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Prof. Dr. phil. Josef Schmidt SJ

RELIGIONSPHILOSOPHIE

GOTT ALS THEMA DER PHILOSOPHIE

GRUND DER WELT UND LETZTE WAHRHEIT

HÖCHSTES GUT UND ABSOLUTE VERBINDLICHKEIT

PERSONALITÄT UND IHR TIEFERER GRUND

DAS JENSEITIGE IST DIESSEITIG, DAS TRANSZENDENTE IMMANENT

GLAUBE AN GOTT – EIN LETZTES VERTRAUEN TROTZ BOSHEIT UND LEID

Bei den sechs Kapiteln dieses Bandes handelt es sich um Mitschriften von sechs Vorlesungen, die mündlich vorgetragen und für diesen Band nicht noch einmal eigens überarbeitet worden sind. Entsprechend sollen und können die Kapitel nicht die Standards erfüllen, die an wissenschaftliche Veröffentlichungen zu stellen sind.

Inhaltsverzeichnis

GOTT ALS THEMA DER PHILOSOPHIE

Transzendenz

Die griechische Antike

Die Bibel

Einheit von Philosophie und Religion

Deismus

Hegel

Das Stockwerk-Denken

GRUND DER WELT UND LETZTE WAHRHEIT

Der letzte Ursprung

Platon und Aristoteles

Kosmologischer Gottesbeweis

Das Regress-Argument

Die Lehre von der Freiheit

Augustinus

Die höchste Wahrheit

HÖCHSTES GUT UND ABSOLUTE VERBINDLICHKEIT

Sophisten

Das wahrhafte Gute

Die umfassende Ordnung des Guten

Das Gewissen

Das Sollen

Wertschätzung

PERSONALITÄT UND IHR TIEFERER GRUND

Person

Das christliche Gottesverständnis

Die Dreifaltigkeitslehre

Richard von St. Viktor

Neuzeitlicher Personenbegriff

DAS JENSEITIGE IST DIESSEITIG, DAS TRANSZENDENTE IMMANENT

Der Unendlichkeitsmonismus

Der Endlichkeitsmonismus

Der Dualismus

Der Pantheismus

Die Schöpfungslehre

GLAUBE AN GOTT – EIN LETZTES VERTRAUEN TROTZ BOSHEIT UND LEID

Theodizee

Stoiker

Epikureer

Manichäer

Boethius

Leibniz

Kant

Schopenhauer und Nietzsche

Macht und Gutheit

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GOTT ALS THEMA DER PHILOSOPHIE

1

Das Wort „Gott“ stammt aus dem religiösen Glauben und hat von dort seinen Inhalt. Die Religion gab zunächst in ihren Mythologien Antwort auf die Fragen: Woher kommen wir? Wie ist die Welt zu erklären? Im alten Griechenland begann man nach dem allgemeinen Ursprung (der „Arché“) in Begriffen zu fragen, die man aus der Anschauung der Natur oder des Denkens entnahm. Dies verband sich mit einer Religionskritik, die den Sinn hatte, über Gott oder das Göttliche Vernünftiges zu sagen. Grundlage für ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Religion und Philosophie.

Wir wollen uns in dieser Vorlesungsreihe mit dem Thema Gott beschäftigen, das allerdings in philosophischer Hinsicht. Oder anders gesagt: Unter dem Blickwinkel der Philosophie wollen wir uns mit dem Thema beschäftigen, das mit dem Begriff Gott gegeben ist.

Gott ist allerdings kein Begriff aus der Philosophie. Er stammt aus dem Bereich der Religion. Haben beide Bereiche miteinander zu tun? Das ist die Frage derjenigen Disziplin, die ich Ihnen jetzt vorstellen werde, und der die folgenden Vorlesungen gewidmet sind, nämlich die philosophische Theologie.

Es gibt einen klassischen Text, in dem die Zuordnung dieser beiden Bereiche deutlich wird. Es sind die „Gottesbeweise“ des Thomas von Aquin. Dort wird philosophisch von Gründen, von Notwendigkeit, von Möglichkeit, von Aktualität, Potentialität gesprochen. Am Ende der Argumentationen stehen Begriffe wie der einer ersten Ursache oder eines höchsten Notwendigen, des unbewegt Bewegenden. Dann heißt es bei Thomas: “das nennen alle Gott”.

