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Sämtliche Handlungen und Figuren in diesem Roman sind frei
erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Ereignissen und
Personen wären rein zufällig.

Prolog

»Du dämliche Sau!«

Leif war traurig, aber noch viel zorniger, als sein Benz-Cabrio nach einer weiteren sinnlos vervögelten Nacht über die Autobahn in Richtung Hamburg rauschte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz räkelte sich der Cowboy zufrieden im Ledersitz. »Mach mal halblang, Alter, war doch gar kein übler Fick.«

»Nein, gar nicht übel«, sagte Leif, ohne den Kopf zum Cowboy zu drehen, denn niemand wusste so gut wie er, dass dieser unsichtbar war, für den Rest der Welt sowieso und meistens auch für ihn, den Mann, der bei den falschen Frauen so viel Erfolg hatte. Leif spürte den Geschmack von zu vielen Zigaretten, zu viel Wodka-Redbull und einem weiteren One-Night-Stand im Mund. »Sie hatte einen Arsch, sie hatte zwei Titten und zwei Beine zum Breitmachen, und viel mehr hast du noch nie verlangt.«

»Aber sie hatte Brustwarzen-Piercings«, gab der Cowboy zu bedenken, »und so was hatten wir lange nicht.«

Aber auch diese Frau war nicht die gewesen, die Leif suchte, nicht die, nach der er sich sehnte, er hatte es lange vorher gewusst und es trotzdem getan. 400 Autobahnkilometer abgerissen und sie ohne Zögern vom Cowboy vögeln lassen. Weil er immer das tat, was der Cowboy wollte, und weil er nicht viel zu sagen hatte in ihrem gemeinsamen Leben.

Und plötzlich wusste Leif, dass der Cowboy sterben musste, auch wenn er, der kleine Junge, einen furchtbaren Preis dafür zu zahlen hätte. Doch am Ende würde er frei sein und vielleicht sogar Frieden finden.

»Halt dich fest, Cowboy!«, murmelte Leif leise in den Wagen hinein. Und während er das Gaspedal durchdrückte und nach seinem Gurtschloss tastete, um es ohne Bedauern zu lösen, erwachte der Sechszylinder aus seinem brummeligen Dämmerschlaf und die Tachonadel marschierte zügig in Richtung der 200er-Marke.

»Mach keinen Scheiß, Alter!«, rief der Cowboy, und zum ersten Mal seit 33 Jahren klang er nicht überlegen, gelassen und allmächtig, sondern doch einen Tick nervös. »Komm schon, ich weiß, dass du gerade traurig bist, aber wir stehen das durch, gemeinsam, so wie immer. Pass mal auf, nächste Woche meldet sich Melanie, du weißt schon, die Germanistikstudentin, ich glaub fast, sie könnte es werden, sie hat was im Kopf, genau das, wonach du suchst, so ein bisschen der Laura-Typ, scheu und klug und Bambi-Augen, und sie trägt Zöpfe, ich weiß doch, auf was du stehst.«

Doch Leif hörte nicht auf die Stimme, die ihn seit Jahren von einem Bett ins nächste getrieben hatte, und malte sich den Aufprall aus. Würde es wehtun? Oder würde es einfach nur dunkel werden, während sich der Motorblock den Weg durch seinen Brustkorb bahnte, so wie es vor Jahrzehnten die Lenksäule eines alten VW-Käfers bei seinem großen Bruder Holger getan hatte?

Laura, seine große, verlorene Liebe, würde um ihn weinen, das wusste er, aber wenn es jemanden gab, der ihn verstehen konnte, dann würde sie es sein.

Elke, seine Ex, würde gleich nach Erhalt der Nachricht schnell nachsehen, ob noch alle Lebensversicherungen auf ihren Namen liefen, und Leif würde sie nicht enttäuschen, denn wenigstens in finanzieller Hinsicht hatte er das noch nie getan.

Die Kinder würden verzweifelt sein, aber Elke würde sie auch weiterhin behüten und eines Tages, wenn sie groß wären, würden sie ihn vielleicht vergessen, ihren Papi, der sie im Stich gelassen hatte.

Leif verspürte eine vage Vorfreude aufwallen: auf all das friedvolle Nichts, das ihn erwartete, und auf das Ende der verfluchten Traurigkeit. Und während er die unwiderruflich letzte Marlboro anzündete, sah er rechts und links die Gesichter seiner Frauen an den Scheiben vorbeihuschen. Die Gesichter derer, die er geliebt hatte, die Gesichter derer, die er hatte lieben wollen, die Gesichter derer, die er bloß gevögelt hatte. Alle Gesichter aller Frauen, die er enttäuscht hatte, was, wenn man es genau betrachtete, lediglich die Summe der ersten drei Teilmengen war.

»Komm schon, Cowboy«, sagte Leif, während die Tempo-80-Schilder einer Baustelle vor ihm auftauchten und er das Gaspedal bis zum Anschlag auf das Bodenblech drückte. »Dann wollen wir doch mal sehen, wie schnell du reiten kannst.«

Leif

Herhören, Jungs, ich schreibe für euch da draußen, die ihr ratlos mit­anseht, wie euer Leben vorbeizieht, während ihr den Rasen vor der Doppelhaushälfte mäht, bevor ihr schnell die Kinder vom Turnfest holt, den Grill anschmeißt und euch anmeckern lasst, weil die Würstchen wieder angebrannt sind, ehe ihr schließlich nach Wetten, dass ..? vergeblich darauf hofft, dass Mama euch nach vier Wochen heimlichen Handbetriebs auch mal wieder ranlässt.

Natürlich träumt ihr während all dem von schönen Frauen, vielen Frauen, jungen Frauen, schnellem und vor allem schmutzigem Sex. Aber der Weg zum Endlich-wieder-coole-Sau-Sein, ich meine der richtig ernsthafte Weg so mit Scheidung, beschissener Steuerklasse I, möblierter Einzimmerwohnung und Dosenspaghetti aus der Mikrowelle, der ist ein langer Ritt durch die Wüste, und am Rande des staubigen Pfades nagt eine Schar von hungrigen Frauen mit halbwüchsigen Kindern an den Knochen derjenigen, die nicht hart genug waren, ihn als Single zu überleben.

In meinem Fall führte dieser Weg durch die Internetwüsten der Dating-Plattformen und Singlebörsen, in denen Hunderttausende Mädels in Anwallungen von dezenter Selbstüberschätzung auf einen romantischen Typen warten, der noch über diverse weitere Attribute verfügen sollte: breite Schultern, glänzendes Aussehen, guter Job, Kohle auf dem Konto – all das wird nicht nur erwünscht, sondern erwartet. Warmherzig und kinderlieb muss er auch noch sein, außerdem darf er sich weder an Cellulite noch an dicken Ärschen stören, muss klaglos den Müll rausbringen und neben all dem auch noch eine gehörige Prise ungebändigter Wildheit versprühen. Gottlob sind solche Kerle zumindest in diesem Universum rar gesät, und so müssen sich die meisten Frauen von missratenen Exemplaren wie mir vögeln lassen.

