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Alexandre Dumas

Tausend und ein Gespenst

Nach einer alten Übersetzung

 

Impressum

 

Covergestaltung: Steve Lippold

Illustrationen: Matthias K. Maier

Gestaltung: Otto Bauer

Digitalisierung: Gunter Pirntke



2017 andersseitig.de


ISBN

9783961183791 (ePub)

9783961183807 (mobi)


andersseitig Verlag

Dresden

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Inhalt

Impressum

I. Der Mord in der Passage des Sergens

II. Die Erzählung des Mörders

III. Das Haus Scarrons

IV. Die Ohrfeige der Charlotte Corday

V. Solange

VI. Albert

VII. Die Katze, der Gerichtsdiener und das Skelett

VIII. Die Königsgräber von Saint- Denis

IX. Artifaille

X. Das Armband

XI. Die Karpatengebirge

XII. Das Schloss der Brancovans

XIII. Die beiden Brüder

XIV. Das Kloster Hango

 

I. Der Mord in der Passage des Sergens

 

Am 1. September des Jahres 1831 wurde ich von meinem alten Freund, der Bürochef der Privatdomänen des Königs war, eingeladen, mit seinem Sohn die Jagd in Fontenay-aux-Roses zu eröffnen.

Ich liebte damals die Jagd sehr, und die Gegend, in der die Jagd eröffnet wurde, spielte für mich eine große Rolle. Ich war niemals in Fontenay-aux-Roses gewesen, niemand kennt die Umgebung von Paris schlechter als ich. Ich liebe die großen Entfernungen. Wenn ich Paris verlasse, dann, um an Orte zu gelangen, wohin man ein paar hundert Stunden unterwegs ist.

Um sechs Uhr abends fuhr ich nach Fontenay ab, den Kopf wie immer aus dem Wagen schlag gesteckt. Der Wagen rollte nach einiger Zeit durch die Ebene von Petit Montrouge, die einen seltsamen Eindruck hinterlässt. Es sind die Treträder inmitten der Felder, mit denen der Kalkstein aus der Tiefe gefördert wird. Der Arbeiter, der darin über Tag die immer gleiche Bewegung macht, hat am Abend über fünfzigtausend Schritte getan, ohne den Platz gewechselt zu haben. Wenn der Mann, der darin schuftet, seinen Fuß nicht auf die Schwelle des Tretrades, sondern auf eine Leitersprosse setzte und immer weiter so stiege, käme er nach dreiundzwanzig Jahren auf dem Mond an.

Abb

Aus den der Erde entrissenen Kalksteinblöcken bildet man große Stapel, sie sind das zukünftige Paris. Die Steinbrüche, aus denen dieses Material entnommen wird, werden mit jedem Tag größer. Sie bilden die Fortsetzung der Katakomben, aus denen das alte Paris hervorgegangen ist. Es sind die Vorstädte der unterirdischen Stadt. Wenn man auf den Wiesen von Montrouge geht, so geht man über Abgründen. Von Zeit zu Zeit findet man eine Vertiefung im Boden, darunter ist ein schlecht geschützter Stollen eingebrochen.

Es wohnt in dieser Gegend ein besonderer Menschenschlag. Die Arbeit in der Dunkelheit macht die Menschen schweigsam und grimmig, Nachttiere haben ihr besonderes Wesen. Oft hört man von Unfällen sprechen, eine Stütze hat nachgegeben, ein Seil ist gerissen, ein Mann ist zerschmettert worden. Oben auf der Erde glaubt man, dass das ein Unglück ist, dreißig Fuß darunter weiß man, dass es ein Verbrechen ist.

Die Steinbrecher sehen nicht besonders angenehm aus.

Sie blinzeln in der Helligkeit des Tages, ihre Stimme klingt im Freien dumpf. Sie tragen glatte lange Haare, der Bart macht nur sonntags Bekanntschaft mit dem Rasiermesser, die Kleidung ist dürftig. Eine Weste, aus der Hemdsärmel aus grauer Leinwand sehen, Hosen von blauem Tuch.

