MacKay, Nina Dämonennächte

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Widmung

Für Gerd, den besten Chef der Welt.

Danke, dass du immer Verständnis für meine Autorenkarriere hast!

Zitat

Only in the darkness can you see the stars

Martin Luther King jr.

1

Der Morgen des 1. Januar 2020 erhob sich wie nach einem Krieg aus den Trümmern der letzten Nacht. Portland schien sich den Staub von den Mauern zu klopfen und einer Zukunft voller Hoffnung entgegenzusehen. Dabei war Hoffnung an diesem Tag in etwa so angebracht wie eine lustige Flötenmelodie auf einer Beerdigung, aber das wusste nur eine Person: Adriana Astara.

Die Lippen fest aufeinandergepresst folgte sie der Straße in Richtung des Washington Park, in dem die Höhle verborgen lag. Sie begegnete einigen Menschen, die sich bereits aus der Sicherheit der Kirchen und Häuser getraut hatten. Die meisten lächelten sie im Vorbeigehen an mit diesem speziellen Ausdruck der Erleichterung. So wie man es jedes Jahr tat, nachdem alles vorüber war. Aber Adriana erwiderte das Lächeln nicht, konnte es nicht. Fast wünschte sie sich, für ein paar Stunden so unwissend und vertrauensselig wie diese Menschen sein zu dürfen. Für ein paar Stunden zu vergessen, dass die Gefahr immer noch da war. Aber das durfte sie nicht. Zu viel, wenn nicht alles, hing davon ab, dass sie nicht vergaß.

Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet. So viele Gedanken stolperten in diesem Moment durch ihren Kopf, doch immer wieder flüsterten Adrianas Gehirnwindungen nur einen Namen: Cruz.

Eine seltsame Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen, während sie mitten durch den Unrat auf den Wegen stapfte. Von Dämonen geleerte Mülleimer, Zeitungen, Flugblätter mit Dämonenwarnungen. Zwar hoffte Adriana immer noch, ihre Theorie würde sich als falsch herausstellen, aber sie hatte es im Gefühl, dass sich die Höllentore in diesem Jahr keineswegs wie sonst üblich wieder geschlossen hatten. Luzifer hatte mit der Umsetzung seines Plans begonnen, jede Nacht zur Dämonennacht zu machen. Ganz wie es die Dämonen versprochen hatten. Gefahr lag in der Luft und ein Knistern der Spannung zwischen den Welten. Erde und Hölle. Und wenn sie sich nicht täuschte, würde alles hier in Portland seinen Anfang nehmen. Deshalb konzentrierte sich Luzifer dermaßen auf diese Region. Weshalb sonst lungerten er, Ahel und Ivan ständig an diesem Höllentor herum, auf das sich Adriana in diesem Moment zubewegte? Warum ausgerechnet hier? Eine dunkle Vorahnung grub sich in ihre Magengegend.

Streng genommen wusste sie warum.

Damit blieb ihr nicht viel Zeit, um die Menschen zu warnen. Bis zur Darkness Hour hatten sie nur noch knapp neun Stunden. Und alle Menschen der Welt nahmen heute am Neujahrstag irrtümlich an, sie hätten soeben die letzte Dämonennacht diesen Jahres hinter sich gebracht! Adrianas Finger verkrampften sich.

Andererseits, wenn Luzifer es geschafft hatte, die Barriere zwischen den Welten auf irgendeine Weise offen zu halten, konnte sie durch ein unverschlossenes Höllentor leichter zu Cruz gelangen. Ob die anderen, ihre Halbdämonenfreunde, es schon bemerkt hatten? Drym und Savannah mussten mittlerweile in die Hölle zurückgekehrt sein. Vielleicht hatten sie Pryatt Hershley vorher in der Kapelle abgesetzt. Eigentlich hätte sie bei ihm vorbeischauen sollen, aber das wollte sie lieber ihrem Freund Rico überlassen. Nachdem Cruz seinen zweiten Pakt eingegangen war und sie selbst erkannt hatte, wer sie wirklich war, fühlte sie, dass ihre wichtigste Aufgabe jetzt sein musste, Cruz zu retten, der ihretwegen in der Hölle festgehalten wurde. Als Sklave Luzifers. Im Gegensatz zu ihren menschlichen und halbdämonischen Freunden konnte sie als Einzige sowohl die Höllentore passieren als auch auf der Erdoberfläche im Tageslicht überleben. Zumindest nahm sie an, dass ihr Halbengelblut ihr Ersteres ermöglichte.

