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Wer war dieser Mensch, der, aufgewachsen als Sohn eines Bleistiftfabrikanten, in Harvard alte Sprachen studierte und die antiken Klassiker im Original las? Seine Karriere als Lehrer aufs Spiel setzte, weil er sich weigerte, seine Schüler mit dem Rohrstock zu malträtieren. Der sich, ein 28-jähriger menschenscheuer Junggeselle, zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in eine selbstgebaute Blockhütte am Waldensee zurückzog, um außerhalb aller gesellschaftlichen Konventionen zu leben, und darüber ein Buch schrieb, das bis heute Pflichtlektüre für jeden Amerikaner geblieben ist: Walden. Der lieber ins Gefängnis ging, als die USA mit Steuergeldern für ihre Sklavenpolitik und den expandierenden Mexiko-Krieg zu unterstützen, und darüber sein Traktat »Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat« verfasste, das zum Kanon politischer Protestliteratur gehört, das Mahatma Gandhi als Lehrbuch an seine Schüler verteilte, das Martin Luther King und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung im Marschgepäck trugen und das die Occupy-Bewegung heute für sich entdeckt hat.

Frank Schäfers wissenschaftlich fundierte, spannend erzählte Biographie des einflussreichen Denkers, Politikers und Schriftstellers beantwortet diese Fragen. Er zeichnet das Porträt eines Mannes, dessen »Experimente« und Bücher die Welt verändert haben und heute aktueller denn je sind.

HENRY DAVID THOREAU, geboren 1817 in Concord, Massachusetts, studierte von 1833 bis 1837 an der Harvard University. Er arbeitete einige Jahre als Lehrer, am 4. Juli 1845, dem Unabhängigkeitstag, bezog der mit Ralph Waldo Emerson befreundete Thoreau auf dessen Waldstück eine Blockhütte, wo er Walden oder Leben in den Wäldern schrieb. Bis zu seinem Tod engagierte er sich gegen die Sklaverei. Thoreau starb 1862 in Concord an Tuberkulose.

Frank Schäfer, geboren 1966, lebt als Schriftsteller, Musik- und Literaturkritiker in Braunschweig. Er schreibt für taz, Neue Zürcher Zeitung, Rolling Stone u. a. Neben Romanen und Erzählungen erschienen diverse Essaysammlungen und Sachbücher.

Frank Schäfer

HENRY DAVID
THOREAU

WALDGÄNGER und REBELL

Eine Biographie
Mit zahlreichen Abbildungen

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage
der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4769

Originalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2017

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Umschlagillustration: Ben Wisemann / Penguin Random House
unter Verwendung zweier Bildmotive von Getty Images

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

eISBN 978-3-518-75216-6

www.suhrkamp.de

Inhalt

Der furchtbare Thoreau

An der Brücke

Die Butter-Rebellion

Der amerikanische Gelehrte

Mein Leben war Ekstase

Gerade so

Verwandte Geister

Der Gelehrte braucht harte Arbeit

Die wirkliche Bedeutung

Die Milch in der Kanne

Du musst nicht gehen

Was tun Sie gerade?

Nicht nur versammelt, verbündet

Fruchtbarer Müßiggang

Nichts zwischen mir und dem Himmel als sie

Durch die Entfernung besser bekannt

Sympathie

Thymian und Majoran

Schneeige, fischige Gedanken

Ein Seidenwimpel im Wind

Grabmäler von Moos bedeckt

Vier Freunde

Menschenherden

Das wiedergewonnene (wiederzugewinnende) Paradies

Das fernere Indien

Bau dir eine Hütte

Das Ferment des Humors

Wesen einer höheren Seinsordnung

Koste es, was es wolle

Dieser Boden ist nicht für dich

Sprechen Sie zu mir in dieser Stunde

Niemand wird klüger dadurch

Gewichtiger als der Ruhm

Harte Gleichgültigkeit

Toten-Lichter

Ein Tagebuch der Winde

Eine Erkältung

Gänse stopfen

Das Evangelium des Augenblicks

Einzelheiten, nicht das Ganze

Fremde Gegenden

Wie eine Wunde

Eine Elchjagd

Eine Million Sklaven in Massachusetts

Die höchste aller Künste

Jene stillen und grüblerischen Gedanken

Die Wege, auf denen du Geld machst

Eleven

Kräfte sammeln

Der größte Demokrat, den die Welt gesehen hat

Vom Indianer lernen

Die sicheren Banken

Patriotische Farben

Ein Mann mit Ideen und Grundsätzen

Lasst die Toten die Toten begraben

Lebendiger, als er jemals war

Letzte Projekte

Niemals genesen

In Heiterkeit und Ruhe

Die Möglichkeiten ausgeschöpft

Quellen und Literatur

Namenregister

HENRY DAVID
THOREAU

WALDGÄNGER und REBELL

DER FURCHTBARE THOREAU

Personen

HENRY DAVID THOREAU
Waldgänger, Naturdichter, Prophet und Rebell.

