Mohammed & Me.

Wie ich lernte, mit einem Flüchtling zu leben.

Jochen Ulbing

 

„Zähmen, das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs.

„Es bedeutet, sich ‚vertraut machen‘.“

„Der kleine Prinz“

Antoine de Saint-Exupéry

 

Inhalt.

Prolog      5

Die Macht des Unbewussten      9

Probekochen      14

Der erste Kontakt      17

Die Ankunft      20

Anmeldung      23

Der Alltag      29

Fragen über Fragen      33

Einladung      37

Die Ernüchterung      40

Sturm, Kernöl und Kren      43

Maronibraten      48

Der Teufel und die Steuer      51

„L“ wie Looser      55

Die Orgie – naja, fast …       59

Zeichen      63

Blunzn      66

Häusliche Gewalt      69

Absetzbewegungen      72

Kleidungsvorschriften      76

Einkaufen mit Moe      79

Geschmacksfragen      83

Gassigehen      87

Lasagne      91

Zombies      94

Amtsschimmel      98

Gott und die Affen      103

Aufhängen      107

Verlustängste      112

Schläferzellen      115

Ausnahmezustand      118

Benzinbrüder      122

Tränen      125

Statt eines Nachworts      128

Danke      131

Glossar      134

Prolog.

 

Prolog

 

M

ohammed and Me erzählt von unserem Gast, einem syrischen Kriegsflüchtling. Die Geschichte ist eine Art Tagebuch, das reale Ereignisse aufgreift. Und sie ist ein Spiegel, durch den ich den kleinen Nazi und den im Spiegel nur allzu groß erscheinenden Gutmenschen in mir betrachte. Wie Teufelchen und Engelchen sitzen sie auf meiner Schulter und beobachten, was ich alles so anstelle, seitdem Mohammed, auch Moe genannt, in meinem Haus lebt. Dieses Tagebuch erhebt keinen Anspruch darauf, chronologisch oder gar vollständig alle Ereignisse zu berichten, die uns überrollt haben. Es beschreibt Episoden und Erlebnisse, ohne sich zwingend an die Reihenfolge des Erlebten zu halten.

Damit ist es ein Buch, das mindestens so viel mit mir zu tun hat wie mit unserem syrischen Gast. Es gibt einige gewichtige Gründe, die es ratsam erscheinen lassen können, dieses Buch nicht zu lesen:

1      Sie sind Funktionär einer Rechtsaußenpartei.

2      Sie sind Funktionär einer Linksaußenpartei.

3       Sie sind Funktionär irgendeiner anderen Partei.

4      Sie wissen bereits sicher, dass alle „Asylanten“ eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge oder Djihadisten sind.

5      Sie wissen, dass alle Flüchtlinge bedürftig sind.

6      Sie legen großen Wert auf politisch korrekte Ausdrucksweise.

7      Sie legen darauf Wert, dass Religionen nicht auch lustig sein können.

8      Sie können mit – sagen wir – dunkelgrau schattiertem Humor nicht umgehen.

 

In all diesen Fällen ist es besser, diese Lektüre sofort aus den Händen zu legen, denn was Sie in der Folge lesen, könnte Sie verstören. Und wie überaus oft Sie es auch gehört haben mögen: Der Untergang des Abendlandes ist nah! Wo kommen wir denn auch hin, wenn ein Flüchtling kocht wie ein Drei-Sterne-Chef oder gar Pink Floyd auf einer uralten Klampfe besser spielt als der Hausherr. Meine Souveränität ist stark bedroht, seitdem Mohammed unseren gemütlich-gammeligen Haushalt zu einer „Schöner Wohnen“-Werbung umgestaltet hat. Einen Flüchtling aufzunehmen ist ja okay. Aber dass dieser auch dauernd aufräumen muss …

Seien Sie also gewarnt. Das Buch könnte Sie vielleicht dazu bringen, die Situation der vielen Hunderttausenden Menschen zu reflektieren, die dieses Jahr Europa und inmitten Europas Österreich und Deutschland erreicht haben. Und das wollen wir doch keinesfalls riskieren.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Mohammed hat mit Sicherheit keine lustige Lebensgeschichte. Es ist alles andere als erheiternd, wenn dein Haus weggebombt wird, deine besten Freunde verhaftet werden und du selber zwischen die Fronten des Assad-Regimes und der „Opposition“ gerätst. Das wären natürlich alles Dinge, über die man Kluges schreiben könnte, auch die Moralkeule könnte man vortrefflich schwingen. Aber ich glaube, dass es von Beiträgen dieser Natur mehr als genug gibt. In meiner Wertewelt gibt es Mohammed seine persönliche Würde zurück, indem ich ihn behandle wie jeden anderen Menschen auch. Und das ist: menschlich.

