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In Zürichs Innenstadt hatte der Regen aufgehört. Es dämmerte bereits. Josefa schloss die Eingangstür auf und stieg die Steinstufen des Treppenhauses hoch in den vierten Stock – einen Aufzug gab es in diesem etwas vernachlässigten, der Modernität trotzenden Haus nicht. Trotz aller Müdigkeit durchflutete Josefa ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Wieder zu Hause. Vorerst keine Hotelzimmer und Restaurants mehr. Sie lief durch die Zimmer ihrer Wohnung wie eine Katze, die nach tagelangem Herumwandern zurückgekehrt ist, nahm die vertraute Witterung auf. Sie öffnete die Fenster in den begrünten Hinterhof und sog die kühle Abendluft ein. Ihr Haus war Teil eines großen Gevierts von mehrgeschossigen Jugendstilhäusern, mit hohen Räumen und Stukkaturen an den Decken. Seit drei Jahren wohnte Josefa hier zur Miete. Sie flätzte sich in den Schaukelstuhl und ließ ihren Blick durchs Wohnzimmer schweifen: die Ölbilder an der Wand, die sie gemalt hatte, als ihr Leben noch nicht vom Terminkalender bestimmt wurde, das sonnengelbe Sofa, die Stapel von ungelesenen Magazinen (sie enthielten Anzeigen von Loyn-Taschen), die bunten Kissen auf dem Parkettboden, der schmale Perserteppich, die Bücherwand, die Tonfiguren aus Peru und die geliebte Lampe mit dem antiken chinesischen Porzellansockel. Sie war ein Erbstück ihrer Mutter, die mit sechsunddreißig Jahren an Krebs gestorben war, und hatte glücklicherweise alle Umzüge heil überstanden. Auf der kleinen Konsole aus meergrünem Glas stand Josefas Lieblingsphoto von der Mutter. Es war in ihrer Heimat Piemont aufgenommen worden, noch vor der Krankheit. Die Mutter lehnte sich über eine Mauer, im Hintergrund eine alte Kirche und Menschen auf dem Platz davor. Ihr dunkles Haar mit den Silberfäden wurde von einem gepunkteten Band aus dem bildhübschen Gesicht zurückgehalten. Plötzlich fiel Josefa auf, dass sie nur noch ein Jahr zu leben hätte, wenn sie ihre Mutter wäre. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie spürte einen Anflug von Kopfschmerz.
Rasch legte sie eine CD ein und verschmolz für eine Weile mit der Stimme von Jeff Buckley. Dann packte sie ihren kleinen Koffer aus und stieg mit einem Haufen Kleidungsstücke in die Waschküche hinunter, die sie mit den anderen Hausbewohnern teilte. Beide Waschmaschinen waren besetzt. Josefa seufzte und stieg wieder nach oben. Seit einem Jahr brachte die Stadtverwaltung im ersten und zweiten Stock Asylsuchende unter. Einige der alten Mieter hatten vergeblich dagegen protestiert. Josefa war es eigentlich egal. Sie war ohnehin die ganze Zeit unterwegs.
Sie legte sich ins Bett und schlief sofort ein. Als sie erwachte, war es fünf Uhr morgens. Leicht betäubt stand sie auf, weckte ihr Gesicht mit kaltem Wasser und schaute sich im Spiegel an. Ihre Haut wirkte trotz der leichten Rötung fahl. Unter den Augen lagen Schatten. Sie hielt sich am Rand des Waschbeckens fest, ihr war ein wenig schwindlig. Dann schleppte sie sich in die kleine Küche. Das Gefrierfach war voll mit Fertiggerichten. Sie rührte einen Getreidebrei mit heißem Wasser an und nahm vor ihrem Heimcomputer Platz. Unter den neuen E-Mails war auch eine Nachricht von Stefan, ihrem verheirateten Geliebten, der sich gerade auf Geschäftsreise in New York befand. »Bin am Dienstag wieder zurück.« Was bedeutete das? Würde er bei seiner Familie sein oder würde sie ihn dann sehen können? »Ruf mich an, sobald du da bist«, antwortete sie ihm. Dann sah sie die nächste EMail, und ein kalter Schauder überlief sie. Wieder der Absender nonoose@hotmail.com. Mit zittrigen Fingern klickte sie auf »Öffnen« und las auf Englisch: Eigentlich bin ich froh zu hören, dass du deine Fassung verloren hast. Es ist ein gutes Zeichen, wenn kranke Menschen wütend werden.