Wenn es irgendeinen Aufstand gibt, so sind diese Männer dabei. Wenn man in den vornehmen Vierteln sagt, die Arbeiter von Montrouge sind unterwegs, schließen die Bewohner ihre Türen.

Das war es, was ich in dieser Dämmerstunde vor mir sah, das war es, worüber ich nachdachte.

Wir kamen gegen halb neun in Fontenay an, wo uns ein gutes, vortreffliches Abendessen erwartete, und nach dem Abendessen machten wir einen Spaziergang durch den Garten.

Sorrent in Italien ist ein Wald von Orangenbäumen. unser Fontenay ist ein Rosenstrauch. Jedes Haus hat seinen Rosenstrauch, der an der Hausmauer hochsteigt und sich von einer gewissen Höhe wie ein Fächer ausbreitet. Die Luft ist mit Wohlgerüchen erfüllt, und wenn der Wind kräftig geht, regnet es Rosenblätter.

Vom äußersten Ende des Gartens hätten wir einen weiten Blick gehabt, wäre es nicht schon Abend und dunkel gewesen. Etwas anderes entschädigte uns.

Die in der Ferne funkelnden Lichter deuteten die Ortschaften Sceaux, Bagneaut, Chätillion und Montrouge an. Im Hintergrund erstreckte sich eine lange rötliche Linie, aus der ein Geräusch wie aus der Brust des Leviathans kam, das war das Atmen von Paris.

Man musste uns wie kleine Kinder mit Gewalt ins Bett bringen, denn gern hätten wir unter diesem schönen sternenfunkelnden Himmel in der zauberhaften Nachtluft auf den Tag gewartet. Um fünf Uhr morgens gingen wir auf die Jagd. Doch bis Mittag hatten wir erst ein Kaninchen und vier Rebhühner gesehen. Das Kaninchen hatte mein rechter Nachbar verfehlt, meinem linken Nachbarn war ein Rebhuhn entgangen, aber von den drei anderen Rebhühnern hatte ich zwei geschossen.

Ich liebe die Jagd, aber ich verabscheue das Herumlaufen, besonders diese Wege über die Felder. Unter dem Vorwand, einen ganz links von mir gelegenen Kleeacker zu durchsuchen, entfernte ich mich aus der Linie der Jäger und machte einen Abstecher.

Ich hatte auf diesem Feld einen Hohlweg entdeckt, der mich den Blicken der anderen Jäger entzog und mich auf der Straße von Sceaux geraden Wegs nach Fontenay-aux-Roses zurückfuhren musste.

Ich irrte mich nicht. Als es ein Uhr schlug, erreichte ich die ersten Häuser des Dorfes.

Ich ging an einer Mauer entlang, die ein schönes Anwesen umzog, als ich genau an der Stelle, wo die Rue Diane sich mit der Grande Rue vereinigt, von der Kirche her einen Mann von so sonderbarem Aussehen auf mich zukommen sah, dass ich stehenblieb und instinktiv meine Doppelflinte spannte.

Er bemerkte mich gar nicht. Seine Haare waren gesträubt, die Augen rot unterlaufen, die Kleidung durcheinander, die Hände blutig und das Gesicht bleich. Ohne mich zu beachten, ging der Mann an mir vorüber. Sein Blick war starr und dabei eigenartig matt.
 

Er bog eilig in die Rue Diane ein und lief auf das Anwesen zu, an dessen Mauer ich eben vorübergegangen war. Eine grün gestrichene Tür führte in das Innere, und über der Tür prangte eine 2. Mit ausgestrecktem Arm ging der Mann auf die Glocke an der Tür zu und zog heftig an ihr, um sich sogleich auf einen der beiden Ecksteine niederzulassen. Da saß er nun regungslos mit herabhängenden Armen und den Kopf auf die Brust geneigt.

 

Ich ging wieder zurück, denn ich war überzeugt, dass irgendein schreckliches und unbekanntes Drama mit diesem Mann zusammenhing. Bald umstanden ihn auch einige Leute, die aus den Häusern gekommen waren, und betrachteten ihn mit dem gleichen Erstaunen wie ich. Ohne Zweifel machte er den gleichen schrecklichen Eindruck auf sie wie auf mich.

