Cover

Über dieses Buch:

Endlich schafft es Jim Qwilleran einmal, mit den beiden Siamkatzen Koko und Yum Yum zu seinem Seehaus zu fahren, und er freut sich auf ein paar entspannte Tage. Doch dann verschwindet ein Tourist und es verbreiten sich Gerüchte über UFOs! An Entspannung ist nun nicht mehr zu denken. Als kurz darauf die Leiche des vermissten Mannes gefunden wird, macht Jim sich selbst an die Ermittlungen. Doch dann fällt ihm auf, dass Koko Nacht für Nacht auf der Veranda sitz und zu den Sternen hinauf schaut, und er kommt ins Grübeln … UFOs gibt es nicht – aber was sieht der schlaue Kater dann am nächtlichen Himmel?

»Eine unkonventionelle Serie mit einer gehörigen Portion Charme!« The Baltimore Sun

Über die Autorin:

Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.

Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.

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eBook-Neuausgabe Januar 2017

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1998 Lilian Jackson Braun

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »The Cat Who Saw Stars«.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2000 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Forewer und Ridkous Mikhailo

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-901-1

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Lilian Jackson Braun

Die Katze, die Sterne sah

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz

dotbooks.

Für Earl Bettinger,
den Ehemann, der …

Kapitel 1

Welterschütternde Neuigkeiten hörte man selten auf WPKX, dem Radiosender von Moose County, 400 Meilen nördlich vom Rest der Welt. Die lokalen Baseball-Ergebnisse, ein weiterer Autounfall, ein Brand in einem Hühnerstall und Todesmeldungen waren die übliche Kost. Daher wurden die Zuhörer regelrecht wachgerüttelt, als an einem Sonntagabend Ende Juni folgende Meldung gebracht wurde:

»Wie die Behörden von Moose County mitteilen, wird möglicherweise ein Rucksacktourist, dessen Identität und Wohnort unbekannt sind, vermißt. Es handelt sich dabei um einen etwa zwanzigjährigen Weißen, der vor drei Tagen seine Campingausrüstung auf einem Privatgrundstück in der Gegend von Fishport deponiert hat und nicht mehr zurückgekommen ist. Der Vermißte hat blondes Haar, blaue Augen und ist von mittlerer Größe. Als er zuletzt gesehen wurde, trug er abgeschnittene Jeans, ein weißes T-Shirt und einen Fotoapparat um den Hals. Meldungen über eine Person, auf die diese Beschreibung paßt, sind an das Büro des Sheriffs zu richten.«

Da die Beschreibung auf unzählige Urlauber in Moose County paßte, ignorierten die Zuhörer die Sache, bis am folgenden Tag ein Artikel darüber in der lokalen Tageszeitung erschien. Ein detaillierter Bericht von Jill Handley, der Feuilletonredakteurin des Moose County Dingsbums, in sehr bodenständiger Ausdrucksweise geschrieben – beleuchtete den Vorfall ausführlich.

Wo ist David?

VERMISSTER RUCKSACKTOURIST
STELLT FISHPORT VOR EIN RÄTSEL
von Jill Handley

Magnus Hawley aus Fishport, ein langjähriger Berufsfischer, hielt am Sonntag einen Streifenwagen des Sheriffbüros an und erzählte eine merkwürdige Geschichte. Hawley und seine Frau Doris wohnen in einem von Blumenbeeten umgebenen Wohnwagen in der Lakeshore Road in der Nähe von Roaring Creek.

»Neulich abend«, erzählte Hawley, »wie meine Frau und ich gerade beim Abendessen sitzen und fernsehen, da klopft es an der Tür. Ich geh’ hin, und da steht so’n junger Typ mit ’nem großen Rucksack und will für’n paar Nächte sein Zelt unten am Bach aufschlagen. Sagt, er will’n bißchen am Ufer herumwandern. Ist ja ziemlich verschwitzt und staubig und so, aber hat ’nen ordentlichen Haarschnitt und redet anständig.«

Doris Hawley fand den Fremden sympathisch. »Er erinnerte mich an unseren Enkelsohn – nettes Lächeln, sehr höflich. Ich fragte ihn, ob er am Ufer Achate suchen will, weil ich ihm eine gute Stelle verraten könnte, aber er sagte, er wolle vor allem Fotos machen. Sein Fotoapparat hat teuer ausgesehen, und ich dachte, vielleicht ist er Berufsfotograf. Wir haben gesagt, er könne am Fuß des Hügels beim Picknicktisch campieren, solange er nicht Abfälle in den Bach wirft und laut Musik spielt.«

Der Fremde stellte sich den Hawleys als David vor. »Ich habe noch nie einen David kennengelernt, der nicht vertrauenswürdig gewesen wäre«, sagte Doris.

Sie gab ihm ein paar von ihren selbstgebackenen Ingwerplätzchen und füllte ihm einen Krug mit frischem Wasser aus dem Brunnen. Ihr Mann sagte zu David, er könne schon im Bach baden, warnte ihn aber vor den glitschigen Steinen und der starken Strömung. Kurz danach sahen sie den jungen Mann mit seinem Fotoapparat zum Seeufer gehen.

