Cover

Über dieses Buch:

Das war wohl ein Vodka-O zu viel: Als David nach seiner Geburtstagsparty ohne Erinnerung erwacht, ist er frischgebackener Single. Aus dem Tief hilft nur Spaß total. Ab geht's in den Spanien-Urlaub. David ist wieder König – wenigstens für einen Sommer. Mit dabei ist sein Hofstaat Schlucki, Rudi und Ost-Ei. Und es wird gefeiert mit jeder Menge Bier und der ein oder anderen illegalen Substanz. Schnell ist die Exfreundin vergessen – denn es gibt auch andere hübsche Mädchen. Um genau zu sein, eines: Kelly. Doch David denkt: Die Frau ist einfach zu schön für mich …

Den Kater kann man auskurieren – Liebe nicht!

Über den Autor:

Jochen Till, geboren 1966 in Frankfurt, wollte eigentlich Rockstar werden. Trotz seines unbestreitbaren Desinteresses an Buchhaltung schloss er im Alter von 22 Jahren das Wirtschaftsgymnasium ab. Neun Jahre später veröffentlichte er sein erstes Buch. Nachdem er einige Jahre in einem Comic-Laden gearbeitet hat, widmet er sich heute ausschließlich dem Schreiben – und dem Genuss zahlreicher Fernsehserien.

Von Jochen Till erschienen bei dotbooks bereits Bekenntnisse eines Serienjunkies.

Die Website des Autors: www.jochentill.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/JochenTillAutor

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Neuausgabe Juni 2013

Copyright © der Originalausgabe 2001 Arena Verlag GmbH Würzburg

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: Zapf (www.zapf-zeichnet.de)

ISBN 978-3-95520-293-4

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Jochen Till

König für einen Sommer

Roman

dotbooks.

INHALT

PROLOG

SEIFE, TÄGLICH

BACKSTEINROT

OLD BLUE EYES

WAS BIN ICH?

DIE BOTSCHAFTER

POPSTARS, VERHINDERT

TECHNO, VERSTANDEN

GROSS UND KLEIN

LESETIPPS

PROLOG

ES WAR Mittwoch ... oder Donnerstag? Ich wusste es nicht genau, als ich meine Augen öffnete. Ernsthaft Sorgen machte ich mir deswegen nicht, schließlich war es nicht das erste Mal, dass ich meine innere Uhr verloren hatte; sie würde schon wieder auftauchen. Da war noch etwas anderes, das fehlte, etwas Größeres, aber ich kam nicht drauf, was es sein könnte. Ich lag auf meinem Bett und der Reißverschluss meiner Lederjacke piekste in meiner linken Backe, was mich vermuten ließ, dass ich am Abend zuvor wohl recht heftig getrunken hatte. Apropos linke Backe: Meine gesamte linke Gesichtshälfte schmerzte höllisch. Es brannte, als ob mir jemand ein Brandzeichen in der Größe eines Bügeleisens verpasst hätte, doch ich konnte mich an nichts erinnern. Ich stand auf. Mein Mund war so trocken, als hätte ich einen Staubsaugerbeutel gefrühstückt. Der Gedanke an Flüssigkeit veranlasste meinen Körper, mir einen Überschuss selbiger anzuzeigen, und so schlurfte ich erst mal ins Bad.

Nachdem ich mich erleichtert hatte, stand ich schließlich meinem Spiegelbild gegenüber, und was ich dort sah, wollte mir überhaupt nicht gefallen. Verdammt, was war bloß passiert? Meine linke Backe war knallrot und dick geschwollen, mein linkes Auge gab der Farbe Blau eine völlig neue Bedeutung. Und dann mein Mund! Beim Anblick meiner Unterlippe musste ich unwillkürlich an das Foto eines afrikanischen Medizinmannes denken, das ich kürzlich in einer Illustrierten gesehen hatte. In dessen Unterlippe hätte man locker zehn Weihnachtsbaumkugeln piercen können, in meine jetzt mindestens fünf.

Wenigstens wusste ich jetzt, dass der Schmerz beim Aufwachen keine Einbildung gewesen war.

Ich ging in die Küche. Im Kühlschrank war außer ein paar Flaschen Bier und einer säuerlich riechenden Tüte Milch nichts Trinkbares zu finden. Schweren Magens entschloss ich mich für ein Bier und ging ins Wohnzimmer. Ich schob eine Oasis-CD ein, drehte auf, fläzte mich auf die Couch und steckte mir eine an wie immer, wenn es mir dreckig ging. Das Bier und die Zigarette taten mir – zumindest meinem Kopf – gut, doch die Erinnerung an den letzten Abend weigerte sich nach wie vor zu mir zurückzukehren. Ich schloss die Augen und sang leise »Wonderwall« mit.