Adriana schmeckte eine bittere Note in ihrem Rachen. Vor ein paar Tagen noch hätte sie, das schüchterne Waisenkind, nicht im Traum daran gedacht, freiwillig die Hölle zu betreten. Aber jetzt war alles anders. Sie wischte ihre Handflächen an den Hosenbeinen des Neoprenanzugs ab, über den sie ihre Sweatjacke gezogen hatte. Hinter sich meinte sie immer noch das Winseln ihres Hundes Tequila zu hören, den sie hatte zurücklassen müssen. Leider ging es nicht anders. Immerhin wusste sie, dass Rico den schwarzen Labrador gleich dort abholen würde, wo sie ihn angebunden hatte. Eilig versuchte Adriana, die Gedanken an Tequila fortzuwischen. Sie musste sich darauf konzentrieren, einen genauen Plan zu entwickeln, um Cruz aus seiner Gefangenschaft in der Hölle zu befreien. Der Pakt mit Luzifer würde ihn sonst zwingen, für fünfzig Jahre ein Leben als Diener des Teufels zu fristen. Und bei Luzifer konnte man nie wissen. Womöglich würde er Cruz aus Spaß foltern. Adrianas Nasenflügel bebten. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Cruz nicht diesen Pakt eingehen müssen, um sie vor Luzifers Enkel Ivan zu retten. Und auch nicht den zweiten Pakt mit Ivan, der ihn zwang, früher als abgemacht in die Hölle hinabzusteigen und sie, Adriana, im Anschluss zu sich zu rufen. Unwillkürlich rieb sie über die Stelle an ihrem Arm, wo sich die Markierung unter dem Neoprenstoff verbarg. Bisher war die Ballonnarbe ruhig geblieben. Noch hatte Cruz die Verbindung nicht aktiviert. Nicht so, wie Ivan es bei Dakota getan hatte.

Zeit, aus eigener Kraft die Hölle zu betreten. Adriana reckte ihr Kinn. Um sich selbst machte sie sich keine Sorgen. Luzifer brauchte sie lebend, hatte verboten, dass ein Dämon Hand an sie legte, und das wussten die anderen Dämonenclans nur zu gut. Oder sie musste es beiläufig erwähnen, falls sie anderen Dämonen begegnete. Was in der Hölle zweifellos passieren würde.

Auf einmal ertönten Sirenen um sie herum. Ein Rettungswagen bretterte nur einen Block entfernt über den Asphalt.

Menschen weinten, trauerten offenbar um einen Angehörigen, der letzte Nacht von Dämonen zerfleischt worden war … Es gab eben doch nicht nur lächelnde Gesichter heute Morgen in Portland.

Adriana fröstelte es. Diese Menschen mussten dringend gewarnt werden. Jedenfalls wenn sich Adrianas Theorie bewahrheiten sollte und heute Nacht Dämonen im Schutz der Dunkelheit erneut über die Stadt herfallen würden. Genau wie über alle anderen menschlichen Siedlungen der Welt auch. Nur, dass es in ihrer Stadt beginnen würde. Sie beschleunigte ihre Schritte, bog rechts ab, sobald sie den Park betrat.

Hinter einer weiteren Weggabelung kam endlich der versteckte Eingang zur Felsenhöhle in Sicht. Gut, bisher hatte sie noch nicht wirklich viel Zeit verloren. Cruz würde es den Umständen entsprechend gut gehen. Noch.

 

Die Höhle im Park fügte sich so perfekt in die Landschaft ein wie ein unschuldiger Felsbrocken unter den herabhängenden Wurzeln der Bäume, die auf ihm wuchsen. Der Spalt, durch den man sie betrat, wirkte für menschliche Augen viel zu eng, um hindurchzupassen. Doch wenn man über eine Wurzel stieg und es dann seitlich versuchte, war es kein Problem. Cruz hatte ihr das gezeigt. Bei dem Gedanken, dass sie jetzt ohne ihn den Durchgang betreten musste, schnürte es ihr die Kehle zu. Wieso hatte es nur so kommen müssen? Ihre Gedanken verweilten bei Cruz’ stets lächelndem Gesicht. Obwohl nicht ganz menschlich, sondern mit einem Hauch Violett im Hautton, konnte sie sich kein schöneres vorstellen. Adriana atmete schwer aus, wobei ihre Fingerspitzen mit dem Ärmel der Kapuzenjacke spielten, die sie über dem Neoprenanzug trug.

