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VORBEMERKUNG

Die Aussagen in diesem Buch erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch. Sie sind der Versuch, meine praktischen Erfahrungen aus zwanzig Jahren Arbeit mit Paaren zum Thema Dreiecksbeziehungen zu ordnen und in ein System zu bringen. Meine Arbeit – nämlich Therapien und Beratungen von einzelnen Paaren und mehrtägige Workshops mit Paaren und einzelnen – habe ich von Anfang an zusammen mit meiner Frau Margarete Kohaus-Jellouschek durchgeführt, reflektiert und konzeptualisiert, so daß sie vor allem wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieses Buches hat. Dafür möchte ich mich bei ihr herzlich bedanken. Weiter möchte ich meine Kollegin Angelika Glöckner erwähnen, mit der ich mehrere Seminare zum Thema »Dreiecksbeziehungen« leitete, aus denen ich viele Anregungen und Impulse mitgenommen habe.

Schließlich möchte ich den vielen Menschen danken, den Ehefrauen, Ehemännern und »Geliebten« beiderlei Geschlechts, die sich uns anvertrauten und uns so zu unseren Erfahrungen und Erkenntnissen verhalfen.

Das vorliegende Buch ist sowohl für professionelle Helfer, als auch für unmittelbar Betroffene geschrieben.

Ammerbuch,
im Frühjahr 1995
Hans Jellouschek

ERSTES KAPITEL

DREIECKSGESCHICHTEN

1.Wie spricht man darüber?

Seit ich mich mit dem Thema Untreue und Dreiecksbeziehungen befasse, stehe ich vor begrifflichen Schwierigkeiten. Denn ich bewege mich hier, trotz aller Liberalisierung, in einem gesellschaftlich tabuisierten Bereich, was sich schon allein darin zeigt, wie man darüber spricht: So gut wie alle Begriffe, die in diesem Zusammenhang verwendet werden, haben eine moralische Färbung. Sie urteilen, verurteilen, werten ab, sprechen schuldig oder nicht schuldig. Damit werden sie aber dem menschlichen und psychologischen Geschehen kaum gerecht. Auf den folgenden Seiten werden wir diesem Problem immer wieder begegnen. Darum stelle ich einige Überlegungen zum Sprachgebrauch an den Anfang.

Wenn ein Partner in einer auf Dauer angelegten Zweierbeziehung eine intensive, d. h. in der Regel sexuelle Beziehung zu einem Dritten eingeht, dann nenne ich die Beziehungskonstellation, die dadurch entsteht, »Dreiecksbeziehung«, »Beziehungsdreieck« oder »Dreieckskonstellation«. Dabei spielt es für mich eine untergeordnete Rolle, ob die Außenbeziehung geheim bleibt oder offen wird, ob sie gegen den Willen oder mit Einverständnis des anderen Partners unterhalten wird. Dies mag verwundern, denn ein offengelegtes Dreieck scheint sich von der Situation einer verschwiegenen Außenbeziehung stark zu unterscheiden, und beim Begriff »Dreiecksbeziehung« denkt man in der Regel an ein offengelegtes Beziehungsdreieck. Dennoch scheint mir dies auch im Fall der Geheimhaltung der richtige Begriff. Denn sobald einer der Partner eine Außenbeziehung eingeht, ändert sich in jedem Fall die Situation der Zweierbeziehung grundlegend. Auch wenn der »treue« Partner nicht von dem oder der Geliebten weiß, bekommt er auf eine verborgene Weise mit diesem/dieser zu tun, tritt also in eine Beziehung zu ihm/ihr, und deshalb entsteht ein Beziehungsdreieck, auch wenn diese Tatsache nicht von allen Beteiligten wahrgenommen, vielleicht sogar geleugnet oder verleugnet wird. Sobald einer der Partner eine intime Außenbeziehung eingegangen ist, ist nichts mehr so, wie es vorher war. Jeder wirkt dann auf jeden ein. Die Außenbeziehung wirkt auf die Ehebeziehung, genauso, wie die Ehebeziehung auch die Außenbeziehung beeinflußt und ihren spezifischen Charakter mitbestimmt. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen allen dreien, dem Ehemann, der Ehefrau und dem/der Geliebten, also eine Dreiecksbeziehung.

Für die einzelnen Beteiligten im Beziehungsdreieck verwende ich im folgenden bestimmte Begriffe, die den Part in der Dreieckskonstellation benennen. So spreche ich vom »Ehemann«, von der »Ehefrau« – auch wenn es sich um ein nicht formell verheiratetes Paar handelt – und von dem oder der »Geliebten«. Derjenige, der die Außenbeziehung eingeht, ist im allgemeinen Sprachgebrauch der »Untreue« oder der »Betrüger«, derjenige, dem sie widerfährt, ist der »Treue« oder der »Betrogene«. Diese Begriffe enthalten eindeutige moralische Wertungen. Mein Anliegen in diesem Buch ist es aber, möglichst unvoreingenommen die systemischen und psychologischen Zusammenhänge zu sehen und zu würdigen, die in solchen Konstellationen wirksam sind. Damit verbietet sich eigentlich der Gebrauch dieser Begrifflichkeit. Andererseits wäre ich gezwungen, ständig komplizierte Umschreibungen vorzunehmen. Um das zu vermeiden, werde ich trotzdem vom »Untreuen« und »Betrüger« sowie vom »Treuen« und »Betrogenen« sprechen, dabei aber bewußt diese Begriffe in Anführungszeichen setzen.

