Prof. Ernst Peter Fischer

WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

PORTRAITS

MAX PLANCK

(1858 - 1947)

ALBERT EINSTEIN

(1879 - 1955)

WOLFGANG PAULI

(1900 - 1958)

WERNER HEISENBERG

(1901 - 1976)

Inhaltsverzeichnis


MAX PLANCK

Triumph als tragische Erkenntnis

Physiker, Philosoph und Politiker

Von der Beobachtung zum „Quantensprung“

„Quantensprung“ ist nicht „Quantensprung“

Schöpfer der „theoretischen Physik“

Des Professors guter Rat

„Energie“ und „Entropie“

„Heilige Grundsätze“ der Wissenschaft

„Religionen und Naturwissenschaften“

Plancks Weg zu Gott

Preußisch und national

Briefe an Arnold Sommerfeld

Der „Entdecker“ Einsteins

Das Ende der „Objektivität“ in der Physik

Die Frage der Kausalität

Vortrag London 1932

Hilfe aus der Verhaltensforschung

ALBERT EINSTEIN

„Der Alte würfelt nicht“

Einstein und die Bombe

Die Natur des Lichtes

Die Relativitätstheorie

Ein schrecklicher Familienvater

Von der speziellen zur allgemeinen Relativität

Der Weltstar

Die einheitliche Feldtheorie

Empirie und Ratio

Die Poesie Einsteins

Verbindung von Raum, Zeit, Materie und Energie

Die Poesie der Welt

Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit

Gleichzeitigkeit

Gleichörtlichkeit

Physikalisches Denken

Wie ich die Welt sehe

WOLFGANG PAULI

Träume eines Genies

Die „dunkle“ Seite der Wissenschaft

Faszination des Unbewussten

Skylla und Charybdis

Eine zweigeteilte Biographie

Das Wunderwerk eines Wunderkindes

Das Ausschließungsprinzip

Begrifflichkeit, aber keine Anschaulichkeit

Pauli vs. Kant

Kritik der reinen Vernunft

Teufel, Atheist und intellektueller Aufklärer

Zwei Ehen und Tramsymbolik

Unanschauliche Zweiwertigkeit der Natur

Verlangen der Kinder

Unanschauliche Realität

Das Rätsel der Zweiwertigkeit

Wie kommt man von drei zu vier?

Einstein wollte Vollständigkeit und Objektivität – für Pauli ein Gegensatz

Das kollektive Unbewusste

Der „Archetypus“ – ein Versuch, Rationalität zu erklären

Physis und Psyche

Die Emotion der Entdeckung

Malendes Schauen

Der „Pauli-Effekt“

Wo war Pauli?

Das Seiende und das nicht-Seiende

Das „Werden“ und das „Sein“

Komplementarität von Physik, Biologie und Psychologie

Das „Mainzer Testament“

WERNER HEISENBERG

Von der Quantentheorie zu Quantenmechanik

Heisenbergs „Unbestimmtheit der Objekte

Der erste Schritt eines Heilungsprozesses

Ein gescheiterter Versuch, die Atombombe zu verhindern

„Der Teil und das Ganze“

Kreativität und Mystik

Heisenberg vor der Philosophischen Fakultät Leipzig

Dialog zwischen Philosophie und Physik

Vortrag: Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik

Die verlorene Einheit der Natur

Über das Atom zur Einheit von Physik, Chemie und Biologie

Die Einheit der Natur ist abstrakter geworden

Goethes „Urpflanze“ und die Doppelkette der Nukleinsäure

Reise ins „Innere“

Der Ausweg der Fliege aus dem Fliegenglas

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Max Planck (1858 – 1947) gehört zu den Menschen, vor denen man sich verneigen sollte. Planck war groß als Physiker und sein Name ist – mindestens durch das Plancksche Quantum der Wirkung – unsterblich geworden. Sein Name wird durch die (seit 1948) nach ihm benannte Gesellschaft in alle Welt verbreitet. Er war überzeugend als Philosoph, wobei sein Name hier das stete Bemühen um ein einheitliches wissenschaftliches Weltbild repräsentiert, dessen Grenzen ihm so selbstverständlich waren wie die Qualität seiner Wissenschaft. In der Rede als Rektor der Berliner Universität erklärte Planck im Jahre 1913: „Auch für die Physik gilt der Satz, dass man nicht selig wird ohne Glauben, zum mindesten den Glauben an eine gewisse Realität außer uns.“

Max Planck ist eine der ganz großen Figuren der deutschen Geschichte. Er hat als Physiker im 19./20. Jahrhundert Großes geleistet, von dem wir heute alle profitieren. Leider wissen wir sehr wenig über Planck. Wir wissen vor allen Dingen sehr wenig von dem, was er gedacht hat – aber auch davon, was er geschrieben hat. Ich möchte versuchen, Ihnen das Werk Plancks näher zu bringen.

