Vorrede

Nachstehender, an mich gerichteter Brief, an dem ich, außer den Eingang, kaum etwas wegließ oder änderte, wurde mir der letzte Anlaß, vorliegendes Büchlein zu veröffentlichen:

Hochverehrte gnädige Frau!

Ich bin in Verzweiflung! Denken sie, ich habe mit meinem Manne eine Scene gehabt! Nach dreimonatiger glücklichster Ehe eine Scene, eine wirkliche Scene! Er war schließlich schrecklich zornig, und ich weinte fürchterlich. Und warum dies alles? – Weil ich heute, als wir Besuche machten, der Frau Gräfin M. zuerst die Hand bot, weil ich deren Töchter mit „Fräulein Gräfin“ ansprach, weil ich beim Oberst H., da ich meinen Mann zwei Karten abgeben sah, auch von mir zwei Karten gab, und weil über dies alles „die Leute lächelten“.

„Du blamierst uns,“ rief er endlich zornig, „weil du eben nicht auf das achtest, was in der eleganten Welt der Brauch ist! Die Frau eines Offiziers aber, der immer fähig sein muß, in den ersten Gesellschaftskreisen tadellos zu verkehren, sollte solches thun. Ist es mir schon ohnehin peinlich genug, wenn man über unsern unmäßig goldenen Salon spöttelt, so sollte doch“ – und damit stürzte er wütend fort in seine Kaserne. Ich weinte natürlich noch eine Zeit lang, konnte mir aber nicht verhehlen, daß er recht hatte. Woher aber soll ich wissen, daß derlei Kleinigkeiten Bedeutung haben? Ich bin sozusagen auf dem Lande aufgewachsen; die ausgedehnten Fabrikanlagen meiner Eltern liegen weit von der Stadt entfernt. Mein Vater kümmerte sich nur um sein Geschäft, meine Mutter um den sehr großen Haushalt. Mich ließen sie in dem besten Institut der französischen Schweiz erziehen, wo ich mit ungeheuren Kosten ungeheuer gebildet und in allem möglichen eingehendst unterrichtet wurde, nur nicht in dem, was ich jetzt so notwendig brauchen würde. Kaum aus dem Institute zurückgekehrt, lernte ich bei einer Manöver-Einquartierung meinen Mann kennen und bin nun seit drei Monaten seine Frau, die anfängt, vor jedem Besuche, vor jeder Gesellschaft zu zittern, weil sie fürchtet, in ihrer Harmlosigkeit und Unsicherheit immer neue Ungeschicklichkeiten zu begehen, die ihn unglücklich machen. So soll ich zum Beispiel morgen abend die obengenannte Gräfin M., eine geborene Fürstin N., mit ihren Töchtern und den Oberst von H. mit Frau und Sohn zum Abendessen bei mir haben.

Bitte, bitte, gnädige Frau, Sie haben mir je gestattet, bei Ihnen Rat zu holen, sagen Sie mir doch, wie habe ich diese alle anzureden, wie sie zu setzen, was zu geben, um nicht zu viel, nicht zu wenig zu thun, und welche Toilette ist dabei für mich die richtige?

Verzeihen Sie, wenn Ihre große Güte allzu sehr in Anspruch nimmt

Ihre dankbar ergebenste

Anna M.

Sei es mir nun gestattet, über mich selbst, an die dieser Brief gerichtet ist, ein paar Worte zu sagen. Ich entstamme einer Familie, welche seit Urzeiten am Hofe von X. gelebt hatte. Mich führte das Leben, oder vielmehr die Liebe, an der Hand eines bürgerlichen Offiziers in eine Provinzstadt. Es galt nun, sich mit verhältnismäßig bescheidenen Mitteln elegant einzurichten und so hauszuhalten, anfangs eine kleine, später eine ausgebreitete Geselligkeit zu pflegen. Es war mir eine große Genugthuung, zu sehen, daß es meinem Manne eine wirkliche Freude war, wie allmählich unser Haus als einer der elegantesten der Stadt galt, daß sich um unsern Theetisch gern die bekannten Familien der Stadt und des Adels der Umgebung Rendezvous gaben und unsre Gesellschaften die besuchtesten in jedem Winter wurden. Im Laufe der Zeit kam ich nun durch Beobachtungen, Erfahrungen, Erlebnisse, die ich in der Heimat, sowie während vielfachem auswärtigen Besuchsleben machte, dann durch Anfragen, Briefe und Briefchen, die an mich kamen, wie obenstehender, zu der Anschauung, daß ein Büchlein wie vorliegendes einer großen Zahl junger Frauen willkommen sein könnte.

Möchte es mir gelungen sein, hiermit einen getreuen Ratgeber geschaffen zu haben besonders für solche Frauen, welche ein elegantes Haus machen wollen oder sollen, und deren Jugend die nötige Erfahrung oder der Glaube, daß dies auch mit einfachen Mitteln möglich ist, hierzu fehlt. Möchte dies Büchlein ein willkommenes Brautgeschenk, eine willkommene Weihnachtsgabe werden!

Impressum

Anmerkungen

[1] Die natürliche Holzfaser mit Farbe zu verdecken, wäre jenem organisch empfindenden Stil unmöglich gewesen.

[2] Die Besitzer sind meist im frommen Glauben, mit einem solchen getreu im strengen Renaissancestil zu bleiben, und bringen diesem Bewußtsein das Opfer eines bequemen Sofas. Aber es ist „love’s labour lost“, denn die deutsche Renaissance hatte die gotische und die italienische Sitzbank, die reich geziert, aber hart und steif waren, übernommen. Diese wurden wohl nach und nach mit Kissen belegt, aber das Polstern der Möbel wurde erst im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts unter Ludwig XIII. eingeführt.

[3] Wohl kannte jenen Zeit keine Vorhänge, sondern es waren die Fensterumrahmungen reich geschnitzt und hell, meist weiß lackiert und mit Vergoldung geziert. Es würde aber für uns, die wir an den behaglichen Vorhang gewöhnt sind, eine thörichte Einschränkung bedeuten, ihn wegzulassen.

[4] Als einen ständigen Witz hörte ich noch vor nicht langer Zeit in England das alte Geschichtchen erzählen: Ein reichgewordener Industrieeller hatte sich nach im Ausland gesehenen palastähnlichen Villen auch einen regelmäßigen, prächtigen Fassadenbau aufführen lassen. Da bekam er vom Lord Soundso den spöttischen Rat, er möge sich auch das seinem Palast gegenüberliegende Haus mieten, damit er doch die Pracht und die Kosten seines Hauses genießen könne.

[5] Siehe das vom Verschmähten des Unechten Gesagte S. 17/18.

[6] Daß es für eine elegante Dame „unmöglich“ ist, ihren Besuchen auf dem Gang intime Haushaltsgegenstände, wie Besen, Einmachtöpfe, Schmalzhäfen und so weiter sichtbar werden zu lassen, oder daß sich diesen aus der offenen Küchenthüre mächtige Düfte als lebendiger Speisezettel des betreffenden Familienmahles entgegendrängen, sollte ich wohl nicht erst ausführlich anzuführen brauchen. Meine Erfahrungen lassen mich dies aber leider nicht als überflüssig erkennen.

