folgen. Damals sah ich sie nicht als Kringel, die durch die Luft flogen und sich im Sauerstoff auflösten. Ich sah sie als Teil von mir. Ich war mir dessen selbstverständlich nicht bewusst. Ich fragte mich nicht: »Wie nehme ich sie wahr?« Sondern sie waren definitiv mit mir verbunden. Oder besser gesagt: Ich war jeder dieser Kringel und löste mich in ihm oder mit ihm wieder und wieder auf. Eine unendliche Schleife von Hingabe und Aufgabe. Das lässt sich aus heutiger Sicht am besten mit einem Spaziergang durch eine plötzlich auftauchende Nebelwand beschreiben. Sie steht wie aus dem Nichts vor einem und beim nächsten Schritt ist man Teil von ihr. Aufgelöst in kaltem, feuchten Rauch, der tief in die Lungen fährt und jegliches Realitätsgefühl verschwinden lässt. Wenn man will, kann man das eigene Körpergefühl auf diese Weise neu entdecken. Oder man gibt sich einfach hin und zerfließt. So ähnlich habe ich es damals im Alter von sechs Jahren unbewusst, aber voller Genuss getan. Mir war egal, was die anderen dachten. Es war ja jeder mit sich beschäftigt. Selbst die Briefmarkensammlung meines Opas, die er mir bei jedem Besuch präsentierte und die ich später einmal erben sollte, waren weit weniger real als mein erster »Ausritt« auf diesen Rauchkringeln.

Ich erinnere mich an meinen ersten Ausritt, als geschähe er genau jetzt. Ich fliege auf einem Kringel hoch über das kleine Tischchen meines Opas und ziehe gemächlich durch die geschlossene Tür in Richtung Flur, vorbei an der Küche, in der meine Mutter mit ihrer Mutter Heringe zerschneidet. Ich ziehe an diesem Geruch aus Fisch, Essig und Zucker vorbei und bekomme mit, wie sich meine Mutter mit ihrer Mutter unterhält. Es geht um meinen Vater. Meine Mutter erwähnt, dass sie »ihn an die Wand klatschen könnte«. Mir war damals nicht bewusst, dass ich dieses Gespräch aus dem Wohnzimmer, durch die geschlossene Tür, auf keinen Fall hätte belauschen können. Auf meinem Kringel aus Rauch ging das aber ohne Weiteres.

Über die Tragweite dieser angehenden Fernwahrnehmung war ich mir damals natürlich nicht im Klaren. Es war für mich einfach normal. Ich zog auf meinem Rauchkringel, der sich längst aufgelöst hatte und für niemanden mehr sichtbar war, weiter durch die Wohnungstür hinaus ins Treppenhaus.

Meine Großeltern wohnten im ersten Stock. Also eine Treppe hoch. Das Treppenhaus war riesig. Die Stufen verliefen an Stirn– und Fußseite des Treppenhauses. Verbunden durch lange Korridore. Als ich auf meinem Rauchkringel die Wohnung verließ, war ich allerdings nicht in der ersten Etage, sondern in der vierten. Das war die höchste Etage dieses 30er-Jahre Industrie-Vorstadtbaus. Dort oben, so schien es mir, konnte ich alles überblicken. Nicht nur das Treppenhaus mit allen seinen verschlossenen Wohnungstüren, sondern ich konnte durch sie hindurchblicken. Ich sah von meiner Beobachterposition aus all die kleinen, engen Wohnungen mit ihren Einheitstischchen und Schrankwänden und Einbauküchen und Kohleöfen. (Ein paar hatten allerdings schon Gasthermen installiert.) Von heute aus betrachtet, würde man fragen: »Wie geht das denn?« Damals fühlte sich das Ganze für mich unglaublich normal und alltäglich an. Ich war gar nicht so sehr daran interessiert, alle diese Menschen auszuspionieren (die meisten waren zu Hause, da unsere Besuche immer am Wochenende stattfanden). Vielmehr war es einfach wie ein Herumstöbern in einem großen Puppenhaus, das mir gehörte.

