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Tatjana Kronschnabl

Seelenfang





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Prolog

 

„Ich hoffe, du hast gute Neuigkeiten für mich“, ertönte ein tiefes Knurren in dem dunklen Saal.

Es war stockfinster, eiskalt und einfach nur angsteinflößend. Also genau so, wie sonst auch. Vielleicht sollte Aidan das gewohnt sein, doch er war es nicht. Ganz im Gegenteil, dieser Ort und sein Gegenüber jagten ihm immer wieder eine Heidenangst ein. Lediglich zwei kleine Fackeln hingen an der Wand, doch auch diese spendeten nicht viel Licht. Alles was zu sehen war, blieb ein schemenhafter Umriss und diese glühenden roten Augen, die sich in seinen Blick bohrten und ihn schier aufzufressen schienen.

Aidan schluckte. Noch nie hatte er dieses Wesen zu Gesicht bekommen und um ehrlich zu sein, konnte er auch gut darauf verzichten.

„Leider nein“, antwortete er nun.

Die Angst kroch ihm das Rückgrat hinauf, als die roten Augen sich verengten und ihn wütend anstierten.

„Raus damit! Was ist passiert?“, schnitt diese dunkle Stimme durch den Saal.

Aidan zuckte kurz zusammen, auch wenn er bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen.

„Die Seelen verlieren an Kraft. Nicht mehr lange und auch die letzten, kraftvollen Seelen werden erloschen sein“, verkündete er nun eine Spur leiser.

Der Schatten der Gestalt sprang auf und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, was die Wände beben ließ. Doch sein Zorn war begründet, lag es doch an den Seelen ihn am Leben und bei Kräften zu halten.

„Dann schaff gefälligst neue 'ran!“, ertönte es dann bebend.

Aidan fiel augenblicklich auf die Knie und verneigte sich tief.

„Ihr wisst, dass ich dazu nicht in der Lage bin. Dies ist und bleibt einzig und allein Eure Aufgabe“, sagte er leise, aber bestimmt. Und beide wussten, dass er Recht hatte.

Das Einsammeln von Seelen und das Entziehen derer Lebenskräfte war eine Aufgabe, die einzig und allein der Herrscher vollbringen konnte. So war es seit Jahrtausenden und so würde es auch bleiben!

Kapitel 1

 

Nachdenklich legte sie den Kopf in den Nacken, um die Sterne nicht aus den Augen zu verlieren. Sie war beeindruckt über deren Schönheit, die die meisten Menschen völlig kalt ließ.

Doch unweigerlich kamen ihr auch die Tränen, denn schlagartig wurde ihr erneut bewusst, wie alleine sie war. Sie war einsam, hatte keine Freunde und auch auf ihre Familie konnte sie sich nicht verlassen. Arya war jung, gerade erst zwanzig, mitten im Berufsleben angekommen und leider immer noch auf das Haus ihrer Eltern angwiesen. Noch konnte sie sich keine eigene Wohnung leisten, demnach war sie also gezwungen sich weiterhin das Zimmer mit ihrer Schwester zu teilen. Die dazu noch ganze vier Jahre jünger war sie sie. Ja, es war nicht nur nervig, sondern auch verdammt schwierig. Wie oft stritten sie sich, wie oft wurden sie sogar handgreiflich?

Das Ganze wurde jedoch nur noch schwieriger, da ihre Eltern ihre Ehe-Krise vor ihren Augen auslebten. Arya schluckte, die Tränen liefen ungehindert über ihre Wangen.

Alles ging von ihrem Vater aus. Jakard war von südländischer Abstammung, trank und rauchte viel und reagierte auf alles aggressiv. Ständig musste sie sich davor fürchten, von ihm geschlagen zu werden. Denn sie wusste, er wäre dazu in der Lage. Aus diesem Grund hatte sie auch Angst um ihre Mutter. Doch so besorgt Arya auch immer war, ihre Schwester Yenna ließ das völlig kalt.

Als kleinere Schwester hatte sie immer bekommen, was sie wollte. Jakard und ihre Mutter Júlie waren immer auf ihrer Seite, es war also keine große Überraschung, dass Yenna zu einer Egoistin herangewachsen war, die Arya zu jeder Zeit und mit dem größten Vergnügen nieder machte.