Sobald sie ihren Fuß in die schwarze Höhle setzte, krallten sich ihre Finger automatisch in die Ärmel ihrer Jacke. Gleichzeitig zog sie den Kopf ein, um nirgends anzustoßen. Eine Wurzel streifte ihre Stirn, als sie einen weiteren Schritt wagte. Der modrige Geruch und die Enge des Gangs wurden ihr heute besonders bewusst.

Der bläuliche Schein der Höllenpforte glühte ihr entgegen, warf unruhige Schatten auf die Wände. Und jeder dieser Schatten schien Teufelshörner auf dem Kopf zu tragen. Die Erkenntnis sickerte mit einer bitteren Note im Abgang in Adrianas Bewusstsein. Verdammt, das hieß, es hatte sich tatsächlich nicht geschlossen! Die Dämonen würden in weniger als neun Stunden zurück auf die Erde strömen. Mordend, plündernd!

Dadurch konnte sie einerseits zu Cruz gelangen, aber gleichzeitig brachte das die Welt in große Gefahr. Auf einmal wurde Adriana übel. Hin- und hergerissen taumelte sie rückwärts aus der Höhle. In ihrem Kopf rauschte es. Wie konnte sie ein Engel sein, wenn ein kleiner Teil von ihr sich freute, das offene Tor in der Höhle zu sehen? Das war falsch. So falsch! Innerlich schalt sie sich für ihre Gefühle für den Dämon. Denn Cruz, so menschlich er sich auch gab, war ein Alpha-Dämon. Und sie ein Engel.

Ihr Handy vibrierte. Schnell angelte sie danach. Ricos Nummer. Adrianas Finger zitterten, obwohl sie sich gleichzeitig mehr als bewusst war, dass dafür keine Zeit blieb. Nicht mal für eine Spur Zauderei.

Sie musste sich zusammenreißen. Zurück zu ihrer harten Entschlossenheit finden, die sie kurz zuvor noch verspürt hatte. Was nicht zu einfach war, wenn man sich zwischen der Menschheit und seiner großen Liebe entscheiden musste.

»Adri?«, meldete sich Rico. »Bist du eigentlich total wahnsinnig? Wo zum Teufel steckst du?«

Sie schloss die Augen. Was hatte sie auch erwartet?

Er klang aufgebracht und gleichzeitig enttäuscht, befürchtete sicher das Schlimmste.

»Hi«, flüsterte sie ins Telefon. »Bist du schon bei Tequila?«

»Nein, ich habe per Telepathie erfahren, dass du nicht wie angenommen bei deinem Hund auf mich wartest. Natürlich bin ich bei ihm!«

Oh. Sie schluckte. Also hatte er die Nachricht an Tequilas Halsband gefunden. Nun gut, sie konnte die Situation nicht mehr retten, höchstens ihre Beweggründe erklären.

»Die Tore haben sich nicht geschlossen. Ich hatte keine Wahl.« Ihr Blick streifte ruhelos über die Baumstämme vor der Höhle. »Heute Nacht werden die Dämonen erneut kommen und niemand außer uns weiß Bescheid.«

»Wie? Noch mal von vorn. Adri, stehst du etwa vor dem Höllentor? Nein, oder? Das willst du nicht wirklich tun. Warte, ich komme dich holen. Beweg dort keinen Fuß rein, hörst du? Es könnte dich umbringen!«

Einen Engel wohl eher nicht, aber darüber würde sie ihn später aufklären. Und was, wenn Ivan falschlag und Halbdämonen den Übertritt zur Hölle eben doch überleben würden? Sie hatten es nie ausprobiert. Aber das war nun nebensächlich.

