Das in einer aktualisierten Neuausgabe vorliegende Handbuch begründet erstmalig eine allgemeine Didaktik des Instrumentalunterrichts. Es beschreibt fächerübergreifend Ziele, Lerninhalte und Lehrmethoden und bietet eine Fülle von detaillierten Vorschlägen für die Praxis. Der Leser erfährt Wesentliches über die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung, das körpersprachliche Verhalten im Unterricht und die Förderung von Lernprozessen. Der instrumentale Gruppenunterricht wird in einem ausführlichen Kapitel behandelt. Das Buch stellt somit umfassend die zentralen Aspekte pädagogischer Professionalität dar.

Prof. Dr. Anselm Ernst lehrte Musikpädagogik im Studiengang der Instrumental- und Gesangslehrer an der Musikhochschule Freiburg. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Didaktik des Instrumental- und Gesangsunterrichts, Gruppenunterricht und Mentales Training.

Anselm Ernst

Lehren und Lernen
im Instrumentalunterricht

Ein pädagogisches Handbuch
für die Praxis

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Bestellnummer SDP 57

ISBN 978-3-7957-8605-2

© 2016 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ED 8718

© 1991, 2012 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Analyse und Planung
Grundzüge einer allgemeinen Didaktik des Instrumentalunterrichts

Das Didaktik-Modell der Berliner Schule

1.  Unterrichtsziele

Die Bedeutung von Unterrichtszielen

Die Hierarchie der Ziele

Zielbereiche

Lehrziele und Lernziele

Allgemeine und konkrete Zielsetzungen

Zusammenfassung

2.  Lernfelder und Unterrichtsinhalte

Beispiele

Erstes Beispiel: Cellostunde

Zweites Beispiel: Querflötenstunde

Drittes Beispiel: Klavierstunde

Lernfelder

Persönliches Gespräch

Übe-Methoden

Zusammenspiel

Interpretation

Improvisation

Elementares Komponieren

Blattspiel

Auswendigspiel

Spieltechnik

Körperschulung

Musiktheorie

Werkanalyse

Hörerziehung

Musikgeschichte

Methoden der inhaltlichen Gestaltung von Unterricht

3.  Unterrichtsmethodik

Aktionsformen

Methodische Prinzipien

Lenkung – Selbsttätigkeit/Selbstbestimmung

Sprache – Körpersprache

Arbeit – Spiel

Anschaulichkeit – Begrifflichkeit

Ganzheitlichkeit – Elementenhaftigkeit

Direktheit – Indirektheit

Abschließende Bemerkungen

Methoden

Erarbeitendes Verfahren (Klavierstunde)

Modell-Methode (Geigenstunde)

Darstellendes Verfahren (Querflötenstunde)

Aufgebendes Verfahren (Fagottstunde)

Entdeckenlassendes Verfahren (Klavierstunde)

Dialog-Methode (Schlagzeugstunde/Vibraphon)

Abschließende Gesamtbewertung

Unterrichtsaufbau

4.  Unterrichtsplanung

Der Sinn des Planens

Beispiele

Erstes Beispiel: Fagottstunde

Zweites Beispiel: Querflötenstunde

Drittes Beispiel: Klavierstunde

Viertes Beispiel

Durchführung von Unterricht

Vorbemerkung

1.  Die Lehrer-Schüler-Beziehung

Die Bedeutung des zwischenmenschlichen Verhältnisses

Das Selbstkonzept

Erwartungen

Die emotionale Einstellung

Offenheit

Ich-Botschaften

Aktives Zuhören und einfühlendes Verstehen

2.  Körpersprache

Forschung und pädagogische Ausbildung

Allgemeine Charakterisierung der Körpersprache

Allgemeine Vorschläge für die Praxis

Körperkontakt

Mimik

Gestik

Blick und Blickkontakt

„Die Musik der Stimme“

Körperhaltung

Räumliches Verhalten

Äußere Erscheinung des Schülers

3.  Unterrichtssprache

Sprache und Lehrstile

Das Ausmaß des Sprechens

Die Verständlichkeit der Sprache

Fragen

Schweigen

Sprachstil

Negatives positiv ausdrücken

Lehrerecho

„Ich“ oder „du“ statt „wir“

Jugendjargon

4.  Die Förderung von Lernprozessen

Lernhilfen

Lernverstärkung

5.  Der Gruppenunterricht

Vorbemerkung

Thesen zum Gruppenunterricht

Gruppenunterricht und Einzelunterricht im Vergleich

Die Gruppe

Gruppengröße

Gruppengröße als methodisches Problem

Pädagogische Inanspruchnahme

Gruppengröße und Gruppendynamik

Zusammensetzung der Gruppe

Gruppenfiguren und Verhaltenstypen

Rangordnungen

Konkurrenz

Nivellierungstendenz

Gruppenatmosphäre und Gruppenführung

Methodische Probleme des Gruppenunterrichts

Allgegenwärtigkeit

Überlappung

Sprunghaftigkeit und Reibungslosigkeit

Mobilisierung der Gruppe

Vorschläge für die Gruppenmobilisierung

Innere Differenzierung

Medien

Beobachten – Bewerten – Trainieren

Vorbemerkung

Beobachten und Bewerten als Ausbildungsschwerpunkt

Erläuterungen zum Unterrichtsmodell

Typische Fehler beim Beobachten und Bewerten von Unterricht

Fragen zur Unterrichtsplanung

Praktische Leitlinien für ein informatives Protokoll

Grundzüge eines Bewertungssystems

Orientierungsfragen für eine persönliche Stellungnahme

Lehrtraining oder die „Schule der Geläufigkeit“

Literaturverzeichnis

Vorwort

Kaum jemand würde leugnen, daß ein Instrumentallehrer auch „Pädagoge“ ist. Aber warum davon viel Aufhebens machen? Sind nicht eine fundierte musikalische und instrumentaldidaktische Ausbildung die eigentlichen Voraussetzungen für die Berufstätigkeit, während man das pädagogische Geschick erst in langen Jahren gründlicher Praxiserfahrung erwirbt?

Als ich vor einigen Jahren die musikpädagogischen Ausbildungsaufgaben im Studiengang „Instrumentallehrer“ an der Musikhochschule Freiburg übernahm, erschien mir diese gängige Meinung zunächst einleuchtend. Doch bald kamen Zweifel auf. Um mir Klarheit in dieser Frage zu verschaffen, begab ich mich nach Jahren rein wissenschaftlicher Lehrtätigkeit wieder in die Praxis. Ich erlebte aufs neue die Höhen und Tiefen des Unterrichtsalltags. Besonders deutlich aber empfand ich, wie wichtig es ist, das Lehren pädagogisch niveauvoll zu gestalten, zumal die Ansprüche an mein eigenes Unterrichten sprungartig gestiegen waren. Mir wurde bewußt, daß meine eigene Lehramtsausbildung nur in sehr geringem Maße zu meiner pädagogischen Professionalität beigetragen hatte. Der Rückblick auf Form und Verlauf der Ausbildung zeigte mir, daß gerade im Bereich der pädagogischen Qualifizierung ein eklatantes Defizit herrschte, während die fachliche und fachdidaktische Seite im Übermaß betont wurde. Und dieser Zustand ändert sich nur langsam.