Doch sie blieb ihre Schwester, weswegen Arya sie jederzeit beschützen würde. Umgekehrt war es wohl genauso, Yenna freute sich darüber wenn sie Gelegenheit bekam sich aufzuplustern, sie würde es also nicht ignorieren, wenn sie Arya den Arsch retten könnte. Doch so geprägt die Geschwister auch waren, sie waren nicht blind gegenüber den Sünden ihres Vaters. Er war ein Geizhals, war der Verwalter der Finanzen und würde die gesamte Familie noch in den Ruin treiben, wenn er ihnen allen nur zwanzig Euro am Tag zur Verfügung stellte.

Natürlich konnte eine Familie nicht davon leben, doch Jakard war das egal. Hauptsache seine Zigarren und der Alkohol gingen nicht aus. Man sah, alles ging von ihm aus.

Vielleicht mochte er früher nicht so gewesen sein, doch nun bemitleidete Arya ihre Mutter. Wie viel hatte sie erdulden müssen? Jakard war seine Familie egal. Und Arya wusste ganz genau, wie hart diese Anschuldigung war. Doch es stimmte. Vor nicht all zu vielen Jahren lag sie im Krankenhaus, mit Verdacht auf einen Tumor.
Für Júlie war eine Welt zusammengebrochen, Jakard hatte lediglich mit den Schultern gezuckt und weiter an seinem Whiskey genippt. Seit diesem Zeitpunkt war Jakard für Arya gestorben.

Wie sich herausgestellt hatte war es doch kein Tumor gewesen, sondern nur eine harmlose Abzessbildung. Doch die Gewissheit blieb. Diesem Mann waren seine Kinder egal, und seine Frau vermutlich auch.

Aryas Blick fiel auf den Oriongürtel, der direkt vor ihren Augen gen Westen zeigte.

Dieses Sternenbild war für sie immer eine Art Wegweiser gewesen. Er zeigte immer in die gleiche Richtung und auch wenn dort nichts war, außer die unendliche Schwärze des Alls, so gab er ihr den Anstoß immer weiter zu gehen. Irgendwo wäre ein Ziel. Irgendwo, in weiter Ferne.

Verbittert wandte die Frau den Blick ab. Sie wollte diesen Weg nicht alleine gehen!
Für einen Menschen waren soziale Kontakte überlebenswichtig, nur hatte Arya diese nicht. Alles was sie am leben hielt, war der Kontakt zu den Menschen in ihrem Job als Schuhverkäuferin.

Doch lange würde dies nicht mehr reichen. Das Arya keine Freunde hatte, ging ihr schlichtweg einfach an die Nieren. Wie sehr wünschte sie sich jemanden, dem sie einfach mal ihre Sorgen und Gedanken erzählen konnte? Leider war es in ihrem Alter nicht leicht, Freunde zu finden. Sie ging nicht gerne feiern und hielt sich auch sonst von großen Menschenmassen fern. Solche Bindungen wurden meist im Kindesalter geknüpft und zu dieser Zeit hatte Arya einfach die falschen Leute kennengelernt. Sie wurde nur ausgenutzt und hintergangen. Sie wurde zu oft verletzt, um sich jetzt noch auf einen Menschen einlassen zu können.

Ihre erste Beziehung war auch nicht anders verlaufen. Sie hatte sich Zeit gelassen Vertrauen zu diesem Mann zu fassen, doch kaum das sie es gewagt hatte, wurde sie auch schon wieder verletzt.

Von da an hatte sie sich geschworen, nie wieder etwas für einen anderen Menschen zu empfinden.

Seitdem war sie verbittert. Außer auf der Arbeit lächelte sie nicht, lachte nie und zeigte erst recht keine große Regung in ihrem Gesicht, außer Zorn und Misstrauen. Ein schönes Leben war das nicht und aus diesem Grund hatte Arya schon oft mit dem Gedanken gespielt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch irgendwie hatte sie nie aufgeben wollen. Sie war voller Zwiespalt, wollte nicht schwach sein und es beenden, sondern weiterkämpfen. Doch immer wieder holten sie diese schrecklichen Gedanken ein. Also was tun?

