Ein Präzedenzfall
Blickt man weit in die Geschichte zurück, so gibt es zahlreiche Beispiele mordwilliger Schurken. Schon im Heldenepos des »Nibelungenliedes« trifft man auf den gedungenen Mörder. Die Geschichtsschreibung als Darstellung höfischer Sitten weist nicht selten auf die mit der gehobenen gesellschaftlichen Stellung zusammenhängende Gier nach Macht und Reichtum hin. Die Intrige ist eine Schwester der Macht, zu ihr gehört auch der gedungene Meuchelmörder. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) drückt in »Emilia Galotti« seine abgrundtiefe Verachtung gegenüber dem königlichen Auftraggeber eines Mordes aus: »Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug mit eigner Hand zu morden: aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden!« – Interessant der Verweis auf den »ehrlichen Mörder« ...
Heute hat sich vieles egalisiert. Es ist nicht mehr nur das Gold am Königshof, sondern auch das Geld am Bauernhof, das aus Menschen Mörder werden läßt. Die zurückliegenden drei Jahrzehnte können als die Periode angesehen werden, in der in der Bundesrepublik Deutschland der Auftragsmord (vielfach noch als unausgeführter Mordauftrag) Einzug in die »normale« bürgerliche Gesellschaft hielt. Der folgende Fall liegt jedoch schon eineinhalb Jahrhunderte zurück.
Noch heute zeugt der Mörderstein unweit von Halle an der Saale von einer historischen Bluttat. Die Inschrift »Hier fiel durch Mörderhand am 11. September 1858 Ernst Heinrich Harnisch« läßt allerdings nicht erkennen, daß an dieser Stelle einst ein Auftragsmord verübt wurde, der bis heute ein Teil der deutschen Rechtsgeschichte ist.
Es begab sich an einem Samstag des Jahres 1858, eben an jenem 11. September, abends gegen neun Uhr. Ein Mann namens Schliebe war in Begleitung eines Gesellen auf dem rund vier Kilometer langen Weg zwischen den Ortschaften Schiepzig und Lieskau. Plötzlich entdecken die beiden einen Toten. Sofort melden sie es dem Schulzen von Lieskau. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Gymnasiasten Ernst Harnisch, Sohn des Kantors von Lieskau. Die näheren Umstände der Tat und das, was daraus folgte, hielt der »Docent des Strafrechtes an der Universität Halle«, Dr. Hugo Böhlau, im Jahr 1859 für die Nachwelt fest: »Am 12. September 1858 wurde vom Schulzen zu Lieskau der königlichen Staatsanwaltschaft beim königlichen Kreisgericht Halle an der Saale die Anzeige gemacht, daß die Leiche des siebzehnjährigen Ernst Heinrich Harnisch auf dem Wege zwischen Lieskau und Schiepzig in ihrem Blute schwimmend aufgefunden worden ist. Die Aufnahme der Leiche zeigte an derselben eine Menge von Schußwunden, namentlich in der Bauchgegend und eine totale Zerschmetterung des linken Schädelgewölbes. Die vorläufigen Ermittlungen führten zur Verhaftung des früheren Schuhmachers dann Handarbeiters Friedrich Christian Albert Rose in Schiepzigund des Holzhändlers Christian August Rosahl (Böhlau verwendet die Schreibweise Rosal) ebenda wegen Verdachts, einen Mord an Harnisch verübt, bezüglich angestiftet zu haben. Zu diesem Verdacht gaben wohl besonders Aussagen des Holzhändlers, Zimmergesellen und Kossäthen (Kleinbauern) Friedrich August Schliebe aus Lieskau Veranlassung. Aus einer früheren Geschäfts-Gesellschaft habe er Forderungen an Rosahl; wenn er nach Schiepzig komme, pflege er die Einkassierung derselben zu betreiben, habe also bei seinen Rückwegen von Schiepzig nach Lieskau in der Regel größere Geldsummen bei sich. Schon 14 Tage vor der Tötung des Harnisch habe er bei einem solchen Heimwege ein paar Menschen in der Entfernung stehen gesehen, welche Verdächtiges gegen ihn im Schilde zu führen geschienen hätten.
