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© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 2002

 

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Die einzelnen Geschichten sind in der Reihe »Sonne, Mond und Sterne« erschienen.

Cover und farbige Illustrationen von Paul Maar

E-Book-Umsetzung: 2013

 

ISBN 978-3-86274-819-8

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Das kleine Känguru auf Abenteuer

Vor dem Känguru-Haus steht ein Tisch. Auf dem Tisch steht ein Hocker. Auf dem Hocker steht die Känguru-Mutter. Sie streicht gerade die Dachrinne.

Da kommt das kleine Känguru aus der Tür, mit einem Koffer in der Hand.

»Nanu«, sagt die Känguru-Mutter. »Willst du verreisen?«

»Ja. Ich will Abenteuer erleben«, sagt das kleine Känguru.

Die Känguru-Mutter fragt: »Und dazu braucht man einen Koffer?«

»Das ist mein Abenteuerkoffer. Da ist alles drin, was man für ein Abenteuer braucht«, sagt das kleine Känguru.

Es öffnet den Koffer. »Schau mal: ein Seil, ein Fernglas und eine Taschenlampe!«

»Viel Spaß unterwegs!«, sagt die Känguru-Mutter.

»Und geh nicht zu weit weg. Um halb eins gibt es Mittagessen.«

Das kleine Känguru fragt: »Soll ich dir was mitbringen? Einen Piratenschatz? Eine Kiste voller Goldstücke? Oder ein Kästchen mit Edelsteinen?«

Die Känguru-Mutter lacht und sagt: »Bring mir lieber einen schönen Strauß mit, dann bin ich schon zufrieden.«

»Einen Strauß? Wird gemacht!«, ruft das kleine Känguru und hüpft los.

Zuerst hüpft das kleine Känguru zu seiner Freundin, der Springmaus. Abenteuer erlebt man nämlich am besten mit Freunden.

»Hallo, Springmaus«, sagt es. »Jetzt gehen wir zusammen auf Abenteuer.«

»Was ist denn Abenteuer?«, fragt die Springmaus. Sie kennt sich mit solchen Sachen nicht so gut aus.

»Bei einem Abenteuer muss man einen hohen Berg besteigen. Oder einen wilden, reißenden Fluss durchqueren. Oder in eine dunkle Höhle klettern«, erklärt das kleine Känguru. »Ach ja: Und einen Strauß muss man mitbringen.«

»Gut, ich mache mit!«, ruft die Springmaus. Zusammen hüpfen sie los. Das kleine Känguru mit langsamen, weiten Sprüngen. Die Springmaus mit schnellen, kurzen Sprüngen.

»Was machen wir zuerst?«, fragt das kleine Känguru.

»Zuerst suchen wir einen Strauß«, ruft die Springmaus.

»Gut, einen Strauß!« Das kleine Känguru ist einverstanden.

»Da vorne ist der kleine Hund. Den können wir mal fragen. Vielleicht weiß er, wo wir einen Strauß finden.«

Der kleine Hund liegt im Gras und lässt sich die Sonne auf den Rücken scheinen.

Wachsam stellt er die Ohren auf, als er die beiden heranhüpfen hört.

»Hallo, kleiner Hund. Hast du zufällig irgendwo einen Strauß gesehn?«

Der kleine Hund erzählt ganz eifrig: »Einen Strauß hab ich nicht gesehn. Aber einen großen Knochen, gleich dahinten. Und zwei Federn hab ich auch gesehn. Und ein leeres Fass. Das war aber schon gestern. Dann hab ich noch eine Matratze gesehn, mit weißen Streifen …«

Die Springmaus unterbricht ihn.

»Danke, kleiner Hund«, sagt sie. »Entschuldige, aber wir haben es eilig. Wir gehen nämlich auf Abenteuer. Wiedersehn!«

Und dann hüpft sie mit dem kleinen Känguru weiter.

Der Hund lässt sich davon nicht stören. Stolz ruft er den beiden nach: »Und einen Autoreifen hab ich auch gesehn! Und zwei Kartons mit Zeitungen. Eine Blechdose, halb voll, und eine halb leer. Und ein Vogelnest. Ich hab eine ganze Menge gesehn!«

Aber das hören die beiden schon nicht mehr. Sie sind längst beim kleinen Bach angelangt.

»Vielleicht finden wir dort drüben einen Strauß«, sagt das kleine Känguru und springt ans andere Ufer. »Wir müssen nur suchen.«

Eifrig hüpft es weiter und redet dabei.

»Wenn wir keinen finden, können wir ja noch mal jemanden fragen. Weißt du, Springmaus … He, Springmaus, wo bist du denn?!«

Das kleine Känguru hüpft zurück zum Bach. Da steht die Springmaus immer noch drüben am Ufer.

Das kleine Känguru ruft: »Was ist? Warum kommst du nicht?«

»Der Bach ist viel zu breit für mich«, ruft die Springmaus zurück. »Da kann ich nicht hinüberhüpfen.«

Das kleine Känguru springt wieder über den Bach, zurück zur Springmaus. »Wie gut, dass ich meinen Abenteuerkoffer bei mir habe«, sagt es.