Triumph als tragische Erkenntnis

Sein Leben spielt sich ab zwischen Lieben und Leiden, seine Wissenschaft zwischen Triumph und Tragik. Was die Wissenschaft angeht, so hat er den wahrscheinlich größten Durchbruch geschafft, der einem Physiker gelingen kann: Er hat eine ganz neue Art der Physik auf die Beine gestellt und zwar genau im Jahre 1900, als er das berühmte „Quantum der Wirkung“ entdeckte. Diese Entdeckung führte zu einer völlig neuen Beschreibung der Natur, die ungeheure Konsequenzen hat, auf die ich noch eingehen werde.

Das Tragische daran ist, dass Planck seiner eigenen Entdeckung eigentlich selbst nie getraut hat. Er wollte sie sogar wieder verschwinden lassen. Er hatte nämlich herausgefunden, dass die Natur „Sprünge“ macht, dass es Unstetigkeiten gibt und dass mit den Energiesätzen, die in der Natur eine Rolle spielen, Probleme auftauchen. Das wollte er nicht. Er selbst hat seinen größten Triumph nur als tragische Erkenntnis über die Natur erleben können. Sein Leben lang war er unzufrieden mit dem, was er eigentlich geleistet hat.

Max Planck hat sich sehr früh in eine Frau verliebt, die er im Alter von 29 Jahren auch heiratete. Sie schenkte ihm vier Kinder. Das Tragische ist, dass sowohl seine Frau als auch alle seine vier Kinder vor ihm gestorben sind. Manche auf sehr dramatische Weise.

Physiker, Philosoph und Politiker

Planck war ein genialer Physiker, ein großer Philosoph und ein gründlicher Politiker. Er hat auf all diesen drei Gebieten Großes geleistet. Jedes Mal, wenn ich an sein Lebenswerk denke, habe ich das Gefühl, ich müsste mich vor ihm verneigen. Ich möchte Sie einladen, Max Planck näher kennen zu lernen, vor allen Dingen dadurch, dass wir seine eigenen Worte hören.

Planck hat sich bis kurz vor seinem Tode – er ist mit 89 Jahren gestorben – größten Mühen unterzogen, um Vorträge zu halten. Er wollte, dass die Menschen sein Denken kennen lernen. Er wollte, dass die Menschen etwas über die Wissenschaft erfahren. Er hat sich vor das Publikum gestellt und dabei wunderbare Texte entworfen, die sozusagen philosophierend über die neue Physik erzählen.

Leider werden diese Texte nicht gelesen. Sie werden von seinen Fach-Kollegen nicht gelesen, weil sich die mit Fachwissen beschäftigen. Sie werden von Philosophen nicht gelesen, weil Philosophen allgemeinverständliche Texte nicht lesen. Das ist sozusagen „unter ihrem Niveau“. Gerade bei Planck allerdings irren sie sich sehr.

Und sie werden vom Publikum nicht gelesen, weil sie kaum zugänglich sind oder nur in viel zu teuren Büchern.

Aber es lohnt sich, Planck kennen zu lernen. Er hat sich viele Gedanken über die Frage gemacht, wie man überhaupt Wissenschaft vermitteln kann. Er war Jahrzehnte lang der Meinung, dass Wissenschaft eigentlich überhaupt nicht populär sein kann. Denn wie soll man jemandem, der nie in einem Laboratorium gewesen ist, der sich nie die Mühe einer theoretischen Rechnung gemacht hat, erläutern, was da eigentlich passiert. Wie verzweifelt man in der wissenschaftlichen Vorgehensweise zuweilen ist.

Auch Planck glaubte nicht, dass es leicht ist, die exakte Sprache, die die Wissenschaft auszeichnet, in einer allgemein verständlichen Weise zu vermitteln. Wenn z.B. in der Physik von „Beweisen“ oder von „Nachweisen“ die Rede ist, dann sind das sehr präzis gemeinte Begriffe, die ganz bestimmte Regeln und Genauigkeiten enthalten, die natürlich im allgemeinen Sprachgebrauch verschwinden.

Was wird da nicht alles bewiesen. Auf was wird nicht alles hingewiesen. Wofür gibt es nicht alles Evidenzwerte im Allgemeinen, um uns zu verständigen. In der Wissenschaft ist das anders und deshalb ist es sehr, sehr schwierig, Wissenschaft zu vermitteln. Planck war der Meinung, dass Wissenschaft ihrem Wesen nach unpopulär ist. Aber die Wissenschaftler selbst sind natürlich nicht unpopulär. Er selbst wollte populär sein. Er wollte vor die Leute treten.

