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Die Heidin

Alpbachtaler
Sagenbuch

Gesammelt und neu erzählt
von
Berta Margreiter

Zweite, erweiterte Auflage

Schlern-Schriften 280

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Universitätsverlag Wagner · lnnsbruck

 

 

 

© 1986 by Universitätsverlag Wagner Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 lnnsbruck

Homepage: www.uvw.at

E-Mail: mail@uvw.at

Die Schlern-Schriften wurden 1923 von Raimund v. Klebeisberg gegründet

Herausgegeben von em. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Franz Huter

Für den Inhalt sind die Verfasser verantwortlich

Der Einband wurde von Oswald Köberl gestaltet,

die Illustrationen im Buch stammen von Bartl Margreiter

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Die Heidin: Alpachtaler Sagenbuch I ges.u. neu erzählt von Berta Margreiter. – 2., erw. Aufl. – lnnsbruck: Universitätsverlag Wagner, 1986 (Schlern-Schriften; 280)

1. Aufl. u. d. T.: Sagen aus Reith und Umgebung als: Heimatbuch Reith; Bd. 2 u. als: Schlern-Schriften; 186

ISBN 978-3-7030-0914-3

Zweite, erweiterte Neuauflage

Die erste Auflage erschien 1966 als zweiter Teil des Heimatbuches von Reith bei Brixlegg (Schlern Schriften 186/II) unter dem Titel „Sagen aus Reith und Umgebung“ von Berta Margreiter

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.uvw.at.

Zum Geleit

Im zweiten Teil des von Joseph Pohl redigierten Heimatbuches von Reith bei Brixlegg (Schlern-Schriften Bd. 186/11, 1966) hat Frau Berta Margreiter, Gattin des Oberschulrates Bartl Margreiter, Sagen aus Reith und Umgebung (Alpbachtal usw.) veröffentlicht.

Aus dem Vorwort des Bändchens, das den seither verewigten Volkskundler Dr. Hermann Holzmann zum Verfasser hat, geht hervor, daß es Frauen und Männer mit ausgeprägtem, von Kunstschaffen und Kunstverständnis gestütztem Heimatsinn gewesen sind, welche hier mit der Hilfe von bäuerlichen Trägern alten Volksgutes die Sagentradition zu retten versuchten.

Das Büchlein ist vergriffen, Frau Margreiter hat weitergesammelt, insbesondere in der mündlichen Überlieferung im Volke und legt nun das Ergebnis ihrer idealistischen Bemühungen vor. Der Text ist, wie die Veröffentlichung von 1966, durch Zeichnungen des inzwischen verewigten Gatten der Verfasserin geziert.

Neben dem Kulturamt der Tiroler Landesregierung haben heimische Einrichtungen (die Gemeinden Alpbach, Brixlegg und Reith, der Fremdenverkehrsverband Reith und die Raiffeisenkassen Alpbach und Reith) die Drucklegung dieses Bandes der Schlern-Schriften unterstützt. So schließt sich der Kreis der um die Erhaltung und Verbreitung alten Kulturguts von tirolischer Eigenart Bemühten – ein erfreuliches Zeugnis für die Treue des Landes „An der Etsch und im Gebirge“ zu einer Haltung, die ihm in der Welt Anerkennung und Freunde gewonnen hat und weiter gewinnen soll.