Dass ich diese Menschen anscheinend ganz real sah, war mir nicht bewusst. Ich habe es auch nie verifiziert. Nie nachgefragt, ob gegenüber von meinen Großeltern die Wohnung tatsächlich zurzeit meines Besuches leer war, da die Mieter, wie ich eindeutig sah, »in den Pilzen waren«. Alles das war mir egal. Ich stromerte einfach durch ein Haus, das mir gehörte und begann, Möbel umzustellen, Einrichtungen zu verändern, Fenster zu öffnen, auf die Straße zu spucken, Passanten zu erschrecken und mich immer wieder fliegend von Wohnung zu Wohnung zu bewegen. Das Ganze ging so lange, bis ich oben aus der vierten Etage über das Treppengeländer stürzte und in die Tiefe schoss. Bei diesem Sturz, der jedes Mal meine Reise beendete, wusste ich instinktiv, dass dieser Fall nicht real war. Während der gesamten vorhergegangenen Entdeckungsreise war mir das nicht bewusst. Dass ich durch Wände gehen und Mobiliar umstellen konnte, erschien mir völlig real. Erst während des Sturzes erwachte ich aus meinem Traum, oder besser gesagt, wurde ich mir meiner außerkörperlichen Reise bewusst. Diese Erkenntnis signalisierte mir jedes Mal: »Hallo! Das ist ein Traum.« Ab dem Moment konnte ich den Fall genießen und sogar dem Aufprall auf die graugelben Fließen im Erdgeschoss mutig und voller Abenteuerlust entgegenfiebern. Einige Male klatschte ich ganz bewusst zwischen Fahrrädern und Kinderwagen auf die Fließen. Sah mein Blut und meine Knochen wie in Zeitlupe aus mir herausspritzen und freute mich über die Ruhe, die in dem Moment in mir eintrat. Tiefer Frieden und wattiges Wohlbefinden umhüllten mich. Ein Gefühl von: »Mir kann keiner was!« Von diesen »Ausritten« habe ich niemandem erzählt. Sie waren mein Geheimnis. Mein Schatz.

Ich war mir damals intuitiv darüber im Klaren, dass wir uneingeschränkt risikobereite Wesen sind, die diese Welt als Spielwiese ihrer persönlichen Entdeckungsreise nutzen können. Und ich hatte keine Lust, meinen Schatz erklären zu müssen. Für mich war er mehr als real und nur das zählte. Interessanterweise bekam ich nach dieser ersten Erfahrung ganz automatisch ein anderes Verhältnis zur Realität.

In meiner Schule gab es einen größeren Jungen, der es ganz besonders auf mich abgesehen hatte. Ich wusste, er lauert mir auf. Ich wusste, wenn ich ihm über den Weg laufe, beziehe ich Prügel. Das geschah alle zwei Wochen einmal. Aber nach dem ersten Ausritt auf meinem Rauchkringel hatte diese lähmende Angst ihre Wirkung verloren.

Obwohl der Junge zum Ringen ging und unglaublich stark war, ging ich bei unserer nächsten Begegnung auf ihn zu. Ich wusste, mir wird nichts passieren, was ich nicht schon erfahren (oder erflogen) hatte. Ich besaß damals ein Fahrrad mit Rennlenker und Tacho. Mein ganzer Stolz. Ich wusste, dass dieser Teufel meinen Tacho unbedingt haben wollte. Er hatte immer irgendetwas von mir bekommen, es geklaut oder mir abgenommen. Ich ging also auf ihn zu und sagte: »Na, wie geht’s? Willste meinen Tacho haben? Nimm ihn dir! Abschrauben musste ihn aber selber! Na, los! Mach! Ich muss gleich zum Judo.« Zum da maligen Zeitpunkt ging ich allerdings noch nicht zum Judo. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren war. Ich hatte mir diese Offensive keineswegs vorgenommen.