Er wollte den Menschen erklären, was er eigentlich macht, was er denkt und was dabei heraus kommt, wenn jemand wie er und seine Kollegen über Atome nachdenken. Wenn sie über Raum und Zeit nachdenken, wenn sie gewissermaßen das Weltbild entwerfen, auf dessen Basis sich dann unsere Gesellschaft weiter entwickelt und sogar auch wirtschaftliche Erfolge erzielen lassen.

Das alles ist bei Planck gegeben. Er durchlebte eine spannende Zeit der deutschen und europäischen Geschichte. Er ist einer jener Männer, die nicht nur einfach zwischen Lieben und Leiden, Triumph und Tragik, sondern überhaupt zwischen zwei Welten stehen. Er ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer 1858, geboren, durchlebt gewissermaßen die Epoche der Kaiserzeit, ist ein fest überzeugter Anhänger der preußischen Staatsidee und stirbt 1947. Also hat er nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Weltkrieg erlebt.

Am Ende der grauenhaften nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die sich zwischen diesen beiden Weltkriegen etabliert und die Weimarer Republik hinweggefegt hat, wird deutlich, welchen ungeheuren, widerspruchsvollen und katastrophenreichen Lebensweg Planck gegangen ist. Welche widerspruchsvollen Ereignisse sich im Hintergrund dieses großen Lebens abgespielt haben. Denn die entscheidende Station hat Planck genau in der Mitte seines Lebens erreicht. Im Jahr 1900, als er entdeckt, dass die herkömmliche Physik des vorangegangenen 19. Jahrhunderts, die er bewundert, wie kein anderer, eigentlich nicht hinreicht, um ein ganz einfaches Phänomen zu erklären.

Von der Beobachtung zum „Quantensprung“

Dieses einfache Phänomen besteht darin, dass man bei einem Körper, den man erhitzt, beobachten kann, wie er anfängt zu glühen und zu strahlen. Zum Beispiel, wenn Sie –viele kennen das noch aus ihrer eigenen Kindheit – einen Kohleofen haben und ein Stück Brikett.

Sie können aber auch an ein Stück Metall denken: Wenn Sie das Metall erhitzen, wird es zuerst nur warm und heiß. Dann aber fängt es an zu glühen. Zuerst glüht es rötlich, dann wird es gelblich, dann glüht es weiß und schließlich schmilzt es. Die Physik möchte erklären, wie die Wellenlänge des Lichtes, das von diesem erhitzten Körper ausgeht, mit der jeweiligen Temperatur, die dieser Körper hat, zusammenhängt.

Im 19. Jahrhundert war mit genauesten, vielfältig wiederholten Messungen festgestellt worden, dass es dafür ein allgemeines Gesetz geben musste. Die Strahlung ist unabhängig vom Material. Die Messkurve, welche die Temperatur und die Strahlung, die Lichtwellenlänge also, miteinander verbindet, ist vollkommen unabhängig davon, ob ich Eisen, Briketts oder irgendeinen anderen Körper verwende. Dahinter musste ein universales Gesetz versteckt sein.

Planck wollte dieses universale Gesetz entdecken. Er formulierte dazu im Jahre 1900 die merkwürdige Annahme, dass die Wechselwirkung zwischen dem Licht und der Materie nicht kontinuierlich stattfindet, sondern sprunghaft vor sich geht.

Das ist der berühmte „Quantensprung“: Materie, die erwärmt wird, kann Energie in Form von Licht nicht durch ein kontinuierliches Fließen abgeben, sondern nur sprunghaft.

„Quantensprung“ ist nicht „Quantensprung“

Der Begriff „Quantensprung“ wird heute inflationär benutzt. Zum Beispiel von Ökonomen, die auf irgendwelchen Aktionärsversammlungen behaupten, das Unternehmen stünde kurz vor einem „Quantensprung“. Daran sieht man wieder genau das Problem, das Planck immer angesprochen hat, dass nämlich die Wissenschaftssprache und die öffentliche Sprache eigentlich nicht zueinander finden können.

In der Wissenschaftssprache ist ein Quantensprung das Kleinste, was geschehen kann. Es bewegt sich meistens hin zu einem Grundzustand. In diesem verharrt das System für alle Zeiten fest.

Aber genau das will ja ein Unternehmen nicht. Es will einen großen Sprung nach vorne in eine aktive, dynamische Phase machen. Der „Quantensprung“ des Volkes ist also das Gegenteil des Quantensprungs von Planck.

