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Impressum

ISBN eBook 978-3-360-50026-7

ISBN Print 978-3-360-00981-4

© 2002 Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH

Neue Grünstr. 18, 10179 Berlin

Umschlagentwurf: Peperoni Werbeagentur, Berlin

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin

erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Peter Niggl

Auftrag: Mord

Das Neue Berlin

Homo homini lupus

Der Mensch ist dem

Menschen ein Wolf (Plautus)

Ansichtssache?

»Ehemann kaufte die Mörder seiner Frau«, »Mordauftrag am Telefon«, »Frau heuerte Killer für Ehemann«, »Habgier, Ehebruch und ein Auftragsmord«, »Rentner heuerten Killer an«, »Drei Jahre Haft für Mordauftrag«, »Polizei fahndet nach bezahlten Killern«, »Lebenslang für bestellten Mörder«, »Junges Pärchen übernimmt Mordauftrag« – Schlagzeilen der letzten Jahre.

»Der kaltblütige Mord – etwa der Auftragsmord – ist verhältnismäßig selten«, so der Strafrechtsausschuß des Deutschen Anwalt Vereins.

»Neue Art von Gewaltverbrechen: Mord auf Bestellung in Deutschland« (Welt am Sonntag, 14. Juli 1985); »Die Zahl der Tötungsdelikte und Auftragsmorde steigt« (Der Tagesspiegel, 12. Mai 1995), »Der Tod ist käuflich in diesem Land« (Wiener, Juli 1989) ...

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, wie hoch die Fälle bezahlten Mordes zu beziffern sind. Dort, wo man am besten darüber Bescheid wissen müßte, beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden, hüllt man sich in Schweigen. Auftragsmorde beziehungsweise Mordaufträge haben in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten zweifelsfrei zugenommen. Doch es gibt keine verläßlichen statistischen Erhebungen. Zugleich sind jene, die für Geld töten, von unübersehbarem Interesse für die Sensationspresse. Noch aber ist das Thema eher Stoff für Dreh- als für Fachbuchautoren. Wenn im folgenden unterschiedliche mörderische Komplotte nachgezeichnet werden, handelt es sich stets um Einzelfälle. Dennoch weisen sie Gemeinsamkeiten auf, die Verallgemeinerungen hinsichtlich der Motive von Auftraggebern und -nehmern, der Vorgehensweisen, aber auch der Aufklärung der Fälle zulassen. Die Rechtsprechung in solchen Fällen ist nicht immer unstrittig. So mancher Anstifter, der eine erhebliche kriminelle Energie entwickelt, kommt mit einer relativ milden Strafe davon. Ebenso ist es eine Tatsache, daß viele Mordaufträge unausgeführt und also oftmals auch unbestraft bleiben.

»Mordauftrag« ist kein juristischer Begriff. Laut Gesetz handelt es sich hierbei um Anstiftung. In Paragraph 26 des Strafgesetzbuchs (StGB) ist fixiert: »Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.« Allerdings haben Fälle von Auftragsmorden auch andere strafrechtliche Bewertungen, wie Beihilfe oder Mittäterschaft, erfahren.

In den polizeilichen Statistiken wird die kriminelle Tat des »Auftragsmordes«, ausgehend von den vorhandenen gesetzlichen Kategorien, in die Morde eingeteilt werden, nicht gesondert erfaßt. Das Thema ist zwar in einzelnen sensationellen Fällen regelrecht ausgeschlachtet, als neue Abart in der Welt des Verbrechens aber bislang wenig zur Kenntnis genommen worden.

Aus diesem Grund ist es schwer abschätzbar, wie oft jemandem in der Bundesrepublik Deutschland Geld geboten wurde und wird, damit er einen Mord begeht. Tatsache aber ist, daß diese Verbrechensform, die früher eher eine Seltenheit darstellte, seit den 80er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland besorgniserregend zugenommen hat.

Der Tübinger Professor für Kriminologie Hans-Jürgen Kerner schrieb dazu: »Schon immer haben Menschen versucht, andere dazu zu bringen, für sie zu töten. Erstaunlich ist, daß diese Nachfrage offenbar heute auf Leute stößt, die tatsächlich solche Aufträge gegen Geld übernehmen. Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen über diese Entwicklung. Aber mir scheint, daß sich die Situation in den USA von der bei uns unterscheidet. Es gibt hier noch keine Täter, die das Morden als Beruf betreiben, wohl aber Leute, die die Gelegenheit eines Angebots wahrnehmen.« Der Lohn-Killer in unseren Breiten scheint bisher tatsächlich eine Einzelerscheinung zu sein. Aber die steigende Anzahl der Mordaufträge legt den Schluß nahe, daß derartige Entwicklungen zu erwarten sind.

Im Mittelpunkt dieses Buches soll nicht der Mordauftrag im politischen Machtkampf – die mörderischen Ränkespiele der Geheimdienste eingeschlossen – oder im gesetzlosen Krieg der Unterwelt stehen. Betrachtet wird das Eindringen dieser Kriminalitätssparte in den sozialen Alltag der Gesellschaft.