RALPH WALDO EMERSON
der »Schiller Amerikas«, Thoreaus Mentor und Freund.

ELLERY CHANNING
Dichter und loser Geselle, Thoreaus Freund.

NATHANIEL HAWTHORNE
Bestsellerautor und schwarzer Romantiker, Thoreaus Freund.

LOUISA MAY ALCOTT
Feministin und erfolgreiche (Jugend-)Schriftstellerin, Freundin von Thoreau.

ROBERT LOUIS STEVENSON
Bestsellerautor und Thoreaus späterer Kritiker.

RICHARD FULLER
Thoreaus Nachhilfeschüler und Reisegefährte.

ELIZABETH HOAR
Thoreaus Schulfreundin, Emersons enge Vertraute.

HENRY DAVID THOREAUEs dürfte angemessen sein, wenn ich zunächst einen Eindruck von meiner Gestalt und meiner Art gebe. Ich bin etwa 1,69 Meter groß – von einem hellen Teint, eher schlank gebaut, und erreiche gerade [1841] das römische Mannesalter. Bin einer, der öfter nach Westen als nach Osten blickt – der beim Verlassen des Hauses mehr Gemütsbewegung zeigt als beim Hineingehen – der den Winter genauso wie den Sommer liebt – Wald genauso wie Feld – Dunkelheit wie Licht. Bin eher einsam als gesellig – weder unstet noch untätig – aber von jeder Jahreszeit beschwingt, bei Tag oder Nacht, nicht durch das Ziehen eines Glockenseils, sondern von einem anmutigen Säuseln oben in der Kiefer in den Wäldern von Concord.

RALPH WALDO EMERSONThoreau war mit einem sehr anpassungsfähigen und robusten Körper gesegnet. Er war von kleiner Statur …

ELLERY CHANNINGEr war von durchschnittlicher Größe …

RALPH WALDO EMERSON… kräftig …

ELLERY CHANNING… mager geschnitten, mit Gliedern, die länger als gewöhnlich waren oder die er einsetzte, als wären sie länger.

RALPH WALDO EMERSON… mit heller Gesichtsfarbe, mit starken, ernsten blauen Augen und einem prägenden Merkmal – er trug in späteren Jahren einen würdigen Bart.

ELLERY CHANNINGWenn man sein Gesicht einmal gesehen hatte, konnte man es nicht vergessen.

NATHANIEL HAWTHORNEEr ist hässlich wie die Sünde, hat eine lange Nase, einen schiefen Mund und besitzt ungehobelte und ein wenig ländliche, aber dennoch höfliche Manieren, die sehr gut zu solch einem Erscheinungsbild passen.

ELLERY CHANNINGDie Züge waren sehr ausgeprägt: die Nase wie ein Adlerschnabel oder sehr römisch wie bei einem der Bildnisse Caesars …; starke, überhängende Brauen über sehr tiefliegenden Augen, die je nach Beleuchtung blau oder grau erschienen – Augen, in denen sich alle Arten des Empfindens ausdrückten, aber keine Schwäche oder Kurzsichtigkeit.

NATHANIEL HAWTHORNEAllerdings ist seine Hässlichkeit von der ehrlichen und liebenswürdigen Sorte und steht ihm viel besser als Schönheit.

LOUISA MAY ALCOTTNeben den Makeln sah das Kennerauge die prächtigen Züge, die als Schablone für den perfekten Mann dienen konnten.

ELLERY CHANNINGDie Stirn nicht übermäßig breit oder hoch, voll geballter, zweckbewusster Energie; der Mund mit vorspringenden Lippen, die im Schweigen bedeutungs- und gedankenvoll aufgeworfen waren und von denen, wenn sie sich öffneten, die mannigfaltigsten, ungewöhnlichsten und belehrendsten Sprüche strömten. Sein Haar war dunkelbraun, übermäßig voll, fein und weich.