DIE KLINGEL meiner Haustür riss mich aus einem Traum, ich war wohl wieder eingeschlafen. Es klingelte Sturm, sehr aufdringlich und hektisch, und ich schleppte mich widerwillig zur Tür. Durch den Spion sah ich meinen guten Freund Flo. Ich öffnete die Tür und Flo stürzte herein.

»Hey, David! Noch mal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Hier, mein Geschenk. Hatte ich gestern vergessen.«

Er drückte mir etwas verpacktes CD-Förmiges in die Hand und zog seine Jacke aus. Ich hatte also Geburtstag. Das war mir neu, erklärte aber das Übermaß an Alkohol am Abend zuvor. Wie alt ich wohl geworden war?

»Mann, sieht ja krass aus, dein Gesicht! Hätte nie gedacht, dass sie so zuschlagen kann. Und, wie fühlt man sich so mit 25 und ohne Freundin?«

Das war es! Das war es, was ich nach dem Aufwachen auch vermisst hatte. Meine Freundin. Warum war sie nicht hier? Und das an meinem 25. Geburtstag. Ich war verwirrt.

»Moment«, sagte ich. »Jetzt mal ganz langsam! Lass uns erst mal in die Küche gehen und dann erzählst du mir alles ganz genau. Ich weiß nämlich absolut gar nichts mehr von gestern Abend.«

Ich bugsierte ihn in die Küche, platzierte ihn auf einem Stuhl und machte uns zwei Bier auf.

»So«, fuhr ich fort, »jetzt noch mal von vorn. Ich hatte bis eben sogar vergessen, dass ich heute Geburtstag habe. Oder hatte ich gestern schon? Der Wievielte ist heute überhaupt?«

Flo lachte.

»Also«, drängte ich, »was sollte das vorhin bedeuten? Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass Christine mich so zugerichtet hat? Nicht meine Chris! Warum sollte sie?«

»Doch, doch, glaub's mal. Es war Chris. Und sie hatte einen guten Grund dafür. Kannst froh sein, dass du noch lebst. Ich dachte, sie bringt dich um.«

»Aber warum, verdammt?«

Flo grinste über sein ganzes breites Gesicht. Nichts machte ihm in diesem Moment mehr Spaß, als mich zappeln zu lassen, und ich hasste ihn dafür.

»Jetzt lass dich nicht so feiern!«, sagte ich ungeduldig. »Du weißt, wenn es um Chris geht, hört der Spaß bei mir auf. Was ist passiert? Warum hat sie das gemacht? Raus damit!«

»Okay, okay, reg dich ab. Ich erzähl's ja schon«, hörte ich ihn sagen, musste aber noch mit ansehen, wie er sich genüsslich und scheinbar in Zeitlupe eine Zigarette ansteckte und einen tiefen Schluck aus seiner Flasche nahm.

»Also, pass auf«, begann er endlich fast lehrerhaft. »Wir waren gestern Abend im Jenseits, um in deinen Geburtstag reinzufeiern.«

»Wer alles?«, wollte ich wissen.

»Die ganze Crew. Andi, Wolf, Beckmann, Simone, Claudia, Jessie, Pia, du und ich. Na, dämmert's ein bisschen?«

Bei einem der Namen war es mir kalt den Rücken heruntergelaufen, aber da ich dieses Gefühl nicht einordnen konnte, verneinte ich diese Frage. Flo fuhr fort.

»Du hast mit Wolf, Andi und Beckmann Asse ziehen gespielt und nur verloren. Danach hast du noch schätzungsweise zehn Wodka-O und etliche Biere abgezogen. Alles noch vor zwölf.«

»Okay, ich war also voll.«

»Sternhagelvoll. Erinnerst du dich vielleicht noch daran, wer die ganze Zeit neben dir saß?«

»Nein, nichts.«

»Pia saß den ganzen Abend neben dir.«

Das war der Name, den ich gefürchtet hatte. Pia. Nichts gegen Pia; sie ist sehr nett. Und seit zwei Jahren hinter mir her, als wäre ich das letzte Exemplar meiner Gattung. Ich hatte ihr schon tausendmal gesagt, direkt gesagt und offen ausgesprochen, dass ich nichts von ihr will, aber das hinderte sie keinesfalls daran, es immer wieder zu versuchen. Mir schwante Böses.

»Und?«

»Na ja, als Chris um Punkt zwölf hereinkam, um dich zu überraschen, hattest du gerade deine Zunge in Pias Mund und deine Hand unter ihrem T-Shirt.«

»Verdammte Scheiße! Ich Vollidiot!«

»Ja, genau. Aber das war noch nicht alles.«

»Was denn noch?«

»Chris ist natürlich sofort ausgerastet. Sie schrie dich an und versuchte dich von Pia wegzuzerren, aber du hast dich an ihr festgeklammert. Chris schrie immer lauter und hysterischer und schlug auf dich ein. Weißt du, was du dann gemacht hast?«

»Keine Ahnung.«

Flo fing an zu lachen.