Aber bevor ich von meinem Ritt durch die Wüste erzähle, sollte ich mich vielleicht doch mal kurz vorstellen.

Leif Lasse Andersson lautet mein Name, der bereits in der Schulzeit zum Rufnamen LeiLa verballhornt wurde, woran ich mich inzwischen gewöhnt habe, denn schließlich gibt mir dieses LeiLa in gewissen Momenten einen femininen Touch, der viele Frauen zu der Annahme verleitet, ich wäre vielleicht gar eine Spur metrosexuell.

Mein Vater stammt aus Schweden, er hat uns verlassen, als ich ein halbwüchsiger Junge war. Inzwischen ist er lange tot und ich frage mich, was er wohl für ein Mann war, denn mit der Zeit und aus der Ferne entdecke ich manche Parallele in unser beider Leben.

Ich bin wie er hoch aufgeschossen, werde sehnsüchtig, sobald ich ein Segel sehe, die Reste des Haarbestands sind immer noch sehr blond und die zu groß geratene Wikingernase, die ich auch bei ihm auf alten Fotos entdecke, hat mir zeit meines Lebens einigen Verdruss bereitet, denn zumindest im Profil verhindert sie, dass ich mich als halbwegs attraktives Kerlchen betrachten dürfte.

Doch von vorn betrachtet, bügeln eine Menge kleiner Lachfältchen um die wirklich strahlend blauen Augen den eher mittelprächtigen Gesamteindruck aus, sie versprechen irgendwo tief drin im Träger so etwas wie einen liebenswerten Lausbuben, auch wenn der erste Eindruck, den ich auf Frauen mache, der eines kühlen, nordischen Typen ist, für den das Wort Macho erfunden wurde.

Bei Frauen hat diese Mischung bisher recht gut funktioniert. Sie fühlen sich von der offenkundigen Diskrepanz angezogen, finden mich oft rätselhaft, der blonde Macho versetzt ihre Hormone in Wallung, der Job als gehobener Werbeschnösel verspricht ein komfortables Auskommen auch später in der Patchworkfamilie, und der kleine Lausbub gibt ihnen die Hoffnung, dass ich vielleicht doch irgendwie anders sein könnte als all die vielen, die bloß schnell mal in ihre Kiste wollen. So habe ich das jedenfalls schon öfter vernommen, wenn ich nach Erledigung der vorrangigen Angelegenheiten wie Trinken und Vögeln ermattet in ebenjener Kiste lag. Doch die Mädels haben keine Ahnung, dass der kleine Lausejunge vom großen Arschloch nur vorgeschoben wird, um die Chancen auf einen schnellen Beischlaf zu erhöhen.

Einigen Kummer bereitet mir die Antwort auf die Frage, wo ich gerade stehe: an der Schwelle zum 40. Geburtstag und in den Trümmern meines Lebens, auch wenn noch nicht alle Mauern um mich herum eingestürzt sind, doch dies scheint nur noch eine Frage von Monaten zu sein.

Als kreativer Jungdynamiker einer Hamburger Werbeagentur habe ich mir bei meinem schnellen Aufstieg in die sechsstelligen Gehaltsklassen viele Feinde gemacht, die jetzt anfangen, in ihrem Gedächtnis und in alten Memoranden nach geeigneten Messern zu wühlen. Es scheint an der Zeit, offene Rechnungen zu begleichen, und wie es aussieht, werde ich ein dankbares Opfer sein. Das revolutionärste Projekt der Firmengeschichte steht kurz vor dem Scheitern, ich habe es zu verantworten und die rund fünf Millionen Euro Firmenkapital, die ich dabei versenkt habe, tragen keineswegs zur Stützung meines hausinternen Renommees bei. Ich bin ein Typ, der in wirklich jeder Lebenslage zu ungeschönten Bestandsaufnahmen neigt, und die aktuelle besagt: Beruflich taumele ich am Rande eines Abgrunds.

Privat bin ich schon einen ganzen Schritt weiter.

Meine Gattin Elke hat mich rausgeworfen und sich eine Anwältin genommen, eine humorlose Matrone in den mittleren Fünfzigern, die sich darauf spezialisiert hat, untreue Ehemänner zu schlachten, zu vierteilen und den letzten Tropfen Lebensmut aus ihnen herauszupressen. Auf ihren Rat hin hat Elke sämtliche uns noch verbliebenen Aktiva von den Konten geräumt und alle Unterlagen vernichtet, die darauf hindeuten, dass diese Kohle hauptsächlich mir gehört. Derzeit argumentieren die beiden, dass eigentlich auch unser schönes Haus in der Vorstadt Elke zugesprochen werden müsste, schließlich ist sie es, die unsere beiden wundervollen Kinder Lisa und Lars hütet. Elkes Anwältin beweist in ihrem gesamten Vorgehen anerkennenswerte Geschicklichkeit, ich hasse sie mit großer Inbrunst, und manchmal male ich mir aus, wie ich ihr in einer dunklen Tiefgarage einen Sack über ihr blond gefärbtes Haupt stülpe und mit meinem uralten Baseballschläger Vergeltung übe. Wobei Vergeltung ein schönes Stichwort ist. Denn das, was Elke im Moment veranstaltet, hat vornehmlich mit Rache zu tun, und irgendwie kann ich ihre Gefühle sogar verstehen.

Denn ich, LeiLa Andersson, habe mir meine Midlifecrisis just in dem Moment genommen, als ich wirklich alles erreicht hatte, was Elke jemals für mich plante. Einen geilen Job, zwei großartige Kinder, dreimal Urlaub im Jahr, ein fast abbezahltes Haus, einen Dienstwagen mit Stern, und ein kleiner Benz für Elke war trotz alledem auch noch drin. Werden höchst ungern verlassen, die Mädels in ebendiesem Lebensabschnitt, besonders wenn ihre Schönheit langsam welkt, ihre Titten anfangen zu hängen und sich die Kerle nicht mehr auf der Straße nach ihnen umdrehen.

Vor allem werden sie nicht gern für eine zehn Jahre jüngere Frau verlassen, die ihr Ehemann urplötzlich als die große Liebe seines Lebens entdeckt. Und die er für die eine und einzige Frau hält, die sich im Universum für ihn finden lässt. Und genau das ist es, was ich für Laura empfinde und was ich Elke angetan habe.

Tja, Jungs, was soll man sagen. Kommt vor, dass die Dinge zwischen Mann und Frau auf diese Weise laufen, und die Golfclubs dieser Welt sind voll von erfolgreichen Typen, die sich nicht nur regelmäßig neue Cabrios leasen, sondern auch junge, fantastisch hübsche Frauen, die ebendiese Cabrios fahren dürfen.

Nur bei mir war es leider anders, denn ich habe auch dieses zentrale Projekt meines künftigen Lebens gründlich verbockt.

Ich habe Elke verlassen und versucht, mit Laura ein neues Leben anzufangen. Laura ist für mich bei ihrem Freund ausgezogen, einem weitgehend erfolglosen Philosophiestudenten, der sie unverdrossen liebt, seit sie 16 Jahre alt ist. Ein Jahr später habe ich dann Laura verlassen.

