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Martin Meyer-Pyritz

Feuer aus!

Ein Leben für die Feuerwehr

Droste Verlag

Alles hat seine Zeit

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde
geboren werden hat seine Zeit,
sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit,
ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit
töten hat seine Zeit,
heilen hat seine Zeit
abbrechen hat seine Zeit,
bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit,
lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit,
tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit,
Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit,
aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit,
verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit,
wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit,
zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit,
reden hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit,
Friede hat seine Zeit.
Man mühe sich ab, wie man will,
so hat man keinen Gewinn davon.

Altes Testament
Prediger Salomo 3.1-9

Vorwort

Ein Hundejahr entspricht sieben Menschenjahren. So heißt es im Volksmund. Wäre ich ein Hund, hätte ich demnach nur fünf Jahre bei der Feuerwehr gearbeitet. Vielleicht wäre ich dann einer dieser Katastrophensuchhunde geworden, der sich in Erdbebengebieten und auf Trümmergeländen seine Pfoten blutig scharrt und unermüdlich mit hechelnder Zunge nach verschütteten Menschen sucht.

Bekanntlich soll der Hund ja der beste Freund des Menschen sein. Aber nicht immer erweist sich der Mensch dieser treu entgegengebrachten Freundschaft als würdig. Oft hat die ihm untergeordnete Kreatur unter der »Krone der Schöpfung« bitter zu leiden. Haben die Menschen es doch bis zum heutigen Tag nicht einmal geschafft, untereinander dauerhaft Frieden zu halten.

Aber unser Leben besteht nicht nur aus Bitterkeit und Kampf, und es stimmt schon: Der Hund ist der beste Freund des Menschen. Da ich mich ebenfalls als Freund der eigenen Spezies sehe, bin ich zur Feuerwehr gegangen. Ich wollte retten, löschen, bergen und schützen. Vermutlich hatte ich das Helfersyndrom, als ich 1975 als Feuerwehrmannanwärter in der Besoldungsgruppe A5 meinen Dienst bei der Düsseldorfer Berufsfeuerwehr antrat. Damals gab es den Begriff Helfersyndrom noch nicht, zumindest nicht mit jenem negativen Beigeschmack, der ihm von einigen Neunmalklugen in den letzten Jahren zugeschrieben wird. Menschen, die über unsere Gesinnung jedoch nur so lange abfällig oder spöttisch die Nasen rümpfen, bis sie selber in Gefahr geraten und von einem Feuerwehrmann oder einem Angehörigen der vielen Rettungsdienstorganisationen gerettet werden. Ich könnte einige bemerkenswerte Beispiele dazu aufzählen, möchte an dieser Stelle aber nicht anklagen.

Als Profi vertrete ich die Meinung, dass besonders den ehrenamtlichen Helfern der Hilfsorganisationen der Respekt, die Ehre und die Anerkennung, die sie sich durch ihr Engagement ehrlich verdient haben, gebühren. Spontan fallen mir dazu die vielen Helferinnen und Helfer des Deutschen Roten Kreuzes, des Malteser Hilfsdienstes, der Johanniter-Unfall-Hilfe, des Arbeiter-Samariter-Bundes, des Technischen Hilfswerks, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Bergwacht, der Wasserwacht und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ein – und natürlich die in allen Städten und Dörfern vertretenen Freiwilligen Feuerwehren. Einen besonderen Gruß sende ich auch an meine Feuerwehrkameraden in die schöne Schweiz, ins liebliche Österreich und in die sympathischen Niederlande

Euch, meinen lieben Kameraden, widme ich all meine Bücher. Ihr seid das Salz in der Suppe der Menschheit, darum lasst nicht nach in Eurem Bemühen um eine bessere Welt. Lasst Euch nicht beirren durch jene, die sich auf Kosten anderer eigennützig die Taschen vollstopfen.

35 Jahre lang durfte ich in Eurer Mitte wirken. Jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, ist meine aktive Zeit zu Ende, aber falls ich auch alt und klapprig werden sollte: In meinem Herzen werde ich immer ein Feuerwehrmann bleiben!

Ihr/Euer Martin Meyer-Pyritz

Die Spezialtaschenlampe

Kennen Sie noch die geradezu legendäre Daimon Taschenlampe aus schwarz gelacktem, dünnem Blech mit dem am oberen Ende abklappbaren, geschlitzten, spitz zulaufenden Lederstück, mit dem man sie am Knopf seiner Jacke befestigen konnte? Die mit dem kleinen, funzeligen Birnchen und dem runden Schraubgewinde? Der Clou dieser Taschenlampe bestand in einem rot und einem grün gefärbten Glas, das man vor den runden Reflektor schieben konnte. Gespeist wurde die Lampe von einer 1,5 Volt Flachbatterie mit zwei dünnen, goldfarbenen Metalllaschen, von denen die längere um 180 Grad abgebogen wurde. Um die Batterie einzulegen, musste man lediglich den hinteren Deckel der Lampe wie eine Tür aufklappen. Mit diesen – besonders von Jungen wie mir – heiß begehrten Taschenlampen waren damals alle Polizeidienststellen und Feuerwehren ausgestattet. Wer als Kind solch eine Lampe besaß, konnte damit natürlich hervorragend Polizist oder Feuerwehrmann spielen.

Daran hatte ich, als ich mich im Jahr 1975 bei der Berufsfeuerwehr Düsseldorf bewarb, allerdings nicht gedacht. Damals rückten die Löschfahrzeuge, allesamt versehen mit großen, gelben Aufklebern, zu Einsätzen aus. In fetten, schwarzen Druckbuchstaben stand auf den Wagen, dass die Landeshauptstadt dringend neue junge Feuerwehrmänner suchte. Zuvor war mir nie in den Sinn gekommen, ein Feuerwehrmann zu werden.

Ich hatte meinen Gesellenbrief als Maschinenschlosser in der Tasche, die Abendrealschule abgeschlossen und das Wilhelm-Heinrich-Riehl-Kolleg zur Erlangung der staatlichen Hochschulreife nach drei Semestern wegen notorischer Faulheit in den Fächern Latein und Mathematik abgebrochen. Ich war frisch verheiratet und besaß einen Studienplatz an der Essener Kunsthochschule, dessen Abschluss mich später befähigt hätte, Grundschullehrer zu werden. Aber bevor ich dieses Studium beginnen konnte, musste ich, weil ich den Wehrdienst mit der Waffe verweigert hatte, meinen Zivildienst antreten. Ich absolvierte ihn bei einer Rettungsdienstorganisation in meiner Heimatstadt Ratingen, wodurch ich in Kontakt mit der Feuerwehr kam. Vom Feuerwehrbazillus befallen gab ich meine bisherigen beruflichen Pläne auf und bewarb mich bei der Düsseldorfer Feuerwehr.

