Cover

„Fußball ist nur schön, wenn du hinterher
einen Verband hast und nicht nach
zehn Minuten gefönt bist."

Klaus Augentaler

„Im Fußballspiel steckt auch Zärtlichkeit.
Man muss den Ball so mit den Füßen streicheln,
dass er im Netz des Gegners landet."

Pelé

Bolzplatz – Das Buch

Rainer Imm

Bolzplatz

Das Buch

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-006-2 (Print) / 978-3-95894-007-9 (E-Book)

© Copyright: Omnino-Verlag, Berlin / 2015

Zeichnungen: Sepp Buchegger

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen,
der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe
und der Übersetzung, vorbehalten.

Inhalt

Vorwort von Guido Buchwald

Freizeit, Fußball und der ganze Rest

AC Vorschuss! Präsidiale Basisdemokratie

Kommune Arbeitskreis KAK!
Nicht reden, einfach machen

Mehmed Scholl! Mein lieber Scholli

Terra Rossa! Bauchmuskeln, Hammer und Sichel

Kommando Horst Hrubesch!
Nur ein Wort: Vielen Dank!

Alexander Köberlein! Rambo unter Desperados

O'Donovan's Football Team!
Kicken für kranke Kinder

Red Eyes! Mit roten Augen Ruhe bewahren

Ansgar Thiel! Lernen von der „Wilden Liga"

Odyssee! Streitfreudige Maulhelden

An der Theke mit Werder Bären

Satanische Fersen! Eine Art Psychohygiene

Alexander Leyh! Der Herr des Uni-Turniers

Montagskicker! Die geheime Rangliste

Hallenmasters! Ein Jingle für jedes Tor

Paragraph 1! Wohltuend schmerzende Knochen

TüThe! Ausgerechnet gegen Protestanten

Bernd Wahler! Vielleicht hilft Zwetschgenkuchen

Torpedos! Hexer, Terrier und Amicitia

Jürgen Todenhöfer!
Wenn der Fußball Herzen öffnet

Sonntagskicker! Schwarz gegen Weiß

Richter, Prälaten – Nullkicker

Immer wieder samstags

Traktor Weilheim! Aus Film und Linken

Kommando Cup! Platzpflege für die Blutgrätsche

Multi-Kulti Turnier! Auf die griechische Art

Fußball-WM Brasilien! Hauptsache „Coletes"

Uni-Turnier! Tiefensprinter und Raumfüller

Dominik Schaal! Bei Hobbykickern überflüssig

Volksgarten-Kicker! Tübingens Pöhler

Junge Erwachsene! Kein Mitleid in der Halle

Hinter Mailand! Vereinszweck: Kunst am Ball

Hermann Bausinger! Fußball statt Karl May

Festung Tübingen! Ein Foul für die Liebe

Spielerfrauen! Hauptsache, alle gesund zurück

Turbine Waldhorn! Zunehmend No-Touch

Atlético! Das Humorniveau hoch halten

Walle Sayer! Wirklich feindliche Brüder?

Kicken für Charlotte (KFC)

Dieter Baumann! Einmal kicken, nix mit Laufen

Die Rache der Rumpelfußballer

„Philosophie des Fußballs" auf dem Bolzplatz

Danksagung

Über den Autor

Vorwort
von Guido Buchwald

Meine sportlichen Wurzeln liegen in den Jugendmannschaften meiner Heimat – einerseits. Andererseits aber auch auf ihren Bolzplätzen. Dort habe ich dieselben Erfahrungen gemacht wie Zico, der Regisseur der Seleção Brasileira der siebziger und achtziger Jahre: „Straßenfußball war keine Verpflichtung, kein Druck, kein Geld. Es ist purer Fußball." Spieler wie Pelé, Maradona, Beckham, Scholl, Podolski und auch Reus könnten seine Aussage sicher unterschreiben: „Durch Straßenfußball bin der geworden, der ich bin." Tatsächlich gibt er dir Reflexe, kreative Freiheit, lehrt dich zu improvisieren, Lücken zu schaffen, Laufweg zu begreifen und Tore zu machen.

Parallel zu der hervorragenden (Nachwuchs-)Arbeit der Verbände und Vereine, die auch ich genossen habe und die schließlich die Grundlage des Erfolgs des deutschen Fußballs ist, existiert nach wie vor der Straßen- und Freizeitfußball – intensiver denn je! Und das ist gut so. Was wäre die Fußballwelt ohne diese begeisterten Hobbykicker, die Woche für Woche bei Wind und Wetter die Kickschuhe schnüren und auf meist holprigen Plätzen ihrer Leidenschaft nachgehen?