Natürlich habe ich das nicht für Elke getan, sondern für meine Kinder Lisa und Lars, an denen ich mit zärtlicher Sehnsucht hänge. Wenn die beiden sonntagabends die Arme um meinen Hals schlangen und fragten: »Papa, Papa, kannst du nicht wieder zu Hause schlafen?«, dann brach mir mein verschissenes Herz, und monatelang habe ich mich mit der unlösbaren Frage geplagt, was wichtiger ist: mein Glück oder das Glück meiner Kinder?

Für Laura war es nur ein halber Salto rückwärts, denn sie hat stets uns beide geliebt, nach meinen letzten Informationen hat der Philosoph ihr verziehen, sie ist im vierten Monat schwanger, dem Vernehmen nach erwägt er nun sogar, seine geisteswissenschaftlichen Studien abzubrechen und sich nach einem Gelderwerb umzusehen.

Ich hingegen bin voll auf die Fresse gefallen.

Ziemlich genau ein Jahr nach meiner reumütigen Rückkehr in die Familie hat Elke mich rausgeworfen. Es war der 22. Dezember, ich war gerade dabei, wie jedes Jahr nach dem gusseisernen Fuß für den Tannenbaum zu fahnden, als Elke mir auf der Kellertreppe eröffnete, dass endgültig Schluss sei. Denn nun hatte sie im Urlaub einen elf Jahre jüngeren Typen kennengelernt, toll gevögelt, sich schwer verliebt, wie Frauen das nun mal so machen, bevor sie sich auf den Rücken legen, auch wenn es in meinen Augen ein klarer Fall von billigem Revanchefoul war.

Elke packte sich noch am gleichen Nachmittag die Kinder, fuhr mit ihnen zu Oma und Opa nach Münster und sagte zum Abschied: »Wenn ich am 5. Januar wiederkomme, möchte ich dich hier nicht mehr sehen.«

Echt, Jungs, wenn ihr jemals meint, euch von der Alten rauswerfen lassen zu müssen, dann nehmt nicht unbedingt Weihnachten. Beschissenes Zeitmanagement. Kein Kumpel, der mit euch saufen geht. Keine Frauen auf der Piste, denen ihr es richtig besorgen könnt. Niemand zum Reden da außer der mitleidigen Verwandtschaft, aber nach Heiligabend und dem ersten Feiertag habt ihr einfach keine Lust mehr, noch einen Abend trübsinnig ins Kaminfeuer zu starren, während Mama darüber klagt, dass der Schneeräumdienst wieder nicht gekommen ist und eure Schwestern betreten auf die unausgepackten Geschenke für die Kinder gucken. Am zweiten Feiertag bin ich zu Hause geblieben, nachdem ich an der Tankstelle die Vorräte an Halbliter-Wodka-Flaschen geplündert hatte.

So schreiben wir nun den 26. Dezember, neben meinem Computerbildschirm stapeln sich volle Aschenbecher und leere Wodkaflaschen, die Kinder sind bei Oma, und Elke ist nach Heiligabend gleich zu ihrem jungen Lover weitergereist. »Google ich mal nach ’nem Last-Minute-Urlaub«, denke ich. »Einen für Singles. Sonne, Saufen, abends jede Menge Sex im Whirlpool.«

Doch die Suchworte »Single« und »Urlaub« bringen rund um Weihnachten keine nennenswerten Resultate, dafür bietet mir der dritte Treffer an: »Klick – und es ist Liebe!« Ganz offenbar eine Flirtbörse.

Und das, Jungs, war der Moment, in dem sich LeiLa Andersson in Begleitung eines Cowboys und eines müden, kleinen Jungen auf den langen Weg durch die Dating-Wüsten des Internets machte.

First Date

Okay. Seien wir ausnahmsweise mal ganz ehrlich. Die Zeiten, als ich nicht jede, aber jede Menge netter Frauen haben konnte, die sind möglicherweise vorbei. Dort, wo sich an meinem einst gründlich austrainierten Körper ansehnliche Sixpacks stapelten, hat sich eine befremdliche Wölbung erhoben, die ich nach dem Rasieren skeptisch im Badezimmerspiegel beäuge. Die Brust-Muckis sind auch weg und irgendwer hat sie durch kleine Pölsterchen ersetzt, die demnächst die Körbchengröße A erreicht haben werden. Die Oberarme sehen noch ganz in Ordnung aus, doch ein Probegriff mit der linken Hand verrät die Wahrheit: Bizeps und Trizeps haben sich aus meinem Leben verpisst, die Waage tut so, als sei nichts gewesen, bei 1,98 Meter Körpergröße klingen 98 Kilo nicht sofort nach fetter Sau, doch als ehemaliger Leistungssportler kenne ich die grausige Wahrheit: Ich bin nicht nur acht Kilo über Kampfgewicht, angesichts der feige geflohenen Muskelmasse muss ich davon ausgehen, dass ich lockere zwölf Kilo Fett mit mir herumschleppe.

»So sieht’s aus, Alter!«, sage ich zu meinem Spiegelbild und nach zehn Jahren Ehe, einer endlosen Reihe von Zwölf-Stunden-Arbeitstagen und meiner gescheiterten Liebe zu Laura klafft auf dem Weg vor mir ein beachtliches Loch: Ich bin jetzt Single, habe keine Ahnung, wie das geht, und außer der Tatsache, dass ich vermutlich bis ans Ende meiner Tage Unterhalt zahlen werde, gibt es nicht viele verlässliche Eckpunkte in meiner Zukunft.

»Jammer nicht«, sagt der Cowboy, »heute Abend hast du ein Date!«

Eine lange, einsame Urlaubswoche bin ich verzweifelt durch zwei digitale Singlebörsen geirrt, nur Silvester habe ich freigemacht, die Party eines Freundes entpuppte sich als ein deprimierendes Beieinander von unzähligen Pärchen, deren Kinder unterm Dachboden schlummerten, während sich die Frauen zusammenrotteten, um gemeinsam darüber nachzudenken, was LeiLa, dieser Scheißkerl, nun schon wieder angestellt haben könnte, dass Elke sich gezwungen sah, ihn so überstürzt zu verlassen.

Um halb zwölf habe ich eine Flasche Rotwein geklaut und bin durch den Schnee nach Hause gestapft. Den Jahreswechsel in mein neues Leben verbrachte ich beim Versuch, auf dem Heimweg verirrten Feuerwerkskörpern auszuweichen, 20 Minuten nach Mitternacht saß ich wieder am Computer und habe mir die Fotos von Singlefrauen angeschaut.

Seit Weihnachten stolpere ich als digitaler Flirtfrischling orientierungslos durch diese seltsame Welt. Und Jungs, nehmt euch meine Warnung zu Herzen: Bevor ihr euch irgendwann aufmacht, meinen Spuren zu folgen, fragt jemanden, der sich damit auskennt! Mit einer Handvoll Basiswissen könnt ihr euch nicht nur jede Menge Frust ersparen, sondern auch die sonst unvermeidlichen Kollateralschäden an euren Computern und Laptops.