„Niemand kann mir mehr etwas anhaben, aber was bringt mir das, wenn ich dafür niemanden habe?“, murmelte sie nun und sah zum Mond. Sie hasste die Menschen schlicht weg einfach. Sie hatte sich immer bemüht alles richtig zu machen und ein guter Mensch zu sein, doch am Ende hatte auch das ihr nicht geholfen. Also was machte es da schon, wenn sie fies zu anderen war?
Arya sprach aus was sie dachte und es war ihr egal geworden, wenn ihre Worte verletzend waren. Sie machte andere gerne mal nieder, nur damit man sie dafür nicht nieder machte.

Sie hatte nun Verständnis dafür, dass man sie damals so schickaniert hatte, sie tat ja nun nichts anderes. Dennoch war auch das keine Entschuldigung für solch ein Verhalten. Sie wusste das es falsch war andere so zu verletzen, und doch verlangte ihr Instinkt danach.

Sie hätte vermutlich alles getan, um in Ruhe gelassen zu werden. Auch wenn das bedeutete, zu einem schlechten Menschen zu werden. Und wenn es darauf ankam, dann ja, dann hätte sie getötet.

Vermutlich eher sich selbst aber ein Leben war immer noch ein Leben. Wertvoll und eigentlich nicht dazu bestimmt, von anderen schlecht gemacht und nicht respektiert zu werden. Leider war solch eine Ansicht heute nicht mehr selbstverständlich.

Die Verbitterung in Aryas Herzen fraß sich durch ihre Adern, breitete sich immer weiter aus und legte sich um ihre Seele, wie ein dunkler Vorhang. Von nun an würde er auch das kleinste bisschen Licht verschlucken und nicht an ihr Innerstes heranlassen.

„Ich würde mich dem Teufel verschreiben, wenn es sein muss“, knurrte die Frau und wandte sich von dem Panorama über ihr ab.

Als Arya sich umdrehte, blickten ihr aus weiter Entfernung zwei rote Augen entgegen.

Die Frau zuckte zusammen und kniff die Augen zusammen. Weit von ihr entfernt stand ein Baum, groß und breit, beängstigend. Im Schatten dieses mächtigen Baumes war eine Gestalt zu erkennen, ebenfalls groß und von beängstigender Statur.

„Bist du dir sicher?“, ertönte eine tiefe Stimme, die Arya inne halten ließ.

Sie neigte den Kopf und trat näher auf die Gestalt zu, auch wenn sie wusste, dass sich das als Fehler erweisen könnte.

„Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus“, drohte sie leise.
Doch noch ahnte sie nicht, wen sie da vor sich hatte.

Kaum, dass die Gestalt aus dem Schatten der Nacht trat, stolperte Arya einen Schritt zurück. Diabolisch lächelte dieser Mann sie an. Nein, kein Mann. Ein Dämon.

Arya hielt den Atem an. Dieser Mann war kein Mensch. Er war fast zwei Meter groß, war so unglaublich muskulös und hatte lange, schwarze Haare, die er zu einem lockeren Zopf gebunden hatte. Doch es ließ ihn nicht feminin aussehen, nein, ganz im Gegenteil, es ließ ihn nur noch männlicher wirken.

Als erstes fielen ihr seine Flügel auf. Riesige, dämonenhafte Schwingen, wie die von Fledermäusen. Tiefschwarz, ledern und so unglaublich imposant!

Doch so beängstigend diese auch waren, das grausamste an diesem Mann war und blieb wohl das Gesicht dieses Mannes. Seine kantigen und grausamen Gesichtszüge zeigten keine Regung. Er hatte hohe Wangenknochen über die sich schneeweiße Haut spannte, eine große, gerade Nase und ein störrisches Kinn. Seine schmalen Augen waren von dichten, tiefschwarzen Wimpern umrahmt und ließen seine blutroten Iriden nur noch mehr hervorstechen. Auch sie ließen nichts erkennen.

Nicht eine einzige Falte war in dieser reinen Haut zu erkennen. Hinter seinen Ohren, die leicht spitz waren, ragten zwei Hörner auf, die sich nach hinten bogen und ebenfalls spitz zuliefen.

Doch das verstörendste an diesem Mann war mit Abstand seine...atemberaubende Schönheit!

„Und was, wenn nicht?“, knurrte er plötzlich und beugte sich so rasant vor, dass die Frau keine Chance hatte zurückzuweichen. Unweigerlich musste sie also zulassen, dass dieses Wesen mit seinen vollen Lippen direkt vor ihren verharrte. Innerlich war Arya starr vor Angst, doch sie ließ sich schon sehr lange nicht mehr einschüchtern. Sie hatte gefälligst Kontra zu geben!

