Haupttitel

Marco Frenschkowski

Die Geheimbünde

 

Eine kulturgeschichtliche Analyse
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ISBN: 978-3-8438-0017-4
 
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Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Vorwort

1. Geheimbünde und geheime Gesellschaften: eine Typologie

Eine kulturphänomenologische Typologie

Literatur:

Geheimbünde als Gegenstand der »Popular Culture«

Literatur:

Zur Soziologie der Geheimbünde

2. Männerbünde, Frauenbünde und Einweihungsriten in archaischen Gesellschaften

Zur Begrifflichkeit und Typologie

Literatur:

Initiationen und Geheimbünde: Gibt es einen inneren Zusammenhang?

Indogermanische Männerbünde?

Literatur:

3. Die antiken Mysterien und ihr Erbe

Blickwinkel und Begrifflichkeit

Die eleusinischen Mysterien

Literatur:

Ältere Mysterien und Initiationsriten außerhalb von Eleusis

Der Bacchanalienskandal

Literatur:

Eine Isis-Einweihung (Apuleius, Metamorphosen 11)

Literatur:

Mithras, Kybele, Attis: die »orientalischen Mysterien«

Literatur

Geheimbünde für Frauen?

Literatur:

Christliche Sakramente und pagane Mysterien: die Zeit der Alten Kirche

Literatur:

Das Christentum als Mysterienreligion

Die Pythagoreer als »ideale Geheimgesellschaft«

Literatur:

4. Templer, Assassinen, Feme: wirkliche und angebliche Geheimbünde des Mittelalters und ihr Nachleben

Die Tempelritter: eine exoterische Geschichte

Literatur:

Die Templer in Schottland und die Freimaurerei

Literatur:

Die Assassinen

Literatur:

Islamische Geheimbünde und die Freimaurer?

Literatur:

Islamische Geheimbünde in der Literatur: ein Beispiel des frühen 19. Jhdts.

Literatur:

Die Feme

Literatur:

5. Hexen, Zauberer, Satanisten: die Fiktion einer Antireligion im Untergrund des Abendlandes

Die Konstruktion einer Zauber- und Hexensekte im späten Mittelalter und ihr »Umkippen« in der Wicca-Religion

Literatur:

Eine radikalfeministische Sekte im Mittelalter?

Literatur:

Satanismus: Vorgeschichte im 17.-19. Jahrhundert

Literatur:

Hell-Fire Clubs

Literatur:

Die Satanismus-Debatte der Jahre 1970-2000

Literatur:

6. Rosenkreuzer und andere ideale und utopische Gesellschaften des 17. Jhdts.

Das Erwachen des utopischen Denkens

Literatur:

Rosenkreuzer: die fundamentalen Fakten

Literatur:

Moderne Rosenkreuzer

Literatur:

7. Die Freimaurer im 18. Jhdt. und ihre Geschichtslegende

»Eine diskrete Gesellschaft«

Literatur:

Die Gründung der ersten Großloge 1717 und die Folgen

Mittelalterliche Grundlagen: von den Bauhütten zur spekulativen Maurerei

Literatur:

»Sohn der Witwe«: die Hiram-Abiff-Sage

Berühmte Freimaurer

Frauen in der maurerischen Kunst

Die Gründung der USA und die Freimaurer.

Literatur:

Ein freimaurerisches Gottesbild? Der »Große Architekt des Universums«.

Literatur:

8. Illuminatenorden und Erleuchtungspathos

Der historische Illuminatenorden

Die Illuminaten: Innenleben und Nachleben

Literatur:

Erleuchtungspathos und Aufklärung

Literatur:

9. Geheimbünde als Objekte der Angst im 18. und 19. Jhdt.: Freimaurer als Teufelsbündner, Morganaffäre und Taxilskandal

Angriffe auf die Freimaurer und antimaurerische Legenden

Die Morganaffäre

Die Taxilaffäre

Literatur:

10. Thuggee

Die Mördersekte

Literatur:

11. Der Hermetic Order of the Golden Dawn und die Entstehung neomagischer Orden im 19. und 20. Jhdt.

Die Anfänge des neomagischen Revivals in Großbritannien

Literatur:

Der »Hermetic Order of the Golden Dawn« : Die zeremonielle Magie erreicht die britische Oberschicht.

Literatur:

Der Lehrplan des Hermetic Order of the Golden Dawn.

Literatur:

Die Gründung des Ordo Templi Orientis

Literatur:

Paschal Beverly Randolph und die Wurzeln der Sexualmagie

Literatur:

12. Der Ku Klux Klan

Der Klan der Kapuzenträger

Literatur:

13. Thule, Vril und die rechtsradikalen und sonstigen Geheimgesellschaften im Vorfeld des Nationalsozialismus

Die Thule-Gesellschaft

Literatur:

Die Vril-Gesellschaft

Literatur:

Die Adonistische Gesellschaft.

Literatur:

14. Mafia, Triaden, Yakuza: nationales Pathos und die Tendenz zur Kriminalisierung

Die Mafia

Literatur:

Die chinesischen Triaden

Die fünf Väter

Literatur:

Die japanische Yakuza

Literatur:

Dr. Mabuse und die »Herrschaft des Verbrechens«

15. Politische Geheimbünde und Verschwörungstheorien nach dem 2. Weltkrieg: von den Bilderbergern bis zu P2

Die Geschichte von Propaganda Due

Literatur:

Bilderberger und Trilaterale Kommission

Literatur:

16. Jesuiten und Opus Dei: die Angst vor dem »Papismus«

Jesuitenangst

Literatur:

Friedrich Schiller »Der Geisterseher« (1787-1789)

Literatur:

Opus Dei

Literatur:

17. Religiöse und Weltanschauliche Gemeinschaften als Geheimbünde und Gegenstand gesellschaftlicher Projektionen: Skopzi, Daniten, Scientology u.a.

Die Skopzi und andere Geheimgesellschaften des zaristischen Russland

Literatur:

Die mormonischen Daniten

Literatur:

Die Scientology Kirche e.V.

Zur Person des Gründers L. Ron Hubbard

Scientology als System und Praxis

Literatur:

18. Schlussbetrachtung

Literatur zum Thema Verschwörungstheorien:

Anhang: Quellentexte

1. Fama Fraternitatis

2. Die Confessio Fraternitatis

3. Die »Alten Pflichten« (»Old Charges«) der Freimaurer in ihrer Fassung von 1723

Hauptstück: Von Gott und der Religion

Hauptstück: Von der bürgerlichen Obrigkeit, der höchsten und der untergeordneten

Hauptstück: Von den Logen

Hauptstück: Von den Meistern, Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen

Hauptstück: Von dem Verhalten der Zunft bei der Arbeit

Hauptstück: Von dem Betragen

Der Schluss der Alten Pflichten

Kontakt zum Verlag

»Schon das bloße Wort ›Geheimhaltung‹ ist in einer freien und offenen Gesellschaft abstoßend. Wir sind als Nation von unserem Erbe her und historisch Gegner geheimer Gesellschaften, geheimer Eide und geheimer Unternehmungen.«

Präsident John F. Kennedy,
27. April 1961

»Was verborgenes Wissen betrifft, so sind die wahren Geheimnisse des Universums jene, die durch die Wissenschaft aufgehellt und entdeckt werden. Alles Wissen, das die Menschheit über die Welt erworben hat, stammt aus Studium, Experiment, Gelehrsamkeit, Nachmessen und Logik. »Göttliche Rituale« haben uns weder Einblicke in die Quantenmenchanik noch Heilmethoden für Krebs oder eine Kenntnis der Struktur der DNS gebracht.«

Nick Harding,
Secret Societies. Edison, NJ 2005, 144.