Zahlenmäßig sind die Freizeitkicker den organisierten Fußballspielern sogar überlegen. Gut, dass sie mit dem „Bolzplatz" ein Forum haben. Die Kolumne lebt von den sehr unterschiedlichen Protagonisten, von den sachkundig behandelten Fußballthemen und vom Humor. Ich bin Fan!

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Guido „Diego" Buchwald ist Fußballweltmeister und zweimaliger Deutscher Meister. Er gilt als einer der besten Innenverteidiger der Geschichte. Nach seinem Karriereende als Spieler war er Sportdirektor, Präsidiumsmitglied und Trainer, unter anderem „Trainer des Jahres 2006" in Japan.

Den Namen „Diego" bekam er nicht nur, weil er Diego Maradona im WM-Endspiel 1990 keinen Stich ließ, sondern auch wegen des Achtelfinales gegen die Niederlande, als er nach Übersteiger á la Maradona mit einer Flanke das 1:0 von Jürgen Klinsmann eingeleitet hatte.

Freizeit, Fußball
und der ganze Rest

Titel, Tore und Tabellen - darum dreht sich die klassische Fußball-Berichterstattung. Doch gekickt wird nicht nur im Verein. Die neue TAGBLATT-Kolumne „Bolzplatz" geht dahin, wo es manchmal auch weh tut.

Sie kicken keine zehn Jahre und sind dann reich, sondern ihr ganzes Leben und zahlen drauf. Sie sind keine Fußballdiven auf Rasenteppich, ihr Zuhause ist der Wiesenacker hinterm Freibad und der Hartplatz, der sich als Kunstrasen tarnt. Kein Müller-Wohlfahrt wirkt Wunder an ihren lädierten Muskeln und kein Betreuer schraubt ihre Stollen auf. Sie reiben ihr Finalgon selbst ein und das Wort „Winterpause" kennen sie gar nicht. Freizeitfußballer sind die wahren Helden.

In der Bundesrepublik sollen es doppelt so viele sein wie gemeldete Mitglieder beim Deutschen Fußball- Bund (DFB) - geschätzte dreizehn Millionen! Sie lieben es ungezwungen und verzichten gerne auf die festen Strukturen eines Vereins. Gerade das vermeintlich Unorganisierte sorgt für den großen Zulauf. Sie brauchen keinen Trainer, der sie um den Platz scheucht, der ihnen den vorabendlichen Weizenbiergenuss verbietet oder der sie wegen ihres fortgeschrittenen Alters aussortiert. Und auf das pflichtgemäße Schütteln von Funktionärshänden können sie auch verzichten.

Dem Ernst der Sache tut das keinen Abbruch. Hier wird mit vollem Elan und Einsatz Fußball gespielt. Nicht umsonst klären im Internet Hobbykicker-Portale darüber auf, ob Krankenkassen auch den Bereich Freizeitfußball abdecken.

Regeln gelten hier genauso wie bei „den Großen", aus Mangel an Schiedsrichtern freilich mit Ausnahmen.

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Keine Zuschauer, keine Fans, dafür aber Maulwurfhügel.

Auch in Sachen Taktik sind die Freizeitkicker nicht von gestern. Auch bei ihnen heißt es schon mal: „Wir müssen den Gegner hoch anpressen und auf Kante spielen." Manchmal allerdings gehen Anspruch und (Fernseh-) Wirklichkeit zuweilen dramatisch auseinander.

Anders als die Verbandssportler, kickt der Hobbyfußballer vor leeren Rängen. Keine Zuschauer, keine Fans skandieren seinen Namen. Auch nicht, wenn er den genialen Pass in die Tiefe des Raumes spielt.

Und trotzdem schnürt er regelmäßig jede verdammte Woche seine Kickstiefel - bei Dürre, Hitze, Schnee, Regen oder Eis. Genau wie im richtigen Leben liegt auch hier die Wahrheit auf dem (Bolz-)Platz. Dort und auch in der Kabine - wenn vorhanden - werden die großen und kleinen Themen des Fußballs, der Gesellschaft, ja vielleicht sogar der Menschheit bearbeitet. Ganz nach Bill Shankly, dem legendären Trainer des FC Liverpool: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf auf Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es weit ernster ist."

