image

1. Auflage, April 2017

© egoth Verlag GmbH

Lektorat: Lisa Krenmayr

Coverbild: Gregor Hartl Fotografie

Grafische Gestaltung und Satz: Clemens Toscani/Studio.Toscani.at

Gesamtherstellung: egoth Verlag GmbH

Pamela Fuchs

TODES

Gefährliche Begegnungen auf der Suche
nach der großen Liebe

DOMINA

INHALT

Einleitung

Vor Gericht, oder:
Wo bin ich hier?!

Erzogen und missbraucht

Meine Sklaven und ich

Spuren auf meiner Haut

Bilder auf meiner Haut

Am Tatort, oder:
Was ist passiert?!

Freundin und Nutte

Ein Hurenleben

Vor Gericht, oder:
Alles noch mal gut gegangen!?

Epilog

EINLEITUNG

image

Über mich und mein Leben zu erzählen, fällt mir nicht immer leicht. Dabei ist es nicht Scheu oder die Angst, dass ich ausgelacht werden und als blond und blöd verschrien sein könnte. Glauben Sie mir, das Leben hat mich in den ersten 30 Jahren meines Daseins schon oft und lange genug auf die Probe gestellt. Zerbrochen bin ich nicht, ganz im Gegenteil. Ich spreche als junge, selbstbewusste Frau zu Ihnen, die weiß, was sie kann, die auch weiß, wo ihre Grenzen liegen.

Allerdings ist es nicht so einfach, über schlimme Dinge zu reden. Jeder erzählt lieber von einer sorgenfreien, glücklichen Kindheit mit einem fürsorglichen Vater und einer aufmerksamen Mutter, spricht lieber von den Abenteuern mit Freundinnen und Freunden, die – von ein paar blauen Flecken, die man sich im Wasser oder am Berg geholt hat abgesehen – gut ausgingen und schwärmt von der großen, wahren und dauerhaften Liebe. Nichts von alledem kann ich bieten. Dennoch habe ich mich entschieden, ein Buch zu schreiben. Ein Buch, das so nah wie möglich an die Wahrheit meines Lebens herankommt: nichts auslässt, nichts verschweigt, nichts beschönigt. Und versucht, zu erklären, wie und warum gewisse Situationen und Umstände passieren und eintreten.

Jede von uns ist ein Kind ihrer Erziehung, ihres Umfeldes, und auch ihrer Freunde. Es heißt, dass die fünf dir am nächsten stehenden Personen dich und dein Handeln prägen. Sind diese optimistisch und aktiv, wirst auch du es sein. Sind sie pessimistisch oder gleichgültig, wird dies auch auf dich abfärben. Sind sie leicht oder schwer kriminell, stehst auch du mit einem Fuß vor dem Richter und im Gefängnis. Es liegt an uns, mit welchen Menschen wir uns abgeben und von welchen wir uns im positiven wie auch negativen Sinne beeinflussen lassen.

Am Ende des Tages können äußere Umstände indessen nicht als Entschuldigung „für alles“ verwendet werden. Man kann, ja: darf die eigene Verantwortung nicht hintanstellen und sagen: Mein Leben wäre ja ganz anders verlaufen, wenn ich nicht da oder dort aufgewachsen wäre und wenn mir nicht diese oder jener über den Weg gelaufen wäre und mich in ihren/ seinen Bann gezogen hätte. Nein. Für die eigenen Entscheidungen ist jede und jeder selbst verantwortlich.

Deswegen werfe ich mir selbst zuweilen Naivität und Dummheit vor, wenn ich den Blick zurück richte. Und Schuldgefühle begleiten mich auch. Was soll ich machen? In der Vergangenheit verharren, mich unsichtbar machen und hoffen, dass die nächsten 30, 40 oder 50 Jahre meines Lebens schnell und schmerzlos vorübergehen? Hinnehmen, dass ich nichts anderes als eine wehr- und willenlose Sklavin meines Schicksals bin, gegen das sich aufzubäumen Unsinn ist? Nun denn – ich denke, es ist besser, mich meiner Geschichte zu stellen, sie zu erzählen und somit anderen Mädchen und Frauen aufzuzeigen, was im wahrsten und sarkastischsten Sinne des Wortes alles möglich ist, wenn man nur dem Bauchgefühl folgt und dem Kopf zuweilen jegliche Kompetenz abspricht.