Wenn im folgenden von »dem/der Geliebten« die Rede ist, berücksichtige ich nicht, daß dieser/diese seinerseits wieder Ehefrau oder Ehemann sein kann. Ich sehe also das Geschehen vor allem aus der Perspektive des betroffenen Paares, zu dem ein Dritter/ eine Dritte hinzukommt. Ob diese/r Dritte ein Single ist oder seinerseits in einer festen Beziehung lebt, lasse ich in der Regel außer acht. Ich bin mir bewußt, daß dies eine künstliche Eingrenzung darstellt, nehme diese aber in Kauf, um die Beziehungskomplexität auf ein beschreibbares und nachvollziehbares Maß zu reduzieren.

Die an der Dreiecksbeziehung beteiligten Personen sind oft auch Eltern kleinerer oder größerer Kinder. Diese spielen ihrerseits beim Entstehen und im Verlauf einer Dreiecksbeziehung unter Umständen eine bedeutsame Rolle. Die daraus entstehenden Beziehungsdynamiken sind bedeutsam und müssen in die konkrete therapeutische Arbeit miteinbezogen werden. In unserem Zusammenhang reflektiere ich jedoch diese Einflüsse nur am Rande, zunächst ebenfalls aus Gründen der erwähnten notwendigen Komplexitäts-Reduzierung, dann aber auch deshalb, weil die Dreiecksbeziehung in erster Linie die Paarebene und nicht die Elternebene betrifft und deshalb auch und vor allem auf dieser Ebene betrachtet werden muß.

Nach diesen mehr begrifflichen Vorklärungen wenden wir uns nun der Frage zu, wie Dreiecksbeziehungen heute bewertet werden.

2.Dreiecksbeziehungen heute

Es besteht kein Zweifel, daß Dreiecksbeziehungen heute in einem erheblich größeren Ausmaß entstehen als dies zu früheren Zeiten der Fall war. Statistiken sprechen davon, daß in unserer westlichen Welt etwa ein Drittel bis die Hälfte aller Männer und Frauen im Laufe ihrer Ehejahre »untreu« werden.1 Dabei wird immer wieder angemerkt, daß die Frauen in den letzten Jahrzehnten kräftig »aufgeholt« hätten. Sie haben heutzutage mit den Männern nahezu »gleichgezogen«. Die allgemeine Einstellung zu Treue und Ausschließlichkeit der auf Dauer angelegten Zweierbeziehung scheint sich gewaltig gewandelt zu haben. Dieser Wandel ist Teil eines umfassenden Veränderungsprozesses, den wir in Beziehungsdingen heute überhaupt erleben. Familiensoziologen sprechen von einem umfassenden Individualisierungsprozeß oder von der fortschreitenden Freisetzung des Individuums aus vorgegebenen sozialen und weltanschaulichen Bindungen.2 Dieser Prozeß hat in der westlichen Welt mit der Moderne eingesetzt, durch die Industrialisierung weite Kreise erfaßt und ist heute – im Zeitalter der »Postmoderne« – noch in vollem Gange.

Während sich früher der einzelne als Teil eines umfassenden Ganzen verstand, dem er sich einzufügen und zu dienen hatte, ist heute das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt getreten. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Beziehungsleben. Nicht mehr die Existenzsicherung und das Weiterführen der Generationsfolge stehen im Vordergrund, sondern die wechselseitige Erfüllung individueller Glücksvorstellungen. Dementsprechend wird nicht mehr die Versorgung und Fürsorge der Partner füreinander betont, sondern die leidenschaftliche, erotische Liebe. Nicht mehr der gemeinsame Dienst an einem Dritten – den Kindern, der Familie – ist das vordringliche Anliegen, sondern die Verwirklichung und Ausprägung der eigenen Individualität. Die Sexualität dient nicht mehr vordringlich der Fortpflanzung, sondern wird zum hauptsächlichen Schauplatz dieses individualisierten Glücksstrebens. Die Frauen lösen sich immer mehr von ihren dienenden Rollen. Kinder zu haben, ist nicht mehr ihr Schicksal, sondern obliegt ihrer autonomen Entscheidung. Eine eigene berufliche Identität gehört immer mehr zu ihrem Selbstverständnis, selbst dann, wenn sie äußerlich noch in der traditionellen Hausfrauen- und Mutterrolle leben. Die Bindung der Partner aneinander wird immer weniger als objektiv vorhandenes »eheliches Band« erlebt, sondern als eine Gefühls-Tatsache, die entweder vorhanden ist, oder auch nicht (mehr). Wandel, Flexibilität, Mobilität und das Momenthafte im Hier und Jetzt stehen im Vordergrund des Lebensgefühls, während das Bleibende und Verläßliche, das Dauerhafte und Kontinuierliche eher in den Geruch des Langweiligen oder Sturen geraten. Die »Treue zu sich selbst« bekommt einen immer zentraleren Stellenwert – und sie gerät immer häufiger mit der »Treue zum anderen« in Konflikt.