Normalerweise hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre geflüchtet. Oder ich wäre wie ferngesteuert auf ihn zugegangen und hätte stumm meine Prügel abgeholt. Aber diesmal ging ich selbstbewusst auf ihn zu. Ich sah mir sogar dabei über die Schulter und fand mich ziemlich cool. Genau in dem Moment befand ich mich wieder im Treppenhaus meiner Puppenstube. Ich flog mit ausgebreiteten Armen das Treppenhaus hinunter und freute mich auf den dumpfen Aufprall. Dabei musterte ich meinen Peiniger mit verachtendem Todesmut. Kurz bevor ich zwischen Fahrrädern und Kinderwagen aufschlug, hörte ich den Jungen sagen: »Okay, verpiss dich. Aber beim nächsten Mal biste dran.« Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Aber der Traum blieb. Noch Jahre nach dem ersten Ritt auf dem Rauchkringel hatte ich nachts diverse luzide Träume, die mich durch das Treppenhaus katapultierten. In diesen Träumen wurde ich mir jeweils kurz vor dem Absprung ins Treppenhaus bewusst, dass ich träumte. Ich konnte ab da den Flug durch das Treppenhaus beliebig verlängern und entwickelte wahre Kunstflüge. Während ich Loopings und Rollen flog oder nur sanft dahinglitt, entwickelte sich das Bewusstsein endlosen Potenzials und grenzenloser Freiheit und Glücks. Diese emotionale (selbstgesteuerte) Erfahrung war so stark, dass ich sie, wann immer ich wollte, im Tagesgeschehen aktivieren konnte.

Komischerweise träumte ich meinen »Flug durchs Treppenhaus« immer genau dann, wenn ich am nächsten Tag in der Schule eine Klassenarbeit schreiben musste. Die Angst, die ich normalerweise vor solchen Tests hatte, blieb nach einem luziden Treppenhausflug jedoch aus und ich konnte mich auf die Arbeit konzentrieren. Das Ergebnis fiel dann oft um ein bis zwei Noten besser aus. Obwohl ich ein stinkfauler Schüler war.

Die Fähigkeit, außerkörperlich zu reisen und sich dessen dabei bewusst zu werden sowie sie in einen luziden Traum zu integrieren, verlor sich im Laufe der Jahre. Niemand sprach zu jener Zeit offen über derlei »Abnormitäten«.

Ich habe diese Fähigkeiten später in verschiedensten Intuitions– und Mentalseminaren wieder wachrufen müssen.

Entscheidend ist dabei aber nicht, etwas »verloren« zu haben, sondern sich bewusst zu machen, dass alle diese Fähigkeiten wieder erlernbar sind.

Die bewusste Wahrnehmung unserer Träume ist ein uraltes menschliches Potenzial, das es uns ermöglicht, ungeahnte Fähigkeiten direkt ins Tagesgeschehen zu integrieren.

Der Traum – Schatzkammer unseres Unbewussten

Wir alle träumen. Jede Nacht, ausnahmslos. Auch wenn wir uns nicht immer unserer Träume erinnern können. Träume stellen sich hauptsächlich während der sogenannten REM-Schlafphasen ein. Sie nehmen gegen Morgen hin, wenn der Körper sich während der Nacht erholt hat, zu. Deshalb erinnern wir uns am besten an die Träume, die wir kurz vor dem Aufwachen haben. Träume sind unsere Schatzkammern des Unbewussten. Wir sind in der Lage, in unseren Träumen zu lernen, Traumata aufzuarbeiten, Erfahrungen zu machen, uns in Zeit und Raum zu bewegen, mit Problemen fertig zu werden und zu gesunden. Der Traum ist ein Spiegel unseres wahren Selbst, der uns, beziehungsweise einen bestimmten Teilbereich von uns, reflektiert. Diesen meist unbewussten Teilbereich können wir dadurch erkennen und bewusst in unser Leben integrieren.