Wenn Sie dieses Buch lesen und von Misshandlungen und Schlägereien, Rotlicht-Methoden und SM-Praktiken lesen, dann möchte ich Sie nur um eines bitten: von Zeit zu Zeit das Buch zu schließen, die Rückseite zu betrachten und mir zuzulächeln. Denn Lady Emily, wie mein „Künstlername“ in der Domina-Szene lautete, war und ist vor allem eins – ein junges, lebensfrohes, optimistisches Wiener Mädel. Die viel, nein: großes Pech gehabt hat in ihrem bisherigen Leben und dennoch jeden Tag als neue Chance wahrnimmt und diese zu nutzen sucht. Yes, I can!

Und nun, lassen Sie sich an der Hand nehmen und hineinführen in meine Welt. Ich verspreche, dass Ihnen nichts zustoßen wird. Ich passe auf Sie auf – denn ich habe von meinen vielen Fehlern viel gelernt!

Pamela Fuchs

VOR GERICHT, ODER: WO BIN ICH HIER?!

image

KAPITEL EINS

Es ist der 26. September 2016, ein schöner, sonniger Montag, an dem man eigentlich flanieren sollte, durch den Prater oder über den Graben. Das Thermometer zeigt 20 Grad Celsius und mehr an, Wien erfreut sich eines meteorologischen Super-Septembers. Und was mache ich? Schleiche mich an der Seite meines Anwalts in ein Gebäude an der Landesgerichtsstraße, um einer Verhandlung beizuwohnen, nicht als Klägerin oder Zeugin, sondern als Angeklagte. Ich trage eine schwarze Hose, eine Bluse, darüber ein helles Sakko mit Karo-Mustern. Die Haare, die meistens streng gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, trage ich offen: um mich im Fall der Fälle hinter ihnen verbergen zu können. Eine schwarze Brille ist der einzige Mode-Tick, der Kopf weist starr nach unten. Ich stehe da, wie ein auf der Toilette beim Rauchen erwischtes Schulmädchen, wie ein Kind, dem gerade ein Glas voller Apfelsaft entglitten und auf dem Küchenboden zerschellt ist.

Entschuldigung, möchte ich sagen. War nicht Absicht. Sorry. Bitte glaubt mir.

Leider geht es nicht um unerlaubten Tabakgenuss und auch nicht um Verschüttetes in den eigenen oder anderen vier Wänden. Beides nicht Sache der Justiz. Was heute vor Richterin Dr. Nina Steindl verhandelt wird, ist ein Fall mit fatalen Folgen. Ich bin der absichtlichen schweren Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt, für eine Handlung, die ein Jahr und ein paar Tage zurückliegt. Das Strafmaß macht mir Angst: mindestens fünf, maximal zehn Jahre Haft, unbedingt. Ich lande hinter Gittern, rede ich mir ein, sogar wenn ich mich gut benehme, zwei, drei Jahre sind es auf alle Fälle.

Niemand, nicht einmal meine Mutter, die vor dem Vorfall und der Verurteilung im März 2015 verstarb, nicht einmal meine Geschwister wissen, was ich durchgemacht habe zwischen September 2015 und September 2016: wie sehr ich mich selbst gequält habe und mir immer und immer wieder dieselben Fragen stellte. Was hättest du anders machen können? Ist es nun deine Schuld oder nicht, dass dieser Mann tot ist? Hättest du weniger auf ihn eingehen und die gewünschte Handlung verweigern sollen? Wo endet die Verantwortung der einen und beginnt jene des anderen? Bin ich eine Mörderin?! Wochen- und monatelang konnte ich nicht schlafen, starrte an die Decke und sah die letzten Momente der letztlich totbringenden Handlungen immer wieder vor meinem geistigen Auge. Sah, wie ich ihn zum letzten Mal ansah – und musste gar so oft hemmungslos weinen.

