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Beispiele

Die Beispiele illustrieren das Gesagte.

Definitionen

Hier werden Begriffe kurz und prägnant erklärt.

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Hier finden Sie nützliche Tipps und Empfehlungen.

Checkliste

Auf den Punkt gebracht

Am Ende der Hauptkapitel ist das Wichtigste noch einmal zusammengefasst.

9Was ist Chef-Mitarbeiter-Coaching?

Das Wort „Coaching“ wird heutzutage im Zusammenhang mit Führung inflationär verwendet. Ich habe Führungskräfte erlebt, die in Situationen, in denen sie Mitarbeiter scharf zurechtgewiesen oder an die ganz kurze Leine genommen haben, davon gesprochen haben, dass sie die betreffende Person nun gecoacht hätten. Klar ist: Nicht alles, was eine Führungskraft tut, lässt sich ernsthaft als „coachen“ beschreiben. Eine Führungskraft, die einem Mitarbeiter eine Anweisung gibt, die ein Verhalten eines Mitarbeiters sanktioniert oder die Ergebnisse ihrer Einheit präsentiert, tut etwas anderes als coachen und wird in aller Regel von ihren Mitarbeitern in solchen Momenten auch nicht als Coach erlebt. Gleichzeitig gehören derlei Handlungen eindeutig zu dem, was eine Führungskraft tun muss.

Führungskräfte sind also niemals ausschließlich Coaches ihrer Mitarbeiter. Offensichtlich sind Führungskräfte in sehr unterschiedlichen Rollen gefragt: als Entscheider, Informationsgeber, Stratege, Rahmengestalter, Kontrolleur, Moderator, Personalentwickler, Zuhörer, Feedbackgeber etc. Die Kunst der Führung besteht ja – so könnte man sagen – gerade darin, die verschiedenen Rollen gleichermaßen kraftvoll einnehmen und situativ angemessen ausbalancieren zu können.

Die Rolle als Coach betrifft also nur einen Ausschnitt aus dem bunten Rollenmix für Führungskräfte – allerdings einen entscheidenden; denn wenn eine Führungskraft in der Lage ist, effektiv als Coach zu fungieren, ändert das auch die Art und Weise, wie die Führungskraft andere Rollen ausübt und wie sie von ihren Mitarbeitern in diesen Rollen 10wahrgenommen wird. Führen als Coach strahlt gleichsam auf das gesamte Führungsgeschehen aus, und das hat mit der besonderen Qualität zu tun, die durch echtes Coaching ins Spiel kommt.

Coaching ist partnerschaftlich

Das Rollenverhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter ist per se ein asymmetrisches. Ein Chef kann gegenüber einem Mitarbeiter Dinge anweisen, einfordern, bewerten, sanktionieren etc., wie es ein Mitarbeiter umgekehrt nicht in gleicher Weise dem Chef gegenüber tun kann. Diese rollenbedingte Asymmetrie kennzeichnet – unabhängig von der Qualität der jeweiligen persönlichen Beziehung – das Chef-Mitarbeiter-Verhältnis an sich. Im Coaching passiert nun aber etwas fundamental anderes.

Coaching

Coaching ist eine aktivierende Hilfe zur effektiven Selbsthilfe. Der Coach unterstützt den Coachee, für die gemeinsam fokussierten Herausforderungen bestmögliche eigene Lösungen zu finden. Dabei agiert der Coach als Sparringspartner, der dem Coachee vor allem durch Zuhören, Fragen, Feedback und Reflexionsimpulse hilft, seine eigenen Fähigkeiten und Ideen möglichst optimal im Hinblick auf die Lösungsfindung zu entfalten.

Im Coaching begegnen Sie als Chef einem Mitarbeiter also gerade nicht als Anweisender, Rahmensetzender, Sanktionierender, Kontrollierender, Besser-Informierter, sondern als Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe. Eine absolut „gleiche Augenhöhe“ wird dabei kaum zu erwarten sein, 11denn weder vergisst Ihr Mitarbeiter, dass Sie ihm hier als sein Chef gegenübersitzen, noch sollten Sie vergessen, dass Sie hier – auch wenn Sie gerade als Sparringspartner tätig sind – eine Führungsfunktion wahrnehmen.