Im Traum kann sich unsere Ich-Identifikation mehrmals während eines einzigen Traumes auflösen. Wir können uns von außen wie von innen betrachten. Wir können gleichzeitig zu einem unserer Traum-Gegenüber werden und empfinden plötzlich wie er. Wenn wir es schaffen, uns das Geträumte zu merken und uns unserer Emotionen während des Traums bewusst zu werden, können wir viel über uns lernen. Wir können dadurch intuitiv Probleme lösen, schwierige Aufgaben spielerisch meistern und emphatisch verstehen lernen, was unser Gegenüber tatsächlich meint. Auch wenn dieses Gegenüber uns scheinbar verletzt. Es ist nichts als ein innerer Seelenspiegel, die jeweils unbewusste Seite unserer Vollkommenheit.

Im Traum begegnen uns »Feinde« und »Freunde«. Erstere lösen möglicherweise Albträume aus. Solange wir sie nicht »enträtseln«, kehren sie häufig wieder. Aber keine Angst. Sie sind Hilfen, die unendlich wertvoll sind.

Auch wenn das folgende Beispiel für den einen oder anderen ein wenig drastisch anmuten mag, so schildert es doch, wie intensiv unsere Träume versuchen, mit uns zu kommunizieren: Eine Teilnehmerin aus meinen Coachings klagte jahrelang über einen ständig wiederkehrenden Traum. Sie musste sich, während sie inmitten von Schaulustigen stand, immer wieder eine glitschige Masse aus Rachen und Mundraum entfernen. Das war ihr äußerst peinlich und sie schämte sich für das, was da in ihr war.

Im Coaching machte ich mit ihr eine innere Reise zur Bedeutung dieses Traums. Es ist sehr wichtig, selbstständig mental und emotional zu verstehen, was ein Traum sagen möchte. Es nutzt nichts, Handbücher über Traumsymbole zu wälzen, da jeder Mensch eine andere Beziehung zu einem jeweiligen Symbol hat. Für den einen ist zum Beispiel ein Hund ein Herzöffner, für den anderen eine Bestie.

Auf dieser inneren Reise entwickelte sich ihr Albtraum weiter. Es eröffneten sich ihr Räume bis hin zu ihrer Kindheit, in der sie sah, wie sie im Bett eines Familienangehörigen »Höhle« spielen musste. Dieser Familienangehörige machte dabei immer »tierische« Laute. Stück für Stück wurde meiner Klientin bewusst, welch sexuellen Übergriffen sie ausgesetzt war. Sie konnte ab diesem Zeitpunkt plötzlich viele Kindheitsbilder einordnen. Auch im Vorübergehen aufgeschnappte Sätze der Eltern bekamen plötzlich Sinn. Das Entscheidende dabei aber war, dass ihr das niemand von außen erklärt oder vorgeführt hatte. Sie kam von selbst darauf, indem sie ihren Traum, die Stimme ihres Unbewussten, nutzte, um der verdrängten Wahrheit auf den Grund zu kommen.

Da der Traum als solcher jahrelang Spiegelbild ihrer inneren Ahnung war, machte ihr die Entschlüsselung keine Angst. Im Gegenteil. Sie war erleichtert, endlich die Wahrheit erkannt zu haben. Als aus der Ahnung Gewissheit wurde, hatte der Traum seine Aufgabe verloren und kehrte nicht mehr wieder.

Indem wir im Coaching meditativ in den Albtraum einstiegen und darauffolgende Traumbilder im geschützten Rahmen entstehen lassen konnten, war meine Klientin offen für die neuen und wegweisenden Informationen.

Oft ist es im Tagesbewusstsein schwer, diese Informationen in Form von inneren Filmen ablaufen zu lassen. Aber in der stillen Versenkung einer Meditation können Hirnareale, die für Kreativität, Emotionalität und Intuition verantwortlich sind, aktiver wahrgenommen werden. Im Grunde ist es nichts anderes, als ein bewusst induzierter Traum, der bei seinem Eigenleben beobachtet wird.

In meinem Buch werde ich Ihnen viele Übungen an die Hand geben, mit deren Hilfe Sie genau diese Kreativität in sich wecken und beobachten können.