„Es hat sich schon sehr lange keiner mehr mit mir angelegt“, murmelte sie.

Und auch wenn sie Angst hatte, so musterte sie dieses...Ding dennoch voller Faszination.

Perplex lehnte er sich zurück. Das versprach interessant zu werden.

 

Er schwieg, was die Frau nutzte. Sie verschränkte die Arme und zog misstrauisch die geschwungenen Augenbrauen nach oben.

„Wie lautet dein Name?“, fragte sie leise, dennoch bestimmend.

Er wusste nicht warum er sich darauf einließ, doch er erwiderte ihren strengen Blick aus ruhigen, roten Augen.

„Ironischerweise lautet mein Name Zaniel, was so viel wie Engel bedeutet“, stieß er seufzend und nachdenklich aus. Zaniel mochte seinen Namen nicht, hatte ihn nie gemocht. Aus diesem Grunde störte es ihn auch nicht, wenn man ihn so wie sonst als Satan bezeichnete.

„Zaniel, also“, sagte die Frau ihm gegenüber plötzlich leise.

Schweigend und neugierig wartete der Mann darauf, was nun passieren würde.

„Mir gefällt der Klang!“, sagte sie dann ehrlich.

Zaniel hielt inne und musterte die Frau. Sonderlich groß war sie nicht. Eher recht klein, vielleicht etwas über einen Meter sechzig. Durch ihre schwarzen, glänzenden Locken wirkte sie sehr südländisch, ihre stechend grünen Augen und ihr blasser Teint ließen ihn diesen Gedanken aber wieder verwerfen. Ihre Augen waren groß, blickten misstrauisch und irgendwie wissend zu ihm auf und waren von langen, dichten Wimpern umrahmt. Sie hatte sehr feine Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und eine kleine Stupsnase. Ihr Schmollmund lud zum küssen ein und ließen Zaniel viel zu schnell auf falsche Gedanken kommen. Doch ihr Gesicht war nicht alles, was ihn in den Bann zog. Es war ihr Körper, der ihn so hibbelig machte.
Er war nicht ohne Grund hier, doch nun ließ er sich wirklich ablenken.

Er schnaubte und beobachtete, wie sie die Arme verschränkte und einen Schritt zurücktrat.

„Was bist du, hm? Ein Dämon?“, fauchte sie und kniff die Augen zusammen.

Zaniel knurrte laut und schmiss sämtliche Selbstbeherrschung über Bord. Wütend packte er ihr Kinn und legte ihren Kopf schmerzhaft in den Nacken.

„Es ist eine Unverschämtheit, von einem lächerlichen Menschen wie dir, als niederer Dämon abgestempelt zu werden!“, knurrte er. Erneut kam er ihr wieder verdammt nahe, doch Arya ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Sie schwieg zwar, sah ihn jedoch herausfordernd an.

„Ich bin der Herrscher der Unterwelt höchstpersönlich!“, hauchte er und versuchte lediglich mit seiner Stimme, ihr Angst einzujagen. Erfolglos.

„Und das soll ich dir glauben?“, erwiderte sie voller Spott.

Zaniel hielt inne. Keine Frage, eine unglaublich starke Frau. Wenn sie Angst hatte, dann war sie eine Meisterin darin diese zu verbergen. Generell schien sie sich nicht sonderlich von etwas oder jemanden beeinflussen zu lassen. Und all das spiegelte sich in ihrer Seele wieder!

Knurrend ließ Zaniel seine spitzen Eckzähne aufblitzen und in lauter Rage, kam auch sein zuckender Schwanz zum Vorschein.

„Ich stehe in voller Montur vor dir und allein meine roten Augen müssten dir klar machen, dass ich nicht menschlich bin. Und dennoch glaubst du mit nicht, interessant.“
Arya schwieg. Natürlich war ihr klar, dass er mit Sicherheit nicht menschlich war. Aber ihr Gehirn wollte das nicht wahrhaben, also betrachtete sie die ganze Situation mit Spott. Das ihr das jedoch zum Verhängnis werden konnte, war ihr dabei durchaus bewusst.

„Also gut, du bist also kein Mensch. Was willst du dann von mir?“, fauchte sie leise.