»Du hast ...«, gluckste er, »du hast deinen Köpf ... Du hast deinen Kopf zwischen Pias Möpse gesteckt, um dich vor Chris' Schlägen zu schützen. Du hättest dich sehen sollen!«

»Oh Gott!«

»Chris hat dich an den Haaren gepackt, deinen Kopf von Pia weggezogen und dreimal voll zugeschlagen. Du hast den Tisch geküsst und Chris ist heulend rausgerannt. Wolf ist ihr gleich hinterher. Sein Auto stand übrigens eben vor ihrem Haus.«

»Ha! Mein Freund Wolf! Der hat doch nur drauf gewartet, dass es bei uns kracht. Dieses Arschloch!«

»Klar ist Wolf ein Arschloch. Das hab ich dir schon immer gesagt. Aber das dürfte jetzt wohl kaum dein größtes Problem sein, oder?«

Flo hatte natürlich Recht. Es ging nicht um Wolf. Ich hatte Mist gebaut. Trotzdem jagte mir die Vorstellung, dass er gerade bei ihr war und die Nummer des uneigennützigen Trösters gab, eine Höllenangst ein. Er hatte diese Nummer schon oft abgezogen, bei anderen, und er war verdammt gut darin.

»Was willst du jetzt machen?«, fragte Flo. »Glaubst du, sie verzeiht dir?«

»Ich weiß nicht. Bis jetzt konnte ich es immer noch hinbiegen, wenn wir Zoff hatten, aber das gestern war wohl doch 'ne Spur zu hart. Ich Volltrottel! Mit Pia! Ich hab sie doch echt nicht mehr alle.«

»Ruf sie doch an!«

»Ich soll sie anrufen?«

»Klar.«

»Jetzt?«

»Logisch jetzt! Wann sonst? Übermorgen? Hier.« Flo drückte mir das Telefon in die Hand.

Als ich ihre Nummer wählte, meldete sich mein Magen wieder. Ich hatte panische Angst. Was sollte ich ihr sagen? Wie entschuldigt man sich für etwas, das nicht zu entschuldigen ist?

Der Alkohol war schuld. Nein, das war zu billig. Pia war schuld. Nein. Schließlich war ich es, der seinen Kopf zwischen ihre ... Chris meldete sich.

»Hi, Chris, ich bin's. Hör zu, ich ...«

Sie hatte aufgelegt. Ich versuchte es noch einmal, aber sie nahm nicht mehr ab. Ich feuerte das Telefon in die Spüle.

»Und jetzt?«, fragte ich Flo, der als Antwort nur mit den Achseln zucken konnte. »Kannst du mich zu ihr fahren?«

»Du willst zu ihr?«

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«

»Wolf ist bei ihr.«

»Ich weiß. Das erspart mir einen Weg.«

»Was hast du mit ihm vor?«

»Nichts. Ich will nur mit Chris reden.«

FLO SETZTE mich vor ihrem Haus ab. Chris' Wohnung war im zweiten Stock. Als ich die Treppen hinaufstieg, setzten die Magenkrämpfe wieder ein und meine Knie wurden weich, als ob ich gerade einen Marathon hinter mir hätte. Zitternd und mit einem Herzschlag, den man bestimmt noch drei Straßen weiter hören konnte, stand ich schließlich vor ihrer Tür. Ich klingelte. Jemand näherte sich von innen.

»Wer ist da?«, hörte ich Chris rufen.

»Ich bin's, David.«

»Verschwinde!«

»Lass mich bitte rein, Chris! Wir müssen reden.«

»Es gibt nichts mehr zu reden. Es ist vorbei. Hau ab und lass mich in Ruhe!«

Ich hörte, wie sie sich von der Tür entfernte, und begann mit Händen und Füßen dagegenzutrommeln.

»Bitte lass mich rein, Chris! Ich weiß, ich hab Mist gebaut, und es tut mir Leid, verdammt Leid. Aber du kannst doch nicht die letzten vier Jahre einfach so abhaken.«

Die Tür öffnete sich.

»Tja, David, dumm gelaufen. Ich hab dir schon immer gesagt, du sollst weniger saufen, aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Ich wusste, dass so was passieren würde. Es tut mir ja so Leid für dich, aber so ist das Leben.«

Wolf stand vor mir in der Tür, breitbeinig, die Arme über der Brust verschränkt und mit einem Grinsen, das den gesamten Türrahmen auszufüllen schien. Ich beschloss nicht näher auf sein dummes Geschwätz einzugehen. Er war nicht wichtig, nur Chris war wichtig.

»Lass mich vorbei!«, sagte ich. »Ich will nur mit Chris reden.«

Ich versuchte mich an ihm vorbeizuschieben, aber er versperrte mir den Weg.