Franz Huter

Inhaltsübersicht

Zum Geleit. Von Franz Huter

Vorwort

Die Heidin

Eine Wetterglocke aus Alpbach

Die Glocke am Thierberg

Die streitbaren Brüder

Die Felsengrotte am Thierberg

Berg- und Almsagen

Der Schachtgeist am Silberberg

Bergklöpfler im Alpbachtal

Die Bergleute von der Summerau

Die sieben Erzhüter in den Reichen Feldern

Das Goldbächlein

Der Ziegenhirt und die Schlange

Der Jagerbühel

Beißwürmer auf der Alm

Der Almgeist auf der Kohlgrube

Der Geist auf Schindeleben

Feen – Zwerge – Riesen

Menschenähnliche Gestalten des Volksglaubens

Die Venediger-Männlein

Die Saligen

Wie die Zwerge und Wildfräulein entstanden sind

Die Mehrnsteiner Ritter und die Fee vom Sonnwendjoch

Der Tuxer Riese

Der durchsichtige Berg

Das Venediger-Männlein am Reither See

Alte Geschichten um Schloß Matzen

Der Geist im Schloßkeller

Die Hexe von Matzen

Die Fruntsberger Ritter

Der ungerechte Richterspruch

Meister Zähneschleifer im Schloß Lipperheide

Geister in Haus und Hof

Die weiße Frau

Berghauptmann Schmuck

Spuk im Keilhäusl

Der Hoisinger-Geist

Der Kettenhund von Neuhaus

Geister in der Achleitkapelle

Geheimnisvolle Umtriebe in Inneralpbach

Irdische Geister – die sich der Habgier verschrieben

Geheimnisvolle Kräfte und Meinungen

Legende um das Mariahilf-Bergl

Die Sage von Bischofsbrunn

Gespräch mit den Verstorbenen – Eine alte Volksmeinung

Der Stier von Zulehen

Vom „Bringen-machen“

Der alte Gasteiger

Der alte Hechenblaikner

Die drei Kieselsteine

Einem Nachbarn erscheint der Teufel

Der Bauer als Sterndeuter und Wahrsager

Der alte Hechenblaikner – und sein unglückseliges Ende

Geschichten um einen Teufelsbanner – Der alte Zodinger

Vom Kugelfestmachen

Ein Hellseher im Alpbachtal

Irrwurzen im Reitherer Wald

Das grausige Gatterl

Irrlicht und Buchlmanndl

Hexenzauber – Gewalttaten – Verwünschen

Hexen und Zauberer

Die Huppacherin und andere Hexen des Alpbachtales

Das Eschenreis

Die brennende Wetterhexe – Warum es im Alpbachtal keine Buchen mehr gibt

Die erschlagenen Hausierer

Die Sage vom Egelsee

Unfruchtbare Erde

Die Rache der Bettlerin

Vom Verwünschen und Versehen

Der Pinzger-Lapp

Schuld und Sühne

Versunkene Gotteshäuser im Reitherer Wald

Die Mitternachtsmesse

Der gottlose Mensch vom Scheffachberg

Das Mädchen und die Schlange

Der Furchengeist vom Lederer

Ein Furchenmann auf Hochkalber

Die Maurer-Julie

Schatzsagen

Das Geheimnis der „Blauen Wand“

Der Schatz im Kästchen

Der Schatz auf Kögeler

Der goldene Kalbsfuß

Glühende Kohlen auf Schloß Mehrn

Der Ritter von der Klamm

Der Reichtum in der Silbergrotte

Teufelsgeschichten

Der Teufel in der Kirche von Reith

Die Dillntalerin

Die Teufelssteine am Graberjoch

Das tanzende Beil

Am grausigen Stein

Der Teufel – und der Knecht am Brunnerberg

Sagen aus der Pestzeit

Glockenzauber – Vorahnungen

Der alte Pestfriedhof

Der Gräberbühel

Der gefrorene Thumer

Noch ein Gefrorener

Der Bauer vom Hechenhof

Rund um die Weihnachtszeit

Die Heilige Nacht auf Zulehen

Die wilde Jagd

Auf der „Fuchspaß“

Alpbacher Perchtlsagen

Gebnacht- oder Görnachkinder

Berchtas Rache

Das verrostete Vierkreuzerstück

Die Berchtl fordert ihr Recht

Die singenden Görnachkinder

Das Kind des Trinkers

Quellennachweis

Vorwort

In unserer aufgeklärten Zeit über Wert oder Unwert alter Sagen zu diskutieren, ist für den Sammler und Forscher zweitrangig. Seine persönliche Meinung ist dabei nicht maßgebend und dürfte es nie sein. Er ist nur Bewahrer des alten Volksgutes und überläßt es dem Leser, sich über dies und jenes selbst ein Urteil zu bilden. Dinge, die sich dem Verständnis vieler Menschen entziehen, kann man nur wiedergeben, wie sie überliefert sind.

Diese Überlieferung, mündlich oder schriftlich, häufig beides miteinander verquickt, wie in diesem Buch, hat oft auch einen wahren Kern. Besonders aber vertiefen wir uns in das Leben des Volkes aus längstvergangener Zeit: Hier wird manches offenbar von den geheimsten Träumen, Ängsten und Hoffnungen der Menschen, die von den technischen Errungenschaften unserer Tage noch keine Ahnung hatten. An langen Winterabenden, wenn im Ofen der Stube das Feuer knisterte, in der rauchgeschwärzten, offenen Küche nur ein kleines Wachslicht den Raum erhellte, da gediehen diese Geschichten auf wunderbare Weise.

Sagen kommt von Erzählen, Reden. Sie beziehen sich vor allem auf Begebenheiten, die sich auf natürliche Art nicht aufklären lassen und daher die Fantasie der Leute auf lange Zeit beschäftigen. Die Menschen, die in diesen Sagen vorkommen, haben teilweise wirklich gelebt, werden beim Namen genannt, ein Umstand, der zum Wesen der Sage gehört.

Alte Sagen künden von der tiefen Furcht vor übernatürlichen Kräften, erzählen von der Bosheit der Hexen und der Macht der Zauberer. Das Grauen vor Gespenstern wird immer wieder offenbar, auch die Freude über deren Erlösung. Von Schuld und Sühne gibt es viele Geschichten, von verschwundenen Schätzen und Teufelsspuk.

Wir können nachempfinden, wie sich die erregte Fantasie an scheinbar Unerklärbarem entzündet und es ausschmückt, bis es zur echten Volkserzählung wird, vererbt durch Kind und Kindeskinder. Die Sage ist – im Vergleich zum Märchen – fast immer an einem bestimmten Ort angesiedelt, abgesehen von den sogenannten „Wandersagen“, die im gleichen Wortlaut hier und dort erzählt werden.

Für die vorliegenden Geschichten aus dem Alpbachtal wurden viele Quellen (siehe Anhang) benützt. Manche Sagen sind hier zum erstenmal aufgeschrieben worden, andere durch Zufall wieder neu entdeckt. Sie stammen von teils noch lebenden Personen, teils von solchen, die in den letztvergangenen Jahren gestorben sind. Allen, die zur Sammlung in irgendeiner Weise beigetragen haben, sei hier ein herzlicher Dank ausgesprochen.

Dabei soll besonders eines Forschers gedacht werden, der schon großen Anteil hatte am Buch „Sagen aus Reith und Umgebung“ (Schlernschriften, Bd. 186/11, 1966): Der im Jahre 1980 verstorbene Bildschnitzer Simon Rendl, der schon als junger Mensch, als das Sagengut im Volk noch ganz lebendig war, das Gehörte aufgezeichnet und vieles davon in den Tiroler Heimatblättern veröffentlicht hat. Auch der in Alpbach tätige Oberlehrer Johann Zellner hat sich große Verdienste erworben, leider ist vieles von dem, was er gesammelt hat, nicht mehr verfügbar.

Um noch einmal auf Sinn und Zweck einer Sagensammlung zurückzukommen: Sie soll keineswegs der Belebung alten Aberglaubens dienen, vielmehr ein Rückblick sein auf das Denken und Sinnen unserer Vorfahren, wobei es nicht angebracht wäre, nur ein mitleidiges Lächeln dafür aufzubringen. Jede Zeit hat ihre Stärken und Schwächen, keine ist gegen Irrtümer gefeit. Alte Sagen, oft ins Märchenhafte ausgeschmückt, sind das Urbild einer Lebenshaltung, die noch romantisch und fantasievoll war, allerdings auch beschwert durch ungeheure Angstvorstellungen.