Innerlich fluchte Zaniel. Diese Frau war unglaublich bereitwillig wenn es darum ging, ihre Seele und die damit gebundenen Gefühle loszuwerden, doch sie war genauso misstrauisch, um sich überhaupt erst mal auf etwas einzulassen. Und wenn Zaniel sie so betrachtete, wurde ihm auch klar warum. In seiner Position war es ein leichtes das rege Treiben in ihrem Inneren zu erkennen und deuten. Sie hatte die Schnauze gestrichen voll davon, Gefühle zu besitzen. Offenbar war sie durch diese immer nur verletzt worden. Und egal wie stark sie dadurch auch geworden sein mochte, sie war dennoch nicht stark genug um eine weitere, seelische Wunde zu überleben. Und aus diesem Grund, aus einem instinktiven Reflex heraus, der tief in ihr verankert war, ließ sie gar nicht erst zu, sich in irgendeiner Weise verletzbar zu machen. Gute Voraussetzungen wie Zaniel fand, denn diese Tatsachen machten ihre Seele besonders wertvoll. Menschen mit einer solchen Einstellung zum Leben gab es nur sehr selten. Viele schlugen den gleichen Weg ein wie sie, doch die meisten hielten nicht lange durch und ließen sich schlussendlich doch wieder auf andere Menschen ein.

Zaniel hatte die starke Vermutung, dass das bei der Kleinen hier nicht der Fall war. Doch für ihn sprangen dabei nur Vorteile heraus. Seelen wie ihre verloschen nicht so schnell. Wenn er erst einmal in ihrem Besitz war, wäre er wieder im vollen Besitz seiner Kräfte und seine Existenz wäre Jahrhunderte lang außer Gefahr. Ja, eine einzige Seele reichte um Zaniel am Leben zu erhalten, vorausgesetzt sie hatte die richtigen Voraussetzungen.

„Ich bin wegen deiner Worte hier“, erwiderte Zaniel nun leise.

Sein unheilvoller Tonfall ließ Arya natürlich nur noch misstrauischer werden. Ihre Augen wurden noch schmaler. Zaniel überwand auch die letzte Entfernung zwischen ihnen und schlang einen Arm um die schmale Taille der Frau.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du deine Seele und die damit gebundenen Gefühle loswerden willst?“, knurrte er leise.

Arya hatte keine Ahnung was er sich dabei dachte ihr so nahe zu kommen, doch die Wärme seines Körpers sorgte dafür, dass sich ihre Muskeln ein Stück weit entspannten. Mit Symapthie hatte das nichts zutun.

„Nimm sie!“, zischte sie. „Und behalte sie ruhig! Dieses blöde Mistding verursacht ohnehin nur Probleme!“

In Zaniel regte sich etwas. Er neigte den Kopf und sah Arya unverwandt in die Augen. Für gewöhnlich hatte er keinerlei Interesse an den Menschen und erst Recht nicht an ihrer Geschichte und ihren Hintergründen, doch just in diesem Moment war es anders. Er fragte sich wirklich, was diese Frau wohl alles erlebt haben mochte, um so...wenig Interesse an sich selbst zu haben.

„Dies ist keine Entscheidung, die du Rückgängig machen kannst, überlege also gut“, sagte er leise.
Noch etwas, das er für gewöhnlich nicht tat. Wenn ihm schon jemand seine Seele anbot, und ja, das kam oft vor, dann nahm Zaniel sie sich sofort und ohne zu zögern. Hinterher lachte er sich dann ins Fäustchen, über die Dummheit und Naivität der Menschen. Doch bei Arya war es anders. Sie machte nun wirklich nicht den Eindruck als würde sie stets unüberlegt handeln. Also warum wollte sie ihr Leben einfach so wegschmeißen? Oder besser gesagt, aufgeben?

„Da gibt es nichts zu überlegen“, sagte die Frau nun eine Spur leiser und wandte den Blick ab.

Ihre Augen waren starr und ausdruckslos und für Zaniel war klar, dass sie sich selbst aufgeben hatte. Die Entscheidung war getroffen. Zumindest aus ihrer Sicht.