Ich treibe mit ihm meine ironisch-sarkastischen Scherze und er kann mich mittlerweile gut verstehen und zahlt es mir mit nonchalanter Überlegenheit heim. Er ist (ohne dass ich darauf Einfluss gehabt hätte) ein Beispiel dafür, dass unsere Vorstellungen von Flüchtlingen viel zu klischeehaft und eindimensional sind. Die Reduktion auf die Opferrolle halte ich für schädlich und gefährlich. Die Reduktion auf die Belastung, Zumutung und Gefahr durch Überfremdung und die allgemeine rechte „Besorgtheit“ übrigens ebenfalls.

In erster Linie ist Mohammed ein Mensch. Ein Mensch, den Ereignisse in seinem Leben, die sich niemand von uns wünscht, nach Österreich gespült haben. Ein Mensch, der durch puren Zufall in meinem Haus gelandet ist und sich jetzt mit mir und meiner Familie herumschlagen muss. Ich mutmaße, dass er uns, obwohl er sich bis jetzt wacker geschlagen hat, wohl schwer traumatisiert verlassen wird.

Um ein Leben mit mir und meiner Familie zu ertragen, helfen nur zwei Dinge: Gottvertrauen oder ein wirklich guter Sinn für Humor. Das Gleiche gilt wohl für das Lesen dieses Buches. Gott schütze Sie!

 

Jochen Ulbing

Die Macht des Unbewussten.

 

D

as Unterbewusste ist eine Sau. Das könnte man zumindest so sagen. In meinem Fall trifft das sogar sehr präzise zu, schließlich lebe ich auf dem Land, meine Großeltern hatten einen Bauernhof und tief in meinem Inneren schläft verhaltenspsychologisch immer noch der Bauer. Von Zeit zu Zeit wacht er allerdings auf und lässt von sich hören. „Wer rülpst und pforzt dea braucht kan Oazt“, sagt der Österreicher – der Bayer wird ihn verstehen. Das allerdings ist eine andere Geschichte und wird später noch eine gewisse Relevanz entfalten.

Mein Unterbewusstes, perfide und präzise gesteuert von meiner Frau, wendet sich gegen mich. Irgendwann im August: Es ist sengend heiß. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen schlafen Flüchtlinge im Freien: Frauen, Kinder, Schwangere. Es ist Wochenende. Ich bin träge wie ein Flusspferd.

Meine Frau liegt hitzeparalsyiert im Bett. Bei Temperaturen um die 40 Grad bewegt man sich am besten nicht mal, wenn man muss. Ich robbe mich aus dem Wohnzimmer zu ihr und mit letzter Kraft zerre ich mich aufs Bett. Die Schweißspur wird man wohl noch länger sehen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon Hausboote darauf ihre Kreise ziehen. Gut, aber vielleicht verdampft die Pfütze bei dieser Hitze auch sehr schnell und es werden maximal ein par Dingis. Über dieser interessanten Frage nachsinnend, wende ich mich an meine Frau.

„Du-uuu?“, frage ich vorsichtig. Der Blick meiner Frau durchdringt mich. Sie hebt eine Augenbraue. Es ist dieser Blick, bei dem noch nicht gänzlich entschieden ist, ob ich enthauptet, gevierteilt oder geherzt werde. „Was?“, sagt sie. Ich versuche, mich in konzentrischen Kreisen vorzuarbeiten, jederzeit den taktischen Rückzug offen lassend. „Wir haben doch unser Gästezimmer gerade renoviert“, eröffne ich das Spiel. „Ja.“

Wenn eine Frau einsilbig antwortet, handelt es sich meist um eine Falle. Todesmutig schreite ich voran: „Du weißt ja, dass in Traiskirchen die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Umständen leben.“ Sie antwortet: „Sicher. Jeder weiß das.“ „Weißt du, ich habe mir gedacht, unter Umständen, nur wenn es dir Recht ist …“ „WAS???“ Unter Aufbringung allen Mutes, der noch übrig ist, sage ich: „Wir könnten doch einen Flüchtling bei uns aufnehmen. Wir haben Platz.“

Sie lächelt, ich glaube fast, ein wenig triumphierend. Jetzt schaue ich fragend. „Weißt du, unsere Tochter und ich haben schon vor Monaten mit dir darüber gesprochen. Nichts hast du davon wissen wollen“, antwortet sie mit einer gefährlichen Sanftheit. Ich sehe sie an. Eigentlich starre ich ins Leere. In den Hallen meines Gedächtnisses suche ich nach Hinweisen auf so ein Gespräch. Nichts. Nur leere Räume, dort, wo die Erinnerung an ein derartiges Gespräch sein sollte. Ich bin sicher. Niemals haben wir darüber gesprochen. Davon wüsste ich! „Das kann nicht sein“, sage ich mit schwindendem Selbstbewusstsein. „Jaja, Schatz. Klar“, lächelt meine Frau süffisant.