Ein religiös Gläubiger würde seinen Glauben nicht mit diesen Begriffen zum Ausdruck bringen. Was meint aber Thomas? Er meint, dass der Begriff Gott einen Inhalt hat, über den man rational nachdenken kann, und das mit bestimmten Ergebnissen. Es sind die Ergebnisse, die für die Philosophie interessant sind oder die direkt aus der Philosophie kommen. Der Begriff Gott muss in gewisser Weise nach dem Maßstab dieser Begriffe gedacht werden. Über Gott kann man dann noch sehr viel mehr sagen als es die Philosophie in diesen Begriffen tut.

Man wird aber nicht über Gott reden können, ohne dass der von der Philosophie dargelegte Inhalt Maßstab ist für ein korrektes Reden von Gott. Andernfalls würde man, so würde Thomas sagen, einen Gott verehren, der im Grunde ein Götze ist.

Wir haben also zwei Bereiche vor uns, die einander zugeordnet sind: Einerseits Philosophie, Rationalität, Vernunft, und andererseits Religion und religiöser Glaube.

Transzendenz

Mit der Religion beschäftigen sich sehr viele Disziplinen. Es gibt auch verschiedene Definitionen von Religion. Zu allererst müssen wir uns einen vorläufigen Begriff von Religion machen, um zu sehen, womit wir es zu tun haben. Religion hat es offenbar mit einem Bereich zu tun, der über unsere sinnliche, erfahrbare Welt hinausgeht. Man nennt dieses Darüber hinaus Transzendenz. Es ist ein Bereich, der über die sinnliche Erfahrung hinausgeht und der uns aber zugleich angeht, über den wir nicht einfach so hie und da mal spekulieren. Dieser Bereich betrifft uns, er geht uns persönlich an.

Die Vorstellung von diesem Bereich, der über das Sinnliche, Erfahrbare hinausreicht, wurde in den einzelnen Religionen verschieden gefüllt, z.B mit Göttergeschichten. Aber auch mit begrifflichen Aussagen über das Göttliche. Es war jedoch auch immer das Bewusstsein vorhanden, dass dieser Bereich anders ist, dass man über ihn eigentlich nicht so klar reden kann. Das führte dann dazu, dass in den Religionen auch immer ein Bewusstsein davon vorhanden war, dass Gott eigentlich nicht so ist wie unsere Vorstellungen es uns sagen.

In manchen Religionen ist die Unterscheidung sogar ganz radikal betont worden, etwa im Buddhismus, wo dieses Höchste, also das die Welt Überschreitende, Nichts genannt wird. Es ist dies nicht einfach nihilistisches Nichts, sondern es ist das Nichts in dem Sinne, dass das Gemeinte sich vollkommen unterscheidet von dem, was wir in unserer Erfahrung haben. Und eben dieses “ganz Andere” geht uns an. Mit dem haben wir zu tun.

Die Religion stellt sich dann konkret so dar, dass über diesen jenseitigen Bereich irgendwelche Aussagen gemacht werden, Aussagen, die durch Autoritäten vermittelt sind, etwa durch Religionsstifter. Durch sie wird eine neue Tradition gestiftet, und innerhalb einer solchen Tradition bewegen sich dann die gläubigen Menschen und nehmen die Aussagen, die diese Tradition vermittelt, an. Ein philosophisches Nachdenken bezieht sich auf diese Inhalte und versucht sie in einer bestimmten Weise zu begreifen.

Wenn man aber zu “begreifen” beginnt, dann hat dies eine ganz eigene Dynamik. Die Philosophie versucht nämlich auch selbst, die Welt und die Wirklichkeit zu begreifen, die über unsere erfahrbare Welt in gewisser Weise hinausgeht, über die bestimmten, eingeschränkten Bereiche nämlich, in denen wir uns normalerweise bewegen, auf die wir schauen, die wir erforschen.

In der Philosophie ist es der Blick auf das Ganze, auf das Ganze unserer Wirklichkeit. Man könnte einwenden: Wir haben das Ganze doch niemals vor uns. Was soll also dieser Ausgriff auf das Ganze?

Dies ist eine philosophische Frage, die die Philosophie auch philosophisch beantwortet. Sie argumentiert: Wenn wir sagen, wir sind doch immer eingeschränkt auf bestimmte Bereiche, die wir nicht überschreiten können, dann haben wir ein Bewusstsein der Grenze. Und wenn wir ein Bewusstsein der Grenze haben, haben wir auch ein Bewusstsein von dem, was diese Grenze überschreitet. Das gilt prinzipiell. Wir sind also prinzipiell über alle Grenzen, die wir irgendwie denken oder erfahren können in unserem Denken hinaus. Auf was hin?

Auf das Ganze überhaupt, auf das, was diese Wirklichkeit konstituiert in ihren grundlegenden Strukturen. Und das genau ist Philosophie: Der Blick auf das Ganze, auf die ganze Wirklichkeit. Die Philosophie versucht herauszuheben, was die Wirklichkeit innerlich trägt, sozusagen ihre allgemeinsten und grundlegenden Strukturen.