»Nein, Rico, hörst du nicht zu? Die Höllenpforten stehen offen. Ganz, wie wir vermutet haben! Ich schicke dir ein Foto davon. Geh zurück zu Major Dwight und General Whittaker. Zeig ihnen das Foto, sag ihnen, dass heute Abend nach der Darkness Hour wieder Dämonen kommen werden. Dann müssen sie dir einfach glauben. Und dann streust du die Info bei Social Media. Du musst das überall verbreiten.« Einen Moment überlegte sie, Rico ihren Standort zu senden, um es der BKOD so einfach wie möglich zu machen, den Sachverhalt zu prüfen. Aber was, wenn normale Menschen das Portal sowieso nicht sehen konnten? Das war überaus wahrscheinlich und der Gedanke fühlte sich richtig in ihrem Kopf an. Portale waren nur etwas für übernatürliche Wesen. Oder Halbmenschen.

»Ach, verdammt, am Ende ist das Portal für menschliche Augen gar nicht sichtbar.«

»Hm«, brummte Rico, »womöglich werden sie es erst glauben, wenn sie es mit eigenen Augen sehen. Aber mit etwas Glück kann ich sie überreden, zur Vorsicht die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Trotzdem: Dein Alleingang gefällt mir nicht.«

Adriana beschloss, nicht auf seinen letzten Satz einzugehen. »Mach das. Jedes Leben, das wir dadurch retten, ist es wert. Vielleicht kannst du noch ein paar Reportern und Fernsehsendern schreiben? Und Social Media, vergiss das nicht!« Bloß was, wenn sie ihm nicht glaubten?

Ein anderer Gedanke kam ihr. »Rico, könntest du etwas für mich recherchieren? Die Tatsache, dass sich die Söhne und Enkel von Luzifer ausgerechnet um das Portal in Portland tummeln, bringt mich auf einen Gedanken.«

Sie erzählte ihm von ihrer Theorie und er versprach, das Internet dazu zu durchkämmen.

Daraufhin schwiegen beide einen Moment.

»Adri.« Ricos Stimme klang auf einmal forsch. »Du machst doch jetzt nichts Dummes? Erzähl mir bitte nicht, dass du vor dem Portal stehst, weil du auf dem Weg in die Hölle bist? Du drehst doch wieder um, oder?«

Sie schwieg. Konnte es ihm aus irgendeinem Grund nicht sagen und betrachtete stattdessen ihre Fingernägel. An ihrem kleinen Finger klebten Grasreste. Rasch streifte sie das Grünzeug mit ihrem Daumen ab. Natürlich war ihr selbst klar, auf was für eine schwachsinnige Mission sie sich einließ. Mit nicht mehr als einem Messer in der Hand die Hölle zu betreten, dafür gab es keine Worte. Allerdings hatte sie einen Trumpf im Ärmel und einen Plan. Und irgendwo hinter dem Höllentor wartete Cruz auf sie. In Gefangenschaft. Durch ihre Schuld.

»Ich muss Schluss machen, Rico. Cruz braucht mich. Wenn ich zurück bin, melde ich mich wieder bei dir. Falls du Dakota siehst: Halt sie irgendwo fest. Sie darf nicht in die Nähe von Ivan gelangen. Und wenn du noch Zeit hast: Mit etwas Glück haben Savannah und Drym diesen Pryatt Hershley in der kleinen Kapelle abgesetzt, von der ich dir erzählt habe. Unserem neuen Stützpunkt. Könntest du dort hinfahren und dich um ihn kümmern? Er wird total verunsichert sein.«

»Dieser Mistkerl, der auf Cruz geschossen hat? Ist das dein Ernst? Außerdem ist unsere Diskussion in Bezug auf das Betreten der Hölle noch nicht vorbei, meine Liebe!«, redete Rico sich in Rage. »Du wirst nicht durch das Portal gehen! Der cleverste Plan der Welt ist das nicht wert! Denk dran, wenn sie dich erledigen, hilfst du Cruz auch nicht mehr. Du wirst keine dreißig Schritte weit kommen, du …«

Doch Adriana hatte nicht die Absicht, sich Ricos Schimpftirade bis zum dramatischen Ende anzuhören. Ohne ein weiteres Wort legte sie auf, schaltete das Gerät auf Flugmodus, steckte dann das iPhone zurück in ihre Jackentasche, wobei ihre Hand kurz das Taschenmesser berührte. Damit hatte sie eigentlich Helen töten wollen, doch jetzt würde sie es eher nicht mehr brauchen, oder wenigstens nur, um die Dämonen abzuwehren.