So möge dieses Buch ein Beitrag zur Volkskunde sein, ein unterhaltsamer und zum Nachdenken anregender Weggefährte bei einem Ausflug in die alte Zeit.

Die Verfasserin

Die Heidin

Eine Wetterglocke aus Alpbach

Früher gab es in ganz Tirol die sogenannten „Wetterglocken“. Ihnen schrieb man eine besondere Abwehrkraft gegen die gefürchteten Sommergewitter zu, die oft viel Schaden anrichteten. Diesen Glocken gab man häufig die Namen von Tieren. Tief gestimmte und mächtige bezeichnete man als „Stiere“ oder „Kühe“, kleinere und heller klingende als „Hunde“, „Katzen“, „Geißen“ und dergleichen. So gab es im Unterland das „Salvenhündl“ bei Hopfgarten, die „ltterer Katz“, den „Brixner Stier“, aber auch die bekannten Wetterglocken in der Radfelder Gegend.

Ein alter Spruch lautet:

Wenn’s Wieshündl bellt
und’s Krauthaferl schellt,
wenn die Feldhock nid mag,
kimmb koa Riesl und koa Schlag.

Mit dem „Wieshündl“ war die Glocke im Turm der Kirche St. Leonhard auf der Wiese gemeint, als „Krauthaferl“ galt die Wetterglocke in Radfeld, und als „Feldhock“ bezeichnete man die Muttergottes in der Auflegerkapelle an der Straße von Rattenberg nach Kundl.

Von allen diesen Glocken unterschied sich, schon dem Namen nach, die „Heidin“ von Alpbach, volkstümlich „Hoadin“ genannt. Sie wird heute noch geläutet, wenn sich über den Bergen ein Gewitter ankündigt. Die Glocke ist von einfacher Gußform, von der einstigen Inschrift sind nur noch wenige Buchstaben auszunehmen. Dem Vernehmen nach handelt es sich dabei um solche nach dem alt-germanischen Alphabet.

Über die Herkunft der bekannten Wetterglocke versucht die Sage in drei Versionen aufzuklären:

Die Glocke am Thierberg

Knapp zehn Minuten von der heutigen Alpbacher Pfarrkirche entfernt liegt der Weiler „Dorf“. Am Südrand dieses Weilers rauscht der Dorfer Bach, der in vergangener Zeit unermeßlichen Schaden anrichtete. Nunmehr ist er gut verbaut. Weiter droben erhebt sich der Thierberg, ein Kalksteingeschröf, das mit Lärchen, Föhren, Fichten und dichtem Gestrüpp bewachsen ist. Da und dort fristen Waldbuchen ein kümmerliches Dasein.

Hier – auf dem Thierberg – stand in alten Zeiten eine Zwingburg. Von ihr ist heute weit und breit nichts mehr zu sehen. Nur Eingeweihte wissen noch den tiefen Graben unweit der Thierberghöfe zu deuten und ahnen vielleicht auch den Grund, warum gerade hier eine kleine Kapelle erbaut wurde, die heute noch Vorübergehende zu kurzer Rast und frommer Einkehr laden will.

Der Besitzer der Zwingburg war ein grausamer Heide. Er bedrückte die umwohnenden Bauern mit harter Fronarbeit und forderte von ihnen viele Abgaben. Besonders haßte er seine christlichen Untertanen, sie waren am meisten seiner Willkür ausgeliefert.

In dem Turm der Burg hing eine Glocke. Wenn sie ertönte, mußten die Bauern sofort ihre eigene Arbeit im Stich lassen, um dem Herrn da droben dienstbar zu sein. Harte Strafe drohte denjenigen, die sich verspäteten oder gar den Ruf der Glocke mißachteten.

Es war die Zeit, da in unseren Tälern das Christentum Einzug hielt. Auch in Alpbach versammelten sich die Neubekehrten des öfteren zu gemeinsamen Andachten, obwohl sie wußten, daß der Ritter auf der Zwingburg gottlos lebte und keine christliche Gemeinschaft dulden wollte. Um seinem Argwohn zu entgehen, wählten sie entlegene Hütten, um dort ungehindert beten und feiern zu können.

Der Burgherr jedoch hatte seine Spione. Diese meldeten ihm sofort, was ihnen verdächtig erschien.

So geschah es immer öfter, daß die Glocke gerade zu den Andachten der Christen ertönte und alles aufschreckte. Da aber – wie schon erwähnt – diese Zusammenkünfte meist außerhalb des Dorfes stattfanden, war es für die Teilnehmer fast unmöglich, zeitgerecht auf der Burg einzutreffen. Dafür hatten sie dann schwer zu büßen.

Wieder einmal fanden sich die Gläubigen in einem einsam gelegenen Bauernhof zusammen. Plötzlich ertönte der helle Klang der Thierberger Glocke. Auch diesmal hatte ein Späher die frommen Beter verraten. Diese eilten schnell zur Burg hinauf, doch vor dem Tor stand schon der Heide mit etlichen seiner Knechte. Nach einem kurzen Verhör befahl er ihnen, die Christen bis aufs Blut auszupeitschen.

Kaum aber hatten sie mit ihrem unseligen Werk begonnen, da zog sich über dem Thierberg ein schreckliches Gewitter zusammen. Aus dem hellen Tag wurde stock-dunkle Nacht. Blitze zischten, Donner grollten. Der Regen strömte hernieder, als hätte der Himmel all seine Schleusen geöffnet. Es heulte, stürmte, die Erde erbebte. Und Hagelkörner schossen aus den Wolken, die waren groß wie Hühnereier.

Die Menschen waren außer sich. Sie schrien, jammerten, weinten.

Nach Stunden erst legte sich das Unwetter. Am Thierberg droben war alles verwüstet. In die Burg hatte mehrfach der Blitz eingeschlagen. Überall brachen Feuerzungen hervor und lohten gleich riesigen Fackeln in die sternlose Nacht.