Gewiß kommen derartige Trends nicht in allen gesellschaftlichen Milieus gleichermaßen zur Geltung. Nach Burkart und Kohli3 sind sie lediglich für das alternative und teilweise für das intellektuelle Milieu typisch, während im technischen, im ländliehen und im Arbeiter-Milieu die traditionellen Werte der patriarchalen bürgerlich-christlichen Ehe das Bewußtsein noch stärker bestimmen. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß diese Werte auch hier nicht mehr unverrückbar sind. Die Ausschließlichkeit der Partnerliebe und die Treue bis in den Tod sind vielleicht noch Ideale, aber als verbindliche Normen hören sie mehr und mehr auf zu existieren.

Wenn heute Partner einander treu bleiben, tun sie es immer weniger aus familiären, ökonomischen und weltanschaulichen Gründen wie das früher der Fall war, sondern vor allem deshalb, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, sich treu zu bleiben, weil sie ihre Beziehung als subjektiv befriedigend und sinnhaft erleben. Ist dies nicht mehr der Fall, hat ein heutiger Mensch immer weniger tragfähige Argumente für Treue und Ausschließlichkeit. Wenn er diese weiter aufrechterhält, kann er sogar ein schlechtes Gewissen bekommen und muß sich fragen, ob es ihm vielleicht an Mut mangelt, aus den Konventionen auszubrechen. Treue existiert nicht mehr als objektive Norm, als ein weltanschaulich begründetes Postulat. Treue gibt es immer häufiger nur noch, sofern sie subjektiv als etwas in sich selbst Sinnhaftes erfahren wird. Damit gründet sie sich aber auf einen äußerst instabilen Faktor, denn die subjektive Erfahrung ist allerlei unkalkulierbaren Schwankungen unterworfen. Darum ist es kein Wunder, daß die Zahl der Außenbeziehungen zunimmt und es Dreiecksbeziehungen viel häufiger gibt als in früheren Zeiten.

3.Aufforderung zum Wandel

Außenbeziehungen werden also immer »normaler«. Werden sie deshalb auch als normal empfunden? Das ist keineswegs der Fall. Trotz Aufklärung und Individualisierung gilt nach wie vor, was Heinrich Heine dichtete und Robert Schumann in der »Dichterliebe« vertonte: »Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei!« Wenn »es passiert« wird dies in der Regel als tiefe Erschütterung erlebt. Die Frage »Warum hast du mir das angetan?« bringt dies deutlich zum Ausdruck. Selten geht es ohne schwere Verletzung und Leid ab, es kommt zu tiefen Einschnitten ins bisherige Leben und manchmal zu einer grundlegenden Neuorientierung aller Beteiligten. Das Auftauchen des »Dritten« stellt ein zutiefst krisenhaftes Ereignis dar. Wie ist das zu verstehen?

Das Auftauchen eines Dritten im Lebenszyklus stellt für eine Zweierbeziehung ganz allgemein eine Krise dar, auch wenn es sich bei diesem Dritten keineswegs um eine/n Geliebte/n handelt. Auch das freudig erwartete Baby wirbelt alles durcheinander, was sich ein junges Paar bisher aufgebaut hat. Auch der Besuch der Schwiegermutter kann für manche Paare ein scheinbar nicht zu bewältigendes Konfliktgeschehen darstellen, das regelmäßig heftigst ausbricht. Und die intensiven Gespräche der Ehefrau mit ihrer Freundin ließen schon manchen Haussegen in Schieflage geraten. Was sich zwischen zweien eingespielt hat, ob dies besonders befriedigend ist oder nicht, gibt Sicherheit und Orientierung. Es stellt ein Gleichgewicht dar, das ein Gefühl von Stabilität vermittelt. Der hinzutretende Dritte destabilisiert, er verunsichert und macht orientierungslos. So muß das Entstehen von »Triaden« – Beziehungsdreiecken – ganz allgemein als »kritisches Lebensereignis« im Lebenslauf bezeichnet werden, das Streß verursacht und das Bewältigungspotential von Beziehungspartnern stark herausfordert und manchmal überstrapaziert.4

Nun ist das Entstehen der familiären Triade – Vater, Mutter, Kind – wie auch das Hinzukommen der Schwiegermutter oder der Freundin usw. jeweils ein kritisches Lebensereignis, das zweifellos zum normalen Lebenszyklus eines Paares gehört. In diesem Sinne sind Triaden »vorhersehbar«, man rechnet mit ihnen, redet über sie, nimmt sie vorweg und stellt sich auf sie ein, denn das hilft, sie zu bewältigen, wenn sie tatsächlich eintreten. Besonders wichtige »vorhersehbare kritische Lebensereignisse« wie die Geburt eines Kindes zum Beispiel, werden sogar mit Ritualen umgeben, die zusätzliche Bewältigungshilfen zur Verfügung stellen. So ist die Chance gegeben, daß die Destabilisierung überwunden und im Beziehungsgefüge wieder ein neues Gleichgewicht gefunden wird: entweder ist eine neue »funktionierende« Triade entstanden, im Fall der Geburt eines Kindes, oder die Dyade des Paares geht gestärkt aus der Krisenbewältigung hervor, im Fall des erfolgreich bewältigten Besuchs der Schwiegermutter.