Folgende Gründe lassen sich dafür anführen: Viele Lehrkräfte haben immer noch nicht zur Kenntnis genommen, daß für eine pädagogische Berufsqualifizierung ein umfangreiches Grundlagenwissen bereits zur Verfügung steht. Und dieses Grundlagenwissen kann durch ein regelrechtes Lehrtraining in handfestes Können umgesetzt werden. Noch schwerer aber wiegt der Umstand, daß die pädagogische Professionalisierung – im Gegensatz zur fachlichen und fachdidaktischen – nicht nur ein sachliches, sondern auch ein sozial-emotionales Lernen erfordert. Die Konfrontation mit der eigenen Person läßt sich nicht vermeiden; oftmals verläuft sie unangenehm und schmerzlich, wenn sich nämlich die persönlichen sozialen Einstellungen, seelischen Strukturen oder zwischenmenschlichen Verhaltensmuster als ungünstig und bedenklich erweisen. Zudem empfinden es viele als Zumutung, für eine pädagogisch qualifizierte Lehrtätigkeit die eigene Person verändern zu sollen. Unter Berufung auf die verhängnisvolle Formel: „Entweder man hat pädagogisches Geschick, oder man lernt es nie“, versucht man dem Anspruch zu entfliehen, der aus der Aufgabenstellung erwächst. Mehr noch als an den Ausbildungsinstitutionen für die allgemeinbildenden Schulen huldigt man an den Musikhochschulen und Konservatorien diesem törichten Vorurteil, ganz zu schweigen davon, daß hier die Notwendigkeit einer speziell pädagogischen Ausbildung kaum erkannt wird. Auch über Ausmaß und Inhalte herrscht zumeist Unkenntnis.

Das vorliegende Buch soll auf diese defizitäre Ausbildungssituation aufmerksam machen. Es vermittelt in komprimierter Form das grundlegende pädagogische „know how“ und zeigt Wege für eine sinnvolle Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit auf. Zu wünschen wäre, daß ergänzende Publikationen an seine Seite treten und dazu beitragen, eine angemessene pädagogische Instrumentallehrer-Ausbildung Wirklichkeit werden zu lassen.

Wahrend meiner Arbeit am Manuskript konnte ich mich der freundlichen Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen verschiedener Instrumentalfächer versichern. Im regen Austausch mit ihnen erhielt ich wichtige Beispiele, Erfahrungen und Überlegungen aus ihrer alltäglichen Unterrichtspraxis. Die im Buch versteuten „anonymen“ Zitate – in den Kapiteln Die Lehrer-Schüler-Beziehung und Der Gruppenunterricht treten diese Zitate gehäuft auf – entstammen den Gesprächen mit ihnen. Mein herzlicher Dank gilt Dr. Nanny Drechsler, Sven Kiebler, Gundula Leuschner, Frauke Roth, Dr. Wolfgang Rüdiger, Jutta Schwarting, Michael Stecher, Günter Theis, Sabine Waldstein und Gabriele Wöller.

Einleitung

Vor mehr als zehn Jahren stellten Popharn und Baker – zwei Forscher in den USA – ein Experiment an, dessen Ergebnisse geradezu entlarvend sind. Die beiden Wissenschaftler wollten herausfinden, ob zwischen Lehrern und Nicht-Lehrern ein Unterschied in den Lehrfertigkeiten besteht. Der Unterricht von Lehrern, so könnte man mit Recht erwarten, sollte eigentlich aufgrund von Ausbildung und Berufserfahrung qualifiziertere Ergebnisse aufweisen als der von Nicht-Lehrern. Ausgestattet mit einer Liste von Lernzielen und methodischen Hinweisen sollte nun eine jeweils gleich große Anzahl von Lehrern und Nicht-Lehrern eine vierstündige Unterrichtseinheit über einen festgelegten und ausgearbeiteten Lehrstoff erteilen. Die Lehr-Erfolge wurden anschließend verglichen. Das Ergebnis veranlaßte Popharn und Baker, ironisch festzustellen, daß Hausfrauen in dieser Situation ebenso effektiv unterrichten wie ausgebildete Lehrer. Die beiden Forscher wiederholten den Versuch mit einer weit größeren Gruppe von Versuchspersonen und kamen zu den gleichen Einsichten1.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob das Experiment auch eine Aussagekraft für die Berufstätigkeit von Instrumentallehrern hat. Wie sieht es mit der Professionalisierung ihres Lehrens aus? Ist ihr Unterrichten ähnlich laienhaft und unentwickelt wie das der oben apostrophierten Nicht-Lehrer?

Wenn man nachfragt, worin die pädagogische Professionalität im einzelnen besteht, und wenn man offen Rechenschaft über das erreichte Niveau ablegt, muß man die Frage mit Ja beantworten. Im Gesamtspektrum der beruflichen Qualifikationen des Instrumentallehrers kommen die pädagogischen Fähigkeiten immer noch zu kurz.

Da erscheint der Unterricht eher wie eine Blattspielübung: Ohne spezielle Vorbereitung begibt man sich ans Unterrichten. Man weiß noch nicht so recht, was einem begegnet. Spontan versucht man die Situation zu erfassen und zu bewältigen. Man lebt sozusagen von der Hand in den Mund, weil ein fundiertes pädagogisches Wissen und Können nicht zur Verfügung steht. Gerade unter solchen Bedingungen wächst dann die Neigung, sich pädagogischen Alltagstheorien anzuschließen. Oft tritt im Laufe der Berufstätigkeit eine dogmatische Verhärtung in zentralen und grundlegenden Fragen ein. Unterrichtsgewohnheiten bilden sich aus, die kaum befragt, geschweige denn einer Revision unterzogen werden. Man kann sich nicht darauf verlassen, daß mit wachsender Berufser fahrung das Verhalten von Lehrern automatisch vielseitiger und flexibler wird. Wie jeder aus seiner eigenen Schulzeit weiß, kann das Lehrerverhalten manchmal so schematisch werden, daß die Schüler die Lehrerreaktionen teilweise wörtlich vorhersagen und geradezu experimentell auslösen können. Die Berufssituation begünstigt eher Rigidität des Verhaltens als Variabilität und Flexibilität.2

Gleichwohl regt sich Widerspruch: Unbestritten dürfte sein, daß es eine große Zahl wirklich erfolgreicher Instrumentallehrer gibt, die beweisen, daß der pädagogische Professionalitätsanspruch erfüllt wird. Und schließlich: Muß man nicht letztlich als Pädagoge „geboren“ sein?