Beim Läuten der Glocke öffnete sich eine kleine Tür neben dem großen Tor, und eine Frau von vierzig bis fünfundvierzig Jahren erschien.

»Ah! Sie sind es, Jacquemin«, sagte die Frau, »was machen Sie denn da?«

»Ist der Herr Bürgermeister zu Hause?« fragte der Mann mit dumpfer Stimme.

»Ja.«

»Nun, Mutter Antoine, dann sagen Sie ihm, dass ich meine Frau umgebracht habe und mich als Gefangener stelle.«

Die als Antoine Angesprochene stieß einen Schrei aus, als sie das schreckliche Geständnis hörte, und auch von den anderen waren Laute des Entsetzens zu hören.

Ich selbst wich einen Schritt zurück und lehnte mich an den Stamm einer Linde.

Der Mörder war von dem Eckstein zu Boden geglitten, als ob ihn die Kraft verlassen hätte, nachdem er die verhängnisvollen Worte gesprochen hatte. Inzwischen war Antoine verschwunden, offensichtlich richtete sie im Hause ihren Auftrag aus. Fünf Minuten später erschien der Bürgermeister. Zwei Männer folgten ihm.

Der Bürgermeister von Fontenay-aux-Roses trat neben den zu Boden gesunkenen Mann. Neben mir standen ein Mann eine Frau und ein Kind. Das Kind weinte, damit es seine 'Mutter auf den Arm nähme. Hinter dieser Gruppe streckte ein Bäcker den Kopf aus dem im ersten Stock gelegenen Fenster seines Hauses und fragte seinen unten auf der Straße stehenden Gesellen, ob es nicht Jacquemin der Steinhauer wäre, der eben vorübergelaufen wäre, und schließlich erschien auch noch der Hufschmied in seiner Tür. Schwarz hob er sich vor dem Feuerschein im Innern seiner Schmiede ab, wo ein Lehrling den Blasebalg zog.

In der Feme sah ich zwei Gendarmen auftauchen, die von ihrer Patrouille kamen und - ohne das Geschäft zu ahnen, dass sie erwartete - sich uns näherten. Sie ritten ruhig im Schritt. Es schlug ein viertel zwei.

In den letzten Schlag der Glocke fielen die ersten Worte des Bürgermeisters.

»Jacquemin«, sagte er, »ich hoffe, dass Antoine nicht richtig gehört hat, sie hat mir in deinem Auftrag gesagt, dass deine Frau tot sei und du sie umgebracht hast.«

»Das ist die reine Wahrheit, Herr Bürgermeister«, antwortete Jacquemin. »Sie müssen mich ins Gefängnis schaffen und schnell hinrichten lassen.«

Während er das sagte, versuchte er sich aufzurichten, indem er sich an den Eckstein klammerte. Aber gleich darauf sank er wieder zurück, als ob die Knochen seiner Beine gebrochen wären.

»Geh doch, du bist verrückt«, sagte der Bürgermeister. »Sehen Sie meine Hände an«, sagte der Steinhauer, und er streckte dem Bürgermeister zwei blutige Finger entgegen, die wie eine Kralle sich verkrampft hatten. Die linke Hand war rot bis über die Faust, die rechte bis an den Ellbogen, auch floss am rechten Daumen ein frischer Blutstreif herab, der von einem Biss herrührte, den das Opfer ihm offenbar versetzt hatte, als es sich wehrte.

Inzwischen waren die Gendarmen herangeritten und hielten vor der Gruppe.

Der Bürgermeister winkte ihnen, sie stiegen von ihren Pferden und warfen die Zügel einem Jungen zu, der eine Soldatenmütze trug und gewiss ein Soldatenkind war. Jetzt gingen sie auf Jacquemin zu, griffen ihm unter die Arme und hoben ihn auf. Er ließ es ohne Widerstand und mit der Schlaffheit eines Mannes geschehen, dessen Geist mit einem einzigen Gedanken beschäftigt ist.

Im selben Augenblick kamen der Polizeikommissar und der Arzt, die von dem Fall benachrichtigt worden waren. »Ah! Kommen Sie, Herr Robert! Kommen Sie, Herr Cousin!« sagte der Bürgermeister. »Ich wollte Sie eben holen lassen.«

Robert war der Arzt, Cousin der Polizeikommissar.