Sie starrte die Zeilen an, als sähe sie ein Gespenst vor sich. Wie war das möglich? Hatte sie jemand am Flughafen beobachtet? Hatte jemand gesehen, wie sie in eine dunkle Welt abgedriftet war? Vielleicht Francis Bourdin? Aber das konnte nicht sein. Sie hatte ihn hinausgehen sehen.
Erschrocken schaltete sie den Computer ab.
Dann zog sie sich eine Jacke über, griff nach der Aktentasche und stand fünf Minuten später in dem kleinen italienischen Laden an der Ecke, der schon um sechs Uhr morgens öffnete. Sie kaufte sich zwei Äpfel, ein Sandwich und eine Flasche Wasser. Dann fuhr sie mit der Straßenbahn in die Firmenzentrale.
Auf dem Korridor der vierten Etage kam ihr Claire Fendi entgegen. Sie trug immer noch ihre lindgrüne Loyn-Uniform. Der Schlafmangel hatte auch auf ihrem sonst so frischen Gesicht Spuren hinterlassen.
»Claire, Sie schon hier?«, fragte Josefa mehr rhetorisch.
»Sie ja auch«, sagte Claire mit ihrer hellen Stimme und versuchte, trotz ihrer offensichtlichen Erschöpfung einen leichten Ton anzuschlagen. »Ich habe Ihnen die Presse-Ausschnitte auf den Schreibtisch gelegt. Sie sind phantastisch. Und Curt Van Duisen hat ein Glückwunsch-Telegramm geschickt, und das im Zeitalter des Internets. Dieser Mann hat wirklich Stil.«
»Danke, Claire. Ohne Sie hätte ich es nicht geschafft, das wissen Sie.«
»Bourdin ist da anderer Meinung.« Josefa entging nicht, dass Claire angespannt war. Sie spürte, wie sich ihr Magen verhärtete. Da waren ihr so hervorragende Mitarbeiter wie Claire anvertraut, und Bourdin hatte nichts Besseres zu tun, als sie fertig zu machen.
»Ach, ignorieren Sie so was einfach«, sagte sie, wohlwissend, dass es ein schlechter Rat war, den sie selbst nicht befolgte. »Für unser Team sind Sie einfach unentbehrlich.«
Josefa meinte, was sie sagte. Als sie Bourdin ein Jahr nach ihrem Stellenantritt darum bat, eine persönliche Assistentin anheuern zu dürfen, hatte sie bereits Claire im Auge. Josefa brauchte eine loyale, zuverlässige Mitarbeiterin, die genauso in der Arbeit aufging wie sie selbst. Claire, Ende zwanzig, war ihre erste Wahl. Sie hatte mit der zierlichen rotblonden Frau, die nie viel Zeit und noch weniger die Nerven verlor, von Anfang an regelmäßig zusammengearbeitet. Claire war diejenige, die alle Geschäfts- und Werbereisen für Loyn organisierte, die im letzten Moment noch günstige Flugtickets auftrieb, für Extrawünsche stets ein offenes Ohr hatte, sicherstellte, dass Loyns Ambassadoren von den Fluggesellschaften wie rohe Eier behandelt wurden, und die immer wusste, welches die besten Reiserouten waren. Sie war ein echtes Organisationstalent.
Josefa erkannte Claires Potential schnell. Und sie wusste, sie würde rasch handeln müssen, bevor jemand anders dieses Talent unter seine Fittiche nahm. Sie wollte eine Assistentin, die sie aufbauen und nach allen Kräften fördern konnte, aber in dem sicheren Bewusstsein, dass ihr keine Konkurrenz erwachsen würde. Claire konnte ihr trotz all ihrer Fähigkeiten nicht gefährlich werden, das war Josefa rasch klar. Sie wirkte zu mädchenhaft und ihre Stimme war viel zu hoch und zu weich, als dass sie den Eindruck von Autorität vermitteln könnte. Diese Stimme passte zu Claires feingliedriger, kleinwüchsiger Gestalt, ihren kindlich runden Gesichtszügen mit den Sommersprossen und den zarten kleinen Händen. Josefa gab ihr Kalkül niemals preis, und manchmal schämte sie sich auch ein wenig für ihre Einstellung.