Man kann das mit dem berühmten Wort aus Goethes Faust der sagt, ihm gehe es darum, “dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält” ausdrücken. Dieses Bemühen trifft auf das Thema Gott, auf das Thema der Religion. Ich möchte Ihnen zeigen, wie sich dieses Verhältnis, die Zuordnung und auch in gewisser Weise die Einheit dieser beiden Bereiche ergeben hat. Es sind dies die Anfänge der Philosophie, genauer gesagt: die Anfänge der abendländischen Philosophie bei den Griechen.

Die griechische Antike

In der griechischen Antike erwuchs das philosophische Nachdenken in einer Reflexion über die Religion. Es war in einer Art von Reflexion, die auf das Philosophische hinweist. Das zeigte sich in der Weise, dass man sich sagte: Die verschiedenen Göttergeschichten, die der eine Ort so, der andere Ort anders erzählt, das eine griechische Volk so, das andere anders, diese verschiedenen Kulttraditionen, was haben sie und ihre Götter miteinander zu tun? Offenbar ist es doch ein göttlicher Bereich, der irgendwie zusammengehört. Homer in seinen bekannten Epen – dier Ilias und der Odyssee – zeigt uns eine Götterwelt, eine sehr bunte Götterwelt. Diese verschiedenen Götter, die natürlich aus verschiedenen Traditionen stammen, sollen aber vereint sein in einer Familie am Olymp. Der Göttervater ist Zeus. Dies ist ein Versuch, die Göttervielfalt irgendwie zu ordnen.

Ein anderer großer Dichter, etwas später als Homer, Hesiod, erzählt in seiner Theogonie die Göttergeschichte als einen Entstehungszusammenhang. Auch dies ist ein Versuch, Einheit in die Göttervielfalt zu bringen. Hesiod spricht von einem Anfang, der in der Leere besteht, dem Chaos. Das kommt von “chaskein”, Gähnen. Es ist der gähnende Abgrund, gleichsam das „Nichts“, aber irgendwie ein schöpferisches „Nichts“, aus dem dann die verschiedenen Götter entstehen.

Zunächst entstehen aus dem Chaos Eros, die Liebe, aber auch „Nacht“ und „Licht“, also die Unterschiede und deren Zusammenhang und dann – zunächst einmal – das, worauf wir stehen, Gaia – die Erde. Gaia gebiert aus sich heraus ihren großen Gegensatz, den Himmel – Uranos –, und aus der Ehe mit ihm, also der Vereinigung von Erde und Himmel, entstehen dann die anderen Götter und Göttergenerationen. Zunächst die des Kronos und schließlich die des Zeus, der dann am Olymp die Götterfamilie begründet.

Wir sehen also, dass in der Religion eine bestimmte Reflexion auf den großen Zusammenhang beginnt, auf allgemeine Entstehung. Das sind die Anfänge philosophischer Reflexion.

Dann beginnen die Griechen zu fragen, wie sich denn über einen allgemeinen Ursprung, über einen Ursprung, der alles umfasst, den auch die Religion und die Göttergeschichten zum Thema haben, sprechen lässt. Und das so, dass wir nicht mehr mittels bestimmter Göttergeschichten darüber sprechen, sondern so, dass alle es verstehen können, alle, auch andere Völker.

Die Griechen hatten ja durch ihre Kolonien Kontakt mit verschiedenen anderen Völkern. Sie waren schon ganz interkulturell ausgerichtet. Und deswegen entsteht nicht im Kern Griechenlands, sondern in den Außenbereichen, dort, wo man den anderen Kulturen begegnet, in Kleinasien, an dessen Westküste, und in Unteritalien, ein neues Fragen nach dem Allgemeinen und dem allgemeinen Ursprung. Alle sollten es verstehen können. Und wie können es alle verstehen?

In Begriffen, die alle kennen. Das sind zunächst Begriffe, die aus der Anschauung genommen werden. So wird die Frage nach dem Ursprung zunächst ganz abstrakt gestellt, einfach die Frage nach dem allgemeinen Ursprung. Das Wort dafür ist im Griechischen “arché”. Die Antworten werden gegeben mit dem, was in gewisser Weise jeder begreifen kann und jeder sehen kann. Da sagt Thales: Es ist das Wasser, aus dem alles Leben kommt. Wo Wasser ist, da ist Leben. In der Wüste ist nichts davon, weil da kein Wasser ist.