Hier liegt das Problem, wenn man versucht, Wissenschaft zu vermitteln. Trotzdem kann man natürlich darüber nachdenken, was das menschliche Denken möglich macht. Was im menschlichen Denken sozusagen Lust auf Quantensprünge macht oder was bei Planck Unlust auf Quantensprünge macht. Er wollte diese Quantensprünge nicht. Er wollte nicht, dass die Natur sich unstetig verhält. Er hat den Vorschlag, dass der Energieaustausch zwischen der Materie und dem Licht unstetig vor sich geht, nur in einem Akt der Verzweiflung gemacht.

Allerdings war dieser Akt der Verzweiflung sehr erfolgreich. Man konnte anschließend tatsächlich erklären, was passiert. Wie das Licht zustande kommt, das durch Erwärmung der Materie induziert wird. Und man hatte insgesamt die Möglichkeit, eine ganz neue Art der Physik aufzustellen, auf die ich noch etwas näher eingehen werde.

Planck hat sich auf der einen Seite gefreut, denn was kann einen Physiker mehr erfreuen, als dass er eine erfolgreiche Theorie über die Wirklichkeit des Materiellen liefert. Es hat ihn aber auch geärgert, weil seine ursprüngliche Vorstellung einer kontinuierlichen, immer stetigen Natur damit verschwunden ist. Es war plötzlich eine Lücke da und über diese Lücke konnte man nichts wissen. Es ist eine merkwürdige Grundeinstellung, die Planck der Wissenschaft geliefert hat, ohne sie wirklich voll akzeptieren zu können. Eine ungeheuer spannende Situation, die ihn sehr beschäftigt haben muss. Trotz seiner großen Leistungsfähigkeit war er sozusagen dauernd seelisch angespannt.

Schöpfer der „theoretischen Physik“...

Dass die Physiker selbst mit dieser Entdeckung nicht so gut zu Recht gekommen sind, obwohl sie ja eigentlich die Jahrhundert-Entdeckung darstellt, sieht man daran, dass Planck den Nobelpreis für diese Entdeckung nicht sofort bekommen hat, sondern erst 18 Jahre später. D.h. man hat 18 Jahre daran gezweifelt, ob das, was Planck da entdeckt hat, tatsächlich ein Phänomen, eine Erscheinung der Natur ist. Dann hat man das erkannt und ihm den Nobelpreis für Physik gegeben. Dabei wurde er sogar als erster für ein ganz neues Fach ausgezeichnet, das man heute in allen Universitäten lehrt. Es heißt: „theoretische Physik“.

Planck ist somit nicht nur der Entdecker des Quantums, sondern Entdecker einer neuen Art von Physik, die wir heute eben „theoretische Physik“ nennen. Er hat den Weg bereitet für all die großen Leute, die nach ihm gekommen sind, wie Albert Einstein, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli, Niels Bohr.

Planck war der erste. Er hat gezeigt, dass es eine theoretische Physik geben kann. Dass man mit mathematischen Methoden und mit systematischem Nachdenken etwas über die Natur erfahren kann – natürlich in Verbindung mit dem Experiment. Auf diese Weise hat er das Allergrößte geleistet.

Bevor wir uns Plancks Reden, Plancks Denken zuwenden, noch eine kurze Zusammenfassung seines Lebens. Er wurde im Jahre 1858 in Kiel geboren. Er hat Physik studiert, vor allem in München. Er wechselte nach Berlin, wo damals die großen Professoren wie Herrmann von Helmholtz lehrten. Er hat das Studium der Physik in München abgeschlossen, musste dann aber ein paar Jahre auf seine erste Stellung warten, die ihm ausgerechnet seine Heimatstadt Kiel ermöglicht hat.

Von Kiel ging er im Jahre 1889 nach Berlin, zuerst als außerordentlicher Professor und dann, von 1892 an, als ordentlicher Professor. Damit beginnt die große Zeit von Max Planck in Berlin. Max Planck ist eigentlich derjenige, der die „Berliner Physik“ groß gemacht hat. Er steht für die Hauptstadt, obwohl ich glaube, sein Herz hat eher für München geschlagen. Aber er war nun einmal in Berlin und hat dort die große Rolle gespielt.

Er blieb bis 1945 in Berlin. Also von 1890 bis 1945, durch alle Unbilden hindurch. Im Verlauf der kriegerischen Handlungen des zweiten Weltkrieges musste er die Stadt verlassen, ging nach Göttingen. Dort hat er bis zu seinem Tode 1947 gelebt.

