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Rudi Dutschke
Andreas Baader
und die RAF

Wolfgang Kraushaar
Rudi Dutschke und der
bewaffnete Kampf

Karin Wieland

a.

Jan Philipp Reemtsma
Was heißt »die Geschichte
der RAF verstehen«?

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Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH

© E-Book 2013 by Hamburger Edition

© der Printausgabe 2005 by Hamburger Edition

Jan Philipp Reemtsma

Vorwort

Terror ist systematisch angewandte irreguläre Gewalt. Irregulär kämpft die Armee, die die (geschriebenen oder ungeschriebenen) Regeln bricht, die zur Zeit des Krieges gelten, das heißt wer Objekt möglicher Gewalttat werden kann oder darf, an welchem Ort, zu welcher Zeit, mit welchen Mitteln. Wenn im Kampf von einzelnen solche Regeln gebrochen werden – und das geschah und geschieht in jedem Krieg –, liegt eine Regelverletzung vor, die man, wenn sie gravierend ist, »Kriegsverbrechen« nennt und zuweilen auch ahndet. Wenn eine Armee sich punktuell immer wieder oder gar generell von solchen Regeln entbindet, führt sie einen verbrecherischen Krieg. Sie führt, und damit wechselt man auf ein anderes Terrain der Beschreibung, insofern einen terroristischen Krieg, als mit der Suspendierung des Regelhaften auch das Moment der Berechenbarkeit verlorengeht bzw. absichtsvoll aufgegeben wird. Wer Opfer einer Gewalttat werden kann (Soldat oder Zivilist), wo er das werden kann (auf dem Schlachtfeld oder zu Hause), wie er das werden kann (mit den gewöhnlich in Kampfhandlungen verwendeten Waffen oder durch verseuchtes Wasser, Giftgas, Massenbombardement), ist unklar. Teil dieser Unberechenbarkeit ist auch die Vervielfachung des Schreckens, daher der Begriff »Terror«.

Binnenstaatlicher Terrorismus ist ebenfalls gekennzeichnet durch die Kombination von Irregularität/Unberechenbarkeit und Systematik. Wer sein Opfer wird, weiß nicht, wer das Recht oder den Auftrag hat, ihm was und wie lange zu tun; wer sein Opfer werden kann, weiß nur dies und nicht, wie er sich in eine Position der Sicherheit begeben kann. Rechtliche Normen und gesicherte Verfahren, auf die man sich berufen und die in Gang gesetzt werden können und mit denen die Exekution der Gewaltmaßnahmen unterbrochen und überprüft werden könnte, gibt es nicht.

Guerillaarmeen pflegen ihre Schwäche an Zahl und Bewaffnung dadurch zu kompensieren, daß sie ihren Kampf von vornherein zu Teilen oder ganz auf die Ausübung von Terror abstellen. Das gilt sowieso hinsichtlich der Wahrnehmung von außen: da sie keine anerkannten Kombattanten darstellen, weil sie keine regulären Armeen von Staats wegen sind, gilt ihr Kampf von seiten ihrer Gegner definitionsgemäß als irregulär. Aber es handelt sich nicht nur um Definitionsfragen. Es gehört zum Guerillakampf, so zu kämpfen, daß der Gegner sich nicht zum Kampf stellen kann, daß er überrascht wird, daß er dort und dann getroffen wird, wo er sich am wenigsten gut verteidigen kann. Es gehört zum Guerillakampf auch, ein Höchstmaß an Unsicherheit und Schrecken unter den Soldaten der bekämpften Armee zu erzeugen. Aber die meisten Guerillaarmeen kämpfen nicht nur gegen eine Armee, sondern auch gegen eine Bevölkerung, die sie nicht unterstützt, beziehungsweise sucht die Unterstützung, der sie zu ihren Operationen meistens bedarf, durch Terror zu erzwingen: sei es durch provozierten Terror der gegnerischen Armee, die durch die Guerilleros angegriffen wird, aber zwischen eigentlichen Guerilleros und unterstützender und/oder neutraler Bevölkerung nicht unterscheiden will oder kann und übergreifend zurückschlägt, das heißt ihrerseits terroristisch kämpft,1 sei es durch eigene präventive Gewalttaten oder deren Androhung.