[7] Die Besitzer sind meist im frommen Glauben, mit einen solchen getreu im strengen Renaissancestil zu bleiben, und bringen diesem Bewußtsein das Opfer eines bequemen Sofas. Aber es ist love’s labour lost, denn die deutsche Renaissance hatte die gotische und die italienische Sitzbank, die reich geziert, aber hart und steif waren, übernommen. Diese wurden wohl nach und nach mit Kissen belegt, aber das Polstern eines solchen Möbels wurde erst im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts unter Ludwig XII. eingeführt.

[8] Siehe das über den Vorhang zur Rokokozeit Gesagte S. 23.

[9] Auch der moderne „neue Stil“ hat den figurierten breiten Fries, der Decke anschließend, aufgenommen.

[10] Siehe die allgemeinen Bemerkungen über Renaissance S. 20.

[11] Die Rokokozeit hatte bekanntlich vielfach die Sitzmöbeln mit Figuren, ja ganzen Schäferscenen geziert.

[12] Im allgemeinen bildet die Photographie, ihrer feinen, auf unmittelbare Nähe berechneten Ausführung halber, keinen passenden Wandschmuck. In Fällen wie der angeführte besteht die Entschuldigung darin, daß man den betreffenden Gegenstand der Darstellung gerne vor sich sehen möchte, aber in keiner anderen Ausführung besitzt. Bei dieser Gelegenheit sei auch auf die in neuerer Zeit allgemein eingeführten Steindrucke hingewiesen; in ihnen ist, unter andern wertvollen modernen Werken, schon eine große Zahl von Böcklins und Thomas Bildern vervielfältigt, und jedes solche Blatt, das um einige Mark zu haben ist, ergiebt in einer der einfach getönten modernen Rahmen einen edlen Wandschmuck. Die neue Technik hat solche Lithographien auch in zwei oder drei Farbtönen hergestellt, und es sind die in Grau und Weiß oder in Weiß und sepia hergestellten von sehr guter Wirkung. In dieser Art sah ich reizende Blätter von Kalkreuth, Volkmann u. s. w., die zeigten, daß diese künstlerische Vervielfältigung infolge ihrer starken Ausführung sich zur Wanddekoration eignet. Und damit verschwinden hoffentlich die schauerlichen Oelfarbendrucke vollständig, und all die das Zimmer unruhig machenden Lappalien, die dort als Wandschmuck figuriert haben unter dem schützenden Einwand: „Oelbilder sind mir zu teuer und kahle Wände sind öde.“

[13] Diese Regel erhält die Ausnahme: sind wir in Begleitung eines Herren, müssen wir jedenfalls zugleich mit diesem, welcher die Dame selbstverständlich zuerst zu grüßen hat, grüßen, und das ganz besonders, wenn der Herr die Dame nicht kennt, sie demnach nicht grüßt, bevor er durch unsern Gruß dazu veranlaßt wird; die Dame käme sonst in die Lage, ein aus Dame und Herr bestehendes Paar zuerst grüßen zu müssen.

[14] Es versteht sich von selbst, daß es Fälle geben kann, in denen ein vorsätzliches Nichtbeistehen ebenso lächerlich als unrecht sein kann. Hierüber entscheidet der feine Takt.

[15] Solcher Mitfreude müssen wir auch bei jeden frohen offiziellen Ereignis überhaupt, bei jeder offiziellen Auszeichnung durch Beförderung, Ordensverleihung und so weiter Ausdruck geben, und gelten selbstverständlich für den Glückwünschenden und Erwidernden die gleichen, wie jetzt bei der Verlobung angeführten, Regeln.

[16] Für das Zeremoniell bei Trauungen und Taufen lassen sich feste Normen nicht angeben, da dieselben zu sehr Familienfeste sind und als solche ganz bestimmten Rücksichten unterliegen. Für einzelne Punkte, besonders für ihren „materiellen“ Teil, der meist aus Frühstück oder Mittagessen besteht, findet sich in dem Abschnitt „Einladung“ Rat.

[17] Auf dem Spiegeltisch dieses Vorzimmers steht stets ein Silberteller, auf welchem der Diener der Gräfin die Karten derjenigen Personen übergiebt, welche dem Hause noch ganz fremd sind, und sich durch Karte anzumelden wünschen. Da auch in jedem andern Hause es vorkommen kann, daß ein Besuch Kartenanmeldung wünscht, so empfiehlt es sich, auf dem Spiegeltischchen des Vorplatzes einen Teller – japanisch, Majolika, und so weiter – bereit stehen zu haben und die Dienstboten danach zu unterrichten. Derselbe wird von den Dienstboten auch zum Uebergeben von Briefen und so weiter und zur Ablage der Visitenkarten, die in unserer Abwesenheit abgegeben wurden, benützt.

[18] Daß wir als Dame niemals einem alleinwohnenden Herrn, ausgenommen Geistlichen, Besuch machen können, wäre mir ausdrücklich zu erwähnen bis vor einer Stunde gar nicht eingefallen. Nun trank aber vorhin Oberst von A., ein Junggeselle, „sein Täßchen Thee“ bei mir und erzählte mit in bester Laune unter einer Flut von schlechten Witzen, daß ihn heute Leutnant M. mit seiner Braut – einem Fräulein, welches einer entschieden sogenannten „gebildeten“ Familie angehört – besucht habe. Dies mahnt mich, vor einer solchen Unmöglichkeit wenigstens in der Anmerkung zu warnen.

[19] Das gilt natürlich nur, wenn die Tochter statt der Mutter anwesend ist; außerdem nimmt sie, auch wenn nur Herren anwesend sind und die Mutter allein auf dem Sofa sitzt, einen Stuhl. Heranwachsende Mädchen nehmen in manchen vornehmen Familien an den Besuchen, hinter dem Platze der Mutter stehend, teil.

[20] Für Witwen gelten genau dieselben Vorschriften. So wurde mir zum Beispile gestern in einem kleinen Kreis eine Karte übergeben, die eine ganze Flut von schlechten Witzen entfesselte. Sie lautete: „Rosa B… geb. M… Leutnants-Witwe.“ Jegliche auch nur im entferntesten elegant sein wollende Witwe muß darauf verzichten, auf ihrer Visitenkarte sowohl ihres verstorbenen Mannes Stand als ihren eigenen („eine Witwe“) verzeichnet zu sehen.

[21] Sie haben also eine solche Persönlichkeit etwa vorzustellen: „Herr Präsident X., Excellenz.“ Damit ist dem dritten die Form der Anrede gegeben. Ich erinnere mich, daß einmal eine sonst sehr bewunderte Dame sehr belächelt wurde, weil sie einer „Hoheit“ gegenüber, von welcher deren Hofdame als „Frau Herzogin“ gesprochen gehabt hatte, dies als Anrede gebrauchte.

