Book cover

THOMAS FRÖHLING

OSTFRIESLAND

GEEST, GEZEITEN, GUMMISTIEFEL

Koehlers Verlagsgesellschaft

Hamburg

Bildnachweis

Inhalt: ©Thomas Fröhling, soweit nicht anders angegeben.

Umschlag: ©Thomas Fröhling

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7822-1098-0

E-ISBN 978-3-7822-1146-8

Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg

© 2014 by Maximilian Verlag, Hamburg

Ein Unternehmen der Tamm Media

Alle Rechte vorbehalten.

Redaktionelle Mitarbeit: Sarah Stammen

Produktion: Nicole Laka

INHALT

Ostfriesland einzigartig

Ostfriesland Als alles begann

Überblick Mehr als nur plattes Land

Das Wattenmeer einzigartig

Tee Das Getränk der Ostfriesen

Krummhörn

Grünkohl Leibgericht der Ostfriesen

Vorsicht, wenn das Wasser kommt

Ostfriesen-Sport

Ostfriesische Inseln

Piraten auf See Es war einmal

Seehafenstadt Emden Die Hauptstadt Ostfrieslands

Geschichte Ostfrieslands

Sitten & Gebräuche

Aurich & Landkreis Aurich

Stadt Leer & Landkreis Leer

Norden & Landkreis Norden

Wittmund & Jever Zwischen Friesland und Ostfriesland

Seehund-Aufzuchtstation Raubtiere mit Kulleraugen

Küste & Siele Urlaub am Wasser – wunderschön

Fischer auf See Mit den Krabbenfischern unterwegs

Plattdeutsch für Landratten

Persönlichkeiten aus Ostfriesland

Feste & Events

Ostfriesland im Netz Nützliches und Buchungen

OSTFRIESLAND

einzigartig

Abschied oder Romantik in den Häfen entlang der Küste: Wasser hat stets eine anziehende Wirkung.

Die Nordseeküste hat ihre Reize: kilometerlange Sandstrände, romantische Buchten, Dünenlandschaften und Inseln. Was will man mehr? Das Wetter als unberechenbarer Risikofaktor sollte außen vor bleiben. Denn auch bei nicht so gutem Wetter entfalten unsere Küsten ihren ganz persönlichen Charme.

Stellen Sie sich einen Spaziergang am Strand vor, schön mummelig eingepackt, das Meer braust an den Strand oder die tosenden Wellen klatschen gegen die Küste. Ein Erlebnis, das Sie nicht vergessen werden. Hinterher ein Glas Glühwein oder Tee wärmt ungemein.

SEELE BAUMELN LASSEN

Zum Abschalten, Erholen und Genießen stehen die Strände an der Nordsee in nichts den klassischen Urlaubszielen im Ausland nach. Die einen lassen auf die Ostfriesischen Inseln nichts kommen, andere schwören auf die Promenaden der mondänen Badeorte auf den Inseln. Für jeden sollte etwas dabei sein.

Die Nordsee mit dem »Blanken Hans« – dem Sturm, und dem Sechs-Stunden-Takt der Gezeiten, oder die endlosen Felder und Wiesen. Der weite Blick über das Land. Dazu die salzhaltige Luft und immer einen kühlen Windhauch um die Nase. Das ist Ostfriesland. Das Land so rau wie seine Bewohner. Hinzu kommt überall gelebte Geschichte aus der Zeit der Familienfehde, des Widerstands gegen die Obrigkeit oder die Hanse. Mit Piraten machte man gemeinsame Sache, doch stets stand der Ostfriese erdverwachsen seinen Mann, wenn es gegen Ungerechtigkeit oder Sanktionen ging.

NORDSEE – RAU UND SCHÖN ZUGLEICH

Ebbe und Flut haben ihren Reiz. Wattwanderer wissen die ursprüngliche Natur zu schätzen, erkunden mit erfahrenen Führern die einzigartige Landschaft, wenn sich das Wasser für sechs Stunden aus dem Staub macht. Die salzhaltige Luft, das raue und gesunde Klima machen den Kopf frei. Der Blick über das weite Meer lädt die Sinne zum Verweilen ein, das Gemüt lässt sich von der Ruhe gefangen nehmen.

Von der holländischen Küste bis rauf nach Dänemark liegen die ost- und nordfriesischen Inseln: Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge sowie Helgoland als Hochseeinsel, 40 Kilometer von der Küste entfernt.