Für mich, den 25-jährigen Kampfsportler und Langstreckenläufer stellte die sportliche Aufnahmeprüfung keine besondere Herausforderung da. Mein damaliges Gewicht betrug zwar nur 67 Kilogramm, ich konnte es mit den meisten der kräftiger wirkenden Mitbewerber aber locker aufnehmen.

Ich begann meine Ausbildung zusammen mit Stephan Boddem, einem Mann, der mir nicht nur ein guter Freund, sondern später sogar einer meiner Direktoren werden sollte.

Als wir mit den anderen Lehrgangsteilnehmern das erste Mal auf dem Feuerwehrhof der Feuerwache 2 im Stadtteil Oberkassel zur praktischen Übung antraten, froren wir jämmerlich. Unsere damalige Einsatzkleidung mutet aus heutiger Sicht geradezu lächerlich an: Sie bestand lediglich aus einer dünnen, schwarzen Tuchhose und einem ebenso dünnen, dunkelblauen Jackett mit mattsilbernen Metallknöpfen und V-Ausschnitt, unter dem ein graues, langärmeliges Oberhemd mit schwarzer Krawatte getragen wurde. Komplementiert wurde diese Uniform mit jener dunkelblauen Schirmmütze, an deren Vorderseite das silberfarbene Abzeichen der Feuerwehr angebracht war. (Ein stilisiertes Flammensymbol mit zwei über einem Helm gekreuzten Beilen.) Darüber steckte eine runde, schwarz-rot-goldene Kokarde. Natürlich trugen wir die typischen Feuerwehrstiefel. Aber das Einzige, was das damalige Schuhwerk mit unseren heutigen Feuerwehrsicherheitsstiefeln gemein hatte, war die schwarze Farbe des Leders. Ansonsten war von Hightech noch rein gar nichts zu spüren. Statt einer gut profilierten, hochabriebfesten, durchtrittssicheren und weitgehend chemikalienresistenten Sohle, die wasserfest mit dem gepolsterten Schaft verschweißt ist, besaßen unsere Stiefel lediglich eine schlichte Lederbrandsohle. Eine die, wenn sie durchgelaufen war, von Feuerwehrmännern die das Schusterhandwerk beherrschten, in feuerwehreigenen Werkstätten mittels kleiner, eingeschlagener Holzstifte und Spezialleim neu besohlt wurden. Stahlkappen zum Schutz der Zehen gegen herabfallende Gegenstände waren zu jener Zeit noch ein Fremdwort. Damals gab es auch nur schlichte Rohrführerhandschuhe aus einfachem Rindspaltleder.

In genau dieser Bekleidung rückten wir zur Brandbekämpfung aus – dabei wurde von der Amtsleitung großer Wert auf das Tragen der akkurat gebundenen schwarzen Krawatte gelegt. Um zumindest gegen die Unbilden des Wetters wie Regen, Sturm, Hagelschlag und Schnee, Frost und Feuersbrunst ein wenig geschützt zu sein, erhielt jeder Feuerwehrmann eine dreiviertellange, schwarze Lederjacke, die aus heutiger Sicht völlig unzureichend war.

Heute trägt die Feuerwehr im Einsatz die so genannte HuPF-Bekleidung. Eine dicke, über die Hüfte reichende Überhose mit angenähten Trägern mit einer dazu passenden, dreiviertellangen, weit geschnittenen Jacke mit großen Seitentaschen, einer zusätzlichen Brusttasche für das Funkgerät und einem Karabinerhaken, an den man seine ex-geschützte Handlampe einklinken kann. Die Knie- und Ellenbogenpartien sind gepolstert und mit Kevlar, einem hochabrieb- und schnittfestem Material besetzt. Die Jacken verfügen über hochschließende Kragen und haben Klettverschlüsse an den Ärmelabschlüssen. Konsequent richtig angezogen und in Kombination mit einer Flammschutzhaube, schützt diese hochwertige Einsatzbekleidung ihren Träger sogar bei einer kurzfristigen Vollbeflammung.

Einzig der alte Feuerwehrhelm, den ich schon 1975 in der Grundausbildung trug, hat sich bei der Düsseldorfer Feuerwehr bis in die heutige Zeit hinein gehalten. Wenngleich viele Wehren schon seit Jahren diverse neue Modelle verwenden, sind wir diesem einsatzerprobten Helm treu geblieben. Lediglich das alte Nackenleder, das vor herabtropfenden heißen Kunststoffen, glühenden Funken und anderem schützen sollte, ist einem funktionelleren Hollandtuch gewichen.

Eines hat sich jedoch über die ganzen Jahre nicht geändert – die Motivation der Feuerwehrmänner. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ergreifen auch heute die meisten Anwärter aus persönlicher Überzeugung und voller Idealismus diesen schwierigen und manchmal auch gefährlichen Beruf. Diese Bereitschaft, sich voll einzubringen, stellt das eigentliche Rückgrat der Feuerwehren dar. Die Städte und Kommunen können immer nur die notwendigen Rahmenbedingungen bieten: Fahrzeuge mit guter Ausstattung, eine qualifizierte Ausbildung und hochwertige persönliche Schutzbekleidung; eine angemessene Vergütung und eine Absicherung für diejenigen von uns, die im Einsatz verunfallen oder gar ihr Leben lassen.

Wir waren damals dazu bereit, uns dieser Aufgabe zu stellen. Wir waren jung, voller Kraft und Elan, voller Enthusiasmus und willens, sogar das Unmögliche möglich zu machen. Jeder hatte einen Eid geschworen, notfalls das eigene Leben zu geben, wenn es unumgänglich wäre, das Leben anderer zu retten.

Und heute? Wie sieht mein persönlicher Rückblick diesbezüglich aus?

Ich erinnere mich noch genau an verschiedene Einsatzsituationen, in denen ich – bewusst oder unbewusst – mein Leben riskiert habe. Einige Dinge würde ich aus heutiger Sicht anders machen, besonders jene hochrisikoreichen Aktionen, welche mehr von jugendlichem Übermut als von vernunftgesteuerten Überlegungen getragen wurden.

So habe ich mich einmal im Frühjahr in die eiskalten Fluten des Rheins gestürzt, um einen Menschen zu retten. Ohne Leinensicherung ein geradezu hasardeurhaftes Vorgehen! Fast hätte es mich dabei erwischt. Mit den Jahren bin ich reifer geworden, habe gelernt, meine Möglichkeiten besser einzuschätzen und dementsprechend umsichtiger zu handeln. Dennoch habe ich meine innere Bereitschaft, im Notfall auch bis zum Äußersten zu gehen, nie aufgegeben. Das mag sich vielleicht pathetisch anhören, aber dieser, meiner festen Überzeugung entsprechend habe ich immer gehandelt.