Von der Burg blieb nur mehr ein Schutthaufen übrig.

Im Wald lagen Bäume entwurzelt, viele schöne Stämme waren geknickt und nur mehr als Brennholz verwendbar. Der Dorfer Bach, unfähig, die anströmenden Fluten zu bergen, sprang aus seinem Bett und warf sein Übermaß in die angrenzenden Wiesen und Äcker. Sand, Steine und Treibholz bedeckten das vormals blühende Land. Die Hagelkörner hatten die ganze Ernte vernichtet.

Droben am Thierberg aber standen die Christen, die auf Befehl des Heiden gezüchtigt werden sollten. Sie allein blieben im Umkreis der Burg unversehrt. Laut priesen sie Gott, und so schritten sie den Abhang des Thierberges hinunter.

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Nun waren sie von ihrem Peiniger befreit. Er lag entseelt unter Schutt und Asche, war elend zugrundegegangen wie auch seine Knechte.

Die dankbaren Christen aber machten sich ans Werk. Sie erbauten ein Kirchlein an der Stelle, wo heute die Pfarrkirche zum heiligen Oswald steht.

Die Sage aber weiß noch mehr:

Nach Jahrhunderten ging wieder einmal ein heftiges Unwetter über den Thierberg nieder. Und wieder schwoll der Dorfer Bach zum reißenden Ungeheuer an. Wieder überschüttete er die Ufer mit Sand, Lehm und Geröll.

Doch bald zeigte sich der Wildbach wieder zahm. Langsam zog er sich in sein Bett zurück, floß klar und glucksend, als hätte es die bösen Tage nie gegeben. Die Bauern, die mit dem Aufräumen beschäftigt waren, machten jedoch eine eigenartige Entdekkung:

Aus dem Schlamm hervor glänzte der Helm einer Glocke, es war jene, die im Turm der Zwingburg die Männer zum Frondienst gerufen hatte!

Nun gewann sie andere Bedeutung. Man grub sie aus, brachte sie in die neue Kirche, weihte sie und gab ihr einen Namen. Die Heidin!

Und seither hängt sie in schöner Gemeinschaft mit allen anderen Glocken im Turm, ruft zu Gebet und Andacht, unbeschadet ihrer unruhvollen Vergangenheit.

Und was lag näher, als gerade sie zur Wetterglocke zu bestimmen, sie, die alle Unwetter so gut überstanden hatte? Was wüßte sie nicht alles zu erzählen – von uralter Zeit, von Willkür und Gefahren, von ungerechtem und bösem Wollen!

Als Wetterglocke bewies sie ihre Stärke. Bald hatte sie den Ruf, weitaus die beste in der ganzen Talschaft zu sein.

Die streitbaren Brüder

Zu einer Zeit, als noch viele Heiden das Tal bewohnten, stand auf dem Vorsprung des Thierberges eine stattliche Ritterburg. Die Besitzer betrieben einen ergiebigen Bergbau, nebenbei aber frönten sie dem Räuberunwesen. So wurden sie allmählich reich und begütert, in den unterirdischen Gewölben häuften sich zahllose Schätze.

Zuletzt bewohnten zwei Brüder diese Burg. Sie lebten jedoch in Zwietracht miteinander, deshalb wollten sie sich trennen. Einer sollte den Besitz übernehmen, der andere mit Geld und anderen Werten abgefertigt werden.

Aber auch hier gerieten sie in Streit. Der scheidende Bruder sah sich übervorteilt, er bildete es sich zumindest ein; immerhin war sein Erbe ganz beträchtlich. Diesen Schatz vergrub er auf dem „Hösl“, einem bekannten Übergang zwischen Alpbach und Wildschönau.

Ja, da hatte er das Seine wohl in Sicherheit gebracht, die Zweifel aber ließen ihn nicht los. Hatte sein Bruder ihn betrogen?

Düstere Rachegedanken umschwelten ihn. Und in einer Nacht, als alle schliefen, da setzte er die Burg in Brand.

Schnell griff das Feuer um sich. Nichts konnte gerettet werden. Alle Menschen in dem weitläufigen Gebäude kamen elend um.

Der Ritter aber, der das unselige Werk auf dem Gewissen hatte, hockte während der ganzen Zeit auf einem Felsvorsprung und sah unbarmherzig zu. Das Schreien der gequälten Menschen ging unter im Brechen der Balken, im Prasseln der blindwütigen Feuersbrunst.

Ein Funkenregen nach dem anderen ergoß sich in den nachtschwarzen Himmel, glühende Geschosse flogen ins Weite. Und eines davon traf den Übeltäter am Kopf. Dies war die Vergeltung. Besinnungslos stürzte der Ritter den Abhang hinunter. Auf einer ebenen Fläche blieb er liegen.

Er war tot. Tot wie sein Bruder und alle, die ahnungslos in der Burg geschlafen hatten. Jene verbrannt, zu unkenntlichen Resten verkohlt, dieser hier eine Beute hung-riger Vögel. Der leblose Körper lockte die Aasgeier in Massen an, sie rissen ihre Schnäbel in den noch warmen Leichnam, und tagelang umkreisten sie das einsame Lager unter dem Thierberg.

Die Seele aber fand noch lange keine Ruhe. Als Geist war der Ritter aufs Hösl hinauf gebannt, dort mußte er seine vergrabenen Schätze hüten.

Er fand erst seinen Frieden, als man nach Jahren an dieser Stelle eine kleine Kapelle erbaute.

Wie aber kam es zur Heidenglocke?

Als das Schloß niederbrannte, da schmolzen auch die reichen Schätze in den Gewölben. Diese flossen den Felsen hinab und erstarrten drunten zu einer festen Rinde.

Man fand sie später auf und verwendete sie, um für die neuerbaute Kirche in Alpbach eine Glocke zu gießen. So entstand die Heidenglocke.