Sei’s drum. Die Arbeit drängte. Auf ihrem Schreibtisch lag die Mappe mit den Presse-Ausschnitten. Josefa setzte ihre Lesebrille auf. Alle waren sie in St. Moritz gewesen, die Illustrierten, die Boulevard-Blätter, aber auch die Finanzpresse.
Loyn war zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, dem man Beachtung schenken musste. Bourdin wusste die Medien für sich einzuspannen, selbst wenn es nur ein gesellschaftliches Ereignis wie die Pferdeschau in St. Moritz war.
Josefa erkannte die Gesichter der Prominenz, von denen vor allem eines strahlend herausstach: das von Joan Caroll. Josefa staunte immer wieder, wie gut Joan auf Bildern aussah, manchmal sogar besser als von Angesicht zu Angesicht. »Starqualität«, kommentierte Pius Tschuor, der Photograph von Loyn, öfters.
Auf dem Etagenkorridor begegnete sie Richard Auer, »unser aller Verkaufschef«, wie Josefa ihn insgeheim nannte. Sein firmeninterner Spitzname war Dick, passend zu seinem jungdynamischen, weltmännischen Auftreten. Er hatte das blonde Haar mit Gel geknetet, ein paar Fransen fielen ihm neckisch in die Stirn. Was machte der schon in der Zentrale? Josefa schob ihr Misstrauen wie einen Bulldozer vor sich her. Auer hingegen schien bester Laune. »Alle sind voll des Lobes für Sie, Frau Rehmer«, säuselte er, als ob er sich auch die Stimmbänder mit Gel eingeschmiert hätte. Auer war Deutscher, aus Hamburg, wie er stets betonte. »Danke«, sagte Josefa und drückte sich an ihm vorbei. Im Sitzungszimmer waren schon alle versammelt. Josefa fühlte ihr Herz pochen. Ihr Team. Sie hatte es selbst aufgebaut. Zehn Leute waren ihr unterstellt, vom Alter her gemischt, weil sie beides wollte: Dynamik und Erfahrung. Dieses Team war ihr ganzer Stolz.
Jetzt stellte Albert Tenning, der Jüngste unter ihnen, einen Korb voll duftender Buttercroissants auf den ovalen Tisch. »Fangen wir an«, rief sie in die Runde. Als sie in die zehn Gesichter schaute und gerade zu einer Lobrede auf das Team ansetzen wollte, fiel ihr Blick auf Claire. Etwas an ihrem Ausdruck befremdete sie. Claire schien nicht nur übernächtigt zu sein, sondern irgendwie entrückt. Was war bloß los? Nun, das würde sie später klären. Routiniert fasste Josefa die Ereignisse der vergangenen Tage kurz zusammen, teilte Anerkennung und Dank aus, machte Verbesserungsvorschläge, hörte sich die Stellungnahmen ihrer Mitarbeiter an.
Niemand erwähnte Joans Abwesenheit beim Gala-Diner im Festzelt, obwohl es an jenem Tag das Thema Nummer eins gewesen war. Doch Josefa hatte die Parole ausgegeben, dass sie das mit der Firmenleitung regeln würde. Wenn Bourdin zu Ohren käme, dass ihre Mitarbeiter offen darüber lästerten, könnte er Josefa mangelnde Loyalität gegenüber der Firma vorwerfen. Das war allen im Team klar.
Nachdem Josefa die Sitzung für beendet erklärt hatte, kam Bianca Schwegler, ihre Sekretärin, auf sie zu. »Um neun Uhr findet eine Sitzung mit dem CEO im großen Konferenzraum statt.« Es blieben gerade noch zwanzig Minuten.
Josefa suchte Claire. Sie stand bereits hinter ihr und drückte ihr ein Telegramm in die Hand. »Lesen Sie das, bevor Sie in die Konferenz gehen«, raunte sie. Josefa hielt sie am Arm fest. »Wir müssen uns nachher unterhalten.« Claire schaute sie mit einem Blick an, der Josefa geradezu gehetzt vorkam. Dann nickte sie.