Im Unterschied zu Guerillaarmeen, die sich zu regulären transformieren können und die zuweilen, wenn auch durchaus nicht immer, bewaffneter Teil einer politischen Alternative zu dem von ihr bekämpften politischen System sind, sind Terrorgruppen Gruppierungen, die nur im Medium des terroristischen Kampfes existieren, in ihm und für ihn sich bilden, und ihren Gruppenzusammenhalt, da sie nicht Teil von etwas anderem sind, aus den Modalitäten dieses Kampfes gewinnen. Die RAF war eine solche Terrorgruppe, und interessant ist, daß sie ihre eigene Wirklichkeit durch die Namengebung vorsorglich dementierte. Sie nannte sich »Rote Armee Fraktion«, um damit eine Konstellation von Teil und Ganzem zu suggerieren, die zwar kein Korrelat in der Wirklichkeit hatte, die sie aber zu ihrer Binnenlegitimation wie zu der nach außen wohl zu bedürfen meinte. Allerdings waren ihre tatsächlichen legitimatorischen Texte vom Pathos einer Avantgarde getragen, die den Teil für das noch nicht existierende Ganze nahm und einzig aus diesem Quidproquo ihre Legitimation bezog.

Es ist üblich, Terrorgruppen aus ihnen zugeschriebenen politischen oder weltanschaulichen Motiven verstehen zu wollen sowie aus Erfahrungen, die bei ihren Mitgliedern zu der Überzeugung geführt hätten, ihre Ziele nicht anders als durch mörderische und latent oder manifest selbstmörderische Gewalt verfolgen zu können. Wie immer man die Rolle der Motive und Ziele von terroristischen Gruppen im einzelnen bewerten will – es gibt einige, bei denen kaum etwas Derartiges zu erkennen ist, und andere, die, jedenfalls nach außen hin, großen Wert darauf legen, als weltanschaulich motiviert wahrgenommen zu werden –, ein kurzer Blick in die Weltgeschichte des Terrorismus zeigt, daß außerordentlich unterschiedliche Weltanschauungen (ebenso wie deren gänzliche Absenz) zu, was Mechanismen der Gruppenbildung sowie und Art und Weise praktischen Agierens anlangt, außerordentlich ähnlichen Resultaten führen können. Die Studien Mark Juergensmeyers haben gezeigt, daß die heutzutage über die Weltreligionen verteilten fundamentalistischen Terrorgruppen alle in einem übereinstimmen: sie hassen die USA und die Juden.2 Erweitert man den historischen Horizont, so stellt man fest, daß nur solche weltanschaulichen Angebote terrorfähig sind, die es erlauben, sowohl ein manichäisches Welt-Bild auszuprägen wie der eigenen Gruppe den Status einer Avantgarde mit Herrschaftsanspruch zuzusprechen. Nicht die (politische oder religiöse) Weltanschauung ist es, die Menschen geneigt macht, sich Terrorgruppen anzuschließen und an sie bindet, sondern die Möglichkeit, ein undifferenziertes, vor ambivalenten Emotionen geschütztes Weltbild auszubilden, und in dieser Welt (wenigstens dem Anspruch nach) zu herrschen. Daß die Terrorgruppe in dieser selbstgemachten Welt Herrin über Leben und Tod ist, versteht sich dabei nicht nur gewissermaßen von selbst, sondern macht die Gruppe zusätzlich attraktiv.