»Aber das Komische ist«, sagte Hawley, »daß wir danach absolut nichts mehr von dem Typen gesehen haben. Ich bin nach ein paar Tagen zum Bach ’runtergelaufen, weil ich nachschauen wollte, ob er schon weg ist. Der Wasserkrug – der stand noch immer auf dem Picknicktisch, randvoll! Und darunter lag sein Rucksack, alles eingepackt und zugeschnürt. Das einzige, was fehlte, waren die Plätzchen. Wir haben uns darüber unterhalten, Doris und ich. Ich sagte, vielleicht hat er sich ja mit jemandem eingelassen, den er am Ufer kennengelernt hat. Heutzutage weiß man ja nie, was junge Leute so alles einfällt. Aber meine Frau hat Angst, daß er auf den Steinen ausgerutscht und ertrunken ist, also hab’ ich den Streifenwagen aufgehalten.«

Ein Hilfssheriff und ein Beamter der Staatspolizei untersuchten den Lagerplatz, fanden aber nichts, womit sich die Identität des Mannes feststellen ließ. Eine Beschreibung des Fremden, die von den Hawleys stammt, wurde am Sonntag abend im Rundfunk gesendet, doch bei Drucklegung waren noch keine Reaktionen auf die Meldung eingegangen.

Nach dem Erscheinen des Berichts begann die lokale Gerüchteküche zu brodeln, müßige Spekulationen zu produzieren und sensationelle Details zu erfinden. Vielleicht eine Entführung, sagten viele und nickten vielsagend. Einige Wichtigtuer vermuteten, daß die Hawleys selbst Dreck am Stecken hätten. »Iß keine Ingwerplätzchen«, wurde zum geflügelten Wort in den Kneipen und Cafés.

Einer, der sich den Klatsch anhörte, ohne selbst dazu beizutragen, war Jim Qwilleran, ein altgedienter Journalist, der jetzt zweimal in der Woche eine Kolumne für den Dingsbums schrieb. Er hatte erst vor kurzem Hawley und andere Berufsfischer interviewt und sogar einige Zeit mit der hart arbeitenden Mannschaft und einer halben Tonne glitschigen Fischen auf dem See verbracht, und die bösartigen Gerüchte waren ihm zuwider. Doch in einer Gemeinde, die zwischen Wasserratten und Landratten gespalten war, konnte man nichts anderes erwarten. Qwillerans eigene Reaktion auf das Verschwinden des Touristen war professionelle Neugier. Als ehemaliger Polizeireporter aus der Großstadt hatte er sich ein Sherlock-Holmes-mäßiges Interesse an der Lösung von Kriminalfällen erhalten.

Qwilleran war ein beliebter und prominenter Bewohner der Bezirksstadt Pickax City (3000 Einwohner). Angeblich lasen neunzig Prozent der Leser seine Kolumne »Aus Qwills Feder« – mehr als das tägliche Horoskop. Wo immer er im Bezirk auftauchte, erregte er Aufmerksamkeit. Er war über fünfzig, gutaussehend und gut gebaut, eins achtundachtzig groß und hatte einen außergewöhnlich üppigen Schnurrbart. Dieser herabhängende Schnurrbart unterstrich seine melancholische Ausstrahlung, und seine Augen hatten einen grüblerischen Ausdruck. Doch seine Freunde kannten ihn als umgänglichen, geistreichen, hilfsbereiten Mann, dem es Spaß machte, sie zum Essen auszuführen.

Noch etwas sprach für Qwilleran: Er war ein unglaublich großzügiger Philanthrop. Früher einmal hatte er sich im Süden unten, wie die Einheimischen die dicht bevölkerten städtischen Gebiete im Land nannten, als Journalist mit harter Arbeit sein Geld verdient.

Er hatte von einem Gehaltsscheck zum nächsten gelebt und nicht im Traum daran gedacht, daß er je zu Reichtum gelangen könnte. Und dann war er aufgrund eines Zufalls, der merkwürdiger war als jede erfundene Geschichte, zum wohlhabendsten Mann im nordöstlichen Teil des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten geworden – er hatte das Klingenschoen-Vermögen geerbt, das zu einer Zeit angehäuft worden war, als die Gegend reich an Rohstoffen war und kein Mensch Einkommenssteuer zahlte. Der erste Klingenschoen mußte ein überaus profitables Geschäft betrieben haben.

Qwilleran empfand schon den Gedanken an das viele Geld als Belastung und als ausgesprochene Behinderung … bis er auf die Idee kam, den Klingenschoen-Fonds zu gründen. Jetzt verwalteten die Finanzexperten des Klingenschoen-Fonds in Chicago das Vermögen; sie verwendeten das Geld zum Wohle der Gemeinde, und er konnte nach Herzenslust schreiben, lesen, gut essen und sich daneben ein wenig als Amateurdetektiv betätigen. Stadtbewohner aller Alters- und Einkommensklassen redeten in den Clubs, am Telefon und in den Supermärkten über ihn. Sie sagten:

»Ein toller Kerl! Überhaupt nicht eingebildet. Grüßt immer. Man sollte gar nicht glauben, daß er Milliardär ist.«

»Der Mann kann wirklich schreiben! Seine Kolumne ist das einzige, was ich in der Zeitung lese.«

»Ist das ein Schnurrbart! Meine Frau sagt, er ist sexy, besonders, wenn er eine Sonnenbrille trägt.«

»Warum er wohl nicht heiratet? Es heißt, er lebt in einer Scheune – mit zwei Katzen.«

»Man sollte glauben, er würde sich ein richtiges Haus kaufen – und einen Hund –, selbst wenn er keine Frau will.«

Qwillerans überdimensionaler Schnurrbart war ein regelrechtes Wahrzeichen von Moose County; die Männer bewunderten ihn, und die Frauen himmelten ihn an. Wie seine Haare war der Schnurrbart grau meliert, was ihm ein eher freundliches als wildes Aussehen verlieh. Was aber keiner wußte, war, daß er äußerst sensibel war. Von seinem Schnurrbart gingen seine intuitiven Ahnungen aus. Wenn er auf verdächtige Umstände stieß, verspürte er ein Ziehen auf seiner Oberlippe, das ihn veranlaßte, Fragen zu stellen. Man sah häufig, wie er auf seinen Schnurrbart klopfte, ihn mit den Fingerspitzen kämmte oder mit den Fingerknöcheln darauf drückte; das hing von der Intensität des Gefühls ab. Die Leute, die das sahen, hielten es für eine nervöse Angewohnheit. Es erübrigt sich zu sagen, daß Qwilleran kein Interesse daran hatte, es zu erklären – nicht einmal seinen engsten Freunden.