Es öffnet den Koffer und holt das Seil heraus.

Das Seil bindet es am Koffergriff fest.

Vorsichtig schiebt es den Koffer ins Wasser. Er ist leicht und schwimmt wie ein Floß.

»Sehr schön!«, sagt das kleine Känguru und freut sich.

»Und nun?«, fragt die Springmaus.

»Jetzt steigst du in den Koffer, und ich ziehe dich herüber!«, antwortet das kleine Känguru.

»Und das geht wirklich?«, fragt die Springmaus ängstlich.

»Probier es einfach aus!«, sagt das kleine Känguru und springt noch einmal über den Bach. Es hat immer noch das Seil in der Hand. Ganz, ganz vorsichtig steigt die Springmaus in das Kofferschiff. Sie setzt sich und hält sich am Rand fest.

Das kleine Känguru zieht am Seil, es zieht und zieht – und schon legt das Kofferschiff auf seiner Seite an.

»Großartig!«, ruft die Springmaus und springt an Land. »Jetzt haben wir schon ein richtiges Abenteuer erlebt.«

»Was denn für ein Abenteuer?«, fragt das kleine Känguru.

»Na, wir haben einen reißenden Fluss überquert«, erklärt die Springmaus.

»Stimmt! Natürlich, ein Abenteuer!«, ruft das kleine Känguru. »Nun finden wir bestimmt auch einen Strauß.«

Gleich darauf hüpfen die beiden weiter. Das kleine Känguru mit langsamen, weiten Sprüngen, die Springmaus mit schnellen, kurzen.

Sie hüpfen durch eine Blumenwiese, über einen Acker, dann wieder über eine Wiese. Aber einen Strauß finden sie nicht.

»Vielleicht sollten wir doch jemanden fragen«, sagt das kleine Känguru und bleibt stehen.

»Stimmt. Aber wen?«, fragt die Springmaus.

»Da vorne steht ein Haus!«, sagt das kleine Känguru. »Da werden wir fragen.«

»Sieht nicht so aus, als ob da jemand wohnt«, sagt die Springmaus.

»Vielleicht doch? Lass uns mal hinhüpfen!«

Das Haus sieht wirklich leer aus. Die Fensterläden hängen schief. Die Fensterscheiben sind zerbrochen.

Es fehlt die Tür. Oben im Dach sind große Löcher.

Das kleine Känguru und die kleine Springmaus hüpfen einmal um das Haus herum. Schließlich kommen sie wieder bei der Türöffnung an.

»Am besten, wir gehen mal rein und schauen nach, ob hier jemand wohnt«, schlägt die Springmaus vor.

»Man geht nicht einfach in ein fremdes Haus, ohne anzuklopfen«, sagt das kleine Känguru.

»Wie sollen wir anklopfen, wenn es keine Tür gibt?«, fragt die Springmaus.

Darauf weiß das kleine Känguru auch keine Antwort.

»Wir können ja mal rufen«, sagt die Springmaus. »Hallo!«

»Sei mal leise, ich hab was entdeckt!«, ruft das kleine Känguru. »Hier neben der Tür ist eine Klingel und ein Türschild.«

»Und was steht auf dem Schild?«, fragt die Springmaus neugierig.

»Lies es doch selbst!«, sagt das kleine Känguru.

»Kann ich nicht!«

»Das hab ich mir gleich gedacht: Du kannst noch gar nicht lesen!«, sagt das kleine Känguru.

»Doch, ich kann schon lesen«, behauptet die Springmaus. »Das Schild hängt nur viel zu hoch. Du musst es mir vorlesen.«

»F–a–u–l–t–i–e–r«, buchstabiert das kleine Känguru.

»Ach so: Faultier. Hier wohnt ein Faultier. Das hätten wir uns ja gleich denken können!«

Die beiden drücken abwechselnd auf den Klingelknopf. Drinnen im Haus schellt es laut. Das ist aber auch alles.

»Niemand da«, will das kleine Känguru gerade sagen, da öffnet sich ganz, ganz langsam ein zerbrochenes Fenster. Ein verschlafenes Tier schaut heraus. »Wer – klingelt – denn – da?«, fragt es.

Es spricht sehr langsam und macht nach jedem Wort eine lange Pause.

Erst sind die Springmaus und das kleine Känguru sehr erschrocken. Dann fasst sich die Springmaus ein Herz und fragt: »Bist du das Faultier?«

»Nein – ich – bin – sein – Bruder«, sagt das schläfrige Tier und gähnt herzhaft.

»Weißt du vielleicht, wo wir einen Strauß finden können?«, fragt das kleine Känguru schnell.

»Das – weiß – ich – auch – nicht. Aber – ihr – könnt – ja …« Das Tier hört auf zu reden und fängt an zu schnarchen.