Manche Menschen sind gern gewalttätig, manche sind es nicht. Wer sich ohne Zwang in eine Gruppe begibt, deren selbsterklärter Daseinszweck es ist, Menschen zu töten, findet zumindest den Gedanken daran so attraktiv, daß er sich seiner Verwirklichung bis zur Tat nähert. Manche schrecken vor dem letzten Schritt zurück, sei es bei ihrer Verhaftung, sei es durch zeitiges Verlassen der Gruppe. Terrorgruppen, die Gewalt nicht kultivieren – auch ästhetisch –, können, wie es scheint, nicht existieren. Gewalt, Waffenkult, Sprache, die signalisiert, daß man »um der Sache willen« vor nichts zurückschreckt, erlaubt es auch demjenigen, der bisher einigermaßen unbeachtet dahingelebt hat, der eigenen Existenz eine apokalyptische Aura zu verleihen. Und dort, wo Terrorgruppen erfolgreich zugeschlagen haben, sind sie ja tatsächlich außerordentlich bedeutsame politische Faktoren geworden. Sowenig realitätshaltig die Verlautbarungen vieler Terrorgruppen auch klingen – in ihren Taten bringen sie zuweilen Selbstbild und reale Bedeutung zur Deckung. Die Gewalttat selbst ist die wichtigste Selbstlegitimation und der Selbstmordanschlag, psychologisch betrachtet, alles andere als merkwürdig: der eigene Tod wird zur finalen Bedeutsamkeitserklärung.

Nach außen hin legitimieren sich Terrorgruppen dadurch, daß sie erklären, sie betrieben die Sache anderer, die entweder zu schwach oder zu feige seien, sie selbst zu betreiben. Entscheidend ist dabei – wie bei allen legitimatorischen Anstrengungen –, daß sie wenigstens einige finden, die ihnen das glauben. Die müssen die Praxis der Gruppe nicht billigen, aber sie müssen akzeptieren, daß es der Gruppe um dieselben Ziele geht wie ihnen und daß die Motive der Terroristen den eigenen ähneln, nur zu anderen Konsequenzen geführt haben. Bei denen, die für solche Legitimationsstrategien empfänglich sind, führt das oft zu etwas wie einem schlechten Gewissen, auch dann, wenn sie den Terror der Gruppe eigentlich ablehnen: Könnte es nicht sein, daß diese Ablehnung der eigenen Schwäche entspringt? Aus dieser emotionellen Disposition entsteht das, was zur Zeit der RAF-Aktivitäten »Sympathisantenszene« genannt wurde. Aus solchen Szenen rekrutieren Terrorgruppen Nachwuchs.

Ohne ein Umfeld, das in irgendeiner Weise weltanschaulich mit der Gruppe übereinstimmt, geht die Gruppe nicht nur an mangelndem Nachwuchs zugrunde, sie kann auch ohne einen solchen Zusammenklang als Gruppe nicht bestehen. Die Erregung, die für das Durchstehen eines immerhin gefährlichen und nicht nur aus den Hochgefühlen erfolgreich absolvierter Tötungskriminalität bestehenden täglichen Lebens, die von der Phantasie genährt wird, im Dienste einer Mission unterwegs zu sein, braucht den anerkennenden Blick. Nur aus dem Spiegel ist dieser nicht zu bekommen, es mögen die Gruppenmitglieder noch so narzißtisch aufgeladen sein. Für den anerkennenden Blick braucht es ein gedankliches und emotionelles Klima, das ihn nicht nur möglich, sondern, wenigstens in einigen Situationen, wahrscheinlich macht: »Holger, der Kampf geht weiter!« – damit war von dem, der das rief, nicht der bewaffnete Kampf der RAF gemeint, sondern etwas für den Terrorismus ungleich Wichtigeres: die Anerkennung, daß man denselben Kampf kämpft.

Diese Anerkennung schafft aber noch nicht das für die Gruppenexistenz ebenfalls nötige Selbstbewußtsein als Avantgarde mit Führungsanspruch. Dieses Selbstbewußtsein muß repräsentiert werden, und dazu braucht es in der Regel einen Führer, der gleichzeitig Nähe und Distanz zum weltanschaulichen Umfeld verkörpert. Er muß glaubhaft darstellen – nicht darlegen – können, daß er »denselben Kampf« kämpft, und er muß glaubhaft darstellen können, daß er aus anderem, härterem Holz geschnitzt ist als diejenigen, die sich eben doch nicht trauen, »denselben Kampf« auch wirklich zu kämpfen.

Drittens muß die Gruppe in der Lage sein, ein Lebensgefühl zu produzieren, das es auf die Dauer attraktiv sein läßt, einer Terrorgruppe anzugehören. Dieses Lebensgefühl besteht, auch darin dürften sich die diversen Gruppen nicht voneinander unterscheiden, im Erregungsgewinn, der sich aus dem Avantgardestatus ergibt, sowie im Machterleben, das die Gewalttat gewährt.