Mit dieser Einstellung stehe ich nicht allein. Überall gibt es Feuerwehrmänner und inzwischen auch Feuerwehrfrauen, die diese Überzeugung mit mir teilen. Deshalb sind wir aber noch lange nicht so verrückt, ohne Sinn und Verstand unser eigenes Leben wegzuwerfen, wenn es gilt, Menschen zu retten. Man muss lernen, das Risiko abzuwägen und einzuschätzen, und man muss wissen, was man sich selber zumuten kann. Manchmal gibt es besonders gefährliche Situationen, in denen es schon den Mut eines Löwen bedarf, und nicht jeder oder jede ist dazu berufen.

Mindestens ebenso wichtig ist der Zusammenhalt der Gruppe. Feuerwehr ist immer eine Gemeinschaftsleistung. Unsere Gemeinschaft und unser zielgerichtetes Vorgehen, bei dem der eine den anderen schützt, machen uns stark. Stark – aber nicht unverwundbar. Damit wir das verbleibende Risiko so weit wie möglich minimieren, nutzen verantwortungsvolle Einsatzkräfte alle Sicherheitseinrichtungen und Geräte, die ihnen zur Verfügung stehen.

Der Tür auftretende Rambo, der ich früher einmal war, ist heute nicht mehr gefragt. Es gibt bessere Methoden, bei denen man sich nicht sein Fußgelenk an einem versteckten Sicherheitsriegel verstaucht. Man springt auch nicht ungesichert von einem Balkon zum nächsten, um in eine Wohnung zu gelangen, von der man nicht einmal weiß, ob dort wirklich ein Mensch in akuter Gefahr schwebt. Und man rennt auch nicht kopflos in eine ungesicherte Unfallstelle auf der Autobahn, ohne vorher die Einsatzstelle rückwärtig abzusichern. Und man begibt sich nicht in eine giftgasgeschwängerte Atmosphäre ohne Atemschutz. Und und und …

Wie lautet doch gleich der Spruch der Freiwilligen Feuerwehren: Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr. Als überzeugter Christ halte ich sehr viel vom gesunden Gottvertrauen, aber Gottvertrauen allein reicht nicht. Nicht umsonst hat Gott uns die nötige Intelligenz verliehen, so dass wir unsere Schutz-Bekleidungen und unsere technischen Ausrüstungen ständig weiter entwickeln und verbessern können. Es ist daher ein Gebot der Vernunft, diese Dinge auch entsprechend einzusetzen!

Unsere Ausbildung zum Feuerwehrmann gliederte sich in Theorie und Praxis. Für die Theorie stand uns damals nur ein einziger Unterrichtsraum zur Verfügung. Er lag ganz am Ende eines Ganges der Feuerwache 2 in Düsseldorf-Oberkassel. Theorie und Praxis wechselten sich ständig ab, und es gab eine Menge zu lernen. Unser Schulfahrzeug war ein LF 16, ein alter Rundhauber von Magirus.

Als es zur ersten Übung auf dem Hof der Feuerwache ging, und ich die Tür zum Mannschaftsraum unseres Schulfahrzeugs öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen einen Ausrüstungsgegenstand vor, der nicht die geringste technische Innovation zu bieten hatte. Statt der anfangs erwähnten Daimon Taschenlampe hingen im Mannschaftsraum dieses LF 16 lediglich schwarz lackierte Holzklötze!

»Echte Taschenlampen bekommen Sie erst später, wenn Sie Ihre Laufbahnprüfung bestanden haben und auf ihre künftigen Feuerwachen kommen. Jetzt ist das noch zu teuer«, erklärte unser damaliger Lehrgangsleiter Charly Kessels. Die Holztaschenlampe war zum Glück das einzige Imitat. Alle anderen Ausrüstungsgegenstände entsprachen denen, die wir später auch auf den Einsatzfahrzeugen der Feuerwachen vorfanden.

Außerdem – wenn man es mit einem Augenzwinkern sieht: Diese »Lampe« war manchem heutigen Hightech-Modell überlegen: Denn erstens war sie schier unzerstörbar, zweitens brauchte sie nie aufgeladen zu werden, und drittens war sie sogar exgeschützt! Darüber hinaus war sie auch noch unschlagbar preiswert. Einziger Nachteil – sie leuchtete nicht.

Aber, mein Gott, was störte uns das! Wir machten uns zwar etwas darüber lustig, hatten aber ansonsten gar keine Zeit, uns über solche Belanglosigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Es galt viel zu lernen, und die praktischen Übungen verlangten nicht selten die ganze Aufmerksamkeit, besonders wenn auf dem Stundenplan Hakenleitersteigen stand. 40 Unterrichtsstunden waren für die 4,40 Meter lange, tragbare Leiter mit dem an ihrem oberen Ende rechtwinklig montierten eisernen Haken angesetzt. Einen Haken, den man über Balkonbrüstungen hängen oder mit dem man Fensterscheiben einschlagen konnte, um so von Etage zu Etage in die Höhe zu klettern. 1975 gab es noch keine Isolier-Verbundscheiben, an denen dieser Haken abprallen konnte. Damals waren simples Einscheibenglas und schlichte Holzrahmen üblich. Daher war es einem Feuerwehrmann sehr wohl möglich mit dieser – nicht ungefährlichen Vorgehensweise – von außen eine Hausfassade zu erklimmen. Geklettert wurde einzeln oder zu zweit. Hatte man das erste Fenster durchschlagen und den Haken befestigt, kletterte man die Sprossen hoch und schwang sich im Reitersitz auf die Fensterbrüstung. (Natürlich nicht ohne zuvor die darauf liegenden Glasscherben mit seinen Rohrführerhandschuhen entfernt zu haben.) Danach zog man die Leiter zu sich hoch und schlug den Haken in die nächste Fensterscheibe. Nach dem Zuschlagen musste man unbedingt schnell den Kopf einziehen und durfte auf keinen Fall weiterhin nach oben sehen, denn eine Schutzbrille oder ein Visier, wie die Feuerwehr es heute verwendet, gab es damals noch nicht, und die Glassplitter prasselten auf einen herunter.

So vergingen die Wochen und Monate mit intensivem Lernen. Jeden Tag brachten uns unsere Ausbilder etwas Neues bei, konfrontierten uns mit Dingen, die wir bisher auf keiner Schule gelernt hatten, und Fächern wie Verbrennungslehre, Löschlehre, Löschwasserversorgung, Baukunde, Gefahren der Einsatzstelle, Schlauchkunde, Erste Hilfe … Wir lernten den Aufbau und den Umgang mit Feuerlöschern, das Arbeiten unter Atemschutz, beschäftigten uns aber auch mit etwas nüchterneren Themen wie Verwaltung und Recht oder Brandsicherheitsvorschriften.