Argumente genug, dem Freizeitfußball einen festen Platz einzuräumen und eine eigene Kolumne zu widmen. Alle vierzehn Tage lesen Sie hier über Fußballwahrheiten und Lebensweisheiten.

AC Vorschuss!
Präsidiale Basisdemokratie

Präsident wird man, indem man Verantwortung für die wichtigsten organisatorischen Dinge übernimmt – nicht nur beim AC Vorschuss.

Es ist ja nicht nur Fußball, was Freizeitkicker im Allgemeinen und die Hobby-Fußballspieler des AC Vorschuss seit 1979 im Besonderen jede Woche aufs Neue praktizieren. Es ist viel mehr! Dieser Fußballabend, der in all den Jahren nur dreimal ausfallen musste (Sturm Lothar, defektes Flutlicht, abgefräster Rasen), ist immer wieder eine Schule fürs Leben. Fast möchte man behaupten, er bietet das Freilicht-Labor für einen neuen Lebensentwurf. Wie eine Insel im Ozean der Abzocker-Haie zeigen die Hobbykicker eine bessere Welt auf. Eine Welt, die konsequent basisdemokratisch und frei von Hierarchien ist. Bakunin, Chomsky, Durruti, Sacco und Vanzetti hätten ihre wahre Freude daran. Obwohl! Eine Ausnahme gibt es doch. In letzter Instanz entscheidet bei der AC Vorschuss immer der Präsident. Ein von den Mitspielern verliehener Titel, den der frühere Zahnarzt Günter Rau (67) seit vielen Jahren trägt.

Ein Beispiel: Aus Ermangelung eines Schiedsrichters herrscht die eindeutige Regel, dass bei einem vermeintlichen Foul ausschließlich der Leidtragende auf Freistoß entscheiden darf. Natürlich gehen trotz der klaren Vereinbarung die Meinungen oft weit auseinander. Wenn also eine Einigung in weite Netzer-Pass- Ferne rückt, aber noch bevor körperlich argumentiert wird, greift der Präsident ein und spricht ein Machtwort im Sinne von Dieter Hildebrandt: „Dem Schiedsrichter zu widersprechen, das ist, als ob man in der Kirche aufsteht und eine Diskussion verlangt." So gesehen herrscht also eine Art präsidiale Basisdemokratie. Das hat AC Vorschuss mit der FIFA gemeinsam. Mehr aber auch nicht. Während Sepp Blatter bestechlich und nur auf seinem Vorteil aus sein soll, ist der AC-Vorschuss- Präsident charakterfest, zuverlässig und wäscht regelmäßig die roten und gelben Leible.

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Das Wappen des AC Vorschuss.

Präsident wird man, indem man Verantwortung für die wichtigsten organisatorischen Dinge übernimmt. Typisch bescheiden und völlig unzutreffend bezeichnet Rau sich selbst als Zeugwart. Das ist mehr als tief gestapelt, obwohl er stets für zwei Paar Torwarthandschuhe sorgt, den weißen Sommer- und den roten Winterball kauft, die Zu-spät-Kommer in den Senkel stellt und sich vom Platzwart für Vergehen seiner Sportkameraden beschimpfen lässt. Dann, wenn sie mal wieder die tragbaren Tore nicht weggestellt, die Duschen geflutet oder dem edlen Bier-Spender bei offenem Kabinenfenster zu laut sein Trullala gesungen hatten.

Um den Anforderungen gerecht zu werden, beschäftigt er einen Assistenten, der delegierte Verantwortungen übernimmt, wie zum Beispiel das Tragen der Leible auf den Platz und das Einsammeln derselben nach dem Spiel in die richtigen, dafür vorgesehenen Stoff- Tragetaschen. In Vertretung lässt auch der sich gerne mal vom Platzwart die Leviten lesen, falls Rau im Urlaub weilt oder krank das Bett hütet. Als Kronprinz und zukünftiger Präsident, wird er auf diese Weise behutsam aber effektiv an die verantwortungsvollen Aufgaben herangeführt.

Obwohl Günter Rau nicht zu den Gründungsvätern zählt - er ist erst seit 25 Jahren bei AC Vorschuss, darf er das Präsidenten-Amt ausüben. Schließlich macht er seine Sache so gut, dass ihm von seinen Fußballkameraden bereits jetzt ein Titel auch für die Zeit nach seiner Amtsperiode verliehen wurde. Auf einem Messingschildchen, das der Assistent vor jedem Spiel über den Kleiderhaken des Präsidenten festklettet, steht: „Ehren- Präsident auf Lebenszeit und danach".