Eine komplette Liste für Auftragsmorde in der Bundesrepublik gibt es ebenso wenig wie eine vollständige Statistik aller Morde. Dieses Buch will an ausgewählten Beispielen der Öffentlichkeit bekanntgewordener Mordaufträge – versuchter wie begangener – einen Einblick in diese sich entwickelnde Sparte des kriminellen Kalküls geben.

Zufälle

Unter »Vermischtes« aus Berlin und Brandenburg fragte am 4. Juli 1997, auf Seite 26, die Berliner Boulevard-Zeitung BZ: »Mordauftrag gegen 14jährige?« Die kurze Meldung mit kleinem Bildchen bezog sich auf eine inzwischen gewiß vergessene Episode der Neuruppiner Justiz: »Vor dem Landgericht wird ... gegen Diana S. (24) verhandelt. Sie soll eine 13jährige mit Psychopharmaka vollgestopft, ihr dann befohlen haben, eine 14jährige Nebenbuhlerin mit einem Butterfly-Messer zu töten.« Ein Fall, der kein großes Aufsehen erregte.

Die Ironie der Zeitungsgeschichte aber wollte es, daß auf derselben Seite eine Person genannt wurde, die in einem aufsehenerregenden Mordauftragssfall die unrühmliche Hauptrolle spielen sollte. Dem Leser wurde mitgeteilt: »Ex-Minister Wolf: Jetzt will er Büro-Bote werden«. Dazu ein Foto vom relaxenden Privatier mit Kurzhaarschnitt und Dreitagebart.

In den sieben Jahren seiner Nach-Wende-Karriere war der ehemalige SPD-Mann Jochen Wolf für allerlei Schlagzeilen gut gewesen. Bis er sich jedoch in den Sensationsspalten der Presse ein herausragenden Platz sichern konnte, sollten noch vier Jahre vergehen. Der Grundstein dafür aber war schon 1997 gelegt. Die persönliche Misere des Jochen Wolf hatte längst ihren Lauf genommen. Der Potsdamer hatte den Zenit seines Erfolges überschritten. Die Klatschseiten-Meldungließ daran keinen Zweifel: »Sechs Monate war er zum Nichtstun verurteilt. Weil sein Arbeitgeber, das Potsdamer Wirtschaftsministerium, nach der Auflösung der Brandenburger Außenhandelsagentur keine geeignete Verwendung mehr für ihn hatte. Verbittert droht Wolf dem Wirtschaftsministerium: ›Wenn wir uns nicht einvernehmlich einigen, wird die Sache vorm Arbeitsgericht enden.‹ Von welchem Job träumt Wolf? ›Die können mich ja als Büro-Boten einsetzen. Dafür fühle ich mich körperlich fit genug.‹ Vom Minister zum Boten – diese Karriere ist Wolf allerdings verbaut. Denn: Mit dem bereits vor Gericht eingeklagten Monatsgehalt von rund 10 000 Mark wäre Wolf der teuerste Bote Deutschlands.«

Büro-Bote oder nicht Büro-Bote, das war aber nicht die Frage. Wolfs Gedanken kreisten um andere Dinge, und von seinem stattlichen Gehalt investierte er in unstatthafte Pläne: Die Geschichte eines Mordauftrages hatte bereits ihren Lauf genommen.

Der »Killer« wird geordert

Zweieinhalb Jahre später. Weihnachten 1999 steht vor der Tür, überall blickt man zudem auf die Millenniumsfeiern, mit denen in wenigen Tagen das neue Jahrtausend begrüßt werden soll. Das Düsseldorfer Filmmuseum hatte gerade unter dem Motto: »Mord in allen Variationen« eine Ausstellung eröffnet. Eine Hommage an den Meister des Nervenkitzels und der dramaturgischen Finessen, Alfred Hitchcock, anläßlich seines hundertsten Geburtstages. Hitchcock, ein Meister der Fiktion – welche Drehbücher aber schreibt das Leben?

Bei Ralf Maaßen klingelt das Telefon. Ein kurzes »Hallo« am anderen Ende, sein Freund André meldet sich. Die beiden kennen sich seit eineinhalb Jahrzehnten. André hatte es zu Beginn der 90er Jahre nach Berlin verschlagen. In der Computerbranche hat er als Selbständiger ein ansehnliches Einkommen.

Ralf, knapp vierzig, genießt das Leben in vollen Zügen, war zuletzt im »Pott« hängengeblieben, jobbte hier und dort und war in der Szene als »Düsseldorfer Ralf« bekannt.

Obwohl die beiden oft lange Zeit nichts voneinander hören, fühlen sie sich doch freundschaftlich verbunden. Der Anruf kurz vor Weihnachten signalisiert Ralf: André steckt in Schwierigkeiten. In solchen Dingen versteht man sich noch immer bestens. Dazu gehört auch die unausgesprochene Regel: am Telefon nur das Nötigste. Es ist nicht das erste Mal, daß André einen »Notruf« mit dem vielsagenden Spruch: »Du, ich brauche Deine Hilfe, komm doch bitte vorbei« an Ralf richtet. Ralf vermutete, daß der »Kleine« wieder einmal in wirtschaftliche Bredouille geraten ist. Wahrscheinlich kann er sich bei zwielichtigen Geschäftspartnern nicht durchsetzen. Für Ralf Maaßen ist André der »Lächler«, keiner der sagt, was er denkt, und vor allem keiner, der in der Lage ist, Probleme aus der Welt zu schaffen. »In erster Linie war André ›Sohn‹«, erzählt Ralf Maaßen, »Sohn eines erfolgreichen Gastronomen in Wuppertal, bei dem ich vor knapp zwanzig Jahren auch hin und wieder als Büffettier, als Kellner, an der Garderobe oder als Türsteher gearbeitet habe. Alles so im Bereich Diskothek.« André blieb ein Sunnyboy, zuständig für die heiteren Seiten des Lebens. Den Part der ernsten Töne muß Ralf übernehmen. Seine gesamte Statur, die breiten Schultern und kräftigen Arme unterstützen diese Ernsthaftigkeit im Falle eines Streits mit gebührendem Nachdruck.