Das vorliegende Buch stellt die drei Komponenten, aus denen die Terrorgruppe »Rote Armee Fraktion« ihre Existenz konstituierte, vor: 1. die theoretische Orientierung auf den bewaffneten Kampf in der bundesrepublikanischen Neuen Linken am Beispiel Rudi Dutschkes, 2. die Repräsentanz des Avantgardeanspruchs durch die Führungsfigur Andreas Baader, 3. die RAF als attraktive Lebensform.

1Um die terroristische Bekämpfung solchen Terrorismus zu verhindern, gibt es die internationalen Regelwerke, die das Maß an Grausamkeit festlegen, das eine Armee auch dann, wenn sie terroristischen Angriffen ausgesetzt ist, nicht überschreiten darf, festlegen sollen (vgl. Hamburger Institut für Sozialforschung [Hg.], Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941–1944, 2. Aufl., Hamburg 2002, S. 27).

2Vgl. Mark Juergensmeyer, Terror im Namen Gottes. Ein Blick hinter die Kulissen des gewalttätigen Fundamentalismus, Freiburg 2004; Jan Philipp Reemtsma, Terroristische Gewalt: Was klärt die Frage nach den Motiven?, in: Michael Beuthner u.a. (Hg.), Bilder des Terrors – Terror der Bilder? Krisenberichterstattung am und nach dem 11. September, Köln 2003, S. 330–349.

Wolfgang Kraushaar

Rudi Dutschke und der
bewaffnete Kampf

I.Die Entpuppung des Guerillero

Die Tatsache, daß es einen Zusammenhang zwischen der 68er-Bewegung und der RAF gibt, ist inzwischen unbestreitbar,1 wie dieser jedoch genauer zu bestimmen ist, dürfte allerdings nicht so einfach zu klären sein und deshalb noch für längere Zeit in der Faktorenbestimmung, Ausdifferenzierung und Gewichtung umstritten bleiben.

Bis vor ein paar Jahren herrschte jedenfalls die Überzeugung vor, daß die bundesdeutsche Adaption der Stadtguerilla-Idee ein Produkt der auseinanderfallenden Studentenbewegung gewesen sei. Inzwischen hat sich unter Zeithistorikern jedoch die Einschätzung durchgesetzt, daß diese ebenso wie die ersten Versuche einer praktischen Umsetzung weitaus früher anzusetzen sind und bis in die Zeit vor der Studentenrevolte reichen. Mit anderen Worten: Das Konzept, in einem hochindustrialisierten westeuropäischen Land wie der Bundesrepublik eine eigene Guerillagruppe aufbauen zu wollen, ist vermutlich nicht einfach als das Zerfalls- und Verzweiflungsprodukt der 68er-Bewegung zu erklären. Wie es zu dieser Ansicht gekommen und ob diese auch weiterhin aufrechtzuerhalten ist, bedarf allerdings einer genaueren Überprüfung.

Gedächtnisschwund und Erinnerungsverlust

Die Schwierigkeit, die Ursprünge der Stadtguerilla und des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland zu eruieren, liegt zweifellos auch in dem Umstand begründet, daß es zur Natur derartiger Gruppen gehört hat und zum Teil immer noch gehört, konspirativ zu arbeiten, sich nach außen hin soweit als möglich abzukapseln und ihre Kenntnisse – ob als Täter, Mittäter oder nur als Mitwisser – über Jahrzehnte hinweg wie eine Art Arkanwissen zu hüten. Darüber hinaus ist die Tendenz unverkennbar, daß von ehemaligen Akteuren trotz allen autobiographisch gefärbten Bekennerdrangs zuweilen falsche Fährten ausgelegt oder Gedächtnisschwund und Erinnerungsverlust angeführt werden, um die Schutzfunktion auch im nachhinein zu erneuern.

Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang auch alles andere als Zufall, daß die einzige Arbeit, die es neben der maßgeblichen Monographie von Michaela Karl über Rudi Dutschke gibt, in der der Gewaltfrage, der Illegalität und dem bewaffneten Kampf ein zentraler Platz eingeräumt wird,2 von einem ehemaligen politischen Kontrahenten stammt, dem früheren RCDS-Bundesvorsitzenden und späteren CDU-Bundestagsabgeordneten Gerd Langguth.3

»Holger, der Kampf geht weiter!«

Mißverständnisse, Verdrehungen, Unterstellungen und Fehlinterpretationen auf der einen, aber auch Mehrdeutigkeiten, Leichtfertigkeiten und emotionaler Überschwang auf der anderen Seite begleiteten – was kaum überraschen kann – Dutschkes öffentliche Auftritte. Doch keiner seiner Aussprüche hat so viel Aufsehen erregt, für so viele unzählige Nachfragen und für so viel Wirbel gesorgt wie jener vom 18. November 1974. Als mit Holger Meins einer seiner ehemaligen politischen Kampfgefährten, der in einem Hungerstreik umgekommene RAF-Angehörige, auf einem Hamburger Friedhof begraben wird, reckt Dutschke plötzlich seine Faust empor und ruft ihm – Otto Schily steht, den Spiegel unter den Arm geklemmt, nur wenige Schritte entfernt – am offenen Grab hinterher: »Holger, der Kampf geht weiter!« Ob es eine geplante oder eher eine spontane Akklamation war, bleibt offen. Für die meisten Presseorgane ist der Ausruf jedenfalls das, was gemeinhin als gefundenes Fressen bezeichnet wird. Da völlig unklar bleibt, wie der Ausspruch zu verstehen ist,4 kann er als offene Unterstützung der RAF ausgelegt werden. Und genau das passiert.

Da sich offenbar besorgte Freunde an ihn gewendet haben und die Parole nicht länger unkommentiert im Raum stehenbleiben soll, meldet sich Dutschke kurze Zeit später im Spiegel zu Wort, um die von ihm am offenen Grab gebrauchten Worte zu erläutern:

»Der politische Kampf gegen die Isolations-Haft hat einen klaren Sinn, darum unsere Solidarität. Die Ermordung eines antifaschistischen und sozialdemokratischen Kammer-Präsidenten ist aber als Mord in der reaktionären deutschen Tradition zu begreifen. Der Klassenkampf ist ein politischer Lernprozeß. Der Terror aber behindert jeglichen Lernprozeß der Unterdrückten und Beleidigten.«5

Es ist spürbar, daß er mit dieser Erläuterung einer Distanzierung oder Einschränkung aus dem Weg zu gehen versucht. Der »Kampf« soll demnach fortgesetzt werden, jedoch nicht für die RAF und ihre Ziele, sondern gegen die »Isolations-Haft«. Bemerkenswert ist dabei allerdings, daß er diese Klarstellung zum Anlaß nimmt, um sich gegen die Ermordung des in Reaktion auf den Hungertod von Holger Meins von Mitgliedern der »Bewegung 2. Juni« umgebrachten Richters Günter von Drenkmann auszusprechen.

In persönlichen Dokumenten läßt Dutschke später durchblicken, daß er seinen Ausruf für einen politischen Fehler hält. In einem Brief an Freimut Duve schreibt er im Februar 1975, daß er seine Reaktion für »psychologisch verständlich«, politisch jedoch für »nicht angemessen reflektiert« halte.6

Das Dutschke-Bild bei seinem Tod 1979 …

Als Dutschke am Heiligabend 1979 völlig überraschend an den Spätfolgen des Attentats stirbt, ist der Schock groß. Nachdem die Nachrufe gedruckt, die Reden bei der Beerdigung auf dem Dahlemer Friedhof gehalten und die Szenen der Trauerfeier im Auditorium maximum der Freien Universität, von peinlichen Auftritten esoterisch anmutender Öko-Fundamentalistinnen unterbrochen, vorüber sind, scheint sich ein Bild von der Ikone der 68er-Bewegung herauszukristallisieren, das sich mehr und mehr den vier Grundprinzipien der nur wenige Tage später in Karlsruhe gegründeten Partei der Grünen zu fügen scheint – ökologisch, basisdemokratisch, sozial und gewaltfrei.7

