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Deutsche Erstausgabe (ePub) Mai 2015

 

Für die Originalausgabe:

© 2010 by Andrew Grey

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Love Means... Freedom«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2015 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC/iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-546-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Prestons Leben ist zu Ende: Durch einen Autounfall an den Rollstuhl gefesselt und vom Freund verlassen, will er nur noch in Ruhe gelassen werden. Als ihm sein Physiotherapeut Reiten als Therapie vorschlägt, ist er alles andere als begeistert – und lässt das sein Umfeld deutlich spüren. Doch als er Stone auf der Laughton-Farm trifft, muss er erkennen, dass es sich lohnt, für eine zweite Chance zu kämpfen...


 

Andrew Grey

 

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Aus dem Englischen
von Uta Stanek


 

 

Für meine Betaleserin Gabi,

für all ihre Hilfe und ihr Verständnis.


 

Kapitel 1

 

 

Der Truck fuhr an den Straßenrand und kam rutschend zum Stehen. »Ich kann keine Schmarotzer gebrauchen. Wenn du nich' bezahlen willst, kannste laufen!«, knurrte der Mann, während Stone eine Hand nach dem Türgriff ausstreckte. »Hättest ihn einfach lutschen sollen!«

Stone öffnete die Beifahrertür und griff nach seinem Rucksack, als ihm klar wurde, dass der Fahrer versuchen würde, sein Zeug zu stehlen. Er hatte Recht, denn kaum hatte sein Fuß den Boden berührt, setzte sich der Truck wieder in Bewegung. Mit einem Arm schlug Stone nach dem Fahrer und traf ihn seitlich am Gesicht, sodass der Truck zum zweiten Mal abrupt anhielt. Er griff nach seinem Rucksack, riss ihn mit sich und fiel aus dem Truck, als der erneut anfuhr.

»Alter Wichser«, brüllte er den Rücklichtern hinterher. »Niemand würde freiwillig deinen pilzbefallenen Schwanz lutschen!« Immerhin hatte er gewisse Ansprüche. Er schaute den schwächer werdenden Rücklichtern hinterher, während er sich aus der Schneewehe kämpfte und sich den Schnee von seinen Klamotten klopfte. »Scheiße, ist das kalt!« Er stampfte ein paar Mal mit den Füßen auf, um seine Blutzirkulation anzuregen, ehe er nach seinem Rucksack griff und ihn über die Schulter schwang. Er war nur ein paar Minuten lang in dem Truck gewesen, also hatte er keine Gelegenheit gehabt sich aufzuwärmen. Er wog seine Chancen ab, in einer Nacht wie dieser gleich zweimal das Glück zu haben, mitgenommen zu werden.

Schnee wirbelte auf, als er sich schließlich zu Fuß auf den Weg machte. Stone hatte keine Ahnung, wohin er ging, und hoffte nur, dass er ein warmes, windgeschütztes Plätzchen fand, denn mit Einbruch der Dunkelheit war es frisch geworden.

Als er hinter sich ein Auto herannahen hörte, streckte er seinen Daumen aus, doch der Fahrer fuhr einfach weiter die Straße entlang. Seine Räder spritzten eine eisige Welle aus Schneematsch hoch, die Stone noch stärker frösteln ließ. »Fuck.« Er kramte in seinem Rucksack herum, konnte seine Handschuhe jedoch nicht finden. »Verdammte Scheiße«, rief er halb schreiend den stillen Bäumen zu. Seine mit Adrenalin angeheizte Großspurigkeit zerplatzte wie eine Seifenblase. Er hatte seine Handschuhe im Truck des alten Wichsers vergessen.

Auf der Suche nach Wärme schob er seine Hände zurück in die Manteltaschen. »Vielleicht hätte ich ihm einfach einen blasen sollen.« Der Gedanke ließ ihn erschauern, während sich Tränen in seinen Augen sammelten. Er mochte vielleicht verzweifelt sein, aber bestimmt nicht so verzweifelt, noch nicht.

Er wischte sich über die Augen und ließ seinen Blick in dem schwindenden Tageslicht über die Landschaft aus Bäumen und Schnee wandern. »Vielleicht bin ich es bald.« Er zog die Schultern hoch, um sich vor dem Wind zu schützen, während er weiterging und sich einer Abzweigung näherte.