Keine Frage, der Mann war erleichtert nicht groß um ihre Seele kämpfen zu müssen, doch irgendwie behagte ihm die Situation nicht. Denn solche Umstände war er mit Sicherheit nicht gewohnt. Arya hielt inne als der Griff an ihrer Taille sich verstärkte, doch noch ehe sie darüber nachdenken konnte, hatte der Dämon sie losgelassen.

„Wie lautet dein Name, Frau?“, sprach er nun ganz förmlich und trat einen Schritt zurück.

„Arya“, erwiderte sie, nach langem Zögern. Ihren Namen preiszugeben behagte ihr in den meisten Fällen nicht. Im Alltag war dies nur selbstverständlich, doch Namen bedeuteten Macht. Mit dem Namen angesprochen zu werden, entschied zum Teil wie sich ein Gespräch entwickelte. Logisch also, dass Arya so sehr zögerte. Zaniel hielt erneut inne. Ein viel zu lieblicher Name für eine Menschenfrau, wie er fand.

„Also schön, Arya, dann hör gut zu!“, begann der Mann und sah eindringlich auf sie herab.

„Wenn ich im Besitz deiner Seele bin, wirst du nichts mehr daran ändern können. Du wirst dich über Dinge freuen können oder dich ärgern, an diesen Dingen wird sich nichts ändern. Aber alle tiefer gehenden Gefühle, werden nicht mehr vorhanden sein. Du wirst weder glücklich sein können, noch kann man dich verletzen. Du wirst nicht lieben können, und auch nicht hassen. Mit dem Unterzeichnen des Vertrages bestätigst du, zu meiner Untergebenen zu werden. Zu einer Dämonin, deren Aufgabe es ist für mich zu dienen und über die Unterwelt zu wachen. Also, willst du das immer noch?“

Arya dachte über diese Worte nach. Sie war immer ein gefühlvoller Mensch gewesen, hatte immer nach Liebe verlangt, diese aber nie bekommen. Sie wollte wirklich glücklich sein, doch es hatte keinen Zweck mehr. Immer nur war sie verletzt worden und sie hatte keine Kraft mehr, sich weiter dagegen zu wehren. Sie gab auf, der Teufel hatte gewonnen. Und Gott? Der war ihr im Moment scheiß egal. Er machte ohnehin keinen Finger krumm. In Ordnung, auf die Gefühle konnte sie also verzichten. Aber was war mit dieser sogenannten Arbeit? Konnte sie das akzeptieren?

Sie blickte dem Mann in seine roten Augen und nickte.

Immerhin hätte ihr Leben dann noch einen Sinn und sie wäre nicht vollkommen nutzlos. Zaniels Blick trübte sich. Schade um den freien Willen der Frau, doch sein Glück. Er war auf die Frau angewiesen. Naja, mehr oder weniger.

„Du bist also bereit eine Dämonin zu werden“, murmelte Zaniel und strich mit dem Daumen sanft über die blasse Wange der Frau. Wieder nickte sie und nein, nichts an dieser Geste jagte ihr Angst ein. Im Gegenteil, sie fühlte sich in ihrer Entscheidung nur bestärkt. Vielleicht tat sie in diesem Augenblick wirklich das Richtige? Auch, wenn die Chance wirklich, wirklich gering war.

„Gut. Dann muss dieser Vertrag nur noch besiegelt werden“, sagte Zaniel dann und kam ihr näher. Noch näher. So nah, dass Arya seinen heißen Atem auf ihren Lippen spüren konnte.

Sie ahnte was nun folgen würde, brachte aber keinen Laut heraus. Zaniel schmunzelte, verbarg dies aber rasch. Ein Vertrag mit ihm wurde einzig und allein durch den Austausch von Körperflüssigkeit geschlossen. Meistens zielte Zaniel dabei auf das Blut seiner potenziellen Opfer ab, doch dieses Mal wollte er einem wirklich tiefen Ur-Instinkt nachgeben. Sein Jagdtrieb war schon längst geweckt geworden, nun kam er diesem Bedürfnis nach. Herrisch drückte er seine Lippen auf die der Frau. Doch die war überrascht darüber, wie sanft sich dieser Kuss dennoch anfühlte. Für einen Moment war sich sicher, sich falsch entschieden zu haben. Sie wollte öfter diese Wärme empfinden, die sich gerade in ihrem Inneren ausbreitete. Doch nichts hiervon hatte mit Gefühlen zutun, also spielte es keine Rolle ob es Richtig oder Falsch war. Der Vertrag war nun wohl besiegelt, einen Weg zurück gab es nicht mehr. Kurzerhand beschloss Arya also, diesem Mann zu zeigen das sie nicht nur eine willenlose Frau war, die sich fügte wenn es ihm gerade in den Kram passte.