[22] Es ist wohl unnötig, zu erwähnen, daß die Dame den Herrn niemals mit „gnädiger Herr“ anspricht.

[23] Herren, welche Kammerherren sind, können infolgedessen oft einen viel höheren Rang einnehmen, als ihnen ihre Berufsstellung anweist. Indessen ist es nicht Sitte, in anderen als Hofkreisen hierauf Rücksicht zu nehmen.

[24] Es ist eine hübsche Mode auf der Einladungskarte zur Jagd das betreffende Jagdhaus oder Schloß ganz klein in Photographie oder Steindruck darzustellen.

[25] Ein im Hause weilender Gast oder eine bei der Familie H. lebende Schwägerin und so weiter.

[26] Die Karte trägt in der linken Ecke: Es wird gebeten, maskiert zu kommen.

[27] Sie kann hier also von der im „Besuch“ geratenen Sitte abweichen, da sie ihren geladenen Gästen allen gleich liebenswürdigen Empfang schuldet.

[28] Es sei hier gleich ein für allemal bemerkt, daß nur ein Service, welches zusammenpaßt, Anspruch auf Eleganz machen kann und daß das einfachste weiße, das in allem (auch das Glasservice) zusammengehört, diesem Anspruch genügt, während das kostbarste, aber aus Verschiedenem bestehend, nicht elegant ist.

[29] Selbstredend ist mit dem Gesagten die leichte, vielleicht gelegentliche Aufforderung dieses und jenes Bekannten, „seinen Nachtischkaffee“ etwas „im Vorübergehen“ bei uns zu nehmen, nicht ausgeschlossen.

[30] Hier ist der einzige Fall, wo eine kleine helle, sehr zierlich bestickte, sogenannte Theeschürze auf eine halbe Stunde dem jungen Mädchen im Salon erlaubt sein könnte.

[31] Unser täglicher Tisch soll überhaupt nie einen zu mächtigen Abstand in seiner Ausstattung zeigen von dem, wie wir ihn für Fremde decken; er soll jederzeit so gehalten sein, daß auch ein Gast an ihm Platz nehmen könnte – nicht etwa um einer solchen Eventualität willen, sondern wegen uns selbst. Dasjenige Hauswesen ist viel eleganter, in welchem stets ein und dasselbe, wenn auch nicht kostbare Porzellan benützt wird, als dasjenige, in welchem täglich auf geringem, und wenn nur Gäste da sind, mittels großer Vorbereitungen auf prächtigem gegessen wird. Erinnern wir uns hier, daß die elegante Hausfrau in erster Linie für das Haus und erst in zweiter Linie für Gäste zu sorgen hat (Siehe „Lebensweise“.)

[32] So gebotener Kaviar wird als aufgetürmter „Berg“ auf runder Platte serviert, die mit Zitronenschnitten und gerösteten und andern Weißbrotschnitten garniert ist.

[33] Unter Tischwein ist immer weißer und roter zu verstehen.

[34] Ein anderes ist, wenn nur überhaupt eine schlechte, nachlässige Aussprache vorhanden ist. In diesem Fall ist es sehr rätlich, alle Tage etwa eine halbe Stunde für sich laut zu lesen, denn so sehr eine gewöhnliche Sprechweise einer an sich ganz eleganten Erscheinung das Prädikat „eine Dame“ rauben kann, so sehr hilft eine reine, ungesucht schöne Aussprache zu einem feinen Eindruck auf andere.

[35] Auch sind wir Deutschen viel zu höflich, um gleich den Engländern im Anzug offenbar nur auf das Praktische Rücksicht zu nehmen, unbekümmert um das dadurch beleidigte Schönheitsgefühl unserer Umgebung. Aber vielleicht irre ich mich und es hält auch die Engländerin ihre Eigentümlichkeiten, wie zum Beispiel eine durch keinerlei Faltenwurf und Modehilfe verbesserte Figur und flache Riesenfüße, für schön? Ich getraue mir noch keine darüber zu fragen.

[36] Nicht für eine Figur, deren sehr rundliches Embonpoint nicht mehr Anspruch auf jugendliche Eleganz machen kann, wie ich kürzlich einer auf dem Bahnhofe begegnete, welche zu einer herrenmäßig gemachten weißen Tuchjacke eine kleine gelb und rot gestreifte Jockeymütze trug.

[37] Natürlich halte ich es für unnötig, hier eigens zu betonen, daß vor allem der Anzug bis ins Kleinste tadellos ordentlich und peinlich rein sein muß, und zum Beispiel abgestoßene Kleiderlitze und Aehnliches unmöglich ist.

[38] Sie nimmt den Regenmantel, wenn dieser des Regens halber nötig war, vor dem Zimmer ab.

[39] Wenn das durch hohe Fenster sehr grell eindringende Tageslicht durch Vorhänge gedämpft wird (ohne deshalb den Blick in das Freie zu hindern), ist es für die Bewohnerin solcher Zimmer vorteilhafter; diese Lichtdämpfung macht unschöne Töne in der Gesichtsfarbe mehr verschwinden und läßt nicht, wie es das Tageslicht thut, zarte, nicht mehr jugendliche Gesichtszüge scharf werden.

[40] Nur bei gesunden Frauen sei das Wasser kalt; bei Nervösen stets zimmerwarm oder lau, denn sehr kaltes Wasser reizt, wenn am ganzen Körper angewendet, angegriffenen Nerven. Nur das Wasser für Gesicht und Hals sei wo möglich stets kalt, da warmes Wasser die Gesichtshaut früh welk macht.

[41] Was der Magen morgens nach gesundem Schlafe aufnimmt, verarbeitet er für den Körper am zuträglichsten, indem er da, gleichsam ausgeruht, seine Thätigkeit am kräftigsten ausübt. Das Ei muß jedoch stark verkleppert sein, denn sonst wird das sehr

[42] Ein Eiweiß wird mit einem Theelöffel gepulverten Alaun gemischt und über schwacher Flamme verdampft (Rühren mit Porzellanlöffel). Diese dickliche Masse wird mit etwas Olivenöl und Benzoetinktur verrührt.

[43] Ich möchte hier auf meine kleine Broschüre „Frauenrechte und Frauenpflichten“, die darauf näher eingeht, hinweisen.

[44] Die Gamaschen sind nur für die Straße; im Zimmer weiße oder schwarze Strümpfe.

[45] Bei dieser Gelegenheit möchte ich betonen, daß die oft gesehenen Wachstuchdecken am Klavier ein recht kleinbürgerliches Schonen bekunden und die von bestickten Stoffen einen unmusikalischen Sinn, denn sie schlucken den Ton. Zu was soll das Klavier in seinen Holzteilen geschont werden, bis es abgespielt ist?