ROBERT LOUIS STEVENSONThoreaus schmales, eindringliches Gesicht mit der großen Nase deutet selbst in einem schlechten Holzschnitt noch auf seine geistigen und charakterlichen Grenzen hin.

NATHANIEL HAWTHORNEEr ist ein einzigartiger Charakter …

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Thoreau 1854

(Samuel Worcester Rowse)

RICHARD FULLERMit Thoreau war ich in bester Gesellschaft. Er war ein College-Absolvent von großer Bildung …

NATHANIEL HAWTHORNE… der immer noch viel wilde, ursprüngliche Natur in sich trägt, und soweit er kultiviert ist, ist er es auf seine ganz eigene Art und Weise.

RALPH WALDO EMERSONSo konnte er das Geräusch seiner Schritte, das Knirschen der Kiesel unter seinen Schuhen nicht ertragen und lief deshalb, wenn möglich, nie auf der Straße, sondern im Gras und abseits der Straßen über Hügel und durch Wälder. Seine Sinne waren scharf und er bemerkte, dass jedes Wohnhaus nachts einen schlechten Geruch verströmte, wie ein Schlachthof.

ROBERT LOUIS STEVENSONSein schier beißend scharfer Verstand, seine schier animalische Geschicklichkeit wurde nicht von der umfassenden Lebendigkeit unserer sonstigen Helden begleitet. Er war nicht ungezwungen, nicht großzügig, nicht weltgewandt, nicht einmal freundlich; seine Freude lächelte kaum, oder das Lächeln war nicht breit genug, um zu überzeugen.

RICHARD FULLEREr war durch und durch uneigennützig, wirklich kultiviert, aufrichtig und von wahrem Geist. Ich fand nicht nur Gefallen an seinem detaillierten und kritischen Wissen über die Angelegenheiten der Natur, sondern auch an seiner Einschätzung ihrer flüchtigen Gnaden, diese Haltung ergänzte meine Bildung.

NATHANIEL HAWTHORNEIch glaube, er hat in Cambridge studiert und früher in dieser Stadt unterrichtet, doch seit zwei oder drei Jahren hat er alle gewöhnlichen Mittel, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zurückgewiesen und scheint dazu geneigt, eine Art Indianerleben unter zivilisierten Menschen zu führen – unter Indianerleben verstehe ich das Vermeiden jeglicher systematischen Anstrengung, ein Auskommen zu finden.

RALPH WALDO EMERSONEr verfolgte ein umfassenderes Ziel: Die Kunst, gut zu leben. Wenn er die Meinung anderer gering schätzte und sich über sie hinwegsetzte, dann nur deshalb, weil er seine Handlungen mit seinem Glauben in Einklang bringen wollte. Er war nie faul oder undiszipliniert, und wenn er Geld brauchte, dann entschied er sich dafür, es mit körperlicher Arbeit, die er gern machte, zu verdienen. Dann baute er ein Boot oder einen Zaun, pflanzte oder veredelte Bäume, vermaß Land oder verschaffte sich eine andere kurzfristige Tätigkeit, die er dauerhaften Beschäftigungen vorzog.

ELLERY CHANNINGEr war immer zur Stelle, geschickt mit Auge und Hand, um die besten Melonen im Garten zu ziehen, den Obstgarten mit den erlesensten Bäumen zu bepflanzen oder aus dem Stegreif den Mechaniker zu spielen.

RALPH WALDO EMERSONEr konnte eine Strecke von 80 Metern genauer abschreiten, als ein anderer sie mit einem Maßband messen konnte. Er sagte, er finde seinen Weg nachts im Wald mit den Füßen besser als mit den Augen. Die Maße eines Baums bestimmte er allein mit dem Auge und das Gewicht eines Kalbs oder eines Schweins schätzte er so gut wie ein Viehhändler. Aus einer Schachtel mit losen Bleistiften entnahm er mit einem Handgriff ein Dutzend oder mehr. Er war ein guter Schwimmer, Läufer, Eisläufer und Ruderer und konnte wahrscheinlich an einem Tag weiter wandern als die meisten seiner Landsleute.

