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Eve Ensler

DIE VAGINA-MONOLOGE

Mit einem Nachwort von
Gloria Steinem

Aus dem amerikanischen Englisch von
Peter Staatsmann und Bettina Schültke

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Editorische Notiz: Eve Ensler ist Dramatikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Die Vagina-Monologe waren ein Hit am Off-Broadway und gewannen 1997 den Obie Award. Eve Ensler ging mit ihnen auf Tournee in den USA, nach Jerusalem, London und Zagreb. lhre Artikel erscheinen in den Zeitschriften Common Boundary, Ms. und Utne Reader. Eve Ensler lebt in NewYork.

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For Ariel, who rocks my vagina
and explodes my heart

Inhalt

Einleitung

Haare

Wenn deine Vagina sich anziehen würde, was würde sie tragen?

Wenn deine Vagina sprechen könnte, was würde sie sagen – in drei Worten?

Die überschwemmung

Vagina-Tatsachen

Ich war zwölf. Meine Mutter gab mir einen Klaps.

Der Vagina-Workshop

Meine Vagina war mein Dorf

Vagina-Tatsachen

Vagina-Tatsachen

Die kleine Tschurimuri, die’s draufhatte

Wie riecht eine Vagina?

Votze fordern

Ich fragte ein sechsjähriges Mädchen

Die Frau, die Vaginas glücklich machen wollte

Ich bin mit dabei gewesen

Nachwort von Gloria Steinem

Danksagung

Einleitung

Vagina. Jetzt habe ich es ausgesprochen. Und nochmal. Ich habe in den letzten drei Jahren dieses Wort immer wieder ausgesprochen. Ich habe es in Theatern, in Universitäten, in Wohnzimmern, in Cafés, bei Partys und im Rundfunk ausgesprochen. Ich würde es auch im Fernsehen aussprechen, wenn es jemanden gäbe, der es zuließe. Hundertachtundzwanzig Mal spreche ich es jeden Abend aus, wenn ich Die Vagina-Monologe aufführe, denen Interviews mit über zweihundert ganz unterschiedlichen Frauen über ihre Vagina zugrunde liegen. Ich spreche es im Schlaf aus. Ich spreche es aus, weil es sich nicht gehört es auszusprechen. Ich spreche es aus, weil es ein unsichtbares Wort ist, ein Wort, das Angst, Verlegenheit, Verachtung und Ekel hervorruft.

Ich spreche es aus, weil ich glaube, dass wir das, was wir nicht aussprechen, auch nicht sehen, kennen oder erinnern. Was wir nicht aussprechen, wird ein Geheimnis, und Geheimnisse erzeugen oft Scham, Furcht und Legenden. Ich spreche es aus, weil ich mich eines Tages nicht mehr beschämt und schuldig, sondern gut fühlen will, wenn ich es ausspreche. Ich spreche es aus, weil wir noch kein Wort erfunden haben, das umfassender wäre, das wirklich die gesamte Körperregion mit all ihren Teilen beschreibt. »Pussy« ist vielleicht ein besseres Wort, aber es führt zu viel Ballast mit sich. Auch glaube ich nicht, dass die meisten von uns eine klare Vorstellung davon haben, über was wir eigentlich sprechen, wenn wir »Pussy« sagen. »Vulva« ist ein gutes Wort, es ist genauer, aber ich denke, dass die meisten sich nicht im Klaren sind, was Vulva genau bedeutet.

Ich spreche »Vagina« aus, denn seit ich begonnen habe es auszusprechen, habe ich entdeckt, wie zerrissen ich war, wie sehr mein Körper von meinem Geist getrennt war. Meine Vagina war etwas, das da unten war, weit weg. Ich kam kaum in ihre Nähe, hatte keinen Kontakt. Ich war damit beschäftigt zu arbeiten, zu schreiben, Mutter zu sein, Freundin zu sein. Ich betrachtete meine Vagina nicht als meine elementare Triebkraft, als Ort der Lebensenergie, des Humors und der Kreativität. Sie war ein belasteter, mit Angst besetzter Ort. Als kleines Mädchen bin ich vergewaltigt worden, und obwohl ich erwachsen wurde und all die erwachsenen Dinge machte, die Frauen mit ihrer Vagina machen, bin ich, nachdem mir Gewalt angetan worden war, in diesen Teil meines Körpers nie wieder wirklich zurückgekehrt. Ich habe den größten Teil meines Lebens im Wesentlichen ohne meinen Motor, mein Zentrum, mein zweites Herz gelebt.

Ich spreche »Vagina« aus, weil ich möchte, dass die Leute antworten, und sie haben es auch getan. Wo immer Die Vagina-Monologe auch hingekommen sind, wurde versucht, das Wort zu zensieren, in allen Medien: in den Anzeigen der großen Zeitungen, auf Eintrittskarten, auf Fahnen, die vor dem Theater hingen, in den telefonischen Ansagen, wenn die Stimme nur »Monologe« ankündigte oder »V-Monologe«.