Isa von der Lütt

Die elegante
Hausfrau

Mitteilungen für junge Hauswesen

Mit besonderen
Winken
für Offiziersfrauen

– 1892 –

Verlag Rockstuhl

Inhalt

Titel

Impressum

Vorrede

Vorrede zur zweiten Auflage

Vorrede zur vierten Auflage

Einleitung

1. Einrichtung des Hauses. a. allgemeine Bemerkungen – Die geschichtliche Entwicklung der deutschen Hauseinrichtung in Renaissance – Barock – Rokoko – Zopf – Louis XVI. – Empir – die Möbel zur Zeit Schillers – die Romantik – die Maschinenindustrie – die Stilrekapitulation – der Japonismus – der englische Stil – der neue Stil. b. Hauseingang, Vorplatz, Vorzimmer. c. Empfangszimmer. Besuchszimmer. Salon. Boudoir. „Mein Zimmer“. Skizzen zu Einrichtungen. d. Eßzimmer. e. Wohnzimmer. f. Herrenzimmer. g. die übrigen Zimmer

2. Die Lebensweise der eleganten Frau

3. Gesellschaftliche Formen und Gebräuche.

a. Allgemeines. – Grüßen und Begrüßen. – Begrüßen in Gesellschaft. – Gespräch beginnen und abbrechen. – Vorstellungen und Sich vorstellen lassen. – Handbieten. – Handkuß. – Ansprechen auf der Straße. – Begleiten auf der Straße. – Rechtsgehen. – Ausweichen. – Benehmen auf der Straße. – Anbieten von Dienstleistungen. – Artigkeiten und Aufmerksamkeiten. – Danken 59

b. Bei besonderen Gelegenheiten. Verlobung, offizielle, nicht offizielle. – Mitteilung der Verlobung. – Erwiderung derselben. – Glückwunsch. – Blumengabe. – Erwiderung derselben. – Benehmen der Verlobten. – Hochzeitsgeschenke. – Dank für diese. – Abschiedsbesuch der Braut. – Einladung zur Trauung. – Vermählungsanzeige und Erwiderung. – Gebräuche bei Geburtsanzeige, Taufe. – Aberglaube. – Todesfall. – Einsegnung. – Beerdigung. – Trauergottesdienst. – Beileidsbesuch. – Dank für denselben

c. Rückblick auf Formen und Benehmen.

4. Der Besuch. – Allgemeines. – Wem sollen wir Besuch machen? – Grenzen der Besuche. – Besuchsliste. – Lohndiener. – Kartenhineinwerfen. – Tournée im Wagen. – Dankbesuch für Glückwunsch u. s. w. – Winterbesuch. – Dankbesuch für Einladung. – Wochenbesuch. – Krankenbesuch. – Artigkeitsbesuch. – Gegenbesuch. – Wann sollen wir Besuch machen? – Besuchsstunde. – Zeitpunkt der Besuche. – Benehmen beim Besuchmachen. – Eintreten. – Platznehmen. – Sofaplatz. – Aufbrechen bei dem Besuche. – Verabschieden. – Benehmen bei dem Besuchempfangen. – Besuchszimmer. – Besuchsanzug. – Begrüßung. – Platzanbieten. – Platz der Hausfrau. – Beginn des Gesprächs. – Hinausbegleiten

5. Die Visitenkarte und ihre Anwendung

6. Die Anrede. – Der Titel und Rang

7. Die Einladung. – Die Form und Zeit der Einladung und Ablehnung. – Wen kann und darf man laden? – Wen soll man laden? – Der Empfang im eigenen Hause. – Vorstellen. – Pflichten der Wirte und Gäste. – Anzug. – Bewirtung. – Zureden. – Bedienen bei Tische. – Benehmen bei Tische. – Einhalten der Einladungsstunde. – Aufheben der Tafel. – Aufbrechen in Gesellschaft. – Zeit des Aufbrechens. – Ruhe der Hausfrau. – Tisch-Decken, -Räumen, -Schmücken, -Führen, -Karten. – Kaffee nach Tisch. – Kaffe-, Thee-Einladung. – Fünf-Uhr-Thee (five o’clock tea) jour fix. – Empfangstag. – Frühstück. – Ball. – Rout. – Abendessen. – „Mit uns zu Abend essen“. – Der tägliche Tisch. – Mittagessen. – Herrenessen. – Getränke bei Tisch. – Speisezettel.

8. Die Konversation

9. Der Anzug. – Allgemeines. – Die Mode. – Das Auffallende. – Das Extravagante. – Das Einfache. – Die Forderungen der Eleganz. – Das Morgendas Straßenkleid. – Der Schmuck. – Promenade-, Besuchs-, Reise-, Trauer-, Gesellschaftsanzug. – Kopfschmuck. – Das schwarzseidene Kleid. – Konzert-, Theater-, Ballanzug. – Die Schleppe. – Dineranzug. – Trauung und Hochzeitsanzug. – Vorstellungsanzug. – Sportanzüge. – Der Handschuh (das An- und Abziehen desselben). – Die Fußbekleidung. – Der Fächer. – Der Parfüm

10. Erlaube und unerlaubte Toilettenkünste. – Einige ästhetische Bemerkungen. Berechtigung und Zweck des Schmückens. – Spezifische und spezielle Schönheit. – Das „Gutstehen“. – Geschmack. – Anmut. – Verbergen und Hervorheben. – Haartracht. – Das Charakteristische. – Die harmonische Wirkung. – Das Anpassen und der Stil der Kleidung. – Der Hut. – Die Komplementärfarbe. – Vermittlungston. – Positive und negative Kontraste. – Abschwächung der Farbe. – Lichteffekte. – Farbenzudringlichkeit. – Die Art der Beleuchtung. – Reflextöne. – Optische Täuschungen. – Die „richtigen althergebrachten“ Toilettenartikel. – Das einzige, wirklich rationelle Schönheitsmittel. – Körperliche Arbeit. – Tägliche Waschungen. – Schonen. – Puder. – Unerlaubte Toilettenkünste. – Der Teint und seine Pflege. – Die Salbe. – Hautpflege. – Einige hierher passende Ratschläge. – Die Hand, deren Pflege und Schmuck. – Die Fingernägel. – Gefallen wollen

11. Mögliches Sparen

12. Das Geldausgeben der Dame in der Oeffentlichkeit. – Sammlungen ec. – Trinkgelder

13. Die Dienstboten. – Die Behandlung der Dienstboten. – Unser Benehmen gegen dieselben. – Deren Kleidung. – Das Benehmen der Dienstboten

14. Der Schreibtisch. – Der Brief. – Nachschrift. – Anrede. – Schlußformel. – Unterschrift. – Adresse. – Briefpapier

15. Die Musik im Salon

16. Unser Umgang. – Vorsicht in der Wahl desselben. – Das Anknüpfen von Bekanntschaften. – Wünschenswerte Bekanntschaften. – Das Abbrechen von Bekanntschaften. – Reise- und Badebekanntschaften. – Freundschaften

17. Die Kinder. – Anwesenheit bei Gästen. – Benehmen. – Geselligkeit. – Umgang. – Sprechweise. – Kindermädchen. – Bonne. – Kleidung

Anmerkungen

Benützte Werke:

Kunstgeschichtliche: G. Hirth, J. Falke, Lacroix (Bibliophile Jacob).
Aesthetische: F. Th. Vischer, Carriere, Lemcke.
Farbenlehre: Brücke, Bezold.