»Sie will aber nicht mit dir reden. Also sieh zu, dass du Land gewinnst!«

»Hör zu, Wolf, ich will keinen Ärger mit dir. Ich will nur in aller Ruhe mit Chris reden. Also lass mich jetzt bitte zu ihr!«

»Mann, raffst du's nicht, oder was? Sie will dich nicht sehen! Es ist aus! Lass uns in Ruhe.«

Ich hasse Gewalt. Und das ist jetzt kein leerer Spruch wie »Ich hasse Gewalt, aber als Boxprofi bleibt mir keine andere Wahl«. Ich habe in meinem ganzen Leben erst einmal jemandem ins Gesicht geschlagen und werde es voraussichtlich nie wieder tun. Aber als Wolf dieses kleine Wörtchen »uns« gebrauchte, konnte ich nicht anders, als ihn mit einem kurzen, schnellen Schlag in den Magen zu Boden zu schicken. Bevor er überhaupt reagieren konnte, lag er bereits zusammengekrümmt im Flur. Natürlich kam Chris sofort angerannt, um sich um ihn zu kümmern.

»Warum hast du ihn geschlagen?«, schrie sie mich an. »Drehst du jetzt völlig durch? Er hat dir doch nichts getan. Ich dachte, ihr seid Freunde.«

»Freunde?«, schrie ich zurück. »Nichts getan? Ich wollte nur mit dir reden und er sagt, ich soll euch in Ruhe lassen? Seit wann seid ihr zwei denn euch? Was zum Teufel hat dieses Arschloch denn mit unserer Beziehung zu tun? Ich muss mir doch wohl nicht von dem da sagen lassen, dass es zwischen uns aus ist!«

»Das habe ich dir ja wohl schon vorher gesagt oder hörst du schlecht? Es ist aus, Schluss, vorbei, zu Ende, Vergangenheit, finito! Hast du's jetzt gehört oder soll ich's dir schriftlich geben?«

»Ich will doch nur in Ruhe mit dir darüber reden. Wenigstens das bist du mir schuldig.«

Sie fing an laut zu lachen.

»Ich dir etwas schuldig? Wofür? Dafür, dass du mich gestern hast dastehen lassen wie den letzten Dreck? Oder dafür, dass Pia größere Titten hat als ich? Oder wofür sonst? Ich dir etwas schuldig? Was bildest du dir eigentlich ein?«

»Ich bin dein Freund und ... und ich liebe dich.«

»Ach, David! Du glaubst wohl immer noch, dass du mir nur zu sagen brauchst, dass du mich liebst, und ich falle dir glücklich in die Arme. Wach endlich auf, das funktioniert schon lange nicht mehr. Ich bin nicht mehr 15. Liebe ist mehr als nur drei Worte. Werd endlich erwachsen, David! Und jetzt geh bitte.«

Sie half Wolf beim Aufstehen und beide verschwanden in der Wohnung, ohne mich weiter zu beachten.

WIEDER ZU Hause setzte ich mich ins Wohnzimmer und fing an zu trinken. Ich schüttete alles in mich rein, was ich an Alkoholika im Haus hatte, inklusive einer Flasche Tequila, dem Trugschluss verfallen, dass dadurch irgendetwas besser werden würde. Nichts wird besser mit Alkohol, noch nicht mal mit Tequila. Das hatte ich schon vor Jahren gelernt, aber anscheinend nie begriffen. Ich dachte an Chris, meine Chris, meine über alles geliebte Chris, und ein gottverdammter Zufall ließ gerade in diesem Augenblick »One more time« von The Cure aus meiner Anlage erklingen. Robert Smith. Niemand singt trauriger. Direkt ins Herz.

I'd love to touch the sky tonight, I'd love to touch the sky ... Chris hat es möglich gemacht. So take me in your arms and lift me like a child ... In ihren Armen konnte ich fliegen. And hold me up so high and never let me go ... Ich dachte, das würde immer so bleiben. Take me, take me in your arms tonight ... Bitte, bitte, bitte. Hold me, hold me up so high and never let me down ... Lass mich nicht fallen. Hold me, hold me up so high to touch the sky just one more time ... Nur einmal noch. Take me in your arms tonight, take me in your arms just one more time ... Nur noch ein einziges Mal. Just one more time ... Es tut mir so schrecklich Leid. Just one more time ... Nie wieder. Ich glaube, in diesem Augenblick begriff ich erst richtig, dass es tatsächlich vorbei war. Ich fing an zu weinen. Nicht wie jemand, dem man etwas weggenommen hat, sondern wie jemand, der Schmerzen hat, große, enorme körperliche Schmerzen. Es tat weh, so verdammt weh, als würde mein Innerstes Stück für Stück explodieren und sich in brennende Tränen auflösen. An der Wand hing ein großes gerahmtes Foto von Chris. Sie hatte es mir zu unserem Zweijährigen geschenkt. Damals hatte sie noch kurze Haare, fiel mir auf. Gott, wie gut sie aussah. Dieses Foto war immer da gewesen, an der Wand zwischen Jimmy Dean und Audrey Hepburn. Ich hatte es lange nicht beachtet, wozu auch? Ich hatte die echte Chris, die ich ansehen konnte. Jetzt drängte sich mir dieses Bild auf, unbarmherzig wie das morgendliche Piepen meines Weckers, und genauso hasste ich es, weil es mir mein Versagen, meine grenzenlose Dummheit vor Augen hielt und den Himmel, den ich nie wieder würde berühren können. Ich nahm die leere Tequila-Flasche und warf sie mit meiner ganzen Wut auf mich selbst an die Wand. Das Glas zersplitterte und das Bild fiel krachend herunter, genau auf meine Anlage. Die Musik verstummte. Ich stand auf, um den Schaden zu begutachten. Nach zwei Schritten kam der Boden auf mich zugerast und knipste mir das Licht aus.