Hurra! Ein Flüchtling also. Die Saat meiner Frau ist mal wieder aufgegangen. Ich kann förmlich vor meinem geistigen Auge sehen, wie sich die Made dieser Idee vom Ohr durch mein Gehirn gefressen hat, bis sie irgendwann dort angekommen ist, wo mein Unterbewusstsein an meine Wahrnehmung grenzt. Genau dort, wo sich der Gedanke heute formulierte, ihr genau diesen Vorschlag zu machen, der in Wahrheit wohl von ihr stammt. Dort sitzt die kleine Made jetzt rum und lacht mich aus. Das Unterbewusste ist eben eine Sau.

Nun gut. Aber wie packen wir das an? Das erste Mal überhaupt wird sich Facebook als nützlich erweisen. Zu meinem Beitrag, ob jemand wüsste, wie man denn einen Flüchtling aufnehmen kann, erhalte ich hilfreiche Antworten. Zahlreiche Links zu Ämtern und einem privaten Verein. Nachdem ich sehe, wie effizient der Staat mit dem Thema umgeht, wende ich mich an den Verein. Er heißt „Flüchtlinge Willkommen Österreich“ und bietet eine Website an, auf der man WG-Zimmer zur Verfügung stellen kann. Ich melde uns einfach an. Ein paar Mausklicks später denke ich: „Ein Gästezimmer ist doch ebenso gut wie ein WG-Zimmer“, und behalte recht.

Ich habe noch keine Ahnung, wie er oder sie heißt, denn wir lernen unseren ersten Kandidaten erst kennen. Empirisch gesehen, wird es sich um einen männlichen Asylbewerber aus Syrien oder Afghanistan handeln, vermutlich mit dem Namen Mohammed. Allerdings nur empirisch betrachtet. Es könnte genausogut auch eine schwarze Christin aus Burkina Faso (oder sonstwo) sein.

Fakt ist: Wir wissen es nicht. Ich denke, die Aufnahme von Flüchtlingen in Familien ist ein Gegenmodell jener Integration, die davon ausgeht, dass die beste Integration in unsere Kultur noch immer gewährleistet ist, wenn man 50 bis 150 Menschen aus dem gleichen fremden Kulturkreis und von der heimischen Bevölkerung abgeschottet gemeinsam unterbringt.

Was die Bedenken angeht: Nach meiner Hochzeit halte ich meinen Entschluss – der ja nun erwiesenermaßen irgendwie doch eher der Entschluss meiner Frau ist – für das größte soziale Experiment meines Lebens. Wir haben noch keine Ahnung, wie es uns damit gehen wird und welche guten oder weniger guten Erfahrungen wir machen werden. Geht es nach den Meinungen von Bedenkenträgern im Internet, so haben wir uns auf Massenvergewaltigung, Beleidigungen, Diebstahl und die eine oder andere Enthauptung einzustellen. Ein Glück, dass wir nur zu dritt sind. So viele Köpfe werden da unmöglich rollen können. Nun, zumindest der Nervenkitzel sollte nicht zu kurz kommen.

Es kommen ja gefühlt nur junge Männer zu uns, alle vollgepumpt mit Testosteron. Viele von ihnen haben sich bei der Überfahrt statt mit Schwimmwesten wohl mit Sprengstoffwesten über Wasser gehalten. Und man muss schon sagen: „Die passen nicht zu uns.“ Das beginnt bereits damit, dass die meisten von ihnen Bart tragen und in einer Sprache sprechen, die keiner hier versteht. Nur kurz überlege ich, ob man Hipster, wie sie in den Großstädten rumlaufen, denn auch als Djihadisten bezeichnen kann. Irgendwie kann ich da zumindest optisch keinen großen Unterschied erkennen. Aber dann bin ich doch der Meinung, dass die kulturelle Distanz zu den Hipstern wohl zu groß für meine Familie und mich ist.

Probekochen.

 

E

in paar Tage später: Heute weiß ich schon mehr. Tatsächlich wird unser Gast ein junger Syrer sein. Mohammed heißt er – wie wohl jeder Erstgeborene in Syrien. Und ich beschließe, über meine Erfahrungen zu bloggen. Wenn das Abendland schlussendlich untergegangen ist, bleibt von mir wenigstens der Blog. Irgendwie bin ich auch enthusiastisch genug, anzunehmen, dass jene, die im Internet schreiben: „Dann sollen die halt selber welche aufnehmen“, auf unsere Aktion positiv reagieren könnten. „Irrtum“, sprach der Igel und sprang von der Kleiderbürste.