Vorrede
zur zweiten Auflage

Es macht mir große Freude, daß von meinem Büchlein schon jetzt eine zweite Auflage nötig wird, und mit Vergnügen erfahre ich durch freundliche Mitteilungen, daß es sich Leserinnen nicht nur unter den jungen Frauen, für die es in erster Linie gedacht war, erworben hat, sondern daß auch solche Damen, die mit allen Fragen strenger Form und Etikette vertraut sind, es gerne zur Hand nehmen.

„Es sei ihnen eine unterhaltende Lektüre, durch die ihnen manches bisher unbewußt und unbeachtet Geübte unter neuen Gesichtspunkten zu bewußter Anschauung komme.“

Ebenso gerne begrüße ich die Nachricht, daß es auch bei solchen Damen Aufnahmen gefunden habe, „die bisher gewohnt waren, die Einrichtung und Ausstattung ihrer Wohnräume dem Dekorateur und Tapezier vollständig zu übergeben, und die nun aus den kunstgeschichtlich begründeten Ratschlägen dieses Buches den Mut fassen, den eignen Geschmack walten zu lassen.“

Für diese liebenswürdigen Mitteilungen sage ich vielen Dank.

Im Juni 1892.

Vorrede
zur vierten Auflage

In einem neuen Jahrhundert begrüße ich meine Leserinnen! Fin de siècle ist hinunter und die neue Strömung, die durch die große, weite Welt geht, weht auch herein bis in die Kapitel dieses kleinen Buches der kleinen, feinen Welt.

Am mächtigsten weht sie herein in die Abschnitte wo Kunst und Kunsthandwerk dringend das Neue fordern; deutlich spürbar ist sie überall, wo die sozialen Fragen leise und stärker berührt werden, wo der Zug oder die Sucht unser Zeit nach Nivellierung der Klassen mitspricht.

Das wachsende Selbstbewußtsein des einzelnen, die Geltung, die das Persönliche, die Persönlichkeit sich ständig mehr verschafft, greift da und dort auch herüber in das elegante Leben der eleganten Welt. Das Exklusive tritt, sich nur noch in einzelne Hochburgen verschanzend, immer mehr zurück.

Unberührt aber bleibt in diesem Wechsel das Wesentliche, bleibt das, was wurzelt im immergleichen Urgrund des menschlichen Empfindens für das, was gut und wahr und schön ist.

Und darum werden von dem Hauche der Zeit, werden von jeder neuen Strömung nur oberflächlich, nur leise unmerklich berührt die Formen, die feinen Sitten, die in diesem Urgrunde wurzeln und deren Hüterinnen zu sein die Frauen durch alle Zeiten berufen sind.

Im Sommer 1900.

Einleitung

Wie aus der Vorrede zu ersehen, werde ich im Verlaufe meine Büchleins vor allem die wohlhabende Mittelklasse der gesellig lebenden Menschen, also weder den exklusiven und den hohen Adel, noch die gesellig ganz Ungebildeten im Auge haben.

Es sollen aber deshalb keineswegs Winke für den reichen Ueberfluß beiseite gelassen werden, die gerade einem solchen oft recht nötig sind, um ihn in den Stand zu setzen, ein elegantes, nicht ein nur Reichtum und Protzentum verratendes Haus zu machen.

Noch weniger aber möchte ich dem auf bescheidene Mittel angewiesenen Haushalte den Rat vorenthalten, wie trotz dieser bescheidenen Mittel nach Möglichkeit ein elegantes Haus zu führen sei.

Es ist glücklicherweise weder in der Einrichtung, noch im ganzen Zuschnitt des Hausstandes Reichtum nötig, um ein wirklich feines und vornehmes Haus zu haben. Ich habe vielmehr in meiner vielseitigen Erfahrung die Bemerkung gemacht, daß Reichtum, der plötzlich in gesellschaftlichen Vordergrund trat, in seinen Aeußerungen der geselligen Welt gegenüber gerade am häufigsten das entschiedene Gegenteil von fein und vornehm war, trotz – oder besser gesagt – infolge seiner über und über vergoldeten Möbel.

Nein, mit goldenen Rahmen und seidenen Vorhängen zieht der feine Ton nicht in unser Haus, und er manifestiert sich nicht durch reiche Soupers und befrackte Dienerschaft. Von einem solchen Hause wird man, wenn ihm jenes „Etwas“ des feinen Tones fehlt, wohl sagen: „das ist ein reiches Haus“, nicht aber ein „feines“, ein „vornehmes“, ein „elegantes“.

Dies aber wird man von dem und jenem Hause sagen, das zwar statt der Livreediener nur die nötigste Bedienung hat, dessen Herrin aber nicht nur eine richtige Hausfrau, sondern eine Dame ist.

„She is no lady“, sagt der Engländer achselzuckend, wenn der Frau eben jenes Etwas nicht zu eigen ist, und hat ihr damit erbarmungs- und rettungslos den Stab gebrochen.

Was aber ist es, jenes Etwas?

Ja, was es ist, kann man nicht wohl sagen; es ist – es ist – nun, es ist eben „das Ding an sich“ im Leben der eleganten Frau. Hat aber „das Ding an sich“ der große Kant in seiner Philosophie nicht anders erklären können, so wird man es doch auch nicht von mir erwarten! Aber wodurch es sich objektiviert und uns sein geheimnisvolles Dasein bezeugt, das kann auch ich sagen.

Es zeigt sich in jeder auf die Außenwelt gerichteten Handlung und Aeußerung im Leben der Frau; es zeigt sich in ihrer Art zu sprechen, zu grüßen, die Hand zu geben, in der Form ihrer Einladungen und ihrer Gesellschaften, in der ihres Tischdeckens, in ihren richtig oder falsch angewendeten Anreden, in der Art ihrer Konversation, im Einbiegen ihrer Visitenkarten und noch in hundert anderen Kleinigkeiten.

Ja, Kleinigkeiten, bloß Kleinigkeiten! Aber, mein Gott, das Leben von uns armen Frauen setzt sich ja größtenteils nur aus solchen zusammen; darum verlangt man von uns mit Recht – und wir selbst sind unter uns darüber die schärfsten Richter – die vollendete äußere Form.

„Willst du genau erfahren, was sich ziemt,

So frage nur bei edlen Frauen an.“

Nun hat zwar Goethe mit diesen Worten nicht gerade sagen wollen, daß man anfragen möge, bei welcher Gelegenheit die Visitenkarte eingebogen, bei welcher uneingebogen abgegeben werden solle! Daß aber selbst dieser große Geist sehr viel auf vollendete äußere Formen der Frau hielt, hat er durch das Enttäuschtsein bewiesen, das ihn überkam, als er Friederike Brion, die ihn in ihrer ländlichen Umgebung entzückt hatte, im Salon begegnete. Uns so ließe sich noch manches aus dem Leben bedeutender Menschen anführen, das beweist, daß auch sie in der Frau die Hüterin der anmutigen Form sehen wollten. – –

„Durch Anmut allein herrschet und herrscht das Weib.“

Einrichtung des Hauses

Allgemeine Bemerkungen

Mein ist das Haus,
Ich füll’ es aus,
Doch findet Rast,
Ein art’ger Gast.