Stone entdeckte ein Schild, auf dem West Shore Community College stand, und begann, der Einfahrt zu folgen. Vielleicht könnte er sich wenigstens in einem Türeingang zusammenkauern. Alles sah verschlossen aus und niemand schien in der Nähe zu sein. Als er weiterging, bildeten die Bäume einen Windschutz und spendeten ihm wenigstens etwas Erleichterung.

Nicht weit entfernt tauchten Gebäude aus Ziegelsteinen in seinem Blickfeld auf. Er steuerte auf eines von ihnen zu und versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Stone lief um das Haus herum, doch es war abgeriegelt. Er stieß ein Seufzen aus. Er hätte es wissen müssen; wahrscheinlich waren sie noch im Weihnachtsurlaub und würden noch eine Weile weg sein. Er überlegte, ein Fenster einzuschlagen, doch bei seinem Glück war das Haus alarmgesichert. Vielleicht war es wenigstens im Gefängnis warm.

Tatsächlich hob er einen Stein auf und war gerade im Begriff, eine Scheibe anzuvisieren, als er Lichter zwischen den Bäumen hervorflackern sah. Licht bedeutete Menschen und möglicherweise ein warmes Plätzchen. Er legte den Stein zurück und steuerte auf die Lichter zu. Vielleicht hatte er ja Glück.

Stone brach durch die Bäume und der Wind fraß sich direkt durch seinen Mantel. Er schaute geradeaus und erkannte etwas, das aussah wie die Umrisse einer Scheune und eines Farmhauses. Er überquerte die Straße, stapfte durch den Schnee und erreichte die vordere Veranda. Inzwischen zitterte er bei jedem Schritt und betete, dass sie ihn in ihrer Scheune schlafen lassen würden.

Er zog seine Hand aus der Tasche und klopfte an die Fliegengittertür. Seine Hand kribbelte, als sie kurz auftaute, bevor sie wieder taub wurde und er sie zurück in seine Tasche schob.

Schwere Schritte näherten sich der Tür und Stone öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber seine Zähne klapperten nur aufeinander und er fing an zu zittern.

»Eli!«, brüllte der Mann ins Haus. »Ich brauch Hilfe!« Zu dem ersten Mann gesellte sich ein zweiter und die Tür wurde weiter aufgezogen. Stone dankte seinem Schutzengel, als er ins Warme gezogen wurde. Hinter ihm schloss sich die Tür.

Zitternd und mit geschlossenen Augen stand er auf der Fußmatte, während er sich von der Wärme umarmen ließ. Als Hände begannen, an seinem Mantel herumzufummeln, riss er sich gewaltsam frei.

»Hey, Kleiner. Niemand wird dir wehtun. Du musst nur das hier loswerden, damit du auftaust.« Stone öffnete die Augen und sah den Mann an, der ihm mit dem Mantel zu helfen versuchte. »Wie heißt du?«

»S… S… Stone«, stammelte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Stone Hillyard.«

»Ich bin Geoff und das ist Eli. Wir wollen dir nur aus dem Mantel helfen.«

Stone ließ seine Arme an den Seiten herunterhängen und fühlte, wie ihm der Mantel ausgezogen wurde, sodass die Wärme des Hauses durch sein Hemd bis auf seine Haut gelangte. Er konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.

»Zieh deine Schuhe aus und setz dich aufs Sofa«, sagte Eli sanft.

»D…D…Danke.« Irgendwie schaffte Stone es, sich die Schuhe abzustreifen, und ging barfuß zum Sofa. Er hörte ein Keuchen, dann rannte jemand ein paar Stufen hinunter. Stone kümmerte es nicht wirklich, was passierte, er wusste nur, dass er sich irgendwie wieder aufwärmen musste. Er hörte rennende Schritte, die den Treppenabsatz hinter sich ließen, dann wurde er in eine große, weiche, warme Decke eingehüllt und er begann, heftig zu zittern.

»Adelle«, hörte er Geoff in ein anderes Zimmer hineinrufen. Er zog sich die Decke bis zu den Ohren, die zu brennen anfingen, als die Empfindungen langsam in sie zurückkehrten.