Das Denkmal des »Alten Fritz« bei Emden

FAMILIENURLAUB AN DER NORDSEE

Die Nordsee ist ruppig und schön zugleich. Ideal geeignet für den Wassersport wie Surfen, Segeln und neuerdings das Kitesurfen. Besonders für Kinder ist die milde Brandung optimal, der Salzgehalt des Wassers ist mit der Zeit vergessen. Von Emden bis nach Hooksiel hat dieser Landstrich eine ganz besondere Faszination.

Ostfriesland besticht durch seine vielen Binnenseen, die Meere und Kanäle. Zahlreiche Baggerseen laden zum Erholen ein. Und wenn der Strand nicht dort ist, wo man ihn gerne hätte, dann baut man ihn hinter den Deich. So wie in Upleward in der Krummhörn. In dem kleinen Ort befindet sich das Strandfeeling am Deichfuß – Ostfriesen sind erfinderisch. Dazwischen kleine und flach gebaute Küstenorte, die malerisch und urtypisch daherkommen. Keine Hotelburgen, sondern familiär angehauchte Orte mit heimischem und gemütlichem Flair. Charakteristisch sind die Friesenhäuser und die großen Bauernhöfe, in denen man wunderschön Familienurlaub verbringen kann. Die urigen Dörfer wie Pilsum, Uttum oder Pewsum leben die ostfriesische Tradition, von der der Urlauber sofort gefangen wird. Und so wortkarg und verstockt, wie es den Ostfriesen oft nachgesagt wird, sind die Menschen hier gar nicht. Wer erst mal ihr Herz geöffnet hat, wird dort auch immer seinen Platz finden. Man muss sie mögen und verstehen.

Ein Abstecher auf die Ostfriesischen Inseln lohnt sich immer. Direkt vor der Haustür und mit der Fähre schnell erreichbar bieten die sieben Schönheiten für jeden Geschmack etwas: Ruhe und Weite auf Juist, Wangerooge oder Spiekeroog, das pralle Leben auf Norderney oder Borkum. Für Kinder ist ein Inselurlaub die Erfüllung – egal ob im mondänen Strandhotel oder mit dem Zelt in den Dünen.

OSTFRIESLAND

Als alles begann ...

»Moin« – damit fängt alles an und hört alles auf. Ostfriesen grüßen zu jeder Tageszeit in dieser Form. Der kurze Gruß ist fast das Einzige, was an der Küste nicht von Ebbe und Flut und somit vom Mond abhängt. »Moin« ist keine genuschelte Abkürzung für »Guten Morgen«, sondern bedeutet »moi« – oder hochdeutsch »schön«. Das trifft auch auf das Land zu. Schön ist es hier.

Die Krummhörn ist der nordwestlichste Teil Ostfrieslands zwischen Emden und Greetsiel. Das »krumme Kap«, eine bogenförmige Küstenlinie mit allerhand Sehenswürdigkeiten. Kenner dieser Gegend schwärmen poetisch von der Schönheit und der beruhigenden Melancholie der Stille. Dort, wo Mühlen reden und sich Bäume verbeugen. Wo das Meer kommt und geht, und die Bauern einmal Fürsten waren.

WILDES, REICHES OSTFRIESLAND

Mit eiserner Hand regierten die »Cirksenas« und die »tom Brook«, etwa zur gleichen Zeit, als Seeräuber Klaus Störtebeker von Marienhafe aus sein Unwesen trieb. Reiche Bauern mit großen Gulfhöfen bildeten das Zentrum der damaligen Lebenskultur. Es war Ostfrieslands wildeste Zeit. Machthungrige Häuptlingsfamilien lieferten sich blutige Fehden, Seeräuber machten an der Küste Jagd auf jedes Schiff – und mit den Häuptlingen oftmals gemeinsame Sache. Jedenfalls bis 1744, als der letzte der Cirksena-Sippe starb und Friedrich der Große die Geschicke in die Hand nahm.

In Greetsiel zeugen alte Giebelhäuser vom ehemaligen Reichtum des Fischer dorfes. Die Kutterflotte ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Einstige Fischer verdienen ihr Geld nun mit Touristenfahrten. In den Netzen ist alles, immer weniger aber die kleinen Garnelen, die hier Granat heißen und nicht nur in Ostfriesland eine Delikatesse sind.