Seit Jahrhunderten, bis heute, ist sie allen wohlvertraut: als Wetter- und als Sterbeglocke.

Die Felsengrotte am Thierberg

Die dritte Fassung der Glockensage, mit der sich Ritter von Alpenburg in seinen „Österreichischen Alpensagen“ aus dem Jahre 1860 befaßte, stimmt mit den beiden anderen überein, daß sie tatsächlich URALT sein soll.

Demnach hat sie schon geklungen, als sich die ersten Christengemeinden bildeten, sehr zum Ärgernis der vielen Heiden, die noch in diesem Gebiet hausten, „vornehmlich in den felsigen Klüften des Thierberges“.

Aber diesmal heißt es, sie hätte die Bekehrten zu den Versammlungen gerufen, keine Rede ist von einem grausamen Burgherrn, nichts von Unwetter, Blitzschlag und dergleichen. Keine Brandstiftung ist erwähnt, kein logischer Ablauf von Schuld und Sühne! Finsternis legt sich um das Geschehen, und eine lange Zeitspanne wird einfach übersprungen. Nur ein märchenhafter Nachklang ist geblieben:

Es stieg einmal ein Hüterbub am Thierberg herum, hüpfte von einem Geschröf zum andern, da härte er plötzlich ein helles Klingen. Es erinnerte an Glockengeläute und schien ihm seltsam vertraut. Der Bub ging dem Schall nach und war noch gar nicht weit gekommen, da stand er vor einer Felsengrotte, die er noch nie gesehen hatte. Es hingen drei Glocken darin!

Der Hüterbub überwand seine Bedenken, ging mutig hinein und wälzte mit vieler Mühe und Anstrengung die kleinste dieser Glocken vor den Eingang hinaus. Nun aber war es mit seiner Kraft zu Ende, er mußte aufgeben. Doch schnell lief er ins Dorf hinunter, um Hilfe zu holen. Wie er den Leuten von seinem Fund erzählte, waren sie sehr erstaunt, und sofort stieg eine ganze Schar mit ihm zum Thierberg hinauf. Wie sie aber droben ankamen, da zeigte sich die Felswand glatt und unzugänglich wie eh und je. Von einer Grotte war nichts zu sehen, und nur die eine Glocke, die der Bub herausgewälzt hatte, lag noch davor. Die beiden anderen waren verschwunden.

Indes freuten sich die Leute auch über diese eine Glocke, schafften sie hinunter in die Kirche und hängten sie in den Turm. Und weil sie allem Anschein nach aus der Heidenzeit stammte, nannte man sie dementsprechend „Heidin“.

Diese Glocke gewann im Lauf der Zeit gar hohes Ansehen. Sie zeigte sich wirksam im Abwehren der Gewitter, die man großteils dem Walten der bösen Hexen zuschrieb. So heißt es, daß ein Alpbacher Vikar einmal zum Mesner sagte:

„Tritt mit deinem rechten Fuß auf den meinen und schau dabei zum Kirchturm hinauf!“

Der Mesner gehorchte und sah zu seinem Entsetzen, wie eine Hexe mit fliegenden Haaren sich schrecklich abmühte, den Klöppel der Heidin aufzuhalten, um so den Anschlag zu verhindern. Aber sie brachte die Glocke nicht zum Schweigen, es gelang ihr nicht.

Früher einmal war es in Alpbach Brauch, daß bei Gewittern der Geistliche mit der Monstranz aus der Kirche ging und vom Friedhof aus gegen die Wetterseite hin den Segen gab. Dazu wurde mit allen Glocken geläutet. Auch heute noch gibt es das sogenannte „Wetterläuten“, die „Wetterämter“ und Bittprozessionen, um verheerende Schäden aus Feld und Flur fernzuhalten.

Und wenn man unter allen Glocken im Umkreis die sagenhafte Heidin am meisten schätzte, so kam das nicht von ungefähr: Man wußte, sie vertrieb nicht nur die schweren Wolken, sie half auch gegen bösen Zauber und Hexenwerk.

Berg- und Almsagen

Der Schachtgeist vom Silberberg

Am Eingang des Alpbachtales befand sich einst in der Nähe des Bauernhofes „Larcher“ ein großer Stollen des lllbergwerkes. Viele Knappen fanden dort Arbeit und Brot. Unter ihnen hauste der Schachtgeist. Dem Vernehmen nach war er ein sehr freundlicher und zugänglicher Geselle, der den Knappen zugetan war. Oft zeigte er ihnen, wenn er besonders guter Laune war, die ergiebigsten Fundstellen der Erze. Da saß er oftmals auf dem „Hund“, einem Karren, der den Bergleuten zur Förderung diente, und half ihnen, wo er nur konnte.

Dies ging so lange gut, als die Knappen rechtschaffen blieben. Doch wieder bewährte sich das alte Sprichwort:

Nichts kann der Mensch
schwerer ertragen –
als eine ganze Reihe
von guten Tagen –!

Mit übermütigen Streichen fing es an. Statt zu arbeiten, spielten sie mit silbernen Kegeln, sorglos trugen sie goldenes Geschmeide in ihren Taschen und prahlten mit ihrem Reichtum. Das gute Essen schätzten sie nicht mehr, alles sollte immer noch besser und kostspieliger sein als das vorige. So wurden sie von Tag zu Tag leichtsinniger, und an Gott glaubten sie schon längst nicht mehr. Es kam zu Ausschreitungen, die man sich kaum vorstellen kann:

Einmal, als das Essen aufgetragen wurde, verhöhnten sie die Gottesgabe, indem sie die gebackenen Küchel auf ihre Hüte spießten und wie kleine Bälle durch die Luft warfen. Kartoffeln und Kuchen zerquetschten sie mit bloßen Händen und hefteten den Brei sodann an ihre Schuhsohlen.