Ihr Rettungsplan für Cruz musste einfach funktionieren! Nicht umsonst hatte doch jemand dieses Sprichwort: Für seine große Liebe durch die Hölle gehen erfunden.

Als sie letztendlich von dem blauschimmernden Portal ein Foto machte, dachte sie an Rico. Es lastete nicht gerade wenig Verantwortung auf seinen Schultern. Erstaunlich, wie er das alles meisterte. Im Gegensatz zu Eloy und Dakota hatte Rico immer zu ihr gestanden, hatte sie sogar nach dem Dämonenbiss humpelnd zur Militärbasis begleitet. Und dazu war er clever. Hoffentlich clever genug, um Major Dwight zu überzeugen und gleichzeitig am Leben zu bleiben. Allerdings waren diese Gedanken nicht viel mehr als ein dumpfes Rauschen ganz hinten in ihrem Kopf, währenddessen die Sorgen um Cruz direkt hinter ihren Schläfen pochten, ja geradezu ohrenbetäubend kreischten. Adrianas Blick glitt über das Portal mit den Seelengesichtern, das flüsternd um sich selbst rotierte. Seelen schwammen in den blau leuchtenden Wirbeln darin. Komischerweise verstand sie dieses Mal nicht, was die Toten sagten. Mehr noch: Die Seelen schienen rückwärtszusprechen. Merkwürdig, aber nichts, mit was sich Adriana nun aufhalten konnte.

Nachdem sie das Bild des Portals an Rico geschickt hatte, stellte sie fest, dass er ihr am Telefon gar nicht zum Geburtstag gratuliert hatte.

»Happy Birthday«, flüsterte Adriana leise, nachdem sie das Foto an Rico verschickt hatte und den Flugmodus erneut aktiviert hatte. Dann trat sie durch die Höllenpforte.

 

Brütende Hitze empfing sie auf der anderen Seite. Hitze, die den Neoprentaucheranzug wie eine zweite Haut an ihr kleben ließ. Aber was hatte sie erwartet? Das hier war schließlich die Hölle. Immerhin hatte sie es mit ihrem Engelsmischblut überhaupt lebend hierher geschafft. Ganz und gar lebendig. Sie betrachtete ihre Finger, die immer noch recht gut durchblutet und keineswegs tot aussahen. Also war es ganz und gar nicht so, wie Ivan behauptet hatte, dass nur Volldämonen die Hölle betreten konnten. Aber welchem Dämon konnte man schon trauen?

Blinzelnd sah Adriana sich um. Das hier musste der Vorhof der Hölle sein. Weit und breit kein Dämon zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie sich nach der Dämonennacht zurückgezogen. Eine nicht sichtbare Lichtquelle tauchte alles um sie herum in ein orangefarbenes Schimmern. Sie schien auf einer Sanddüne zu stehen, unter der ein Wald aus Dornengestrüpp lag. Dahinter konnte man ein Feld erkennen und dahinter wiederum eine Art Festung. Das musste Luzifers Palast sein. Zwar hatte Cruz ihr erklärt, dass die sieben Zonen, in die die Hölle unterteilt war, ständig die Plätze wechselten, quasi rotierten, dennoch versuchte sie sich einzuprägen, wo in etwa die Pforte in Richtung Council Crest Park lag. Eine Nische mit Steinen, die wie das Gesicht einer Kuh angeordnet waren. Mit viel Fantasie jedenfalls. Auch von dieser Seite glühte das Kraftfeld blau. Seelenplasma wirbelte um sich selbst. Adriana zog ihr Messer und ritzte ein X genau zwischen die Augen der Kuh.

Nachdem sie sich so gut wie möglich die Umgebung eingeprägt und zur Sicherheit einmal mit dem Handy in die Runde gefilmt hatte, ging sie los, schlug den Weg direkt hinunter zum Dornenwald ein. Auf dem Weg dorthin versuchte sie sich zu erinnern, was Cruz über die sieben Bereiche der Hölle erzählt hatte. Zwischen Vorhof und Luzifers Palast befanden sich die Felder des Wahnsinns, die Schmiede, die Folterkammern, die Dämonenbrutstätte und die heiligen Hallen der sieben Völker der Hölle.