»Nun, was gibt es denn?« fragte der Arzt mit fröhlicher Miene. »Ein kleiner Mord, wie ich hörte?«

Jacquemin antwortete nicht.

»Nun reden Sie doch, Freund Jacquemin«, fuhr der Doktor fort, »ist es denn wahr, dass Sie Ihre Frau umgebracht haben?«

Jacquemin schwieg weiter.

»Auf jeden Fall hat er sich einer solchen Tat beschuldigt«, sagte der Bürgermeister, »ich hoffe aber doch, dass es sich um irgendeine Wahnvorstellung handelt und nicht um ein wirkliches Verbrechen.«

»Jacquemin«, sagte der Polizeikommissar, »antworten Sie endlich, ist es wahr, dass Sie ihre Frau getötet haben?«

Das Schweigen blieb.

»Auf alle Fälle können wir uns ja selbst überzeugen«, meinte Dr. Robert, »wohnt er nicht in der Passage des Sergens?«

»So ist es«, bestätigten die Gendarmen.

»Nun denn, Herr Ledru« , wandte sich der Arzt an den Bürgermeister, »gehen wir in die Passage des Sergens.«

»Ich gehe nicht hin, ich gehe nicht mit«, rief Jacquemin und riss sich mit solcher Gewalt von den Gendarmen los, dass er ungehindert hätte fliehen können.

»Aber warum willst Du denn nicht mitgehen?« fragte der Bürgermeister.

»Was soll ich denn dort noch? Ich gestehe ja alles. Ich habe sie umgebracht mit dem großen Schwert, das ich voriges Jahr mir aus dem Artilleriemuseum mitgenommen habe. Bringen Sie mich ins Gefängnis. Ich habe zu Hause nichts mehr verloren. Bringen Sie mich bitte ins Gefängnis.«

Der Doktor und der Bürgermeister sahen sich an.

»Mein Freund«, sagte der Polizeikommissar, der wie der Bürgermeister noch hoffte, dass der Steinhauer unter einer momentanen Geistestrübung litt, »wir können die Sache nicht ohne ihre Anwesenheit klären. Sie müssen wirklich mitkommen.«

»Wozu brauchen Sie mich denn dabei? Es ist doch alles klar. Sie werden die Leiche im Keller finden und neben der Leiche auf einem Gipssack den Kopf. Mich aber bringen sie jetzt in das Gefängnis.« Jacquemin hatte etwas Flehendes in der Stimme.

»Es geht nicht anders«, sagte der Polizeikommissar entschieden.

»Ach mein Gott, ach mein Gott, wenn ich das gewusst hätte!«

»Und was hättest du dann getan?«

»Ich hätte mich selbst umgebracht.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte der Bürgermeister, »das musst du mir erklären.«

»Alles, was sie wollen, Herr Ledru, fragen Sie mich nur, verhören Sie mich.«

»Wie kommt es denn, dass du mutig genug warst, einen Menschen umzubringen, dich aber jetzt fürchtest, dein Opfer wiederzusehen. Da ist doch irgendetwas passiert, was du uns nicht sagst.«

»Es stimmt. Etwas Schreckliches.«

»Dann erzähle es doch endlich.«

»Ich kann es nicht«, sagte Jacquemin, »Sie würden mir ja doch nicht glauben und sagen, dass ich verrückt bin.«

»Egal jetzt, was war denn? Sage es mir.«

»Ich will es Ihnen sagen, aber nur Ihnen.«

Jacquemin trat an die Seite von Ledru. Die beiden Gendarmen wollten ihn festhalten, aber der Bürgermeister gab ihnen einen Wink, und sie ließen ihn los. Er hätte auch nicht mehr fliehen können, denn die Hälfte der Bevölkerung wenigstens von Fontenay-aux-Roses versperrte die Rue Diane und die Grande Rue.

»Glauben Sie, Herr Ledru« , sagte Jacquemin leise, »dass ein Kopf sprechen kann, wenn er vom Körper getrennt ist?« Ledru erblasste. Die Hand ging zum Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.