Kommune Arbeitskreis KAK!
Nicht reden, einfach machen

Fußball bildet: Das beweisen die Tübinger KAK-Kicker, die seit vierzig Jahren ohne Abseits glücklich sind. Ganz im Sinne von Jean Paul Sartre.

Hennes Weisweiler definierte die Abseitsregel mit Hilfe von Günter Netzer ganz eigenwillig: „Abseits ist, wenn das lange Arschloch wieder mal den Ball zu spät abgespielt hat." Keine Frage, dass jeder einzelne Freizeitkicker die Abseitsregel kennt. Logisch! Trotzdem ist sie fast durchweg außer Kraft gesetzt. Da scheren sich die Hobbyfußballer ganz respektlos einfach mal nicht um FIFA-Vorgaben und nehmen Rücksicht auf die Vollschlanken, die alt- oder frisch-operierten Kniepatienten und auf Spieler „mit Rücken".

Und obwohl Kicker der Schwergewichtsklasse oder der extrem kurzen Wege die Regelaussetzung schamlos ausnutzen und dem gegnerischen Torwart oft auf den Füßen stehen, kommt doch fast immer ein schönes Fußballspiel zustande. Richtiges Kicken und Empathie schließen sich also nicht aus.

Manchmal werden sogar eigene Regeln erfunden, damit auch Fußballbegeisterte mit Handicap mitspielen können. Bei der Tübinger KAK (Kommune Arbeitskreis), die in diesem Jahr ihr vierzigjähriges (!) Bestehen feiert, „schoss" lange Jahre ein Gehbehinderter als Stürmer seine Tore zuweilen mit der Hand. Ihm wurde das von den Mitkickern ausdrücklich erlaubt. Genauso wie ihm gestattet wurde, sich dauerhaft neben dem gegnerischen Tor zu platzieren – entgegen allen Abseitsregeln dieser Fußballwelt. Und ganz sicher hätte sogar Weisweiler in diesem Fall nichts einzuwenden gehabt.

Die Freizeitfußballer sind auch in Sachen Toleranz vorne, ohne von oben verordneten Toleranz-Aktionen der Verbände wie abgelesene Kurzansprachen der Spielführer vor Länderspielen oder abstruse Bekenntnisse von Trainern wie Christoph Daum: „Mir ist es egal, ob es ein Brasilianer, Pole, Kroate, Norddeutscher oder Süddeutscher ist. Die Leistung entscheidet, nicht irgendeine Blutgruppe."

Freizeitkicker schwingen keine großen Reden, die machen einfach. Menschen aller Hautfarben spielen gemeinsam Fußball – ganz ohne angepöbelt zu werden. Auch dafür ist KAK das beste Beispiel. Oft spielen Kicker aus Ländern, die Kriegsgegner oder Erzfeinde waren, zusammen in einer Mannschaft – ohne Probleme.

„Und wenn es doch welche gibt, dann werden sie noch auf dem Platz gelöst. Oder beim Bier danach", sagt Fixl Braun, der 63-jährge Grand Seigneur der KAK. „Bei uns geht es natürlich zuallererst ums Kicken. Nicht viel weniger wichtig sind uns aber auch Fairplay, Toleranz und der geschützte Rahmen." Und Braun, der in der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus in der Verwaltung arbeitet, ergänzt: „Wie übrigens auch bei den jährlich drei bis vier Turnieren, an denen wir mitkicken." Bis vor kurzem hatte der Tübinger noch die „Ewige KAK-Liste" geführt, in der nicht nur sämtlich Spielergebnisse über vier Jahrzehnte hinweg aufgeführt sind, sondern akribisch auch die jeweiligen Kicker, die sich jeden Sonntagnachmittag hinterm Freibad treffen.

Arbeiter, Akademiker, Frauen, Männer, Junge, Alte und sogar Badener werden nicht nur bei der KAK problemlos integriert. Das hatte Jean-Paul Sartre sicher im Sinn, als er meinte, dass er alles, was er über das Leben wisse, auf dem Fußballplatz gelernt habe.

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Mehmed Scholl!
Mein lieber Scholli

Lange stach er positiv aus der Reihe der Fußball-Kommentatoren heraus. Doch das ist nun vorbei. Warum die Freizeitkicker der Republik Mehmet Scholl nicht mehr abkönnen, erklärt die heutige „Bolzplatz“-Kolumne.