»Ein junger Narr wie Freirs würde es wahrscheinlich nicht glauben wollen. Wie der Rest seiner verfluchten Gattung würde er solche Kunde in alten ledergebundenen Bänden in gotischer Schrift und ominös sinistren Buchtiteln erwarten. Er würde in mysteriösen alten Truhen und Kellergewölben Ausschau halten, in den »Giftschrank«-Sektionen der Bibliotheken, in kunstvoll verzierten Kisten mit geheimen Schlössern. Dabei gibt es gar keine wirklichen Geheimnisse, wie der Alte wohl weiß. Es wäre letztlich zu schwierig, sie zu verbergen. Die Schlüssel zu den Riten, welche die Welt transformieren werden, sind weder verborgen noch selten oder teuer. Sie sind jedem zugänglich. Man kann sie in den Paperbackregalen oder in billigen Ramsch­antiquariaten finden. Man muss nur wissen, wo man suchen muss – und wie sich die Teile zusammenfügen lassen.«

T. E. D. Klein,
The Ceremonies. New York 1984, 297f.

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Über den Autor

PD Dr. Marco Frenschkowski, Jahrgang 1960, ist evangelischer Theologe und Religionswissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Die Antike und die moderne Religionsgeschichte sowie das Verhältnis von Religion und Kultur.

Zum Buch

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Die Geheimbünde

Seit den Mysterienbünden der Antike haben geheime Gesellschaften Eingeweihte und Außenstehende fasziniert. Das Spektrum ist breit: Illuminaten, Freimaurer, Rosenkreuzer, daneben tätige (P2) und kriminelle (Yakuza, Triaden, Mafia) Gruppen. Geheimgesellschaften wurden als ideale Orden verehrt, oder als Bedrohung gefürchtet. Wichtig ist die Trennung von Fakten und Spekulationen. Aber auch fiktive Geheimbünde wie die Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts sind ein Stück Kulturgeschichte. Der Band vermittelt solide Fakten, referiert neuere Forschungen, blickt aber auch auf Verschwörungstheorien und analysiert positive und negative Bilder geheimer Bünde.

Mit zahlreichen Literaturangaben

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1. Geheimbünde und geheime Gesellschaften: eine Typologie

Eine kulturphänomenologische Typologie

Es empfiehlt sich, mit einer kleinen Typologie zu beginnen, die möglichst wenige theoretische oder heuristische Vorgaben impliziert, sondern sich an sehr schlichten äußerlichen Unterscheidungskriterien orientiert. Wir haben nicht das allgemein kulturelle und religiöse Phänomen der Geheimhaltung im Blick, sondern speziell Gruppen – abgrenzbare, sich als zusammengehörig erfahrende Gemeinschaften von Menschen – in deren Struktur Geheimhaltung wichtig ist. Diese Geheimhaltung kann sich freilich auf ganz verschiedene Dinge beziehen. So kann es sein, dass sich Mitglieder zwar untereinander kennen, aber nicht als solche in der Öffentlichkeit auftreten und also nicht als solche identifizierbar sein wollen (das Geheimnis liegt also in der Mitgliedschaft). Bei Freimaurern ist es seit Anbeginn üblich, Aussagen über die Mitgliedschaft anderer nur zu machen, wenn der Betreffende das ausdrücklich autorisiert hat. Gruppen, die in bestimmten Staaten gesellschaftlich angefochten oder diskreditiert sind oder öffentlichen Verdächtigungen unterliegen, handhaben dies im allgemeinen ähnlich, in Deutschland z.B. die Scientology-Kirche e.V., ebenso auch manche neomagischen Gruppen. In diesen Fällen ist die Geheimhaltung nicht strukturell bedingt, sondern folgt aus gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Andere Gruppen treten nicht öffentlich auf und geben keine Informationen über Mitgliedschaften; in einigen seltenen Fällen sind Mitglieder durchaus identifizierbar, die Ordenleitungen dagegen für Außenstehende anonym oder pseudonym.

Andererseits kann sich die Geheimhaltung auf Inhalte, Ziele und Rituale beziehen. Diese sind dann arkan, d.h. nicht-öffentlich. In Bünden und Gruppen mit einer gestaffelten Einweihungsstruktur sind öfters nur die oberen Einweihungsinhalte wirklich geheim, zuweilen auch nur Inhalte, die gesellschaftlich missverständlich oder anstößig erscheinen könnten (wie die sexualmagischen Lehren und Rituale mancher neomagischer Orden). Oft bezieht sich die Geheimhaltung nur auf sehr begrenzte Details (Passwörter, geheime Erkennungszeichen und Handschläge u.ä.), auch wenn die Rituale nicht öffentlich sind. Das gilt vor allem, wenn eine Geheimgesellschaft schon lange existiert hat und ihre Interna – oft durch ehemalige Mitglieder – im Großen und Ganzen publik gemacht worden sind. So gibt es im Grunde genommen rein äußerlich gesehen keine wirklichen freimaurerischen »Geheimnisse« mehr; jedenfalls in der regulären Freimaurerei (doch s. sofort zur grundsätzlichen Aussagbarkeit von Geheimnissen). Sehr häufig wird uns ein Zwischentyp begegnen, nämlich die Unterstellung, Projektion oder Behauptung, eine an und für sich bekannte Gesellschaft oder Gruppe habe in Wahrheit ganz andere geheime Ziele und Inhalte, als sie nach außen vorgibt, oder zumindest ein innerer Kern dieser Gesellschaft. Gruppen, die in diesem Sinn Gegenstand erheblicher imaginativer Energien gewesen sind, waren z.B. die Freimaurer, die Jesuiten, Opus Dei oder natürlich – in einem weiteren Sinn – die Juden. Daneben tritt die Geheimgesellschaft als esoterischer Orden, der seine Mitglieder durch Initiationen und Prüfungen rekrutiert und noble Ziele der Verbesserung der Gesellschaft pflegt oder diese zumindest auf seine Fahne schreibt. Auch in diesem Fall kann das »Geheimnis« aus einer Außenperspektive ganz andere Dimensionen annehmen als für die Mitglieder selbst. Projektionsphänomene, Unterstellungen und Legendenbildungen werden unsere steten Wegbegleiter auf unserem Weg durch die Welt der Geheimbünde sein.