Ein anderer sagt: Der Ursprung ist das, was wir „Atem“ nennen, also die Luft, das, was Leben spendet. Alles kommt also aus dem Atem oder aus der Luft.

Wieder ein anderer sagt: Die Ursprungskraft ist das Feuer. Das ist die arché, aus der sich dann alles differenziert. Wenn man das Erste noch dazu nimmt, aus dem nach Hesiod alles hervorgegangen ist, Gaia, die Erde, dann haben wir die vier klassischen Elemente, also Luft und Wasser, Feuer und Erde, die bis ins 19. Jahrhundert als Grundelemente des raumzeitlichen Kosmos galten.

So sprachen die Griechen über den allgemeinen Ursprung. Aber wenn die Vernunft und die Reflexion einmal begonnen haben, dann hört das nicht irgendwo auf. Ein Philosoph, Anaximander, sagte: Diese Begriffe, in denen die arché bisher gedacht wurde, sind noch zu anschaulich. Ein Bereich steht neben dem anderen. Wasser ist nicht Erde usw. Das Allgemeine, das Erste, muss anders zum Ausdruck gebracht werden. Er hat den Begriff Apeiron dafür. Es ist die Verneinung von Peras, die Grenze, meint also einfach das Unbegrenzte. Die arché ist also das Unbegrenzte.

Und ein anderer Philosoph, in Unteritalien, Xenophanes, knüpft an diese Reflexion über das „Eine“, aus dem alles stammt an. Er sagt, von daher ist auch die Religion zu betrachten. Diese ist so auf einen vernünftigen Gehalt zu bringen. Denn was ist denn eigentlich das Göttliche? Da spricht man von diesen vielen Göttern und erzählt irgendwelche Geschichten. Aber das sind doch nur unsere Vorstellungen, unsere Projektionen. Das kritische Nachdenken darüber führt zu dem, was der eigentliche Gehalt des Göttlichen ist. So ergibt sich bei Xenophanes eine Sicht der Religion, die einerseits kritisch ist, sehr kritisch sogar, und andererseits eine Erneuerung der Religion durch Vernunft und durch Philosophie darstellt.

Ich kann Ihnen Zitate vorlesen, die ganz amüsant sind. Xenophanes sagt: “Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz. Die Traker blauäugig und blond”. Die einen sagen das über die Götter, andere sagen wieder etwas anderes. Und dann gibt es den bissig ironischen Satz von ihm: “Wenn die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und Bildwerke schaffen könnten wie Menschen, würden die Pferde die Götter in der Gestalt von Pferden abbilden. Die Rinder in der von Rindern. Und sie würden solche Statuen meißeln, ihrer eigenen Körpergestalt entsprechend”.

Das heißt, die Religion besteht weitgehend aus Projektionen. Nun, wir kennen diesen Begriff aus der Neuzeit. Nach Feuerbach ist die ganze Religion eine große Projektion. Aber bei Xenophanes ist das anders. Er entlarvt religiöse Vorstellungen als Projektionen, aber mit dem Ziel, die Religion selbst zu erneuern, zu vertiefen, und zu einem Gottesbegriff zu kommen, der der Vernunft Stand hält, dem alle zustimmen können, aus welcher Kultur sie auch kommen. Eben diese Allgemeinheit der Verständigung über das Umfassendste und Grundlegendste, das ist „Vernunft“. Somit ist in einer Reflexion über die Religion, über den religiösen Gehalt, das entstanden, was man im Abendland „Vernunft“ nennt. Xenophanes kommt auf diesem Wege schließlich sogar zu einem Gottesbegriff, der ein sehr erhabener ist und der sich an den Monotheismus annähert, wenn er sagt: “Ein einziger Gott ist unter Göttern und Menschen der größte, weder dem Körper noch der Einsicht nach den sterblichen Menschen gleich. Als Ganzer sieht er, als Ganzer versteht er”. Hier taucht der Begriff Noein, “Verstehen” auf., durch den der Gott gekennzeichnet wird.

Dann heißt es noch: “Immer verbleibt er am selben Ort, ohne irgendwelche Bewegung, denn es geziemt sich für ihn nicht, bald hierhin, bald dorthin zu gehen, um seine Ziele zu erreichen”.

Die Göttergeschichten erzählen nämlich, dass z.B. Zeus mal dahin und dorthin geht und die Opfer entgegennimmt. Das ziemt sich nicht für einen Gott. Gott muss also vernünftig gedacht werden, wie es einem Vernunftbegriff von ihm entspricht.