Die Dreiecksbeziehung allerdings bringt das alte Gleichgewicht des Paares besonders nachhaltig durcheinander. Denn sie gilt – obwohl heute immer mehr im Bereich des Möglichen oder sogar Wahrscheinlichen – nicht als vorhersehbares Lebensereignis. Man nimmt sie, jedenfalls in der Regel, nicht im gemeinsamen Gespräch vorweg und stellt sich nicht mit konkreten Szenarien darauf ein. Ähnlich wie eine Krebserkrankung oder ein plötzlicher Todesfall bricht sie unvorhersehbar über die Beteiligten herein. Unvorhersehbare kritische Lebensereignisse sind aber viel schwerer zu verkraften. Sie sind »untertypisiert und unterritualisiert«5. Die Betroffenen stehen damit allein da. Sie haben dafür keine tröstlichen Sprachfiguren und Rituale, um das, was ihnen widerfahren ist, mit anderen zu teilen, es einzuordnen und zu verarbeiten. Das erhöht den Streß und droht, das alte Gleichgewicht vollends zu kippen.

Dazu kommt, daß heutige Partner – entsprechend ihrem »neoromantischen Liebesideal«6 – sehr unrealistische Beglückungsund Befriedigungserwartungen aneinander haben oder lange Zeit in ihrer Ehe gehabt haben, wodurch die Enttäuschung, jedenfalls für den »Betrogenen«, oft ins Überdimensionale steigt. Das, worauf er nahezu alles in seinem Leben gegründet hat, beginnt zu wanken.

Schließlich wird der Streß noch durch die moralische Bewertung der Außenbeziehung erhöht. Nicht vorhersehbare kritische Lebensereignisse – wie Erkrankung oder Tod – sind in der Regel unvermeidbare Schicksalsschläge, eine Außenbeziehung aber entsteht durch eine freie Tat. Daß es eine »existentielle Notwendigkeit« dazu geben könnte, wird nicht anerkannt. Damit kommt das Thema Schuld ins Spiel, und somit haftet der Dreiecksbeziehung trotz aller Liberalisierung und Individualisierung der Geruch des Schändlichen an. Beziehungsdreiecke sind nach wie vor mit moralischen Tabus umgeben, man darf weder als »Täter« noch als »Opfer« darüber offen reden, ohne sich Peinlichkeiten aller Art auszusetzen. Daß dies eine Verarbeitung und Bewältigung oft manchmal nahezu unmöglich macht, liegt auf der Hand. Aus großer Hilflosigkeit heraus stehen dann nur zwei Lösungsmuster nach dem »Alles-oder-Nichts-Prinzip« zur Verfügung: In einer überstürzten Hauruck-Reaktion kappt man entweder die Außen- oder die Ehebeziehung, ohne daß dabei irgendeine der gemachten Erfahrungen auch nur annähernd angemessen ausgewertet oder gar integriert würde.

Aber gerade die Tatsache, daß Außenbeziehungen die Zweierbeziehung so durcheinanderwirbeln, ist andererseits auch eine große Chance – und zwar für alle Beteiligten. »Kritische Lebensereignisse bringen … immer die Aufforderung zu Wandel mit sich«7.

Das über die Zeit hinweg entstandene Gleichgewicht der ehelichen Dyade ist ja keineswegs immer positiv zu werten. Es kann ein Gleichgewicht der Langeweile, ja des Schreckens sein. Vieles an ursprünglicher Lebendigkeit der beiden Partner ist vielleicht darin aufgerieben worden. Die Triade, die Dreieckskonstellation, lädt zum Aufbruch ein: nicht zur Wiederherstellung der alten und auch nicht zum Sprung kopfüber in eine neue Dyade, sondern zum Aufbruch in ein unbekanntes Land. Daß dieses ein »gelobtes Land« sein kann, wenn alle Beteiligten sich den Erfahrungen ehrlich stellen, die sie auf dem Weg machen werden, das als Möglichkeit zu zeigen, ist das Anliegen dieses Buches.

4.Drei Beispiele

Ich möchte drei Beispiele an den Anfang meiner Erörterungen stellen. Es handelt sich dabei um drei, meiner Erfahrung nach typische, unterschiedliche Konstellationen, die mir in Variationen immer wieder begegnen. Jedem dieser Typen liegt ein reales Paar bzw. Beziehungsdreieck zugrunde, mit dem ich in verschiedenen Kontexten meiner Arbeit zu tun bekommen habe. Ich habe jedoch auch Daten, Zusammenhänge und Ereignisse von anderen, ähnlichen Dreiecksbeziehungen dazugenommen. Dadurch wollte ich das »Typische« des Falles jeweils deutlicher herausarbeiten. Außerdem kommt dies der Nichtidentifizierbarkeit der Fälle zugute, was bei unserem Thema von besonderer Bedeutung ist.