Beim Verschwinden des Rucksacktouristen löste ein unangenehmes Gefühl auf seiner Oberlippe den Drang aus, nach Fishport zu fahren, einem bescheidenen Dorf in der Nähe des Ferienortes Mooseville, wo er eine Blockhütte samt einem Seegrundstück von einer halben Meile Länge besaß. Die Hütte – Teil seines Erbes – war klein und sehr alt, doch für kurze Aufenthalte im Sommer ausreichend. Sie war nur dreißig Meilen von Pickax entfernt und die Distanz daher eher psychologischer als geographischer Natur. Mooseville mit seinen hundert Meilen Seeblick und dem weiten Himmel war eine andere Welt. Selbst die beiden Siamkatzen, mit denen er lebte, reagierten auf die einzigartige Atmosphäre.

Ein wohlwollendes Schicksal hatte sie zusammengeführt. Das Weibchen war als armes reiches Kätzchen in einer vornehmen Wohngegend ausgesetzt worden, als Qwilleran sie fand. Wegen ihres reizenden Gesichtchens und ihrer einnehmenden Art nannte er sie Yum Yum. Der seidig glänzende, muskulöse Kater war einfach bei ihm eingezogen – zu einer Zeit, als Qwilleran gerade versuchte, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Bevor er zum Waisen wurde, war sein Name Kao K’o Kung gewesen. Jetzt hieß er Koko, und er hatte prachtvolle Schnurrhaare und bemerkenswerte Sinne. Er und Qwilleran hatten sogar eine Art geistige Verwandtschaft entwickelt – der eine mit katzenhaftem Radarsystem, der andere mit intuitivem Schnurrbart.

Am Tag nach dem Zeitungsbericht über den Rucksacktouristen fuhr Qwilleran ins Stadtzentrum, um in der Redaktion des Dingsbums seine Urlaubspläne bekanntzugeben und seinen Beitrag für die Kolumne »Aus Qwills Feder« abzuliefern. Er hatte tausend Worte über den vierten Juli aus der Sicht von Benjamin Franklin geschrieben (was würde der arme Richard aus Franklins Almanach wohl zu Grillfesten in Hinterhöfen und zu High-School-Tambourmajoretten in silbernen Strumpfhosen sagen?). Das Büro des Chefredakteurs war mit Papierschlangen geschmückt, und auf einem Plakat stand: ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, JUNIOR … HEUTE WIRST DU 16! Junior Goodwinter war bereits über dreißig, doch sein schmächtiger Körper und seine jungenhaften Züge verliehen ihm das Aussehen eines ewigen Schuljungen.

»Alles Gute zum sechzehnten Geburtstag!« sagte Qwilleran. »Du siehst keinen Tag älter aus als fünfzehn!« Er ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und schlug ein Bein über das andere. »Noch Kaffee da?«

Der Chefredakteur drehte sich auf seinem Stuhl herum und schenkte ihm einen Becher ein. »Hast du unsere Story über den Rucksacktouristen gelesen, Qwill? Eine Lehrerin aus Sawdust City hat angerufen und uns zur Schnecke gemacht, weil wir den Fischer wörtlich zitiert haben, anstatt seine Fehler zu korrigieren. Wir haben es genauso gedruckt, wie er es gesagt hat. Jill hat alles auf Tonband aufgenommen.«

»Ignoriere sie. Das ist eine Fanatikerin«, sagte Qwilleran. »Es ist vollkommen in Ordnung, ein wenig Lokalkolorit hineinzubringen. Das belebt die Monotonie der korrekten Schriftsprache.«

»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Junior. »Dann hat ein Typ angerufen und sich beschwert, weil Hawleys Frau in dem Artikel besser spricht als ihr Mann. Er hat es eine sexistisch gefärbte Darstellung genannt.«

»Ich kenne die beiden! Die reden mm einmal so, um Himmels willen! Ich bin froh, daß ich nicht deinen Job habe, Junior.«

»Die Frau in Sawdust City will, daß wir eine Kolumne über die korrekte Sprechweise einführen, anstatt – ich zitiere – ›soviel Platz für Sport zu vergeuden‹.«

»Die würde kein Mensch lesen.«

»Sie müßte so eine Art Klatschkolumne sein, wie diese Briefkastentante, Ann Landers … Nun ja, also, was hast du am vierten Juli vor?«

»Ich fahre an den See und mache einen Monat Urlaub.«

»Nimmst du die Katzen mit?«

»Natürlich! Der See ist das reinste Katzenparadies! Auf der fliegengitterbespannten Veranda fühlen sie sich wie im siebenten Himmel! Ich fahre wegen der Ruhe und der Stille hin. Sie lieben die Geräusche und die Aussicht: kreischende Möwen, piepsende Wasserläufer, krächzende Krähen, nagende Nagetiere. Und alles bewegt sich: die Vögel, die Schmetterlinge, die Grashüpfer, der wogende Strandhafer, die plätschernden Wellen …«

»Klingt gut«, sagte Junior. »Und was wirst du tun?«

»Lesen, faulenzen, radfahren, am Strand Spazierengehen …«

»Kannst du uns deine Beiträge von dort aus schicken?«

»Wie bitte?«

»Hat dort jemand ein Faxgerät, das du benutzen kannst?«

»Du vergißt, daß ich Urlaub mache. Ich habe schon seit weiß Gott wann keinen mehr gehabt.«