Hans Grasberger

Die Frau ist die Herrin und Walterin des Hauses; ihr liegt es ob, nachdem diesem das Nützliche beschafft ist, das Schöne zuzufügen, nachdem die Ordnung herrscht, der Kunst Eingang zu gewähren, und der ihr angeborene Geschmackssinn leiht sich vorzüglich dieser Pflicht, wenn sie bestrebt ist, ihn auszubilden.

Dies Bestreben kann man ihr füglich als Pflicht zuerkennen, denn dieser einzige Strahl der Kunst, der unmittelbar in unser alltägliches Leben eindringt, ist unendlich ersprießlicher als viele solche fernere, an denen zu sonnen eben das tägliche Leben den meisten nur selten Zeit läßt. Daß diesen „Strahl“ nur sie schaffen kann, daß er nicht mit Geld zu kaufen ist, fühlen wir oft beim ersten Weilen in einem Zimmer, denn es sind nicht die einzelnen schönen oder nicht schönen Stücke, welche uns einen anheimelnden, eleganten oder kalten und trotz aller Pracht öden Eindruck empfinden lassen, auch nicht das Ganze, das jene Einzelteile bilden, sondern es ist, wenn ich so sagen darf, die Seele, die über dem Ganzen schwebt, und welche diese Einzelteile nicht nur zu einem förmlichen, sondern zu einem formvollen (wenn auch nicht formvollendeten), harmonischen Ganzen eint. Und wie aus einem Werke, das der Mann geschaffen hat, sein Sein und Wesen, nicht nur sein Wissen, sich zeigen, so spricht aus dem Hause, welches das Werk der Frau ist, deren Sein und Wesen. Nach ihm wird, bevor sie ge- und erkannt ist – was im gesellschaftlichen Verkehr ja oft spät der Fall ist – ein Urteil über sie gefällt, und wenn es in dem bekannten Werk von Busson heißt: le style c’est l’homme, so möchte ich mir dies zu einer etwas andern Bedeutung zurechtmachen und sagen: der Stil – hier der der Einrichtung – ist die Frau.

Ich meine hier jedoch nicht einen bestimmten Stil, sondern Stil überhaupt im eigentlichen, allgemeinen Sinn des Wortes, nach welchem ein Gegenstand äußerst stilvoll sein kann, ohne einem bestimmten Stil anzugehören, und umgekehrt; denn Stil ist nicht nur das Nachahmen von Formen und Zierat, wie sie einem gewissen kunstgeschichtlichen Abschnitt eigentümlich waren, Stil ist, wie die Aesthetik lehrt, Uebereinstimmung von Idee und Form. Aber dieses sozusagen Objektive bringt die Frau zu einem subjektiven Ausdruck in ihrer Einrichtung.

Unter Idee eines Gegenstandes verstehen wir dessen vollkommene Darstellung, wie sie uns im Geiste vorschwebt.

Die Darstellung muß, wenn sie harmonisch, das ist hier befriedigend sein soll, die Anforderungen, welcher der Zweck des Gegenstandes und die Bedingungen, welche der Stoff, aus dem jener gefertigt ist, stellen, einhalten und vereinen. Ein Eßtisch – um dies an einem deutlichen Beispiel zu zeigen – der gläserne Beine hätte, wäre vollständig stillos, auch wenn die Holzplatte und jedes seiner Teile, selbst das Glas, genau die Formen und Charakteristika der Renaissance oder eines anderen bestimmten Stils aufweisen; denn der Zweck des Tisches, welcher der ist, Gegenstände darauf zu stellen und sich beim Essen und Schreiben darauf zu stützen, steht mit den Bedingungen, die ein Teil des Darstellungsstoffes – das zerbrechliche, spröde Glas – stellt, im harten Widerspruch. Und zwar wird dieser nicht gehoben, auch wenn die gläsernen Beine so dick und stark sind, daß sie jeder Anforderung des Tisches genügen, denn es wird durch solche, eine Berechnung oder doch Ueberlegung fordernde Thatsache, das unmittelbare und hier einzig in Betracht kommende Urteil des Beschauers nicht beeinflußt. Aus diesem Beispiel kann sich die Leserin sehr klar machen, was der Ausdruck stilvoll an sich bedeutet.

Es beruht also die Schönheit des Stils, wie die jedes Kunstwerkes, auf Gesetzmäßigkeit, und dem in einem Kunstsache Gebildeten ist diese eine so vollständig in sein Gefühl übergegangene, daß sie eine unbewußte geworden ist; er vermag nur auf sie gegründet ein Kunstwerk zu schaffen und ein Urteil zu fällen. Auch wird sein Wohlgefallen nur von einem solchen erregt, das jene schöne Gesetzmäßigkeit einhält.

In diesem Sinne also kann unsere Wohnung und Einrichtung stilvoll sein ohne peinlich sich an einen bestimmten Stil halten zu müssen, denn was sie fordert, ist eine schöne, wenn möglich künstlerische Zweckerfüllung. Nach dieser Hinsicht möchte ich raten, die Einrichtung zu wählen oder zu schaffen, und ein feiner Sinn wird unbewußt seine feine Individudalität hineinlegen.

Damit wäre eigentlich genug gesagt, wie auf diesem Wege weiter zu finden ist, aber das glückliche Bräutchen dort, dessen unruhiges Köpfchen eine Menge von Ausstattungsgedanken birgt und das natürlich jetzt keine Zeit hat, irgend anderes als „ihn“ zu suchen und zu finden, ist mit solcher Allgemeinheit nicht zufrieden.

Ihr Einrichtungsideal schien ihr bisher im Hause ihrer Tante zu sein, die bei ihrer Heirat vor fünfundzwanzig Jahren sich ein sehr elegantes Heim in dem damals alles in seinen Bannkreis ziehenden, wiederaufgenommenen Renaissancestil eingerichtet hatte.

Nun hat aber unser Bräutchen, seit sie selbst Interessentin wurde, ihre kleinen rosa Ohrmuscheln und klugen Augensterne aufgethan und allerlei aufgenommen, das ihre frühere Annahme, mit einer Renaissanceeinrichtung allen Schönheits-, Mode- und Stilanforderungen der neuesten Zeit zu genügen, zu einer ziemlich zweifelhaften gemacht hat. Bei ihrem ersten Ausstattungsfeldzug hatte man in den großen Möbelmagazinen der Residenz ihr eine Reihe von Schlagwörtern, nach denen sie „bestimmen“ solle, hingeworfen: „Zopf, Rokoko, englischer Stil und die Möbel der Modernen sind natürlich das Eleganteste,“ hatte ein, ganz auf der Höhe der Sezessionisten stehender Möbelhändler gesagt, so daß ihre leisen Zweifel zur unbehaglichen Ungewißheit gesteigert worden waren.