Unter Musikern ist diese Meinung erstaunlich oft zu hören. Erstaunlich deshalb, weil gerade Musiker keine Anstrengung scheuen, durch unablässiges Üben ihre sogenannte Begabung auszuschöpfen. Und das widerspricht nun einmal dem Festgelegtsein durch angeborene Fähigkeiten.

Was hat es also mit dem „geborenen“ Pädagogen auf sich? Mit etwas Ironie könnte man zunächst fragen: Ist nicht jeder ein „geborener“ Pädagoge? Lehren ist ein derart alltägliches Phänomen, daß jeder Mensch oft genug in diese Situation gerät. Es ist frappierend zu beobachten, wie schon ein vierjähriges Kind spontan und geradezu förmlich seinen noch jüngeren Bruder oder seine Schwester belehrt. Dennoch soll nicht geleugnet werden, daß manche Menschen vielleicht aufgrund angeborener, sicherlich aber auch aufgrund zufällig und nebenbei erworbener Dispositionen ein auffälliges Geschick im Unterrichten besitzen. Forscher haben sich denn auch die Frage gestellt, was einen außergewöhnlichen Lehrer auszeichnet. Die Entschlüsselung seines Erfolgsgeheimnisses erbrachte nicht einmal sonderlich überraschende Ergebnisse. Die Aussagen konzentrieren sich auf einige wenige Punkte:

Als erstes wären die menschlichen Qualitäten zu nennen, die einen Lehrer zur Gestaltung einer ausgesprochen achtungsvollen Beziehung zum Schüler befähigen. Auf dieser tragfähigen Unterrichtsbasis bemüht sich der „gute“ Lehrer, den Schüler für sich selbst zu mobilisieren, so daß er sich zunehmend für sein Lernen verantwortlich fühlt. Deshalb kommt es dem Lehrer vorrangig auf die Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit des Schülers an. Definierbare Lernerfolge und vorweisbare Leistungen gelten demgegenüber wenig. Durch die eigene Begeisterungsfähigkeit für die Sache und durch ein reges Interesse an der Person des Schülers trägt der Lehrer indirekt, aber wirkungsvoll dazu bei, daß der Schüler die gewünschte Lernhaltung ausprägt. Was außerdem hervorsticht, sind die Fähigkeiten, sich wendig den wechselnden Unterrichtssituationen anzupassen (Flexibilität) und zugleich ein reichhaltiges Verhaltensrepertoire kreativ einzusetzen (Variabilität).

Insgesamt betrachtet ist dies eine recht grobe Beschreibung. Konkrete Hinweise kann man den komplexen Lehrqualitäten kaum entnehmen. Vorerst bleiben die Feststellungen der Forscher für den Praktiker unbefriedigend. Sie bilden jedoch den Grundriß für ein Verhaltenskonzept, das in seinen Einzelheiten konkret und praxisnah entfaltet werden kann. Mit den zentralen Begriffen Flexibilität und Variabilität besitzen wir zugleich eine Leitlinie für die pädagogische Professionalisierung. Beweglichkeit und Vielseitigkeit im pädagogischen Verhalten sind wahrscheinlich das „Geheimnis“ des erfolgreichen Lehrers3.

Bei Lehrberufen verschiedenster Art ist oft zu beobachten, daß ihre Professionalisierung mit dem Fachlichen beginnt, zum Fachdidaktischen fortschreitet und erst zuletzt – in meist geringerem Umfange – das Pädagogische mit einbezieht. Das heißt, daß man dem Fachlichen die Priorität einräumt, bald auch die speziellen Vermittlungsprobleme erkennt und anerkennt (Fachdidaktik), die Vielzahl der pädagogischen Fragestellungen des Unterrichts jedoch gerne vernachlässigt. Beim Instrumentallehrerberuf ist etwas Ähnliches zu beobachten.

Es ist nun an der Zeit zu klären, was mit dem Wortungetüm „Professionalisierung“ gemeint ist und worin die Professionalisierung des Instrumentallehrer-Berufs besteht, insbesondere auf pädagogischem Gebiet.

Beginnen wir mit der musikalischen Ausbildung: Noch bevor sich der Instrumentallehrer auf seine berufliche Laufbahn begibt, lernt er ein Instrument, und zwar systematisch und kontrolliert. Er eignet sich ein handwerkliches Können an, das während der Hochschulausbildung erweitert und vertieft wird. Schon von Beginn an wird dieses Können auf eine Wissensbasis gestellt, die aus Musiktheorie, Musikgeschichte und ähnlichem besteht. Im Verlaufe der gesamten Entwicklung tritt eine weitere Komponente hinzu; sie umfaßt die kritische Reflexion des Erlernten und die Selbstkontrolle. In Eigenständigkeit und Kreativität erreicht der fachliche Entwicklungsprozeß seinen Höhepunkt. Nun haben wir die wesentlichen Bestimmungsmomente für das, was mit Professionalisierung gemeint ist, beisammen:

–  systematische und förmliche Ausbildung

–  Aneignung von klar benennbaren Fertigkeiten

–  Erwerb einer breiten Wissensbasis

–  Fähigkeit zur kritischen Reflexion und Kontrolle des selbstverständlich gewordenen Könnens und Wissens

–  eigenständige kreative Weiterentwicklung.

Daß der Prozeß der fachlichen Qualifizierung als erster genannt wurde, liegt in mehrfacher Hinsicht nahe: Ein Instrumentallehrer versteht sich in der Regel zuerst als Musiker, als Fachmann für sein Instrument. Dieses Selbstverständnis entspricht der persönlichen Entwicklung, denn die Motivationen für den Beruf sind ursprünglich musikalischer Natur: das große Interesse am Instrument und die Leidenschaft zur Musik. Die pädagogische Berufsperspektive kommt oft erst im Laufe des Studiums hinzu.

Den zweiten Teil der Professionalisierung bildet die instrumentale Fachdidaktik. Sie ist ein exakt umschreibbares Gebiet, das alle Fragen der Lehr- und Lernbarkeit eines Instruments umfaßt. Diese Fragen entstehen zwangsläufig, denn der. angehende Instrumentallehrer ist ja zunächst nur Musiker. Er könnte den Schüler nicht unvermittelt mit seiner entwickelten fachlichen Kompetenz konfrontieren. Er muß vielmehr sein Können und Wissen lehr- und lernbar machen. Als Didaktiker schlägt er die Brücke zwischen sich, dem Fachmann, und dem Schüler. Er versetzt sich gewissermaßen in die Situation des Schülers zurück, um aus dieser Perspektive das Können und Wissen zu betrachten, das er vermitteln soll. Dabei muß er jedoch keineswegs beim Punkt Null anfangen. Heute existiert für jedes Instrument eine voll entwickelte Fachdidaktik Sie umfaßt Unterrichtswerke aller Art, ein Arsenal von Etüden und technischen Übungen, pädagogische Spielstücke und Ensembleliteratur, Kompositionen aus Vergangenheit und Gegenwart nach Schwierigkeitsgraden gestaffelt und außerdem eine Vielzahl von Lehrbüchern. Die fachdidaktische Qualifizierung schließt zudem eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten ein:

–  systematische, auf den individuellen Schüler oder die Lerngruppe zugeschnittene Vermittlung der instrumentalen und allgemeinen musikalischen Grundlagen

–  Erkennen und Bewerten der verschiedenen musikalischen Lernfähigkeiten eines Schülers

–  Diagnose des musikalischen und spieltechnischen Lernstandes eines Schülers

–  Planung langfristiger Entwicklungslinien für die verschiedenen Schüler

–  Auswahl geeigneter Spielstücke und Unterrichtswerke, Berücksichtigung der individuellen Schülerinteressen

–  Zusammenstellung günstiger Lerngruppen und Instrumentalensembles.