ELLERY CHANNINGEr hatte die Hauslämmer gern und die Blumen seiner Schwester. Kätzchen waren seine Lieblinge; er konnte eine halbe Stunde lang mit ihnen spielen. Keine Laune oder Kälte, keine Inanspruchnahme seiner Zeit durch öffentliche oder private Obliegenheiten beraubte die Angehörigen seiner Güte und Zuneigung. Er tat die nächstliegenden Pflichten und stellte die Menschen seines engeren Kreises zufrieden.

RALPH WALDO EMERSONSeine robuste Wesensart und Anspruchslosigkeit, sein Geschick im Umgang mit Holz und seine hervorragenden mathematischen Fähigkeiten hätten es ihm ermöglicht, in jedem Teil der Welt zu leben. Er brauchte weniger als andere, um seine Bedürfnisse zu stillen. Auf diese Weise sicherte er sich auch viel freie Zeit.

NATHANIEL HAWTHORNEMr. Thoreau ist ein leidenschaftlicher und feinfühliger Beobachter der Natur – einen so ernsthaften Beobachter trifft man, wie ich befürchte, ebenso selten wie einen originellen Poeten –, die Natur scheint ihn aus Dankbarkeit für seine Liebe als ihr bevorzugtes Kind adoptiert zu haben und zeigt ihm Geheimnisse, die nur wenigen anderen offenbart werden.

RALPH WALDO EMERSONUnter seinem Arm trug er ein altes Notenbuch, mit dem er Pflanzen presste. In seinen Taschen befanden sich ein Tagebuch samt Stift, ein Fernglas zur Beobachtung von Vögeln, ein Mikroskop, ein Taschenmesser sowie ein Stück starker Bindfaden. Thoreau trug einen Strohhut, festes Schuhwerk und robuste graue Hosen, um sich vor Gestrüpp und Dornen zu schützen, aber auch, um auf Bäume zu den Nestern von Eichhörnchen oder Falken klettern zu können. Ich erinnere mich an einen Tag, da watete er in einem Teich, um Wasserpflanzen zu untersuchen; seine kräftigen Beine waren kein unwesentlicher Teil seiner Ausrüstung.

NATHANIEL HAWTHORNEEr ist vertraut mit Säugetier, Fisch, Vogel und Reptil und kann seltsame Geschichten von seinen Abenteuern und freundschaftlichen Begegnungen mit diesen untergeordneten Brüdern der Sterblichkeit erzählen. Gleichermaßen sind Pflanze und Blume, wo immer sie sprießen, ob im Garten oder in der Wildnis, seine engen Freunde. Auch pflegt er gute Beziehungen zu den Wolken und kann die Vorzeichen eines Sturms erkennen.

RALPH WALDO EMERSONSchlangen wanden sich um seine Beine. Fische schwammen ihm in die Hand und er hob sie aus dem Wasser. Murmeltiere zog er am Schwanz aus ihrem Bau und Füchse verbarg er vor den Jägern. Unser Naturalist war von vollkommener Großherzigkeit.

NATHANIEL HAWTHORNEEs ist typisch für ihn, dass er großen Respekt vor dem Vermächtnis der Indianerstämme hat, deren wildes Leben ihm so gut gefallen hätte …

RICHARD FULLEREr wusste aber auch einiges über die Inder zu sagen.

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Thoreau 1856

(Benjamin D. Maxham)

NATHANIEL HAWTHORNE… und merkwürdigerweise geht er selten über ein gepflügtes Feld, ohne eine Pfeil- oder Speerspitze oder ein anderes Relikt des roten Mannes aufzulesen. Als ob ihre Geister ihn als Erben ihres schlichten Reichtums auserkoren hätten.

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Thoreau 1861

(Edward S. Dunshee)

RALPH WALDO EMERSONEs gab keinen wahrhaftigeren Amerikaner als Thoreau. Seine Vorliebe für sein Land und für seine eigene Position war echt, und seine Abneigung gegenüber englischen und europäischen Sitten und Moden grenzte an Verachtung. Neuigkeiten und Bonmots aus Londoner Kreisen vernahm er unwillig, und obwohl er sich bemühte, freundlich zu sein, ermüdeten ihn diese Anekdoten.

ELLERY CHANNINGDie geballte Hand zeigte ein Vorhaben an. Beim Gehen nahm er eine Abkürzung, wenn er konnte, und wenn er im Schatten oder an der Mauer saß, so schien er nur umso klarer nach dem nächsten Stück Tätigkeit auszublicken. Sogar im Boot hatte er ein achtsames Aussehen, seine Augen wanderten schnell hin und her – vielleicht gab es dort Enten, eine Schildkröte, einen Fischotter oder einen Sperling zu sehen.