So möge sie hier ein bißchen geduldig zuhören, um dann einigermaßen aus eignem Urteil wählen zu können. Ein solches Urteil aber kann sich nur bilden, wenn man die naturgemäße Entwicklung überblickt, die unsre deutsche Hauseinrichtung durchgemacht hat, soweit sie für die Gegenwart in Betracht kommt – das ist von der Renaissance an.

Die Ausläufer der Renaissance hatten sich zur Barockzeit zu schwülstiger, pomphafter Ueberladung verirrt. Zur Zeit Louis XIV. atmete der Stil hiervon erleichtert auf und sprang, heiter wie ein entlaufener Schuljunge, oder eigentlich, weil er gar so viele vornehme Grazie und Ansprüche an Eleganz dabei entwickelte, wie ein flottes Prinzchen der eleganten Welt, die ihn mit offenen Armen in ihren Salon aufnahm, entgegen und nannte sich Prinz Rokoko.

Er lachte jener strengen Gesetze, mit denen die Renaissance gewaltet hatte, und setzte an ihre Stelle eine Fülle, bald von graziöser Lieblichkeit, künstlerischem Farbenschmelz und pikanter Laune, bald von üppigem Glanze und zeremonieller Vornehmheit. Doch obwohl das elegante Herrchen rasch an allen europäischen Höfen und von da, im einfacheren, aber doch koketten Röckchen, im bürgerlichen Wohnhause Eingang gefunden hatte, war seine Regentschaft nicht von langer Dauer.

Der gleich Ebbe und Flut in der Geschichte des Stils, der Mode und des Geschmacks naturgemäß sich vollziehende Umschwung mußte nach diesem leichtlebigen, allen Regeln spottenden Ornamentenstil einer nach strengen Kunstformen sich richtender sein. So griff man, unterstützt durch die eben erfolgte Entdeckung von Herculanum und Pompeji, die eine Reihe von direkten Vorbildern in die Gegenwart brachte, auf die Antike zurück.

Man hat diesen antikisierenden Stil, der mit ionischen Kapitälen und antiken Boxfüßen opfertischähnliche Waschkästchen schuf, Zopfstil genannt. Er drückte womöglich jeden Gegenstand die Prägung der sentimentalpedantischen Richtung, die dieser entsagungsvolle, künstliche Klassizismus zeitigte, auf durch die Guirlanden umwundene, abgebrochene Säule und das ovale Vasenmedaillon mit den schmachtend geneigten, griechisch frisierten, plumpen Figurenreliefen.

Anfangs war es ein recht dicker Zopf, doch wurde er gegen seine Mitte hin feiner: unter Louis XVI. wandelte sich das Ungefügte und Plumpe in freiere, graziöse Linien. Auf einzelne Ornamente des Rokoko zurückgreifend, formte der Louis XVI-Stil den steifen Klassizismus in lieblichen Ernst und vornehme Förmlichkeit um.

Das schließliche ende des ganzen Zopfes wurde als Empirstil wieder ganz antikisierend. Das Verlangen, um jeden Preis Kopien aus der römischen Kaiserzeit „Klassische Motive“ in das tägliche Leben einzuführen, das zur Zeit des ersten französischen Kaisertums in Frankreich herrschte, brachte dem französischen Wohnhause (und von diesem aus dem unsern) jene seltsamen Tisch- und Stuhlgebilde mit den spindeldünnen Beinen – den antiken Metallbeinen –, deren thatsächlicher Gebrauch uns jetzt kaum mehr glaublich erscheint.

Die nun folgende Reaktion wandte sich gegen die ganze antike Strömung. Sie lenkte absichtlich von allen bildenden Künsten, die bisher eine große Rolle gespielt hatten, zu rein litterarischen Interessen und zeigte ein augenfälliges Nichtwertschätzen der Kunst im Hause. So sehen wir zur Zeit Schillers und Goethes das deutsche Wohnhaus in betrübsamer Nüchternheit. Die Möbel tragen eine schier absichtliche unkünstlerische, nur der Nützlichkeit dienende Einfachheit zur Schau, der aber doch mitunter in dieser gewollten Schlichtheit etwas Rührendes anhaftet.

Die Reaktion, welche diese Enthaltsamkeit, die jeder Kunstvereinigung aus dem Wege gegangen war, zeitigte, war die Romantik. Diese Umkehr äußerte sich im deutschen Hause und dessen Möbeln vor allem dadurch, daß die gebräuchlichen schnurgeraden Stuhl- und Tischbeine und Sofas – wieder einmal nach Frankreichs Vorbild – eine geschwungene Form annahmen. Frankreich griff damals im einzelnen auf seine Rokokoperiode zurück, aber ohne jedwedes Verstehen oder künstlerisches Eingehen auf den Reiz des Rokokostils. Ein solch liebevolles Vertiefen in das Kunsthandwerk lag jener politisierenden Zeit fern; sie schob es absichtlich, als von ihren Zielen ablenkend, von sich.

Dazu kam nun auch der Aufschwung der Maschinenindustrie. Dieses setzte an die Stelle des Hausrates, der, gleichviel welcher Stilperiode angehörend, doch bisher Handarbeit gewesen war und von dem jedes Stück, als Einzelwesen existierend, etwas Individuelles ausdrückte – an die Stelle dieses alten Hausrates setzte die Maschine die schablonenhafte Dutzendware.

Die Maschine brachte als ihren Triumph das Bezwingen jeden Stoffes und damit naturgemäß den Ruin des wirklich Stilvollen, das heißt den Einklang von gegebenem Stoff und verlangter Form und Zweckerfüllung. Die brutale Kraft der Maschine zwang jedes Material. Die widerstrebenden Metalle, die edelsten Holzarten und Steine, die in ihrer Spröde nur von der mühsam bedächtigen Hand sich zu organisch gestalteten Gebilden und Schmuckstücken hatten formen lassen, preßte sie beliebig und auf wohlfeile Art in jede Form. Und eben infolge dieser Wohlfeilheit drängten sich prunkende Unechtheit und Unwahrheit, die dem ungebildeten Auge Genüge thaten, überall ein und stumpften das ästhetische Verlangen und künstlerische Bedürfen entschieden ab. So untergrub diese billige „Kunstpflege“ das wirkliche Kunstempfinden. Um Pfennige brachte uns der Fortschritt der Industrie die rohen Imitationen von kostbaren Elfenbeinschnitzereien, mühsam gebuckelten Metallverzierungen und künstlerischen Intarsien; die für Generationen gedachten Eichenholztäfelungen brachte aus Papier sich womöglich jede Mietspartei mit.