Die wöchentliche Sitzung mit Bourdin fand, wenn er nicht gerade im Ausland war, immer am Freitagmorgen statt. Das war Routine. Doch diesmal war der Raum ungewöhnlich voll: Bourdin hatte die regionalen Verkaufsleiter aus verschiedenen Ländern nach Zürich kommen lassen. Und Josefa darüber nicht informiert. Sie hätte ihn in der Luft zerreißen können. Er thronte bereits am Kopfende des Konferenztisches. Hans-Rudolf Walther, Präsident des Verwaltungsrates und steinreicher Besitzer von Loyn, saß neben ihm. Stand etwas Wichtiges an, von dem sie nichts wusste? Walther war zwar bekannt dafür, dass er sich gern auch persönlich um die Tagesgeschäfte von Loyn kümmerte. Mit seinen siebenundfünfzig Jahren war er noch zu jung, um sich aufs Altenteil zu setzen. Doch an den Freitagskonferenzen nahm Walther nur ganz selten teil.
Bourdin hatte bereits mit seinem üblichen Redeschwall begonnen. »… zu einer Marke des vorurteilslosen Zeitreisenden rund um den Globus etabliert … moderne Nomaden, die den Eckpfeiler ihres Wirkungskreises in bleibender Ästhetik suchen …« Manchmal überschlug sich seine Stimme leicht. Josefa merkte plötzlich, dass sie immer noch das Telegramm in ihren Händen hielt. Sie lehnte sich etwas zurück und öffnete es auf ihrem Schoß.
Liebe Frau Rehmer,
erlauben Sie mir, Ihnen meinen tief empfundenen Dank auszudrücken für die herzliche und kompetente Weise, mit der Sie Ihre Gäste umsorgen. Sie haben mir und meiner Frau wunderschöne und anregende Tage in einem höchst angenehmen Umfeld ermöglicht. Herzliche Gratulation!
Ihr Curt Van Duisen
Josefas Herz machte einen Sprung. Curt Van Duisen galt als alter Freund von Walther. Wenn das kein gutes Zeichen war. Wie durch eine Nebelwand hörte sie Bourdins Stimme: »… dank unserer Mitarbeiter, die ihr Letztes gaben …« Josefa steckte das Telegramm in die Hosentasche. Bourdins Rede näherte sich nun offensichtlich ihrem Ende. »… unsere Projektleiterin …, Verkaufsleiter USA …, die Chefin der PR-Abteilung …, und last but not least« – Josefa richtete sich unmerklich auf – »unserem Chef Hans-Rudolf Walther, der das alles möglich macht. Sie alle haben einen Applaus verdient.«
Josefa saß einen Moment lang völlig unbeweglich da. Er konnte es doch nicht wagen, sie so offensichtlich zu ignorieren! Alle hier wussten, dass sie in St. Moritz unter schwierigen Umständen das Unmögliche geschafft hatte. Josefa spürte, wie sich einige Blicke auf sie richteten. Bourdin kündigte nun an, dass er den Verkaufsleitern den neu eröffneten Schauraum mit Exponaten aus allen bisherigen Loyn-Kollektionen im Empfangsgeschoss zeigen werde, »ein architektonisches Juwel«, wie er prahlte. Das war’s also.
Josefa verharrte noch auf ihrem Platz, unschlüssig, was sie tun sollte. Bourdin zur Rede stellen? Hans-Rudolf Walther kam auf sie zu. »Frau Rehmer, ich würde mich gerne unter vier Augen mit Ihnen unterhalten.« Er legte väterlich seine Hand auf ihren Arm und lächelte. »Kommen Sie doch in zehn Minuten in mein Büro.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und tauchte ins Getümmel.
In ihrem Büro zog Josefa die Unterlagen für die nächste große PR-Veranstaltung heraus, ein Musik-Festival mit berühmten Interpreten, für das sie schon ein Konzept vorbereitet hatte. Vielleicht würde Walther etwas darüber erfahren wollen. Sie eilte auf die Toilette, machte sich frisch und nahm den Aufzug in die oberste Etage.