»Aber du weißt doch, daß die Leser ausflippen, wenn deine Kolumne nicht erscheint … Und du gibst doch immer damit an, daß du sie mit links schreiben kannst.«

»Na schön … aber nur, weil du Geburtstag hast.«

»Hast du Jills Artikel über das neue Restaurant da oben gelesen?«

»Ja, und ich freue mich schon darauf, es auszuprobieren. Und das neue Sommertheater auch.«

»Freitag ist Premiere«, sagte Junior. »Würdest du für uns eine Kritik über das Stück schreiben?« Er sah Qwillerans düsteren Blick. »Ich weiß, du hast Urlaub, aber du bist ein Schreiberling, und Schreiberlinge schreiben … wie andere Menschen atmen. Was meinst du, Qwill? Du kannst doch ein Theaterstück mit verbundenen Augen besprechen.«

»Nun … ich werde darüber nachdenken.«

Bevor er aus dem Redaktionsgebäude ging, machte Qwilleran einen Sprung in das Büro des Herausgebers. Er und Arch Riker waren seit ihrer frühesten Jugend befreundet und beide im Süden unten Journalisten gewesen. Beide hatten sich an das Landleben gewöhnt, doch Arch war sogar so weit gegangen, eine Einheimische zu heiraten. Jetzt strahlte sein schon von Natur aus gerötetes Gesicht die Zufriedenheit der reiferen Jahre aus, und sein Bäuchlein wölbte sich immer mehr. Mildred Riker schrieb die Haushaltstips für die Zeitung.

Qwilleran fragte: »Seid ihr beide schon in euer Strandhaus gezogen?«

»Aber natürlich! Die Fahrt zur Arbeit ist zwar länger, aber es lohnt sich. Die Seeluft hat etwas Belebendes.«

Und etwas Berauschendes, dachte Qwilleran; die Einheimischen dort sind alle ein wenig bescheuert, und die Sommergäste werden in kürzester Zeit genauso. Er sagte: »Ich werde heute nachmittag meine Katzen ins Auto laden und auch hinauffahren. Polly wird ja den ganzen Monat weg sein.«

Riker hatte seine Mildred und Qwilleran seine Polly Duncan. Sie leitete die öffentliche Bücherei von Pickax, und in der Gemeinde gab es ausführliche Diskussionen darüber, ob sie heiraten würden oder nicht. Doch sie bevorzugten beide ihren individuellen Lebensstil, also verkündeten sie, daß ihre Katzen sich nicht vertrügen.

Riker sagte: »Komm doch heute abend zum Essen zu uns. Die Comptons werden auch dasein, und Mildred macht ihre berühmten Schweinskoteletts in Soße«.

»Wann?«

»So gegen sieben … Was sagst du zu der mysteriösen Geschichte in Fishport? Hast du das Gerücht über die Hawleys gehört?«

»Ja, und ich würdige es keines Kommentars.«

»Ich persönlich«, sagte Riker, »halte es für einen Werbegag des Vereins der Geschäftsleute, der den Tourismus ankurbeln soll.«

Qwilleran brachte es niemals fertig, aus der Innenstadt wegzufahren, ohne im Antiquariat vorbeizuschauen. Er sammelte antiquarische Klassiker wie andere Menschen seiner Vermögensklasse Van Goghs. Zur Zeit interessierte er sich für Mark Twain. Als er aus dem hellen Sonnenlicht in das düstere Geschäft trat, sah er nur wenig. Auf dem Tisch bewegte sich etwas; das war Winston, der staubfarbene Langhaarkater, der mit seinem Schwanz die Biographien abstaubte. Aus dem Hinterzimmer drangen Geräusche und der Duft von brutzelndem Schinken; das war Eddington Smith, der sein Mittagessen zubereitete.

An der Tür hatte eine Glocke geläutet, und der alte, graue Buchhändler kam eilfertig heraus, um den Kunden zu begrüßen. »Mr. Qwilleran! Ich habe noch drei für Sie gefunden, alle mit gutem Einband: Ein Yankee am Hof von König Artus, Der gestohlene weiße Elefant und der Springfrosch. Mein Vater hat mir erzählt, daß Mark Twain einmal in dieser Gegend einen Vortrag gehalten hätte, und deshalb waren seine Bücher sehr beliebt. In jedem Nachlaß tauchen zwei oder drei auf.«

»Nun, halten Sie weiterhin Ausschau nach den Titeln, die ich suche, Ed. Ich fahre jetzt ein paar Wochen auf Urlaub.«

»Haben Sie genug zu lesen? Ich weiß, Sie mögen Thomas Hardy, und ich habe gerade eine ledergebundene Ausgabe von Am Grünen Rand der Welt gefunden. Mein Vater hat diesen Ausdruck oft verwendet; ich wußte bisher nicht, daß er von Thomas Hardy stammt.«

»Oder von Thomas Gray«, korrigierte ihn Qwilleran. »Gray hat ihn zuerst benutzt – in der Elegie auf einem Dorfkirchhof.«

»Das wußte ich nicht«, sagte Eddington, der stets gerne etwas dazulernte. »Ich werde es meinem Vater sagen, wenn ich heute abend mit ihm rede.« Dann fügte er als Antwort auf einen fragenden Blick hinzu: »Ich rede jeden Abend mit ihm und berichte ihm von den Ereignissen des Tages.«

»Wie lange ist er schon tot?« fragte Qwilleran.