»Mr. Geoff.« Er sah eine ältere, schwarze Frau den Raum betreten. »Was ist passiert?«

»Ich habe ihn vor der Tür gefunden. Würden Sie ihm etwas Heißes zu trinken bringen? Wir müssen ihn aufwärmen. Vielleicht hat er Erfrierungen; er ist auf jeden Fall nah an einer Unterkühlung dran.« Sie eilte davon.

Stone stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sein Körper zitterte und seine Füße pochten vor Schmerz, als er sie allmählich wieder fühlen konnte. Seine Hände kribbelten ebenfalls, aber wenigstens konnte er die noch spüren.

Die Frau kehrte zurück und er versuchte, ihr die mitgebrachte Tasse abzunehmen, bekam sie allerdings nicht richtig zu fassen, weswegen sie ihm beinahe aus den Händen rutschte.

»Schon okay, Darling, ich mach das.« Sie nahm die Tasse zurück und hielt sie ihm an die Lippen. »Für den Anfang nur ein paar Schlucke.«

Die Flüssigkeit brannte etwas, als er sie hinunterschluckte, aber dann fühlte er die schwache Wärme in seinem Inneren. Er versuchte, mehr zu trinken, aber sie zog die Tasse weg. »Langsam. Zu viel bringt Ihren Körper durcheinander.«

Er nickte und sie wartete ein paar Minuten, ehe sie ihm die Tasse wieder an die Lippen hielt. Dieses Mal konnte er in einem Schluck trinken und es lief ihm weich und warm in den Magen.

»Hmm.« In seinem ganzen Leben hatte heiße Schokolade noch nie so gut geschmeckt. Er trank einen weiteren Schluck und griff dann nach der Tasse, sodass die Wärme auf seine Hände überging. Das Kribbeln wurde schwächer und das Brennen in seinen Füßen ließ nach. »Danke schön.« Er nahm einen letzten Schluck und leerte die Tasse. Als die dickflüssige, warme Flüssigkeit in seinem leeren Magen ankam, begann der bei dieser Behandlung laut zu knurren und Stone schloss die Augen.

»Wann haben Sie das letzte Mal gegessen?« Die Frau wuselte um ihn herum, während noch mehr Menschen das Zimmer betraten. Fragen wurden gestellt und in geflüstertem Tonfall beantwortet. Stone zuckte die Schultern und sah zu den vier Männern hoch, die um das Sofa herumstanden. »Ihr Jungs verschwindet und ich werde mich um ihn kümmern«, schimpfte die Frau.

»Verriegeln wir alles für die Nacht. Es wird sehr kalt werden«, sagte Geoff und die Männer setzten sich in Bewegung; einer von ihnen suchte sich vorsichtig seinen Weg die Treppe hoch.

»Schon okay, Schätzchen, Sie sind jetzt in Sicherheit. Ruhen Sie sich aus und wärmen Sie sich auf. Ich bin gleich zurück.« Sie verließ den Raum, woraufhin er hören konnte, wie sie leise summend in der Küche herumfuhrwerkte. Mit einem Sandwich auf einem Teller kehrte sie zurück und Stone ertappte sich dabei, wie er eine Hälfte nahm und hineinbiss. Nachdem er heruntergeschluckt hatte, stopfte er sich den Rest auf einmal in den Mund und nahm die andere Hälfte in die Hand.

»Gütiger Gott, machen Sie langsam. Niemand wird es Ihnen wegnehmen.« Stone schaute in ihr lächelndes Gesicht hoch und versuchte, in kleineren Bissen zu essen, doch sein Magen verlangte lautstark nach mehr. Als er das Sandwich vertilgt hatte, tauchte ein zweites auf und Stone zwang die Tränen zurück, die an die Oberfläche zu quellen drohten. »Nehmen Sie, nehmen Sie, bis Sie satt sind.«

Drei Sandwiches und eine weitere große Tasse heiße Schokolade später war er endlich vollgefuttert und konnte seine Augen nicht länger offenhalten. »Danke, Ma'am.«

Sie sammelte den Teller und die Tasse ein. »Gern geschehen. Jetzt ruhen Sie sich aus, ich bin gleich hier drüben.«

Stone schloss die Augen und driftete in einen Schwebezustand ab. Musik erfüllte seinen Kopf und Erinnerungen, die er lange vergessen geglaubt hatte, kehrten in sein Bewusstsein zurück. Bilder von seiner Mutter, die mit ihm glücklich durch das Wohnzimmer tanzte, zuckten durch seine Träume.