An den freien Wochenenden traktierte ich meine geduldig zuhörende Frau auf vielen langen Spaziergängen permanent mit dem neuesten Lernstoff. Eine Methode, die mir sehr geholfen hat. So sehr, dass ich am 11. Juni 1976 die Prüfung zum Feuerwehrmann mit der Gesamtnote gut bestand.

Zum Einsatz, vor!

Die Zeit nach dem Grundausbildungslehrgang zählte für mich zu den aufregendsten Jahren meines Lebens. Die Stadt hatte so viele neue Feuerwehrmänner benötigt, dass wir sogar einen Doppellehrgang gefüllt hatten – den 50. und 51. Grundausbildungslehrgang. Diejenigen, die wie Stephan Boddem und ich die Laufbahnprüfung bestanden hatten, brannten geradezu darauf, auf ihre erste Feuerwache zu kommen. Wir zwei kamen zusammen auf die Feuerwache 3. Das altehrwürdige Wachgebäude steht auch heute noch an der Ecke Münsterstraße/Moltkestraße und ist eine von drei Innenstadtwachen mit dem höchsten Einsatzaufkommen. Für uns war alles neu, aufregend und spannend. Das 24-stündige Wachleben mit den neuen Kollegen, den großen, roten Löschfahrzeugen, der mechanischen Drehleiter, den Kranken- und Rettungswagen und natürlich den gemeinsamen Einsätzen war schon etwas Besonderes!

Jeden Morgen kurz vor halb acht erfolgte in der großen Fahrzeughalle der Feuerwache die Wachablösung. Mit Helm und Hakengurt wie in früheren Zeiten mussten wir zwar nicht mehr antreten, aber wir standen immer noch korrekt uniformiert in Reih und Glied vor einem der aus massivem Holz gefertigten zweiflügeligen Ausfahrttore und erwarteten das Eintreffen des Chefs. Und wehe einer hatte vergessen, die Krawatte umzubinden oder seine Mütze aufzusetzen? Ewald Werner, unserem Wachvorsteher, fiel so etwas sofort auf, und der Betreffende handelte sich, noch bevor der Chef den Dienstplan für die anstehende 24-Stunden-Schicht vorgelesen hatte, einen Rüffel ein. Später, als ich als Dienstgruppenleiter selber den Dienstplan verlas, erschienen meine Jungs manchmal lässig mit einer Kaffeetasse in der Hand zur Wachablösung – ein Verhalten, das damals absolut undenkbar war!

Der Dienstplan enthielt sämtliche uns zur Verfügung stehenden Fahrzeuge und die Namen der Feuerwehrmänner mit den dementsprechend zugeordneten Positionen. So wurden die begehrten Maschinistenposten meist nur an erfahrene Kollegen vergeben, wobei der Leitermaschinist eine herausragende Stellung einnahm.

Dann gab es die verschiedenen Trupps: Den Angriffstrupp, den Wassertrupp und den Schlauchtrupp. Jeder dieser Trupps bestand aus zwei Mann, und jeder Einzelne hatte im Brandeinsatz seine ihm eigene, fest vorgeschriebene Aufgabe. Diese Aufgaben gemäß der FwDV 4 (Feuerwehrdienstvorschrift Nummer 4) wie aus dem ff zu beherrschen, hatte man uns im Grundausbildungslehrgang mit militärähnlichem Drill beigebracht. »Das muss schneller gehen, meine Herren! Das Ganze nochmal, aber diesmal zack, zack!«

Also, die gesamte Löschgruppe noch einmal rein ins Schulfahrzeug … Während der Maschinist sich schleunigst hinter das riesige elfenbeinfarbene Lenkrad klemmte, riss der Melder die Tür zum Mannschaftsraum auf, und wir anderen quetschten uns in die Enge der zwei gegenüberliegenden Holzbänke. Natürlich streng nach Reihenfolge und Sitzordnung. Deshalb hieß das »Spiel« auch: Alle Wollen Wir Mit, Sicher Aber Schnell. Die Anfangsbuchstaben standen hierbei für Angriffstruppführer, Wassertruppführer, Wassertruppmann, Melder, Schlauchtruppführer, Angriffstruppmann, Schlauchtruppmann. Der Melder, das war ein Mann, der dem Gruppenführer für besondere Aufgaben zur Verfügung stand.

Kaum saßen wir auf den uns fest zugewiesenen Plätzen ging es auch schon wieder raus. »Aufstellung hinter dem Fahrzeug!«, brüllte der Ausbilder, wenngleich das völlig überflüssig war, denn wir sortierten uns mittlerweile schon selbstständig in die vorgeschriebene Formation: truppweise hintereinander stehend, an der am Heck des Löschgruppenfahrzeugs angebrachten Schlauchhaspel mit Maschinist und Melder beginnend. Ein gestrenger Blick vom Ausbilder, ob wir auch korrekt ausgerüstet wie die Zinnsoldaten in Reih und Glied standen, dann brüllte er uns seinen Einsatzbefehl zu: »Angriffstrupp! Mit Pressluftatmer und erstem C-Rohr zur Brandbekämpfung über das Treppenhaus zur zweiten Etage, vor! Wassertrupp! Wasserentnahmestelle, der Unterflurhydrant auf der gegenüberliegenden Straßenseite! Schlauchtrupp! Unterstützen des Angriffstrupps durch Verlegen einer C-Leitung vom Verteiler zum Hauseingang!«

Nachdem jeder Truppführer seinen Einsatzauftrag laut wiederholt hatte, brüllte der Ausbilder: »Zum Einsatz, vor!« Direkt darauf erfolgte das obligatorische: »Meeeelder zu miiir!«

Ab da lief alles wie am Schnürchen. Das Unterflurhydrantenstandrohr war aufgestellt und die B-Schläuche von dort zu der im Heck unseres Löschgruppenfahrzeugs befindlichen Feuerlöschkreiselpumpe verlegt, so dass der Maschinist neben dem vorhandenen Wassertank über ausreichend Löschwasser verfügte. Die B-Leitung von der Pumpe zum Verteiler und die von dort abgehende C-Leitung bis zum Hauseingang lag ebenfalls. Hier hatte sie der Angiffstrupp übernommen und eilte über das Treppenhaus in die fiktive Brandwohnung vor. Wie schon erwähnt, lief alles wie am Schnürchen – bildeten wir uns zumindest ein.

Unser Ausbilder schien da anderer Meinung zu sein. Er war nie zufrieden, hatte immer etwas auszusetzen: Mal waren wir zu langsam (wir waren ihm eigentlich immer zu langsam), mal saßen die vorgeschriebenen Handgriffe nicht, mal war das erste C-Rohr rechts statt links am Verteiler angekuppelt, mal war die ausgelegte Schlauchreserve zu kurz.

Manchmal fluchten wir, aber nur leise, denn Aufmucken kam nicht gut an. Wer zu oft meckerte, dem wurde schon mal in seine persönliche Beurteilung geschrieben: Feuerwehrmann-Anwärter Josef X neigt zu Widerspruch. Da solche Einträge sich erheblich auf die Lehrgangsendnote auswirken konnten, hielt man besser den Mund. Es gab allerdings auch einige Maulfechter, die über alles meckerten und ansonsten nichts drauf hatten. Von denen hatte man sich dann recht schnell getrennt. Trotz dieses Drills, der übrigens nie in Schikane ausartete, wurden wir letztlich topfit – was sogar unseren Ausbildern ab und an ein Lob entlockte. Natürlich immer mit einem Zusatz wie: »Dass Sie mir deshalb aber ja nicht übermütig werden. Sie sind mit Ihrer Leistung nämlich immer noch weit davon entfernt, einen harten realen Einsatz zu überstehen!«

Wie hart und brutal manche Einsätze sein können, wussten wir damals tatsächlich noch nicht. In dem Glauben, dass wir bereits die Besten wären und uns nichts mehr erschüttern könnte, grinsten wir uns nur klammheimlich an. In meinen Büchern schreibe ich über solch extreme Einsätze nie, denn manches, was ich an Leid und Grausamkeit erleben musste, war fast zu viel, als dass es ein Einzelner verkraften kann.

Es geht um die Wurst

Nachdem Ewald Werner den Dienstplan des Tages vorgelesen hatte, besetzten die Maschinisten ihre Fahrzeuge. Es war zwar ein Sonntag, aber auch dann startete die Leitstelle wie jeden Morgen mit demselben Spruch Florian Düsseldorf ruft zur Stationsprüfung! die Funkabfrage auf allen Wachen. Jede Feuerwache besaß einen ständig besetzten Hausposten, quasi eine eigene kleine Zentrale, deren Funk zuerst abgefragt wurde.

Norbert Krämer, unser Telegraphist, saß wie immer wie aus dem Ei gepellt und im Bewusstsein seiner Machtbefugnis kerzengerade hinter seinem Schreibtisch, den Funkhörer des FuG 7b sprechbereit in der Hand. Während die Leitstelle Fahrzeug für Fahrzeug anfunkte und deren Bestätigungen entgegennahm, überprüften wir anderen sämtliche Fächer an sämtlichen Einsatzfahrzeugen unseres Löschzuges. Kein Teil wurde ausgelassen, und jeder Ausrüstungsgegenstand musste auf seinem vorgeschriebenen Platz liegen. Gleichzeitig wurde kontrolliert, ob sich an Schaufeln, Kreuzhacken, Spaten, Feuerwehräxten oder anderen metallenen Werkzeugen Rost gebildet hatte. War das der Fall – was eigentlich nicht passieren durfte –, so war es für gewöhnlich die Aufgabe der Neulinge, diesen Missstand mithilfe von Schmirgelpapier und einem ölgetränkten Lappen unverzüglich zu beseitigen.

Ich zog gerade das Auszugsfach am Löschfahrzeug, das diese Gerätschaften enthielt, auf. Heinrich Offermann, mein damaliger Ziehvater und Feuerwehrpate, den jeder Neue bekam, stand direkt hinter mir. »Das ist Schlamperei«, schimpfte er und deutete demonstrativ auf einige Rostflecken, die sich auf einem Schaufelblatt abzeichneten. Heinrich Offermann war gelernter Schlosser, Mitte 40 und von stämmiger Gestalt, und er legte großen, sehr großen Wert darauf, dass das Werkzeug immer blitzblank war.

»Bring ich sofort in Ordnung«, sagte ich eilfertig und löste die Schlaufen des Schaufelstiels, um sogleich mit dem Werkzeugteil in der wacheigenen Schlosserei, die der Fahrzeughalle gegenüberlag, zu verschwinden. Guter Mann, murmelte Heinrich und sah mir nach, wie ich quer über den Hof lief. Ich war genau wie er gelernter Maschinenschlosser, und es war eine Selbstverständlichkeit für mich, »seine« Schlosserei, in der man mich eingeteilt hatte, immer tipptopp in Schuss zu halten. Und was Werkzeuge anging, so war ich schon immer ein Pedant. Wäre das nicht so gewesen. Wer weiß, vielleicht hätte ich es bei meinem Paten nicht so gut gehabt?

Stephan hatte nicht so viel Glück. Obwohl er kein Schreiner war, hatte man ihn der Schreinerei zugewiesen, in der sein Pate, ein Hüne von Mann, schon mal zu leicht cholerischen Anfällen neigte. Nur war Stephan viel zu clever, als sich von diesen gelegentlichen Ausbrüchen beeindrucken zu lassen. Wenn er das Gefühl hatte, seinen Paten wieder einmal so geneckt zu haben, dass zu befürchten war, dass möglicherweise ein Holzhammer quer durch den Raum flog, machte er sich rechtzeitig über eine außen an der Hauswand des alten Schlauchturms befindliche Rettungsleiter aus dem Staub. Danach hörte man seinen Paten meist lauthals durch das geöffnete Fenster fluchen, wusste aber auch, dass er sich schnell wieder beruhigte.

Stephan verfügte schon immer über ein phänomenales Fachwissen, mit dem er selbst unsere Ausbilder beeindruckte. Dabei war er nie jemand, der damit auftrumpfte oder prahlte. Unser Wachvorsteher hatte sehr schnell erkannt, dass er in ihm ein blitzgescheites Kerlchen vor sich hatte, von dem in Zukunft gewiss noch einiges zu erwarten war. Dass Stephan es später bis zum Direktor bringen würde, hat er aber sicher nicht geahnt.

Mit den Worten »Was machst du gerade?« kam Stephan zu mir in die Schlosserei.

»Ich zeigte auf die auf der Werkbank liegende Schaufel. »Muss den Rost von der Schaufel abschleifen. Wieso?«

»Wir sollen zum Wachvorsteher.«

»Sofort?«

Stephan schüttelte den Kopf.

»Bin gleich soweit, muss nur noch einölen.« Mit einem Lappen verrieb ich etwas Öl auf dem Schaufelblatt. »Weißt du schon, was er von uns will?«

»Keine Ahnung, er sagte nur, wir sollen nach der Funkprobe und der Fahrzeugüberprüfung zu ihm ins Büro kommen«

Ewald Werner saß hinter einem alten Büroschreibtisch auf einem ebenso alten Bürostuhl. Vor ihm türmten sich Stapel von Papier und Aktenordnern. Ich habe nie erfahren, um was es sich dabei handelte, aber wann auch immer ich später in dieses Büro kam – diese Aktenstapel lagen ständig dort und sie sahen verdammt eindrucksvoll aus. Genau wie der Wachvorsteher selbst, der ein großer, schlanker Mann von etwas über 50 Jahren war, mit markanten Gesichtszügen und grau meliertem, welligem, mittellangem Haar.

Scheu blieben wir in der Nähe der Tür stehen. Der Chef winkte uns näher zu kommen. Wir traten einige Schritte vor und standen jetzt in respektvollem Abstand vor seinem Schreibtisch, hinter dem er uns wie ein listiger Fuchs anlächelte. Dieses Lächeln erschien mir verdächtig. Konnte es sein, dass es nichts Gutes verhieß? Wie mir Stephan später miteilte, hat er es genauso empfunden. Indes, unsere Sorge war unbegründet. Ewald Werner hatte einen guten Tag und forderte uns sogar auf, Platz zu nehmen. So setzten wir uns auf zwei schlichte Holzstühle, die für Besucher bereit standen. Natürlich nahmen wir nur auf der vorderen Kante Platz, zu einer bequemen Sitzhaltung konnten wir uns doch noch nicht durchringen.

Nach einem kurzen Moment gegenseitigen Schweigens, bei dem sich das anfängliche Lächeln unseres Chefs in einen ernsteren Ausdruck veränderte, fragte er schließlich: »Und … gibt es vielleicht etwas, was Sie mir zu sagen haben?«

Seine Frage hätte kaum verheerender ausfallen können. Hatten wir irgendetwas vermasselt? Oder gar etwas Gravierendes im Einsatz oder auf der Wache falsch gemacht? Wie die Kugel in einem Flipperautomaten sprangen meine Gedanken hin und her. Ich drehte langsam den Kopf nach links und begegnete Stephans fragendem Blick. Er zuckte kaum merklich mit den Schultern, und ich spürte, wie eine plötzlich aufkommende Wärme in mir aufstieg. Ewald Werner erkannte unsere Betroffenheit und gab Entwarnung. »Na jetzt entspannen Sie sich mal. Ich habe Sie schließlich nicht zu mir kommen lassen, um Ihnen den Kopf abzureißen.«

Puh. Erleichtertes Aufatmen. Aber was wollte er dann? Ehe meine Gedanken erneut Flipperautomat spielen konnten, klärte seine nächste Frage alles Weitere: »Nun, ich möchte eigentlich nur von Ihnen hören, wie Sie sich in den letzten Wochen hier eingelebt haben? Ob Sie mit den Kollegen klar kommen und überhaupt, wie es Ihnen bei uns so gefällt? Schließlich haben Sie in der kurzen Zeit, die Sie hier auf der Wache sind, allerhand erlebt. Und dabei denke ich nicht nur an die unrühmliche Geschichte mit dieser äh … na, Herr Boddem, sie wissen schon.« Ewald Werner räusperte sich und versuchte ernst zu bleiben. »Ich meine den Einsatz in dieser ganz speziellen Grube.«

Bei der Erinnerung daran musste ich mir mit Gewalt ein Lächeln verkneifen und schielte möglichst unauffällig zu meinem Freund. Der sagte nichts und verzog keine Miene.

»Nun ja.« Ewald Werners entspannte Haltung straffte sich plötzlich. »Abgesehen von dieser … sagen wir mal etwas unglücklichen Geschichte haben Sie ja auch schon einiges Erstaunliches aufzubieten. Eine erste Geburt, die brennende Straßenbahn in der Altstadt und nicht zu vergessen der Dachstuhlbrand, um nur die wichtigsten Einsätze zu nennen. Für zwei Neulinge außergewöhnlich viel in so kurzer Zeit.« Der Chef sah uns eindringlich an und mahnte: »Ich hoffe doch sehr, dass Sie nicht zu denen zählen, die solche Einsätze magisch anziehen!? Na, Scherz beiseite, ich bin mit Ihren Leistungen bisher recht zufrieden. Aber bilden Sie sich jetzt nur nicht zu viel darauf ein. Sie stehen noch ganz am Anfang Ihrer Laufbahn und sind noch weit davon entfernt, sich wegen dieser paar Einsätze erfahrene Feuerwehrmänner nennen zu dürfen. Haben wir uns da verstanden?«

Eifriges Kopfnicken.

»Gut, dann wiederhole ich jetzt noch einmal meine erste Frage: Gibt es von Ihrer Seite irgendetwas, dass Sie mir sagen möchten?«

Ich weiß nicht mehr, ob wir ihm etwas gesagt hätten, denn just in diesem Moment dröhnte aus sämtlichen Lautsprechern der Vierfachgong. Löschzugalarm! Überall im Wachgebäude schalteten sich die Deckenleuchten an. Unmittelbar nachdem der Gong verklungen war, rief die Leitstelle die ausrückenden Wachen und Fahrzeuge auf: Einsatz für Feuerwache 1 und Feuerwache 3 zur Nordstraße in Derendorf! Vermutlich Feuer in einer Metzgerei! Menschenleben in Gefahr

Wie elektrisiert sprangen wir von unseren Stühlen. Auch der Chef hatte sich sofort erhoben und kam eilig hinter seinem Schreibtisch hervor. Jegliche Etikette missachtend stürmten wir aus seinem Büro auf den Gang. Die harten Tritte unserer Stiefel schallten auf dem uralten, braunen Linoleumboden, der hart wie Stein und voller Risse, aber stets blank poliert war. Im Laufschritt erreichten wir die Fahrzeughalle. Über unseren Köpfen wurden die Rutschschächte aufgerissen, und sogleich düsten mehrere Kollegen nacheinander die armdicken Messingstangen herunter. Kaum trafen die ersten auf die dicken Moosgummimatten, sprangen sie auch schon zur Seite, um die »Landebahn« für die nachfolgenden frei zu machen Ich rannte achtlos an ihnen vorbei und stieg sofort in das Löschgruppenfahrzeug. Meine Position war heute die des Angriffstruppmannes. Meist hatte man auf der Anfahrt genügend Zeit, um sich vernünftig auszurüsten, trotzdem musste man sich immer beeilen. Aber diesmal befand sich unsere Einsatzstelle ganz in der Nähe, die Nordstraße war fast vor unserer Haustür. Da brauchte der Maschinist nur um zwei Ecken zu biegen, und schon waren wir da. Ich musste mich also mächtig sputen, um mir den Pressluftatmer auf den Rücken zu schnallen, die schwarze Atemschutzmaske über den Kopf zu ziehen und mich vollständig auszurüsten.

Norbert Krämer hatte längs die eigens für unsere Alarmausfahrt installierte Ampelanlage auf grün geschaltet und kam aus seiner Telegraphistenbude gestürmt. Jetzt eilte er von Tor zu Tor, wo er sämtliche Knebel hochdrehte. Kaum hatte er den Verriegelungsmechanismus gelöst, da zogen die unter Spannung stehenden kräftigen Zugfedern die schweren Torflügel schwungvoll auf. Fast gleichzeitig starteten die Maschinisten ihre Fahrzeuge. Die mächtigen Dieselmotoren ließen die Fahrzeughalle erzittern. Mit eingeschalteten Blaulichtern und laut aufheulenden Martinshörnern schwenkte unser Löschzug links auf die Münsterstraße. Von der Alarmierung bis zum Verlassen der Fahrzeughalle waren nicht einmal 60 Sekunden vergangen.