»Nächsten Monat werden es vierzehn Jahre, seit er friedlich im Schlaf gestorben ist. Wir waren fast vierzig Jahre gemeinsam im Buchhandel tätig.«

»So etwas ist selten.« Qwilleran hatte seinen eigenen Vater nie gekannt. Er kaufte sowohl das Buch von Thomas Hardy als auch die anderen und wollte gerade mit seinen Neuerwerbungen den Laden verlassen, als ihm der Buchhändler nachrief: »Wohin fahren Sie denn, Mr. Qwilleran?«

»Nur rauf nach Mooseville.«

»Das ist schön. Da werden Sie ein paar fliegende Untertassen sehen.«

Alles an Qwilleran sträubte sich bei dieser Vorstellung, aber er sagte höflich: »Vielleicht.« Sowohl er als auch Arch Riker machten sich als professionelle Skeptiker über die Gerüchte über UFOs in Mooseville lustig. Der Verein der Geschäftsleute förderte diese Gerüchte in der Hoffnung, daß sie die Stadt zum Roswell des Nordens machen würden. Die Touristen waren begeistert von der Aussicht, Aliens zu Gesicht zu bekommen. Freundliche Einheimische bezeichneten sie als ›Besucher‹; andere machten sie für jede Laune des Wetters und jede Bremsenplage verantwortlich. Qwilleran hatte zu seinem Leidwesen entdeckt, daß er etliche Leute kannte, die an den interplanetarischen Ursprung von UFOs glaubten – darunter Menschen wie Rikers Frau, der Schulrat und eine kultivierte junge Erbin aus Chicago … oder aber sie taten nur so, um eine lokale Tradition aufrechtzuerhalten, wie Erwachsene, die vorgeben, noch an den Weihnachtsmann zu glauben.

Der letzte Besuch auf seiner morgendlichen Runde galt Amandas Einrichtungsatelier. Fran Brodie, die Nummer Zwei nach der Eigentümerin, war aus dem Urlaub zurück. Als eine der attraktivsten wie auch talentiertesten jungen Frauen von Pickax umgab sie jetzt noch zusätzlich das ganz spezielle Flair, das einem Auslandsreisen offenbar verleihen.

Er sagte: »Ich brauche Sie nicht zu fragen, ob es ein schöner Urlaub war. Sie sehen unglaublich glücklich aus.«

»Es war phantastisch!« rief sie und warf ihr rotblondes Haar zurück. »Waren Sie schon einmal in Italien?«

»Nur als Auslandskorrespondent für Zeitungen im Süden unten.«

»Sie müssen im Urlaub hinfahren und Polly mitnehmen! Diese Städte! Diese Landschaft! Die Kunst! Das Essen! Die Menschen!« Wie sie die Augen verdrehte, ließ darauf schließen, daß sie nicht alles über … die Menschen erzählte. »Setzen Sie sich, Qwill, wir müssen ein paar Dinge besprechen.«

Sie hatte als Innenausstatterin einen kleinen Auftrag für ihn erledigt und war jetzt mit der Neugestaltung der Innenräume des Pickax Hotels beschäftigt, doch ihre große Leidenschaft galt dem Theaterclub von Pickax. Es war ihre Idee gewesen, in einem Stall in der Nähe von Mooseville ein Sommertheater aufzuziehen. Es wurde mit einer Komödie eröffnet, Visitor to a Small Planet.

»Werden Sie die Premierenkritik schreiben, Qwill?«

»Ich fürchte, ja.«

»Zum ersten Mal in der Geschichte des Theaterclubs kommen Kritiker aus den Nachbarbezirken: vom Lockmaster Ledger und vom Bixby Bugle! Kennen Sie das Stück?«

»Ich weiß nur, daß es von Gore Vidal ist und daß es vor langer Zeit am Broadway uraufgeführt wurde.«

»Es ist lustig«, sagte Fran. »Vor dem Haus eines Fernsehkommentators landet eine fliegende Untertasse, und heraus kommt ein Besucher aus dem Weltraum und bringt alles durcheinander.«

»Wer spielt den Besucher? Konnten Sie aus einem Reservoir von kleinen grünen Schauspielern wählen?«

»Das ist ja der Witz dabei, Qwill. Wir haben mit Absicht die Erdlinge mit Schauspielern unter eins fünfundsiebzig besetzt, damit der Besucher ein Schock ist. Er ist zwei Meter drei!«

»Derek Cuttlebrink!«

»Ist das nicht zum Schießen? Larry spielt den Kommentator, und Scott Gippel ist der perfekte herrische General … soll ich am Freitag an der Kasse zwei Karten für Sie hinterlegen lassen?«

»Eine reicht«, sagte Qwilleran. »Polly ist mit ihrer Schwester auf Urlaub in Ontario. Sie sehen Shakespeare in Stratford und ein paar Stücke von Shaw in Niagara-on-the-Lake.«

»Oh, ich beneide sie!« rief Fran.

»Seien Sie nicht so unbescheiden! Sie haben gerade erst den Papst in Rom gesehen, den David in Florenz und all diese maskulinen Gondolieri in Venedig.«

Sie warf ihm einen typischen Fran-Brodie-Blick zu – halb amüsiert, halb tadelnd.

»Wo haben Sie einen Stall gefunden, der sich als Theater eignet?« fragte er.