Planck ist, wie gesagt, einer der großen Begründer der theoretischen Physik. Um das zu werden, musste er ein paar merkwürdige Hindernisse überwinden. Zunächst einmal das Hindernis, dass er als Schüler eigentlich mehr musisch begabt war. Er konnte phantastisch Klavier spielen. Er hat sogar eine kleine Operette komponiert. Er konnte gut singen. Er hat den Studentenchor und den Schülerchor organisiert. Es stellt sich die Frage, wie kommt jemand wie er zur Physik? Das Rätsel wird größer, wenn man bedenkt, dass er auf Nachfrage bei einem berühmten Professor an der Münchner Universität die Empfehlung bekommen hat, gerade nicht Physik zu studieren. Es ist eine Geschichte, die Max Planck selbst einmal erwähnt hat. Bei einem Vortrag 1924 an der Universität München erzählte er folgende Anekdote vom Anfang seines Studiums:

„Als ich meine physikalischen Studien begann und mir bei meinem ehrwürdigen Lehrer Philipp von Jolly wegen der Bedingungen und Aussichten meines Studiums Rat einholte, schilderte mir dieser die Physik als eine hoch entwickelte, nahezu voll ausgereifte Wissenschaft, die nunmehr, nachdem ihr durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie gewissermaßen die Krone aufgesetzt sei, wohl bald ihre endgültige stabile Form angenommen haben würde. Wohl gäbe es vielleicht in dem einen oder dem anderen Winkel noch ein Stäubchen oder ein Bläschen zu prüfen und einzuordnen, aber das System als Ganzes stehe ziemlich gesichert da und die theoretische Physik nähere sich merklich demjenigen Grade der Vollendung, wie ihn etwa die Geometrie schon seit Jahrhunderten besitze.“

Eine Geschichte, über die gerne geschmunzelt und die immer wieder zitiert wird. Ich kann mir vorstellen, wäre man im Auditorium gewesen und hätte Planck dabei zugehört, dann hätte man wahrscheinlich das Blitzen und das Lächeln in seinem Gesicht gesehen. Es muss ihn gefreut haben, dass er diesen Rat seines Lehrers widerlegen konnte, wobei allerdings zwei Fragen offen sind.

Zunächst einmal: Ist der Rat des Physikers von Jolly wirklich so lächerlich? Und zweitens: Warum hat sich Planck trotzdem dagegen entschieden? Nehmen wir an, jemand von uns würde heute zu einem Professor gehen und fragen, ob sich ein Studium noch lohnt, zum Beispiel das Studium der Genetik oder der Meteorologie. Der Professor würde antworten: „Überhaupt nicht, studieren Sie lieber Klimaforschung, studieren sie lieber Ozeanographie“. Wer würde dann zweifeln? Wer würde sagen: „Der Rat des Professors ist falsch, meine Intuition ist richtig.“

Des Professors guter Rat...

Wir müssen diese beiden Aspekte wenigstens kurz betrachten. Zunächst einmal: Der Rat des Professors war gar nicht so schlecht. Es ist nämlich im 19. Jahrhundert etwas entstanden, was man heute einfach als „klassische Physik“ bezeichnet. Diese klassische Physik hat großartige Triumphe erzielt.

Es gab die Bewegungslehre von Newton, mit der man materielle Körper genau beschreiben konnte. Man konnte genau sagen, wie Kugeln zusammenstoßen. Heute können Sie mit der Newtonschen Physik genau berechnen, was passiert, wenn Sie einen Auffahrunfall mit Ihrem Auto haben oder wenn Sie mit einer Saturn-Rakete zum Mond fliegen wollen. Das macht alles die Newtonsche Physik. Das kannte man alles schon im 18. Jahrhundert und Philipp von Jolly wusste das.

Gleichzeitig kannte man auch die Bewegungsgleichung von immateriellen Dingen, also von elektrischen und magnetischen Feldern. Man wusste, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und dabei Lichtbewegungen zustande bringen können. Außerdem wurden inzwischen Maschinen besser verstanden. Man hatte den Energiesatz, mit dessen Hilfe man genau sagen konnte, welche Arbeit eine Maschine leisten kann. Man konnte also überlegen, in welche Richtung Maschinen verbessert werden konnten.

Man hatte auch die Maxwellschen Gleichungen, die die Bewegungen immaterieller Körper ausdrücken, um elektromagnetische Wellen zu produzieren. Das funktionierte. Und es war eigentlich alles klar.

Es ist daher sehr leicht nachzuvollziehen, was von Jolly sagt. Zu erwarten, dass jemand daher kommt und sagt, da ist aber eine Lücke in dem Ganzen, da ist eine Unstetigkeit, ist völlig unabsehbar. Ich denke, dass von Jolly einen guten Tipp gegeben hat. Er konnte von seiner Physik nicht mehr erwarten.

Allerdings, wir wissen ja, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allen Dingen, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Sie haben sicher alle von der Prognose des IBM-Vorsitzenden gehört, dass die Welt nicht mehr als fünf Computer brauche und Sie wissen, wie überzeugend das widerlegt worden ist. Und so hat eben von Jolly gesagt, wir brauchen keine Physik mehr, wir brauchen nur noch Details. Das wurde überzeugend auch widerlegt.