RALPH WALDO EMERSONEr konnte unbeweglich dasitzen und zum Fels werden, auf dem er saß, bis der Vogel, die Echse, der Fisch, eben das Tier, das vor ihm geflohen war, zurückkam und seinen gewohnten Verhaltensweisen nachging, nein, womöglich noch neugierig zu ihm kam und ihn beobachtete.

ELLERY CHANNINGSeine ganze Gestalt hatte einen tätigen Ernst, als hätte er keinen Augenblick zu vergeuden.

RALPH WALDO EMERSONSeine Sinne waren scharf, sein Körperbau drahtig und zäh, seine Hände kräftig und geschickt im Umgang mit Werkzeugen. Sein Körper und sein Geist befanden sich auf wunderbare Weise im Einklang.

ROBERT LOUIS STEVENSONEs gab nicht viel, was er nicht konnte. Er baute ein Haus, ein Boot, produzierte Bleistifte und machte Bücher. Er war Vermesser, Gelehrter, Naturgeschichtler. Er konnte laufen, wandern, klettern, Schlittschuh fahren, schwimmen, Boote lenken. Der geringste Anlass genügte ihm, seine Körpertüchtigkeit hervorzukehren; und ein Fabrikant, der bloß sein geschicktes Hantieren an einem Waggonfenster sah, offerierte ihm sofort eine Stellung.

NATHANIEL HAWTHORNEDarüber hinaus hat er mehr als nur einen Anstrich literarischer Bildung – einen tiefen und echten Sinn für Poesie, besonders für die klassischen Dichter, auch wenn er wie alle anderen Transzendentalisten, soweit ich mit ihnen bekannt bin, anspruchsvoller ist, als wünschenswert wäre.

RALPH WALDO EMERSON Das Verhältnis seines Körpers zu seinem Geist war noch feiner, als ich angedeutet habe. Er sagte, er begehre jeden Schritt, den seine Beine machten. Der Länge seiner Wanderungen entsprach die Länge seiner Schriften. Hielt er sich nur im Haus auf, schrieb er nicht.

RICHARD FULLERThoreau war reich an Widersprüchen. Das brachte mich dazu, die Grundlagen seiner Ansichten genauer anzuschauen, anstatt sie ändern zu wollen. Es entsprach seinem Temperament, die Fahne in die entgegengesetzte Richtung zu schwenken, wenn die Welt seiner Meinung zu sein drohte.

RALPH WALDO EMERSONNein zu sagen, kostete ihn nichts; es war für ihn leichter, als ja zu sagen. Er war so unzufrieden mit den Beschränkungen unserer alltäglichen Gedanken, dass es sein erster Instinkt war zu widersprechen, wenn er eine Behauptung hörte.

ROBERT LOUIS STEVENSONEs ist nützlich, nein sagen zu können, doch das Wesen der Liebenswürdigkeit besteht sicherlich darin, ja zu sagen, wann immer es möglich ist. Einem Menschen, der sich nicht selbst verabscheut, wenn er genötigt ist, nein zu sagen, fehlt etwas. Und diesem geborenen Dissidenten fehlte viel.

RALPH WALDO EMERSONNatürlich wirkte sich diese Gewohnheit hinderlich auf seine sozialen Beziehungen aus, und obwohl sein Gegenüber ihm am Ende weder bösen Willen noch Unaufrichtigkeit unterstellte, verdarb es doch das Gespräch. Daher stand auch niemand in ganz enger Beziehung zu ihm, obwohl er rein und harmlos war.

ELIZABETH HOAR: Ich liebe Henry, aber ich mag ihn nicht: Seinen Arm zu ergreifen, erscheint mir so, als ergreife man den Arm einer Ulme.

RALPH WALDO EMERSONSein Wesen hatte etwas Militärisches, das sich nicht unterdrücken ließ. Stets war er männlich und zupackend, selten sanft; es schien, als spürte er sich nicht – außer im Zustand der Rebellion.

ELLERY CHANNINGEr war ein einfacher Mann in seinem Benehmen und seiner Kleidung, einer, der nicht misszuverstehen war. Diese Art von Schlichtheit ist nicht ohne Anmut. In seiner Einfachheit ging er manchmal bis zum Äußersten.