Als sie näher kam, wurde ihr erst bewusst, dass es sich bei dem Wald um die Dämonenbrutstätte handeln musste. Statt Dornen baumelten schon bald überall Kokons wie Haifischeier an Ranken über Adrianas Kopf. Die Dornenranken verdichteten sich dort zu einer tunnelartigen Höhle. Schleim bedeckte die Wände und es roch nach verwesenden Hühnereiern. Aber das Schlimmste an dieser Brutstätte war, dass die Dämonenembryonen sie zu beobachten schienen. Sobald Adriana an einem der Eier vorbeilief, glaubte sie, im Inneren etwas blubbern zu hören. Etwas regte sich, spitzte geradezu die Ohren nach ihr.

Nein, das ist Quatsch. Zur Sicherheit beschleunigte sie ihre Schritte, umklammerte dabei das Taschenmesser in ihrer Jackentasche fester. Doch nur bis sie die Gestalt bemerkte, die am Ausgang der Höhle stand.

Mit einem flauen Gefühl im Magen blieb sie stehen. Sollte sie zurücklaufen? Nein, die Alpha-Dämonin hatte sie längst gesehen, starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Und Adriana musste an ihr vorbei, wenn sie schnellstmöglich in Luzifers Schloss gelangen wollte. Also lockerte sie bewusst ihre Gesichtsmuskulatur, versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Die Alpha-Dämonin, die sich offenbar gerade um die Embryonen gekümmert hatte, zog fauchend ein Messer aus ihrem Gürtel. Mit ihrem dunklen Zopf sah sie Gesa recht ähnlich, doch diese Dämonin war kleiner und ihr Haar durchzogen von silbernen Strähnen.

»Was willst du hier, du Schmutziges Blut? Wie kommst du überhaupt hier rein?«

Schmutziges Blut. Sie roch es also noch, ordnete Adrianas Duft aber wie alle anderen Dämonen falsch ein. Ruhe bewahren, sie musste Ruhe bewahren. Ganz gefasst ihren Plan umsetzen. Das würde funktionieren. Sie musste nur selbst daran glauben. Im Gehen zwang sie sich, von sieben an rückwärtszuzählen, bis sich ihr Puls beruhigt hatte. Einige Schritte vor der Dämonin blieb sie stehen.

»Ich bin Adriana Astara. Sicher hast du schon von mir gehört. Cruz Darkknight hat mich markiert und hierher gerufen. Luzifer braucht mich zur Vollendung seines Plans, worüber du sicher informiert bist.« Sie gönnte sich eine Sekunde, um ein sanftes Lächeln anzudeuten, bevor sie hinzufügte: »Alle wissen davon.«

Tatsächlich schienen ihre Worte die Dämonin überrumpelt zu haben.

Zur Sicherheit schob Adriana sowohl ihren Hoodie als auch den Ärmel ihres Neoprenanzugs eine Spur nach oben, was nur unter gewaltiger Anstrengung möglich war. Irgendwie schaffte sie es, die Ballonnarbe auf ihrem Arm zum Vorschein zu bringen. Als der Blick der Dämonin darauf fiel, wurden ihre Augen groß, glühten noch etwas dunkler in dem typischen lila Farbton der Alphas. Ihr Messer hielt sie immer noch auf Adriana gerichtet. Doch Adriana machte sich nichts vor: Auch ohne das Erntemesser würde die Dämonin sie innerhalb von Sekundenbruchteilen töten können. Von ihr würde nur ein zerfleischter Haufen Halbengel zurückbleiben. Jedenfalls wenn sie weiterhin so schwach war wie ein normalsterblicher Mensch. Aber … war sie das wirklich? Bei Helen hatte sie zwar diese übernatürliche Segnung durchgeführt, nur konnte sie das vor einer Dämonin schlecht wiederholen, die ja weiter an das halbdämonische Mischblut glauben sollte.

»Das Messer würde ich an deiner Stelle besser runternehmen, wenn du keine Strafe von Luzifer riskieren willst.« So gut es ging, bemühte sich Adriana, ein Zittern in ihrer Stimme zu vermeiden.

Die Augen der Dämonin huschten nach links, dann nach rechts und wieder nach links. Schließlich bebten ihre violetten Nasenflügel.

»Geh. Aber glaub nicht, dass du diesen Kampf zwischen uns entschieden hast. Ich behalte dich im Auge.«

Da war sich Adriana sicher. Obwohl sie diese Begegnung nicht als Kampf einstufte. Andererseits war sie mit den Gepflogenheiten in der Hölle auch noch nicht allzu vertraut.