Auch wenn Ralf schon vor vielen Jahren der Stadt an der Wupper den Rücken gekehrt hat, hält er noch heute die harte Schule, die er in der dortigen Szene erfahren hat, für ein solides Rüstzeug. Hin und wieder mußte er wegen kleiner Gesetzeskonflikte eine Zwangspause in »Simonshöfchen« einlegen. Simonshöfchen, die Straße, in der am Wuppertaler Stadtrand das Gefängnis liegt, ist keine unbekannte Adresse. Oft verweilen hier prominente Gäste. Zuletzt sorgte der Serienmörder Dieter Zurwehme für Schlagzeilen, der hinter diesen Gefängnismauern, am 15. Februar 2001, mit einer Brieffreundin aus Berlin den Bund fürs Lebenslängliche schloß.

Aber das registriert Ralf nur noch aus der Ferne. Dem Ex-Wuppertaler kommt der Anruf im Dezember 1999 nicht ungelegen. Seit einiger Zeit schon verspürt er die bei ihm regelmäßig aufkeimende Lust auf Tapetenwechsel. Mit Justitia hat er außerdem noch ein paar unbedeutende Rechnungen offen, was ihm die Entscheidung wesentlich erleichtert.

Ralf löst seinen Düsseldorfer Hausstand auf. Er verkauft das eine oder andere, verschenkte den Rest, bis sein verbliebenes Hab und Gut in einigen Reisetaschen Platz findet.

Das Jahr 2000 ist erst wenige Tage alt, als sich Maaßen mit dem Überbleibsel seiner Habe auf den Weg nach Berlin macht. Das Kapitel Rhein und Düssel ist für ihn erledigt. Nachdem er es sich im Abteil bequem gemacht hat, greift Ralf zum Mobiltelefon und stellt André vor vollendete Tatsachen: »Du hast gesagt, ich soll kommen, jetzt sitz ich der Bahn und bin in ein paar Stunden da. Hol mich ab!«

Gegen ein Uhr nachts schließen sich André und Ralf am Bahnhof Zoo in die Arme. Nach den üblichen Begrüßungs-Floskeln machen sich die beiden auf den Weg in Andrés Domizil. Die Wohnung in der Reinickendorfer Antonienstraße Hausnummer 3, erste Etage, im Berliner Nordbezirk Reinickendorf, soll für die nächsten Wochen und Monate Ralfs Bleibe werden. »Hier ist die Couch, dort der Schrank. Meine Wohnung ist die deine.« Ralf macht es sich gemütlich und beginnt darüber zu sinnieren, was er in absehbarer Zukunft in dieser Stadt so treiben will. Der Anlaß für seinen Ortswechsel ist noch kein Gesprächsthema.

Die kommenden Tage nutzt Ralf, um auf Erkundungstour zu gehen, erforscht die Kneipenszene, mit der Absicht, sich als Aushilfskellner ein paar Mark zu verdienen, bis er einen passablen Job in seinem Beruf als Schlosser gefunden hat. Ralf kennt sich in der Gastronomie aus. Mit sechzehn begann er zu kellnern, um sein knappes Lehrlingssalär aufzubessern. Aber der Nebenjob als Pikkolo hatte für ihn auch noch eine andere Bedeutung. Irgendwie gehörte er als Zaungast zur Szene der bunten Vögel, die nachts die Kneipen und Bars bevölkerten. Eine Welt, die ihn faszinierte.

Eine halbe Woche geht ins Land, bevor Ralf beim Frühstück die entscheidende Frage stellt. Er will nun doch wissen, warum ihn André zu Hilfe gerufen hat. Der Strahlemann hält sich bedeckt und redet um den heißen Brei herum. Dem rettenden Engel in spe offenbart er schließlich zu dessen Erstaunen, es sei zwar schön, daß er so schnell eingeflogen sei, aber er müsse wohl in absehbarer Zeit wieder verschwinden. Doch Ralf reicht das Versteckspiel, er will jetzt die ganze Geschichte wissen. Häppchenweise serviert ihm André seine Misere. Kleinlaut gibt er zu, daß er vor Jahren den Mund etwas zu voll genommen hat und an dem Brocken noch heute kaut. Ralf mahnt, doch endlich auf den Punkt zu kommen.

Ja, das sei so eine Sache, da habe jemand einen Killer gesucht, der seine Frau umbringen sollte. Und er hätte sich angeboten, den richtigen Mann dafür zu finden. Auftrag: Mord.