Stone riss die Augen auf. Er musste eingenickt sein, aber die Musik war immer noch da. Er erkannte die Melodie, während er mit ruhigem, gleichmäßigem Atem lauschte. Ihm war tatsächlich warm und er war satt – beides Empfindungen, die er seit langer Zeit nicht mehr gefühlt hatte. Als er die Augen erneut schloss, fiel er in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

 

***

 

Als er das nächste Mal aufwachte, war es dunkel. Mehr als dass er es hörte oder sah, spürte er, dass da noch jemand bei ihm im Zimmer war, aber er rührte sich nicht. Auf der Suche nach einer bequemeren Position rutschte er auf dem Sofa herum und driftete erneut in den Schlaf ab. Er musste träumen. Und falls er das tat, wollte er nicht aufwachen – nie wieder. Vielleicht war er tot und das hier war der Himmel.

Als er erneut aufwachte, war jemand anderes im Raum, aber es war noch immer dunkel. Er schnaufte leise, räkelte sich und der Kokon aus Wärme um ihn herum verlagerte sich. Es wurde wieder still im Zimmer, aber jetzt war er hellwach. Er schaute sich um und entdeckte einen Mann, der auf einem Stuhl saß und mit den Fingerspitzen über die Seiten eines Buchs fuhr.

»Ich bin Robbie. Hast du Hunger?« Vorsichtig legte er das Buch auf den Tisch neben dem Stuhl, stand auf und kam auf das Sofa zu. Als er es erreicht hatte, spürte Stone eine Hand, die über sein Bein strich. »Da bist du.«

»Du bist blind.« Die Erkenntnis überraschte Stone.

»Das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, war ich es.« Robbie lachte und Stone fiel mit ein.

Es fühlte sich gut an zu lachen. Auch das hatte er seit einer Weile nicht mehr getan. »Hast du Hunger?«

Stone nickte und zog die Decke zur Seite. Seine nackten Füße berührten den kühlen Boden.

»Ich kann nicht hören, wie du den Kopf bewegst. Da scheppert nichts.« Stone sah das Lächeln auf Robbies Gesicht und wusste, dass er einen Scherz machte.

»Tut mir leid. Ja.«

»Dann komm mit in die Küche. Ich bin sicher, Adelle hat irgendetwas Warmes für dich da.« Stone beobachtete Robbie, der ihm vorausging, und war erstaunt, wie leichtfüßig er sich durch das Haus bewegte. Robbie wandte sich zu ihm um und legte die Stirn in Falten. »Bist du barfuß?«

Scham färbte Stones Wangen rot. »Ja.«

»Geh in die Küche und ich hole dir ein Paar Socken.« Stone schaute ihm nach, als Robbie sich umdrehte und die Treppe nach oben ging.

Als er aus seinem Blickfeld verschwunden war, betrat Stone die Küche und fand Adelle geschäftig an der Küchenanrichte vor, leise vor sich hin summend. »Sind Sie bei mir geblieben?«

Sie hielt inne und wandte sich um. »Ich wollte sichergehen, dass es Ihnen gut geht.« Sie deutete auf den Tisch. »Setzen Sie sich und ich bringe Ihnen ein paar Pfannkuchen.« Sie wandte sich ab und Stone lief das Wasser im Mund zusammen. Er fragte sich, was zur Hölle hier mit ihm geschah. Diese Leute kannten gerade mal seinen Namen und trotzdem waren sie so nett zu ihm. Er hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte, aber ihm war klar, dass sie irgendetwas als Wiedergutmachung haben wollen würden.

Ein Teller, auf dem sich heiße Pfannkuchen türmten, wurde vor ihm abgestellt, zusammen mit Ahornsirup und Butter. Der Geruch war beinahe zu viel für ihn und er schaute Adelle an, um sicher zu gehen, dass die alle für ihn waren. Aber da sie bereits wieder an die Arbeit gegangen war, verteilte er Sirup auf dem Turm und aß, bis er glaubte, platzen zu müssen. Dann schob er endlich den leeren Teller von sich. »Danke, Ma'am. Das war köstlich.«

»Wollen Sie noch welche?« Sie warf einen Blick auf den Teller, der aussah, als wäre er abgeleckt worden.