Die drei Paare sind in mehrfacher Hinsicht sehr unterschiedlich. Theo und Maria, wie ich die beiden hier nenne, sind das älteste Paar. Theo ist Mitte, Maria Anfang 50. Vom Beruf des Mannes her sind sie dem »technischen Milieu« zuzuordnen, teilen aber das traditionelle Rollen- und Eheverständnis, wie es nach Burkart und Kohli eher für das ländliche und das Arbeitermilieu charakteristisch ist. Ria und Thomas sind das jüngste Paar, beide Mitte 30. Sie haben einen sozialen Beruf und vertreten beide entschieden ein progressives Rollen- und Eheverständnis. Ihrer ganzen Lebensauffassung nach sind sie dem Alternativmilieu zuzurechnen. Eine Mittelstellung nehmen Alf und Dorothea ein. Zwischen ihnen besteht ein großer Altersunterschied: Alf ist Ende 50, Dorothea Mitte 30. Am Anfang ihrer Ehe hatten beide ein eher traditionelles Rollenverständnis, in der Krise polarisierten sie sich in extreme Positionen. Dorothea bewegte sich auf ein sehr progressives Rollen- und Beziehungsverständnis zu, Alf setzte dem jedoch immer starrer die traditionellen Beziehungswerte entgegen. Alf ist Architekt, Dorothea war zur Zeit der Therapie Studentin. Sie sind am ehesten dem intellektuellen Milieu zuzurechnen.

Ein »klassisches Dreieck«: Theo, Maria und Lilo

Theo (55) ist Wirtschaftsingenieur und Führungskraft im mittleren Management einer großen Firma. Maria (51) ist ausgebildete Lehrerin und übte ihren Beruf auch einige Jahre lang aus. Nach der Geburt des ersten Kindes hörte sie aber zu arbeiten auf, um sich ganz der Kindererziehung und dem Haushalt zu widmen. Die beiden Kinder, zwei Söhne, sind 19 und 23. Der ältere hat das Haus bereits verlassen, der jüngere macht gerade sein Abitur. Theo hatte es im Beruf nicht leicht, er hat sehr gekämpft, um seine heutige Position zu erringen. Auch heute kämpft er immer noch, obwohl keine Gefahr mehr besteht, daß er seine Stellung verliert. Seine Frau hat diesen »Heldenkampf« lange Zeit bedingungslos unterstützt, sie tut es immer noch, aber mit Vorbehalten und wachsendem Ärger, den sie aber selten offen äußert. Weil er kaum Zeit hatte, wurden Kinder und Haus im Laufe der Jahre allein ihre Sache, und aus einem gewissen Trotz heraus läßt sie ihn nun auch gar nicht mehr daran teilhaben. Während er »draußen« sein Reich regiert, errichtet sie das ihre in den vier Wänden des Hauses. Hier hat allein sie das Sagen. Für Theo ist das bequem, obwohl er sich andererseits auch ausgeschlossen und abgewertet fühlt. Äußerlich herrscht meist Stille. Sie tut alles, um ihm den Rücken freizuhalten. Die Lebensabläufe funktionieren in der materiell abgesicherten Situation reibungslos. Innerlich aber stehen sie sich immer fremder und feindseliger gegenüber. Jeder behauptet in einem stillen Machtkampf gegenüber dem anderen seine Position. Keiner läßt sich mehr vom anderen dreinreden. Die Sexualität empfindet sie immer häufiger als bloßes Abreagieren seiner Bedürfnisse, und als sie ihm das einmal im Streit an den Kopf wirft, zieht er sich gekränkt zurück und wird nun auch seinerseits kaum mehr aktiv. So findet zwischen ihnen keine intime Begegnung mehr statt. Maria leidet darunter, daß die Kinder sie immer weniger brauchen, und sie klammert sich mit einer gewissen Verzweiflung an ihre Tätigkeit im Haus und an die Dienste, die sie für Theo leistet, denn das ist noch der einzige Inhalt, den ihr Leben hat. In ihrem Alter wieder in ihren Beruf einzusteigen, dazu fehlt es ihr an Mut. So bleibt sie in ihrem goldenen Käfig äußerlich zwar aktiv und engagiert, aber immer stärker mit einer inneren Vorwurfshaltung und einer depressiven Grundstimmung.

In dieser Zeit wird in Theos Firma in der Nachbarabteilung für Öffentlichkeitsarbeit eine junge, attraktive Mitarbeiterin eingestellt. Theo lernt Lilo auf einem Betriebsfest kennen, und beide verlieben sich ineinander. Theos zurückgedrängte Sexualität bricht wie eine Sturmflut aus ihm heraus. Aber es ist nicht die Sexualität allein. Er lernt in dieser Frau eine Welt kennen, die ihm bisher vollkommen verschlossen schien, eine Welt voll Schönheit, Genuß, Kunst und Kultur. Dies weckt in ihm Visionen von einem Leben, in dem nicht mehr alles nur von Arbeit und beruflichem Erfolg bestimmt sein könnte. Lilo ist für ihn eine ungeheure Herausforderung. Und sie wiederum reizt es ungeheuer, diesen festgefahrenen Mann aus der Reserve zu locken, ihn in Frage zu stellen, sich mit ihm und seinen Anschauungen auseinanderzusetzen. Theo ist fasziniert vom Engagement dieser jungen und attraktiven Frau für ihn, den Alternden, und so läßt er sich voll auf diese Beziehung ein.

Zuerst will er die Beziehung zu Hause geheimhalten, aber es kommt natürlich heraus. Der völlig veränderte Theo kann es nicht verheimlichen. Maria erlebt ihn so, wie sie sich ihn eigentlich immer gewünscht hat, und genauso ist er jetzt für und durch eine andere Frau. Das verletzt sie tief. Sie reagiert abwechselnd mit aggressiven Ausbrüchen und tiefer Depression. Theo ist so fasziniert, daß er lieber heute als morgen ganz zu seiner Freundin ziehen möchte. Aber er hat Mitleid mit seiner Frau. Er fürchtet, daß sie sich etwas antut, wenn er das in die Tat umsetzt. Dazu kommen seine Schuldgefühle den Kindern gegenüber und die Furcht vor der Reaktion der Freunde, der Nachbarn, der Umwelt. Er will die Beziehung zu Lilo wieder abbrechen, aber er schafft es nicht. Innerlich zerrissen und aufs äußerste angespannt, nimmt er in dieser Situation mit seiner Frau zusammen therapeutische Hilfe in Anspruch.