Bis ich mühsam herausgefunden hatte, dass 60 Prozent aller attraktiven Frauenprofile in diesen Flirtbörsen von irgendwelchen Deppen betrieben werden, die sich entweder eure E-Mail-Adresse, eure Kontodaten oder euren Besuch auf irgendeiner Nuttenseite erhoffen, sind ein paar Tage ins Land gezogen, und mein privater E-Mail-Account hat es auch nicht überlebt. Seit ich ein paar echt niedlich aussehenden Mädels meine elektronische Adresse gab, wird diese Tag für Tag bis zum Anschlag mit Nuttenmails, Viagra-Werbung und dem feinsinnigen Slogan: »Penisverlängerung sofort« vollgespamt, nur ab und zu wird dieser monotone Reigen durch Mails von »Natasha21« oder »Sweet­swetlana_19« unterbrochen, an denen wirklich geile Fotos hängen, deren Motive ich mir zum Zwecke der Verehelichung für 2000 US-Dollar nach Deutschland bestellen kann.

Als ich mir aber eines der Mädels genauer angucken wollte, enterte ein Virus meinen Computer, inzwischen habe ich die Festplatte neu formatiert und nach Hintergrundmaterial über russische Importfrauen gegoogelt. Ich fand den betrüblichen Bericht eines Nachrichtenmagazins, in dem ein Mann über mehrere Monate insgesamt 10 000 Dollar investierte, ohne auch nur eine einzige russische Nutte vor die Flinte zu bekommen. »Schön blöd, der Typ«, denke ich mir, »sogar noch einen Tick dämlicher als ich«, dennoch ist mir klar, dass die Figur, die ich gerade abgebe, auch mit größtem Wohlwollen ebenfalls bloß als jämmerlich zu bezeichnen ist. Aber ich bin eben ein schrecklich neugieriger Typ, und was soll man schon machen, wenn einem die geilsten Elsen halb nackt ins Haus flattern und im Mail-Text obendrein versprechen, dass sie noch viel schönere Fotos im Anhang mitgeschickt haben.

Inzwischen habe ich meinen gefluteten Mail-Account wie ein sinkendes Schiff aufgegeben und bei einem anderen Provider einen neuen angelegt.

Mal ganz abgesehen von diesen Anfängerfehlern stelle ich fest: Internetdating ist überraschend harte Arbeit! Bis meine schüchternen Nachrichten an die Damenwelt irgendwann zögernd zur Kenntnis genommen wurden, habe ich mein Profil wohl an die sechs Mal überarbeiten müssen. Inzwischen prangt dort die wirklich bescheiden-ironisch-zurückhaltend-witzig-charmante Selbstbeschreibung eines kultivierten und durchaus erfolgreichen Mannes, mit der ich in Singlewettbewerben vermutlich Preise einheimsen könnte. Wozu bin ich schließlich gelernter Werbefuzzi?

Eine besondere Herausforderung stellt allerdings das Foto dar: Nachdem ich beim ersten Durchblättern des Kataloges einer großen Flirtbörse nicht weniger als zwei Mädels entdeckt habe, die in der Grafik­abteilung meiner Agentur die Bilder bearbeiten, weiß ich, dass ich undercover operieren muss, wenn ich mich nicht zum Gespött meiner Kollegen machen will.

Erst probiere ich ein Foto mit Sonnenbrille, doch die verdeckt meine Lachfältchen und ich sehe bloß wie ein eingebildetes Arschloch mit Geheimratsecken aus. Fotos von der Seite oder schräg von hinten sind gänzlich ungeeignet, meine viel zu große Wikingernase erkennt man schon aus drei Meter Entfernung, zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie aus dieser Perspektive besonders anziehend auf Frauen wirkt. Nach einigen Experimenten vor dem Badezimmerspiegel stehe ich derart verrenkt auf einem Hocker, dass die Kante des Spiegels meinen Kopf knapp oberhalb der Augenbrauen abschneidet und das Fotohandy die Nase und weite Teile des Gesichtes verdeckt. Übrig bleiben recht markante Lachfältchen und, nachdem ich mit Photoshop drübergegangen bin, wirklich strahlende Augen, denen ich zum tiefen Blau des Ostseewassers zwischen von der Sonne beschienenen Schären verholfen habe. Ich denke lange darüber nach, an wen mich das verblüffend attraktive Ergebnis erinnert, komme nicht darauf, hoffe jedoch auf irgendeinen Hollywoodhelden vergangener Tage.

Das sollte reichen!

Allerdings habe ich nicht mit dem wachsamen Administrator der Flirtseite gerechnet, der argwöhnt, ich hätte das Foto aus dem Internet geklaut. Er verweigert die Freigabe und schreibt, man müsse schon sich selbst zeigen, wenn man auf diesem Tummelplatz mitspielen wolle. Meine ungehaltene Antwort mit dem Vorschlag, dass er sich lieber um die Spam-Nutten aus Russland kümmern solle, führt dazu, dass mein Profil gelöscht wird, noch bevor es eine einzige reale Frau angelockt hat.

Also suche ich weitere Flirtbörsen und siehe da: Bei der nächsten klappt der Upload des Fotos und ich beginne sogleich, meinen gesammelten Charme nach dem Gießkannenprinzip über jede halbwegs hübsche Frau zwischen 25 und 35 zu vergießen, die weniger als 50 Kilometer entfernt wohnt. Wirklich praktisch so eine Suchfunktion, ich könnte sogar angeben, ob ich lieber Große oder Kleine, Blonde oder Brünette, Frauen mit Hochschulabschluss oder ohne Kinder vögeln will, doch dafür bin ich vom Wesen her einfach zu demokratisch: Wer geil aussieht und in mein Bett will, der soll bitte schön nicht wegen seiner Haarfarbe diskriminiert werden.

Mein erstes Date heißt Christiane und ist ein Exmodel, 29 Jahre jung, geschieden, blond, hammergeil aussehend, ein kleiner Sohn, aber das passt schließlich zu meinen beiden. Christiane schreibt mir seit etwa 72 Stunden recht amüsante Mails, ich habe Kondome gekauft, Kinokarten reserviert, danach einen Tisch im piekfeinen Fischereihafenrestaurant Hamburg klargemacht, wo ich sonst nur zu speisen pflege, wenn die Firma die Kosten übernimmt. Vorher werden wir uns in einer netten Bar zum Warm-up treffen.

Unklar ist mir, wie ich mich präsentieren soll.

Anzug?

Legere Markenkleidung, die kenntnisreichen Blicken dennoch verrät, dass sich hier ein Mann von Welt betont lässig gibt?

Oder Jeans und Turnschuhe?

Ich hab null Gefühl für die Lage, und das ist ein entschiedener Nachteil dieser höchst seltsamen Kommunikationsform im Internet. Du schreibst einem Foto! Und statt sie zu hören, ihr Parfüm zu riechen und bewundernd zuzusehen, wie sie sich auf die Unterlippe beißt oder die blonden Locken in den Nacken schüttelt, starrst du in befremdlichem Verzücken auf winzige Lichtpunkte deines Bildschirms und bildest dir ein, mit einer Frau zu flirten.