Mit einer solchen wahnwitzigen Geschichte hat Ralf nun wirklich nicht gerechnet. Aber, wendet er ein: Was soll’s? Du bist ja nicht verpflichtet, den Auftrag auszuführen. Basta!

So einfach aber ist das nicht. Kleinlaut rückt André mit dem zweiten Teil der Geschichte heraus. Er habe für seine Dienstleistung bereits eine Abschlagszahlung kassiert. Der Auftraggeber sei hartnäckig und wolle, daß nun endlich Taten folgen. Aus dieser Zwickmühle gäbe es für ihn aus eigener Kraft kein Entrinnen.

Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch, ein gefährliches Spiel. Noch immer kennt Ralf nicht alle Hintergründe, aber was er jetzt weißt, ist starker Tobak und eindeutig – hier handelt es sich um einen ernstgemeinten Mordauftrag.

Doch André hat schon eine Idee. Er will Ralf als den Mann präsentieren, der das schmutzige Geschäft sauber und präzise erledigt. Dann wäre er selbst aus dem Schneider. Ralf allerdings soll umgehend wieder von der Bildfläche verschwinden. Auf diese Art und Weise soll der Auftraggeber an der Nase herumgeführt und letztlich zur Kapitulation gezwungen werden.

Ein Präzedenzfall

Blickt man weit in die Geschichte zurück, so gibt es zahlreiche Beispiele mordwilliger Schurken. Schon im Heldenepos des »Nibelungenliedes« trifft man auf den gedungenen Mörder. Die Geschichtsschreibung als Darstellung höfischer Sitten weist nicht selten auf die mit der gehobenen gesellschaftlichen Stellung zusammenhängende Gier nach Macht und Reichtum hin. Die Intrige ist eine Schwester der Macht, zu ihr gehört auch der gedungene Meuchelmörder. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) drückt in »Emilia Galotti« seine abgrundtiefe Verachtung gegenüber dem königlichen Auftraggeber eines Mordes aus: »Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug mit eigner Hand zu morden: aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden!« – Interessant der Verweis auf den »ehrlichen Mörder« ...

Heute hat sich vieles egalisiert. Es ist nicht mehr nur das Gold am Königshof, sondern auch das Geld am Bauernhof, das aus Menschen Mörder werden läßt. Die zurückliegenden drei Jahrzehnte können als die Periode angesehen werden, in der in der Bundesrepublik Deutschland der Auftragsmord (vielfach noch als unausgeführter Mordauftrag) Einzug in die »normale« bürgerliche Gesellschaft hielt. Der folgende Fall liegt jedoch schon eineinhalb Jahrhunderte zurück.

Noch heute zeugt der Mörderstein unweit von Halle an der Saale von einer historischen Bluttat. Die Inschrift »Hier fiel durch Mörderhand am 11. September 1858 Ernst Heinrich Harnisch« läßt allerdings nicht erkennen, daß an dieser Stelle einst ein Auftragsmord verübt wurde, der bis heute ein Teil der deutschen Rechtsgeschichte ist.

Es begab sich an einem Samstag des Jahres 1858, eben an jenem 11. September, abends gegen neun Uhr. Ein Mann namens Schliebe war in Begleitung eines Gesellen auf dem rund vier Kilometer langen Weg zwischen den Ortschaften Schiepzig und Lieskau. Plötzlich entdecken die beiden einen Toten. Sofort melden sie es dem Schulzen von Lieskau. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Gymnasiasten Ernst Harnisch, Sohn des Kantors von Lieskau. Die näheren Umstände der Tat und das, was daraus folgte, hielt der »Docent des Strafrechtes an der Universität Halle«, Dr. Hugo Böhlau, im Jahr 1859 für die Nachwelt fest: »Am 12. September 1858 wurde vom Schulzen zu Lieskau der königlichen Staatsanwaltschaft beim königlichen Kreisgericht Halle an der Saale die Anzeige gemacht, daß die Leiche des siebzehnjährigen Ernst Heinrich Harnisch auf dem Wege zwischen Lieskau und Schiepzig in ihrem Blute schwimmend aufgefunden worden ist. Die Aufnahme der Leiche zeigte an derselben eine Menge von Schußwunden, namentlich in der Bauchgegend und eine totale Zerschmetterung des linken Schädelgewölbes. Die vorläufigen Ermittlungen führten zur Verhaftung des früheren Schuhmachers dann Handarbeiters Friedrich Christian Albert Rose in Schiepzigund des Holzhändlers Christian August Rosahl (Böhlau verwendet die Schreibweise Rosal) ebenda wegen Verdachts, einen Mord an Harnisch verübt, bezüglich angestiftet zu haben. Zu diesem Verdacht gaben wohl besonders Aussagen des Holzhändlers, Zimmergesellen und Kossäthen (Kleinbauern) Friedrich August Schliebe aus Lieskau Veranlassung. Aus einer früheren Geschäfts-Gesellschaft habe er Forderungen an Rosahl; wenn er nach Schiepzig komme, pflege er die Einkassierung derselben zu betreiben, habe also bei seinen Rückwegen von Schiepzig nach Lieskau in der Regel größere Geldsummen bei sich. Schon 14 Tage vor der Tötung des Harnisch habe er bei einem solchen Heimwege ein paar Menschen in der Entfernung stehen gesehen, welche Verdächtiges gegen ihn im Schilde zu führen geschienen hätten.