Walther war natürlich noch nicht da. Es war das Privileg der Mächtigen, andere warten zu lassen. Seine Sekretärin bot ihr einen Sessel an. Josefa stellte sich stattdessen ans Fenster. Die herrliche Sicht auf den Zürichsee und die Alpen am Horizont nahm sie gefangen. Es sah aus wie ein Gemälde von Ferdinand Hodler. Die Stadt lag ihr zu Füßen. Josefa gingen Bilder eines warmen Sommerabends durch den Kopf, sie sah Wellen, die gegen Steine schwappten, ihre braun gebrannten Beine, die im warmen Wasser versanken, einen stolzen Schwan, der aufrechten Hauptes vorbeizog, Boote mit geblähten Segeln …
»Frau Rehmer.« Hans-Rudolf Walther war ins Vorzimmer getreten. Er war die sprichwörtlich graue Eminenz bei Loyn. Alles an ihm war grau – der Anzug, die Krawatte, das Haar, selbst seine Haut schien grau zu sein. Jetzt streckte er einladend die Hand zu seinem Büro aus. Josefa folgte seiner Aufforderung, nahm an einem kleinen runden Tisch Platz und legte ihre Unterlagen darauf.
»Ja, Frau Rehmer«, begann nun Walther in der etwas aufgedrehten, jovialen Art etablierter Männer, die einer deutlich jüngeren Frau etwas zu erklären wünschen. »Ihre Leistung war wieder einmal großartig. Wir wissen das alle außerordentlich zu schätzen. Seit Sie das Event Marketing unter sich haben, läuft das ja ganz prächtig.«
»Das freut mich, Herr Walther.« Sie konnte sich den nächsten Satz nicht verkneifen. »Es hätte mich noch mehr gefreut, wenn das in der Konferenz erwähnt worden wäre.«
Walther gab seinem Körper einen leichten Dreh nach links. Sein Siegelring blitzte auf. »Ach, sehen Sie, Sie dürfen das nicht so tragisch nehmen. Francis Bourdin ist ein spontaner Mensch, ein bisschen unstrukturiert manchmal, wie eben Genies so sind. Er hat das in seiner Begeisterung ganz einfach vergessen. Deshalb hole ich das jetzt nach. Sie liegen uns sehr am Herzen.« Er schaute sie an, als ob sie jetzt gleich zu schmelzen hätte.
Was immer Bourdin auch tat, Walther würde ihn decken. Bourdin war zu wichtig für die Firma. Walther hatte auf dieses Pferd gesetzt, und der Erfolg von Loyn gab ihm Recht.
Er redete bereits weiter, ohne ihre Antwort einzuholen. »Sie haben in den letzten Tagen fast Übermenschliches geleistet, Frau Rehmer. Sie hatten ja kaum Zeit zum Luftholen. Das soll anders werden. Wir möchten Sie ein wenig von Aufgaben entlasten, die eigentlich nichts mit Ihrer Kerntätigkeit zu tun haben.«
Jetzt kommt’s, dachte Josefa. Ich wusste, es kommt.
Walther spreizte die Finger beider Hände und legte sie wie zu einer Kuppel aufeinander. »Wir haben beschlossen, die Position des Marketingchefs wieder von außen zu besetzen.«
Josefa versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. »Herr Walther, Ihre Entscheidung erstaunt mich sehr. Besonders nach den schlechten Erfahrungen, die wir damit gemacht haben.« Walther wusste, wovon sie sprach. Der Posten des Marketingchefs war vakant, weil der Mann, der ihn zuletzt besetzt hatte, ein Fiasko gewesen war. Er hatte alle in der Firma verrückt gemacht. Seither hatte Josefa den größten Teil seiner Aufgaben übernommen, und Bourdin machte den Rest.
»Wissen Sie«, erklärte Walther, »wir brauchen einen kompetenten Chef für einen so wichtigen Bereich. Wir brauchen einen Vermittler, ein Scharnier, einen Ansprechpartner für unsere Mitarbeiter, für unsere Gäste, für die Firmenleitung.«
»Unsere Mitarbeiter? Unsere Gäste? Das funktioniert doch alles bestens«, entfuhr es Josefa. Ihr wurde schlecht vor Wut. Am liebsten hätte sie ihm Van Duisens Telegramm gezeigt – aber nein, sie war kein Kind, das um Anerkennung buhlte.
»Frau Rehmer«, fuhr Walther in seinem väterlichen Ton fort, »niemand zweifelt an Ihrer Tüchtigkeit. Vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden. Wir wollen Sie einfach nur ein wenig entlasten. Damit Sie sich auf Ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Und ich bin überzeugt, dass wir diesmal einen außerordentlich fähigen, hervorragenden Kandidaten gewinnen konnten. Sein Name ist Werner Schulmann.«
Josefa verschlug es die Sprache. Ihr war, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen.