Sophienlust – 390 – Wundersame Heimkehr

Sophienlust
– 390–

Wundersame Heimkehr

Doch ist es wirklich ihr Mann, der zu Angelika zurückkommt?

Lotte Brügmann-Eberhardt

Impressum:

Epub-Version © 2018 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-691-4

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»Wer ist da, bitte?« Angelika wiederholte die Frage noch einmal nachdrücklich und presste den Telefonhörer verständnislos ans Ohr.

»Aber, Angelika, erinnerst du dich denn nicht mehr an mich? Hier spricht Vanessa! Vanessa Mohr! Du warst doch meine beste Schulfreundin!«

»Vanessa!« Endlich hatte Angelika begriffen. »Das gibt es doch nicht! Woher rufst du denn plötzlich an?«

Vanessa Mohr! Sie hatten jahrelang nebeneinander die Schulbank gedrückt, sie hatten zusammen das Abitur gemacht, dann war die unternehmungslustige Neunzehnjährige nach Amerika gegangen. Zuerst waren noch eine Zeit lang Briefe hin und her gegangen, aber dann war auch dieser Kontakt eingeschlafen. Und nun? Nach über fünfzehn Jahren dieser Anruf.

»Ich habe mir endlich einmal einen längeren Deutschlandurlaub gegönnt!«, erwiderte Vanessa. »Und die Erste, die ich wiedersehen wollte, warst du!«

»Wo steckst du denn jetzt?«, wollte Angelika wissen.

»Ich bin gestern Abend in Frankfurt gelandet, habe mir heute einen Leihwagen gemietet und bin startbereit zu jeder Art von Abenteuer. Sag, können wir uns nicht irgendwo treffen?«

»Warum kommst du nicht zu mir? Ich habe Platz genug, du kannst so lange bei mir bleiben, wie du möchtest!«

»Aber du bist doch verheiratet. Was würde denn dein Mann dazu sagen? Auf keinen Fall möchte ich stören!«, wandte Vanessa ein.

»Mein Mann ist nicht da, du störst nicht«, erwiderte Angelika kurz.

»Nun, dann komme ich natürlich gern. Ich nehme an, dass wir uns viel zu erzählen haben, sodass ein kurzes Treffen kaum ausreichen würde. Sag mir also noch, wie ich fahren muss!«

»Du nimmst die Straße nach Maibach. In Maibach fährst du ungefähr fünfzehn Kilometer nördlich. Du kommst dann an eine Kreuzung und folgst dem Wegweiser nach ›Haus Bergmann‹. Wundere dich nicht, wenn du in eine einsame Gegend kommst, unser Haus liegt ganz allein.«

»Na, ich werde es ja hoffentlich finden. Ich freu mich auf morgen!«

Als Angelika den Hörer aufgelegt hatte, sank sie gedankenverloren in einen Sessel. Erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein: Sie würde Besuch haben! Sie konnte sich kaum erinnern, wann das Fremdenzimmer das letzte Mal benutzt worden war. Fast packte sie so etwas wie leichte Panik. Was musste sie jetzt machen? Sie musste das Gäs­tezimmer putzen, das jahrelang nicht genutzt worden war, sie muss­te den Lebensmittelhändler anrufen und die Lebensmittelvorräte ergänzen.

Hastig sprang sie auf und entwickelte eine ungewohnte Betriebsamkeit. Allmählich stellte sich auch so etwas wie Vorfreude ein. Endlich geschah einmal etwas in ihrem täglichen Einerlei!

Sie war gerade mit dem Beziehen des Bettes fertig, als sie die Haustür schlagen hörte. Tim, der Neunjährige, rannte an ihr vorbei und feuerte seine Schultasche in die Ecke. Jana, die Siebenjährige, folgte ihm.

»Sag mal, was ist denn mit Tim los?« Angelika blickte ihren Sohn verständnislos nach.

»Tim ist sauer!«, erklärte Jana.

»Und warum, bitte?«, wollte Angelika wissen.

»Weil wir so weit draußen wohnen und er nie etwas mitmachen kann. Heute haben sich die Jungen aus seiner Klasse zum Fußballspielen verabredet. Da wäre er auch gern dabei gewesen.«

Angelika schwieg betroffen. Es stimmte ja, die Kinder hatten hier draußen kaum Kontakt. Immer mussten sie sofort nach dem Unterricht mit dem Schulbus nach Haus, und am Nachmittag bestand keine Gelegenheit, von hier aus nach Maibach zu kommen. Schulfreunde konnten sie ebenso wenig besuchen.

Angelika ging in das Zimmer ihres Sohnes und setzte sich neben ihn. »Ich kann ja verstehen, Tim, dass es dir leidtut, nicht mit den anderen spielen zu können. Aber es gibt doch noch mehr Kinder, die weit weg wohnen und nicht alles mitmachen können.«

»Doch machen die mit!«, widersprach Tim mit unterdrücktem Schluchzen. »Die haben eine Mami, die sie mit dem Auto hinfährt und abholt!«

Angelika senkte schweigend den Kopf. Tim hatte ja recht! Hier draußen war es eigentlich unerläss­lich, dass man den Führerschein hatte und ein Auto fuhr. Aber damals, als sie hierherzogen und sie den Führerschein machen wollte, hatte Markus das schroff verwehrt. Er sei ja da, wenn es etwas zu fahren gäbe, und er wolle nicht, dass er, wenn er weg war, ständig um sie und die Kinder in Sorge sein müsse. Da Markus aber die meiste Zeit unterwegs war, kam es dazu, dass sie mitsamt den Kindern in der Einöde festsaß.

»Wenn du so gern dieses Fußballspiel mitmachen würdest, dann rufe ich ein Taxi, das dich nach Maibach bringt«, schlug Angelika vor, weil ihr der Junge wirklich leidtat. Aber Tim schüttelte trotzig den Kopf. »Ob ich das eine Mal mitmache oder nicht, das ist doch auch egal!«

»Es tut mir wirklich leid für dich, Tim, aber sieh mal«, sie versuchte, der Situation etwas Positives abzugewinnen, »es ist doch auch schön, dass wir hier so ruhig im Grünen leben dürfen. Ihr habt hier doch immer so schön spielen können.«

»Im Sandkasten spielen und auf Bäume klettern, ja, aber das ist doch nur etwas für Babys!«, schmollte Tim. »Nie kann ich mit, wenn die Kinder aus meiner Klasse Geburtstag feiern, und nie kann ich welche zu meinem Geburtstag einladen!«

»Na, wir werden einmal ernsthaft überlegen, was wir da machen können«, versprach Angelika, um den Jungen erst einmal zu beruhigen. »Vielleicht könnt ihr ja einmal eure Freunde nach der Schule mit dem Bus mit nach Haus bringen, die hier übernachten und am nächsten Morgen mit dem Bus wieder in die Schule fahren.«

»Darf ich denn dann auch einmal bei anderen Kindern übernachten?« Tim schaute die Mutter hoffnungsvoll an.

»Nun ja, wenn deren Eltern damit einverstanden sind!«, räumte Angelika ein. »Und nun komm, es gibt Spaghetti zum Mittagessen.«

Als die drei am Tisch saßen, gab Angelika die Neuigkeit bekannt. »Morgen kommt Besuch!«

»Besuch?« Beide Kinder starrten die Mutter an, als hätten sie etwas nicht richtig verstanden. Besuch war etwas völlig Unvorstellbares für sie. »Wer kommt denn?«

»Eine Schulfreundin von mir, die jetzt in Amerika lebt. Sie macht hier Urlaub und besucht als Erstes uns.«

»Du hast eine Schulfreundin?«, wunderte sich Tim. Bisher war die Mutter immer eine völlig isolierte Person gewesen, die nur zum Wohl ihrer Kinder und des Vaters lebte.

»Ja, ich hatte sie auch schon fast vergessen«, gab Angelika zu. »Aber nun freue ich mich, dass sie ein paar Tage bei uns bleiben will.«

An diesem Tage herrschte eine angeregte Stimmung im Haus. Selbst die Kinder waren voller Neugier und vergaßen darüber ihre eigenen Probleme. Am nächs­ten Morgen fragte Jana aufgeregt: »Ist die Frau schon da, wenn wir aus der Schule kommen?«

»Nun, ich glaube schon«, meinte Angelika. »Aber ihr müsst nicht sagen: ›die Frau‹! Sie heißt Frau Mohr, und ihr dürft sie nett begrüßen, wenn ihr kommt.« Als die Kinder gegangen waren, fegte Angelika geschäftig durch das ganze Haus. Es sollte alles tiptop sein, wenn Vanessa eintraf.

Kurz vor Mittag hupte es vor dem Haus. Vanessa sprang quicklebendig aus dem Wagen und schloss die herbeieilende Freundin in die Arme.

»Uff! Du lebst aber tatsächlich in der reinsten Walachei! Wie hältst du das bloß aus!«

»Komm erst einmal herein!«, forderte Angelika sie auf, ohne auf ihren Einwand einzugehen. Sie führte sie auf die Terrasse und ließ sie Platz nehmen. Vor ihren Blicken breitete sich ein buntes Blumenmeer aus. »Ist das nicht schön?«, versuchte Angelika, ihr Heim zu loben.