»Warum ist das so?«, habe ich gefragt. »Vagina ist kein pornografisches Wort; es ist genau genommen ein anatomischer Begriff, ein Ausdruck für einen Teil des Körpers wie Ellbogen, Hand oder Rippe.«

»Es ist vielleicht nicht pornografisch«, sagen die Leute, »aber es ist schmutzig. Was ist, wenn unsere kleinen Töchter es hören, was sollen wir ihnen sagen?«

»Vielleicht sollte man ihnen sagen, dass sie eine Vagina haben«, antworte ich. »Sofern sie es nicht schon wissen. Das könnte ein Anlass zum Feiern sein.«

»Aber wir nennen die Vagina nicht Vagina«, sagen sie.

»Wie nennt ihr sie denn?«, frage ich.

Und sie sagen: »Pimpa«, »Pitschka«, »Biesi«, »Bibsi« … eine ewig lange Liste.

Ich spreche »Vagina« aus, weil ich die Statistiken gelesen habe und weil mit den Vaginas der Frauen überall schreckliche Dinge passieren: 500.000 Frauen werden jedes Jahr in den USA vergewaltigt, 100 Milllonen Frauen wurden weltweit genital verstümmelt, und diese Liste ist noch lange nicht zu Ende. Ich spreche »Vagina« aus, weil ich will, dass diese schrecklichen Dinge aufhören. Ich weiß, sie werden nicht aufhören, bevor wir nicht begreifen, dass sie immer weitergehen, und der einzige Weg, sie zu stoppen, besteht darin, die Frauen in die Lage zu versetzen, ohne Angst vor Strafe und Vergeltung zu sprechen.

Es macht Angst, das Wort auszusprechen: »Vagina.« Am Anfang kommt es dir vor, als würdest du eine unsichtbare Wand durchbrechen. »Vagina.« Du kommst dir schuldig und komisch vor, als wenn dich gleich jemand schlagen würde. Später, nachdem du das Wort zum hundertsten oder tausendsten Mal ausgesprochen hast, wird dir klar, dass es DEIN Wort ist, DEIN Körper, DEIN wichtigster Ort. Du begreifst plötzlich, dass all die Scham und die Verlegenheit, die du früher empfunden hast, wenn du das Wort aussprachst, eine Form war, dein Begehren ruhigzustellen, deine Wünsche niederzuwalzen. Dann sprichst du das Wort immer wieder aus. Du sprichst es mit einer Art Leidenschaft, einer Art Dringlichkeit aus, denn du spürst, wenn du aufhören würdest es auszusprechen, dann würde dich die Angst wieder überwältigen und du würdest in dieses verlogene Flüstern zurückfallen. Deshalb sprichst du es überall aus, wo immer es geht, bringst es in jedem Gespräch an.

Du bist begeistert von deiner Vagina. Du willst sie kennenlernen und erforschen und dich mit ihr bekannt machen, herausfinden, wie du auf sie hören kannst, und dafür sorgen, dass sie Vergnügen hat, um sie gesund, weise und stark zu erhalten. Du lernst, dich selbst zu befriedigen, und bringst deinem Liebhaber bei, dich zu befriedigen.

Den ganzen Tag bist du dir deiner Vagina bewusst, wo immer du bist – in deinem Auto, im Supermarkt, im Sportstudio, im Büro. Du bist dir des kostbaren, großartigen und lebensspendenden Teils von dir zwischen deinen Beinen bewusst, und das lässt dich lächeln und es macht dich stolz.

Und wenn immer mehr Frauen das Wort aussprechen, wird es immer weniger eine große Sache sein, es wird ein Teil unserer Sprache, Teil unseres Lebens. Unsere Vagina wird integriert, respektiert und geheiligt. Sie wird Teil unseres Körpers, verbunden mit unserem Geist, sie belebt und versorgt unsere Lebensgeister. Die Scham verschwindet, die Gewalt hört auf, weil Vaginas sichtbar und real geworden sind und sie mächtigen, weisen, über Vaginas sprechenden Frauen gehören.

Wir haben eine ungeheure Reise vor uns.

Das ist der Anfang. Hier ist der Ort, um über unsere Vaginas nachzudenken, um etwas über die Vaginas anderer Frauen zu lernen, um Geschichten und Interviews zu hören, um Fragen zu beantworten und sie zu stellen. Hier ist der Ort, die Legenden, die Scham und die Angst zu verjagen. Hier ist der Ort, um das Wort laut auszusprechen, denn wir wissen, es ist das Wort, das uns weiterbringt und uns frei macht. »VAGINA.«

Dieses Stück ist entstanden, weil ich anfing, mir über die Vagina Sorgen zu machen. Bei mir fangen die meisten Dinge so an – etwas macht mir Sorgen.

Ich machte mir Sorgen darüber, was wir über Vaginas denken, aber noch mehr beunruhigte mich, dass wir nicht über sie nachdenken. Auch um meine eigene Vagina machte ich mir Sorgen. Sie bräuchte die Gesellschaft anderer Vaginas, eine Gemeinschaft, eine Kultur von Vaginas. Sie sind von so viel Dunkelheit und Heimlichtuerei umgeben – wie das Bermudadreieck. Auch von da taucht keiner wieder auf.