»Avery Botts überläßt uns für neun Wochenenden seinen Kuhstall. Jedes Stück wird an drei Wochenenden aufgeführt.«

»Ich verstehe«, sagte Qwilleran nachdenklich. »Und was machen die Kühe an den Wochenenden?«

»Ist das Ihr Ernst, Qwill? Avery hat schon lange mit der Milchwirtschaft aufgehört, als damals das staatliche Gefängnis gebaut wurde. Sie haben ihm eine Menge Geld für einen Teil seines Farmlandes gezahlt, und er hat sich auf Geflügelzucht verlegt. Seine Farm an der Lakeshore Road, gleich westlich der Pickax Road, haben Sie sicher schon gesehen: ein großes, weißes Farmhaus mit vielen weißen Nebengebäuden. Auf dem Rasen steht ein Schild mit der Aufschrift ›FRISCHE EIER … FRYERS‹. Darüber erzählt Avery eine lustige Geschichte. Wollen Sie sie hören?«

»Ist sie stubenrein?«

»Nun, eines Sommerabends«, begann sie, »fuhren so ein Großstadtschnösel und eine aufgetakelte Blondine in einem offenen Kabrio in den Hof. Der Typ schrie, er wolle ein Dutzend Fryers. Avery sagte, er habe im Augenblick nur drei, könne ihm die anderen neun aber in ein paar Stunden liefern. Der Typ legte den Rückwärtsgang ein und brüllte: ›Vergessen Sie es! Verkaufen Sie Ihre drei Eier jemand anderem!‹ Und er raste in einer Staubwolke im Rückwärtsgang die Zufahrt hinunter. Wenn Avery die Geschichte erzählt, lacht er Tränen.«

»Ich verstehe sie nicht«, gestand Qwilleran, »aber ich bin ja selbst ein Großstadtschnösel.«

»Qwill, Fryers sind junge Hühner – nicht Eier!«

»Hmmm … man lernt nie aus.«

»Wir werden unser Theater die Fryers-Club-Sommerbühne nennen … Aber ich rede und rede die ganze Zeit«, sagte sie. »Was gibt’s Neues bei Ihnen?«

»Nur, daß die Katzen und ich für einen Monat an den See fahren.«

»Haben Sie Ihr neues Gästehaus schon gesehen?«

»Noch nicht. Ich hoffe, Sie haben es nicht zu bequem oder zu schön gemacht. Ich will nicht plötzlich ein Motel führen.«

»Keine Angst. Ich habe es in unappetitlichen Farben, mit klumpigen Matratzen, fadenscheinigen Handtüchern und Bildern von ertrinkenden Matrosen eingerichtet.«

»Gut!« sagte er. »Wir sehen uns am Freitag abend. Toi, toi, toi!«

Als Qwilleran zur Scheune zurückfuhr, um die Katzen für die Expedition nach Mooseville zu holen, überlegte er, was er in seinen Bus packen mußte. Für ihn selbst war das wichtigste die vollautomatische Kaffeemaschine. Ansonsten würde er bloß Polohemden, Shorts und Sandalen brauchen, plus Schreibmaterial und ein paar Bücher. Es hatte keinen Sinn, das revolutionäre Liegerad mitzunehmen, das ihm die Bürger von Pickax zum Zeichen ihrer Wertschätzung geschenkt hatten. Der Fahrer saß in einem Korbsitz und trat mit hochgehobenen Beinen in die Pedale. Natürlich war das in Pickax eine solche Sensation, daß er sich selten damit auf die Landstraße wagte; statt dessen hatte er es in seinem Wohnzimmer aufgestellt, wo es als Gesprächsthema und Kunstobjekt diente. Für diesen Urlaub, entschied er, würde er es dort stehenlassen; schließlich stand im Werkzeugschuppen bei der Hütte ein Mountainbike.

Was die Katzen für den Urlaub brauchten, war etwas komplizierter. Er würde ihr blaues Kissen vom Kühlschrank mitnehmen müssen, die große Bratpfanne, die ihnen als Kästchen diente, etliche Säcke mit ihrer Lieblingskatzenstreu, die auf den Zehen nicht so weh tat, dazu Bürsten, ihre Lieblingsschüsseln für Futter und Wasser, einen Monatsvorrat an Kabibbles, den Knusperhäppchen, die eine Nachbarin buk, und ein paar Dosen Katzenfutter mit ihren Lieblingssorten Lachs, Krabbenfleisch, Hummer und geräuchertem Truthahn.

Jetzt war es Zeit für ihren Mittagsimbiß, und sie warteten gewiß schon auf ihn, er konnte sie schon vor sich sehen, wie sie auf ihren langen, dünnen Beinen herumhüpften, mit ihrem beredten Schwanz wedelten und mit ihren großen Augen, die in ihren braunen Gesichtsmasken wirkten wie blaue Seen, erwartungsvoll zu ihm aufblickten. Als er die Tür aufschloß, lagen jedoch beide auf dem Sofa und schliefen – sandfarbenes Fell, braune Beine und Schwänze ineinandergeschlungen, den Kopf jeweils unter dem Körper des anderen vergraben, so daß nur drei Ohren zu sehen waren.

»Leckerbissen!« sagte er in lautem Flüsterton.

Zwei Köpfe schnellten hoch.

»Yau!« ertönte Kokos lautstarke Antwort.

»M-m-mach!« kreischte Yum Yum.

Als alles gepackt und in den Bus geladen und Yum Yum verfolgt, eingefangen und im Katzenkorb verstaut worden war, entdeckte er Koko auf dem Korbsitz des Liegerades. Er machte ein wissendes Gesicht.

Na schön, dachte Qwilleran, es kann nichts schaden, es mitzunehmen. Ich kann ja auf den Nebenstraßen üben.

