Cover

Armin
und die Piraten der Schatteninsel

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Umschlaggestaltung und Illustration: Roberto Bonuel
Geschichte: Julie Sander

Copyright: My-Kinderbuch.de

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In dieser Reihe sind weitere Kinderbücher erschienen.

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Inhaltsverzeichnis

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1. Mehr Wasser als gedacht

2. Legenden und Walkiefer

3. Spannender Fund

4. Von Hirngespinsten und zu vielen Flöhen

5. Düstere Nacht

6. Rabiata und Fiderato

7. Volle Fahrt voraus

8. Der Spion aus Nebel

9. Ertappt!

10. Lump Sauerlinse, du alter Gefährte!

11. Gold in Hülle und Fülle

Kapitel 1
Mehr Wasser als gedacht

Seine Ferien auf der Nordseeinsel Föhr hatte Armin sich anders vorgestellt. Jetzt saß er schon seit drei Tagen in dem kleinen Zimmer der Pension in Nieblum und starrte aus dem Fenster. Alles, was er sah, waren die unendlichen Weiten des Strandes und des Meeres. Und Regen. Mal in dicken Bindfäden an der Scheibe entlang rinnend, mal rund wie Hagelkörner gegen die Scheibe prasselnd. Heute sprühte der Regen fein wie aus einer Spraydose gegen das Glas.

Na toll. Das Meer in der Ferne sah matschgrau aus. Dabei hatte Armin sich so sehr auf blaues Wasser und weißen Sand gefreut.

„Morgen wird das Wetter besser!“, versprach seine Mutter, als sie sah, wie betrübt Armin nach draußen schaute.

„Und woher weißt du das?“

„Im Wetterbericht heißt es, dass die Wolken Richtung Süden ziehen“, sagte sein Vater und raschelte mit der Zeitung. „Im Erdgeschoss gibt es eine kleine Bibliothek. Vielleicht findest du da ja etwas Spannendes“, empfahl er und lächelte Armin aufmunternd zu. „Als ich in deinem Alter war, nee, ich war ein Jahr älter…, damals habe ich mal einen ganzen Sommer im Bett verbracht und gelesen. Draußen hat es geschüttet wie aus Eimern. Aber in den Büchern erlebte ich den tollsten Sommer meines Lebens. Ein Abenteuer jagte das andere, und …“

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„Das sind ja tolle Aussichten“, unterbrach Armin maulend den Redeschwall seines Vaters, stapfte aber trotzdem die Treppe zur Bibliothek hinunter. Lesen ist immer noch besser als Regentropfen zählen.

Wahrscheinlich würde er nur alte Liebesromane vorfinden, die irgendwelche Omas liegengelassen hatten, vermutete Armin, als er vor dem verstaubten Regal stand.

Die Buchrücken mit den rosa Rosen ließen ihn ebenso kalt wie die Bücher, die dick wie Holzscheite waren.

„Hier gibt es noch nicht einmal Krimis“, murrte jemand auf der anderen Seite des Regals.

Ein Junge in Armins Alter lugte hinter den Büchern hervor und grinste Armin an. „Oder ist das vielleicht ein Thriller: ‚Lady Rose bittet zum Tee’?“, sagte er, verdrehte die Augen und hielt Armin eines der rosa Blümchenbücher unter die Nase. „Die haben auch noch ‚Zum Tanz unterm Maibaum!’

„Igitt.“ Armin nahm das Buch mit spitzen Fingern und schob es angewidert ins Regal zurück.

„Vergiss es!“, sagte er.

„Bist du schon länger hier?“, fragte Armin.

„Nee, wir sind gestern erst angekommen. Aber ich habe schon gehört, dass es hier ja ein Museum mit toten Walen geben soll. Warst du da schon?“

Armin schüttelte den Kopf. „Weißt du überhaupt, wie groß ein ausgewachsener Wal ist? Der passt nie im Leben in ein Museum. Zumindest nicht in ein Museum auf so einer kleinen Insel. Die Häuser hier sind winzig.“

„Wir können es uns ja mal ansehen, wenn du mir nicht glaubst!“

„Okay“, murmelte Armin. „Immer noch besser als Regen und Bücher zusammen.“

Die beiden Jungs sagten kurz ihren Eltern Bescheid und liefen, mit Konrads Regenschirm bewaffnet, zur Bushaltestelle. Als der Bus kam, jubelte Armin. Sie waren die einzigen Fahrgäste und somit gehörte die begehrte Rückbank ihnen allein. Niemand stellte die Ohren auf, um die beiden Jungs zu belauschen. Die tauschten zwar sowieso keine Geheimnisse aus, doch in dem leeren Bus hätten sie das ohne Weiteres tun können. Und das allein war schon toll. Zu wissen, sie könnten, wenn sie wollten.