So ging es einige Zeit. Manch gutgemeinte Warnung, besonders von den armen Bergbauern ringsum, schlugen sie in den Wind. Ja, es kam noch ärger:

Die Knappen ergaben sich dem Götzenkult. Sie stellten silberne Göttinnen her, führten zuchtlose Tänze auf, in eigens zu diesem Zweck erbauten Hütten. Und infolge des nimmersatten Trinkens gerieten sie untereinander in Streit, nicht selten entstand auch eine Rauferei, die mehr als einmal mit einem Totschlag endete.

So hatte der Reichtum, der wachsende Wohlstand, nichts als üble Früchte gezeitigt. Man sprach davon, daß die Knappen zum Schuheputzen frische Butter verwendeten oder auch die Butterkugeln zum Kegeln nahmen. Einmal sollen sie sogar – rein zu ihrer Unterhaltung – einem noch lebenden Stier die Haut vom Leib geschunden haben.

Der Schachtgeist sah und hörte vieles, was ihm mißfiel. Sein Unmut erwachte und steigerte sich zu tiefem Groll. Sein gutmütiges Wesen verlor sich mehr und mehr, es machte einer finsteren Entschlossenheit Platz. Mürrisch saß er auf dem Hund, sprach nur mehr selten ein Wort, und nie mehr gab er zu erkennen, wo das meiste Silbererz zu finden sei.

Die Gottlosen aber setzten unbekümmert ihr wüstes Treiben fort.

Eines Tages stand der Larcherbauer vor seiner Haustür, um nach dem Wetter zu schauen. Ihm war, als schwebe etwas Unheilschwangeres in der Luft, obwohl der Tag von fast überirdischer Schönheit war. Der Wald oberhalb des Hofes hob sich tiefschwarz ab von den hellgrünen Wolkenfeldern, die gespenstisch das Himmelsgewölbe durchjagten.

Es war ein Föhntag. Zum Greifen nahe stand das Wiedersberghorn vor seinen Augen, obwohl es in Wirklichkeit viele Wegstunden vom Larcher entfernt war. Vom Inntal herauf klangen Kirchenglocken, feierlich und wie getragen von einer Mahnung, die dem Lauschenden ans Herz griff. Unwillkürlich dachte er an die Knappen.

„Was ist nur los heute?“ fragte er sich. „Die Kühe im Stall sind unruhig, sie zerren an den Ketten. Haben sie etwa genug vom ewigen Eingesperrtsein?“

Aber das allein war es nicht. Und schon stürmte – mitten in sein Sinnieren hinein – ein kleines Männlein den Hang herauf. Es war der Schachtgeist.

Die langen Haare hingen ihm wild über die Schultern, und mit allen Zeichen des Entsetzens rannte er. Er verhielt einen Augenblick, dann schrie er dem Larcher mit hohler, sich überschlagender Stimme zu:

Tuats zua die Tiar
geht’s Unglück fiar –
muaß auffi zu der Illn
die Knappschaft stilln!

Da schloß der Larcher eiligst die Haustür und wagte sich mit den Seinen vorerst nicht heraus. Und mit einem Male erscholl ein Poltern und Krachen, dazwischen ertönte vielstimmiges Geschrei. Den Menschen im Berghof lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Was war geschehen? Eine ganze Weile dauerte das Lärmen an, dann wurde es still, unheimlich still.

Als sich die Leute endlich aus dem Hause wagten, sahen sie, daß der Larcherstollen eingestürzt war. Verschüttet zwischen Felsgeröll und Silbererz lagen die Knappen und fanden keinen Ausgang mehr.

Endlose Stunden des Grauens vergingen. Hunger und Durst quälten die Eingeschlossenen, ihre trockenen Zungen fuhren über feuchtes Gestein, sonst gab es keine Linderung.

Sie wußten nicht, daß man draußen fieberhaft arbeitete, um sie zu retten. Frauen und Kinder mühten sich mit den Männern ab, doch das Schicksal war unerbittlich.

Als man den eingestürzten Stollen endlich freigelegt hatte, bot sich den Rettern ein grauenhafter Anblick:

Alle Knappen waren tot. Hier ragte eine erstarrte Hand aus dem Schutt, dort ein Fuß, blutüberströmt. Manche waren im Stollen, der sich mit Wasser gefüllt hatte, ertrunken. Schneebleiche Gesichter, die von einem wahnwitzigen Sterben zeugten. In einigen Fäusten erblickte man die angenagten Sohlen ihrer eigenen Stiefel.

Viele hatten die Augen weit offen. In den starren, unnatürlich erweiterten Pupillen stand noch das hellichte Entsetzen.

In schrecklichem Zustand fand man jene, die nicht im Berg selbst zugrunde gingen. Ihr Leib war aufgedunsen, vergiftet von dem Wein, den sie getrunken. Im Faß befand sich eine Schlange, von der man nicht wußte, wie sie hineingekommen war.

Auf einem riesigen Schutthaufen hockte der Schachtgeist. Ihm hatte die Katastrophe nichts anhaben können. Mitten unter den entseelten Körpern verharrte er regungslos, ein getreuer Wächter bis zuletzt.

Seine Miene drückte gleichermaßen Kummer wie Erbitterung aus, und er blieb auf seinem Posten, bis man die Leichen abholte für die letzte Fahrt auf den Kirchhof.

Dann wurde der Geist nie mehr gesehen.

Wer aber ein Sonntagskind ist und gottbegnadet, der sollte hinabsteigen in den Keller des alten Silberberghofes. Er lege sein rechtes Ohr auf den Fußboden, vielleicht, es könnte ja sein, hört er dann das Rumoren der ruhelosen Seelen.

In der Nacht auf Johanni aber sollte man besonders wachsam sein: Da ertönt ein feines Singen und Klingen ...

Es sind die silbernen Kegel der toten Knappen.

N. S. Am Brunnerberg erzählte man früher, der Schachtgeist wäre an diesem Hang hinauf zum Bergwerksstollen „Gilln“ gelaufen. Hier ging der Spruch:

„Pinzger, Pinzger, tua zua die Tiar,
geht ’s Unglück fiar,
muaß auffi zu der Gilln
die Knappschaft stilln!“

Bergklöpfler im Alpbachtal

In den Bergwerken des Unterinntales, in Schwaz, Rattenberg und im Alpbachtal, erzählte man sich einst vom segensreichen Wirken der Bergklöpfler, die aber höchst selten gesehen wurden. Da klopften sie und hämmerten, bald nahe, bald fern aus dem Felsgestein, das war ihr Zeichen, daß sie am Werke waren. Und die alten erfahrenen Grubenleute, die es hörten, wußten auch sofort, was dieses Klopfen zu bedeuten hatte: Bald würden sie auf Erz- und Silberadern stoßen, der Berggeist zeigte sie an.

Wie stellte man sich einen Bergklopfer vor? Nun, dem Vernehmen nach war er ein altes, graubärtiges Männlein, ähnlich dem bekannten Schachtgeist vom Silberberg, der jedoch gar nicht so menschenscheu war wie alle anderen. Im allgemeinen waren die Klöpfler sehr zurückhaltend und blieben gern für sich allein.

Zu jener Zeit, als Tausende von Arbeitern im Silber- und Kupferbergbau beschäftigt waren, hatte man stets eine Tragbahre im Eingangsstollen stehen. Sollte es zu Unglücksfällen kommen, war sogleich ein Transportmittel zur Hand, daher diese Vorsorge. Nun kam es vor, daß auf einer solchen Tragbahre hin und wieder ein Bergklöpfler zu sehen war, tief bekümmert und mit traurigen Augen. Da wußten die Bergleute, daß es noch am gleichen Tag in irgendeinem Stollen ein Unglück geben würde. Man mußte später einen Verletzten, einen Kranken oder gar einen Toten ins Tal schaffen.

Dieser Glaube an die Seherkraft der Bergklöpfler und ihr leibhaftiges Vorhanden-sein hat sich bis ins 19. Jahrhundert hinein im Alpbachtal erhalten. So berichtete ein Bartlmä Hechenblaickner, der unterm Stolzenhof in der Hygna drunten am Bach eine Alaunfabrik gebaut hatte, ein solches Klopfen immer wieder gehört zu haben. Als Geschäftsführer war bei ihm im Jahre 1857 der aus Saarbrücken stammende Gerhard Wi-gold angestellt. Beide schürften mit anderen Arbeitern im Felsen nach alaunhaitigem Schieferstein, welcher mit Quarz und Eisenstein bricht und in der Richtung liegt, wo einst die reichen Silberbergwerke anstanden.

Hechenblaickner und Wigold hörten in diesem Jahr oft das merkwürdige Klopfen im Gestein. Bald klang es näher, bald ferner, auch nicht alle Tage, sondern nur zu gewissen Zeiten. Um Neujahr 1858 hörten sie es zum letztenmal. Auch andere Männer konnten die Angaben der beiden bestätigen. Sie alle waren der Meinung, daß es sich dabei auf keinen Fall um ein gewöhnliches Wassertröpfeln gehandelt habe. Also mußte es ein Bergklöpfler sein, der auf diese Weise das Vorhandensein von reichen Erzadern andeutete.

Ob sich der Wunsch nach ergiebigen Funden, nach Reichtum und Macht je erfüllte, darüber schweigt die Sage.

Die Bergleute von der Summerau

Eine alte Bäuerin beim Larcher, einem von den Ramsberghöfen am Schefferberg, erzählte einst die Sage von den Bergleuten auf der Summerau in der Gegend von Zimmermoos:

Die Bergleute waren so übermütig geworden, daß sie nichts mehr glaubten und die Religion nur mehr verspotteten. Mit den Gaben Gottes trieben sie viel Unfug. Da erschien ihnen einmal eine schwarze Katze, sie wurde größer und größer vor ihren Augen, sodaß die Übermütigen sehr erschraken. Die Katze ließ sich auch nicht verscheuchen, obwohl sie es mit allen Mitteln versuchten.

Endlich ließen sie einen Priester kommen. Der schlug mehrere Male mit dem Rosenkranz nach dem unheimlichen Tier, da wich die Katze und verschwand.

Diese alte Geschichte wurde dereinst in Zimmermoos viel erzählt.

Die sieben Erzhüter in den Reichen Feldern

Auf dem ehemals erzreichen Thierberg – einer Erhebung zwischen Alpbach und Wildschönau – wurde seit dem 15. Jahrhundert ein reger Bergbau betrieben. Er galt als einer der ergiebigsten im Bereich des Gratlspitzes, und vielen Knappen verhalf er zu Arbeit und Brot. Später versiegte der Bergsegen, es wurde stiller um den Thierberg herum, die fremdländischen Knappen wanderten ab.

Die Sage aber weiß noch zu berichten:

Einst gab es die geheimnisvollen Erzhüter auf dem Thierberg, so wie auf allen Höhen Tirols, wo es Bergschätze zu bewachen galt. Vom Thierberg aber seien sie weitergewandert, hinüber auf die andere Talseite, zu den sogenannten „Reichen Feldern“, einer Berglehne zwischen Alpbach und dem Zillertal. Und hier, so meinten die Leute, hätten sie das Erz mit besonderer Sorgfalt gehütet. Sie beschirmten es vor dem Zugriff geldgieriger Menschen und hoben es auf für eine Generation, die sich des Segens würdig erweise und dessen mehr bedürfe als die zur Zeit Lebenden.

Oft, so heißt es weiter, habe man geschürft in den sagenumwobenen Reichen Feldern, doch nie war etwas Besonderes zu finden. Dessen ungeachtet hielt sich der Name, der als Hinweis auf verborgene Schätze im Inneren des Berges wohl zu deuten wäre.