SEIFE, TÄGLICH

ÜBER CHRIS hinwegzukommen dauerte vier Monate. Nicht, dass ich gerne den Leidenden spiele, aber es dauerte eben so lange. Anfangs habe ich wieder und wieder versucht Chris zurückzugewinnen. Vergeblich, ihre Entscheidung war endgültig. Sie hatte etwa zwei Monate etwas mit Wolf laufen, kickte ihn dann aber auch: meine einzige Freude in dieser Zeit. Ich ging allem und jedem aus dem Weg. Nichts ist schlimmer als jemand, der einem ständig dasselbe vorheult, und so jemand wollte ich nicht sein, also verkroch ich mich in meiner Wohnung und ließ niemanden herein. Das Semester an der Uni ließ ich komplett sausen. Ich hätte dort zu viele Leute getroffen, die ich nicht sehen wollte, Chris eingeschlossen. Anfangs trank ich sehr viel. Ich saß einfach stumpf auf meiner Couch, hörte Musik und trank, bis ich einschlief. Es half nicht. Nicht nach drei Wochen, nicht nach fünf Wochen und nicht nach zwei Monaten, also hörte ich auf zu trinken. Von einem Tag auf den anderen rührte ich keinen Alkohol mehr an. Die ersten fünf Tage konnte ich nicht schlafen, was es natürlich nicht unbedingt besser machte, denn jetzt gab es nur noch mehr Zeit, in der ich darüber nachdenken musste, was für ein Trottel ich gewesen war. Danach ging es langsam bergauf. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, morgens mit einem klaren Kopf aufzuwachen, und allmählich gewöhnte ich mich daran. Ich las sehr viel in dieser Zeit. Nicht für die Uni, sondern seit langem einmal wieder nur für mich und aus reinem Vergnügen. Dann fing ich an zu schreiben. Ich schrieb Briefe an Chris, die sie niemals lesen würde, seitenweise, tonnenweise, bis ich merkte, dass ich all diese Briefe nicht für sie, sondern für mich geschrieben hatte, und ich warf sie weg. Das war der Punkt, an dem ich endlich loslassen und zu mir selbst sagen konnte: Es geht mir gut.

Es war bereits Mitte Juni, als ich mich wieder unter die Lebenden traute. Eine heiße Dusche und eine Rasur ließen mich wider Erwarten halbwegs menschlich aussehen und so machte ich mich eines Abends gegen 21 Uhr auf den Weg ins Jenseits, in der Hoffnung, Flo und die anderen Jungs dort zu treffen.

Das Jenseits war eine kleine Kneipe mit einer spärlichen, aber zweckdienlichen Einrichtung. Im hinteren Teil des Raums, der durch zwei mit Holz verkleidete Säulen abgetrennt war, stand ein Billardtisch. Die Theke war u-förmig, nicht besonders groß; es hatten etwa zehn Leute daran Platz. In der Mitte des Raums standen drei Bistrotische mit jeweils vier Stühlen. Neben den obligatorischen Spielautomaten schmückten alte Konzertplakate aus den 70ern die Wände. Das Jenseits war kein In-Schuppen. Es war nicht neu, nicht modern, nicht hip, und deswegen gefiel es mir so sehr. Das Publikum war bunt gemischt, vom Schlosser bis zum Banker traf sich dort alles und es gab nur sehr selten Ärger. Das Beste am Jenseits war allerdings Hans, der Wirt. Hans war fast dreißig und Stimmung war ihm immer wichtiger als Umsatz. Er war mehr Freund als Geschäftsmann, und das schätzte ich. Hätte er auf die Bezahlung aller ausstehenden Deckel auf einmal bestanden, wäre locker eine Weltreise für ihn drin gewesen, aber er tat es nicht. Ich hatte immer noch einen Deckel von meinem verhängnisvollen Geburtstag offen, die einzige Schuld dieses verfluchten Tages, die einfach zu begleichen war.