»Nein, danke.« Sie räumte den Teller ab und Stone stieß sich vom Tisch ab. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, fand seine Schuhe und schlüpfte hinein. Sein Rucksack stand auf einem Stuhl, über dem auch sein Mantel und sogar ein Paar Handschuhe hingen. Stone zog den Mantel an und schwang sich den Rucksack über die Schulter. Er musste diese netten Leute hinter sich lassen.

»Wolltest du gehen, ohne dich zu verabschieden?«

Stone drehte sich um und sah, wie der blinde Mann ihn anschaute, was ziemlich seltsam war.

»Es ist besser, wenn ich nicht länger im Weg bin. Ihr wollt sicher nicht, dass ich hier herumlunger. Sag allen Danke von mir.« Stone schaute sich im Zimmer um. Er wollte sich an dieses Haus erinnern. Menschen waren nicht oft so nett zu ihm, wie es diese hier gewesen waren, aber er wusste, dass sie ihn ganz bestimmt nicht in ihrer Nähe haben wollten, nicht nach allem, was passiert war.

»Warum lässt du sie die Entscheidung nicht treffen?«

Abrupt hielt Stone inne und hätte beinahe den Rucksack von seiner Schulter rutschen lassen. Beinahe. »Sie brauchen mich nicht in ihrer Nähe. Ich bring nur Unglück.« Stone hörte eine Tür krachend zufallen und dann drangen Stimmen aus der Küche und wurden stetig lauter.

»Du bist wach.« Stone schaute auf und erkannte Geoff – zumindest glaubte er, sich an diesen Namen zu erinnern –, der in der Tür zur Küche stand.

»Danke für alles. Ich lass euch jetzt in Ruhe.« Stone steuerte die Eingangstür an, öffnete sie, trat nach draußen und zog sie hinter sich ins Schloss. Die Kälte biss fast so schlimm wie gestern Nacht in seine Haut und er eilte auf die Straße zu.

»Hältst du das für eine gute Idee?« Stone blieb stehen, drehte sich um und sah Geoff auf der vorderen Veranda stehen. »Heute Morgen ist es nicht viel wärmer als gestern Nacht.«

Stone schaute sich um, während er bereits zu zittern anfing. Was zur Hölle war mit ihm los? Langsam wandte er sich um und kehrte zum Haus und der Wärme zurück. Geoff trat zur Seite und folgte ihm nach drinnen. Stone ließ seinen Rucksack neben der Tür zu Boden fallen, behielt den Mantel jedoch an und folgte Geoff in ein anderes Zimmer mit einem Schreibtisch und einer Menge seltsam aussehender Maschinen, die Papiere mit Erhebungen zu produzieren schienen.

»Würdest du mir verraten, warum du letzte Nacht allein draußen in der Kälte herumgelaufen bist?«

Stone zuckte die Schultern. Wie er alleine in der Kälte gelandet war, war das Letzte, worüber er reden wollte. Verdammt, sein ganzes Leben war etwas, das er am liebsten vergessen hätte. »Ihr seid sehr nett zu mir gewesen, aber ihr wollt mich hier nicht haben.«

»Warum lässt du mich nicht entscheiden, wen ich auf meiner Farm und bei meiner Familie haben will?« Der Ausdruck auf Geoffs Gesicht war bestimmt und Stone wand sich unter seinem Blick.

»Was soll's.« Stone ließ sich in einen Stuhl sinken und zog den Reißverschluss seines Mantels auf, doch er war für einen schnellen Abgang gewappnet, falls er weg musste. »Ich bin auf einer kleinen Farm außerhalb von Petoskey aufgewachsen. Da waren nur mein Vater und ich.« Tränen sammelten sich hinter Stones Augen, aber er blinzelte sie weg und ließ sich von seiner Wut mitreißen, mit deren Hilfe er die Traurigkeit zur Seite schob. Zu seiner Überraschung klang seine Stimme ebenso fest und er konnte fortfahren. »Ich dachte, der alte Mistkerl würde mich lieben. Nachdem meine Mutter gestorben war, gab es nur noch uns zwei.«

»Was ist passiert?« Geoffs Stimme klang so besorgt, doch Stone wusste, dass sich das ändern würde.