Kapitel 2

Die beiden Passagiere im Katzenkorb auf dem Rücksitz jammerten und rangelten um die beste Position. Als der braune Bus auf der freien Landstraße beschleunigte, legten sie sich schließlich bequem hin. Der Weg nach Mooseville führte schnurgerade Richtung Norden. Für Qwilleran war es eine Straße der Erinnerungen an so viele seiner früheren Erlebnisse und Erfahrungen in diesem Bezirk:

Der Dimsdale Diner (schlechter Kaffee, guter Klatsch) … die Ittibittiwassee Road (links abbiegen nach Shantytown, zur Buckshot Mine rechts) … die alte Truthahn-Farm (einst im Besitz des ersten Ehemannes von Mildred Riker) … der aufgelassene Friedhof (Giftefeu) … das Staatsgefängnis (berühmte Blumengärten, berüchtigter Skandal).

An den Gefängnistoren hoben die dösenden Katzen den Kopf, reckten den Hals und schnüffelten. Es waren nicht die Rosen, die sie rochen; es war der See, der noch eine ganze Meile entfernt war. Sie witterten Wasserpflanzen, Algen, Plankton und kleine Fische.

Als sie den See entlang fuhren, wurden die Katzen immer aufgeregter. Linkerhand sah Qwilleran Avery Botts’ Farmhaus und die Fryers-Club-Sommerbühne … rechts war ab und zu zwischen den Bäumen der See zu sehen … links Weideland mit wiederkäuenden Rindern oder Pferden, die ihr glänzendes Fell und ihre edle Haltung zur Schau stellten … rechts das rustikale Eingangstor des Top o’ the Dunes-Club, wo die Rikers ihr Strandhaus hatten … links ein alter steinerner Rauchfang, der einzige Überrest einer alten Schule mit nur einem Klassenzimmer … rechts ein Pfosten mit dem Buchstaben K.

Das war das alte Klingenschoen-Grundstück – eine halbe Quadratmeile uralter Wald auf uralten Sanddünen. Ein sandiger Weg schlängelte sich zwischen Kiefern, Eichen, Ahornbäumen und Kirschbäumen hindurch und verlief in einem ziellosen Auf und Ab, bis er schließlich in eine Lichtung mündete, auf der eine Hütte mit Blick auf hundert Meilen Wasser stand. Sie war aus massiven runden Baumstämmen gebaut, die in den Ecken miteinander verschränkt waren, und schien mittels ihres riesigen steinernen Schornsteins im Boden verankert zu sein. Fünfundzwanzig Meter hohe Kiefern mit nur wenigen Ästen an der Spitze umringten sie wie Wachposten.

Bevor Qwilleran die Katzen hineinbrachte, inspizierte er die Hütte. Ein jugendlicher Putz- und Wartungstrupp, die Sandriesen-Zwerge, hatte sie geputzt und für den Sommer vorbereitet. Drinnen war nicht sehr viel Platz: ein einziger großer Raum mit zwei kleinen Alkoven an einem Ende und einem steinernen Kamin am anderen. Einen Eindruck von Geräumigkeit und Größe vermittelte hingegen das Fehlen einer Decke: der Raum war bis zur Dachspitze offen und kreuz und quer von Balken und Streben durchzogen. Sobald die Jalousien hochgezogen waren, wurde die Hütte von dem Licht durchflutet, das durch das große Fenster mit Seeblick und die drei neuen Dachfenster fiel.

Erst jetzt trug er den Katzenkorb hinein, dessen Insassen einander grob anrempelten und laut miauten. Die winzige Tür wurde entriegelt, und plötzlich waren sie ganz still und vorsichtig.

»Keine Gefahr!« versicherte ihnen Qwilleran. »Keine Löwen oder Tiger! Der Fußboden ist frisch gewaschen und poliert, und ihr könnt gefahrlos darauf gehen!« Je mehr man mit Katzen spricht, davon war er überzeugt, desto klüger werden sie.

Sie erinnerten sich sofort an die hintere Veranda mit dem von den Sonnenstrahlen erwärmten Betonfußboden. Sie sausten hinaus, um sich auf seiner rauhen Oberfläche hin- und herzuwälzen. Dann streckte sich Koko zu seiner vollen Länge aus, um die Wärme noch besser in jedes einzelne schimmernde Katzenhaar aufnehmen zu können.

Qwilleran dachte: Er liebt die Sonne, und die Sonne liebt ihn. Er zitierte damit einen anderen Journalisten, Christopher Smart, der ein Gedicht über seinen Kater Jeoffrey geschrieben hatte. Es enthielt viele gute Zitate, obwohl Christopher und Jeoffrey im achtzehnten Jahrhundert gelebt hatten.

Während die Katzen im Freien herumlagen, entlud Qwilleran den Bus – als erstes das Liegerad. Das robuste alte Mountainbike war im Werkzeugschuppen, doch das protzige, exzentrische High-Tech-Vehikel mit Korbsitz und hochliegenden Pedalen verdiente mehr Respekt. Er stellte es auf der Veranda vor der Küche ab. Probefahrten auf einsameren Nebenstraßen in Pickax hatten ihn überzeugt, daß es sicherer, schneller und weniger anstrengend war als konventionelle Fahrräder. Ob er den Mut aufbringen würde, im konservativen Mooseville auf einer solchen Kuriosität zu fahren, mußte er sich erst überlegen.

Auch das andere Gepäck aus dem Bus fand seinen Platz: die Kleidung im Schlafalkoven, das Schreibmaterial im Büroalkoven, die Bücher auf Regalen im großen Raum. Es gab nur zwei Ausnahmen, die auf den Couchtisch kamen: der Thomas-Hardy-Roman wegen seines eindrucksvollen Ledereinbands und Mark Twain von A bis Z wegen seiner Größe. Koko saß gerne auf großen Büchern.