Wie aber die Erzhüter vom Thierberg abwanderten, das sah ein Holzhauer aus Alpbach mit eigenen Augen:

Er war bei seiner Arbeit im „Heißental“, das damals noch ein dicht bewachsenes Waldgebiet war. Nach der Mundart des Tales nennt man es heute noch das „Hoaßntoi“, wahrscheinlich deshalb, weil hier an warmen Sommertagen die Sonne besonders stark herniederscheint. Wild rauschte der nahe, zu dieser Zeit noch ungebändigte Heißenbach vom Thierberg herunter. Auf einmal sah der Holzhauer, wie eine Schar riesiger Männer zwischen den Bäumen auftauchte. Alle waren von übernatürlicher Größe, trugen schwarze Harnische, und lautlos wanderten sie an ihm vorüber, als sähen sie durch ihn hindurch. Ihre Mienen waren streng und ernst, und eine eisige Kälte ging von ihnen aus.

Der Holzknecht wußte das alles nicht zu deuten, denn Männer dieser Art hatte er noch nie gesehen. Und weil er alles eher denn ein Angsthase war und ihn zudem die Neugier plagte, hielt er den letzten der Männer an und fragte ihn aus. Wer sie seien, woher sie kämen und wohin der Weg sie führe. Daraufhin sagte der Mann mit hohlklingender Stimme:

Das Erz im Thierberg

Haben wir gehütet

Erz ging zu Ende Wollen nun wandern

Der Reichen Felder

Felsenverschlossene

Schätze zu schirmen!

Und nach diesem seltsamen Spruch entfernte sich der Riese, folgte seinen Gefährten und ließ den Holzhauer mit offenem Mund zurück.

Viele Jahre vergingen. Und wiederum geschah etwas sehr Sonderbares: An einem Heiligen Abend kam zu einem Senner, der auf dem Weg zur Reichenspitze war, ein riesenhafter Mann. Er trug einen dicken Winterrock und war zugeknöpft bis über die Ohren. Dieser Fremde bat den Senner, er möge in der Christnacht seine Stube recht tüchtig heizen, sein Schaden solle es nicht sein.

Diese Bitte erfüllte den Senner zwar mit Staunen, weil es ihm aber nicht darauf ankam, wollte er sie gern erfüllen. So schürte er den großen Kachelofen voll mächtiger Scheiter, bis es in der Stube so heiß war, daß er es kaum noch aushalten konnte. Den-noch kroch der Senner, weil ihn ebenso die Neugierde ergriff wie einst den Holzhauer im Heißental, in die Ecke unter den Tisch, um zu sehen, was sich noch ereignete.

Gegen Mitternacht war es, als sich polternde Schritte der Hütte näherten. Die Tür wurde heftig aufgerissen, Winterkälte strömte in den Raum, und sieben ungeheuer große Männer kamen herein.

Ihre Kleider waren steif und starr, die Schuhe schienen nur mehr Eisklumpen zu sein. Man sah den Männern an, daß sie erbärmlich froren.

In der überheizten Stube aber fühlten sie sich wohl. Sie drückten sich an den Ofen, rieben die Hände an den glänzenden Kacheln, dabei gaben sie grunzende Töne des Behagens von sich. Sonst sprachen sie kein Wort. Bald schüttelten sie das aufgetaute Naß von ihren Röcken, die sie jedoch nicht ablegten. Dann – nachdem sie sich erwärmt hatten, verließen sie die Hütte.

Der Senner, der endlich aus seinem Versteck hervorkroch, fand auf dem Tisch noch seinen Hut, den er nicht weggeräumt hatte. Nun war er angefüllt mit funkelnden Silberstücken bis obenhin. Und da wußte der Mann, wer seine Gäste gewesen waren.

Die Erzhüter von den Reichen Feldern!

Männer, die alle Schätze des Berges wohl zu hüten wußten, dazu verbannt, weil sie zu ihren Lebzeiten schweres Unrecht getan hatten. Vielleicht hatten sie edles Metall entwendet, denn – wie sonst wäre es zu erklären, daß ausgerechnet sie zu Erzhütern verurteilt waren?

Im Volk aber hielten es viele für gewiß:

Ständig müssen ihrer sieben droben Wache halten und die „kalte Pein“ erleiden. Nur dann und wann wird einer von ihnen erlöst. Dann nämlich, wenn ein jüngst Verstorbener, der sich des gleichen Vergehens schuldig gemacht hat, für ihn das Büßerleben antritt.

Das Goldbächlein

Bergschätze im Zusammenhang mit den „Reichen Feldern“ spielten im Sagenkreis des Alpbachtales seit jeher eine große Rolle.

Nach altem Volksglauben streckt das jenseits gelegene Zeller Goldbergwerk im Zillertal seine Goldadern bis in die Höhen unseres Tales vor. Viele zerfallene Stollen und Schächte blieben beredte Zeugen des alten, aufgelassenen Bergbaues und des Schür-fens nach edlem Metall.

Die Reichen Felder, eine Gruppe schöner, grünbewachsener Alpentriften, erreicht man am besten hinter Inner-Alpbach, wenn man in den Greiter-Graben hineinwandert, dann hinauf ins Fornkahr, den Greitergraben und Moserbaumgarten. Viele Almen sind in diesem Gebiet verstreut: Radingeralpl, Drei-Stettaurer-Alm, Farbenkahr (Farmkahr), Greit.

Hier grünt und blüht es überreich, würzige Kräuter lassen das Almvieh gedeihen, der Naturheilkundige aber findet so manches, das dem leidenden Menschen zu neuer Kraft und Gesundheit verhilft. Die fruchtbaren Hänge ziehen sich bis ganz hinauf zu den Spitzen, dem Galtenberg, Breitfeld, Tristkopf, den Reichenfelder Bergen, Bachfilzen, Wiedersbergerhorn. Und was wäre verlockender, als in diesen Höhen zu wandern, fern vom Trubel der Menschen, dem Motorenlärm und der Hast unserer Tage?