Der Instrumentallehrer ist als Fachdidaktiker darum bemüht, jedem Schüler eine eigene musikalische Entwicklung zu ermöglichen, nämlich das Instrument und die Musik für sich zu entdecken und persönliche Interessen auszuprägen. Wenn der Schüler das riesige Feld der Musik betritt, ahnt er nicht einmal, was ihm alles begegnen kann. Je nach Alter und Anregung durch die Umwelt hat der Schüler zwar schon seine Erfahrungen mit Musik gemacht. Für unsere hochentwickelte und weitverzweigte Musikkultur gibt es jedoch viele Zugangsweisen und Gewichtungsmöglichkeiten. Der Instrumentallehrer sollte dem Schüler helfen, Orientierungen zu gewinnen, sich zu beschränken und bewußt auszuwählen. Das Instrument wird dabei zum musikalischen Brennpunkt.

Musikalische und fachdidaktische Professionalisierung stehen in engem Zusammenhang. Der dritte Qualifikationsschwerpunkt, die pädagogische Professionalisierung, ist jedoch von allgemeiner Art. Er betrifft jede Lehrtätigkeit, unabhängig von der Sache und ihrer speziellen didaktischen Aufarbeitung. Für diesen Bereich gelten ebenfalls die obengenannten formellen Maßstäbe. Das Ausbildungsspektrum ist ähnlich umfassend und differenziert wie in den beiden anderen Qualifikationsbereichen.

Um den Blick für die Weite der pädagogischen Befähigung und damit für das Ausmaß an wünschenswerter Flexibilität und Variabilität des Lehrverhaltens zu bekommen, müssen wir das Phänomen Unterricht in seinen Grundzügen entschlüsseln. Wir alle haben Unterricht häufig genug aus der Sicht eines Schülers kennengelernt. Wenn wir jedoch selber als Lehrer die Verantwortung übernehmen, bemerken wir sofort einige Seiten am Unterricht, die uns zuvor entgangen sind. Was da vielleicht als erstes auffällt, ist die Tatsache, daß man Unterricht planen muß. In welcher Form nun läßt sich Unterricht vorbereiten? Und worauf bezieht sich die Planung? Gerade die zweite Frage kann bei genauer Betrachtung nicht mit ein paar kurzen Antworten abgetan werden. Es zeigt sich nämlich, daß die Kenntnis der Faktoren erforderlich ist, die einen jeden Unterricht bestimmen. Der Planung einer Stunde geht also die Analyse von Unterricht voraus, deren Ergebnisse in einem didaktischen Modell zusammengefaßt werden können.

Ein durchdachtes, praktikables Stundenkonzept führt dazu, daß vieles nicht mehr dem Zufall überlassen bleibt. Trotzdem bietet jede Unterrichtssituation typische Unwägbarkeiten, auf die man prompt reagieren muß. Sofortiges, gekonntes Reagieren ist eine Handlungskompetenz, die wichtiger ist als Analyse- und Planungsfähigkeit. Auf der Durchführung von Unterricht liegt deshalb der Hauptakzent pädagogischer Qualifizierung.

Nun fehlt noch ein letztes Glied, um den Kreis pädagogischer Qualifikationen zu schließen: die Beobachtung und Bewertung von Unterricht. Sie dienen dazu, das Verständnis von Unterricht zu vertiefen (Analyse- und Planungskompetenz) und das Handeln fortlaufend zu verbessern (Durchführung von Unterricht). Das Beobachten stützt sich auf ein Strukturmodell, in dem alle analytischen Einsichten und alle praktischen Grundfragen des Unterrichts zu einer Gesamtschau vereinigt sind. Leitlinien und Orientierungsfragen sollen die Unterrichtsbewertung fundieren helfen, um sachliche Urteile und persönliche Stellungnahmen diskutierbar zu machen.

Im Lehrberuf ist naturgemäß nicht so sehr das theoretische Wissen als vielmehr die praktische Bewältigung der Ausweis für Professionalität. Im Zentrum pädagogischer Ausbildung steht deshalb der Erwerb von Können. Allein die Form eines regelrechten Lehrtrainings ist hierzu geeignet. Es umfaßt die Bereiche Analyse und Planung (Teil I), Durchführung (Teil II) und Beobachtung und Bewertung von Unterricht (Teil III). In diesem Sinne bildet das Lehrtraining den Abschluß der pädagogischen Ausbildung.

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1  siehe Jochen Grell, Techniken des Lehrerverhaltens, Weinheim und Basel 41975, S. 221

2  ebd., S.21

3  siehe Grell, S. 125f. und Wolfgang Einsiedler, Fak to ren des Unterrichts, Donauwörth 21982, S. 77f.

Analyse und Planung
Grundzüge einer allgemeinen Didaktik
des Instrumentalunterrichts

Das Didaktik-Modell der Berliner Schule

Das Wort Didaktik entstammt dem Altgriechischen. Didaskein heißt in seiner ersten Bedeutung: lehren, belehren, unterweisen, ein Lehrer sein; weitere Bedeutungen sind: mitteilen, dartun, zeigen, beweisen. Didaktik ist demnach eine Lehre vom Lehren, eine Unterrichtslehre.

In der Unterrichtswissenschaft nimmt die Didaktik als Spezialgebiet einen breiten Raum ein. Mehrere Richtungen und Modelle haben sich etabliert, die hier jedoch nicht zur Diskussion gestellt und miteinander verglichen werden sollen. Vorgestellt werden soll jedoch das Lerntheoretische Modell der sogenannten Berliner Schule, da es sich als Grundlage für den ersten Teil besonders eignet. Die Begründer dieser Schule sind die Erziehungswissenschaftler Paul Heimann, Gunter Otto und Wolfgang Schulz.