Die zweite Frage, die wir uns stellen müssen lautet deshalb: Warum ist Planck diesem Ratschlag nicht gefolgt? In der Anekdote, die Planck erzählt, weist von Jolly auf den ersten Hauptsatz der Thermodynamik hin, den ersten Hauptsatz der Wärmelehre oder den „Energiesatz“. Der „Energiesatz“ ist im frühen 19. Jahrhundert entwickelt und aufgestellt worden. Er wurde z.B. auch von Herrmann von Helmholtz in wunderbarer Weise formuliert. Spätestens 1847 weiß man: Energie kann weder erhalten noch erzeugt werden, sondern Energie bleibt konstant. Energie ist sozusagen immer prä-sent. Es gibt eine Erhaltung der Energie.

Das klingt einfach, aber wenn Sie ein wenig über den Satz nachdenken, wird es schwieriger. Zum Beispiel: Wenn Energie weder vernichtet noch erzeugt werden kann, dann muss es sie immer gegeben haben. Was war dann, als die Welt entstanden ist? Gab es die Energie schon? Ist die Welt sozusagen nur eine Form von Energie, die eine bestimmte Art des Daseins zeigt? Oder ist Energie bei der Entstehung der Welt vielleicht doch erzeugt worden?

Wenn Sie den Energiesatz nur anschauen, stellt sich sofort das Problem des Anfangs und des Endes der Welt. Damit haben Sie das Problem der „Entwicklung“.

„Energie“ und „Entropie“

Der Energiesatz sagt gar nichts über die Entwicklung. Er sagt nicht, wie Energie sich bewegt, wie z.B. Wärmeenergie zu Bewegungsenergie wird oder wie Bewegungsenergie zu Wärmeenergie wird. Eine der Fragen, die damals eine große Rolle spielten, lautete: Warum kann nicht jede Energie in jede andere überführt werden?

Wenn Sie z.B. – das war damals ein immer wieder diskutiertes Thema – eine Eisenbahn nehmen. Die Eisenbahn fährt und bremst, dadurch wird die Bewegungsenergie der Eisenbahn in Wärmeenergie der Räder übertragen. Sie kennen das auch: Wenn Sie mit dem Auto scharf bremsen, wird der Reifen etwas heißer als vorher. Sie haben also die Bewegungsenergie durch Abbremsen in Wärmeenergie der Räder übertragen.

Jetzt versuchen Sie doch einmal, die Wärmeenergie der Räder wieder in die Bewegung zu übertragen. Das geht nicht. Und Sie können sich die Frage stellen, warum das nur in die eine, aber nicht in die andere Richtung geht. Was ist die „Richtung“ der Prozesse? Und für diese Richtung der Prozesse, also eigentlich für die Dynamik der Welt, gab es damals auch schon einen ersten Hinweis, einen sogenannten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik war etwa um 1870/1880 formuliert worden. Er konzentrierte sich nicht auf die Energie eines Systems, sondern auf die Art, wie die Energie in der Lage ist, Arbeit zu verrichten. Man konnte zeigen, dass nicht alle Energie, die in einem Körper steckt, in Arbeit umgewandelt werden kann. Maschinen zum Beispiel können nur bis zu einem gewissen Grad das tun, was man von ihnen erwartet, also Lasten transportieren oder Bewegungsabläufe vollziehen oder einfach Energie liefern.

Die Frage ist folglich: Was unterscheidet Energie, die man in Arbeit umwandeln kann, von Energie, die man nicht in Arbeit umwandeln kann? Man nannte die Energie, die man umwandeln kann, „freie Energie“. Die Differenz zwischen der Energie und der freien Energie wurde durch eine Größe beschrieben, für die der Physiker Rudolf Clausius ein Kunstwort entwickelte. Clausius suchte ein Wort, das so ähnlich klingt wie „Energie“, das auch griechisch sein sollte und er schlug dafür den Begriff der „Entropie“ vor.

Entropie ist eine der rätselhaftesten Größen, die es gibt. Entropie war damals ganz neu. Sie hat etwas mit der Unordnung eines Systems zu tun, mit dem Vorrat an Unregelmäßigkeiten, der in einem System steckt. Planck hat erkannt, dass da ein großes Problem besteht.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt nämlich, dass die Entropie eines Systems – also sozusagen seine Unordnung – nur zunehmen kann, wenn nicht besondere Eigenschaften angewendet werden.