Im weiteren Verlauf des Coachings konnte meine Teilnehmerin mit diesen neuen Bildern beginnen zu arbeiten. Ich habe sie ermutigt, in den übergriffigen Familienangehörigen »einzusteigen«, um zu begreifen, was in ihm während des Aktes der Persönlichkeitsverletzung vorging. Obwohl es ihr sehr schwerfiel, sich ihrem Peiniger noch einmal zu nähern, schaffte sie es, sich klarzumachen, dass sie in diesem Fall das Steuer in der Hand hielt und den Kurs bestimmen konnte. Sie stieg tatsächlich vollständig in die Person ein. Auf diesem Weg konnte sie emphatisch erleben, was ihn zu dieser grauenhaften Tat trieb. Sie konnte körperlich fühlen, wie sehr dieser Mensch unter dem Verlust seiner Frau litt (etwas, das sie im Tagesbewusstsein vergessen hatte). Er war ein Wrack, das auf perfide Weise Liebe suchte. Das Sehen und Erleben beider Seiten hat sie automatisch ihr altes Trauma ausbalancieren lassen. Bloßes Verzeihen oder Vergeben wäre in diesem Fall tatsächlich nicht ausreichend gewesen. Es bedurfte des Traumes, der sie immer wieder mit der Nase darauf stieß, dass da etwas schlummert, was gehoben und geborgen werden wollte. Meine Klientin konnte ab diesem Zeitpunkt ihr Leben mit neuer Selbstakzeptanz, weiblicher Größe und Schönheit leben.

Alle Erfahrungen, Bilder und Eindrücke jeder Couleur sind in unserem Unbewussten gespeichert. Der Traum ist die Pforte dahin. Wenn wir bereit sind, diese riesige Bibliothek unserer inneren Weisheit zu öffnen, dann können wir ganze Bände dieser Bibliothek neu zusammenstellen, schöpferisch umgestalten und nutzbringend in unser Leben integrieren.

Wir brauchen dazu nichts weiter als unseren Willen, unsere Überzeugung und die tägliche Kraft, beides einzusetzen.

Es gibt unzählige Methoden, in die Traumarbeit einzusteigen. Es gibt Dutzende Bücher über Trauminduktion, luzides Träumen, Traumyoga, tibetanische Traummeditation, Traumtechniken schamanischer Geistheiler und Traumarbeit indigener Stämme. Alle hier aufzuführen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Mir ist wichtiger, Ihnen den Einstieg in die Traumarbeit zu erläutern, damit Sie die ersten eigenen Schritte hinein in Ihr wahres Selbst gehen können, um so die ersten Traumnuggets an die Oberfläche Ihres Bewusstseins zu holen.

Traumarbeit – das Schürfen im Goldbergwerk

Der kleine Michael kommt zum ersten Mal zu mir ins Coaching. Er will seine Noten verbessern und sucht ein Tool, das ihm das Lernen vereinfacht. Als er die Treppen in meinen Garten hinabsteigt, bleibt er plötzlich stehen und sagt: »Den Garten kenne ich. Genau auf diesen Treppen habe ich heute Nacht in meinem Traum gestanden. Ich habe gesehen, dass ich genau hier runtergehe und dann durch eine Tür gehe.« Er schaut zur Eingangstür meines Hauses und deutet darauf. »Ja, genau die war es! Dahinter habe ich dann etwas bekommen, das mir das Lernen leicht gemacht hat.«

Michael hatte tatsächlich eine Nacht zuvor einen Traum erlebt, der ihm ein Geschehnis in der Zukunft zeigte. Oft können wir uns nicht mehr an den Traum erinnern und haben im Laufe des Tages ein Déjà-vu-Erlebnis. Wir wissen genau: Diese Situation kenne ich. Das habe ich schon mal erlebt. Gleich müsste dies oder das passieren. Und prompt passiert es. Die meisten Déjà-vus basieren tatsächlich auf Träumen, die in die Zukunft gerichtet waren. Viele von uns haben zwar Schwierigkeiten, die Vorstellung zu akzeptieren, dass wir fähig sind, in die Zukunft zu »schauen«. Sie akzeptieren aber ohne Weiteres Träume, in denen wir uns mit Verstorbenen unterhalten, ein Stück Weg mit ihnen gemeinsam gehen und ein paar Ratschläge erhalten, die wir nie im Leben von ihnen bekamen.