Theo, Maria und Lilo stellen gewissermaßen das »klassische Dreieck« dar, das rein statistisch heute immer noch das häufigste ist: Der Mann, beruflich etabliert und in einer gefestigten Position, langjährig mit einer nicht berufstätigen und oft auch unausgebildeten Frau verheiratet, mit heranwachsenden oder erwachsenen Kindern, bricht aus einer erkalteten Beziehung aus und geht mit einer sehr viel Jüngeren, die ihm gegenüber oft eine untergeordnete Position einnimmt, eine Außenbeziehung ein, die er zunächst geheimhalten will, weil er sie nur als vorübergehendes Abenteuer verstehen möchte. Aber die Beziehung stellt sich als ernsthafter und umfassender heraus, und somit gelingt die Geheimhaltung nicht und ein Drama mit starken Emotionen, Schuldgefühlen, Trennungs- und Wiedervereinigungsversuchen nimmt seinen Lauf.8

Eine Frau »bricht aus«: Alf, Dorothea und Michael

Was an Dorothea und Alf als erstes auffällt ist ihr großer Altersunterschied. Alf ist Ende 50 und gute 20 Jahre älter als Dorothea. Alf war früher schon einmal verheiratet und ist geschieden. Für Dorothea aber ist er der erste Mann. Sie war seine Schülerin an einer Fachhochschule für Architektur. Alf hielt sie für überdurchschnittlich begabt, sie wurde seine Lieblingsschülerin und seine Geliebte. Die Eltern von Dorothea stemmten sich mit aller Kraft gegen diese Verbindung. Für sie als strenge Christen war sie unmoralisch. Dorothea war in einer schwierigen Situation: Sie hatte eigene starke Zweifel an der Beziehung zu Alf, aber sie konnte sich diese nicht eingestehen. Sie hätte damit der Ansicht ihrer Eltern zugestimmt, und das konnte sie vor allem ihrem Vater gegenüber nicht, weil sie sich zum damaligen Zeitpunkt gerade in einem heftigen Ablösungsprozeß von ihm befand. Sie hätte ihm gegenüber dadurch klein beigegeben. So stimmte sie dem Drängen von Alf zu, und sie heirateten. Als sie durch diesen radikalen Schritt ihre Zweifel »überwunden« oder vielmehr überspielt hatte, wollte sie den begonnenen Weg ganz gehen und auch mehrere Kinder mit ihm haben. Alf, der bereits Kinder aus erster Ehe hatte, sträubte sich zunächst, ließ sich aber schließlich überreden. Dorothea brach ihr Studium ohne Abschluß ab. Das Kind kam ihr ganz gelegen. Obwohl Alf von Dorotheas Begabung schwärmte, hatte sie doch immer das Gefühl, eigentlich nicht gut genug zu sein. Alf drängte sie weiterzumachen, auch als das zweite Kind da war, aber Dorothea weigerte sich. Was sie an Ideen und Lösungen produzierte, das konnte Alf im Vergleich zu ihr immer schon viel besser. So gab sie es auf, sich auf diesem Gebiet noch weiter zu betätigen. Alf bemühte sich sehr um seine junge Frau. Sie allerdings erlebte ihn im Laufe der Zeit immer bestimmender und einengender, so daß es ihr die Luft abzudrücken drohte. Er war zwar bereit, über alles mit ihr zu reden, aber er gab nicht eher Ruhe, bis sie sich seiner Meinung angeschlossen hatte. Dann glaubte er zwar, er hätte Dorothea überzeugt, in Wirklichkeit aber hatte sie, oft ohne es selber zu merken, nur nachgegeben, weil ihr die Puste ausgegangen war. Als die Kinder – es waren inzwischen drei – aus dem Gröbsten heraus waren, spürte Dorothea deutlich, daß sie etwas für sich tun mußte. Das Gefühl, sich immer mehr zu verlieren, wurde so stark, daß sie sich entschloß, wieder ein Studium aufzunehmen, allerdings – um sich Alfs Einfluß zu entziehen – auf einem ganz anderen Gebiet.

Alf wehrte sich zunächst gegen diese neuerliche Kursänderung heftig, schließlich war es ja ihr Wunsch gewesen, das erste Studium abzubrechen und Mutter zu werden! Jetzt sollte sie diese Rolle auch wirklich ausfüllen. Aber da er noch immer willens war, seine Frau zu fördern, stimmte er schließlich zu. An der Universität lernte Dorothea Michael kennen. Er war genau so alt wie sie und hatte ebenfalls in fortgeschrittenem Alter ein Studium begonnen. Er war gerade erst geschieden und auf der Suche nach sich selbst. Zunächst blieb es eine »platonische« Beziehung, allerdings eine, die Dorothea so tief bewegte, daß Alf aufs äußerste beunruhigt wurde. In dieser Lage drängte er darauf, mit Dorothea eine Paartherapie zu machen.