Ich entscheide mich für Jeans und Lederjacke, Fischereihafenrestaurant ist schon großkotzig genug.

Fünf vor 20 Uhr, meine erste Internetpuppe kommt gleich, ich habe in der knallvollen Bar gegenüber dem Kino zwei Hocker ergattert und kontrolliere mein Handy. Die Nachricht »Sitze in der U-Bahn, noch zwei Stationen, ich bin so aufgeregt« macht mich darauf aufmerksam, dass auch ich nicht gänzlich gelassen bin. Ich spähe minutenlang zur Tür, entdecke aber nichts, was im Entferntesten so aussieht, als könnte es Christiane heißen und mein blondes Exmodel sein. Sie hat mir sogar Fotos geschickt, auf denen sie vor ein paar Jahren für Unterwäsche warb. Und Jungs, ganz ehrlich, eigentlich ist es beschämend für die Spezies Mann, aber der erste Blick auf ihre in durchsichtige Spitzen verpackten Titten und den wohlgerundeten Arsch war exakt der Moment, als ich mich zum ersten Mal in der virtuellen Welt verliebte.

Scheiße, ist der Laden voll. Neben mir drängelt sich eine ältere Frau auf den Barhocker, ich beuge mich mit meinem charmantesten Lächeln zu ihr hinüber: »Entschuldigen Sie bitte vielmals, aber ich habe versucht, den Platz frei zu halten, ich erwarte jede Sekunde meine Freundin.« Ich kann ihren Blick nicht recht deuten, aber dann sagt sie: »Freundin?« Ich gucke entschieden verwirrt, während ihr nächster Satz zwar in meine Ohren, aber definitiv nicht bis ins Stammhirn dringt. »Leif, du erkennst mich nicht, oder?«

Ganz, ganz langsam dämmert mir die äußerst entfernte Ähnlichkeit, – ungefähr so wie die zwischen Mutter und Tochter – zwischen dem tagelang intensiv betrachteten Profilfoto und dieser älteren Frau, und während mein Sprachzentrum auf Automatikbetrieb umstellt und »Aber klar, Christiane, du hast die Haare irgendwie anders, oder?« von sich gibt, beäugt der Rest meines Verstandes das breithüftige Grauen. Zwischen gut erhaltener 50 und früh verwelkter 44 würde ich tippen, never ever 29 Jahre, und um es wenigstens glasklar zu denken, wenn ich es schon nicht laut sagen kann: Die Jahre zwischen diesen entschieden differierenden Angaben muss sie ziemlich gut im Futter gestanden haben.

Ich bin ein wenig beleidigt, aber weil ich nicht weiß, wie ich mit dieser peinsamen Situation umgehen soll, beschließe ich, die Sache einfach durchzustehen: souverän, höflich, gelassen und distanziert! Vielleicht ist sie ja ganz nett, und möglicherweise hat sie eine jüngere Schwester. Also helfe ich ihr aus dem Mantel, was mir Gelegenheit gibt, sie auf ein Gewicht knapp oberhalb der 90-Kilo-Marke zu taxieren, ordere zwei Gläser Sekt, plaudere mit ihr über die Zustände in Hamburgs U-Bahnen und führe sie schließlich erschaudernd über die Straße ins Kino, denn so hohe Schuhe sollte man bei dem Gewicht nicht tragen, sie drücken ihren Arsch nach oben und hinten aus dem Mantelschlitz heraus. Als ich sie an der Kinotür vorlasse, denke ich an die Brauereipferde, die Elke, Lisa, Lars und mich vor gar nicht so langer Zeit durch die Lüneburger Heide gezogen haben, und ich hoffe inbrünstig, dass ich hier keinen Bekannten treffe.

Es gibt Lost in Translation, und dieser zauberhafte Film, in dem sich der resigniert alternde Bill Murray jetlagverwirrt in die kindlich-unschuldige Scarlett Johansson verliebt, während ihm seine genervte Ehefrau die Muster von Teppichböden faxt, dieser Film ist ein ganz persönlicher und äußerst schmerzhafter Tritt in meine Eier! Hätten genauso gut meine und Lauras Geschichte verfilmen können, obwohl dann das Finale noch wesentlich trauriger gewesen wäre. Zur Steigerung meines Entsetzens robbt Christiane von rechts immer dichter an mich heran, sodass ich fast zwei Stunden an den linken Rand meines Sitzes gepresst verbringe.

Der anschließende Abend bei Weißwein und Seeteufel verläuft ebenfalls sperrig, wir reden über meinen Job, über ihren, über die schmerzliche Situation, wenn Eltern sich trennen und die Kinder als Scheidungswaisen aufwachsen. Ich zahle, und am Ende bringe ich sie noch schnell nach Hause, es liegt wirklich auf dem Weg und ich bin ein höflicher Mann. Als sie ausgestiegen ist, atme ich auf und fahre die letzten Kilometer mit offenem Verdeck, obwohl es scheißkalt ist, aber ich habe Angst, ihr Parfüm sonst nicht loszuwerden.

Am nächsten Morgen erwartet mich im Büro schon Christianes erste Nachricht. »Toller Abend!«, schreibt sie und: »Warum hast du mich im Kino nicht geküsst? Ich hätte es möglicherweise zugelassen!«

Fassungslos sitze ich vor dem PC und tippe langsam in die Tastatur: »Wenn ich gewusst hätte, dass du deine Mutter bist, hätte ich meinen Vater geschickt.« Aber das sende ich dann doch nicht ab, es ist als Antwort an eine frisch verliebte Frau einfach zu boshaft.

Ich bin jetzt Single, nächstes Jahr werde ich 40. Und das, was ich für ein Loch hielt, ist in Wirklichkeit ein beängstigender Abgrund, in den ich gestern Abend auch noch die ersten 200 Piepen geworfen habe.

»Kleiner«, sagt der Cowboy streng zu mir, »an deiner Technik müssen wir aber noch gewaltig feilen …«

Freiwild

Tja, Jungs, wahrscheinlich muss ich doch noch ein bisschen weiter ausholen und die Frage klären, wer LeiLa Andersson wirklich ist und was es mit dem Cowboy auf sich hat.

Versuchen wir es mal so: Ich, LeiLa Andersson, bin im Prinzip drei Personen! Ein veritables Arschloch, das wenig Rücksicht auf andere nimmt, stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist und sich mit bemerkenswert großer Klappe erfolgreich durch die Welt rempelt. Dazu noch ein blauäugiges Kerlchen, das sich vom Leben gerade einen Tick überfordert fühlt und am liebsten barfuß über Blumenwiesen tollt, Schmetterlinge beim Tanz um die Blüten beobachtet oder Wolkenformationen auf die Frage überprüft, ob sich darin heute Gesichter, Tiere oder gar Dinosaurier verbergen. Und natürlich bin ich noch beide zusammen, wobei ich unglücklicherweise keinen nennenswerten Einfluss darauf habe, ob wir drei nun gerade als Arschloch, als Kindskopf oder als Mischung von beidem durch die Welt streunen.