Umgekehrt ist auch der Fall denkbar, dass sich die Geheimhaltung auf Sachverhalte oder eher Erfahrungen bezieht, die ohnehin kaum oder gar nicht in Worten mitgeteilt werden können. Dies gilt v.a. für die Struktur von Mysterieneinweihungen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit bestand eines der zentralen Rituale der antiken eleusinischen Mysterien im Vorzeigen einer Getreideähre: Darauf wird nur äußerst verschlüsselt angespielt. Das »Geheimnis« besteht hier in einer außerhalb des Kontextes kaum zu übermittelnden mystischen Einsicht. Allerdings vermitteln die antiken Mysterien religiöse Erfahrungen, ohne wirkliche »Geheimbünde« zu begründen; die Eingeweihten bilden im allgemeinen keine eigenen, sozial stabilen Gruppen oder Verbände (Ausnahme sind die Isiaci der Isis und auch die Anhänger des Mithraskultes; dazu ausführlich in Kap. 3.) Die »Geheimhaltung« ist hier ein Schutz vor Profanierung; sie verdeckt nicht einen kognitiven Inhalt. Alle diese verschiedenen Fälle und Typen von Geheimhaltung werden uns vielfach begegnen, und wir werden dabei nach ihren sehr unterschiedlichen Funktionen fragen müssen. Geheimhaltung kann Schutz vor »Anderen« sein, aber auch einfach vor Profanierung.

Der leider früh verstorbene Hans Biedermann (1930-1989), u.a. Verfasser eines klugen Buches über die Freimaurer, schreibt über die eher »harmlosen« Aspekte der Geheimhaltung bzw. grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit von Ritualen: »Mit der Geheimhaltung oder – vielleicht besser – Diskretion ist hingegen noch immer die Mitgliedschaft von Mitbrüdern zu behandeln, die sich nicht selbst öffentlich als Bundesbrüder zu erkennen geben. Dies erklärt sich einfach aus der historisch bedingten Tatsache, dass das Freimaurertum in vielen Ländern als suspekt gilt und dem Mitglied Nachteile erwachsen könnten, wenn seine Mitgliedschaft öffentlich bekannt würde. Schließlich wird der Großteil der Logenrituale mit dem Schleier des Mysteriösen umgeben; der Aufseher der Loge hat die Pflicht, bei ihrer Eröffnung zu untersuchen, ob die tempelartige Bauhütte »nach innen und außen gehörig gedeckt ist«, ob also wirklich kein Profaner die »Arbeit« miterleben kann. Dafür gibt es kaum andere Gründe als den, dass die Ritualteilnehmer unter sich sein wollen und befürchten, bei den – für Außenstehende oft pathetisch und schwülstig wirkenden, für sie selbst jedoch tief bedeutungsvollen – Ritualen hämisch begafft und lächerlich gemacht zu werden. Was für den in die »Bruderkette« Eingebundenen ergreifend wirkt, sieht für den »Profanen« nicht selten antiquiert und gewollt gravitätisch aus. Oft hört der Chronist Äußerungen der Verwunderung darüber, dass »erwachsene Männer sich einschließen, Lieder singen, sich an den Händen halten, eine Zeremonialtracht tragen und sich gebärden wie Kinder, die Pfarrer spielen« Dass die Freimaurer wenig Wert darauf legen, mit solchen Augen angesehen zu werden, ist klar« (Das verlorene Meisterwort. Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums. Wien u.a. 3. Aufl. 1999, 44f.). Wer erlebt hat, wie eine unsensible und überhebliche Fernsehberichterstattung über religiöse Rituale und Erfahrungen durch Großaufnahmen zu unpassender Zeit Menschen lächerlich machen kann, wird solchen Erwägungen nicht leichtfertig widersprechen. Öffentlichkeit ist sicher nicht immer angemessen. Es sind freilich auch ganz andere Gründe für Geheimhaltung vorstellbar, und in der Tat sind nicht alle davon ehrbar. Auch kriminellen Geheimbünden werden wir begegnen, und einen kurzen Einblick in ihre innere Welt versuchen, sofern sie aus Mitgliederberichten, verdeckten Ermittlungen u.ä. bekannt geworden ist. Eine zu enge oder puristische Definition würde sicher in einer kulturgeschichtlichen Betrachtung nur schaden.

Nicht nur nach Art, Inhalt und Funktion ihrer Geheimhaltung lassen sich Geheimbünde typologisch gliedern, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Einbindung und v.a. nach dem Grad ihrer »Realität« in dem breiten Spektrum zwischen geschichtlich manifester Existenz und gesellschaftlicher Imagination. Weiter ist natürlich zwischen »guten« und »bösen« Geheimbünden zu unterscheiden, wenn auch eine solche Unterscheidung nur bei den fiktionalen Bünden Sinn macht. Was die realen Geheimbünde betrifft, so besitzen selbstverständlich auch die aus einer Außenperspektive kriminellen Bünde eigene Legitimationsszenarios (z.B. solche nationalistischer oder wertekonservativer Art). Zwischen »guten« und »bösen« Gesellschaften wird daher nur bei den ausschließlich imaginierten Gruppen unterschieden. Eine solche Typologie kann etwa – wieder erst einmal sehr schlicht – so aussehen:

  1. Reale Gesellschaften mit durchgehender bzw. weitgehender Arkandisziplin
  2. Reale Gesellschaften bzw. Gruppen mit partieller Arkandisziplin
  3. Reale Gesellschaften mit marginaler bzw. eher symbolischer Arkandisziplin
  4. Reale Gesellschaften, deren Charakter als Geheimbund auf gesellschaftlicher Projektion beruht
  5. Imaginierte ideale geheime Orden u.ä., an deren Realität doch geglaubt wird
  6. Imaginierte verschwörerische, kriminelle geheime Gruppen, an deren Realität ebenfalls geglaubt wird
  7. Nur literarisch, cineastisch etc. existierende ideale Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche
  8. Nur literarisch, cineastisch etc. existierende kriminelle Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche

Eine kulturgeschichtliche Typologie muss immer auch die verschiedenen Konstellationen bedenken, in denen Geheimbünde innerhalb ihrer jeweiligen Gesamtgesellschaften begegnen. Sie sind ja in mehrerlei Hinsicht Gegenstand von Fantasien, Hoffnungen und Befürchtungen, überhaupt von gesellschaftlichen Projektionen. Das gilt nun in besonderer Weise auch für die rein fiktiven »bösen« Geheimbünde. Wenn es wahr sein sollte, dass jede Gesellschaft die Schrecken und Monster erfindet, die sie verdient hat, was besagt es dann für das Psychogramm einer Gesellschaft oder eine Gruppe, wenn sie sich als unterwandert, als gefährdet durch geheime Gesellschaften und Bünde erlebt? Die «Geheimgesellschaft” als Bild und Projektionsort von Furcht und Faszination reicht zwar vielleicht nicht so dicht an unsere Person, an unsere Vitalität heran wie Dämonen, Hexen, Massenmörder, Vampire und andere traditionelle Ikonen der Furcht, sie ist aber dafür um so stärker auf die Gesellschaft selbst, nicht nur auf das Individuum ausgerichtet. Sie stellt damit eine grundsätzliche und tiefsitzende Angst der Moderne dar, dass die überschaubare, rational geordnete (eventuell – in der jüngeren Vergangenheit – demokratisch verantwortete) Gesellschaft nur eine Maske für andere »Machtverhältnisse« sein könnte. Wo die Mechanismen der Macht undurchschaubar werden, stellen sich Verschwörungsfantasien ein. Diese sind also eine bestimmte Art und Weise, Ohnmachtserfahrungen zu verarbeiten, und offenbar nur für bestimmte Typen von Menschen reizvoll. Es ist daher nicht überraschend, dass sie in den USA, wo der Staat in mancher Hinsicht weiter entfernt vom Bürger ist als in den überschaubareren und kleineren europäischen Ländern, eine besondere Rolle spielen. Nicht wenige US-Bürger können sich ihren Präsidenten oder sonstige hohe Funktionäre als Mitglieder finsterer Geheimbünde vorstellen: In Deutschland ist schon die bloße Vorstellung kaum nachvollziehbar. Dies selbst in ein kulturelles Faktum, das der Erklärung bedarf und mit dem imaginativen Spielraum zusammenhängen muss, den die unterschiedlichen politischen Systeme ermöglichen. Umgekehrt haben sich in der Geschichte Amerikas und Europas immer wieder utopische Hoffnungen auf geheime Gesellschaften gerichtet, denen möglich sein sollte, was die Gesellschaft als ganze so offensichtlich nicht zustande bringt: umfassende Aufklärung, Erziehung und »Besserung des Menschengeschlechts«. Neben die »gefährlichen« treten also immer die »idealen« Geheimgesellschaften. Die Präsenz dieser imaginierten Geheimbünde ist zu unterschiedlichen Epochen ganz verschieden und trägt nicht wenig zum kulturellen Profil dieser Epochen bei. Ein ganz wesentliches Thema gesellschaftlicher Imagination waren sie z.B. in der Epoche der deutschen Klassik, d.h. in der Zeit Goethes und Schillers, und man muss fragen, warum dies so gewesen ist (sowohl Goethe als auch Schiller haben ausführlich zum Thema geschrieben).

Die Spannung zwischen »guter« und »böser« Geheimgesellschaft, vor allem im Fall fiktionaler Bünde, wird immer wieder in den Blick zu nehmen sein. Zwei Polaritäten überschneiden sich also bzw. bilden ein komplexes Koordinatensystem, in das die zu besprechenden Geheimbünde einzuzeichnen sind: jene zwischen weltverschwörerisch-gefährlichen und aufklärerisch-erzieherischen Geheimgesellschaften einerseits, und jene zwischen rein literarisch imaginierten Gruppen und realen Gruppen, die zur Projektionsfläche für Fantasien unterschiedlichster Art werden, andererseits. Insofern aus Angst Aggression und aus dem Gefühl der Gefährdung Verfolgung werden kann, ist unser Thema von erheblicher politischer Brisanz, auch wenn wir ausschließlich politisch motivierte Gruppen hier gar nicht behandeln. Das Szenario potentieller Verschwörungen z.B., das eine Gesellschaft prägt, durchdringt alle Bereiche des kulturellen Lebens, wozu man nicht erst an den impliziten Einfluss der RAF auf die BRD der 1970er oder der Al-Qaida auf die USA der Gegenwart denken muss. Energisch muss in jedem Fall daran erinnert werden, dass Phänomene von Geheimhaltung, Nichtöffentlichkeit, Bundes- und Ordensbildung auch in gänzlich harmlosen Zusammenhängen eine Rolle spielen. Das Thema darf nicht zu sehr im Sog von Verschwörungsfantasien oder kriminellen Vereinigungen und ihrer Entlarvung oder Analyse verschwinden, um solide behandelt werden zu können.

Von Geheimbünden (»secret societies«) wird v.a. in den USA auch z.B. in Hinsicht auf Studentenverbindungen (»collegiate fraternities«, »fraternal organizations«) gesprochen, von denen immerhin eine (Skull & Bones) in den letzten Jahren in einen Mittelpunkt gesellschaftlichen Interesses gerückt ist. Andere studentische Verbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, waren bzw. sind der Flat Hat Club (gegründet 1750) und Phi Beta Kappa (gegründet 1776) sowie Phi Gamma Delta (1848). Der dritte Präsident der USA, Thomas Jefferson, war Mitglied im Flat Hat Club, bezeichnete diesen Verein aber später als nutzlos. Tatsächlich besitzen nach wie vor die meisten amerikanischen Universitäten Studenten- und Studentinnenverbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, ein dem deutschen Universitätsleben völlig fremdes Phänomen, das mit den Korporationen und ähnlichen Verbänden kaum zu vergleichen ist. Wir sehen hier den ganz unterschiedlichen Stellenwert des Themas in verschiedenen nationalen und kulturellen Kontexten und Traditionen.

Literatur:

Alexandra Robbins, Pledged. The Secret Life of Sororities. New York 2004 * Alexandra Kurth, Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Frankfurt u. New York 2004.

Geheimbünde als Gegenstand der »Popular Culture«

Wir lassen in lockerer Folge einige Beispiele für Geheimbünde meist fiktionaler Art Revue passieren, um die immense Faszination und das erzählerische und cineastische Potential des Themas in den Blick zu nehmen, eher wir uns den genauer zu beschreibenden realen Beispielen zuwenden. Erfolgsbücher, wie die Romane Dan Browns, wären nicht vorstellbar ohne die Funktion, welche Illuminaten und Opus Dei, die (vollständig fiktive) Prieuré de Sion und andere Geheimbünde in ihnen spielen. Das kaum entwirrbare Ineinander von Fakten und Fiktionen macht hier offenbar gerade den Reiz der Sache aus. Jede Leserin, jeder Leser versucht herauszubekommen, was real, was erfunden ist. Solche Bücher laden zu Spekulation ein und damit zu einem imaginativen »Es könnte doch sein, dass...«. Das Thema sinkt leicht ins Klischeehafte ab und eignet sich auch für Parodie und Satire. Die »ernsthaften« Umsetzungen richten sich erstaunlicherweise in unseren Jahren um die Jahrtausendwende herum, d.h. in unserer Gegenwart, eher auf »gefährliche« Geheimbünde: Die Fiktion wohltätiger, tatsächlich an einer Besserung der Menschheit interessierter Orden scheint aus Literatur, Kino und Fernsehen weithin verschwunden. Sie ist allenfalls noch in der Esoterikszene anzutreffen. Oft »kippt« das Szenario, d.h. eine geheime Gesellschaft, die als Träger sozialer Unterstützung und eines guten Gemeinsinnes auftritt, entpuppt sich in Film und Buch als etwas durchaus Sinistres. Dieses auf den ersten Blick sehr schlichte Motiv verkörpert offenbar ein tiefsitzendes Misstrauen der Moderne gegenüber Geheimbünden, überhaupt gegenüber undurchsichtiger Macht. Lange vorbei sind die Tage, wo sich wie in den Tagen der Rosenkreuzermanifeste (ab 1614) auf die (vollständig fiktionale) Erklärung eines Bundes der edlen Wissenden halb Europa auf den Weg macht, diesen Bund zu finden. In der Gegenwart ist das allenfalls Gegenstand der Parodie. Wir nähern uns unserem Thema locker-assoziativ, um nicht durch zu frühzeitige Systematisierung unseren Blick einzuschränken.