»Glauben Sie das? Sagen Sie es«, wiederholte Jacquemin.

Man sah, wie sich Ledru überwand, um zu sagen: »Ja, ich glaube es.«

»Nun denn ... er hat gesprochen ... der Kopf hat gesprochen ... Jeannes Kopf.«

»Wirklich?«

»Der Kopf hat seine Augen aufgemacht und die Lippen bewegt. Er hat mich angesehen und gesagt >Du elender Mörder.< «

Jacquemin hatte zwar nur mit Ledru geredet, aber alle hatten deutlich gehört, was er gesagt hatte. Der Doktor lachte.

»Ein schönes Märchen, wirklich. Er hat gesprochen ... ein abgeschlagener Kopf soll gesprochen haben.«

Jacquemin wandte sich zu dem Doktor. »Wenn ich es Ihnen sage«, beharrte er.

»Nun denn«, sagte der Polizeikommissar, »ein Grund mehr, dass wir uns endlich an den Schauplatz des Geschehens begeben. Gendarmen, nehmen Sie den Gefangenen.« Jacquemin schrie und sträubte sich.

»Nein, nein«, brüllte er, »Sie können mich in Stücke reißen, aber ich komme nicht mit.«

»Nun stellen Sie sich doch nicht so an, mein Freund«, sagte Ledru. »Wenn es stimmt, dass Sie ein solches schreckliches Verbrechen begangen haben, wie Sie uns hier erzählen, dann ist es die mindeste Buße, dass Sie der Sache ins Auge blicken. Außerdem ist auch jeder Widerstand zwecklos. Wenn Sie sich nicht freiwillig auf den Weg machen, werden die Gendarmen Sie eben mit Gewalt hinbringen.«

Jacquemin seufzte. »Nun gut, dann will ich es tun. Aber versprechen Sie mir, Herr Bürgermeister, mich nicht zu verlassen, solange wir in dem Keller sind. Und darf ich mich an Ihrem Arm festhalten?«

»Ja.«

»Also dann«, sagte er, »gehen wir.« Er trocknete sich mit einem Taschentuch die schweißnasse Stirn. Die Blässe in seinem Gesicht hatte noch zugenommen. Der Zug setzte sich nun in Richtung der Passage des Sergens in Bewegung. An der Spitze gingen der Polizeikommissar und der Doktor, dann die Gendarmen mit Jacquemin und hinter ihnen Bürgermeister Ledru und zwei Männer, die mit ihm aus seiner Haustür getreten waren. Ich hielt mich etwas dahinter. Uns folgte wie ein tosender, brandender Strom die Menge der Leute, die sich auf der Straße angesammelt hatte.

Wir waren nach ungefähr einer Minute in der Passage des Sergens. Es war eine kleine Gasse, in der es bergab zu einem großen, verfallenen Tor ging. In dem einem Torflügel war eine kleine Tür, die nur noch an einer Angel hing.

Auf den ersten Blick schien alles ruhig in diesem Haus.

Ein Rosenstrauch blühte an der Tür, und daneben sonnte sich behaglich auf einer steinernen Bank eine große rotgelbe Katze. Beim Anblick der vielen Menschen erschrak die Katze und verschwand in einem Kellerloch.

Jacquemin blieb an der Tür stehen. Die Gendarmen wollten ihn mit Gewalt durch die Tür drängen. Er wandte sich zu Ledru.

»Herr Bürgermeister, Herr Bürgermeister, Sie haben versprochen, mich nicht zu verlassen.«

»Nun, ich bin ja da«, antwortete Ledru.

»Ihren Arm, Ihren Arm.«

Ledru bedeutete den Gendarmen, ihren Gefangenen loszulassen, und reichte ihm den Arm.

»Ich bürge für ihn«, sagte er.

In diesem Augenblick war Ledru nicht mehr der Bürgermeister der Gemeinde, der der Bestrafung eines Verbrechens nachging, sondern ein Kundschafter auf dem Gebiet des Unbekannten. Sein Führer allerdings war ein Mörder.