»Mein alter Herr hat mich rausgeworfen.« Erneut drohten die Gefühle, ihn zu übermannen, aber er schob sie weg und zog Kraft aus der Liebe, die sich in Hass verwandelt hatte. »Also schätze ich, dass er mich nie geliebt hat.« Stone begegnete Geoffs Blick und sah, wie er weich wurde, während er wartete.

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

Stone hörte einen Hauch von Mitgefühl heraus und beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. »Ich hab ihm gesagt, dass ich schwul bin.«

Stone beobachtete Geoffs Reaktion, um zu sehen, was geschehen würde. Im besten Fall, so vermutete er, würde er gebeten werden zu gehen. Im schlimmsten Fall würde er überstürzt die Flucht antreten müssen, bevor er verprügelt werden würde, so wie sein alter Herr es so viele Male getan hatte. Die blauen Flecken waren verschwunden, aber er konnte immer noch den Schmerz in seiner Schulter fühlen, wo ihm der Mann praktisch den Arm aus dem Gelenk gerissen hatte, als er ihn aus dem Haus geworfen hatte.

Geoff sagte nichts. Stone beobachtete, wie der Farmer aufstand und auf ihn zuging. Okay, es geht los. Er erwartete einen Schlag oder dass er dasselbe von ihm verlangen würde, was der Kerl im Truck von ihm verlangt hatte. Womit er nicht gerechnet hatte, war, auf die Füße gezogen und umarmt zu werden, fest und lange. Ansonsten versuchte der starke Mann nichts anderes. Er wurde nicht begrapscht, er wurde getröstet – so, wie Stone es sich von seinem eigenen Vater gewünscht hätte.

»Niemand hier wird dir wehtun.«

Die Worte erreichten Stones Ohren. Er hob die Arme, legte sie um den anderen Mann und erwiderte die Umarmung. Das hier war der erste Trost, den ihm jemand schenkte, seit er rausgeworfen worden war.

Der Griff um ihn lockerte sich und als Geoff zurücktrat, gaben Stones Beine praktisch unter ihm nach, sodass er zurück auf den weichen Stuhl fiel.

»Wie lange bist du schon allein unterwegs?«

»Ungefähr drei Monate. Eine Zeit lang konnte ich für einen Freund arbeiten und Weihnachtsbäume fällen. Aber der Job ging zu Ende und ich bin nach Süden gegangen, weil ich irgendwo hinwollte, wo es warm ist. Das Geld wurde knapp und ich hab versucht zu trampen.«

»Du hast gesagt, du bist auf einer Farm aufgewachsen?«

»Ja.« Allmählich wurde Stone misstrauisch. »Wir hatten eine Schweinezucht.« Stone erschauerte. Er wollte nie wieder irgendetwas mit Schweinen zu tun haben.

»Und du willst arbeiten?«

»Bietest du mir einen Job an? Zu dieser Jahreszeit?« Winter war die Zeit im Jahr, zu der die meisten Farmen dazu tendierten, Winterschlaf zu halten, und deshalb weniger Hilfe brauchten – nicht mehr. »Ich will keine Almosen.«

»Ich biete keine Almosen, sondern harte Arbeit. Ich brauche jemanden, der die Scheune in Schuss hält. Der Typ, der sich vorher darum gekümmert hat, ist zurück zur Schule und seitdem erledigen wir das. Ich habe zwanzig Stallboxen und eine Sattelkammer, die sauber und in Ordnung gehalten werden müssen. Hast du schon mal mit Pferden gearbeitet?«

Stone nickte und konnte sein Glück kaum fassen. Anstatt dass man ihn verprügelte, wurde ihm ein Job angeboten. »Ich hab reiten gelernt, da war ich noch ein Kind.« Er hatte sein Pferd zurücklassen müssen, als sein Vater ihn rausgeworfen hatte, und ihm tat es in der Seele weh, dass er Buster nicht hatte mit sich nehmen können. »Hatte ein eigenes Pferd.« Verdammt, er fing an, sich wie ein Mädchen zu verhalten, wenn er weiter so schniefte.