An diesem Abend war es zum ersten Mal in diesem Jahr so warm gewesen, dass man selbst in kurzen Hosen und T-Shirt noch schwitzte, aber das war nichts gegen die Temperatur, die mir entgegenschlug, als ich das Jenseits betrat. Den ganzen Tag über hatte die Sonne den Raum durch die großen, wegen der lauten Musik nie geöffneten Fenster aufgeheizt. Den Sauerstoff hatten die zirka 20 Gäste in kaum durchschaubare Dunstschwaden verwandelt und einigen Leuten sah man deutlich an, dass ihnen Schlucken mittlerweile wesentlich leichter fiel als Atmen.

FLO SAß an der Theke – mit Claudia. Claudia war Flos Freundin und ich konnte sie nicht ausstehen, was natürlich des Öfteren zu Spannungen führte. Äußerlich war nichts an ihr auszusetzen. Ich fand sie sogar ziemlich hübsch. Lange, braune Haare, 1,80 m, ein beinahe makelloses Gesicht (ihre Nase gefiel mir nicht), große, braune Augen und ein kräftiger, nicht dicker Körper hatten zu Anfang auch auf mich eine gewisse Anziehung ausgeübt, die aber sehr schnell verflogen war. Ihre ständig wechselnden Launen, die sie immer wieder zur Schau stellen musste, waren nicht auszuhalten. Nachdem ich ihr das einmal sehr deutlich gesagt hatte, bezog sich beinahe jeder Streit zwischen ihr und Flo auf mich. Für sie war ich das Böse schlechthin, und das ließ sie mich regelmäßig spüren. Sie versuchte sehr oft mich zu beleidigen und mich zu reizen, aber ich ließ sie einfach an mir abprallen, was sie nur noch mehr aufregte. Diese Frau hatte eindeutig einen Dachschaden. Flo versuchte ihr Verhalten immer wieder mit ihrem Alter zu entschuldigen (sie war erst 17), aber ihre Spinnereien konnten für mich nie nur eine Folge mangelnder Lebenserfahrung sein, dafür kamen sie zu regelmäßig.

Als Flo mich sah, sprang er von seinem Hocker auf, riss seine Arme in die Luft und brüllte freudestrahlend: »David, Alter! Endlich wieder unter den Lebenden! He, Hans! Guck mal, wer hier ist!«

Er umarmte mich überschwänglich und ein kurzer Blick in seine Augen genügte, um zu wissen, dass der Wodka-Lemon-Longdrink, den er mir fast übergeschüttet hätte, nicht sein erster war. Claudia erhob sich von ihrem Hocker und warf mir einen Blick zu, der die Sonne hätte einfrieren können.

»Dann bin ich hier ja wohl überflüssig«, zischte sie und ging in Richtung Ausgang. Ein kurzes Tschüss meinerseits veranlasste sie dazu, die Tür lauter als gewöhnlich zu schließen.

»Sie will, dass du ihr nachläufst«, sagte ich zu Flo, aber er tippte sich nur an den Kopf und bestellte zwei Bier. Wir setzten uns an die Theke.

»Was hat sie denn heute für ein Problem?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen. »Jetzt hat sie mich so lange nicht gesehen, und dann diese Begrüßung!«

Flo verzog genervt sein Gesicht.

»Ach, was weiß ich! Sie hat'n Hals, weil wir heute nicht zu Hause geblieben sind. Ich wollte unbedingt hierher. Irgendwie hab ich geahnt, dass du heute auftauchst. Außerdem hat sie ganz gut einen getankt. Du weißt ja, welche Auswirkungen zu viele Hütchen auf sie haben.«

»Aha. Mal wieder eifersüchtig auf mich. Nichts Neues also.«

»Na ja, seit der Geschichte mit Chris wurd's immer krasser. Wenn ich nur deinen Namen erwähne, geht sie hoch. Du bist das personifizierte Böse.«

»Habe die Ehre.«

»An diesem Abend damals hat sie mich doch tatsächlich vor die Wahl gestellt.«

»Zwischen ihr und mir?«

»Genau.«

»Weil ich mit Pia rumgemacht habe?«

»Weil du ein schwanzgesteuertes, unmoralisches, versoffenes und asoziales Stück Dreck bist.«

»Wie hast du reagiert?«

»Ich hab noch mal versucht ihr klar zu machen, dass meine Freundschaft zu dir mit unserer Beziehung überhaupt nichts zu tun hat und dass sie mir ja wohl nicht verbieten könne Freunde zu haben. Sie meinte, dass es ihr nur um dich gehe, weil du ihrer Ansicht nach einen schlechten Einfluss auf mich hast und versuchtest uns auseinander zu bringen.«