In geordneter Formation, bogen wir jetzt in die Nordstraße. Vorneweg das LF 16 mit Ewald Werner als Zugführer, dahinter folgte die DL 30, und den Schluss bildete ein TroTLF 16. Die Einsatzstelle lag jetzt nur noch wenige 100 Meter entfernt. »Das Feuer ist auf der linken Seite!«, rief Ewald Werner zu uns in den Mannschaftsraum. »Scheint was Großes zu sein, ich sehe dichten schwarzen Rauch aufsteigen!«

Gegen vier Uhr in der Früh schoss der Metzgermeister Schober plötzlich in seinem Bett hoch. Was war das gewesen? Auf den linken Ellenbogen gestützt lauschte er angestrengt in die Dunkelheit des Schlafzimmers, ob sich das verdächtige Geräusch, welches ihn geweckt hatte wiederholen würde – nichts. Neben ihm regte sich seine Frau. »Was ist?«

»Psst«, flüsterte er, »da war was. Hörte sich so an, als macht sich jemand an unserer Hinterhoftüre zu schaffen.«

»Ich hör nix«, murmelte seine Frau verschlafen und zog ihn am Arm. »Komm leg dich wieder hin. Hast bestimmt nur schlecht geträumt.«

»Quatsch, ich bin doch nicht blöd, da war wirklich was, Elfriede.«

»Und wenn schon. Jetzt ist jedenfalls alles still.«

Aber die momentane Stille konnte den Metzgermeister nicht beruhigen. Er stand auf, schlich zum Fenster und starrte in den, in völliger Dunkelheit liegenden Hinterhof. Seine Frau knipste ihre Nachttischlampe an.

»Und Willi, siehst du da wen?«, fragte sie mit leicht spöttischem Unterton. »Mensch Elfi«, zischte er, »mach das Licht aus! Wenn da unten jemand ist, sieht der mich doch auch.«

»Und? Siehst du jemanden?«, wiederholte sie gelangweilt. Nein, er sah niemanden, hielt es aber auch nicht für angebracht, auf die Frage seiner Frau zu antworten.

»Na, jetzt komm schon endlich. Heute ist Sonntag, da müssen wir nicht früh raus, oder willst du die ganze Nacht dort stehen bleiben?«

Mürrisch schlurfte der Metzgermeister zurück in sein Bett. Auf dem Rücken liegend lauschte er noch eine ganze Weile angestrengt. Aber außer den regelmäßigen Atemzügen seiner Frau vernahm er nichts. Schließlich drehte er sich auf die Seite und schlief ebenfalls wieder ein.

Während die beiden Metzgersleute für den Rest der Nacht friedlich in Morpheus’ Armen dem Morgen entgegenschlummerten, gingen zwei andere, weit weniger friedliche Gestalten ihren finsteren Machenschaften nach. In der überdachten Hofeinfahrt der Metzgerei, die vom Schafzimmer der Schobers nicht einsehbar war, stand mit geöffneten Hecktüren ein rückwärts eingeparkter Kleintransporter, in den zwei in dunkle Overalls gekleidete Männer gerade eine Wanne voller Schinken und Würste hineinwuchteten.

»Los, lass uns abhauen!«, meinte der Hagere. »Aber wir haben doch noch längst nicht alles, da ist doch noch viel mehr zu holen«, maulte sein Kumpel.

»Weiß ich auch, du Trottel. Denkste, ich bin blöd!«

»Pass bloß auf du, von wegen Trottel! Und blöd bin ich auch nicht.«

»Anscheinend doch, oder haste nicht den Typ oben am Fenster gesehen?«

»Du meinst vorhin, als da kurz das Licht anging?«

Zustimmendes Nicken. »Das war der Metzger von dem Laden hier. Hab’ ihn genau erkannt. Mensch, Kalle, wenn der die Bullen angerufen hat …«

»Scheiße, und wir haben nicht mal ’n Viertel von dem, was da zu holen ist, rausgeholt!«

»Egal, los, komm jetzt! Ich hab keine Lust, schon wieder im Bau zu landen.«

»Einen Moment noch«, flüsterte sein Kumpel. Und ehe der andere ihn zurückhalten konnte, huschte er noch einmal zu der aufgebrochenen Tür, welche in die rückwärtige Metzgerei führte.

»So ein Arsch!«, fluchte der Zurückgebliebene und schaute nervös auf die Uhr. »Na endlich, was hast du denn noch gemacht?«

»Erzähl ich dir unterwegs.« Mit diesen Worten schmiss er sich auf den Beifahrersitz

»Also, was?«

Statt einer Antwort klackerte der Kleinere vielsagend mit einem abgegriffenen Zippo-Feuerzeug und grinste den Hageren hämisch an.

»Was? Du hast doch nicht etwa …«

Der Kleinere verzog seine Mundwinkel zu einem Grinsen und zuckte unschuldig mit den Schultern.

»Idiot, wenn du so weitermachst, werden uns deine unüberlegten Aktionen noch mal um Kopf und Kragen bringen.«

»Na hör mal, ich finde, wenn wir die Schinken und Würste schon nicht bekommen können, soll sie wenigstens auch kein anderer haben.«

Auf der ersten Etage lebte die Mutter des Metzgermeisters. Ihre Wohnung und auch die Wohnung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes auf der zweiten Etage blieben Gott sei Dank verschont. Die drei befanden sich zum Zeitpunkt des Feuers auch nicht im Haus.

Der Metzgermeister hingegen schlief nach der zunächst unruhigen Nacht in den Morgenstunden tief und fest und wurde dann voller Panik von seiner Frau geweckt: »Franz! Wach auf! Es brennt! Oh mein Gott, oh mein Gott, Franz … Das ganze Treppenhaus steht schon in Flammen!« Die Frau hatte den leichten Brandgeruch bemerkt. Unruhig stand sie auf: In der Diele war es deutlich zu riechen, das war eindeutig Brandgeruch! Besorgt eilte sie daraufhin in die Küche. Gott sei Dank – sie atmete erleichtert auf, hier war alles in Ordnung. Trotzdem, der Brandgeruch stach ihr immer noch in die Nase. Wo mochte der nur herkommen? Wieder in der Diele öffnete sie neugierig die Wohnungstür und taumelte erschrocken zurück. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Von unten schlugen ihr bereits glutrote Flammen entgegen. In dem alten hölzernen Treppenhaus hatte das Feuer reichlich Nahrung gefunden.