Im Traum arbeitet hauptsächlich unsere rechte, intuitive Hirnhälfte. Sie verarbeitet alles über den Tag Wahrgenommene – sei es bewusst oder unbewusst.

Da wir im Tagesbewusstsein hauptsächlich die linke Hirnhälfte beanspruchen, um klar denken, analysieren und kommunizieren zu können, gleicht die rechte Hemisphäre nachts aus. Die linke, so klug sie ist, kann nur scheibchenweise Realität verarbeiten. Immer nur Augenblick für Augenblick. Daher entsteht in unserem Bewusstsein das Phänomen von Zeit, unsere Wahrnehmung des »Eins-nach-dem-Anderen«.

Unsere rechte Hemisphäre ist dagegen multitasking-fähig. Sie verarbeitet alles gleichzeitig. Ungeheure Mengen von Daten werden auf einmal gespeichert. Dadurch verliert die Zeit ihre einengende Wirkung. So wie im Traum Zeit keine Rolle spielt, löst sich in der Meditation das Phänomen Zeit ebenso auf. Wir sind fähig, im Geiste Zeit und Raumreisen durchzuführen.

Michael hat sie als Déjà-vu erlebt. Er wusste, dass er sich in die Zukunft geträumt hatte. Ich war mir daraufhin sicher, dass ich ihm werde helfen können. Schließlich hatte er es ja bereits gesehen.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass mir nichts ferner liegt, als jemanden zu überzeugen oder von seinen altvertrauten Glaubenssätzen abzubringen. Ich zeige Ihnen Möglichkeiten, die Sie Ihr Leben leichter, bewusster, glücklicher und erfolgreicher gestalten lassen. Was Sie davon annehmen möchten und was Sie letzten Endes tatsächlich in Ihren Alltag integrieren, unterliegt Ihrer persönlichen Schöpferkraft. Ich hoffe allerdings, dass Ihnen meine Wege in die Traumarbeit weiterhelfen mögen auf Ihrem ganz persönlichen Weg hin zu Ihrem ureigensten Glück, das in jedem Moment schlummert.

Was Sie dabei jedoch nie unterschätzen sollten: Gehen müssen Sie diesen Weg selbst. Wenn Sie einmal ein Ziel avisiert haben, lassen Sie nicht locker, bis Sie es erreicht haben.

Unsere linke Hemisphäre speichert erlerntes Wissen wie in einem Schulheft. Die rechte Hemisphäre hingegen beinhaltet unser universelles und schöpferisches Wissen, das sich uns in Träumen eröffnet.

Wege der Traumarbeit

Weg A

Wenn Sie interessiert sind zu erfahren, was Sie träumen, sollten Sie sich als Allererstes des Umstandes bewusst sein, dass Sie träumen. Jede Nacht! Mit diesem Wissen legen Sie sich schlafen. Schauen Sie, dass Sie entspannt liegen und achten Sie auf Ihren Atem. Werden Sie sich bewusst, dass Sie nichts dagegen tun können, dass es in Ihnen atmet. Begeben Sie sich in den Fluss Ihres Atems. Verfolgen Sie ihn, ohne ihn zu beeinflussen. Und dann sagen Sie sich: »Ich weiß, dass ich heute Nacht träume.« Wiederholen Sie diesen Satz und glauben Sie an ihn. Schlafen Sie gut.

Der erste Gedanke, mit dem Sie aufwachen, sollte lauten: »Ich weiß, dass ich geträumt habe!« Bleiben Sie nun in genau der Position liegen, in der Sie erwacht sind und gehen Sie in das Wissen, dass Sie geträumt haben. Mit ein wenig Übung sollten Sie bereits nach ein, zwei Nächten die ersten Träume klar vor sich haben.