Der Große, der Kleine und ich müssen nun schon seit drei Jahrzehnten miteinander auskommen. Wenn das Miteinander eine Zeit lang halbwegs ausgewogen funktioniert, dann funktioniert auch mein schönes LeiLa-Leben als irgendwie doch ganz liebreizendes Ärschlein, ich habe Erfolg im Job, erobere tolle Frauen, zeuge niedliche Kinder und zwischendurch denke ich darüber nach, ob ich mir lieber ein neues Segelboot kaufen oder doch noch mal in den Golfurlaub huschen soll.

Wenn der Kleine sich allerdings von der Hand des Großen losreißt und beschließt, sein Herz ohne Wenn und Aber an eine Frau, an ein Kind, an einen dahergelaufenen Strolch, Hund, Kater, Frosch oder sonstiges Wesen zu verschenken, dann endet das unweigerlich in einer Katastrophe, denn die Blumenwiesen dieser Welt pflegt der Kleine mit dem Übermut eines Vierjährigen zu stürmen, der keinen Gedanken daran verschwendet, dass zwischen den verlockenden Gräsern auch eine verdammte Menge Scherben, Schmutz und Scheiße warten.

Wenn hingegen allein der Große das Sagen hat, verwandele ich, LeiLa Andersson, mich in ein komplettes Arschloch, das kein Mensch leiden kann und das zwar jede Menge Weiber an den Start kriegt, aber eben nicht die richtigen. Die Frauen, die ich leiden mag, haben allesamt so eine Art Emotionsseismographen: Wenn du wirklich nicht mehr zu bieten hast als deine große Fresse und einen dicken Schwanz, dann hältst du Letzteren am Ende selbst in der Hand und machst es dir auf unabsehbare Zeit selbst, während du im Internet nach neuen Pornos suchst.

Kurzfristig dachte ich mal darüber nach, ob wir drei nicht ein hochinteressanter Fall für einen Therapeuten wären, doch als ich es vor einiger Zeit versucht habe, geriet ich an eine junge Psychologin und das Ganze endete damit, dass der Große sie mitten in der Sitzung fragte, ob sie Lust auf ein gemeinsames Sylt-Wochenende hätte. Sie reagierte pikiert, meinte, das würde vermutlich kein ganz leichter Fall werden, und wir drei sind dann nicht wieder hingegangen.

Aber sogar der Große ist bis auf sein verhängnisvolles Frauenbild kein ganz schlechter Kerl. Zumeist beschützt er den Kleinen vor allem Unbill dieser Welt, das tut er mit einer großen Portion Zuneigung, und dafür mag ich ihn eigentlich ganz gern. Ich nenne ihn übrigens den Cowboy, dies hat seine Gründe, und in meiner Vorstellung ist er eine Mischung aus Jason Robards und Charles Bronson in Spiel mir das Lied vom Tod. Irgendwie kantig, aber doch ganz nett, allerdings hat die geneigte Zuschauerin nicht viel Zeit, das herauszufinden, bevor er sie bäuchlings über die Pferdetränke legt und ihre Röcke über den Rücken schiebt.

Im Moment ist allerdings selbst der Cowboy ein bisschen niedergeschlagen.

Elke ist wieder da, wir reden keine fünf Worte miteinander, die Kinder tapsen ängstlich durchs Haus, kuscheln so viel an mir herum, dass ich heulen könnte, sie spüren, dass etwas Schlimmes in der Luft liegt. Da ich noch keine neue Wohnung habe, verbringe ich, wenn die Kleinen schlafen, die letzten, unerfreulichen Abende unserer Ehe einsam im Gästezimmer und vor dem Laptop.

Elke telefoniert dann mit ihrem Urlaubsvergnügen und ich wandere durch die Weiten des Internets. Ein bisschen ist das so wie das Blättern in einem Otto-Katalog. Hässliche Frauen klicke ich achtlos weg, hübsche bedenke ich mit hoffnungsvollen kleinen Mails. Antwortet die eine nicht, schreibe ich die Nächste an. Weil ungefähr neun von zehn Frauen entweder keine Frauen sind oder mich komplett ignorieren, versende ich als Anhänger optimierter Arbeitsabläufe ganze Serien von gleichlautenden Mails, unglücklicherweise haben viele Frauen ein Zweitprofil, sodass sie gleich mehrfach mit meinen reizenden Anschreiben bedacht werden. In diesen Fällen ernte ich doch einige Antworten, allerdings fallen diese eher zickig aus und ich werde beschuldigt, ein notgeiler Möchtegernaufreißer zu sein, was die Sache im Kern zwar trifft, mich konkret aber auch nicht weiterbringt.

Doch nach einer Weile habe ich zwei, drei Dialoge laufen, immerhin kann ich ganz ordentlich formulieren, das Foto scheint auch zu funktionieren, die Sache funzt!

Langsam taucht die nächste Frau verheißungsvoll aus den digitalen Nebeln auf. Inez heißt sie, ich mag das »z«, es macht sie so anders, und ihr Profil ist eigentlich kein Suchprofil, sie führt dort eine Art Tagebuch und es liest sich überaus bezaubernd. Journalistin, würde ich tippen, ganz sicher eine schlaue Frau, ihr Foto zeigt sie ab Taille aufwärts schräg von hinten, sodass man die Figur erahnen und ansonsten in der Betrachtung eines kohlrabenschwarzen Pferdeschwanzes versinken kann.

Meine erste Nachricht an sie bleibt unbeantwortet, also schreibe ich ein Kapitel für ihr Tagebuch und schicke es kommentarlos ab. Ich schreibe es in der Person von Inez, lasse sie beim Bäcker, in der U-Bahn und abends in der Bar vergeblich nach Männern Ausschau halten und nenne es »Scheiße, ich glaub, heut hab ich einen echt geilen Typen verpasst«.

Volltreffer!

Am nächsten Morgen hat Inez meinen Text in ihr Tagebuch kopiert und dazu vermerkt, dass es ganz offenbar doch noch kreative Männer gibt, dazu blinkt eine amüsierte Replik in meinem Briefkasten. »Wer sagt’s denn«, befindet der Cowboy, »man muss ihn bloß erwischen, den richtigen Ton.«

Wir schreiben ein paar Tage. Inez ist gebürtige Spanierin, aber in Deutschland aufgewachsen, hat eine kleine Tochter von einem erfolglosen Schauspieler, für den sie ihre Redakteursstelle bei einer spanischen Nachrichtenagentur aufgegeben hat. Sie wurschtelt sich mit einem Halbtagsjob durch und ist der erste Mensch, dem ich das Date mit Christiane beichte. Inez zeigt sich erheitert, aber sie erweist sich als praktisch veranlagte Frau und schreibt: »Du brauchst keine Frau, das ist eh zu früh für dich. Du brauchst einen Coach, damit du dich hier nicht um deinen süßen Arsch datest.«

Ich antworte: »Du hast den Job!«

Und so lerne ich von Inez die zehn Gebote des Internetflirts.

Gebot Nummer 1

Nichts glauben, egal, was du liest.