Ein Schwindel erfasste sie, dann stürzte sie panisch in das Zimmer ihrer Tochter. In ihrem Schockzustand vergaß sie, die Tür hinter sich zu schließen. Der todbringende Brandrauch der bereits zum Dachboden hinaufzog, drang somit auch in die Wohnung ein. Schnell hatten die heißen Brandgase die an der Garderobe hängenden Kleidungsstücke entzündet. Danach dauerte es nicht mehr lange, und das Feuer griff auf die Einrichtungsgegenstände über. Als die Metzgersfrau ihren Fehler bemerkte, war es zu spät – die Diele stand bereits in hellen Flammen. Entsetzt weckte sie ihren Mann.

Der wollte zuerst nicht glauben, was ihm seine Frau sagte, aber dann stand seine völlig verängstigte Tochter weinend im Türrahmen des Schlafzimmers. Da gab es für ihn kein Halten mehr. Mit einer Behändigkeit, die man seinem beleibten Körper kaum zugetraut hätte, sprang er aus dem Bett und hastete an seiner Tochter vorbei. Erschrocken über die unbändige Gewalt des Feuers, das in seiner Wohnung tobte, prallte auch der Metzgermeister zurück. »Raus! Los, raus hier! Schnell, schnell!«, schrie er und riss seine Tochter, die unfähig war, auch nur einen einzigen Schritt zu tun, und versteinert in die lodernden Flammen starrte, mit sich. Da das Feuer bereits das Wohnzimmer erreicht hatte, blieb ihnen als einziger Zufluchtsort nur noch der schmale Balkon zur Straßenseite. Hier standen sie dicht gedrängt und zitternd vor Angst, mit nichts weiter am Leib als Nachthemd und Schlafanzug, und riefen lauthals um Hilfe.

Die Bebauung auf beiden Straßenseiten der Nordstraße bildete eine geschlossene Häuserfront. Meist handelte es sich um drei- oder vierstöckige Wohn- und Geschäftshäuser, mit den für die siebziger Jahre üblichen kleinen Einzelhandelsgeschäften im Erdgeschoss. Eines dieser Geschäfte war die Metzgerei Schober, ein alteingesessenes Familienunternehmen in der dritten Generation. Aus dem zur Straße weisenden Ladeneingang drang dichter schwarzer Brandrauch, der sich mit dem Rauch vermischte, der aus den Fenstern der darüber liegenden Etagen drang.

Es kam nur sehr selten vor, dass Ewald Werner laut fluchte, zumindest so laut, dass wir es alle hören konnten. Aber gerade tat er es: »Oh Scheiße! Jungs, das wird harte Arbeit! Da vorne brennt ’n Laden in voller Ausdehnung! Ich glaube die Leitstelle hat recht. Sieht aus wie der vom Metzger Schober. Los Henry, fahr rüber auf die andere Straßenseite. Aber stell dich so, dass die Drehleiter direkt vor dem Objekt anhalten kann. Da oben winken Menschen auf dem Balkon um Hilfe.«

Weil ich mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saß, konnte ich nichts von dem sehen, was er sah. Außerdem war ich immer noch viel zu sehr mit meiner Ausrüstung beschäftigt. Den breiten, ledernen Hakengurt mit dem Feuerwehrbeil hatte ich als Erstes um meine Hüften geschnallt, die Bebänderung des Pressluftatmers, der wie eine Rückenlehne hinter unserer Sitzbank eingebaut war, zurrte ich soeben fest. Fehlte nur noch der Helm. »Hier.« Manfred Spiller drückte mir meinen fluoreszierenden Aluminiumhelm auf den Kopf.

Ein rascher Blick zu meinem Angriffstruppführer, der zog sich gerade die Gummibänder der Kopfspinne seiner Atemschutzmaske fest. Diese stramm sitzende Atemschutzmaske würde uns in Verbindung mit dem Pressluftatmer, einem DA 58/ 1600, vor giftigen Gasen und Dämpfen schützen und somit die Möglichkeit bieten, auch in stark verqualmte Brandräume vorzudringen.

Allerdings war unser Zeitlimit auf maximal 30 Minuten begrenzt, wobei uns diese 30 Minuten nie in vollem Umfang zur Verfügung standen. Zum einen berechnete man immer den doppelten Anmarschweg für den Rückzug, zum anderen forderte die schwere körperliche Belastung einen erhöhten Sauerstoffbedarf. Die reale Einsatzzeit unter diesem Pressluftatmer beschränkte sich daher meist auf 15 bis 20 Minuten. Wer länger in der von Brandrauch verdunkelten Finsternis einer weitreichenden Einsatzstelle blieb, riskierte unter Umständen sein Leben.

Im Gegensatz zur Schulausbildung auf dem Hof der Feuerwache 2 in Oberkassel nahm hier niemand hinter dem Löschgruppenfahrzeug Aufstellung, um die Befehle des Gruppenführers in Empfang zu nehmen. »Absitzen!«, rief Ewald Werner und war selber der Erste, der aus dem Löschfahrzeug sprang. Er, der alte, erfahrene Einsatzleiter, erkannte sofort, wo der größte Gefahrenschwerpunkt lag – es waren die Menschen auf dem Balkon der dritten Etage. Das Zimmer hinter ihnen brannte. Offensichtlich hatten sich die Flammen durch das Treppenhaus hochgefressen. Es gab keine Zeit mehr, die Drehleiter auszufahren oder eine tragbare Leiter anzustellen. Drei Menschen, ein zwölfjähriges Mädchen und zwei Erwachsene, befanden sich in höchster Lebensgefahr. Ihre angstvollen Hilferufe gellten in unsere Ohren. Von dem brennenden Wohnzimmer trennte sie nur noch die Küche.

»Bückt euch! Ihr müsst ganz tief hocken bleiben, sonst atmet ihr zu viel Qualm ein!«

Alle drei duckten sich, und der Metzgermeister breitete seine Arme schützend über Frau und Tochter aus. Kurz darauf wurden sie von einer gewaltigen Brandwolke eingehüllt. Der heiße Brandrauch brannte auf ihrer nur spärlich bedeckten Haut.

Die drei schrien mehr vor Schreck als vor Schmerzen. Sie glaubten bei lebendigem Leib verbrennen zu müssen. Während der Metzger Mühe hatte, seine Todesangst zu verbergen, wimmerte seine Tochter leise vor sich hin. Seine Frau hingegen verlor die Nerven und wollte über die Balkonbrüstung klettern. Das war der Moment, in dem Ewald Werner ihnen zurief, sie sollten um Gottes willen oben bleiben.

»Sprungtuch vornehmen!«, donnerte Ewald Werners tiefe Stimme. Sofort riss der Maschinist das Fach mit dem tiefen Einschub auf, worin das zusammengefaltete Sprungtuch lag. Ewald Werner rief den von den Flammen bedrohten Menschen zu, sie sollten noch ein paar Sekunden aushalten.

»Tempo! Wo bleibt das Sprungtuch!?«