Eine der kleinsten Fähren an der Küste, die von Petkum (bei Emden) nach Jemgum (Rheiderland) quer über die Ems fährt.

KUTTERFRISCH AUS MAROKKO

Das Geschäft mit den Krabben ist fest in holländischer Hand. Sie kaufen die Fänge auf, gondeln sie zum Pulen nach Marokko, mit dem Lkw tagelang wieder zurück, um sie dann als »kutterfrisch« am Hafen zu verkaufen. Dieser Wahnsinn stammt ausnahmsweise nicht von den Ostfriesen. Das urige Volk malt aber Leuchttürme rot-gelb an, um den gebürtigen Emder Komiker Otto Waalkes in seinen Filmen dort wohnen zu lassen. Noch heute klopfen Menschen an den Turm in der Hoffnung, Otto schaue durch den Türspalt. Der aber wohnt schon lange in Hamburg und kümmert sich um seine Scheidungen. Stattdessen geben sich Trauwillige im Leuchtturm das Jawort. Oder bauen einen Badestrand hinter den Deich. Kein Ostfriesenwitz: In Upleward, einem der 18 Dörfer in der Krummhörn, haben die Touristiker den Strand hinter den Deich gebaut – mit Strandkörben, Klettergerüst und Imbissbude. Die Erklärung ist so einfach wie sinnvoll: Sand, den man bei Ebbe aufschüttet, ist spätestens nach der dritten Flut vom Meer weggetragen. Was dann bleibt, ist tiefgrauer Schlick, der zwar zum Wattwandern einlädt, aber eben nicht zum Baden – was sich auch schwierig gestaltet, wenn das Wasser bei Ebbe gar nicht da ist.

Von Emden aus hat man einen tollen Blick auf das rheiderländische Jemgum – gegenüber der Seehafenstadt.

Einst Zufluchtsort für Seeräuber Störtebeker: der Kirchturm von Marienhafe

Außerdem hat der Deich immer noch die Funktion des Küstenschutzes. Ebbe und Flut wechseln sich zweimal am Tag ab, die Flut trifft zunehmend stärker an den Deich. Stürme und Orkane kratzen gefährlich an ihren Kronen. Eine Entwicklung des Klimawandels. Seit Jahren werden die Deiche erhöht, damit sich die Nordsee ihr Land nicht wiederholt. Genauso, wie es die Ostfriesen vor Hunderten Jahren betrieben haben, als sie Deiche bauten um das Land an der Nordsee.

Die Mühle in Marienhafe. Vom Störtebeker-Turm hat man diesen grandiosen Blick über Ostfriesland.

WER HAT ANGST VORM »BLANKEN HANS«?

Als es Deiche noch nicht gab, lief bei Sturmflut das Ackerland über, holte das Vieh von den Weiden und vernichtete die Ernte. Schutz fanden Menschen und Tiere auf den Warfen – künstliche Hügel, in deren Mitte immer die Kirche steht. Man sagt den Ostfriesen eine gewisse Gottesfurcht nach – im Sturm liegt ihre Begründung. Die Gebete sollten den »Blanken Hans« besänftigen.

KRUMMHÖRN, DAS KRUMME KAP

Die Krummhörn, 1972 aus 19 selbstständigen Ortschaften entstanden, gehört zum Landkreis Aurich. Die Seehafenstadt Emden ist zwar nur einen Steinwurf entfernt, doch die Abneigung gegen die »Pottjekacker« aus der »Großstadt« spielt sicher auch nach Hunderten von Jahren eine gewichtige Rolle. Die knapp 12.000 Menschen wohnen in so urbanen wie wohlklingenden Dörfern namens Rysum, Loquard, Woltzeten, Pilsum oder Uttum. Jeder Ort ein Unikat mit langer Geschichte, engen Gassen, urtypischen Häusern und Menschen. Drumherum plattes Acker- und Weideland – soweit das Auge reicht. Mythos oder Ostfriesenwitz: Man könne dienstags schon sehen, wer sonntags zum Tee kommt.

In dem kleinen Ort Freepsum (370 Einwohner) befindet sich der tiefste Punkt der Republik mit 2,3 Metern unter dem Meeresspiegel. Deichbau hat immer Konjunktur.