Der Doktor und der. Polizeikommissar traten zuerst ein, dann Ledru und Jacquemin, die Gendarmen und schließlich ein paar Bevorzugte, unter denen auch ich mich befand. Die Gendarmen kannten mich ja von der Jagd her, als sie meinen Waffenschein geprüft hatten.

Die Tür wurde vor der übrigen Bevölkerung wieder geschlossen. Murrend blieben die Leute draußen. Im Haus deutete nichts das schreckliche Ereignis an, das sich hier abgespielt haben sollte. Alles war an seinem gewohnten Platz. Am Kopfende des Bettes hing ein schwarzes Kruzifix mit einem vertrockneten Buchsbaumzweig vom Osterfest. Auf dem Kamin lag zwischen Blumen ein Jesuskind aus Wachs, und zwei Leuchter standen da, von denen der Silberüberzug abblätterte. Die Wand schmückten vier kolorierte Kupferstiche in schwarzen Rahmen, andere Weltteile darstellend. Der Tisch war gedeckt, auf dem Herd köchelte ein Topf, und unter einer Kuckucksuhr stand der Brotschrank. Seine Tür war offen.

»Nun«, sagte der Doktor lächelnd, »bis jetzt sehe ich nichts.«

»Öffnen Sie die Tür da«, murmelte Jacquemin, und er zeigte auf die Wand gegenüber.

Einer der Gendarmen drückte die Klinke. Wir kamen in eine Vorratskammer, in deren äußerster Ecke eine Falltür offenstand. Ein Lichtschein kam zitternd von unten. »Dort«, flüsterte Jacquemin und klammerte sich mit der einen Hand an Ledru und zeigte mit der anderen nach der Kelleröffnung.

»Aha«, sagte der Doktor mit dem kalten Lächeln von Leuten, auf die nichts Eindruck macht, weil sie an nichts glauben. Leise sagte er zu dem Polizeikommissar: »Madame Jacquemin hat es offenbar gemacht, wie es im Lied heißt.« Dann summte er vor sich hin: »Im Keller sollst Du mich begraben, wo ich so ... «

»Still«, unterbrach ihn Jacquemin, »singen Sie hier nicht.« Er war totenblass. Der Doktor schwieg. Doch als er die ersten Stufen der Treppe hinabstieg, stolperte er fast über einen Degen. Die Waffe hatte eine auffällig breite Klinge.

»Was ist das?« fragte der Doktor.

Es war das zweihändige Schwert, das Jacquemin, wie er gesagt hatte, aus dem Artilleriemuseum mitgenommen hatte. Es war in einer Zeit der Wirren gewesen, in den Tagen der Julirevolution von 1830. Die Klinge war mit Blut gefärbt. So also sah es aus. Der Polizeikommissar nahm das Corpus delicti dem Doktor aus den Händen.

»Kennen Sie diese Waffe?« fragte er den Gefangenen.

»Ja«, antwortete Jacquemin. »Gehen Sie. Machen Sie ein Ende.«

Es war die erste Spur des Mordes, die wir fanden.

Alle gingen in den Keller. Auf der siebenten Stufe konnte ich den ganzen Keller übersehen. Es war ein schreckliches Bild. Ich will versuchen, es zu schildern. Der Blick konnte nicht anders, als sich auf die Leiche zu richten, die da ohne Kopf neben einem Fass lag, aus dessen halb geöffnetem Hahn ein dünner Weinstrahl floss. Als schmale Rinne versickerte er unter den Lagerbalken des Fasses.

Die Leiche lag gekrümmt, als hätte der Körper im Todeskampf eine Bewegung versucht, der die Beine nicht folgen konnten. Das Kleid der dort liegenden Frau war auf einer Seite bis zum Strumpfband hochgeschlagen. Man sah, dass sie in dem Augenblick von dem Mordwerkzeug getroffen worden war, als sie, vor dem Fass kniend, eine Flasche füllen wollte. Sie war ihr aus den Händen gefallen und lag auf dem Boden. Der ganze Oberkörper schwamm in einer Pfütze von Blut.