Die Autoren des Modells gehen versuchsweise von der Annahme aus, daß der Lehrer einer wissenschaftlichen Theorie des Unterrichts bedarf, um seinen Unterricht zureichend zu begründen, und daß er seinen Unterricht dazu benutzen muß, seine Unterrichtstheorie laufend zu überprüfen, damit die wechselseitige Korrektur von Praxis und Theorie ihn davor bewahrt, diesen Unterricht der Laune des Augenblicks oder dem Zwang der Gewohnheit zu unterwerfen, unkontrollierten Wünschen und erfolgsarmen Verfahrensweisen1 Die Didaktik als Disziplin der Erziehungswissenschaft gibt dem Lehrer eine grundlegende Orientierung für sein unterrichtliches Handeln. Sie ermöglicht ihm auch das selbstkritische und zielstrebige Nachdenken über die Qualität des Unterrichts, um die verschiedenen Lehrfertigkeiten zu verbessern. Zwei Situationen sind es vor allem, die die Fähigkeit jedes einzelnen Lehrers zur Reflexion alltäglich herausfordern: Nach dem Unterricht muß dessen Analyse ihm helfen, klüger als vorher zu werden. Er ordnet seine Eindrücke, arbeitet die Eigenart seines Verhaltens heraus, prüft es auf Widersprüche hin, mit anderen Worten, er macht sich seinen Stil bewußt. Er vergleicht den wirklichen Ablauf mit dem geplanten, prüft die Voraussetzungen und die Folgen. Vor dem Unterricht wird er dessen Struktur in der Planung antizipieren, das heißt von den angenommenen Voraussetzungen her und auf die gewünschten Folgen hin konstruieren.2 Unterricht – Analyse und Planung lautet deshalb der Titel des Buches von Heimann, Otto und Schulz, auf das sich die folgenden Ausführungen stützen.

Als erstes erhebt sich die Frage: Welche fundamentalen Faktoren kommen in jedem Unterricht zur Geltung? Ihre Auflistung leuchtet unmittelbar ein. So unterschiedlich und einmalig jede Unterrichtsstunde sein mag, jedes Unterrichtshandeln wird bestimmt von

–  Zielen (Absichten, Zwecken, Richtungen, Intentionen)

–  Inhalten (Themen, Gegenständen, Sachverhalten)

–  Methoden (Lehr-Lern-Wegen, Unterrichtsformen, -phasen und -verläufen)

–  Medien (Mittlern, Lehr- und Lernmitteln, Darstellungs- und Handlungsmaterialien).

Da sich Unterricht immer an einem bestimmten Schüler ausrichtet, berücksichtigt der Lehrer bei seiner Planung der vier Unterrichtsfaktoren die Vorgeprägtheit des Schülers. Unter der Bezeichnung anthropogene Voraussetzungen führen die Autoren des Modells Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, Individuallage, Lernkapazität und Erfahrungen auf. Für den Unterricht mit Gruppen spielen ferner noch die sozial-kulturellen Voraussetzungen eine Rolle, da jeder Gruppenunterricht Rangge fälle, Kooperationsformen, Rivalisationsformen, Elemente formeller und informeller Gruppenordnung spontan entstehen läßt. Auch Schulordnung, Lehrplan, Ausstattung und Kollegium, Schülerauslese wirken auf die unterschiedlichen Entscheidungen ein.3 Die Skizze veranschaulicht das Modell:

Die Skizze deutet Grundzüge des Modells an, die bisher noch nicht besprochen wurden: Die anthropogenen und sozial-kulturellen Voraussetzungen bedingen die Unterrichtsentscheidung im Hinblick auf die vier Faktoren. Diese stehen in Wechselwirkung miteinander nach dem Prinzip der Interdependenz, der gegenseitigen Abhängigkeit. Eine Zielentscheidung etwa hat Auswirkungen sowohl auf die Auswahl eines Inhalts als auch auf die Bestimmung der Methode und die Verwendung von Medien. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wenn ein Lehrer sich zum Ziel setzt, den musikalischen Horizont eines Schülers zu erweitern und ihn mit avantgardistischer Kunstmusik bekannt zu machen, wird er eine für diesen bestimmten Schüler und sein Instrument geeignete Komposition (Inhalt) auswählen, eventuell ein informierendes und motivierendes Gespräch voranschicken (Methode) und gegebenenfalls Bilder, Hörbeispiele, Informationsquellen und anderes Material einbeziehen (Medien). Je widerspruchsfreier, wirkungsvoller und individuell angemessener alle vier Entscheidungsfelder aufeinander abgestimmt sind, desto größer wird der Unterrichtserfolg sein. Für den Lehrer werden die „Folgen“ erfahrbar in der Rückbesinnung auf den Unterrichtsverlauf und in der genauen Beobachtung und Bewertung des Schülerverhaltens.

Das angeführte Beispiel vermittelt noch eine andere Einsicht: Die Entscheidung im Bereich der Zielsetzungen verlangt nicht zwingend eine ganz bestimmte Inhaltsentscheidung. Diese wiederum zieht nicht unbedingt eine genau ableitbare Methode nach sich. Prinzipiell bleibt immer die Wahl zwischen mehreren Alternativen bestehen. In unserem Beispiel könnte der Lehrer methodisch durchaus anders vorgehen. Er könnte die ausgewählte Komposition mehrere Male vortragen und wirken lassen oder dem Schüler den Notentext auf einige Zeit zur selbständigen Beschäftigung und Erkundung überlassen. Gerade die Wahl der Methode richtet sich nach Lernfähigkeit, Lernbereitschaft, Lernmotivation und Lernstil des Schülers. Jede Unterrichtsentscheidung ist somit von den Entscheidungen bezüglich der anderen Faktoren abhängig und zugleich immer rückbezogen auf die Bedingungsfelder. Darüber hinaus kommt jede Unterrichtsentscheidung in einem Freiraum verschiedener Alternativen zustande.

Bevor wir zu der detaillierten Darstellung und praxisbezogenen Konkretisierung des didaktischen Konzepts kommen, sei noch auf eine Einschränkung hingewiesen: Die folgenden Ausführungen berücksichtigen nur im Kapitel über den Gruppenunterricht das Entscheidungsfeld Medien, da es dort eine besondere Rolle spielt, ansonsten jedoch von untergeordneter Bedeutung ist.

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1  Paul Heimann, Gunter Otto und Wolfgang Schulz, Unterricht – Analyse und Planung, Hannover 1965, 91977, S. 13f.

2  ebd., S. 22

3  ebd., 5. 36f

1. Unterrichtsziele

Versuchen Sie bitte einmal, auf die folgenden Fragen eine Antwort zu finden:

•  Warum müssen Unterrichtsziele formuliert werden?

•  Wie präzise müssen diese Ziele formuliert sein?

•  Erfordert jede Unterrichtsplanung die Beschreibung von Zielen?

•  Ist es auch für den Schüler wichtig zu wissen, welche Ziele der Unterricht verfolgt?

•  In welchem Maße sollen Vorstellungen und Wünsche des Schülers den Unterricht bestimmen?

•  Nach welchen Gesichtspunkten lassen sich Ziele ordnen?