Sie kennen das alle von Ihrem Schreibtisch oder von einem Kinderzimmer. Sie können aufräumen, so oft Sie wollen, sobald darin gespielt wird, sobald darin gelebt wird, sobald darin etwas getan wird, wächst die Unordnung. Sie müssen sich ganz gezielt vornehmen, Ordnung zu schaffen, sonst klappt das nicht. Spontan nimmt nur die Unordnung zu.

Planck wollte wissen, wieso das der Fall ist. Was ist das Besondere, das diese Richtung der physikalischen Bewegung angibt? Er versuchte zu unterscheiden zwischen Prozessen, die umkehrbar ablaufen können – das sind sogenannte „reversible“ Prozesse – und Prozessen, die nicht umkehrbar ablaufen können – „irreversible“ Prozesse. Zu diesen Prozessen gehört zum Beispiel das Leben. Wenn Sie jetzt also wissen wollen, was die Physik mit dem Leben zu tun hat, müssen Sie nicht den ersten, sondern den zweiten Hauptsatz der Energie betrachten.

Planck war von diesem Phänomen, in dem Zeitlichkeit enthalten ist, fasziniert. Denn der zweite Hauptsatz besagt, dass Zeit nur in eine Richtung laufen kann. Nämlich so, dass die Entropie eines Systems, was immer das jetzt ist, zunimmt. Das war geheimnisvoll. Und was geheimnisvoll ist, muss faszinieren. Ich denke, Planck war von diesem Ausdruck, von diesem fantastischen Geheimnis, das in dem zweiten Hauptsatz steckt, fasziniert, Und es faszinierte ihn auch, dass es nicht kompliziert auszudrücken war. Auch der Energiesatz, der erste Hauptsatz der Thermodynamik, ist einfach zu beschreiben. Sie sagen einfach:

„Die Energie der Welt ist konstant und die Entropie der Welt nimmt zu, bis sie ein Maximum erreicht hat“.

„Heilige Grundsätze“ der Wissenschaft

Das waren ganz knappe Formulierungen, in denen sozusagen die Details der Welt gar nicht vorkommen. Da kommt kein Ball, kein Haus drin vor. Da kommt keine Wärmeleitung, keine Badewanne vor. Das gilt ganz allgemein. Das war für Planck etwas, was ihn immer gelockt hat. Dass ein grundlegendes Verständnis der Natur durch ein einfaches Prinzip, eine ganzheitliche, übersichtliche Darstellung ausgedrückt werden kann. Er sprach dann von „heiligen Grundsätzen“ der Wissenschaft.

Da taucht bei ihm das Wort „heilig“ auf. Der Energiesatz war ein heiliges Prinzip. Der zweite Hauptsatz war ein heiliger Grundsatz, an dem man operieren musste. Wenn man es so betrachtet, hat Planck Naturwissenschaft eigentlich als Religion betrieben. Nicht im Sinne eines „Ersatzes“, dass er, statt sich um Gott zu kümmern, um seine wissenschaftliche Wahrheit bemüht ist. Da ist gewissermaßen die Sehnsucht nach etwas Höherem, die Sehnsucht nach einem alles regierenden Prinzip, das ich versuchen möchte, zu formulieren. Er hat, glaube ich, Naturwissenschaft als Religion betrieben, so wie die großen Wissenschaftler vor ihm.

Keppler hat im 17. Jahrhundert ganz klar seine Astronomie als Gottesdienst empfunden. Sie müssen das wörtlich nehmen: Es ist ein Dienst an Gott, indem ich die Werke Gottes in seinen präzisen Planetenbahnen oder in den Gesetzen, die es gibt, zu erkennen versuche. Jetzt war Planck an einer ähnlichen Stelle. Er wollte die Naturwissenschaft als Erlebnis haben. „Erlebnis“ heißt, dass ich dabei ein Bewusstsein für eine höhere Macht bekomme. Nicht nur einfach eine Formel, die mir irgendein Experiment erklärt, sondern dass ich auch das Gefühl habe, ich gehöre durch diese Erkenntnis zu der Welt, die ich gerade erkannt habe.

Es gibt bei Planck ein merkwürdiges, wunderbares, übereinstimmendes Wechselspiel zwischen einem religiösen Gefühl und dem wissenschaftlichen Streben. Er hat sich viele Gedanken darüber gemacht. Die schönste Passage findet man bei ihm in einem Vortrag, den er 1937, also im hohen Alter schon, im Baltikum gehalten hat. Der Titel: „Religionen und Naturwissenschaften“. Da stellt sich die Frage, wie die beiden etwas über die Existenz von Dingen sagen können, die außerhalb von uns sind, zu denen wir Zugang haben möchten, durch Denken, durch Erfahrung und durch Erleben. Seine große Idee ist, dass die traditionelle Annahme, Religion und Naturwissenschaften verhielten sich gegenläufig, widersprächen sich, unsinnig ist. Sie ergänzen sich. Sie machen eigentlich dasselbe.