Ich möchte diese Gelegenheit ergreifen, um auf die Gefahr hinzuweisen, die in der Hinneigung zu solcher wohlfeilen, auf rohes Empfinden berechneten Zierat im Hause liegt. Wir Frauen als Walterinnen des deutschen Hauses sollten in uns und unsern Töchtern ein reines Kunstempfinden wecken und pflegen, das, dem Genügen an prunkendem Schein genau entgegengesetzt, auf einem natürlichen Freuen am einfach Schönen, Gediegenen, in sich begründet Wahren beruht. Das ergiebt die Grundlage zum besten Kunstverständnis, der beglückenden Kunstfreude! Zugleich bildet es, wie wir im Abschnitt „Lebensweise der eleganten Frau“ sehen werden, auch die sicherste Richtschnur der vornehm empfindenden und sich vornehm gebenden Frau. Diese wird stets verschmähen, ihre Umgebung und ihre Verhältnisse, seien diese noch so einfache, mit geliehenem, prunkenwollendem Schein zu maskieren.

Als, wie wir vorhin gesehen haben, die deutsche Kunst im Hause so ganz brach gelegt worden war und das schöne Geschwisterleben, das vom frühen Mittelalter an, jahrhundertelang, Kunst und Kunsthandwerk geführt hatten, vollständig verschwunden war, die Kunst ein Einzeldasein führte, das seine Strahlen nur dem Hause des Begüterten lieh, da es kein Kunsthandwerk, sondern nur noch Handwerker und Fabrikarbeiter gab, als – wollte man in Deutschland ein Haus schön und kostbar einrichten – alles nach französischen Mustern gearbeitet wurde, da machte sich wieder eine Reaktion geltend. Diesmal eine wunderschöne, ein Besinnen auf eignes Können, auf eine wieder in das alltägliche Leben strahlende Kunstpflege.

Man griff auf die schönste Blüte zurück, welche die Kunst seit der Antike gezeitigt hatte, auf die Renaissance.

Mit diesem Zurückgreifen begann die eigentümlich hastende Stilrekapitulation in geschichtlicher Ordnung, deren sich die Mode in den verflossenen dreißig Jahren hinsichtlich der Hauseinrichtung befleißigt hat und an deren Endpunkt wir Ausgangs des Jahrhunderts gestanden sind.

Da wir rings um uns Einrichtungen begegnen aus dieser oder jener Stilepoche und solche auch jetzt noch vollberechtigt geschaffen werden, so müssen wir, um solche auch bilden zu können, nun auf diese Stilrekapitulation eingehen.

Die erste Renaissanceströmung, die von Wien unter Makart ausgegangen war, wies vorerst nur auf die Wiederbelebung der deutschen Renaissance, die, als Anno 1870 der Weckruf an deutsches Nationalbewußtsein, an deutsche Eigenart erklungen war, rasch so mächtig erstarkte, daß die hohen Bestrebungen der darstellenden Künste und des wiedererwachten Kunsthandwerkes sich bald vom Palastbau und dessen Einrichtung bis herunter zum einfachen Wohnhaus und dessen Stubenschmuck erstreckten.

An Stelle der französisierenden Arbeiten traten Nachbildungen echt deutscher, fester, künstlerischer und zweckentsprechender Formbildungen der Renaissance. Es entstanden im Wohnhause des Reichen die mit Truhen und orientalischen Decken geschmückten, hallenähnlichen Vorplätze, von denen die geschnitzte Treppenwindung und die massive Eichenholzthür in die weite, große Familienstube führte. Ein anheimelndes, leichtes Dämmern umfängt uns dort. Durch die im oberen Teil farbigen Butzenscheiben ist das scharfe Licht gedämpft und ist ein behagliches Abschließen von der Außenwelt gebildet. Die weiche, braune Holzfarbe der hohen Eichholztäfelung, die da und dort von einem köstlichen, golddurchwirkten, stark farbenen Wandteppich und mit Intarsien geschmückten Schränken unterbrochen ist, edelgeformte, vom geschnitzten Wandbrett herabblitzende Metallkrüge, wohlthuend abgestimmte Farben orientalischer Fußteppiche und Truhenkissen, Bilder in der diskreten Lichtbehandlung der alten Niederländer und Italiener neben alten Fayencen und Venezianerspiegeln den einfach getönten Wandraum über der Täfelung schneidend, kleinscheibige, bemalte Fenster all das vermehrt die warme Stimmung des Raumes. Vorne, auf dem erhöhten und von einer zierlichen Galerie eingefriedeten Fensterplatz steht das Arbeitstischchen der Hausfrau; vor dem in seiner massiven Ausführung Jahrhunderten trotzdem Mitteltisch ragt der hochlehnige, mit der grimmen Löwenfratze gezierte Ehrensitz des Hausherrn und um ihn herum die schweren, lederbespannten übrigen Sessel. Von der gebräunten, kassettierten Holzdecke hängt das buntbemalte oder metallglitzernde Leuchterweibchen herab und schaut, halb humorvoll, halb geheimnisvoll in den Glanz der umringenden Wachskerzen. So ist hier ein Raum geschaffen, in dem sich der Hauptreiz, der das Renaissancezimmer erfüllte, ausdrückt: die von außen abschließende Stimmung.

Es ist in ihm die wohlthuende Harmonie der Farbe erzielt und diese eint sich mit der Harmonie der Form, die trotz der massiven Größe des einzelnen Einrichtungsstückes in der edlen Gesetzmäßigkeit dieses Stil und der organisch empfundenen Durchführung seines reichen Schmuckes herrscht.

So ungefähr sahen die Renaissanceräume aus, die in den siebziger Jahren sich die Reichen mit liebevollem Kunstverständnis als ein Stück Persönlichkeit, als etwas aus sich selbst Geschaffenes einzurichten begannen.

Ganz anders aber sehen zur selben Zeit die Zimmer der modernen Renaissance in den Mietswohnungen aus. Hier waren diese von jungen Paaren eingerichtet, die wohl vermöge ihrer Stellung und Lebensgewohnheiten zur selben Gesellschaftsklasse wie die Erstgenannten gehörten, deren Vermögenslage ihnen aber nicht gestattete, den nach jeder Hinsicht größten Anforderungen nachzukommen, welche die Renaissance stellt, soll die in einem Wohnraume wirklich schön und vornehm wirken.

Schon die gegebene Zahl von nur vier bis sieben Zimmer, die ein junges Paar aus dem Lebenskreis, den wir in unserm Büchlein vor Augen haben, sich einrichtet, bedingen meist größten Stilwiderspruch. Weder der schmale, mit der modernen weißgestrichenen Glasthür von der nächsten Partei abschließende Hausgang, noch eines der Zimmer ist geräumig genug, um die gewaltigen Formen der altdeutschen Möbel ohne großes Mißverständnis aufzunehmen. Die großscheibigen Fenster beleuchten mit ungehemmter Lichtfülle den modernen Füllofen, die ölfarbgestrichenen Thüren,[1] die schmalen Lambris und die in dieser Lichtfülle als schwarze Löcher wirkenden, dunkel tapezierten Wände.