»Denkst du das auch?«

»Ach Quatsch! Es ist zwar offensichtlich, dass du nicht sehr viel von ihr hältst, was ich sehr schade finde, aber in meine Beziehungen hast du dich noch nie eingemischt. Das weiß ich und das habe ich ihr auch gesagt, aber es hat nichts genutzt. Wenn es nach ihr ginge, dürfte ich noch nicht mal mit euch nach Spanien fahren, aber da stößt sie bei mir auf taube Ohren. Spanien lass ich mir nicht entgehen.«

»Na, das will ich aber auch hoffen! Ohne dich hab ich nicht unbedingt große Lust auf Spanien. Außerdem hast du schon bezahlt. Die hat sie doch echt nicht mehr alle. Was macht sie eigentlich jetzt da draußen?«

»Keine Ahnung. Heut renn ich ihr nicht hinterher.«

»Sehr vernünftig«, stimmte ich ihm zu, während ich aufstand, um dort hinzugehen, wo ich die Flüssigkeit loswerden konnte, die ich noch nicht ausgeschwitzt hatte. Als ich die Toiletten wieder verließ, hörte ich ein lautes, hysterisches Kreischen außerhalb der Kneipe. Die Gäste sahen sich grinsend an und tuschelten, während Flo, die Hände vor sein Gesicht haltend, wie ein Häufchen Elend am Tresen hing. Zu dem hysterischen Kreischen gesellten sich plötzlich noch dumpfe Schläge, als ob jemand einen Medizinball an die Außenmauer werfen würde. Ich ging nach draußen, um nachzusehen, und traute meinen Augen kaum und meinem Verstand schon gar nicht, als ich sah, was sich dort abspielte. Claudia saß, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, auf dem Boden und schlug ihren Kopf fast taktgleich mit der von innen herausdringenden Musik gegen die Wand. Dabei schrie sie unverständliche Dinge in einer völlig neuen Sprache und trommelte mit den Handflächen auf ihre Schenkel. Ich versuchte sie anzusprechen, aber in diesem Moment hätte sie wahrscheinlich nicht einmal ein UFO mit 100 phosphoreszierenden Außerirdischen direkt vor sich bemerkt. Oder sah sie vielleicht als Einzige genau das und versuchte zu kommunizieren? Ich konnte nichts weiter tun, als den Kopf zu schütteln und wieder reinzugehen.

»Claudia sitzt draußen und versucht das Haus mit ihrem Kopf einzureißen«, berichtete ich Flo, der sein Gesicht mittlerweile tief in seinen Armen vergraben hatte. Er blickte auf und winkte Hans zu sich heran.

»Gibt es hier einen Hinterausgang?«

Ich prustete meinen letzten Schluck Bier quer über die Theke; ich konnte nicht anders. Spätestens jetzt kam ich mir vor wie in einer dieser Daily Soaps. Gute Zeiten bei verbotener Liebe im Marienhof. Ich dachte immer, das Leben wäre nicht so billig, aber wer einmal den Satz »Gibt es hier einen Hinterausgang?« live gehört hat, kommt ins Grübeln.

Es gab tatsächlich einen Hinterausgang und Hans erklärte sich sofort bereit Flo nach draußen zu schleusen.

»Pass auf!«, sagte Flo, nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte. »Ich hau durch die Hintertür ab, du gehst vorne raus und pickst mich um die Ecke auf. Können wir zu dir fahren und noch einen trinken?«

»Okay, geht klar. Aber ich hab nichts zu trinken zu Haus.«

»Egal. Fahren wir eben an der Tanke vorbei. Ich zahle auch.«

»Das klingt annehmbar. Also, bis gleich, Richard Kimble.«

Nach einem kurzen Haha war er auch schon verschwunden. Ich wartete fünf Minuten, zahlte noch meinen Geburtstagsdeckel und ging dann auch. Claudia saß immer noch dort auf dem Boden, hatte aber damit aufgehört, das Haus einzureißen. Ich versuchte mich an ihr vorbei zu meinem Auto zu schleichen.

»Sonnenschein, du mieses Stück Scheiße!«, schrie sie mir in den Rücken. Ich blieb kurz stehen, eine passende Antwort auf den Lippen, ging dann aber weiter, ohne mich umzudrehen.

»Hey, Arschloch!« Sie gab nicht auf. »Weißt du, was? Chris hat 'nen Neuen. Sie bläst ihm gerade einen.«

Wie billig das war. Aber das konnte ich auch. Billig ist einfach.

»Wenigstens weiß sie etwas Sinnvolles mit ihrem Kopf anzustellen.«

»Ach, verpiss dich doch!«

Ihr Pulver war verschossen. Sie fing wieder an mit dem Hinterkopf gegen die Hauswand zu hämmern.

»Versuch's mal andersrum. Flo findet deine Nase eh zu groß.« Ich stieg in mein Auto.

Ich weiß, das war böse. Und Flo würde darunter zu leiden haben. Nein, Schatz, deine Nase ist nicht zu groß. Wirklich nicht. Das habe ich nie gesagt. Bitte, glaub mir doch! Aber ich wollte ihre Erwartungen in mich nicht enttäuschen. David Sonnenschein, das Böse schlechthin. Und Fluchtwagenfahrer für Opfer durchgeknallter Freundinnen.