Überdenken Sie nun die nachstehend aufgeführten Zielformulierungen. Es handelt sich um Äußerungen von Instrumentallehrern und Schülern:

1.  „Mir kommt es nicht nur darauf an, daß sich meine Schüler musikalisch entwickeln. Ich bin auch am Schüler als Mensch interessiert.“

2.  „Am liebsten würde ich sofort die Toccata und Fuge in d-moll von Bach üben. Die hat mich so begeistert, daß ich deshalb mit dem Orgelspiel angefangen habe.“ (Schüler, um die vierzig Jahre alt)

3.  „Meine Schüler sollen süchtig nach Musik werden.“

4.  „Wir erfinden jetzt mal gemeinsam Übungen, um diese Stelle hier technisch besser zu packen.“ (Aufforderung des Lehrers an seinen Schüler)

5.  „Das wichtigste ist doch wohl, daß die Schüler Spaß an der Musik bekommen.“

6.  „Ich möchte eigentlich mal etwas Romantisch-Gefühlvolles spielen, mit schönen Melodien.“ (Schülerin, 14 Jahre alt)

7.  „Die Schülerin soll heute zum ersten Mal lernen, das Pedal zu verwenden. Ich will es ihr aber nicht nur trocken erklären, sondern auch spielerisch mit ihr ausprobieren.“

8.  „Ich improvisiere viel mit meinen Schülern, damit sie am Instrument frei spielen und Phantasie entwickeln lernen.“

Auffällig ist, wie unterschiedlich Zielformulierungen ausfallen können. Um diese Unterschiede erfassen zu können, benötigen wir brauchbare Kriterien, nach denen sich Ziele ordnen und inhaltlich diskutieren lassen. Zuvor ist es jedoch wichtig zu begründen, weshalb Ziele überhaupt formuliert werden müssen und worin ihre Bedeutung liegt.

Die Bedeutung von Unterrichtszielen

Wenn man nicht genau weiß, wohin man will, landet man leicht da, wo man gar nicht hinwollte. Mit dieser Formulierung unterstreicht der amerikanische Unterrichtswissenschaftler Robert F. Mager die Bedeutung von Unterrichtszielen1. Jede einzelne Unterrichtsstunde, jede größere Unterrichtseinheit bedarf der Zielsetzung. Ohne eine solche Zielsetzung bliebe Unterricht richtungslos und uneffektiv. Professionelles Unterrichten setzt voraus, daß sinnvolle Zielsetzungen gefunden, formuliert und begründet werden. Nicht zuletzt gilt es zu überprüfen, inwieweit diese Zielsetzungen tatsächlich auch erreicht wurden. Damit erhält Unterricht die notwendige Transparenz – auch für den Schüler, der effektiver lernt, wenn ihm Ziele verständlich und akzeptabel erscheinen. Er weiß, worauf er seine Energien konzentrieren kann. Ferner wird er in die Lage versetzt, seine Annäherung an die Zielvorgabe selber zu kontrollieren. Damit wird ihm zugleich ein Stück Selbständigkeit vermittelt, die ihn zum Lernen motiviert. Transparenz wird so zur Voraussetzung für die Beteiligung des Schülers am Unterricht und für selbstbestimmtes Lernen. Der Schüler sollte deshalb an der Festlegung von Unterrichtszielen mitwirken können.

Die Hierarchie der Ziele

Ziele können weit oder eng, allgemein oder speziell sein. Sie lassen sich in vier Gruppen unterteilen:

1.  In LEITZIELEN drücken sich allgemeine pädagogische Tendenzen und Absichten aus. Sie fassen global den Sinn des Instrumentalunterrichts:

–  allgemeinmenschliche Entwicklung des Schülers

–  ästhetisch mündige Teilhabe an der Musikkultur

–  allgemeine Musikalisierung

–  breite Entfaltung musikalischer Fähigkeiten.

Immer werden mit Leitzielen hohe pädagogische Ansprüche formuliert.

2.  RICHTZIELE geben schon genauer an, in welcher Richtung die mündige Teilhabe an der Musikkultur zu suchen ist, beispielsweise im Erlernen eines Instruments. Andere Richtziele sind:

–  Entfaltung interpretatorischer, improvisatorischer oder kompositorischer Fähigkeiten

–  selbständiges Weiterlernen nach Abschluß des Instrumentalunterrichts

–  anhaltendes Interesse an aktiver Musikausübung.

3.  GROBZIELE grenzen den Zielbereich noch stärker ein. Dadurch lassen sich

Lernergebnisse umrißhaft benennen:

–  eine Sonate von Bach einstudieren und überzeugend vortragen

–  die Stileigentümlichkeiten barocker Musik kennen und die entsprechenden Gestaltungsmittel beherrschen und einsetzen.

4.  FEINZIELE sind die bis ins Detail ausdifferenzierten Ziele. Mit ihrer Hilfe lassen sich die angestrebten Lernergebnisse einer einzelnen Unterrichtsstunde formulieren. Ihre Verwirklichung wird in konkreten Einzelhandlungen sichtbar.

Beispiele:

–  die Griffkombination c“-d“ auf der Querflöte bei M.M. = 100 exakt ausführen

–  den Kopf nicht zum Flötenmundstück senken, sondern die Flöte bei gestreckter Wirbelsäule und aufrechter Haltung des Kopfes an die Lippen heben, so daß die Nackenmuskeln gestreckt und unverkrampft bleiben.

An der Spitze der Ziel-Pyramide befinden sich wenige allgemeine Ziele, während eine unbegrenzte Anzahl konkreter Zielsetzungen die Basis bildet. Allerdings lassen sich die vier Stufen nicht immer exakt voneinander trennen. Deshalb ist es oftmals nicht möglich und auch nicht nötig, einzelne Ziele einer bestimmten Stufe zuzuordnen.

Jeder Unterricht verfolgt Ziele auf allen vier Stufen. Die allgemeinen Ziele werden selten für die Vorbereitung einer Unterrichtsstunde ausformuliert. Sie kommen jedoch immer direkt oder indirekt im Unterrichtshandeln zur Geltung. Sie stehen in enger Beziehung zu den beruflichen Leitbildern und stellen fachdidaktische und pädagogische Grundsatzentscheidungen dar (Beispiele hierfür sind die eingangs aufgelisteten Zielformulierungen 1, 3 und 5).

Die Beschreibung von Feinzielen geht jedoch immer in die Planung des Unterrichts ein. Feinziele bestimmen das methodische Vorgehen des Lehrers, sie ermöglichen die klare Formulierung von Lernaufgaben und die Überprüfung der Lernergebnisse (Zielformulierung 4 und 7).

Zwischen den einzelnen Stufen läßt sich kein zwingender Zusammenhang herstellen. Beispielsweise folgt aus der Zielsetzung „ästhetische Mündigkeit“ nicht zwangsläufig die Beherrschung bestimmter Griffkombinationen auf der Querflöte; auch andere Wege führen zu diesem allgemeinen Ziel. Demnach muß der Versuch scheitern, ein vollständiges und zusammenhängendes System von Zielen zu erstellen, das alle Stufen umfaßt und die konkreten Feinziele aus den allgemeinen Leitzielen ableitet oder umgekehrt die Leitziele induktiv aus den Feinzielen gewinnt. In der Unterrichtswissenschaft wurden solche Versuche angestellt, jedoch ohne Erfolg. Wahrscheinlich wären solche Systeme – wären sie je zustande gekommen – sowieso auf wenig Gegenliebe bei der Lehrerschaft gestoßen. Denn wer möchte sich schon einen alles bestimmenden Zielekatalog überstülpen lassen.

