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Petra van Laak

Paris auf Zeit

30 Tage an der Seine


Für Kerstin


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Tag 1: Und es geht doch nicht ohne Sacre Coeur

 

 

 

Sollte man ein Paris-Tagebuch mit einem Klischee beginnen? - Sacre Coeur thront als weißer Koloss über den Dächern und drängt sich in mein Küchenfenster, ich kann nicht anders, ich drücke auf den Auflöser. Geschmacksverirrung, Touristentempel, Kitsch in Stein gegossen - es gibt viele, die sich über das Gebäude mokieren, und doch ist es zuerst einmal ein Gotteshaus. Unterhalb der Kirche gehen langsam die Lichter in den vielen kleinen Dachwohnungen an, die Bewohner huschen hin und her, decken den Tisch, hängen Wäsche auf, hacken in die Tastaturen ihrer Laptops. In der Wohnung schräg gegenüber telefoniert hektisch eine Frau, immer wieder geht sie im Zimmer auf und ab, sie trägt ein rückenfreies, schwarzes, elegantes Kleid. Ich koche mir einen Kaffee und setze mich wieder ans Fenster. Mittlerweile hält sie ein Glas Wein in der Hand.

 

Hinten am Ende der Straße dreht sich lichterbekränzt ein altes Karussell - es ist heute das vierte dieser Art, das ich in dieser Stadt sehe - lieben die Pariser das oder ist das für uns Touristen?

 

Ich stelle weiterhin fest:

Es gibt hier den Himmel voller Schornsteine.

Den Anweisungen der Concierge ist unbedingt Folge zu leisten.

Nannys fahren am Nachmittag Kleinkinder in ultramodernen Buggys spazieren. Eine Nanny hat sich ihr Smartphone unter ihre Mütze geklemmt, um beide Hände freizuhaben und trotzdem unentwegt telefonieren zu können.

Das Licht ändert sich hier alle 10 Minuten. Aus grauen Häusern werden rosafarbene Luxus-Stadtvillen. Aus blütenweißer Kirche wird ein grauer Steinberg. Aus grauen Zinkdächern wird ein Mosaik aus leuchtenden Platten. Das ist spektakulärer als ein Sonnenuntergang am Strand.

 

 

Tag 2: Die Nacht war gelb

 

 

 

Und Macarons sind grün. Aber nicht immer. Die Schaufenster der Konditoreien sind zum Satt-Sehen. Das ist gut, denn dann braucht man das nicht ständig kaufen und kommt ums Hüftgold herum (zumindest anfangs).

In Ergänzung zur Schönen von gegenüber: Sie hatte nach dem Telefonat ihr Rückenfreies gegen ein grünes Schlabberkleid eingetauscht, ihre Hochsteckfrisur abgebaut und saß mit zerzaustem Kopf rauchend am Laptop. Aus dem zierlichen Weißweinglas war ein bauchiges Glas Rotwein geworden. Noch ein wenig später waren die Fensterläden geschlossen. Die Dramaturgie ist stimmig, aber führt zu einem traurigen Ende. Umgekehrt wäre es ein besserer Romananfang: Eine unbekannte Schöne von gegenüber nippt abends an ihrem Rotwein, wirre Haare, Jogginghose. Nach einem lebhaften Telefonat springt sie in ihr kleines Schwarzes, steckt sich die Haare hoch und verlässt auf hohen Absätzen die Wohnung. Im Rausgehen drückt sie ihre Zigarette aus. Eine fröhlichere Variante.

 

Gesehen:

Der Himmel über Paris leuchtet gelb in der Nacht. Von Dunkelheit keine Spur. Der Eiffelturm blitzt wütend durch den Dunst.

Im Kaufhaus Printemps gibt es vor den Edel-Abteilungen wie Chanel und Louis Vuitton extra Aufpasser, die die Kundengruppen zu ordentlichen Warteschlangen formen, sie in kleine Einheiten zwischen schwarze Samtkordeln bändigen, um dann zwei bis drei Personen nach Absprache mit den Verkäuferinnen in die Boutique zu entlassen.Tag 

Tag 3: Die perfekte Stunde

 

 

Plötzlich fängt es an zu nieseln, alles zieht sich zu. Auf der Pont Alexandre III ein Blick über die diesige Seine zum kopflosen Eiffelturm. Die Stadt wird schöner fast bei Regen. Die Touristen verschwinden in von falscher Bronze strotzenden Brasserien, die nur für sie gemacht sind und die Ecken der Straßenkreuzungen beherrschen. Die Pariser Passanten flüchten in die U-Bahn-Eingänge. Die Autos fahren eine Spur langsamer. Tauben verstecken sich unter alten Eisenträgern. Ich ziehe meine Kapuze auf und streune weiter. Es ist die perfekte Stunde.

 

Die abgehalfterte Kneipe schräge gegenüber meiner Dachwohnung ist ein solch ein Montmartre-Prototyp, dass dort heute Morgen gedreht wurde. Ich kam von der Boulangerie, mit einem Baguette unter dem Arm, wie es sich gehört, und in dem alten Bistro saßen sich zwei moderne Franzosen gegenüber, umringt von Kamera, Aufnahmeleiter, Regisseur, Maske und Garderobe. Ein zweifach vorgeführter Ort.

 

Erfahrenes:

Die Metro hat ihren eigenen Geruch. Ganz anders als die Londoner Tube oder die Berliner U-Bahn. Eine Wette abschließen: sämtliche U-Bahnen der Welt an ihrem Geruch erkennen.

In der Metro sind alle ganz höflich. Man bietet sich gegenseitig seine Sitzplätze an. Warum geht das nicht in Berlin?