Vor allem im »Mystery«-Bereich ist das Thema allgegenwärtig. »Twin Peaks« hatte seine »Bookhouse Boys«, »Alias« hatte die »Alliance of 12«, »SD-6« und natürlich »The Trust«, »Get Smart« hatte »KAOS«, »Millennium« hatte die besonders düstere »Millennium Group«, und selbst die »Gilmore Girls« haben ihre »Life and Death Brigade«. Es fällt wie gesagt ein starkes Übergewicht »böser«, gefährlicher, machtversessener Gruppen in diesen Produkten der v.a. amerikanischen und britischen Populärkultur auf. Die zahlreichen kriminellen Verbindungen der James Bond-Filme gehen letztlich auf »SPECTRE« in den Romanen Ian Flemings zurück. Im deutschen Sprachraum wird man an Dr. Mabuses »Herrschaft des Verbrechens« denken, die durch die bekannte Filmreihe Fritz Langs aus der Romanform in den Film transponiert wurde (vgl. weiter in Kap. 15). Auch die »Sith« bzw. »Sith Lords« der Episoden I-III von »Star Wars« (USA 1999-2005) inszenieren offenbar kulturelle Ängste. Die ihrem Ende entgegengehende Republik dieser Filme ist ja eine Karikatur einer UNO-ähnlichen, umfassenden aber letztlich machtlosen Bürokratie, wie sie sich aus amerikanischer Sicht darstellt. Sie hat der anwachsenden Stärke des »Imperiums« nichts entgegenzustellen. »Star Wars« hat damit in den Episoden I-III (die ja viel später als die Episoden IV-VI von 1977-1983 entstanden sind) eine sehr amerikanische, populäre Wahrnehmung von politischer Welt mit den Themen Dekadenz, Untergang einer Republik, Totalitarismus und neuer Hoffnung aus uramerikanischen Werten und Leitbildern heraus inszeniert. Das historische Rahmenmuster erinnert nicht zufällig an das Ende der römischen Republik und den Beginn der Kaiserzeit, wird aber zum Vehikel für eine durchaus neue und für Europäer nicht sofort wahrnehmbare Inszenierung eines sehr amerikanischen Weltbildes. Die »Täter-Opfer«-Symbolik bzw. die Thematisierung von »Stärke« und »Schwäche« in diesen Filmen kann nahezu bruchlos als untergründige Bearbeitung der Eigenarten amerikanischer Selbstwahrnehmung mit ihrem extremen Schwanken zwischen Opfer- und Täterrollen gesehen werden.

Neben bedrohlichen, gefährlichen Geheimgesellschaften produziert die Populärkultur immer wieder auch die Idee uralter Bünde, die ein wertvolles Geheimnis bewahren (den Gral o.ä.). Ein bekanntes Beispiel wäre der Film »Indiana Jones and the Last Crusade« (USA 1989) mit seiner »Brotherhood of the Cruciform Sword«. Selbst die studentischen Verbindungen sind Gegenstand populärkultureller Klischees (oft mit beherrschenden Verschwörungselementen) geworden, so die Yale Society »Skull & Bones« in den Filmen »The Good Shepherd« (Robert de Niro, USA 2006) und »The Skulls« (USA 2000, mit zwei Fortsetzungen). Der chinesische Film »The House of Flying Daggers« (2004) des Regisseurs Zhang Yimou thematisiert die Geheimgesellschaft aus den Tagen der Tang Dynastie (die Handlung spielt im Jahr 859 n. Chr.), nach der er in seiner amerikanischen Version benannt ist, ebenso »The League of Extraordinary Gentlemen« (USA 2003), um auch an einem eher naiven Beispiel nicht vorbeizugehen. Und Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut« (1999, sehr frei nach der Erzählung »Traumnovelle« von Arthur Schnitzler, 1926) ist die faszinierende Geschichte eines Mannes (im Film Tom Cruise), der in einer Ehekrise in den Bann einer sexualmagischen Geheimgesellschaft gerät, wobei für ihn diese Erfahrung in ihrer traumhaft-albtraumhaften Ambiguität eine kathartisch-läuternde Wirkung hat. Dieser Film darf als eine der bedeutendsten neueren künstlerischen Umsetzungen des Themas »Geheimgesellschaft« gelten, gerade weil er sich jeder klischeehaften Etikettierung entzieht.

Auch die klassischen Romane des Genres Science Fiction bieten Beispiele, so die Bene Gesserit (ein Bund aufgeklärt-mächtiger »Hexen«) und die Bene Tleilax im »Dune Universum« des Frank Herbert, die »Brotherhood« in George Orwells »Nineteen Eighty-Four« (1948), das »Central Anarchist Council« in G. K. Chestertons »The Man Who Was Thursday« (1908), »Cabal« in diversen Romanen Robert A. Heinleins, das »Committee to Unelect the Patrician« und die »Elucidated Brethren of the Ebon Night« in der »Discworld Series« des Terry Pratchett, usw. Ein Geheimbund sind die Talamasca in Anne Rice´ Serie »Witches Chronicles« (1990ff.). Die Beispiele lassen sich nahezu beliebig vermehren. Häufig ist eine vage Anlehnung an reale, geschichtlich vorgegebene Gruppen, so in den Romanen von Dan Brown, aber auch z.B. in Elizabeth Kostovas hochgelobtem neueren Vampirroman »The Historian« (»Order of the Dragon«), der 2005 erschien. Die »Second Foundation« in Isaac Asimovs »Foundation«-Serie ist ursprünglich ein Geheimbund. In den Harry Potter-Romanen der J. K. Rowling spielen zahlreiche Geheimgesellschaften – oft zu einem bestimmten, begrenzten Zweck gebildet – eine tragende Rolle, im Guten wie im Bösen, so der »Order of the Phoenix«, die »Death Eaters« und schließlich »Dumbledore´s Army«. Parodien sind häufig: Wer könnte je die Simpsons-Episode »Homer the Great« (Erstsendung 1.8.1995) vergessen mit ihrer geistreichen, nicht unfreundlichen, aber doch heftigen und in vielem nur für Insider verständlichen Satire auf das Brauchtum der Freimaurer (unter dem Namen »The Stonecutters«)? Schon die Hanna Barbera-Zeichentrick-Serie »The Flinstones« (1960-1966) hatte mit ihren »Wasserbüffeln« eine Parodie auf geheimnistuerische Männerbunde nach freimaurerischem Muster; auch hier war das satirische Element nicht unfreundlich. Kaum erinnern müssen wir an den Klassiker dieses Genres, den Film »Sons of the Desert« (dt. »Die Wüstensöhne«) mit Stan Laurel und Oliver Hardy (USA 1933). Gerade satirische Bearbeitungen sind für die Klischee- und Stereotypforschung oft besonders aufschlussreich.