… und Fritz Teufels Einspruch

Gegen dieses Bild eines grün angehauchten, christlichen Pazifisten hat sich schon bald darauf erheblicher Unmut geregt.8 Einer der markantesten Einwürfe stammt von dem seinerzeit in Moabit einsitzenden Ex-Kommunarden Fritz Teufel. Die tageszeitung publiziert am 15. Januar 1980 einen von Teufel verfaßten Nachruf. Darin greift er den Ausspruch am Grab von Holger Meins noch einmal auf und schreibt: »Ohne das Attentat, meint Erich Fried, hätte Rudi Ulrike Meinhof vom bewaffneten Kampf abgehalten. Ohne das Attentat, meine ich, wäre Rudi vielleicht selbst diesen Weg gegangen und hätte dem bewaffneten Kampf in den Metropolen, ebenso wie Ulrike, entscheidende Impulse geben können.«9 Im nächsten Satz jedoch relativiert er diese Behauptung und bemerkt, als sei ihm bei seiner eigenen Feststellung nicht ganz wohl: »Doch das sind Spekulationen.« Mit dem letzten Satz schraubt er die Spirale um eine Drehung weiter und ruft Dutschke in aller Entschlossenheit hinterher: »Rudi, der Kampf geht weiter!« Damit ist er bei jener Mehrdeutigkeit angelangt, von der bereits Dutschkes Parole selbst gekennzeichnet gewesen ist.

Die Entdeckung des Organisationsreferats

Nach Teufels Einspruch dauert es nur zwei Wochen, bis ein Dokument auftaucht, das Dutschkes Verhältnis zum bewaffneten Kampf nicht nur in einem anderen Licht, sondern auch auf einer anderen Grundlage darstellt. Es geht um das geheimnisumwitterte »Organisationsreferat«, das Dutschke auf der Frankfurter SDS-Delegiertenkonferenz im September 1967 gehalten hatte. Es galt bis dahin als verschollen. Nun findet es sich plötzlich wieder und wird im Februar 1980 erstmals in der Frankfurter Studentenzeitung diskus abgedruckt und ausführlich kommentiert.10 Aus verschiedenen Gründen ist es ein, wenn nicht das Schlüsseldokument aus der Geschichte des SDS. Es war alles andere als Zufall, daß sich beim ersten großen Symposium über die Geschichte des SDS, das 1985 an der Freien Universität stattfand und durch Porträts von Dutschke und Krahl eingeleitet worden war, die heftigsten Debatten gerade um jenes so lange verschollene Dokument drehten.11

Erst im September 1967 hatte es Dutschke gewagt, mit seinem Konzept des bewaffneten Kampfes an eine größere Öffentlichkeit heranzutreten. Auf der unter der Fahne des Vietcong im Frankfurter Studentenhaus einberufenen SDS-Delegiertenkonferenz legte er das gemeinsam mit Hans-Jürgen Krahl, dem intellektuellen Kopf des Frankfurter SDS, verfaßte »Organisationsreferat« vor. Die entscheidende, inzwischen häufiger zitierte Aufforderung an die SDS-Delegierten lautete in einer bis zum Bersten aufgeblähten Diktion:

»Die ›Propaganda der Schüsse‹ (Ché) in der ›Dritten Welt‹ muß durch die ›Propaganda der Tat‹ in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen.«12

Im Unterschied zur im Grunde revisionistischen Struktur des bisherigen SDS müsse das »Problem der Organisation« von nun an als »Problem revolutionärer Existenz«13 betrachtet werden. Das Referat wurde, wie die wenigen Presseberichte belegen, überaus gespalten aufgenommen.14 Ein Teil der Delegierten feierte es mit frenetischem Applaus, ein anderer Teil reagierte mit strikter Ablehnung. Der Vertreter der als »traditionalistisch« geltenden Bonner SDS-Gruppe, Hannes Heer, scheute sich sogar nicht, den von Habermas erhobenen Vorwurf aufzugreifen und Dutschke als »Linksfaschisten« abzukanzeln. Dies änderte jedoch nichts daran, daß es dem von Dutschke und Krahl repräsentierten antiautoritären Flügel auf dieser Delegiertenkonferenz erstmals gelang, die Mehrheit zu stellen und sich mit eigenen Kandidaten bei den Wahlen zum Bundesvorstand durchzusetzen.