Auch am 11. September sei er in Schiepzig gewesen; bei seiner spät abends erfolgten Rückkehr habe er an der bez. Stelle die Leiche des Harnisch gefunden. Letzterer war von ungefähr gleicher Statur, als er der Schliebe, und habe auch eine ähnliche helle Weste getragen, so daß bei Sternenlicht eine Verwechslung beider Personen Seitens des Täters wohl denkbar; als Täter bezeichnete er vermutungsweise den Rose: derselbe sei Arbeiter bei Rosahl, zudem ein notorischer Wilddieb und im Besitze eines Terzerols (einer kleinen Handfeuerwaffe); Rosahl aber habe zum öfteren z. B. gegen eine verehel. Voigt und gegen den Ökonomen Brömme Äußerungen getan, die zu der Annahme berechtigen, er stelle ihm, dem Schliebe nach dem Leben.«

Schon dieser Fall zeigt, wie bei vielen Auftragsmorden, daß die hinterhältige Tat lange ihre Schatten vorauswarf. Und war man einmal auf der richtigen Fährte, so mußte man dieser nur noch folgen. Böhlau berichtet weiter: »Zu diesen Aussagen kamen noch außer Fußspuren, welche vom Fundorte querfeldein nach Schiepzig, dem Wohnort des Rosahl und Rose, führten, zwei entfernte Indicien: die bei der Leiche vorgefundenen Ladepfropfen bestanden aus Stücken Papier, welche mit Ziffern bedruckt waren; auf einem Stückchen war Leipzig zu lesen; nun spielte aber ortskundiger Weise Rosahl in der sächsischen Lotterie und bei der Haussuchung fand man bei letzterem eine Leipziger Postkarte, deren Papier und Bedruckung dem resp. der der Ladepfropfen überaus ähnlich war. Das zweite Indicium war der Umstand, daß Rosahl am Abend vor der Tat ein dem Kaufmann Linke zu Schiepzig abgeborgtes doppelläufiges Terzerol diesem, einen Lauf geladen, zurückgestellt hatte; der Pfropfen der Ladung glich denen, die bei der Leiche aufgefunden waren. So gewann es den Anschein, daß Rose in Gemeinschaft mit Rosahl den Harnisch getötet, während sie den Schliebetöten wollten.

Bei der Verhaftung war Rose im höchsten Maße widersetzlich. Sowohl er, als Rosahl legten sich vor dem Untersuchungsrichter auf hartnäckiges Leugnen. Die Obduction ergibt, daß sowohl die Schädelzertrümmerung, als die Unterleibsverletzungen absolut tödlich sind, die erstere aber tötend gewesen ist. Dem Gefangenen-Inspector, einem durchaus humanen und über jeglichen Verdacht erhabenen Manne, gelang es, im Laufe der Zeit von Rosahl sowohl, als von Rose umfassende Geständnisse zu erhalten, welche vor Gericht wiederholt folgenden Tatbestand ergaben: In dem jetzt Rosahlschen Holzgeschäft zu Schiepzig war Rosahl früher bloß Holzverleger, Inhaber dagegen Schliebe. Später nahm Schliebe den Rosahl zu seinem Socius an und endlich überließ erster dem letzteren das ganze Geschäft käuflich zu alleinigem Betriebe. Dabei findet sich Rosahl aber sehr bald schreiend übervorteilt, wird jedes Falls dem Schliebe tief verschuldet. Er gerät auf die Idee: wenn Schliebe aus dem Wege geschafft wäre, so werde er, Rosahl, durch einen unnachweisbaren Meineid die mangelhaft geführten Bücher des Schliebe entkräften und sich so von der drückenden Schuldenlast befreien können. Als geeignetes Mittel zur Ausführung seines verbrecherischen Vorhabens erscheint ihm der Rose. Dieser war früher, als Schliebe das Geschäft übernahm, von letzterem mit der Bemerkung aus dem Dienst geschickt, ›Solche Herumtreiber wolle er auf seinem Holzplatze nicht leiden.‹ Seit Rosahl Geschäftsinhaber, war dagegen Rose wieder auf dem Holzplatze beschäftigt worden und hatte dort namentlich jeweilig die Nachtwache; daneben ging er seinen sonstigen Beschäftigungen bei den Steinbrüchen nach.

So war in Rose neben einer Abneigung gegen Schliebe eine Zuneigung zu Rosahl entstanden. Letzterer verstund, diese Stimmung für seine Pläne zu benutzen. Nachdem er wiederholt gegen den Rose geklagt, daß er dem Schliebe so viel schuldig sei, und daß der Tod des Schliebe das einzige Mittel, ihn den Rosahl aus der schlimmsten Lage zu reißen, rückte er endlich mit dem Anerbieten heraus: Rose solle 300 Thlr. bar und auf seine Lebenszeit eine Rente erhalten, falls er den Schliebe töte. Dabei bemerkte Rosahl, daß es ihm nach dem Tode des Schliebe ein Leichtes sein werde das Blutgeld zu zahlen, da er sich dann ›3.000 Thlr. machen‹ könne.«