Nur noch wenige Kutter gehen auf Fangreise. Der Ort Greetsiel war einst Standort der größen Kutterflotte.

ALLES ZIEMLICH PLATT

Alles in Ostfriesland ist platt – selbst die Sprache. Für den Außenstehenden ein Wortgemisch wie aus einer anderen Welt – etwa so, als wenn ein Bayer auf einen Sachsen trifft. Wenn der Ostfriese sich Mühe gibt, kann er sich auf Hochdeutsch verständigen. Aber warum sollte er das tun? Man sagt ihm eine gewisse Maulfaulheit und Verschwiegenheit nach. Es werden keine großen Worte gemacht. An der See spricht man nicht viel, das macht der Wind. Die Einsilbigkeit begründet sich in der Abgeschiedenheit und Einsamkeit des Landstrichs.

Wo das Land flach ist, müssen Kirchtürme nicht hoch sein. Die Kirchen als feste Burgen, für Gott und gegen Feinde gebaut, deren ärgster immer das Meer war. Die Kreuzkirche in Pilsum mit dem markanten Vieringsturm stammt aus dem 15. Jahrhundert, ihre Grotian-Orgel aus dem Jahr 1694. In der Rysumer Kirche steht eine der ältesten bespielbaren Orgeln der Welt, die auf das Jahr 1457 zurückgeht.

Genauso wie es immer weniger Fischer gibt, haben auch viele Landwirte Mähdrescher und Traktoren gegen Schraubenschlüssel und Hammer im Emder Volkswagenwerk eingetauscht – dem größten Arbeitgeber in der Region mit knapp 8.000 Beschäftigten.

EIN PERFEKTES REISEZIEL

Was bleibt ist der Tourismus – und da haben die Ostfriesen mit Greetsiel und Pewsum zwei Asse im Ärmel. Die Orte ziehen die Gäste an wie die Torte Bienen auf einem Sonntagsnachmittags-Kaffeetisch.

Mühlen sind das zentrale Bild in Ostfriesland. Viele blieben erhalten und können besichtigt werden.

In Pewsum trifft man auf Menschen, die in der Krummhörn das Sagen haben. Eigentlich sind es die Genossen der SPD, die den »Krummen Bogen« fest in ihrer Hand haben. Man muss schon sehr weit zurückschauen, um eine Opposition zu finden, die den Sozis hätte gefährlich werden können.

Im Rat der Krummhörn geht es nicht anders zu als in vergleichbaren Gremien: Hohe Arbeitslosenzahlen und Finanznöte drücken die Stimmung. Immer wieder geht es in langen Sitzungen darum, ob in Greetsiel ein neues Touristen-Zentrum gebaut werden soll. Bei »Greetland« teilen sich Meinungen und scheiden sich die Geister. Zwar ist man über jeden Gast froh, doch noch mehr Ferienhaus-Siedlungen, die im Sommer bunt, aber im Winter wie ausgestorbene Geisterstädte wirken, will man nicht. Parteiaustritte, Tumulte in den Sitzungen und zwei Lager, die gespaltener nicht sein können, machten dem Projekt schließlich den Garaus. Der Investor zog von dannen und weiß spätestens jetzt, dass Ostfriesland uneinnehmbar ist. Das war seit jeher so und wird wohl auch so bleiben. Volkes Stimme hatte gesprochen.

RUHE IN GREETSIEL

Seitdem ist in Greetsiel wieder Ruhe eingekehrt. Am Hafen treffen sich allabendlich die Dorfältesten und sinnieren über alte Zeiten und darüber, dass mit dem Fischfang nichts mehr los ist. In ihren von Wind und Wetter gegerbten Gesichtern haben sich Furchen und Krater eingebrannt, tief und unergründlich. Ihr Blick schweift aufs Meer hinaus, weil sie wissen, dass dort irgendwo die Antwort auf alles liegt. Staunend schauen Touristen diesem Treiben zu. Sie gehen an den »Alten« vorbei, als seien diese Statuen in einem Museumskorridor. Sie können nicht verstehen, wie Ostfriesen ticken. Das können nur Menschen, die hier leben. Aber man kann es versuchen. Es dauert nur verdammt lange. Aber die Ostfriesen haben Zeit. Viel Zeit.

Heute prägen Windmühlen zur Stromgewinnung das Bild in Ostfriesland.

Romantik an der Ems: die Fähre von Jemgum nach Petkum