»Na, schon«, gab Vanessa zu. »Wenn man dann Gelegenheit hat, öfter einmal unter Menschen zu kommen, dann kann die Stille schon vorteilhaft sein … Sicherlich fährst du öfter einmal in die Stadt.«

»Dazu sind die Verkehrsverhältnisse hier leider zu schlecht«, gab Angelika zu.

»Willst du damit sagen, dass du nicht Auto fährst?«, wunderte sich Vanessa. »Man kann doch nicht so weit ab wohnen, ohne beweglich zu sein?«

»Als mein Mann damals das Haus hier bauen ließ, wollte ich den Führerschein machen. Aber er meinte, er wolle nicht dauernd Angst haben, dass uns im Verkehr etwas passiert und war dagegen.« Angelika senkte den Kopf.

Vanessa blickte sie nachdenklich an. »Du sagtest, dein Mann sei nicht hier. Habt ihr euch getrennt?«

Angelika schüttelte den Kopf. »Markus ist verschollen.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Nun, dann muss ich etwas ausholen. Markus hat nach dem Tod seines Vaters die Firma übernommen, aber er hatte keine Lust, sie selbst zu führen. Er wandelte sie in eine Aktiengesellschaft um und behielt die Mehrheit der Aktien und den Vorsitz des Aufsichtsrates. Die Leitung übernahmen ein technischer und ein kaufmännischer Geschäftsführer. Markus behielt sich den Kontakt mit den ausländischen Filialen vor. Vor drei Jahren flog er nach Australien zu einer Inspektion. Da er ein begeisterter Hobbypilot war, mietete er sich dort eine Maschine und flog über Papua-Neuguinea. Seither fehlt jede Spur von ihm und von der Maschine.«

Vanessa schaute sie verständnislos an. »Seit drei Jahren hast du nichts mehr von deinem Mann gehört?«

Angelika schüttelte den Kopf.

»Aber du musst davon ausgehen, dass er nicht mehr lebt!«

»So lange ich nichts Gegenteiliges erfahre, werde ich warten.«

»Und so lange willst du hier in der Einöde sitzen bleiben und versauern? Angelika, es ist dein Leben, das du so sinnlos an dir vorüberlaufen lässt!«

»Was soll ich denn machen? Ich habe doch niemanden als Markus und die Kinder. Verwandte leben nicht mehr, und Freunde haben wir nie gehabt. Markus pflegte keine privaten Kontakte.«

»Angelika, du bist doch ein selbstständiger Mensch! Wenn dein bisheriges Leben plötzlich eine so dramatische Wendung genommen hat, raffe dich auf, und fang etwas Neues an! Du kannst doch nicht bis ans Ende deiner Tage warten! Oder hast du in deiner Ehe jegliche Eigeninitiative verloren?« Sie blickte die Freundin fragend an, schien es ihr doch, als wäre von der tatkräftigen Abiturientin von damals nichts mehr übrig geblieben.

»Ich hab doch die Kinder, die mich brauchen!«

»Und die fühlen sich hier draußen wohl?«, erkundigte Vanessa sich mit zweifelndem Unterton.

»Nun ja, als sie klein waren, hatten sie hier ein richtiges Paradies«, antwortete Angelika zögernd. »Jetzt allerdings vermissen sie doch die Kontakte zu anderen Kindern.«

»Siehst du, ein Grund mehr, etwas an deinem Leben zu ändern! Ich glaube, es war gut, dass ich zu dir gekommen bin. Wir werden uns in den nächsten Tagen einmal gemeinsam Gedanken über deine Zukunft machen.«

Angelika schwieg dazu, aber so etwas wie Aufbruchstimmung machte sich plötzlich in ihr breit. Sie ließ Vanessa nun erst einmal ihr Gepäck ins Gästezimmer bringen und sich häuslich einrichten, während sie selbst sich um das Essen kümmerte.

Sie war gerade beim Aufdecken, als die Kinder aus der Schule kamen.

»Ist sie schon da?«, erkundigte Tim sich neugierig.

»Ja, Frau Mohr wird gleich zum Essen herunterkommen. Begrüßt sie recht nett«, mahnte Angelika vorsichtshalber noch.

Etwas verlegen standen die beiden aber dann doch da, als Vanessa erschien.

»So, und ihr seid nun Tim und Jana!« Mit lächelndem Gesicht ging sie auf die Kinder zu.

Tim neigte höflich den Kopf und sagte: »Guten Tag, Frau Mohr!«