In den sächsischen Wollspinnereien erhielten die Arbeiter in jenen Jahren monatlich höchstens zehn, die bestbezahlten Berliner Maschinenbauer 50 Thaler. Verglichen mit dem, was heutzutage im allgemeinen als Killerlohn geboten wird, ein beinahe fürstliches Angebot für Rose, das er aber, wie Böhlau vermerkt, nicht sofort angenommen hatte: »Erst als nach einiger Zeit dasselbe Anerbieten wiederholt wird, geht Rose darauf ein. Mit Rosahl’s Gelde kauft er in Halle ein Terzerol, und als dieses unbrauchbar befunden, läßt er ebenda zwei alte Terzerolläufe zusammenschäften. Pulver und Schießbedarf besorgt Rosahl von Leipzig. Derselbe borgt auch eine Büchse vom Fuhrmann Schirmer unter dem Vorgeben, einer solchen für die Bewachung des Holzplatzes zu bedürfen. Endlich beschaffte er auch vom Kaufmann Linke ein Terzerol unter dem Vorwande, er müsse die Sperlinge von seinem Acker schießen.

Es vergehen einige Monate, in welchen Rosahl dem Rose Geld auf den zu leistenden Banditendienst vorschießt. Am 11. September nachmittags ist Schliebe in Schiepzig und bei Reparatur der dortigen Plumpe beschäftigt. Rosahl sucht ihn bei dieser Arbeit auf mit der Frage, ob Schliebe heute noch zu ihm kommen werde, um sich das fällige Geld (160 Thlr.) zu holen? Und wann? Schliebe antwortet, er werde kommen, aber es werde sehr spät werden. Da kehrt Rosahl zu Rose zurück: ›jetzt sei es die höchste Zeit, den verfluchten Schurken aus dem Wege zu schaffen; Rose solle nur nicht denken, daß er Sünde tue, dabei sei nichts!‹ Zugleich wiederholt er sein Versprechen und teilt dem Rose mit, Schliebe werde erst spät abends nach Lieskau zurückkehren. Das Linkesche Terzerol stellt er darauf seinem Eigentümer zurück.

Demzufolge begibt sich Rose nach dem Abendbrot mit der Flinte und dem zusammengeschäfteten doppelläufigen Terzerole auf die Lauer. Er legt sich an dem Orte, wo später die Leiche gefunden, also an dem von Schiepzig nach Lieskau führenden, von Schliebe zu passierenden Wege in einen Graben den sog. Hasengarten. Da hört er Tritte. Er legt die Büchse an und hält in der linken den Lauf stützenden Hand schußfertig das Terzerol. Vor Unruhe unterscheidet er nicht, ob es Schliebe oder ein anderer sei, nimmt sich nicht die Zeit, ihn genau erkennen zu wollen. Genug er zielt auf die Mitte des herannahenden Körpers, schießt los und trifft. Noch steht aber der Getroffene und stöhnt. Da nimmt Rose das Terzerol zur Hand und schießt einen Lauf ab. Der abermals Getroffene sinkt zusammen; aber noch ist er nicht tot; denn er wimmert. Da, um den Leiden ein Ende zu machen, haut Rose mit dem Büchsenkolben auf den Schädel des zu Boden gestreckten, bis er nichts mehr hört, dann querfeldein nach Schiepzig eilend kauft er sich dort Cigarren und tritt bei Rosahl in dessen Comptoireauf dem Holzplatze ein.

Dem Rosahl erzählt er hier, ›Schliebe sei nun um die Ecke, er aber habe auf keinem Flecke Ruhe!‹ Rosahl beruhigt und ermuntert. ›Er, der Rose habe keine Sünde getan! Im Kriege sei es auch nicht anders!‹ Auf seine Veranlassung wirft Rose Büchse, Terzerol und Stiefel in die am Holzplatze vorbeiführende Saale. An Geld erhält Rose vorläufig nur wenig mehr, als seinen gewöhnlichen Lohn.

Am anderen Morgen begegnen sich Rosahl und Rose. Es ist Sonntag. Rosahl ist auf dem Wege zur Kirche. Rose voller Unruhe. Doch Rosahl wiederholt, daß er keine Sünde getan, er solle sich nur nichts merken lassen.

Noch verbreiten sich die Geständnisse über den Verlauf des Sonntags bis zur Verhaftung des Rose. Erheblich ist, daß in derselben sowohl dem Rosahl als dem Rose kund wird, daß nicht Schliebe, sondern Harnisch erschossen. Das Geständnis erhält inzwischen durch die Auffindung eines Büchsenschaftes in der Saale eine Stütze.«

Fünf Monate vergehen, bis der Prozeß stattfinden kann um einen Auftragmord, dessen juristischer Nachhall noch heute in Studienseminaren angehender Juristen zu hören ist.

Böhlaus Schilderung: »Am 18. Februar 1859 wurde der Fall vor dem königlichen Schwurgerichtshofe zu Halle an der Saale verhandelt. Die Zuhörerräume waren überfüllt. Die Angeklagten erschienen im Habite des hiesigen Kreis-Gefängnisses. Rose ist ein hübscher Mensch von 25 Jahren, verheiratet und Vater. Er hat erst zwei Mal … Gefängnis-Strafe erlitten, beide Male wegen Diebstahls. – Rosahl ist ein Vierziger mit gemeinem, dummen Gesichte, gleichfalls verheiratet und Vater; bestraft ist er vor langen Jahren wegen Diebstahls. Unter den ausgelosten und angenommenen Geschworenen befanden sich zwei praktische Juristen und ein Mitglied der Halle’schen Juristen-Facultät.