Auch am 11. September sei er in Schiepzig gewesen; bei seiner spät abends erfolgten Rückkehr habe er an der bez. Stelle die Leiche des Harnisch gefunden. Letzterer war von ungefähr gleicher Statur, als er der Schliebe, und habe auch eine ähnliche helle Weste getragen, so daß bei Sternenlicht eine Verwechslung beider Personen Seitens des Täters wohl denkbar; als Täter bezeichnete er vermutungsweise den Rose: derselbe sei Arbeiter bei Rosahl, zudem ein notorischer Wilddieb und im Besitze eines Terzerols (einer kleinen Handfeuerwaffe); Rosahl aber habe zum öfteren z. B. gegen eine verehel. Voigt und gegen den Ökonomen Brömme Äußerungen getan, die zu der Annahme berechtigen, er stelle ihm, dem Schliebe nach dem Leben.«
Schon dieser Fall zeigt, wie bei vielen Auftragsmorden, daß die hinterhältige Tat lange ihre Schatten vorauswarf. Und war man einmal auf der richtigen Fährte, so mußte man dieser nur noch folgen. Böhlau berichtet weiter: »Zu diesen Aussagen kamen noch außer Fußspuren, welche vom Fundorte querfeldein nach Schiepzig, dem Wohnort des Rosahl und Rose, führten, zwei entfernte Indicien: die bei der Leiche vorgefundenen Ladepfropfen bestanden aus Stücken Papier, welche mit Ziffern bedruckt waren; auf einem Stückchen war Leipzig zu lesen; nun spielte aber ortskundiger Weise Rosahl in der sächsischen Lotterie und bei der Haussuchung fand man bei letzterem eine Leipziger Postkarte, deren Papier und Bedruckung dem resp. der der Ladepfropfen überaus ähnlich war. Das zweite Indicium war der Umstand, daß Rosahl am Abend vor der Tat ein dem Kaufmann Linke zu Schiepzig abgeborgtes doppelläufiges Terzerol diesem, einen Lauf geladen, zurückgestellt hatte; der Pfropfen der Ladung glich denen, die bei der Leiche aufgefunden waren. So gewann es den Anschein, daß Rose in Gemeinschaft mit Rosahl den Harnisch getötet, während sie den Schliebetöten wollten.
Bei der Verhaftung war Rose im höchsten Maße widersetzlich. Sowohl er, als Rosahl legten sich vor dem Untersuchungsrichter auf hartnäckiges Leugnen. Die Obduction ergibt, daß sowohl die Schädelzertrümmerung, als die Unterleibsverletzungen absolut tödlich sind, die erstere aber tötend gewesen ist. Dem Gefangenen-Inspector, einem durchaus humanen und über jeglichen Verdacht erhabenen Manne, gelang es, im Laufe der Zeit von Rosahl sowohl, als von Rose umfassende Geständnisse zu erhalten, welche vor Gericht wiederholt folgenden Tatbestand ergaben: In dem jetzt Rosahlschen Holzgeschäft zu Schiepzig war Rosahl früher bloß Holzverleger, Inhaber dagegen Schliebe. Später nahm Schliebe den Rosahl zu seinem Socius an und endlich überließ erster dem letzteren das ganze Geschäft käuflich zu alleinigem Betriebe. Dabei findet sich Rosahl aber sehr bald schreiend übervorteilt, wird jedes Falls dem Schliebe tief verschuldet. Er gerät auf die Idee: wenn Schliebe aus dem Wege geschafft wäre, so werde er, Rosahl, durch einen unnachweisbaren Meineid die mangelhaft geführten Bücher des Schliebe entkräften und sich so von der drückenden Schuldenlast befreien können. Als geeignetes Mittel zur Ausführung seines verbrecherischen Vorhabens erscheint ihm der Rose. Dieser war früher, als Schliebe das Geschäft übernahm, von letzterem mit der Bemerkung aus dem Dienst geschickt, ›Solche Herumtreiber wolle er auf seinem Holzplatze nicht leiden.‹ Seit Rosahl Geschäftsinhaber, war dagegen Rose wieder auf dem Holzplatze beschäftigt worden und hatte dort namentlich jeweilig die Nachtwache; daneben ging er seinen sonstigen Beschäftigungen bei den Steinbrüchen nach.