Gebot Nummer 2

Nichts glauben, egal, was du siehst.

Gebot Nummer 3

Nicht verlieben, egal, was passiert.

Gebot Nummer 4

Nie gleich den Namen, die Telefonnummer oder die E-Mail-Adresse verraten, du wirst es in vier von fünf Fällen bitter bereuen.

Gebot Nummer 5

Immer auf ein aktuelles Foto bestehen, das nicht im Fotostudio aufgenommen wurde.

Gebot Nummer 6

Nie etwas erwarten, neun von zehn Dates enden eh als Fiasko.

Gebot Nummer 7

Nur mit Leuten verabreden, die schon vorher etwas Spannendes zu erzählen haben, dann wird’s wenigstens lustig.

Gebot Nummer 8

Nicht schummeln, weder beim Aussehen noch beim Gewicht, spätestens beim Date wird’s sonst peinlich.

Gebot Nummer 9

Beim ersten Mal maximal auf einen Kaffee verabreden, wenn’s geht, in einem Stehcafé, dann ist man schneller wieder draußen.

Gebot Nummer 10

In emotionalen Notfällen in den Supermarkt gehen, die anwesenden Frauen zählen und bei der Zehnten kurz darüber nachdenken, ob sie die eine große Liebe fürs Leben werden könnte, auch wenn sie 72 ist und eine Gehhilfe hat. Dies hilft, sich selbst zu verdeutlichen, wie gering die Chancen sind, im Internet die richtige Frau zu finden.

Das alles klingt recht plausibel, und ich frage flugs, ob Inez vielleicht ein schickes Stehcafé in ihrer Nähe weiß.

Sie schreibt zurück: »Setzen, Sechs! Wozu tipp ich mir hier eigentlich die Finger blutig, wenn du Anfänger es doch nicht liest?«

Ich zeige mich reuig.

Sie gibt mir eine E-Mail-Adresse, die so gar nichts mit ihrem Namen zu tun hat, auch dies werde ich mir für die Zukunft merken, dazu bekomme ich präzise Anweisungen. »Schick mir ein Foto. Ohne dieses alberne Fotohandy vor der Nase. Dann kriegst du eins von mir. Und dann darfst du auch gleich raten, wie alt ich wirklich bin.«

Eine Viertelstunde später sitze ich grübelnd vor ihrem Foto. Inez ist eine schöne Frau. Keine 29 mehr, wie es zu lesen war, aber ein Gesicht voller Anmut und Würde, in das das Leben die ersten, aber zarten Spuren gegraben hat. 34, 35, würde ich sagen und immer noch eine Klassefrau. »Keinen Tag älter als 23einhalb«, schreibe ich zurück und: »Samstagvormittag, du bestimmst das Café ...«

Ich bin geschlagene 30 Minuten zu früh. Die Baccara-Rose ist auffällig wie eine rote Pappnase, die Brötchen holenden Männer grinsen anzüglich, ein dreijähriger Junge zeigt mit dem Finger auf mich, seine Mama mustert mich voller Neugier und ich komme mir äußerst dämlich vor. Beim Versuch, mich unauffällig in die hinterste Ecke zu verdrücken, fege ich die Rose auch noch mit dem Ärmel vom Tisch. Inez kommt just in dem Moment, als ich mich nach dem stacheligen Scheißding bücke, und so ist das Erste, was sie von mir sieht, mein bereits latent gelichteter Hinterkopf. Sie räuspert sich, und als ich hochgucke, sagt sie: »Ich mag das, wenn Männer vor mir knien. Aber die meisten hatten bisher einen Ring dabei.« So spontan fällt mir keine Antwort ein, und so sehe ich zu, wie sie den Mantel öffnet, sich einmal rundherum dreht und »na, zufrieden?« fragt. Ich habe zwar einen Blick auf eine schmale Taille und zwei äußerst respektable Hupen erhascht, werde jetzt aber auch noch rot! »Niedlich!«, sagt sie, schnappt sich die Rose und schnuppert daran. »Die alte Schule, sieh mal einer an.«

Himmel, was für ein beschissener Start in dieses Date! Ich mache mich mit dem Gedanken vertraut, Inez für alle Zeiten von der Liste meiner künftigen Beischlafpartnerinnen zu streichen, denn welche Frau will einen Typen, der sich in weniger als 60 Sekunden zweimal komplett blamieren kann? Doch nach zehn Minuten klingelt ihr Handy, sie geht ran, lauscht kurz, blickt mich an und sagt: »Doch, doch, ganz lecker«, und drückt das Gespräch weg.

»Stimmt, der Latte macchiato ist gut«, antworte ich, und sie verschluckt sich am Kaffee, bevor sie mir erklärt, was »ein Date covern« bedeutet, nämlich die beste Freundin exakt zehn Minuten nach dem Eintreffen anrufen lassen. Für den Fall, dass der Typ eine Vollpfeife ist, entsetzt ins Telefon hauchen: »Was, Süße? Wirklich? Das ist ja furchtbar, ich bin gerade unterwegs, aber bleib zu Hause, ich komme sofort vorbei.« Das ermöglicht ein umgehendes Ende des Treffens und verhindert weitere Peinsamkeiten, der finale Korb wird dann am nächsten Tag postalisch erteilt.

»Wieder was gelernt«, denke ich und bin angesichts ihres professionellen Datingmanagements ziemlich eingeschüchtert. Andererseits steht Inez immer noch vor mir und lächelt sittsam, und so wächst in mir die verwegene Hoffnung, dass ich trotz allem noch immer im Rennen bin. Ich nehme all meinen Mut zusammen und frage, ob wir irgendwo zu Mittag essen wollen. Inez legt ihre Stirn in niedliche Falten, stupst mir an den Oberarm und sagt: »Ich dachte, du fragst gar nicht mehr!«

Es wird ein zauberhafter Tag, es wird ein wundervoller Abend. Ich lade Inez zum Essen ein, wir füttern Enten an der Alster, nehmen dann noch einen Kaffee im »Cliff«, verholen uns gut gelaunt ins angesagte Schanzenviertel und landen in einer der 1000 Szenebars. Inez hat darauf bestanden, den Kaffee selbst zu zahlen, dass ich sie ab dem Mittagessen einladen darf, erfüllt mich mit Freude und ich bewundere jede ihrer anmutigen Bewegungen.

Jungs, ich weiß nicht, ob ihr jemals in Spanien im Straßencafé gesessen und den Mädels beim Flanieren zugesehen habt, aber darauf stand ich schon immer: Spanierinnen gehen anders als deutsche Frauen, mit erhobenem Haupt, und ihre Körper tragen sie mit so viel Stolz, als wäre er ihnen als Auszeichnung für überwältigende Anmut verliehen worden. Ich mag das. Ich mag Inez. Vielleicht trinkt sie ein bisschen viel, aber wer soll es ihr verdenken, ich meine, es ist unser erstes Date, und wer weiß, was sich daraus noch alles ergeben wird. Als ich sie Stunden später nach Hause fahre, belohnt sie mich mit einem Kuss auf die Wange und sagt Dinge, die ich dringend mal wieder hören wollte. »Du bist was Besonderes« zum Beispiel oder: »Wir sehen uns wieder.«

Die Dates mit Inez häufen sich, wir schreiben uns in jeder freien Minute und sehen uns jeden dritten, vierten Abend. Öfter funktioniert leider nicht, denn ich bin dabei, in eine Pension umzuziehen, und habe viel zu tun, Inez bekommt häufig keinen Babysitter.