Dorothea war sehr bereit (zu bereit?), mit Alf klare Begrenzungen für die Beziehung zu Michael auszuhandeln. Alf wiederum bemühte sich, Dorothea mehr loszulassen und ihr mehr Spielraum zu geben. Aber beides stellte sich bald lediglich als eine vorübergehende Lösung ohne wirkliche Veränderung heraus. Die emotionale Bindung Dorotheas an Michael war stärker als ihr guter Wille. Alf spürte das und wurde trotz gegenteiliger Beteuerung immer zwingender und einengender. Das wiederum verstärkte Dorotheas Sehnsucht nach Michael, bei dem sie sich frei fühlen konnte. Schließlich kam es, wie es kommen mußte: Sie warf alle in der Therapie gemachten Zusagen über Bord, durchbrach die selbst gezogenen Grenzen, und ließ sich auch sexuell mit Michael ein.

Für Alf war dies eine emotionale Katastrophe. So sehr er sich um Verständnis bemühte, es war für ihn ein Schock. Um sich davor zu schützen, griff er zum Mittel der moralischen Verurteilung. Er nannte sie eine rücksichtslose Egoistin, bereit, für ihre »Selbstverwirklichung« über Leichen zu gehen. Damit drängte er Dorothea in eine Ecke, in der sie es nicht mehr länger aushielt, so daß sie sich zum Auszug entschloß, obwohl das bedeutete, die Kinder zurückzulassen. Für sie sollte das aber noch keine endgültige Trennung sein. Sie wollte weiter in der Therapie die Situation mit Alf klären, um eine Entscheidung zu treffen. Alf allerdings brach an dieser Stelle die Therapie ab und betrachtete die Trennung als endgültig.

Vom »klassischen Dreieck« unterscheidet sich diese Konstellation vor allem dadurch, daß es hier die Frau ist, die aus einer bestehenden Beziehung ausbricht. Der Ablauf zwischen Alf, Dorothea und Michael scheint mir in mehrfacher Hinsicht für die heutige Situation typisch. Die Frau in der Rolle der »Untreuen« wäre bis vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen, weil das »Fremdgehen« für Frauen und Männer moralisch völlig unterschiedlich bewertet wurde. Bei Männern war es ein verzeihlicher Fehltritt, bei Frauen ein unverzeihliches Verbrechen. Daß dies heute anders geworden ist, dafür ist Dorothea ein Beispiel. Dennoch scheint die alte Wertung allen Beteiligten noch tief in den Knochen zu stecken. Der Ausbruch von Dorothea aktiviert bei Alf – wie bei vielen seiner Schicksalsgefährten – die ältesten Denkund Beurteilungsmuster. Dorothea vergeht sich in seinen Augen nicht nur als Mutter an den gemeinsamen Kindern, sie begibt sich für ihn auch in einer völlig unverantwortlichen und rücksichtslosen Weise auf einen extremen Ego-Trip. Dies macht es ihm besonders schwer, wie das bei Männern, deren Frauen »untreu« werden, oft der Fall ist, aus dem Geschehen für sich selbst und die Beziehung zu lernen.

Typisch, wenn auch extrem, scheint mir in unserem Beispiel die Situation von Dorothea zu sein: Sie hat es versäumt, eine eigene berufliche Identität zu entwickeln, bevor sie heiratete und Kinder bekam. Frauen, die in der Mutter- und Hausfrauenrolle aufgehen, bevor sie nicht wenigstens erste Schritte in einen eigenen Beruf getan haben, geraten heutzutage fast unvermeidlich in eine existentielle Selbstfindungskrise. Nicht selten macht dann eine Außenbeziehung dies zum Thema und zum Beginn einer radikalen Veränderung der gesamten Lebenssituation.

Ein »modernes Dreieck«: Thomas, Ria und Armin

Ria und Thomas – beide 33 – sind seit fünf Jahren ein Paar. Sie haben einen vierjährigen Sohn, den beide wollten, ohne den sie aber keinen Anlaß gesehen hätten, formell zu heiraten. Ria ist Krankengymnastin und führt eine kleine, gutgehende Praxis. Das ist auch der Grund, warum Thomas seine Sozialarbeiterstelle in der Drogenberatung auf Teilzeit reduziert hat. Beide wollen sich Haushalt und Erziehung teilen, und weil Ria mehr Freude am Beruf hat als Thomas, haben sie diese Lösung gewählt. So entspricht es aber auch ihrer Überzeugung. Sie wollen nicht den alten Rollenbildern und Aufgabenverteilungen folgen, sondern etwas Neues verwirklichen. Thomas will ein »neuer Mann« sein, und er versorgt Kind und Haushalt mit Kompetenz und Engagement. Er ist überhaupt ein lieber, fürsorglicher Vater und Partner, der die Tüchtigkeit seiner Frau bewundert und sie gerne umsorgt, wenn sie erschöpft nach Hause kommt.