»Gut. Mein Partner Eli gibt Reitunterricht und falls es passt, kannst du ihm vielleicht helfen.«

Stone konnte seinen Ohren kaum trauen. »Dein Partner?« Geoff nickte. Einen Augenblick lang dachte Stone nach. »War er letzte Nacht mit dir an der Tür?« Wieder nickte Geoff und lächelte. »Und wer ist dann der blinde Kerl?« Als Geoff ihn finster ansah, fiel ihm seine ungehobelte Wortwahl auf. »Ich meine Robbie. Ist er dein Bruder?«

Geoff hob eine Hand. »Wenn wir hier fertig sind, stelle ich dich den anderen vor, aber zuerst muss ich ein paar Dinge wissen.« Jetzt war es an Stone, langsam zu nicken. »Wie alt bist du?«

Stones erste Eingebung war zu lügen, aber er tat es nicht. »Neunzehn.«

Tief in seiner Kehle stieß Geoff ein Knurren aus und Stone fragte sich, wofür das war und was er falsch gemacht hatte. Sofort kaute er besorgt auf seiner Unterlippe herum. Gerade, als die Dinge sich zum Besseren wenden wollten…

»Hast du einen Ausweis dabei und solche Sachen?«

»Ja, Sir.« Er kramte in seiner Manteltasche nach seinem abgewetzten Portemonnaie.

Erneut stand Geoff auf und streckte ihm seine Hand entgegen. »Dann hast du den Job, wenn du ihn willst.«

Stone konnte es kaum glauben. Letzte Nacht wäre er fast erfroren und heute wurde ihm ein Job auf einer Farm angeboten, die von einem schwulen Paar geführt wurde. Zögerlich streckte er ebenfalls eine Hand aus und sie schlugen ein. »Das wirst du nicht bereuen.«

Geoff ließ seine Hand los und öffnete die Tür des Arbeitszimmers. »Eli«, sagte Geoff und ein Mann stand vom Sofa auf. »Das ist Stone und er wird in der Scheune arbeiten. Er hat Erfahrung im Umgang mit Pferden.« Stones Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, aber er entspannte sich, als er Elis erfreuten Gesichtsausdruck sah. »Ich glaube, Robbie kennst du ja schon. Er ist mein fähiger Assistent und unser Hausmusiker.«

»Das warst du letzte Nacht? Ich dachte, ich hab geträumt. Das klang so schön.«

Robbie strahlte ihn an. »Danke schön.« Stone beobachtete, wie Robbie zu lauschen schien, ehe er sich an Geoff wandte. »Kann ich anfangen?«

»Sicher. Ich habe ausgedruckt, was du brauchst, und es liegt auf dem Prägestempel.« Lächelnd betrat Robbie mit der ihm eigenen vorsichtigen Art das Arbeitszimmer und schloss die Tür.

»Ist er« – Stones Stimme senkte sich zu einem Flüstern – »auch schwul?«

Geoff lächelte. »Ja. Sein Partner Joey ist draußen bei der Arbeit, wo wir eigentlich auch sein sollten.« Geoff schaute auf Stones Füße. »Du brauchst ein Paar wärmere Stiefel und dickere Kleidung.«

»Ich suche ihm welche raus«, sagte Eli, bevor er nach oben ging.

»Ich muss Robbie helfen. Eli ist gleich wieder zurück, dann nehmen wir dich mit raus und du kannst die anderen kennenlernen und loslegen.« Geoff öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und ließ Stone allein im Wohnzimmer zurück.

Er schaute aus dem Fenster, weil er keine Ahnung hatte, was er sonst hätte tun sollen. Inzwischen schneite es nicht mehr und der Tag war hell und klar. Er konnte sein Glück kaum fassen. Inmitten eines Schneesturms war er auf einer Farm gelandet, die von homosexuellen Leuten geführt wurde. Sie hatten ihn nicht nur davor bewahrt zu erfrieren, nein, zusätzlich boten sie ihm auch noch einen Job an. Vielleicht – nur ganz vielleicht – wendete sich sein Schicksal.

Schritte auf der Treppe rissen ihn aus seinen Gedanken.