So war in Rose neben einer Abneigung gegen Schliebe eine Zuneigung zu Rosahl entstanden. Letzterer verstund, diese Stimmung für seine Pläne zu benutzen. Nachdem er wiederholt gegen den Rose geklagt, daß er dem Schliebe so viel schuldig sei, und daß der Tod des Schliebe das einzige Mittel, ihn den Rosahl aus der schlimmsten Lage zu reißen, rückte er endlich mit dem Anerbieten heraus: Rose solle 300 Thlr. bar und auf seine Lebenszeit eine Rente erhalten, falls er den Schliebe töte. Dabei bemerkte Rosahl, daß es ihm nach dem Tode des Schliebe ein Leichtes sein werde das Blutgeld zu zahlen, da er sich dann ›3.000 Thlr. machen‹ könne.«
In den sächsischen Wollspinnereien erhielten die Arbeiter in jenen Jahren monatlich höchstens zehn, die bestbezahlten Berliner Maschinenbauer 50 Thaler. Verglichen mit dem, was heutzutage im allgemeinen als Killerlohn geboten wird, ein beinahe fürstliches Angebot für Rose, das er aber, wie Böhlau vermerkt, nicht sofort angenommen hatte: »Erst als nach einiger Zeit dasselbe Anerbieten wiederholt wird, geht Rose darauf ein. Mit Rosahl’s Gelde kauft er in Halle ein Terzerol, und als dieses unbrauchbar befunden, läßt er ebenda zwei alte Terzerolläufe zusammenschäften. Pulver und Schießbedarf besorgt Rosahl von Leipzig. Derselbe borgt auch eine Büchse vom Fuhrmann Schirmer unter dem Vorgeben, einer solchen für die Bewachung des Holzplatzes zu bedürfen. Endlich beschaffte er auch vom Kaufmann Linke ein Terzerol unter dem Vorwande, er müsse die Sperlinge von seinem Acker schießen.
Es vergehen einige Monate, in welchen Rosahl dem Rose Geld auf den zu leistenden Banditendienst vorschießt. Am 11. September nachmittags ist Schliebe in Schiepzig und bei Reparatur der dortigen Plumpe beschäftigt. Rosahl sucht ihn bei dieser Arbeit auf mit der Frage, ob Schliebe heute noch zu ihm kommen werde, um sich das fällige Geld (160 Thlr.) zu holen? Und wann? Schliebe antwortet, er werde kommen, aber es werde sehr spät werden. Da kehrt Rosahl zu Rose zurück: ›jetzt sei es die höchste Zeit, den verfluchten Schurken aus dem Wege zu schaffen; Rose solle nur nicht denken, daß er Sünde tue, dabei sei nichts!‹ Zugleich wiederholt er sein Versprechen und teilt dem Rose mit, Schliebe werde erst spät abends nach Lieskau zurückkehren. Das Linkesche Terzerol stellt er darauf seinem Eigentümer zurück.
Demzufolge begibt sich Rose nach dem Abendbrot mit der Flinte und dem zusammengeschäfteten doppelläufigen Terzerole auf die Lauer. Er legt sich an dem Orte, wo später die Leiche gefunden, also an dem von Schiepzig nach Lieskau führenden, von Schliebe zu passierenden Wege in einen Graben den sog. Hasengarten. Da hört er Tritte. Er legt die Büchse an und hält in der linken den Lauf stützenden Hand schußfertig das Terzerol. Vor Unruhe unterscheidet er nicht, ob es Schliebe oder ein anderer sei, nimmt sich nicht die Zeit, ihn genau erkennen zu wollen. Genug er zielt auf die Mitte des herannahenden Körpers, schießt los und trifft. Noch steht aber der Getroffene und stöhnt. Da nimmt Rose das Terzerol zur Hand und schießt einen Lauf ab. Der abermals Getroffene sinkt zusammen; aber noch ist er nicht tot; denn er wimmert. Da, um den Leiden ein Ende zu machen, haut Rose mit dem Büchsenkolben auf den Schädel des zu Boden gestreckten, bis er nichts mehr hört, dann querfeldein nach Schiepzig eilend kauft er sich dort Cigarren und tritt bei Rosahl in dessen Comptoireauf dem Holzplatze ein.
Dem Rosahl erzählt er hier, ›Schliebe sei nun um die Ecke, er aber habe auf keinem Flecke Ruhe!‹ Rosahl beruhigt und ermuntert. ›Er, der Rose habe keine Sünde getan! Im Kriege sei es auch nicht anders!‹ Auf seine Veranlassung wirft Rose Büchse, Terzerol und Stiefel in die am Holzplatze vorbeiführende Saale. An Geld erhält Rose vorläufig nur wenig mehr, als seinen gewöhnlichen Lohn.
Am anderen Morgen begegnen sich Rosahl und Rose. Es ist Sonntag. Rosahl ist auf dem Wege zur Kirche. Rose voller Unruhe. Doch Rosahl wiederholt, daß er keine Sünde getan, er solle sich nur nichts merken lassen.