Und da sich zwischen ihnen gerade ohnehin eine elektrische Lade gebildet zu haben schien, biss Arya ihm kurzerhand auf die Lippe und stieß mit ihrer Zunge voran. Aus purem Trotz heraus legte sie ihre Hände an seine Brust und verkrallte sich mit ihren Nägeln in seinem Hemd.

Zaniel war verblüfft, hatte er doch nicht mit solch einer Reaktion von ihr gerechnet.

Etwas gegen solch einen innigen Kuss einzuwenden hatte er jedoch nicht. Knurrend und mit schmerzhaftem Griff riss er Aryas Kopf in den Nacken.

„Ich weiß nicht ob ich das mutig, oder dumm nennen soll“, murmelte er und beendete den Kuss, ehe er sich vergaß.

„Was habe ich schon zu verlieren?“, erwiderte die Frau leise und vollkommen ausdruckslos.

Erneut trübte sich der Blick des Mannes.

„Scheiße, Kleines, hör auf damit!“, flüsterte Zaniel. Diese Frau schaffte es doch tatsächlich, etwas in ihm zu berühren. Irgendwie tat es ihm weh zu sehen und zu wissen, dass Arya nichts und niemanden hatte, was ihr etwas hätte bedeuten können. Sie war alleine und wer wusste schon, wie lange? Irgendwie war es da für ihn eine wahre Freude zu wissen, dass sie nun unter seine Obhut kam. Zugegeben, zu einer Dämonin zu werden war ein hartes Schicksal, das würde sie schon noch merken, doch er wünschte ihr wirklich, sie würde dann nicht mehr vollkommen alleine sein. Vielleicht war Zaniel der Teufel, doch das hieß nicht, dass er nicht auch sanft und mitfühlend sein konnte. Zugegeben, das war nun wirklich äußerst selten. Von einer Sekunde auf die andere veränderte sich die Lage. In der Luft knisterte es gefährlich, die Atmosphäre schien zu brodeln wie flüssige Lava.

Arya stolperte einen Schritt zurück und fasste sich ans Herz, wo ein verräterisches Stolpern zu fühlen war. Die Frau rang nach Luft, ging in die Knie und kniff panisch die Augen zusammen.

Dann sah sie hilflos zu Zaniel auf. Dieser verspürte bei diesem Anblick zum ersten Mal seit langer, langer Zeit Mitleid. Er wusste nur zu gut, wie sehr dieser Moment schmerzte.

Die körperlichen Qualen in diesem Moment raubten einem den Verstand. Aryas Lippen teilten sich, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie war nicht in der Lage zu sprechen, sie bekam keine Luft und ihre Kehle war schmerzhaft wie zugeschnürt. Zaniel ging in die Knie und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen.

In diesen Sekunden breitete sich die Dämonin wie Feuer in ihren Adern aus. Es brannte höllisch, tat so dermaßen weh, es schien einen völlig von innen heraus zu zerfressen. Ihre Lungen waren für lange Zeit nicht in der Lage zu arbeiten, sie wurde noch blasser, schien schon durchscheinend.

Ihre tiefgrünen Augen blitzten rot auf, wiesen zum Schluss noch rote Schlieren auf, blieben ansonsten aber grün. Spitze Eckzähne tauchten auf, verschwanden aber wieder.

Ein atemloser Schrei kam über ihre Lippen als die Flügel durch ihre Schulterblätter brachen und sie in die Tiefe zogen. Diese Verwandlung mit anzusehen hatte Zaniel nie etwas ausgemacht, nun allerdings tat es ihm wirklich leid.

Die Schmerzen schienen die Oberhand über Arya zu haben, denn ihre Augen fielen zu und mit einem qualvollen Stöhnen verlor sie die Kontrolle über ihren Körper und sackte zusammen.

Zaniel fing ihren Körper auf, der durch ihre Flügel zwar schwerer wurde, ansonsten aber kein sonderliches Gewicht hatte. Er hob sie hoch und trug sie nahezu traurig in sein Reich.