RALPH WALDO EMERSONEr hinterfragte jede Gewohnheit und strebte danach, seine Handlungen auf eine ideale Grundlage zu stellen. Er war ein Rebell in extremis, und wenige Leben sind so entsagungsreich, wie es seines war. Er wurde in keinem Beruf erzogen, er heiratete nie, er lebte allein, er ging nie in die Kirche, er wählte nie, er weigerte sich, dem Staat Steuern zu zahlen, er aß kein Fleisch, er trank keinen Wein, er rauchte keinen Tabak, und obwohl er Naturforscher war, benutzte er weder Fallen noch ein Gewehr.

ROBERT LOUIS STEVENSONSo viele negative Vorzüge geraten leicht in den Ruch von Dünkel.

RALPH WALDO EMERSONEr zog es vor, so wie es ihm vernünftig schien, ein Junggeselle des Denkens und der Natur zu sein.

ROBERT LOUIS STEVENSONMit einem Wort: Thoreau kniff. Er wollte nicht, dass ihm unter seinen Mitmenschen die Tugend abhandenkam, und verdrückte sich in eine Ecke, um sie für sich zu horten. Um ein paar tugendhafter Schwelgereien willen gab er alles auf.

BRONSON ALCOTT Er schien keinen Anfechtungen ausgesetzt zu sein. All die starken Bedürfnisse, mit denen andere Menschennaturen kämpfen, kannte Thoreau nicht.

ROBERT LOUIS STEVENSONDoch der Mensch kann beim Streben nach Güte auch kalt-grausam und beim Streben nach Gesundheit sogar krankhaft sein. Ich finde jetzt nicht die Stelle, wo er seine Kaffee- und Teeabstinenz erläutert, aber ich glaube, den Inhalt hinzubekommen. Dies ist er: Er hielt es für unökonomisch und eines wahren Empiristen für unwürdig, das natürliche morgendliche Entzücken durch derart schmutzige Genüsse zu verderben; man lasse ihn nur den Sonnenaufgang sehen, und schon sei er auf die Mühen des Tages hinlänglich eingestimmt. Das mag ein guter Grund sein, sich des Tees zu enthalten; aber wenn wir feststellen, dass derselbe Mensch, aus denselben oder ähnlichen Gründen, sich beinahe all der Dinge enthält, von denen seine Nachbarn unschuldig und vergnügt Gebrauch machen, und dazu auch der Schwierigkeiten und Prüfungen der menschlichen Gesellschaft, erkennen wir jene hypochondrische Gesundheit, die heikler als Krankheit ist.

RALPH WALDO EMERSONNatürlich nahmen seine Tugenden manchmal extreme Züge an.

ROBERT LOUIS STEVENSONShakespeare, dürfen wir uns vorstellen, konnte seinen Tag mit einem Krug Bier beginnen und doch den Sonnenaufgang wie Thoreau genießen und diesen Genuss in weitaus besseren Versen feiern.

RALPH WALDO EMERSONDa er vollkommen integer war, forderte er Integrität auch von anderen. Verbrechen verabscheute er, sie waren für ihn mit keinem irdischen Nutzen zu rechtfertigen. Gaunereien entlarvte er sowohl bei Würdenträgern und Reichen als auch bei Armen unerbittlich und mit demselben Ekel. Diese gefährliche Offenheit im Umgang mit anderen brachte ihm unter seinen Bewunderern den Namen »der furchtbare Thoreau« ein. Es war, als redete er, wenn er schwieg, und als sei er auch abwesend noch anwesend. Ich denke, die Strenge seiner Ideale führte dazu, dass er nicht genügend gesunde menschliche Gesellschaft hatte.

ROBERT LOUIS STEVENSONOb man ihn Halbgott oder Halbmensch nennt, er war gewiss keiner von uns, denn er hatte nicht das geringste Gefühl für unsere Schwächen.

RALPH WALDO EMERSONEs war leicht zu sehen, dass seiner unerbittlichen Forderung nach Wahrheit asketische Tendenzen zugrunde lagen, die ihn, diesen freiwilligen Einsiedler, noch einsamer machten, als es ihm selbst lieb war.

NATHANIEL HAWTHORNEAlles in allem halte ich ihn für einen Mann, dessen Bekanntschaft gewinnbringend und bekömmlich ist.