Selber schuld, werden Sie sich sagen, alles selbst eingebrockt. Aber geben Sie mir doch bitte noch ein paar dutzend Seiten, um mehr zu erklären und zu beschreiben. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein böser und gemeiner Mensch bin. Das war ich vor meinem Prozess nicht und bin es heute auch nicht. Was ich bin, ist ein vom Leben geprügeltes Mädchen, das im September 2015 an seinem Tiefpunkt angekommen war.

Zu diesem Zeitpunkt kannte ich bereits Rechtsanwalt und Strafverteidiger Dr. Martin Mahrer. Wir lernten uns an einem passenden Ort kennen – vor Gericht. Er vertrat einen meiner Bekannten, ich war als Zeugin der Verteidigung dabei. Beeindruckt war ich von seiner Eloquenz und seinen Schlussfolgerungen. Wahrscheinlich habe ich meinen kleinen Beitrag in diesem Prozess geliefert, der Angeklagte wurde letztlich freigesprochen. Das muss 2013 gewesen sein. Seitdem sind wir in losem Kontakt verblieben. Zuweilen half mir Mahrer bei einigen kleineren Angelegenheiten, wenn beispielsweise ein Beschwerdebrief an meinen Vermieter zu schreiben war, oder wir trafen uns auf einen Drink in der einen oder anderen Bar.

Als das Desaster bereits seinen Lauf genommen hatte, war es Mahrer, der mich durch die Ereignisse der Nacht des 12. September 2015 navigierte. Zwei Tage zuvor war ich 28 Jahre alt geworden, ich hatte einen meinetwegen gesellschaftlich nicht sonderlich hoch angesehenen Job – aber ich hatte einen, verdiente mein eigenes Geld, war meine eigene Herrin. Das Leben hätte besser sein können zu diesem Zeitpunkt, doch ich hatte auch schon schlechtere Zeiten durchkämpft.

Nach jener Unglücksnacht war alles anders. Fand ich Zuspruch von meinen Familienangehörigen und Freunden, so vermittelte mir Dr. Martin Mahrer Sicherheit und strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir uns trafen und den Fall besprachen. Jedes Mal, wenn ich an die Mindeststrafe dachte, heulte ich los. Ich gehe ins Gefängnis. Ich gehe ins Gefängnis. Lieber Gott, warum trifft es mich? Mama, lass bitte ein Wunder passieren!

Mahrer ist ein Anwalt, der nichts verspricht, was er nicht halten kann. Er ist ein Profi, der weiß, dass Mandanten oftmals nicht die Wahrheit erzählen – weil sie einfach lügen, da sie ihrem Anwalt nicht vertrauen, oder weil sie selbst mit der Tat psychologisch nicht fertig werden, diese verdrängen, sich einen anderen Sachverhalt einbilden und diesen kommunizieren. Mahrer hat Menschenkenntnis, um zwischen Schein und Sein unterscheiden zu können. Meine innersten Gedanken muss er nicht sezieren und zusammenfügen – ich erzähle ihm, und nicht nur ihm, sondern auch allen anderen, die nackte, krude Wahrheit.

Wenn ich die Richterin und ihre Schöffen anblicke, weiß ich nicht, ob ich lächeln soll oder gleich wieder losheulen muss. Bitte glaubt mir, es war nicht Absicht. Ich habe getan, was man mir sagte. Will ja nicht behaupten, dass ich unschuldig bin, aber macht mich dies schuldig im Sinne der Anklage? Wirklich?

image

ERZOGEN UND MISSBRAUCHT

image

KAPITEL ZWEI

Die Frage, ob sich meine Eltern geliebt haben, kann ich nicht mit Bestimmtheit beantworten. Ist es nicht so, dass man sich liebt, wenn man miteinander schläft, Tisch und Bett teilt, wenn man heiratet, wenn man gemeinsam Kinder großzieht. Wilhelm und Sylvia, meine Eltern, werden sich schon auf ihre Weise gerngehabt haben. Schwer zu recherchieren: meinen Vater sah ich vor zweieinhalb Jahrzehnten das letzte Mal, meine Mutter ist seit 2015 tot. Sie fehlt mir. Sie war das schwache und gleichzeitig starke Glied in unserer Familie, dem Schicksal und ihren Männern unterworfen, doch von diesen Umständen auch gestählt worden.