Beim Inquisitorium erklärten beide Angeklagte sich für nicht schuldig. Rose antwortete sonst auf alle Fragen mit: ›das weiß ich nicht‹, ›dessen erinnere ich mich nicht‹, und wich so auch der Frage nach der Entstehung seines Geständnisses aus, welches er im Allgemeinen für falsch erklärte. Rosahl, – so schien es dem Referenten –, wollte nach einigen Winkelzügen gestehen und nur seine Unzurechnungsfähigkeit zu Zeit der Tat behaupten: der Vorsitzende fasste die letztbezeichneten Auslassungen als eine Motivierung eines Geständniswiderrufs auf, und unterstellte die Ausrede, Rosahl habe sein Geständnis im zurechnungsunfähigen Zustande abgelegt. Dazu wurde bald vom anwesenden Gefangenen-Inspector bemerkt, daß Rose durch Fußtritte den Geständnissen Rosahls Einhalt zu tun versuchte. Kurz, auch nach der darauf folgenden Dislocirung (Verlegung) der beiden Angeklagten kam es zu keinem irgend erheblichen Bekenntnisse, vielmehr behauptete Rosahl nun, zu seinen früheren Eröffnungen durch die Drohung des Inspector mit ›schließen‹ veranlaßt worden zu sein. Unter diesen Umständen kam alles auf die Aufrechterhaltung der früheren Geständnisse an. Dieselbe gelang vollkommen: nicht nur, daß der Gefangenen-Inspector die Umstände der ersten außergerichtlichen Geständnisse den Angeklagten bis ins kleinste Detail vorhielt, und diese keinen einzigen Punkt zu bestreiten vermochten, – sondern wie gewöhnlich wurde eines Entlastungszeugen Aussage zu einem die Geständnisse stützenden Belastungsmoment. Der Kaufmann Linke nämlich deponierte: Als am 11. September 1858 Rosahl das Terzerol zurückbrachte, habe derselbe gesagt, er wolle dasselbe nicht mehr behalten: ›Rose könne eine Dummheit machen.‹

Die sonstige Beweisaufnahme wiederholte zunächst Bekanntes, namentlich wurden die Papierpfropfen und die Postkarte den Geschworenen zur Einsicht vorgelegt. Neu war wohl, daß Fuhrmann Schirmer den aus der Saale aufgefischten Schaft mit großer Wahrscheinlichkeit als den Schaft der von ihm an Rosahl geliehenen Flinte recognoscirte. Der Entlastungsbeweis mißlang gänzlich.«

Wegen dieses Mordes wurden Rose und Rosahl an diesem 18. Februar 1859 von einem Schwurgericht in Halle zum Tode verurteilt.

Die Verwechslung, die in diesem Fall dem 17jährigen Harnisch das Leben kostete, hat zu einem Rechtsstreit geführt, der als der Fall »Rose-Rosahl« bis heute Generationen von Juristen beschäftigt hat. Eines aber konnte man der Tat schon entnehmen, Mordaufträge und Geld bilden eine tödliche Einheit.

Vorschuss

Ralf Maaßen hat keine Vorstellung, wer das sein könnte, der seinem Freund André das Geld, immerhin 10 000 Mark für die Beschaffung eines Killers in die Hand gedrückt hat. André seinerseits beläßt es lediglich bei Andeutungen, spricht von einer einflußreichen Person. Der Name hätte dem Düsseldorfer wohl auch wenig gesagt. Jetzt muß der vorbereitete Plan Konturen annehmen. André hat bereits alles durchdacht, will seinen Mitbewohner als den bestellten, eiskalten Killer präsentieren. Damit hätte er seinen tödlichen Maklerdiensten Genüge getan. Der Rest wäre Sache der Vertragspartner. Selbstredend würde dabei noch einmal eine beachtliche Summe Geld fließen. Am Ende der Vorstellung soll sich Ralf klammheimlich von der Bühne stehlen. Die Vorbereitungen für Ralfs wirkungsvollen Auftritt werden in Angriff genommen.

André nimmt seinen Stubengenossen in die eine oder andere Kneipe mit. So besuchen die beiden einmal eine lustige Herrenrunde in einer Musikkneipe in der Potsdamer Gutenbergstraße. André hat in der brandenburgischen Landeshauptstadt eine Menge Freunde. Daß in der »Corona« auch die Zielperson saß, merkt Ralf erst später. André greift an diesem Abend das zentrale Thema der vergangenen Tage nicht auf.