Zielbereiche

Ein weiteres Ordnungsprinzip ergibt sich aus der Frage nach der inhaltlichen Bestimmung: Auf welche Dimensionen menschlichen Verhaltens können Zielsetzungen gerichtet sein? In diesem Sinne lassen sich motorische, emotionale, kognitive und im weitesten Sinne persönlichkeitsformende Ziele unterscheiden:

1.  MOTORISCHE ZIELE gehören zu den Selbstverständlichkeiten des Instrumentalunterrichts. Musikmachen ist eine Tätigkeit, die den ganzen Körper beansprucht. Das motorische Erlernen der instrumentalen Spieltechnik absorbiert im Anfängerunterricht mitunter alle Lehr- und Lernanstrengungen. Im einzelnen können folgende allgemeinen Ziele angestrebt werden:

–  dem Schüler Spieltechnik soweit vermitteln, daß er seine musikalischen Darstellungswünsche verwirklichen kann

–  Musik zu einem intensiven körperlichen Aktionserlebnis werden lassen

–  Anleitung zum eigenständigen Lösen spieltechnischer Probleme geben

–  das allgemeine Körperbewußtsein steigern und den sensiblen Umgang mit dem eigenen Körper fördern.

2.  EMOTIONALE ZIELE sind im Instrumentalunterricht ebenfalls vertraut. Etwas oberflächlich und allzu lapidar wird immer wieder behauptet, Musik sei eine Sache des Gefühls. Die emotionalen Aspekte von Musik und Musiklernen lassen sich mit folgenden Zielsetzungen indessen präziser fassen:

–  die musikalische Ausdrucksfähigkeit des Schülers erweitern, differenzieren und intensivieren

–  den Schüler dazu anleiten, musikalische Verläufe organisch und mit Ausdruck zu gestalten

–  eine dauerhafte Motivation zur Musikausübung im Schüler aufbauen

–  positive Einstellung zu unbekannter und ungewohnter Musik vermitteln

–  emotionale Identifikation mit anspruchsvoller Musik anbahnen.

3.  KOGNITIVE ZIELE umfassen alles, was mit der Vermittlung und Förderung von Wissen, Begreifen, Bewußtmachen und Verstehen zu tun hat. Erfahrene Instrumentallehrer wissen, daß motorisches und emotionales Lernen immer auch einen rationalen Klärungsprozeß verlangt. Ausschließlich kognitive Unterrichtsabsichten zielen auf die Erarbeitung von Musiklehre, Werkanalyse und Musikgeschichte. Beispielhaft ließen sich folgende Ziele formulieren:

–  einen fundamentalen Kenntnisstand des Schülers in Musiktheorie anstreben

–  das geschichtliche Wissen vermitteln, das für die musikalische Interpretation erforderlich ist

–  mit verständlich geschriebenen Informationsquellen bekannt machen

–  den Schüler neugierig machen und das Bedürfnis nach Hintergrundwissen wecken.

4.  SOZIALE ZIELE allgemeiner Art sind: eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung entstehen lassen, sich gegenseitig verstehen und akzeptieren lernen; eine entspannte und förderliche Lernatmosphäre schaffen. Musizieren ist ein sozialer Kommunikationsprozeß, der große Ähnlichkeit mit anderen sozialen Situationen aufweist. Er verlangt ein soziales Rollenspiel und den Einsatz psychosozialer Fertigkeiten. Wenn Lehrer die Auftritte ihrer Schüler vorbereiten oder Ensemblespiel mit ihnen proben, werden sie deshalb sehr schnell auf sozialmusikalische Zielsetzungen stoßen, zum Beispiel:

–  die Schüler befähigen, verschiedene sozial-musikalische Rollen zu übernehmen: den führenden, den gleichberechtigten, den begleitenden oder den untergeordneten Part

–  musikalische Auffassungen aufeinander abstimmen und ein gemeinsames Konzept entwickeln

–  im Ensemblespiel sensibel aufeinander reagieren und das Zusammenspiel organisieren

–  Sicherheit im Auftreten erwerben, selbstsicher und mit Selbstvertrauen vortragen lernen.

5.  Die PERSÖNLICHKEITSFORMENDEN ZIELE bilden nur begrenzt eine eigene Gruppe. Sie beziehen sich in umfassender Weise auf die Gesamtperson des Schülers und enthaltenkognitive, emotionale, motorische und soziale Komponenten in unterschiedlicher Mischung und Akzentuierung. Zweifellos wird sich jeder: Lehrer auf das Ausmaß seines pädagogischen Engagements besinnen und sich fragen, ob er so anspruchsvolle Ziele anstrebt wie:

–  musikalische Bildung des Schülers

–  ästhetische Urteilsfähigkeit

–  geistige, seelische und körperliche Selbstverfügung als Voraussetzung eines reifen musikalischen Verhaltens

–  „Arbeitstugenden“ wie Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Selbstkontrolle, Frustrationstoleranz.

Ergänzend ließe sich anmerken, daß alle Leitziele aufgrund ihrer Komplexität zu den persönlichkeitsformenden Zielen zu rechnen sind.

Die Trennung nach Zielarten scheint auf den ersten Blick künstlich und erzwungen. Selten liegt ein Ziel vor, das eindeutig und ausschließlich motorischer, emotionaler, kognitiver oder sozialer Art ist. Jede Aneignung von Wissen hat eine emotionale Komponente in Form von Neugier, Interesse oder Motivation. Ebenso verhält es sich beispielsweise mit der Arbeit an detaillierten technischen Problemen. Sie umfaßt außer der motorischen auch eine kognitive und eine emotionale Seite: Bewegungsabläufe müssen intensiv, aber dennoch entspannt geübt werden; zugleich müssen technische Schwierigkeiten aber auch analysiert und bewußt gemacht werden. In gleicher Weise ließe sich zeigen, daß sozial-musikalische Zielsetzungen auch kognitive Aspekte einschließen. Beispielsweise erfordert die Gestaltung der sozial-musikalischen Beziehung zum Ensemblepartner ein klares Verständnis der musikalischen Begleiterrolle.