Auch jetzt machte die Dämonin keine Anstalten, beiseitezutreten. Dennoch nahm Adriana ihre Aussage als Einladung, ungehindert passieren zu können. Also schob sie sich an ihr vorbei, immer sorgsam darauf bedacht, weder die Dämonin noch die schleimigen Wände zu berühren. In diesem Augenblick galten ihre Gedanken ausschließlich Cruz. Cruz, der sie brauchte, der wahrscheinlich gerade irgendwo in Luzifers Palast in Ketten lag oder noch schlimmer: gefoltert wurde. Diese entsetzliche Vorstellung trieb Adriana dazu an, ihre Schritte zu beschleunigen, jedoch nicht, ohne die nötige Vorsicht außer Acht zu lassen.

Ihre Gedanken glitten zum Höllenfürsten. Luzifer glaubte, sie könnte ihm Informationen weitergeben, die sie von ihrer Mutter hatte. Irgendetwas Wichtiges musste es sein. Wertvoll für Luzifer, wenn er diese Informationen so dringend haben wollte. So weit hatte sie es sich schon zusammengereimt. Auch wenn sie keinerlei Kenntnis davon hatte, würde sie, sobald sie die Informationen in ihren Besitz gebracht hatte, diesen Trumpf gegen ihn ausspielen. Bei dem Gedanken an ihre Mutter tastete Adriana nach ihrer Halskette.

Du bist eine von ihnen, hallte die Stimme des kleinen blinden Mädchens in ihrem Kopf nach. Damit hatte die Kleine allerdings Engel gemeint und keine Dämonen. Genauer gesagt Halbengel wie Helens verstorbene Mutter. Mit zitternden Fingern drehte sie den Herzanhänger ihrer Kette hin und her. Das Mädchen glaubte an sie. Adriana musste es – nein: würde es schaffen! Mit Cruz gemeinsam Luzifer schlagen und damit die Weltbevölkerung vor der großen Verdunklung retten. Gemeinsam konnten Cruz und sie die Halbdämonen-Armee gegen Luzifer anführen. So wie es das Höllenfeuerlied vorausgesagt hatte. Und wie sie es in ihrer Vision gesehen hatte. Ein Halbdämon und ein Halbengel. Es musste so sein. Denn Dämonen fürchteten nur zwei Dinge auf dieser Welt: Halbdämonen und Engel. Cruz und Adriana …

Das Höllenfeuerlied. Mittlerweile konnte sie es auswendig aufsagen:

 

Und Luzifer zeugte der Kinder sieben,

Nur drei davon wird er für immer lieben.

Die anderen vier wenden sich ihm entgegen

Um Morgensterns Plan das Handwerk zu legen.

Sieben Halbblüter bestreiten die Schlacht

Um zu verhindern die ewige Nacht.

Werden zwei den Thron und die Macht ergreifen

Oder ewig in Schuld durch die Dunkelheit streifen.

Die Mächtigen, gezeugt durch die Übernatur

Zwei Mütter, die Kinder sind Halbblute nur

das Gute von ihnen gezeichnet vom Bösen,

wird sich am Ende von allem Guten lösen,

das andere, das zunächst böse erscheint,

wird nach Erlösung streben, mit dem Guten vereint

Gefährten aus lange vergangenen Jahren

Müssen im Kampf sich um sie scharen

Vergessen muss sein die Befangenheit

Die Vorurteile aus alter Zeit

 

Cruz, Cruz, Cruz, summte es in ihrem Kopf. Und mit diesen Gedanken trat Adriana aus der Brutstätte und landete direkt in einer Art Halle. Die hohen Marmorwände reflektierten dämonisches, orangefarbenes Licht, sodass sie zunächst eine Hand heben musste, um ihre Augen abzuschirmen. Ein wenig irritiert legte sie den Kopf in den Nacken. War das über ihr eine … Kuppel? Ja, eindeutig. Eine gewölbte Decke mit Fresken wie in der Sixtinischen Kapelle. Ungläubig blinzelte sie nach oben, wobei es in ihrem Nacken knackte. Nur wirkten diese Fresken im Gegensatz zu ihren Brüdern in Rom geradezu verstörend auf Adriana. Sie zeigten Dämonen, die Menschen verschlangen, Dämonen, die Männer und Frauen oder andere Dämonen folterten. Ganz in der Mitte entdeckte Adriana sogar die Abbildung eines rot leuchtenden Alpha-Dämons, der einen Engel mit einem Speer aufspießte. Die blutenden Flügel des Engels hingen dabei in einem seltsamen Winkel an seinem Körper herunter. Nicht nur sie schienen gebrochen zu sein … Dann verstand sie. Der komische rot leuchtende Alpha-Dämon musste dieser Volarion sein, Luzifers verschwundener Sohn, der den Erzengel Michael getötet hatte.