Noch hatten sie keine Geheimnisse, zumindest keine gemeinsamen. Also redeten sie über die Insel Föhr, auf der beide das erste Mal waren. Armin erfuhr, dass der Junge Konrad hieß und genauso alt war wie er. Und dass er Spaghetti liebte. „Hm, lecker, die mag ich auch“, sagte Armin und rieb sich den Bauch.

Von Nieblum aus dauerte es nicht lange, bis sie in Wyk ankamen.

Der Busfahrer bremste scharf, dann öffneten sich die Türen. Armin und Konrad standen kurz darauf mitten im Gewusel aus regenfesten Touristen, Hunden und Einheimischen, die bereitwillig Auskunft über den Weg zu dieser und jener Sehenswürdigkeit gaben. Armin und Konrad mussten nicht nach dem Weg fragen. Kleine Pfeile zeigten auf das Friesen-Museum. Die Jungs folgten ihnen durch verwinkelte Gassen und durch Alleen, vorbei an von Rosen umrankten Häusern mit winzigen Eingangstüren.

Schon am Museumseingang erwartete sie die erste Überraschung. Das Tor bestand aus einem mächtigen Kieferknochen. Der Regen, der am Knochen entlang rann, wirkte wie triefender Speichel. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schritt Armin hindurch.

„Keine Angst, du wirst schon nicht gebissen!“, klang eine brummige Stimme zu Armin und Konrad herüber. „Der ursprüngliche Besitzer ist nämlich längst tot – dieser Kieferknochen gehörte einst einem stattlichen Blauwal, müsst ihr wissen.“

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Hinter dem Knochen trat ein Mann hervor, der zwar freundlich lächelte, aber auch irgendwie seltsam wirkte. Seine Augen sahen aus, als hätten sie schon Dinge gesehen, die nicht von dieser Welt waren. Fürchterliche Dinge? Armin lief ein kalter Schauer über den Rücken, als der Mann dicht neben ihm stand. Verstohlen schaute Armin ihm in das narbige Gesicht, das im Schatten der breiten Krempe seines Regenhutes wahrscheinlich noch viel finsterer wirkte als bei strahlendem Sonnenschein. Armin unterdrückte das eigenartige Bedürfnis die Hand auszustrecken und die fleischige Geschwulst, die vom Mund bis zum rechten Ohr führte, anzufassen. Er konnte den Blick nicht abwenden, so sehr er sich auch bemühte. Konrad stieß ihn an und zischte:

„Du bist peinlich!“

„Och, nicht weiter schlimm“, winkte der Mann ab. „Alle Kinder starren mich an, man gewöhnt sich dran.“

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Armin wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er war sicher, dass seine Ohren jetzt glühten wie zwei Feuermelder. Er spürte, wie das Blut hindurch rauschte.

„Tschuldigung“, nuschelte er und drehte den Kopf weg.

„Ich hab beim Fischen nicht aufgepasst, sonst sähe ich noch immer aus wie ein Hollywoodfilmstar“, sagte der Mann und lachte so heftig, dass sein wabbeliger Speckbauch über dem Hosenbund bebte.

„Ich bin übrigens Piet. Wenn ihr möchtet, zeige ich euch das Museum mit all seinen wunderbaren Schätzen. Es sind im Moment keine anderen Besucher da. Bei dem Regen gehen die sonnenhungrigen Touristen nur ungern auf die Straße. Euer Glück!“

Armin und Konrad sahen sich verwundert an. Eine Führung ganz für sie alleine? Toll!

Kapitel 2
Legenden und Walkiefer

Armin und Konrad folgten Piet auf dem matschigen Gartenweg zur Rückseite des Hauses. Sie kamen an vier Steinsärgen vorbei, die jetzt als Viehtränken dienten, wie ihnen Piet erklärte. In die offenen Särge prasselte lautstark der Regen. Armin stellte sich zu Konrad unter den Regenschirm. Doch außer einem Vogelpärchen, das ein Bad im Regen nahm, waren keine Tiere in der Nähe der Särge zu sehen. Auf dem Hügel hinter dem Haus blieb Piet erneut stehen. Trotz des Regens schob er den Hut vom Kopf und sagte ehrfürchtig: „Wir stehen jetzt mitten auf einem Grabhügel. Ehrt die Toten des Galgenberges!“

Dann nuschelte er noch irgendetwas Unverständliches und stieg den Hügel wieder hinab. Unten angekommen setzte er seinen Hut wieder auf und ging mit forschen Schritten zum Haupthaus. Als ob nichts gewesen wäre, rief er Armin und Konrad zu: „Kommt, der Regen wird nicht weniger.“