Dennoch hat die klare inhaltliche Unterscheidung nach Zielarten ihren Sinn. Nehmen wir als Beispiel das Blattspiel, bei dem die musikalischen Sachverhalte mit einem Blick erfaßt und die Aktionen am Instrument spontan organisiert werden müssen. Daß hierbei aber auch die emotionale Dimension eine Rolle spielt, mag zunächst nicht auffallen. Oftmals gerät das Blattspiel aber nur deshalb unbefriedigend, weil der Schüler Angst hat, sich auf etwas Ungewisses einzulassen und Spielfehler zu machen. Selbstvertrauen und Selbstsicherheit, zwei der wichtigsten emotionalen Faktoren, sind daher beim Blattspiel – aber auch beim Improvisieren – in hohem Maße ausschlaggebend für das Gelingen; weit mehr als beim Vortrag eines gut vorbereiteten Musikstückes.

Bei jeder Lernschwierigkeit eines Schülers wird man generell fragen müssen, in welcher Verhaltensdimension das Problem liegt. Mißlingt die technische Ausführung, weil die Bewegungszusammenhänge beim Spiel nicht klar durchdacht sind oder weil sich die Muskulatur durch das Erzwingenwollen verspannt? Verengen sich die dynamischen Unterschiede zwischen pianissimo und fortissimo, weil dem Schüler die spieltechnischen Voraussetzungen fehlen oder weil er emotional gehemmt und in seinem Ausdrucksvermögen blockiert ist?

In ähnlicher Weise läßt sich auch der Lehrstil des Lehrers befragen: Unterrichtet er zu „kopflastig“, indem er rationale Erklärungen und bewußtes Erfassen in den Vordergrund stellt? Legt er zu viel Wert auf Fortschritte im spieltechnischen Bereich, kommt dabei die Entfaltung von Emotionalität und Ausdrucksgestaltung zu kurz? Ist er vor allem an der musikalischen, weniger aber an der gesamtmenschlichen Entwicklung des Schülers interessiert? Welche Seite des instrumentalen Lernens also betont ein Lehrer durch sein konkretes Unterrichtshandeln?

Lehrziele und Lernziele

Eine weitere Unterscheidung hat tiefgreifende praktische Folgen: Unterricht ist ein Lehr- und Lernprozeß; Unterrichtsziele können demnach Ziele des Lehrenden, aber auch Ziele des Lernenden sein. Bisher haben wir ausschließlich von Lehrzielen gesprochen. Betrachtet man jedoch den Schüler als Partner im Lehr-Lern-Prozeß, muß man den Geltungsanspruch von Lehrzielen immer wieder in Frage stellen.

Dieser Geltungsanspruch von Lehrzielen ist schon allein deshalb problematisch, weil der Schüler möglicherweise zum ersten Mal der Musik aktiv begegnet. Wieweit berühren sich seine Erfahrungen und Schlüsselerlebnisse dann überhaupt noch mit denen des Lehrers? Und weiter ließe sich fragen, in welcher Richtung ihn sein Elternhaus geprägt hat, welchen Einfluß die Massenmedien auf ihn ausüben, wo seine Interessen liegen. Allein im Bereich der traditionellen Kunstmusik? Oder gelten seine Vorlieben mehr dem Jazz, dem Rock, der Popmusik, der Folklore?

Damit ist das Spannungsverhältnis zwischen Lehr- und Lernzielen, zwischen Lehrerabsichten und Schülerinteressen umrissen. Im Kern geht es um folgende Fragen: Wohin will der Schüler im Unterricht mit seinem instrumentalen Lernen gelangen? Welches Feld musikalischer Aktivitäten möchte er sich erschließen?

Zugegebenermaßen nimmt kaum ein Schüler den Instrumentalunterricht mit dezidierten Vorstellungen auf; die Lernbedürfnisse bleiben meist diffus und unartikuliert. Sie klären sich erst im Laufe der Zeit, vor allem durch ein entsprechend hohes Anregungspotential des Unterrichts. Der Lehrer fungiert sozusagen als Motor, der den Schüler erst voll in Bewegung bringt und ihm Lernrichtungen aufzeigt.

Wenden wir uns noch einmal jenem Schüler zu, dessen Äußerungen zum Unterrichtsziel eingangs zitiert wurden: „Am liebsten würde ich sofort die Toccata und Fuge in d-moll von Bach üben. Die hat mich so begeistert, daß ich deshalb mit dem Orgelspiel angefangen habe.“ Solche Schüler gibt es tatsächlich, genauso wie andere, die von einem Blues oder Pop-Hit begeistert sind und sich die Harmonien auf der Gitarre oder die Fingersätze auf dem Klavier zurechtlegen – eine hervorragende Ausgangssituation für den Lehrer! Der Schüler ist motiviert, er hat ein klares Ziel; es kommt nur darauf an, die Lust am Musizieren nicht zu beeinträchtigen. Solche Schülerabsichten haben anfänglich ihre volle Berechtigung. Ihre Bedeutung wird sich mit Sicherheit im Laufe des Unterrichts zugunsten anderer, erweiterter Perspektiven abschwächen. Selbst die zunächst utopische d-moll-Toccata darf dem Schüler nicht ausgetrieben werden. Der Lehrer muß in solchen Fällen seine Phantasie und sein ganzes Engagement einsetzen, um die Wünsche des Schülers mit den sachlichen Lernanforderungen vorsichtig in Einklang zu bringen. Falsch wäre es sicherlich, wollte er dem Unterricht seine persönliche Note aufdrücken. Nur allzu oft führen unreflektierte Selbstverständlichkeiten der eigenen musikalischen Sozialisation und der beruflichen Ausbildung zu einem solchen Fehlverhalten, wie das folgende Beispiel zeigt:

Ein achtzehnjähriger Schüler will nach drei Jahren Unterbrechung das Querflötenspiel wieder aufnehmen. In einem ausführlichen Gespräch werden seine Absichten und sein musikalischer Werdegang erkennbar: Mit fünf Jahren erhielt er von seiner Mutter den ersten Blockflötenunterricht. Im Alter von sieben oder acht Jahren legte er die Blockflöte beiseite und widmete sich dem Klavierspiel. Der Unterricht bei wechselnden Lehrern konnte ihn in den folgenden vier Jahren allerdings nicht so recht begeistern. Deshalb wechselte er zur Querflöte. Damit geriet er jedoch an eine Lehrerin, die ihm vollends die Lust am klassischen Instrumentalspiel verdarb. Blickt er heute auf diese Zeit zurück, wundert er sich, daß er den trockenen und demotivierenden Unterricht fast drei Jahre lang aushielt. „Sie hat niemals gefragt, was mich überhaupt interessiert. Die Musik hat mir nicht gefallen, und natürlich hatte ich keine Lust zu üben. Einmal kam ich mit meiner Schwester in den Unterricht, weil wir zusammen ein Stück spielen wollten. Die Lehrerin aber stritt die ganze Zeit mit ihr über das Klavierspiel.“ Der Unterricht bestand vorwiegend im Etüden-Pauken (Hundert tägliche Übungen Friedrichs des Großen) und in der Erarbeitung von Stücken. Lob erhielt er so gut wie gar nicht, dafür um so mehr Kritik, Tadel und Ermahnungen. Daß er den Unterricht aufgab, ist verständlich.