Ria hat das zunächst genossen. In letzter Zeit jedoch wünscht sie sich immer öfter, nicht nur umsorgt zu werden. Mehr und mehr fehlt ihr, daß Thomas sie aus ihrem täglichen Ablauf mal rausholt, und Ungewohntes mit ihr unternimmt. Auch im Bett wünscht sie sich mehr Intensität und Initiative von seiner Seite. Thomas ist lieb, nimmt Rücksicht, läßt sie in Ruhe. Aber eigentlich würde sie gerade brauchen, daß er sich manchmal über ihr Zögern hinwegsetzt, seine Bedürfnisse intensiver anmeldet und sie in seinen Schwung mit hineinnimmt. Auf einem Fortbildungsseminar lernt sie Armin, einen etwas älteren Kollegen kennen. Von der Eindeutigkeit, mit der dieser auf sie zukommt, fühlt sie sich überwältigt. Ohne einen klaren Entschluß ihrerseits landet sie bei ihm im Bett. Ria erlebt mit ihm eine Sexualität, die sie zuvor nicht gekannt hat. Sie hat den Eindruck, sich in den Armen von Armin überhaupt erst als Frau kennenzulernen. Doch stürzt sie das in ein großes Dilemma. Sie kann sich gar keinen idealeren Ehemann als Thomas vorstellen. Und doch erlebt sie sich mit diesem Armin, den sie sich als Partner nie vorstellen könnte, der mit seinen machohaften Zügen ihrer eigenen Orientierung diametral widerspricht, in einer Weise erlebnisfähig, wie sie sich das mit Thomas nie hat träumen lassen.

Ria und Thomas haben am Anfang ihrer Beziehung »totale Offenheit« vereinbart. Eine von vornherein festgelegte Ausschließlichkeit in der Beziehung sollte es nicht geben. Doch wenn »es passierte«, wollten sie es sich gegenseitig sagen und offen damit umgehen. Deshalb eröffnet Ria, so schwer es ihr fällt, Thomas sofort, was passiert ist. Thomas verträgt diese Offenheit schlecht.

Er bricht zusammen, weint tagelang wie ein verlassenes Kind. Für Ria ist das ein Schock, denn es entspricht so gar nicht der vereinbarten Großzügigkeit. Sie bekommt schwere Schuldgefühle und verspricht, die Beziehung sofort abzubrechen. Das Problem ist nur, daß sie Armin wiedersehen wird, denn die Fortbildung erstreckt sich über mehrere Kurse. Und im nächsten Kurs ist es wieder genau dasselbe. Ria landet wieder im Bett von Armin, denn dieser kümmert sich wenig um ihre Versuche, Distanz zu halten, und sie kann ihm nicht widerstehen.

Nach diesem »Rückfall« bringt es Ria nun nicht mehr fertig, Thomas die Wahrheit zu sagen, so sehr es beider Vorsätze und Überzeugung widerspricht. Sie lügt ihm vor, die Beziehung bestünde nur noch auf einer kollegial-freundschaftlichen Ebene. In Wirklichkeit trifft sie sich weiter mit Armin. Aber ihre heimlichen Erlebnisse von Lust und Leidenschaft wirken sich in der Beziehung zu Thomas nicht schlecht aus. Die Sexualität des Paares profitiert davon sogar erheblich. Thomas ist durch das Auftauchen des »Rivalen« aufgewacht, er wird plötzlich aktiv und initiativ, und die Beziehung der beiden wird insgesamt so lebendig wie nie zuvor. Ria hat den Eindruck, Thomas wolle es gar nicht wissen, wie sich ihr Verhältnis zu Armin weiter gestaltet. Er vermeidet es sorgfältig, jemals danach zu fragen. Armin bleibt als Thema ausgespart. Freilich beruhigen alle diese Tatsachen Ria nur vorübergehend. Das Doppelspiel macht ihr, je länger es anhält, ein um so schlechteres Gewissen und drängt sie immer stärker dazu, klare Verhältnisse zu schaffen. In dieser Situation und mit diesem Anliegen nimmt sie an einem Seminar über Dreiecksbeziehungen teil – und hier werde ich mit ihrem »Fall« bekannt.

Bei Thomas, Ria und Armin handelt es sich im Unterschied zum »klassischen Dreieck« um das typische moderne oder postmoderne Dreieck. Die Ehepartner vertreten entschieden ein alternativ-progressives Beziehungsideal. Formell geheiratet haben sie nur wegen des Kindes, ansonsten hätten sie keine Veranlassung dazu gesehen. Sie haben auch den Anspruch auf Ausschließlichkeit – jedenfalls als Grundsatz – aufgegeben. Sie rechnen damit, daß Außenbeziehungen vorkommen können, vielleicht unter gewissen Umständen sogar vorkommen müssen. Sie haben Offenheit vereinbart und gehen von dem Anspruch aus, daß es im Ernstfall eine verständnisvolle und tolerante Auseinandersetzung zwischen ihnen geben würde. Theoretisch ist ihr Beziehungsmodell das des »Liebespaares auf Zeit«.9 Aber trotz dieser progressiven Ideologie gerät Thomas völlig aus dem Gleichgewicht, und empfindet Ria ihren Schritt als schwere Schuld an Thomas. Damit können die beiden sehr schlecht umgehen, und sie greifen auf Bewältigungsstrategien zurück, die mit ihrer gesamten Lebensauffassung nicht vereinbar scheinen. Thomas schaut weg und verdrängt, Ria verheimlicht und fängt an zu schwindeln. Damit gerät sie in einen tiefen Zwiespalt mit sich selbst, mit dem sie nicht mehr zurechtkommt.