Mein Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker und Taugenichts. Hing grölend auf der Straße oder schläfrig in der Wohnung im vierten Bezirk herum, mit dem Alkohol in der einen und der Zigarette in der anderen Hand. Schmuddelig, ungepflegt, stinkig – und gefährlich. Er war nicht jener Typ von Mann, der glückselig mit einer Flasche Wein oder einem Glas Whiskey in der Hand in das Reich der Träume verschwand, sondern einer von jenen, die ebendieses Glas an die Wand oder auf den Boden schmetterten und sich darüber monierten, dass das Essen zu spät auf dem Tisch stand, zu kalt oder zu warm oder zu schlecht war. Und dann mit den Fäusten oder jenen Gegenständen, die für den angetrunkenen Krawallmacher in Reichweite lagen, über seine Frau, meine Mutter herfiel. Ich war ein kleines Kind, eher noch ein Baby. Ich verstand ebenso wie mein Bruder nicht, was da gerade geschah, warum sich Mami und Papi nicht lieb hatten. So weinten wir beide vor uns hin, während sich die Mutter mit Händen und Füßen schützte und der Vater auf jene Körperteile eindrosch, die er erwischen konnte.

Später nahm Mama uns mit blutunterlaufenen Augen und blauen Flecken in den Arm, strich über unsere Wangen und versuchte, sich ihre psychischen und physischen Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Ich war drei oder vier, ich weiß nicht, ob sie danach zu ihrem Peiniger unter die gleiche Bettdecke geschlüpft ist oder auf der Couch im Wohnzimmer übernachtete.

Sie hat sich so viel gefallen lassen, und sie hat es sicher auch für uns Kinder durchgehalten. Vielleicht ändert er sich noch. Vielleicht wird alles besser, wenn unser Nachwuchs einmal größer ist. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Ich will ja nicht sagen, dass meine ersten Lebensjahre nur aus Erinnerungen an Schlägereien bestanden. Es gibt Bilder, die belegen, dass mein Vater mich auch liebevoll in den Arm nehmen konnte, dass ich mit Puppen spielte, dass ich lächeln und lachen konnte.

War ich glücklich?

Kann man glücklich sein, wenn man nicht weiß, wann der nächste Stimmungswandel des Vaters kommt, das nächste Gezeter und die nächste Tracht Prügel für die Mutter?

Wenn man es genau nimmt, hat mein Leben am 10. September, einem Donnerstag im Sternzeichen der Jungfrau, mit purer Gewalt begonnen. Während meine Mutter in den Wehen lag, zerlegte er die Wohnungseinrichtung in der Schelleingasse im vierten Wiener Bezirk. Dorthin waren meine Eltern noch vor meiner Geburt gezogen, meine Mutter dachte sich, dass ich in einem der inneren Bezirke größere Chancen auf ein besseres Leben hätte als sie, die in der Großfeldsiedlung im 21. Bezirk aufgewachsen war.

Schriftsteller Franz Werfel, Golf-Superstar Arnold Palmer, Mode-Ikone Karl Lagerfeld, Schauspieler Colin Firth, „Alibaba“-Gründer Jack Ma und andere waren in den Jahrzehnten vor mir am 10. September geboren worden, und erfolgreichster Song 1987 in Österreich war „Some Girls Are Ladies“ von Bilgeri. Madonna besang „La isla bonita“, die Pet Shop Boys brachten „It’s a Sin“ heraus, Los Lobos reüssierten mit „La bamba“ und Desireless mit „Voyage Voyage“. Im Kino liefen „Crocodile Dundee“, James Bonds „Der Hauch des Todes“, „Platoon“, „Full Metal Jacket“ – und unter anderen auch „Dirty Dancing“.