Vollkommen ausreichend für wirksames Coaching ist eine annähernd gleiche Augenhöhe zwischen coachendem Chef und gecoachtem Mitarbeiter. Die allerdings braucht es auf jeden Fall, denn wenn ein Mitarbeiter die Situation als deutlich hierarchiegeprägt wahrnimmt, besteht das Risiko, dass er sich nur sehr zurückhaltend oder taktisch äußert und z. B. Ängste, Zweifel, persönliche Probleme oder andere Dinge, bei denen er nicht weiß, wie sie bei seinem Chef ankommen, nur sehr indirekt oder gar nicht anspricht. Ferner besteht das Risiko, dass der Mitarbeiter zwar nach außen „ordentlich“ mitspielt, innerlich aber von einzelnen Punkten, die der Chef offenbar favorisiert, oder vom Ganzen wenig überzeugt ist und entsprechend gebremst mitwirkt.

Nicht selten vereitelt aber genau dieses durch die Hierarchie bedingte Taktieren und Bremsen den Erfolg vieler Bemühungen fundamental. Und dies liegt besonders an den Situationen und Kontexten, in denen ein Coaching sinnvoll ist. Wenn man es einfach mit irgendwelchen Standardproblemen zu tun hat, für die die Beteiligten auch Standardlösungen im Repertoire haben, muss man nicht coachen. Coachen ist dann angesagt, wenn Menschen mit ihren Handlungsmustern und Strategien an Grenzen stoßen, über die sie selbst nicht einfach hinwegkommen, wenn es also gilt, Barrieren zu überwinden und neue, bisher unvertraute Haltungen und Verhaltensweisen ins Spiel zu bringen. Wenn Chefs mit ihren Mitarbeitern in solchen Situationen zu wirksamen Klärungen und Veränderungen kommen wollen, ist ein hohes Maß an 12Vertrauen und Offenheit nötig. Und dafür wiederum braucht es eine partnerschaftliche Begegnung.

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Coaching braucht ein möglichst partnerschaftliches Verhältnis zwischen Coach und Coachee, damit der Coachee das Vertrauen hat, dass er auch sensible Punkte, die für ihn in der jeweiligen Situation relevant sind (z. B. Ängste, Zweifel, persönliche Probleme etc.) offen ansprechen kann.

Aufs engste damit verbunden ist der folgende Punkt: Es geht nicht darum, den Mitarbeiter mehr oder weniger subtil zu einem bestimmten Verhalten hin zu manipulieren, sodass der Mitarbeiter quasi wie eine Marionette bestimmte Dinge tut, die der Chef von ihm erwartet, obwohl er sie gar nicht nachvollziehen und für sich als stimmig erleben kann. Solche dem Mitarbeiter übergestülpte Lösungen sind in aller Regel weder effektiv noch nachhaltig – schon gar nicht, wenn es um zentrale Fragen für das Handeln des Mitarbeiters in dessen Aufgabenbereich geht. Eine solche Art von Pseudocoaching – so beliebt sie auch sein mag – bringt vielleicht kurzfristig einen kleinen Effekt, langfristig vergrößert sie aber die Probleme.

Vielmehr sollte der Mitarbeiter darin gestärkt werden, die im Coaching thematisierten Situationen angemessen verstehen, Möglichkeiten und Wirkungen seines Handelns realistisch abschätzen und Strategien für eine stimmige Lösungsfindung und die anschließende Umsetzung selbstständig entwickeln zu können. Eine solche Stärkung der eigenständigen Einsichts-, Lösungs- und Gestaltungsfähigkeit des Mitarbeiters 13wird natürlich nur dann gelingen, wenn der Chef dem Mitarbeiter so begegnet, dass dieser sich mit seinen Wahrnehmungen, Ideen, Gefühlen, Fähigkeiten und Vorstellungen auch wahr- und ernst genommen fühlt.

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Coaching braucht auch deshalb ein möglichst partnerschaftliches Verhältnis zwischen Coach und Coachee, damit der Coachee in seiner Fähigkeit gestärkt wird, Situationen wie die, die im Fokus der Betrachtung stehen, eigenständig verstehen und angemessen lösen zu können.

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Abb. 1: Das Chef-Mitarbeiter-Verhältnis

Coaching braucht ein Anliegen

Dieser Punkt ist im Coaching immer zentral, im Falle von Chef-Mitarbeiter-Coaching bedarf er jedoch ganz besonderer Aufmerksamkeit und Sensibilität. Ein Coaching kann es überhaupt nur dann geben, wenn es ein Anliegen gibt, und zwar aufseiten des Coachees. Was heißt das?