In solchen literarischen und filmischen Umsetzungen, in denen der »Geheimbund« zum stabilen Motiv wird, spiegeln sich erwartungsgemäß jeweils konkrete gesellschaftliche Erfahrungen und vor allem öffentliche Diskussionen, die hier nun weitergeführt, radikalisiert, eventuell parodiert werden. Manche scheinbar fantastische Darstellung ist vielleicht erst im Rückblick als Bearbeitung zeitgenössischer Fragestellungen erkennbar. Als John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) plante, eine Fortsetzung zu »The Lord of the Rings« (1954), dem ohne Frage bekanntesten Fantasy-Roman des 20. Jhdts., zu schreiben, wählte er als Thema das Erstarken einer böse Geheimgesellschaft, gewissermaßen einer Untergrundreligion in einer Welt, die einige Jahre nach dem Tod der letzten Figuren des »Lord of the Rings« zu datieren ist. Es ist viel zu wenig bekannt, dass Tolkien eine solche Fortsetzung seines Magnum opus nicht nur geplant, sondern tatsächlich schon seit Ende der 1950er Jahre in mehreren Anläufen angefangen hatte zu schreiben, auch wenn der Text erst 1996 posthum unter dem Titel »The New Shadow« publiziert wurde. Dieses Fragment eines neuen Romans ist in seiner letzten Fassung intensiv durch die breite Diskussion dieser Jahre in Hinsicht auf neue, irritierende Religionen (damals sagte man: »Jugendreligionen«) geprägt. Es sind geheime Kulte unter Jugendlichen, die den Ring-Krieg nicht erlebt haben und Sauron wieder zu Kraft und Einfluss verhelfen wollen: »secret societies practising dark cults, and ‹orc-cults’ among adolescents« nennt sie Tolkien in einem Brief 15 Monate vor seinem Tod. Er schreibt dies zu einer Zeit, als sich die bürgerliche Angst gegenüber neuen Religionen unter Jugendlichen in Großbritannien (und Deutschland) auf einem Höhepunkt befand, Ländern, die zu dieser Zeit erst langsam in die multireligiösen Verhältnisse der Gegenwart hineingewachsen sind. Die verschwörerischen Jugendlichen in Tolkiens Romanfragment tragen schwarze Kleidung und nehmen sich die Orks und ihre Lebensverachtung zum Vorbild. Tolkien benutzt hier die Klischees der Sekten- und Satanismusangst: Es ist sehr schade, dass der Text Bruchstück geblieben ist, obwohl Tolkien mindestens drei Anläufe nahm, ihn fortzuführen. (Als Gründer satanistischer Geheimkulte erscheinen in Tolkiens Briefen übrigens auch die beiden »blauen Zauberer«, von deren Geschick wir in »The Lord of the Rings« nichts erfahren.) Tolkien hat sich in diesem Fragment in der Gestalt des greisen, aber körperlich rüstigen Borlas, der die geheimen Vorgänge zuerst beobachtet, ein literarisches Selbstporträt geschaffen. Die Ratlosigkeit, in der das Fragment endet, ist diejenige der bürgerlichen Gesellschaft vor neuen, als »geheim« und »untergrundhaft« empfundenen neuen Religionen und ihrer (gelegentlichen) Affinität zu »dunklen« Aspekten von Kultur. Aus dieser Aporie könnte sich erklären, warum Tolkien diesen Text trotz der genannten drei Anläufe nicht weiterschreiben konnte.

Unser kurzer exemplarischer Rundblick über Literatur und Film einschließlich der Populärkultur sensibilisiert uns für das imaginative Potential des Themas und seine bleibende gesellschaftliche Faszination. Erklären wir an dieser Stelle anhangsweise noch rasch die Herkunft der gehobenen, humanistendeutschen Redewendung »sub rosa« (eigentlich lateinisch »unter der Rose«), der seit alters die verborgenen Treffen von Geheimbünden und überhaupt alles bezeichnet, was im geheimen geschieht. Sie soll auf einen römischen Mythos zurückgehen: Cupido habe dem Gott Harpokrates (der mit einem Finger über dem Mund dargestellt und mit dem Schweigegebot der Mysterien zusammengebracht wurde) Rosen geschickt mit der Bitte, die Liebesaffären seiner Mutter Venus unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu wahren. Diese Geschichte deutet den römischen Brauch, Rosen über der Tür eines nichtöffentlichen Treffens aufzuhängen. Die Humanisten übernahmen dies als Redensart und übertrugen es auf diverse Lebensbereiche. »Was wir kosen, bleibt unter den Rosen«, schreibt Sebastian Brandt im »Narrenschiff« (1494), und später bei Goethe finden sich die Verse: »Dichter lieben nicht zu schweigen, wollen sich der Menge zeigen, Lob und Tadel muss ja sein! Niemand beichtet gern in Prosa, doch vertrauen wir oft sub rosa in der Musen stillem Hain.« (»An die Günstigen«, Hamburger Ausgabe 1, 244). Über katholischen Beichtstühlen werden seit der Renaissance gerne geschnitzte Rosen dargestellt, ein Hinweis auf das strikte, in der Katholischen Kirche unverbrüchlich geltende Beichtgeheimnis.

Literatur:

John R. R. Tolkien, The History of Middle-Earth XII. The Peoples of Middle-Earth. Ed. by Christopher Tolkien. Boston u. New York 1996, 409-421 * Ders., Letters. A Selection by Humphrey Carpenter. London 1981, 344 u. 419 * Marco Frenschkowski, Leben wir in Mittelerde? Religionswissenschaftliche Beobachtungen zu Tolkiens »The Lord of the Rings«. In: Thomas Le Blanc, Bettina Twrsnick (Hrg.), Das Dritte Zeitalter. J.R.R. Tolkiens »Herr der Ringe«. Tagungsband 2005. Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar 92. Wetzlar 2006, 240-264 * Über Dan Browns Romane und ihren Gehalt an Realität und Fiktion s. mit weiterführenden Literaturangaben Marco Frenschkowski, Mysterien des Urchristentums. Wiesbaden 2007, 41-99. 229-244 u.ö.