Das Internet. Welch eigentümliche Ansammlung von Meinungen, Irrungen und Wirrungen. Kaum stehen die ersten Zeilen online, komme ich mir vor wie weiland vermutlich der Chef eines Autokonzerns, der beim Schummeln von Abgaswerten ertappt wird. „Ich brauche einen Pressesprecher“ ist mein erster Gedanke, als ich die Kommentare lese.

Ich war erfreut über viele positive Reaktionen auf meinen Blog, aber auch etwas überrascht über einige doch recht negative Reaktionen, vor allem deshalb, weil es mir sehr selten passiert, als linkslinker Gutmensch bezeichnet zu werden. Jetzt weiß ich gar nicht, ob ich etwas richtig oder falsch gemacht habe. Aber bitte, wenn es denn sein muss, kann ich auch damit leben. Ich meine, wer einen Flüchtling aushalten will, sollte auch mit Idioten zurechtkommen, nicht wahr?

Manche der Wohlmeinenderen raten, ich sollte lieber im Stillen helfen und mich nicht als großer Helfer aufspielen. Vermutlich neige ich zur Selbstdarstellung, daher blogge ich. Dennoch blogge ich anonym und das aus mehreren Gründen. Erstens finden ja ganz offenbar nicht alle gut, was meine Familie macht, und ich möchte negative wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen der Art vermeiden, dass ich meine Semmeln künftig selber backen muss, weil der Bäcker des Ortes mich vielleicht nicht mehr bedient. (Hinweis an mich selbst: Selbstgebackenes schmeckt besser!) Zweitens geht es mir vor allem darum, darauf hinzuweisen, was der oder die Einzelne selbst tun kann. Meinen persönlichen Selbstwert beziehe ich, und ich spreche hier, denke ich, auch für meine Familie, jedenfalls nicht aus den Kommentaren in den sozialen Foren. Vielleicht macht mein Blog einem einzigen anderen Menschen Mut, ebenfalls einen Flüchtling aufzunehmen. Schon allein das wäre es wert. Mehr sag ich dazu nicht.

Eigenartigerweise fühlt es sich nicht wie ein Opfer an persönlicher Freiheit an und schon gar nicht als Beweis grenzüberschreitenden Mutes, sondern ganz im Gegenteil: Meine ganze Familie ist in freudiger Erwartung des ersten Kennenlernens.

Wir beschließen, für dieses Treffen zu kochen. Am besten gleich die Woche zuvor auch noch probezukochen. Wir wollen uns schließlich vor unserem Gast nicht blamieren. Warum meine Frau für ein Essen ungefähr 100 Tonnen an Papier mit syrischen Rezepten produzieren muss, ist mir persönlich zwar völlig schleierhaft, mir ist aber auch klar, wie gefährlich eine Kritik in Form einer Frage wäre, und ich lasse mich daher dazu herab, die fremdländischen Rezepte durchzuschauen. Schon ganz schön fremd, was einem das Internet an Rezepten der typisch syrischen Art so anbietet!

Wir entscheiden uns für etwas typisch Syrisches: „Brathuhn mit Kartoffeln in Tomatensauce.“ Gut, ein paar Gewürze sind anders als bei einem klassischen Brathendl. Koriander und Kümmel gehören hinein. Ist jetzt aber auch nicht so, dass die in unserer Gewürzsammlung nicht aufzufinden wären. Die kulinarische Distanz ist aufs Erste also schon mal überwindbar. Wir werden vermutlich nicht verhungern. Also, wenn auch sonst nichts rauskommen sollte aus diesem Experiment, haben wir schon mal wenigstens gut gegessen. Nach dem ersten Probekochen sind wir gewappnet für unseren Gast.

Der erste Kontakt.

 

H

eute ist so weit. Wir lernen unseren künftigen Gast kennen. Natürlich sind wir aufgeregt. Und wie wir bald feststellen können, er auch. Die erste Überraschung. Er spricht viel besser Deutsch, als wir das erwartet hatten. Sein Problem: wir nicht. Aber wir bemühen uns redlich von Umgangssprache auf Hochsprache umzusteigen. Und so geraten wir schon bald in ein angeregtes Gespräch in einem Mix aus Deutsch und Englisch – aber auch nur weil wir des Französischen nicht mächtig sind. Mohammed schon. Ich verfasse ein gedankliches Memo, demnächst einen Online-Französisch-Sprachkurs zu belegen.