14Coachinganliegen

Ein Coachinganliegen zu haben, bedeutet, dass der Coachee das Interesse hat, eine für ihn relevante Fragestellung sein eigenes Handeln betreffend mit seinem Gegenüber so zu besprechen, dass er eine möglichst gute Klärung und Lösung dafür entwickeln kann. Der Coachee muss dabei die Bereitschaft mitbringen, sein eigenes Handeln und seine handlungsleitenden Gedanken und Gefühle mit seinem Gegenüber zu betrachten, selbstkritisch zu überdenken und gegebenenfalls zu erweitern bzw. zu verändern.

Ohne Anliegen gibt es kein Coaching – ganz generell nicht. Dies ist eine harte Bedingung. Sie können einen anderen Menschen grundsätzlich nur dann coachen – ganz unabhängig davon, ob dieser Mensch ein Mitarbeiter von Ihnen ist oder irgendeine andere Rolle in Ihrem beruflichen oder privaten Leben spielt –, wenn dieser Mensch das Interesse und die Bereitschaft hat, mit Ihnen als Sparringspartner eine für sein eigenes Handeln wichtige Frage selbstkritisch und veränderungsoffen zu reflektieren.

Sehr oft, um nicht zu sagen extrem oft, fangen Chefs und alle möglichen anderen Leute an, jemanden zu „coachen“, obwohl das Gegenüber gar kein Anliegen hat, zum Beispiel weil er keinen Klärungsbedarf verspürt, weil er vielleicht zwar ein Problem sieht, aber überhaupt nicht in seinem eigenen Handeln (sondern dem von anderen Beteiligten), weil er den selbsternannten Coach nicht als solchen für sich akzeptiert oder, oder, oder. In all diesen Fällen ist damit zu rechnen, dass der vermeintliche Coachee, sofern er überhaupt mitspielt, das aufgedrängte Coaching mehr oder weniger freundlich an sich ablaufen lässt. Mit anderen Worten: Es bringt rein gar nichts – außer Unbehaglichkeit auf allen Seiten.

15Die Konsequenz daraus ist ebenso einfach wie folgenreich: Es gilt, zwischen Ihnen als potenziellem Coach und Ihrem Mitarbeiter als potenziellem Coachee zu klären, ob es überhaupt ein Anliegen auf seiner Seite gibt, und wenn ja, wie genau es aussieht. Dies muss natürlich zu Beginn geklärt werden – bevor Sie loslegen –, weil sich aus dem Anliegen die Zielrichtung des Coachings ergibt. Je besser geklärt, verstanden und ernst genommen das Anliegen ist, desto effektiver kann Ihr Coaching sein.

Wenn das Coachinggespräch länger dauert oder es zum gleichen Themenschwerpunkt mehrere Gespräche gibt, gilt es allerdings, das Anliegen auch zwischendurch zu überprüfen. Einmal in Hinblick darauf, was bezogen auf das Anliegen schon erreicht worden ist, aber auch in Hinblick darauf, ob sich das Anliegen möglicherweise verändert, erweitert oder noch stärker spezifiziert hat. Und falls das der Fall sein sollte, welche Folgen sich daraus für die gemeinsame Reflexion ergeben. Anliegen sind nicht statisch. Da ein substanzieller Dialog die Sicht auf die Dinge verändern kann, kann sich natürlich auch dadurch ein Anliegen verändern, und dies sollten Sie als Coach gemeinsam mit Ihrem Coachee berücksichtigen.

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Im Coaching gilt es nicht nur zu Beginn, sondern auch im weiteren Verlauf immer wieder zu klären, was genau das Anliegen ist, an dem gemeinsam gearbeitet werden soll, was in Hinblick auf das Anliegen schon erreicht ist, ob sich das Anliegen möglicherweise im Laufe der gemeinsamen Arbeit verändert hat und falls ja, welche Auswirkungen das auf die weitere Bearbeitung haben sollte.

16Der Blick auf das Anliegen ist für Coaching immer fundamental. Aus zwei Gründen ist er besonders entscheidend, wenn Sie als Chef einen Ihrer Mitarbeiter coachen: Zum einen sind Sie ja eben der Chef, und es kann sein, dass ein Mitarbeiter, den Sie coachen wollen, nach außen zwar mitspielt, weil er mit Ihnen als Chef keine Probleme bekommen möchte. Tatsächlich ist ein solches Mitspielen aber rein taktischer Natur. Der Mitarbeiter lässt sich dabei nicht wirklich ein.