Zur Soziologie der Geheimbünde

Last not least wäre es auch möglich, eine Typologie realer Geheimbünde unter rein soziologischen Kategorien zu entwerfen. Die Spannbreite wäre freilich sehr groß, selbst wenn wir nur Bünde des 20. Jhdts. und moderner Sozietäten betrachteten und außer acht lassen, was Antike, Mittelalter und archaische Gesellschaften zum Thema beitragen. Manche Vereinigungen haben einen ausgesprochenen Oberschichtscharakter, andere finden ihre Mitglieder in eher unteren schlichteren Verhältnissen. Die kleinen okkulten Gesellschaften im Deutschland der Jahre 1900-1930 trafen sich oft im Hinterzimmer von Kneipen, in Wohnzimmern oder sonst privaten Verhältnissen, während die gleichzeitigen okkulten Vereinigungen Großbritanniens sich auf höheren sozialen Niveaus bewegten und of über eigene Häuser verfügten. Gesellschaften wie die Freimaurer besitzen seit langem eine völlig andere gesellschaftliche Stellung und auch ein anderes Potential als die zahlreichen kleinen Bünde, die oft nur wenige Jahre bestehen. Manche »Geheimgesellschaft« war und ist in Wahrheit ein Lesezirkel und Debattierclub, der sich selbst einen mysteriösen Anstrich gibt. Die Frage, aus welcher Klientel sich ein Geheimbund nährt, ist auch ohne sozialempirische Untersuchungen (die selten möglich sind) oft überraschend schnell zu beantworten, wenn Mitgliederlisten oder sonst Rahmenfakten bekannt sind. Indizien sind z.B. auch Werbeträger und Kommunikationswege eines Bundes, die manchmal besser bekannt sind als die Namen der Mitglieder. Dabei sind die nationalen Unterschiede erheblich. Die deutsche Okkultszene des frühen 20. Jhdts. hat sich z.B. in ihrem Bildungsniveau im Allgemeinen deutlich unterhalb der britischen bewegt. Das gesellschaftliche Ansehen, das realen Bünden wie den Freimaurern entgegengebracht wird, unterscheidet sich deutlich und entsprechend ist die Attraktivität eines Bundes für Menschen von unterschiedlichem Status und Hintergrund sehr unterschiedlich. Wir werden an der einen oder anderen Stelle Hinweise zu diesen soziologischen Gesichtspunkten geben, ohne sie befriedigend vertiefen zu können. Eine umfassende Aufarbeitung soziologischer Aspekte zum Thema existiert bisher nur für Teilbereiche.

Wer sich für die vielen Service Clubs, Industrie-, Wirtschafts- und Business Clubs wie LIONS International (seit 1917) oder die Rotary Clubs (seit 1905, beide gegründet in Chicago), die heutigen Logen und logenähnlichen Vereinigungen, die studentischen Verbindungen bzw. Korporationen, die modernen Ritterorden und logenähnlichen Systeme, Vereine wie Schlaraffia etc. und ihre Bedeutung v.a. im deutschen Sprachraum sowie ihre jeweiligen Hintergründe, Aufnahmeregeln und Zielrichtungen interessiert, sei auf das faktenreiche Buch von Edwin A. Biedermann, Logen, Clubs und Bruderschaften. Düsseldorf 2004 (Neuausgabe angekündigt) hingewiesen, das sich vor allem der nachprüfbaren Beschreibung möglichst vieler einschlägiger Vereinigungen widmet. Es grenzt thematisch vielfach an unsere Fragen an, und zeigt sehr schön, dass auch ganz »säkulare« Vereinigungen ohne irgendwelche religiösen, okkulten oder auch politischen Abzweckungen in einem gewissen Umfang Nichtöffentlichkeit, Diskretion und Geheimhaltung praktizieren. Diese sind also offenbar menschliche Grundbedürfnisse in unserem allgemeinen Vergesellschaftungsstreben.

Vorwort

Geheimbünde, Gesellschaften und Gruppen mit Elementen der Geheimhaltung sind ein Thema der tatsächlichen äußeren Geschichte. Vor allem aber sind sie ein Thema der Imagination: Sie beschäftigen unsere Fantasie, sie verbinden sich mit Faszination, Hoffnung und Angst. Die vorliegende kulturgeschichtlich orientierte Übersicht kann und will die Facetten des Themas nur exemplarisch behandeln. Dabei sollten nicht so sehr möglichst viele Gruppen, sondern möglichst viele kulturelle Aspekte des Themas anhand konkreter Beispiele zur Sprache kommen. Der Fragehorizont ist also durchgehend kulturgeschichtlicher Art. Welchen Platz, welchen sozialen und imaginativen Stellenwert in den jeweiligen Gesellschaften und Kulturen nehmen reale oder fiktionale Gruppen ein, die Geheimhaltung praktizieren? Wie interagieren sie mit ihrer kulturellen, sozialen und religiösen Umwelt? Inwiefern werden sie zum Gegenstand gesellschaftlicher Hoffnungen, Utopien, aber auch Befürchtungen und Unterwanderungsängste?

Dieses Buch ist nicht mit den Arbeitsmethoden des investigativen Journalismus entstanden, sondern mit denen der traditionellen historischen Quellenarbeit. Fast alle Informationen entstammen öffentlich zugänglichen Quellen (wobei Bücher entgegen einem sich ausbreitenden Aberglauben nach wie vor wichtiger sind als das Internet). Allerdings ist dies insofern cum grano salis zu nehmen, als nicht wenige der hier verarbeiteten Quellen und Studien nur in wenigen Bibliotheken vorhanden sind (in Deutschland öfters gar nicht). Mein Dank gilt daher einerseits den institutionellen Bibliotheken, die ich benutzen konnte (insbesondere der Library of Congress, Washington, DC, und verschiedenen freimaurerischen Bibliotheken), außerdem privaten Sammlern, die mir manches zugänglich gemacht haben, und last not least auch den Spezialantiquaren, deren in mühevoller Arbeit entstandene Kataloge mich oft erst auf Bücher aufmerksam gemacht haben, die über akademische Bezugssysteme kaum aufzufinden sind (z.B. Todd Pratum, um nur einen von vielen zu nennen). Trotz der unübersehbaren Produktion an populären oder (was nicht identisch ist) sensationalistischen Büchern zum Thema ist die Zahl seriöser, wissenschaftlich verantworteter Monographien durchaus überschaubar. Am besten erforscht ist natürlich die Geschichte des Freimaurertums in seinen zahlreichen Schattierungen, aber auch über eine Reihe anderer Gemeinschaften existieren solide Arbeiten. Gruppen wie die bayerischen Illuminaten sind in den letzten Jahren Objekt ausgedehnter Untersuchungen gewesen. Es ist oft gar nicht so schwierig zu eruieren, was sich tatsächlich über eine Gruppe sagen lässt – viel schwieriger ist oft die Frage, wie und warum bestimmte Vorurteile, Klischees, Verschwörungsideen oder Legenden entstanden sind. Eine Arbeit über Geheimgesellschaften kann sich aber nicht auf das »Tatsächliche” beschränken, sondern muss gesellschaftliche Projektionen und Klischees in die Untersuchung miteinbeziehen. Diese müssen selbst Gegenstand der Forschung sein: Warum treten zu bestimmten Zeiten bestimmte Gruppen in den Mittelpunkt des literarischen oder sonstigen gesellschaftlichen Interesses? Warum z.B. ist die französische Revolution mit einem explosionsartigen Anwachsen der Verschwörungsliteratur mit Blick auf Geheimbünde verbunden gewesen (an dem auch die deutsche Klassik partizipiert)? Solche Fragen sollten hier zumindest exemplarisch zur Sprache kommen.