Noch verbreiten sich die Geständnisse über den Verlauf des Sonntags bis zur Verhaftung des Rose. Erheblich ist, daß in derselben sowohl dem Rosahl als dem Rose kund wird, daß nicht Schliebe, sondern Harnisch erschossen. Das Geständnis erhält inzwischen durch die Auffindung eines Büchsenschaftes in der Saale eine Stütze.«
Fünf Monate vergehen, bis der Prozeß stattfinden kann um einen Auftragmord, dessen juristischer Nachhall noch heute in Studienseminaren angehender Juristen zu hören ist.
Böhlaus Schilderung: »Am 18. Februar 1859 wurde der Fall vor dem königlichen Schwurgerichtshofe zu Halle an der Saale verhandelt. Die Zuhörerräume waren überfüllt. Die Angeklagten erschienen im Habite des hiesigen Kreis-Gefängnisses. Rose ist ein hübscher Mensch von 25 Jahren, verheiratet und Vater. Er hat erst zwei Mal … Gefängnis-Strafe erlitten, beide Male wegen Diebstahls. – Rosahl ist ein Vierziger mit gemeinem, dummen Gesichte, gleichfalls verheiratet und Vater; bestraft ist er vor langen Jahren wegen Diebstahls. Unter den ausgelosten und angenommenen Geschworenen befanden sich zwei praktische Juristen und ein Mitglied der Halle’schen Juristen-Facultät.
Beim Inquisitorium erklärten beide Angeklagte sich für nicht schuldig. Rose antwortete sonst auf alle Fragen mit: ›das weiß ich nicht‹, ›dessen erinnere ich mich nicht‹, und wich so auch der Frage nach der Entstehung seines Geständnisses aus, welches er im Allgemeinen für falsch erklärte. Rosahl, – so schien es dem Referenten –, wollte nach einigen Winkelzügen gestehen und nur seine Unzurechnungsfähigkeit zu Zeit der Tat behaupten: der Vorsitzende fasste die letztbezeichneten Auslassungen als eine Motivierung eines Geständniswiderrufs auf, und unterstellte die Ausrede, Rosahl habe sein Geständnis im zurechnungsunfähigen Zustande abgelegt. Dazu wurde bald vom anwesenden Gefangenen-Inspector bemerkt, daß Rose durch Fußtritte den Geständnissen Rosahls Einhalt zu tun versuchte. Kurz, auch nach der darauf folgenden Dislocirung (Verlegung) der beiden Angeklagten kam es zu keinem irgend erheblichen Bekenntnisse, vielmehr behauptete Rosahl nun, zu seinen früheren Eröffnungen durch die Drohung des Inspector mit ›schließen‹ veranlaßt worden zu sein. Unter diesen Umständen kam alles auf die Aufrechterhaltung der früheren Geständnisse an. Dieselbe gelang vollkommen: nicht nur, daß der Gefangenen-Inspector die Umstände der ersten außergerichtlichen Geständnisse den Angeklagten bis ins kleinste Detail vorhielt, und diese keinen einzigen Punkt zu bestreiten vermochten, – sondern wie gewöhnlich wurde eines Entlastungszeugen Aussage zu einem die Geständnisse stützenden Belastungsmoment. Der Kaufmann Linke nämlich deponierte: Als am 11. September 1858 Rosahl das Terzerol zurückbrachte, habe derselbe gesagt, er wolle dasselbe nicht mehr behalten: ›Rose könne eine Dummheit machen.‹
Die sonstige Beweisaufnahme wiederholte zunächst Bekanntes, namentlich wurden die Papierpfropfen und die Postkarte den Geschworenen zur Einsicht vorgelegt. Neu war wohl, daß Fuhrmann Schirmer den aus der Saale aufgefischten Schaft mit großer Wahrscheinlichkeit als den Schaft der von ihm an Rosahl geliehenen Flinte recognoscirte. Der Entlastungsbeweis mißlang gänzlich.«
Wegen dieses Mordes wurden Rose und Rosahl an diesem 18. Februar 1859 von einem Schwurgericht in Halle zum Tode verurteilt.
Die Verwechslung, die in diesem Fall dem 17jährigen Harnisch das Leben kostete, hat zu einem Rechtsstreit geführt, der als der Fall »Rose-Rosahl« bis heute Generationen von Juristen beschäftigt hat. Eines aber konnte man der Tat schon entnehmen, Mordaufträge und Geld bilden eine tödliche Einheit.