Und er hat das wunderbar beschrieben:

„Religionen und Naturwissenschaften“

„Nachdem wir nun die Forderungen kennen gelernt haben, welche einerseits die Religion, andererseits die Naturwissenschaft an unsere Einstellung zu den höchsten Fragen weltanschaulicher Betrachtung knüpft, wollen wir jetzt prüfen, ob und wie weit diese beiden Arten von Forderungen miteinander in Einklang zu bringen sind.

Zunächst ist selbstverständlich, dass diese Prüfung sich nur auf solche Gebiete beziehen kann, in denen Religion und Naturwissenschaft zusammenstoßen. Denn es gibt weite Bereiche, in denen sie gar nichts miteinander zu tun haben. So sind alle Fragen der Ethik der Naturwissenschaft fremd, ebenso wie andererseits die Größe der universellen Naturkonstanten für die Religion ohne jede Bedeutung ist. Dagegen begegnen sich Religion und Naturwissenschaft in der Frage nach der Existenz und nach dem Wesen einer höchsten, über die Welt regierenden Macht. Und hier werden die Antworten, die sie beide darauf geben, wenigstens bis zu einem gewissen Grade miteinander vergleichbar. Sie sind keineswegs im Widerspruch miteinander, sondern sie lauten übereinstimmend dahin, dass erstens eine von den Menschen unabhängige vernünftige Weltordnung existiert, und dass zweitens das Wesen dieser Weltordnung niemals direkt erkennbar ist, sondern nur indirekt erfasst bzw. geahnt werden kann.

Die Religion benutzt hierfür ihre eigentümlichen Symbole. Die exakte Naturwissenschaft ihre auf Sinnesempfindungen begründeten Messungen. Nichts hindert uns also – und unser nach einer einheitlichen Weltanschauung verlangender Erkenntnistrieb fordert es – die beiden überall wirksamen und doch geheimnisvollen Mächte, die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der Religion, miteinander zu identifizieren. Danach ist die Gottheit, die der religiö-se Mensch mit seinen anschaulichen Symbolen sich nahe zu bringen sucht, wesensgleich mit der naturgesetzlichen Macht, von der dem forschenden Menschen die Sinnesempfindungen bis zu einem gewissen Grade Kunde geben.

Bei dieser Übereinstimmung ist aber doch auch ein grundsätzlicher Unterschied zu beachten. Für den religiösen Menschen ist Gott unmittelbar und primär gegeben. Aus ihm, aus seinem allmächtigen Willen, quellen alles Leben und alles Geschehen in der körperlichen wie in der geistigen Welt. Wenn er auch nicht mit dem Verstand erkennbar ist, so wird er doch durch die religiösen Symbole in der Anschauung unmittelbar erfasst und legt seine heilige Botschaft in die Seelen derer, die sich ihm gläubig anvertrauen. Im Gegensatz dazu ist für den Naturforscher das einzig primär Gegebene der Inhalt seiner Sinneswahrnehmungen und der daraus abgeleiteten Messungen. Von da aus sucht er sich auf dem Weg der induktiven Forschung, Gott und seiner Weltordnung als dem höchsten, ewig unerreichbaren Ziel nach Möglichkeit anzunähern.

Wenn also beide, Religion und Naturwissenschaft, zu ihrer Betätigung des Glaubens an Gott bedürfen, so steht Gott für die eine am Anfang, für die andere am Ende alles Denkens. Der einen bedeutet er das Fundament, der anderen die Krone des Aufbaues jeglicher weltanschaulicher Betrachtung. Diese Verschiedenheit entspricht der verschiedenen Rolle, welche Religion und Naturwissenschaft im menschlichen Leben spielen. Die Naturwissenschaft braucht der Mensch zum Erkennen, die Religion aber braucht er zum Handeln. Für das Erkennen bilden den einzigen festen Ausgangspunkt die Wahrnehmungen unserer Sinne. Die Voraussetzung einer gesetzlichen Weltordnung dient hier nur als die Vorbedingung zur Formulierung fruchtbarer Fragestellungen. Für das Handeln ist aber dieser Weg nicht gangbar, weil wir mit unseren Willensentscheidungen nicht warten können, bis die Erkenntnis vollständig oder bis wir allwis-send geworden sind. Denn wir stehen mitten im Leben und müssen in dessen mannigfachen Anforderungen und Nöten oft sofortige Entschlüsse fassen oder Gesinnungen betätigen, zu deren richtiger Ausgestaltung uns keine langwierige Überlegung verhilft, sondern nur die bestimmte und klare Weisung, die wir aus der unmittelbaren Verbindung mit Gott gewinnen.