Inez ist jeden Abend ziemlich breit, aber nie so betrunken, dass ich es bis in ihre Wohnung, geschweige denn in ihre Kiste schaffe. »Ich bin katholisch«, erklärt sie, »und du bist verheiratet.« Das beeindruckt mich, aber nicht den Cowboy, der mir nach jedem Abend energische Vorhaltungen macht. »Könnten wir jetzt bitte mal jemanden treffen, den wir auch ficken können?« So ganz unrecht hat er nicht, ich bin durch und durch untervögelt und die magische 200-Euro-Grenze für die vielen Drinks von Inez ist auch längst überschritten.

Aber Inez ist ne Klassefrau. Am Samstag fahre ich mit ihr zu Ikea, weil sie ein neues Kinderbett haben will. Und endlich darf ich auch mit in die Wohnung. Zum Aufbauen, versteht sich. Danach küssen wir uns zum ersten Mal, es ist ein scheuer, ein abwartender Kuss, er schmeckt nach Pfefferminz, aber noch nicht nach Sex. Als ich meine Hände dennoch über ihren Nacken, ihren Rücken und ihren Hintern gleiten lasse, schlägt sie die Augen nieder und sagt: »Nicht, Leif, bitte nicht, nicht so.«

»Wie denn dann?«, fragt mich der Cowboy pampig, aber Inez ist katholisch, der Kleine ein bisschen verliebt und ich bin ein rücksichtsvoller Mann. Also gehen wir einen trinken, Inez bezahlt tatsächlich meinen ersten Drink, bevor sie sich in der nächsten Bar ein weiteres Mal einen reinschraubt, auf meine Kosten selbstverständlich.

Geschlagene sechs Wochen grabe ich erfolglos an Inez herum. Ich bin ein bisschen genervt, der Cowboy zeigt mir von Mal zu Mal grimmiger einen Vogel. Inez merkt, dass sich meine Stimmung verändert. Zudem kann man auf dieser Singlebörse sehen, ob der andere noch mit anderen textet. Es gibt Foren, man kann Artikel online stellen, Profile bewerten, Smileys hinterlassen. Als sich bei mir die Hinterlassenschaften anderer Frauen häufen, schreibt Inez: »Liebster, wollen wir heute Abend mal reden?«

Also trinken wir und reden ein bisschen. Inez sagt, dass sie keine Lust auf Affären hat, dass sie ihr Leben einmal weggeworfen hat und dass ihr das reicht. »Aber wer spricht denn von Affäre?«, will ich wissen. Sie streichelt meinen Handrücken und erklärt: »Ich will einen Mann, der zu mir steht und zu dem ich stehe. Mit dem ich alles teile, nicht nur meinen Körper. An den ich mich anlehnen kann und der für mich da ist, wenn ich ihn brauche.«

Ich sage entschlossen: »Du bist nicht nur katholisch, du kannst auch nicht richtig gucken. Ich bin doch hier.«

Ich zahle, wir gehen und endlich, endlich knutschen wir im Auto. Vor ihrer Haustür fragt sie: »Die Lütte ist bei ihrem Papa. Magst du noch raufkommen?«

Und wie ich mag, doch Inez ist noch nicht ganz fertig: »Ich hab noch eine Frage, und die ist mir schrecklich peinlich.«

Doch, doch, Kondome trage ich seit Wochen mit mir herum, ich lächele sie an.

»Weißt du, ich hab dir doch erzählt, dass Richie nur manchmal Unterhalt zahlt. Und ich bin zwei Monate mit der Miete im Rückstand. Der Verwalter hat gesagt, wenn ich diesen Monat auch nicht zahle, dann schmeißt er mich raus. Kannst du mir vielleicht ein bisschen Geld leihen? Nicht viel, vielleicht 500 oder 1000 Euro oder so?«

Ich ziehe die Hand vom Türgriff zurück und fühle mich, als hätte ich gerade einen Schwinger in den Magen bekommen. Plötzlich wird mir klar, was es bedeuten wird, ganz und gar zu Inez zu stehen.

Der Cowboy flüstert mir zu: »Los, du Spinner, geh sie wenigstens einmal vögeln, das ist sie dir schuldig, vom Acker machen wir uns später.«

Ich suche ihre Augen, aber die hat Inez sittsam zu Boden gesenkt.

Ich lasse den Motor an und sage: »Du, ich muss mal sehen, ich denke darüber nach.«

Die nächsten Tage kämpft Inez, ich denke, sie will in mein Herz zurück. Ein letztes Mal treffen wir uns, doch es ist anders, denn jetzt kenne ich den Preis, und ich will verdammt sein, wenn ich mir Liebe kaufe, mag sie noch so sittsam daherkommen.

Beim letzten Abschied sieht sie mich traurig an. »Danke für all die schönen Abende«, sagt sie, »und dafür, dass du jede Rechnung übernommen hast. Ich hab dir versprochen, dein Coach zu sein, also hör gut zu: Du hast einen guten Job, du siehst nicht übel aus, du bist nett und großzügig, du bist charmant und witzig, du kannst Sachen von Ikea aufbauen und bist ein rücksichtsvoller, feiner Kerl. Pass auf dich auf. Da draußen bist du Freiwild.«

Auf der Heimfahrt grollt der Cowboy, während der Kleine sich erkundigt, was das alles zu bedeuten hat. »Freiwild«, schnaubt der Cowboy, »sind kleine, dumme Jungs, die sich verlieben wollen und deren Ärsche am nächsten Tag bei irgendwelchen Muttis als Trophäe überm Bett hängen, während sie die Windeln fremder Bälger wechseln und dann auch noch die Miete zahlen.« Dann blickt er wütend aus dem Fenster und sagt nach einer Weile drohend: »Jetzt bin ich dran, und wenn du bei der nächsten Else auch nur einmal Piep sagst, versohle ich dir deinen kleinen Hintern, verlass dich drauf!«

Wahrscheinlich hat er recht, der Cowboy. Man kann wirklich nicht behaupten, dass ich als Single bisher sonderlich erfolgreich gewesen wäre …

First Sex!

Single sein ist nicht nur anstrengend, sondern auch deprimierend.

Seit gut drei Monaten logiere ich für 40 Euro pro Nacht in einer nicht wirklich schicken Pension nahe der Hamburger Reeperbahn, die ich nur nach einem Kriterium ausgesucht habe: Die Vermieterin hat für ihre Gäste einen kostenlosen WLAN-Anschluss eingerichtet, und so kann ich meine Abende, statt mich selbstmitleidig in den Anblick der Kaffeemaschine, der Mikrowelle und der Notvorräte an Fertignahrung zu vertiefen, im Internet auf Frauenpirsch gehen.