Auf der Seeseite gab es eine zweite fliegengitterbespannte Veranda – mit einer herrlichen Aussicht und viel Nachmittagssonne doch wie die Katzen entdeckt hatten, eignete sich der Betonfußboden dort nicht zum Herumwälzen. Vom Seeufer wurde Sand hereingetragen oder von den ständig herrschenden Winden hereingeweht.

Die Hütte stand auf einer hohen Sanddüne, die sich im Laufe von Jahrhunderten gebildet hatte und deren steiler Hang von Strandhafer und Wolfsmilchgewächsen befestigt wurde. Eine Sandleiter führte hinunter zum Strand; es war ein einfacher Rahmen aus Holzbalken, gefüllt mit losem Sand, der als Stufen diente.

Qwilleran, der sich zum Abendessen weiße Shorts und ein schwarzes Polohemd angezogen hatte, stand am oberen Ende der Sandleiter und stellte fest, daß sich der Strand verändert hatte. Normalerweise erstreckte sich hier tiefer, trockener Sand, doch jetzt war die Oberfläche hart, flach und voller Kieselsteine, während der lose Sand zu einem Hügel am Fuß der Düne angeweht worden war. Beim nächsten Gewitter würde er vielleicht erneut weggeweht oder weggespült werden; das war das Faszinierende am Leben am Ufer. Der See selbst konnte ganz still und blau daliegen und sich dann binnen fünf Minuten in eine aufgewühlte, türkise und schließlich grüne Wassermasse verwandeln.

Er ging am Ufer entlang zum Strandhaus der Rikers. Die erste halbe Meile grenzte an sein eigenes Grundstück und schloß auch den felsigen Seagull Point ein. Dann kam eine Reihe von Sommerhäusern, die als Top o’ the Dunes-Club bekannt waren. Dieses Jahr hatten sie Namen bekommen, die in rustikale Holzschilder gefräst waren. Die Mableys, Golfspieler, nannten ihr Haus Sandbunker. Das alte Dunfield-Häuschen, in dem es angeblich spukte, hieß jetzt LITTLE MANDERLEY. Der Name eines kleinen Fachwerkhauses, das kleine RAHMENHAUS, wurde verständlich, wenn man wußte, daß die Besitzer ein Bilderrahmen-Geschäft besaßen. Dann kam das BAH HUMBUG, das nur den Comptons gehören konnte; Lyle war Schulrat, ein Miesepeter mit Sinn für Humor.

Die meisten Strandhaus-Bewohner waren auf ihren Terrassen; sie winkten Qwilleran zu, und einige luden ihn auf einen Drink ein.

Das letzte Haus in der Reihe war das der Rikers, ein gelber Fachwerkbungalow namens SUNNY DAZE.

»Ist das der geistreichste Name, der dir eingefallen ist?« fragte Qwilleran Arch – er versäumte keine Gelegenheit, seinen alten Freund zu ärgern. Arch servierte Getränke, Mildred Kanapees. Die Comptons waren ebenfalls da, und Toulouse saß auf dem Terrassengeländer – ein stilles schwarz-weißes Fellbündel.

»Sagt er jemals was?« fragte Qwilleran, der das Schweigen des Katers mit dem elektronisch anmutenden Geheul von Koko verglich.

»Wenn ich ihn füttere, miaut er höflich«, antwortete Mildred. »Für einen streunenden Kater hat er sehr gute Manieren.«

Sie trug einen Kaftan, der ihre mollige Figur kaschieren sollte. Die Freizeitkleidung ihres Mannes trug hingegen nichts zur Tarnung seiner wohlgenährten Formen bei, doch er war glücklich und entspannt. Im Vergleich zu ihm wirkte der Schulrat nach drei Jahrzehnten Herumplagen mit Schulbehörden, Lehrern und Eltern unterernährt und überarbeitet. Lisa Compton war so angenehm, wie ihr Mann vorgab, griesgrämig zu sein.

Mildred verkündete: »Qwill hat ein Gästehaus gebaut!«

»Erwarten Sie viel Gesellschaft?« fragte Lisa.

»Nein, es ist ausschließlich für Übernachtungen im Notfall gedacht«, sagte er. »Es ist etwas größer als ein Puppenhaus und etwas bequemer als ein Zelt. Schließlich fahre ich hier herauf, um einmal von allem wegzukommen; ich ermutige niemanden, mich zu besuchen.«

Lisa erkundigte sich nach Polly Duncan; gewöhnlich sah man sie bei Einladungen zum Abendessen zusammen.

»Sie bereist im Juli mit ihrer Schwester Kanada.«

»Einen ganzen Monat? Sie wird dir fehlen«, sagte Mildred.

Er zuckte die Achseln. »Sie war einen ganzen Sommer in England, und ich habe es überlebt.« In Wirklichkeit fehlten ihm bereits jetzt ihre allabendlichen Telefongespräche, und ihre gemeinsamen Wochenenden würden ihm noch mehr fehlen. »Hat schon jemand das neue Restaurant ausprobiert?«

Noch niemand, aber sie hatten darüber auf der Haushaltsseite des Dingsbums gelesen. Ein Ehepaar war aus Florida heraufgekommen, um es während der Sommermonate zu führen. Die Frau war Absolventin einer renommierten Restaurantfachschule und fungierte als Küchenchefin. Es klang vielversprechend.

Mildred sagte: »Wir haben ihre Ausbildung besonders hervorgehoben, weil das öffentliche College von Moose County bald einen Kochlehrgang anbieten wird und wir wußten, daß unsere Leser neugierig auf den Lehrplan einer solchen Ausbildung sein würden. Der Artikel hat nicht mit Komplimenten gespart, doch der Mann der Köchin war unverschämt genug, anzurufen und sich zu beschweren, weil wir die Preise für die Hauptspeisen und die Nachspeisenliste nicht angeführt haben.«