Auf einem Gipssack, der an der Mauer lehnte, sah man einen Kopf. Ich muss genauer sein. Man erriet, dass es ein Kopf sein musste, denn der Gegenstand war ganz in Haaren verborgen. Blut hatte den Sack wenigstens zur Hälfte rot gefärbt. Das schreckliche Bild wurde von dem matten, zitternden Schein eines Talglichtes erhellt, das auf dem Fass stand.

»Einen Tisch und einen Stuhl«, sagte der Polizeikommissar nüchtern, »wir müssen ein Protokoll aufnehmen.«

Man brachte dem Polizeikommissar den Tisch und den Stuhl und setzte sie in den Keller. Er prüfte, ob der Tisch fest stand, setzte sich davor, verlangte das Talglicht, das der Doktor ihm reichte, indem er über die Tote stieg, und dann begann er das Protokoll, nachdem er Tintenfass, Feder und Papier aus seiner Tasche gezogen hatte.

Während er schrieb, blickte der Arzt neugierig zu dem Gipssack mit dem Kopf der Ermordeten.

»Bitte berühren Sie nichts«, sagte der Mann am Tisch, der jetzt seinem Amt nachging, »wir müssen ordnungsgemäß vorgehen.«


II. Die Erzählung des Mörders

 

Es herrschte einige Minuten tiefste Stille, nur die Feder des Polizeikommissars kratzte auf dem rauen Regierungspapier. Nachdem er ein paar Zeilen geschrieben hatte, hob er den Kopf und sah sich um.

»Wer will sich als Zeuge zur Verfügung stellen?« fragte er und sah den Bürgermeister ratsuchend an.

»Nun«, sagte Ledru, »zunächst einmal wohl diese beiden Herren.« Er deutete bei diesen Worten auf die Männer, die mit ihm gekommen waren. Dann wandte er sich an mich: »Vielleicht auch noch dieser Herr, wenn es ihm recht ist, das Protokoll mit seiner Unterschrift zu bestätigen?«

»Gewiss, mein Herr«, antwortete ich.

Als erstes wandte sich der Polizeikommissar an den nächststehenden Freund Ledrus.

»Ihr Vor- und Zuname bitte, Alter, Stand und Wohnung?« fragte er mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der es gewohnt ist, solche Fragen zu stellen.

»Jean Louis Aliette, auch Etteila genannt, Schriftsteller, Rue de l'Ancienne Cornedie Nr. 20.«

»Sie vergessen ihr Alter«, sagte der Polizeikommissar. »Muss ich das Alter angeben, das ich habe, oder das Alter, das man mir gibt?«

»Sagen Sie mir, wie alt Sie sind, bei Gott! Man hat doch keine zwei Alter.«

»Sind Sie so sicher? Es gibt gewisse Personen, Cagliostro, den Grafen von Saint Germain, den ewigen Juden zum Beispiel ... «

»Wollen Sie damit etwa sagen, dass Sie Cagliostro oder der Graf von Saint Germain oder gar der ewige Jude sind?« fragte der Polizeikommissar ärgerlich. Man sah ihm an, dass ihm der Gedanke durch den Kopf ging, der Mann mache sich über ihn lustig.

»Nein, aber ... «

Bevor er weitersprechen konnte, griff Ledru ein. »Schreiben Sie fünfundsiebzig Jahre, Herr Cousin, fünfundsiebzig Jahre.«

»Gut«, sagte der Polizeikommissar und schrieb, »das ist doch eine Antwort. Und nun Sie, mein Herr. Wie ist es mit Ihnen?«

Cousin wandte sich an den zweiten Freund Ledrus. »Pierre Joseph Moulle, einundsechzig Jahre, Geistlicher an der Kirche Saint Sulpice, Rue Servandoni Nr. 11«, antwortete der Angesprochene sanft.

»Und jetzt Sie?« fragte er schließlich mich.

»Alexandre Dumas, Romanschriftsteller, siebenundzwanzig Jahre alt, wohnhaft in Paris, Rue l'Universite Nr. 21«, antwortete ich.

Die Miene des Polizeikommissars war heller geworden.

»Na also«, sagte er. »Auch ein Schriftsteller, der kennt aber sein Alter, oder sind Sie auch unsterblich?«

»Ich weiß es noch nicht.«