NACH EINEM kurzen Aufenthalt an der Tankstelle landeten wir schließlich bei mir. Wir setzten uns auf die Couch und ich schob eine Ärzte-CD ein, in der Hoffnung, die Klänge seiner Lieblingsband würden Flos Laune etwas heben. Bestimmt eine halbe Stunde lang saßen wir einfach nur da, tranken Bier und rauchten. Ich erinnerte mich an irgendeinen Film, in dem irgendein Typ sagte, dass dieses Schweigen unter Männern etwas Besonderes und Schönes sei, und ich gab ihm meine volle Zustimmung. Worte waren nicht nötig, überflüssig wie Blumengießen nach einem Dauerregen. Ich wusste, was Flo fühlte, und er wusste, was ich dachte. Die einzige Frage, die das Schweigen irgendwann brechen musste, war die, wie es weitergehen sollte.

»Und jetzt?«

»Wie, und jetzt?«

»Wie geht's weiter mit euch?«

»Überhaupt nicht mehr.«

»Es ist aus?«

»Ja, aus. Das war zu viel heute. Mir reicht's.«

Sein Entschluss klang logisch, aber wie ich aus eigener Erfahrung wusste, hatten Beziehungen so viel mit Logik zu tun wie Clausthaler mit Bier.

»Bist du dir sicher? Ich denke, du liebst sie.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie jemals wirklich geliebt habe.«

»Blödsinn! Natürlich hast du sie geliebt. Warum sonst hättest du ihre Launen so lange ertragen? Du musst sie lieben. Anders kann ich mir eure Beziehung nicht erklären.«

„Ja, du hast Recht, irgendwie. Ich hab sie geliebt. Aber nach heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es immer noch tue. Das wird mir einfach alles zu viel. Ich will kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ich was mit dir unternehme. Und ich will vor allem nicht in Spanien sitzen und die ganze Zeit daran denken müssen, dass sie deswegen sauer ist. Nein, das war's. Morgen sag ich's ihr.«

»Wenn du dir wirklich sicher bist, muss es wohl sein. Leicht wird's bestimmt nicht.«

»Oh Gott, nein. Sie wird ausrasten.«

Wir schwiegen wieder eine Weile, bis uns plötzlich die Klingel aufschreckte. Ein kurzer gegenseitiger Blick und wir wussten, wer es war.

»Ich bin nicht hier«, sagte Flo bestimmt, während ich zur Tür ging.

Als ich öffnete, fiel mir eine total betrunkene, vom Heulen entstellte Claudia in die Arme.

»Er ist hier, oder?«, schluchzte sie. »Bitte sag mir, dass er hier ist! Ich war überall. Seit einer Stunde laufe ich rum und ... Ich muss mit ihm reden. Bitte, lass mich zu ihm! Ich weiß, er ist hier. Lass mich zu ihm!«

Ich kann Frauen nicht weinen sehen, aus welchen Gründen auch immer. Eine einzige Träne in den Augen einer Frau und ich werde weich und verzeihe alles. Wäre ich Richter, ständen sämtliche Frauengefängnisse teer. Sie haben Ihren Mann mit einer stumpfen Heckenschere kastriert und dann mit einer Motorsäge enthauptet? Das war aber gar nicht nett. Nein, bitte nicht weinen! Bitte weinen Sie doch nicht! Ist doch alles nur halb so schlimm. Versprechen Sie es nicht wieder zu tun, dann können Sie gehen. Hier, nehmen Sie mein Taschentuch.

Claudia hatte es geschafft. Sie tat mir Leid. Ich konnte sie sogar verstehen, sehr gut verstehen, aber in diesem Zustand konnte ich sie nicht zu Flo lassen.

»Ja, er ist hier«, sagte ich. »Aber bevor du dich nicht beruhigt hast, lasse ich dich nicht zu ihm. Komm, setz dich erst mal.«

Wir setzten uns auf den Bürgersteig und sie fing wieder an zu weinen.

»Es ... es ... es tut mir Leid«, waren die ersten Worte, die sie klar verständlich hervorbrachte.

»Was tut dir Leid?«

»Was ich dir vorhin hinterhergerufen habe. Ich hab's nicht ernst gemeint. Entschuldige, bitte.«

»Schon okay.«

»Er liebt mich nicht. Ich bin ihm völlig egal.«

»Schwachsinn!«

»Warum behandelt er mich dann so, als würde ich ihm nichts bedeuten? Warum haut er einfach ab?«

Sie wollte wirklich wissen, warum Flo geflüchtet war. Sie wusste es nicht. Unfassbar. Offensichtlich hatte sie nicht einen Moment darüber nachgedacht, ob es eventuell an ihr gelegen haben könnte.