Die Bibel

Wir machen nun einen großen Sprung. Zur gleichen Zeit, in einem ganz anderen kulturellen Bereich, entsteht eine Reflexion über den eigenen Glauben, die im Ergebnis dem, was wir bisher sahen, ganz ähnlich ist. Es ist Palästina, und es sind die Texte der Bibel, mit denen wir es zu tun haben. In den ältesten Texten der Heiligen Schrift wird von Jahwe, von Gott noch in der Weise geredet, dass er zwar für das Volk der Einzige ist und nur er verehrt werden soll. Dabei wird aber nicht ausgeschlossen, dass es bei den anderen Völkern andere Götter gibt, die auch ihre Gültigkeit haben. Andere Menschen haben andere Götter. Wir, so sagt das Volk Israel, haben nur einen Gott. Wir verehren auch keine anderen Götter, nur ihn, Jahwe.

Die weitere Reflexion ist nun die: Wenn Jahwe wirklich der Gott ist, der für uns der Einzige ist, der unser ganzes Leben bestimmt, auch unsere ganzen Erfahrungen und alles sonst, dann kann er selbst nicht eine Größe sein, die nur eine Größe unter anderen ist. Denn das hieße, dass dieser Gott eingeordnet wäre in einen höheren Bezugsrahmen, und dieser Bezugsrahmen würde über ihn hinaus weisen. Das heißt, wenn wir an Gott glauben als den für uns entscheidenden und einzigen, dann muss er derjenige sein, der die Grundlage von allem ist, der über allem steht und damit auch über den anderen Göttern, von denen wir wissen. Er ist also im Grunde der einzige und der wahre Gott. Es kann eigentlich gar keinen anderen Gott geben als den einzigen und einen, und an den glauben wir.

Diese Reflexionen, die ich gerade zusammengefasst habe, entstehen in einem längeren Prozess, nämlich in dem Prozess von geschichtlichen Erfahrungen. David hatte das Königtum etabliert und man sagte: In ihm hat sich die Verheißung Gottes an uns erfüllt. Gott hat uns das Land gegeben und Könige. Dann aber bricht alles zusammen. Die Babylonier zerstören Jerusalem, das Volk wird deportiert, ins Exil gebracht.

Dort im Exil in Babylon sieht man die großen Tempel, die Statuen der Götter, und man fragt sich: Haben sich nicht diese Götter als mächtiger erwiesen als unser Jahwe? Sind sie nicht die wahren Götter?

Die theologische Reflexion ist nun folgende: Wenn wir an unseren Gott wirklich glauben, dann kann er nur derjenige sein, der die letzte Wirklichkeit ist. Mit diesem Gedanken ist man im Glauben zur letzten Wirklichkeit durchgedrungen, zu einer letzten Macht, die alles trägt. Wenn man mit der verbunden ist, dann sind alle Götter der Umgebung etwas Nachgeordnetes, nachgeordnete Mächte. Das Volk kann nun sagen: In unserer Situation, wo uns kein Staat mehr sichert, geht es darum, zu erfassen, worauf wir letztlich vertrauen können. Dieses Vertrauen, dieses letztliche Vertrauen, kann sich nur richten auf das, was letztlich vertrauenswürdig ist. Unser Gott sagt uns, dass es etwas gibt, auf das wir letztlich vertrauen können, und das ist er selbst. Die letzte Vertrauensbasis macht unseren Gottesbegriff aus. Dieser Gottesbegriff ist allen anderen Gottesbegriffen, wo Gott nur eine regionale Macht ist und neben anderen Göttern steht, überlegen. Voll Einsicht kommen dann die großen Worte aus dem späteren Jesaja-Buch (das ist das Jesaja-Buch, das erst im Exil entstanden ist). Es heißt da: “So spricht der Herr: Ich bin der Erste, ich bin der Letzte. Außer mir gibt es keinen Gott. Erschreckt nicht und fürchtet Euch nicht. Gibt es einen Gott außer mir? Es gibt keinen Fels außer mir”.

Das heißt: Fürchtet euch nicht, ihr steht auf einem letzten Grund, und dieser letzte Grund ist der eine wahre Gott. Von diesem Gottesbegriff her ergibt sich eine Religionskritik, die ähnlich ist wie die Religionskritik, die wir bei Xenophanes kennengelernt haben. Sie beginnt im Jesaja-Buch und findet sich dann auch in späteren Schriften des Alten Testaments, auch in den Schriften, die griechisch geschrieben sind und die aus einem hellenistischen Kulturkreis kommen, ein Bereich, in dem auch die griechische Philosophie bekannt war. Nun verbindet sich die Religionskritik, die aus dem Glauben an den einen wahren Gott kommt, mit einer Religionskritik, die aus dem griechischen Kulturbereich kommt.

Parmenidesarché