Ich bin kein Mitglied oder Sympathisant einer der hier vorgestellten Gruppen, sondern arbeite als Religionswissenschaftler über Fragen an den Schnittstellen zwischen Religion und allgemeiner Kulturgeschichte. Mein weiterer Hintergrund als evangelischer Theologe spielt kaum in die Untersuchung hinein, da Wertungen aus dem Blickwinkel evangelischer Theologie nicht ein primäres Anliegen dieser Studie sein sollten (so legitim und notwendig sie am gegebenen Platze sind). Im Gegenteil habe ich mich bemüht, traditionelle kirchliche (und akademische) Berührungsängste möglichst zu vermeiden, und Phänomene und Gruppen ausschließlich nach ihrer kulturellen Bedeutung und der Vielfalt der durch sie sichtbar zu machenden Aspekte des Themas auszuwählen. Ich habe in vielen Gesprächen mit Menschen unterschiedlichster Anbindung gelernt, dass ein Zurückstellen des Wertens und Urteilens oft erst die Türen zu den interessanteren Informationen öffnet. Allerdings ist dieses Buch in erster Linie nicht aus Interviews erwachsen, obwohl ich im Laufe der Jahre viele Gespräche mit Mitgliedern einer ganzen Zahl hier vorgestellter Gruppen führen konnte, so in den USA, Kanada, Indien, Korea, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern, weniger aber in Deutschland. Doch habe ich gelegentlich auf neuere und neueste Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich des investigativen Journalismus hingewiesen, wenn mir dies förderlich erschien. Dabei bin ich der Hoffnung, neben einer allgemeinen Übersicht auch Informationen zu bieten, die auch solchen Leserinnen und Lesern weniger vertraut oder gänzlich unbekannt sind, die schon manches der zahllosen Bücher zum Thema gelesen haben. Über die bekannteste aller Geheimgesellschaften, die Freimaurer, handle ich nur ganz kurz, da es über sie zahlreiche exzellente knappe und auch ausführliche Darstellungen gibt. Überhaupt habe ich auf die Wiedergabe von manchem verzichtet, was sehr gut bekannt ist, um eine Reihe weniger bekannter, aber kulturgeschichtlich m.E. ebenfalls wichtiger Erscheinungen vorzustellen.

Mein Schwerpunkt liegt also auch nicht auf dem »Neuen« und »Sensationellen«, sondern auf kulturgeschichtlichen Fakten und ihrer Relevanz und Aussagekraft für größere kulturelle und religionsgeschichtliche Zusammenhänge. Die Unterscheidung von historisch verifizierbaren Fakten, plausiblen Erwägungen und Spekulationen ist natürlich schlechterdings fundamental. Jedoch sind Spekulationen und Projektionen selbst kulturelle Tatsachen, wenn sie eine gewisse Ausbreitung erfahren, wie wir gerade aus unserem Thema nachhaltig lernen können. Auch der einsame Verschwörungstheoretiker, der seine Gedanken allenfalls auf einer Internetseite verbreitet, ist ein Teil unserer Kultur – und seine Zuhörer sind oft eine weit größere Gruppe, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Daher sind Gegenstand dieses Buches auch allerlei Theorien, die nicht durch allgemein zugängliche Fakten abgestützt werden – die Theorien, Ideen, Gerüchte und Hypothesen sind hier eben selbst kulturelle »Fakten«, die als solche Beachtung verdienen. Aus dem gleichen Grund treten in diesem Buch auch nicht wenige Themen in den Blick, um welche die Geisteswissenschaften herkömmlicherweise einen weiten Bogen zu machen pflegten. Dies kann sich eine empirische (nicht normative) Kulturwissenschaft jedoch nicht leisten. Kulturelle Phänomene sind nach quantitativen und qualitativen Kriterien zu beschreiben, auch wenn die sie tragenden Überzeugungen auf den Forscher nicht »seriös« wirken. Leitenden Überzeugungen müssen sogar sehr bewusst und programmatisch hintangestellt werden, um die betreffenden Überzeugungswelten in ihrer kulturellen Relevanz auch nur wirklich wahrnehmen zu können.

Es geht hier also oft nicht so sehr um »wahr« oder »falsch«. Was Menschen glauben und praktizieren – und die betreffenden Menschen selbst – sind Gegenstand kulturwissenschaftlicher Arbeit, nicht die letztliche Wahrheit ihrer Überzeugungen. Wenn z.B. weltweit wahrscheinlich mehrere Millionen Menschen behaupten, von »Außerirdischen« entführt und zum Gegenstand von Experimenten gemacht worden zu sein, ist das z.B. selbst ein erstaunliches kulturelles Faktum, das Analyse verdient – auch ganz unabhängig von der (natürlich legitimen und notwendigen) Frage, ob diesen Berichten irgendeine Art transsubjektiver Wahrheit zukommt. Der Glaube selbst, die Überzeugungswelten sind kulturelle Tatsachen von erheblicher Tragweite und Aussagekraft. Überzeugungen spannen einen imaginativen Kosmos auf, der zu unserem Lebensraum gehört. Ähnliches gilt für Spekulationen über Geheimgesellschaften, Verschwörungstheorien, aber auch utopische Bilder von idealen geheimen Orden. Sie selbst sind kulturgeschichtliche Fakten, aus denen etwas zu lernen ist über unsere Gesellschaft, ihre Geschichte und über den Menschen selbst als kulturelles Wesen, das nicht nur in der »realen« Welt lebt, sondern immer auch in einer imaginierten Welt, welche das Vorfindliche deutet und interpretiert. Damit ist der Fragehoriziont des vorliegenden Buches beschrieben. Wir beschreiben unser Thema systemisch – auch wenn dieser Gesichtspunkt hier jeweils nur sehr knapp skizziert werden kann.