Zum anderen – und dieser Punkt ist mit dem ersten oft gekoppelt – haben Sie als Chef in der Regel selbst Anliegen in Bezug auf Ihre Mitarbeiter. Zum Beispiel denken Sie, dass ein Mitarbeiter ein Coaching von Ihnen gut gebrauchen könnte, um in die Anforderungen einer neuen Rolle besser hineinzuwachsen. Oder Sie haben den Eindruck, dass ein Mitarbeiter bestimmte Aufgaben, Arbeitsabläufe, Gespräche mit Kunden oder Schnittstellenpartnern etc. immer wieder in einer deutlich suboptimalen Weise angeht, sodass er deshalb gecoacht werden sollte. Falls der Mitarbeiter dies ähnlich sieht und bereit ist, mit Ihnen genau daran zu arbeiten, ergibt sich in Hinblick auf das Anliegen vermutlich kein Problem, sondern einfach nur Spezifizierungsbedarf.

Anders sieht es allerdings aus – und dieser Fall ist nicht so selten –, wenn Sie als Chef zwar Coachingbedarf bei einem Ihrer Mitarbeiter sehen, der Mitarbeiter aber für sich nicht, weil er die Ursachen der Probleme ganz woanders verortet oder für ihn gar kein Problem in dieser Angelegenheit vorliegt. In diesem Fall müssen Sie bei dem Mitarbeiter nun erst einmal versuchen, die Einsicht zu erzeugen, dass hier ein für ihn reflexions- und veränderungsbedürftiges Thema vorliegt, an dem es sich für ihn lohnt, mit Ihnen zusammen als Sparringspartner 17zu arbeiten. Es ist gut, wenn Sie an dieser Stelle Zeit, Energie und Kreativität investieren, denn je weniger der Mitarbeiter diese Einsicht hat, desto wirkungsloser würde Ihr Coaching sein. Zu erreichen, dass eine solche Einsicht bei einem Mitarbeiter entsteht, ist anspruchsvoll. Der Mitarbeiter hat ja seine Gründe, warum er die Dinge anders wahrnimmt und bewertet als Sie, und hierüber sowie natürlich auch über Ihre Sichtweise und die Gründe dafür gilt es, miteinander zu sprechen.

Damit aus einem Gespräch mit einem Ihrer Mitarbeiter ein Coaching werden kann, sollten Sie darauf achten, ob sich im Laufe Ihres Austauschs folgende Fragen mit einem klaren „Ja“ beantworten lassen:

Voraussetzungen für ein Coaching

Hat der Mitarbeiter die Einsicht, dass die Situation für ihn reflexionsbedürftig ist?

Sieht der Mitarbeiter, dass er durch sein eigenes Handeln die Situation verändern kann?

Hat der Mitarbeiter eine Motivation, durch sein eigenes Handeln etwas an der Situation zu verbessern?

Ist der Mitarbeiter bereit, mit Ihnen als Sparringspartner an dem Thema, über das Sie sprechen, zu arbeiten?

Nicht nach jedem Gespräch und schon gar nicht, wenn die Sichtweisen von Chef und Mitarbeiter weit auseinander liegen, werden die aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sein. Sind sie es nicht, können Sie, wenn Sie auf dem Weg des Coachens bleiben möchten, noch Folgendes tun:

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Versuchen Sie, wenn Sie das Verhalten eines Mitarbeiters als coachingbedürftig ansehen, der Mitarbeiter aber kein Coachinganliegen ausdrückt, sich in die Lage des Mitarbeiters hineinzuversetzen, seine Werte und Wünsche zu verstehen, und stellen Sie sich die Frage: Was könnte es aus Sicht des Mitarbeiters attraktiv machen, sein Verhalten zu überdenken und in gewisser Weise zu verändern? Denken Sie dabei daran, dass nicht alles, was Sie motiviert, in gleicher Weise auch Ihre Mitarbeiter motiviert. Nur wenn auch der Mitarbeiter 19zu der Einschätzung kommt, dass es sich für ihn lohnt, sein Verhalten zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern, gibt es eine Chance für ein Coaching zu dem betreffenden Thema.

Coaching ist die Kunst des Fragens und Zuhörens

Wie wir gesehen haben, ist Coaching eine aktivierende Hilfe zur effektiven Selbsthilfe. Wenn Sie als Chef einen Ihrer Mitarbeiter coachen, unterstützen Sie ihn darin, unter für ihn herausfordernden Bedingungen seine Fähigkeiten so einzusetzen, dass er zu bestmöglichen Ergebnissen kommen kann. Für die Wirksamkeit einer solchen Unterstützung sind Sie essenziell auf Fragen angewiesen.