Es vergehen weitere Wochen. Inzwischen ist es Frühjahr geworden, als André meldet, daß es jetzt ernst wird. Der Auftraggeber werde demnächst zur entscheidenden Absprache in der Wohnung auftauchen. Natürlich wäre es unglaubwürdig, wenn er merken würde, daß der Killer hier auf dem Sofa nächtigt. Ein wirkungsvolles Szenario wird entworfen. Wolf erhält von André die kurze Mitteilung, er ließe jetzt den entscheidenden Mann »extra kommen«. Für diesen Auftritt sind noch einige Veränderungen an Ralfs Outfit nötig. Die blonden Haare werden einer Glatze geopfert, denn Kahlköpfigkeit suggeriert Härte. Schwarze

Kleidung wirkt seriös und würde der Ernsthaftigkeit des geplanten Unternehmens das notwendige Gewicht verleihen ... Kurze Zeit später verläßt eine dunkle Gestalt die Wohnung in der Antonienstraße und geht in ein Café um die Ecke. Hier wartet Ralf auf das verabredete Zeichen. Der Einsatzbefehl kommt per Handy. Gemessenen Schrittes, mit düsterem Blick, kehrt er zur eigenen Bleibe zurück, klingelt und tritt dem erwartungsvoll blickenden Kommittenten gegenüber. Ralf, sonst ein charmanter Plauderer, weiß seine Zunge zu zügeln. Nur wenige Worte gelangen im sonoren Tonfall einer tiefergestellten Stimme über seine Lippen. Perfekt bedient er das Klischee vom kaltblütigen Berufsmörder. – Als er später diese Szenerie ausmalt, kann er selbst nicht genau sagen, welche Filmfigur ihm für diese Rolle Pate gestanden hatte. – Die Vorstellung gelingt. Der beeindruckte Kunde verliert ebenfalls nur wenige Worte. »Bei der Legion gewesen?« fragt er knapp. Ralf antwortet stumm mit einem leichten Senken der Augenlider und einem angedeuteten Kopfnicken. Söldner der französischen Légion étrangère (Fremdenlegion) haben seit dem 19. Jahrhundert den Ruf, gesetzlose knallharte Typen zu sein. Mit seiner »Antwort« flunkert Ralf nicht, tatsächlich hatte er sich nach einer kurzen Ehe 1985 in Paris aus Abenteuerlust für fünf Jahre zur Fremdenlegion verpflichtet. Rund ein Jahr hatte er, zuerst in Aubagne und anschließend in Nordafrika, das Landsknechtleben exerziert, dann war er aus gesundheitlichen Gründen wieder Zivilist geworden.

Wolf und der Sold-Killer kommen zum schwierigsten Teil des Vertrages, der Bezahlung. Ralf nennt seinen Tarif: 30 000 Mark, kein Wucherpreis. Der Klient aber verzieht unwillig das Gesicht. Er feilscht. 20 000 Mark sind seine Schmerzgrenze; 10 000 vor und 10 000 nach getaner Arbeit. Man einigt sich. Aber auch die Anzahlung kann nur auf Raten erfolgen, der Auftraggeber ist zur Zeit nicht flüssig. Zwei Raten zu je 5 000 Mark sollen Ralfs Mordlust wecken. Wolf schlägt den Übergabeort vor. Gleich hier in Berlin-Reinickendorf, nur eine Querstraße weiter, an der Klixstraße, wo sich Auto- und U-Bahn mit der Scharnweber Straße kreuzen, liegt ein kleiner, überschaubarer Park. Dort überreicht Wolf eine Woche später das erste Bündel Scheine und eine »Dokumentation«. Obwohl er – wie Maaßen später zum besten gibt – dem Killer jede »künstlerische Freiheit« läßt, muß der Ex-Minister selbst noch einige informelle Vorarbeiten leisten. Einige Zeit später folgt die zweite Teilzahlung. Die Modalitäten für den Anfang sind erledigt – der Auftrag ist erteilt.

Wolf indessen steht mit der Welt auf Kriegsfuß. Mit den Sozialdemokraten, besonders mit Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, verbindet ihn nichts mehr. Im Frühjahr 2000, als sein Mordauftrag anzulaufen scheint – rächt er sich auch an den ehemaligen Genossen. Im März 2000 berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel über die Entwicklungshilfe, die die alten Bundesländer den neuen in der Wendezeit zukommen ließen. Haben Landesregierungen die Parteien gesponsert? »Nach Aussage des Ex-Bauministers Jochen Wolf, 1990 Regierungsbevollmächtigter für den Aufbau des Landes Brandenburg, hat das Verbindungsbüro weit mehr Wahlkampfhilfe geleistet, als Clement einräumt. In der gesamten Zeit seines Bestehens habe es Stolpe als ›logistische Ausgangsbasis‹ gedient. ›Seit klar war, daß Stolpe kandidiert‹, so Wolf, ›hatten alle nur noch ein Ziel: Stolpe zum Wahlsieg zu verhelfen.‹ Auch die Wolf unterstellten NRW-Helfer hätten vordringlich für Stolpe gearbeitet, obwohl sie offiziell nicht zum SPD-Wahlkampfteam gehörten. Im Berliner NRW-Büro sei schon weit vor der Landtagswahl festgelegt worden, welche NRW-Ministerialen Führungspositionen in Brandenburg übernehmen sollten. Wolf: ›So erhielt die Regierung von NRW die totale

Kontrolle über Brandenburg.‹ Wolf könnte Clement in Bedrängnis bringen. Denn der Mitarbeiter im brandenburgischen Wirtschaftsministerium ist bereit, seine Aussage vor der Kommission zu wiederholen, von der die Wahlkampfhilfe für Stolpe durchleuchtet werden soll.«