Die Ansagen in der Metro erfolgen zwei Mal: Erst mit Fragezeichen, dann mit Ausrufezeichen. Pigalle? Pigalle!

Um 18.00 Uhr sind viele kleine Kinder in der Metro. Sie werden vom Kindergarten abgeholt. Die müden Mütter und Väter sind lieb zu ihnen und ermahnen sie, sich festzuhalten. Die Kleinen plappern in herzallerliebsten Kinder-Französisch auf alle Reisenden ein.

 

Tag 4: Versuch eines Alltags

 

 

 

Das erste Mal muss ich nicht nachsehen, um den Code für das schwere hölzerne Tor in der Rue Tardieu einzugeben. Sesam öffnet sich, das Tor fällt hinter mir ins Schloss. Hausschlüssel sind hier unbekannt. Umso wichtiger die heimlichen Herrscher über die Häuser - die Conciergen, hier in Paris fast immer Portugiesinnen. Unsere hat jetzt noch (im Januar) einen Weihnachtsbaum in vollem Schmuck stehen. Ich gehe links an ihrer Behausung im Hof vorbei, zum Seitenflügel, wieder einen anderen Code eingeben und dann hoch in die sixième Étage. Ich laufe die sechs Treppen, ich traue dem winzigen, wackligen Aufzug nicht.

Am Küchentisch arbeite ich an einem Texter-Projekt und schaue ab und an hinaus, die Häuser staffeln sich den Berg hinauf bis Sacre Coeur. Da bewegt sich etwas auf den Dächern - da turnen zwei Kerle auf schmalen Dachfirsten, ungesichert, balancieren auf kleinen Schornsteinchen, krallen ihre Finger in den groben Mörtel gemauerter Kaminabzüge. Sind die beiden Männer wahnsinnig geworden?! - Nein, es sind Schornsteinfeger.

Am Nachmittag will ich ein paar Einkäufe machen, das geht jetzt ohne Stadtplan, ganz souverän, in zügigen Schritten, wie die Bewohner es hier machen, die behende die Stufen hinaufnehmen, nicht verschnaufen müssen wie die Touristen. Und ich laufe zu meiner Lieblings-Bäckerei, entdecke eine Fromagerie, weiter hinten in der Rue des Abbesses einen Weinladen, kaufe ein und bewege mich, als wenn ich hier schon ewig lebte. Denke ich zumindest. Wahrscheinlich dachte der wendige Kellner im Café le Nazir an der Ecke zur Rue Tholozé, als ich einen Crème bestellte, ach nein, schon wieder so eine Fremde, die sich als Einheimische aufführt...

Auf dem Rückweg passiere ich ein zu glatt poliertes Restaurant. Vorne, unter der obligatorischen, roten Markise, wohlig umwärmt von Heizspiralen, sitzt ein Mann um die fünfzig. Es ist 15.00 Uhr, er hat vor sich ein Rotweinglas, liest in einem vergilbten Taschenbuch, auf dem Kopf eine Baskenmütze - und das Ganze sieht so nicht-französisch, so nicht-Montmartre aus, dass er mir fast leid tut in seinem Bemühen, echter zu sein als die echten Pariser.

 

Gesehen:

Die Rinnsteine werden gereinigt, indem oben am Berg die Hydranten aufgedreht werden, das Wasser sprudelt die Straßenränder hinunter. Unten schimpft ein Vater mit seinem 10-jährigen Sohn, der gedankenverloren ins Nichts blickt und dabei mit beiden beturnschuhten Füßen im Wasser steht.

Tageslicht ist in den Büros und Ateliers des Montmartre ein Privileg. Die meisten Architekten, Designer, Künstler sitzen in dunklen Höhlen. Hab ich es gut!

Jeden Tag eine andere Variante Baguette kaufen, das ist es.

 

Tag 5: So weit die Füße tragen

 

 

 

Auf dem Weg zum Cimetière Montmartre fragte mich ein französisches Paar nach dem Weg - und ich konnte ihnen weiterhelfen. Dass ich überhaupt gefragt wurde, und noch dazu auf Französisch, lag sicher daran, dass ich die Wochenendausgabe der Le Monde unter dem Arm trug.

Großes Thema ist nach wie vor die Ab- bzw. Auswanderung von Gérard Depardieu. "C'est comme si Belmondo allait vivre en Iran." kommentiert ein Journalist in der Magazin-Beilage der Zeitung.

In der Avenue Junot suche ich das Haus, das Adolf Loos 1926 in brutaler Schlichtheit für den Surrealisten Tristan Tzara gebaut hat. Auch heute noch für unsere Sehgewohnheiten ein Fremdkörper zwischen den filigranen Fassaden der schlanken Häuser der Ave Junot.

Ein Riesen-Spaß: Georg Stefan Troller zu lesen, seine literarischen Streifzüge durch die Stadt. In ein paar Tagen ist seine Autobiographie dran. Er schreibt kurzweilig, schön und schnoddrig zugleich.

Einkehr im Café, das zu einem der schönsten Kinos hier im Quartier gehört: das Studio 28. Beim nächsten Regentag geh ich ins Cinéma, und das am hellichten Tag. Das habe ich seit meiner Studentenzeit nicht  mehr getan.

 

Bemerkt:

Auf dem Friedhof Montmartre liegen die Gräber der Christen einträchtig neben denen der Juden einträchtig. Die Grabsteine zeugen von Verzweiflung, abgöttischer Liebe, Eitelkeit und Nationalstolz. Ein Sohn hat sämtliche Orden seines Vaters auf den Stein meißeln lassen.

Die Bewohner von Häusern und Wohnungen mit Dachterrassen (Privileg!) schützen sich vor den Blicken der Passanten mit meterhohen Bambusanpflanzungen, nein, Bambuswäldern.