Adrianas Kiefer knirschte. Unbewusst hatten ihre Zähne wie Mahlsteine aufeinandergerieben. Das Bild übte mit all seiner Brutalität eine eigenartige Anziehung auf sie aus. Gut, dass sie noch nichts gefrühstückt hatte, ansonsten hätte sie nun würgen müssen.

Schnaubend sah sie sich weiter um. Ganz eindeutig war das hier die Ruhmeshalle der sieben Völker der Hölle. Überall waren Schriftzeichen in die Wände eingraviert mit leuchtenden grünen Siegeln, als hätte man statt Kerzenwachs Delta-Speichel in den Abdruck an der Wand geträufelt. Weiter hinten in der riesigen Halle standen mehrere goldene Statuen von Alphas oder von Luzifer höchstpersönlich. Nein, halt, das war kein richtiges Gold. Was für ein Material war das? Gesprenkeltes Gold? Dadurch sahen die Statuen aus, als wären sie in Gepardenfell gehüllt.

Adriana erinnerte sich daran, wie Cruz von dieser Ruhmeshalle berichtet hatte. Doch bevor sie den Gedanken weiterspinnen konnte, sprangen drei fauchende Schatten auf sie zu.

2

Nachdem er das Gespräch mit Adriana beendet hatte, wischte sich Rico müde über die Augen. Dabei versuchte er seine Gedanken zu sortieren. Tequila winselte neben ihm, schnüffelte dann an Ricos Hosenbeinen, auf Höhe der Stelle, wo vor fünf Nächten ein Delta-Dämon zugebissen hatte. Mit einer Hand knüllte Rico den Zettel mit Adrianas Nachricht zusammen und ließ ihn zu Boden fallen. Einen Moment später bückte er sich danach, um ihn wieder aufzunehmen. Nicht weit entfernt würde er sicher einen Mülleimer finden. Nur weil heute Nacht vermutlich Dämonen außer der Reihe auf Menschen losgehen würden, musste hier nicht alles in Anarchie und Chaos versinken. Gedankenverloren drehte Rico den Papierfetzen zwischen den Fingern. Sie konnten das immer noch hinbiegen, Lösungen finden, Menschen in Sicherheit bringen. Am wichtigsten war es jetzt, logisch vorzugehen, nicht in Panik ausbrechen und alle wichtigen Erledigungen der Reihe nach abzuarbeiten.

Tequila beobachtete aufmerksam das Spielzeug in Ricos Hand. Da der Hund schon mal da war und Rico Tequila nirgendwo abladen wollte, musste er ihn mitnehmen. Aber zuerst würde er die Nachricht auf Social Media verbreiten, dass die Menschen heute Nacht sicherheitshalber noch einmal Bunker oder geweihten Boden aufsuchen sollten. Danach stellte sich nur die Frage: Als Nächstes zum Militär? Oder doch zur Waldkapelle, um Pryatt Hershley abzuholen, der sich dort wahrscheinlich gerade fragte, warum niemand vorbeikam. Im Laufen wählte er die Nummer des Halbdämons. Kein Piepton ertönte. Also immer noch kein Netz … Seufzend tippte Rico eine E-Mail an den Feuerwehrmann aus Kalifornien und danach eine Warnung an seine Familie.

Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf stellte die Forderung auf, dass er auch Dakota suchen könnte, die vermutlich irgendwo von den Dämonen eingesperrt worden war. Cruz, Savannah und dieser Drym mussten sich dagegen in der Hölle aufhalten. Ein Problem weniger, um das sich Rico kümmern musste. Tequila begann eindringlicher zu winseln. Mit der freien Hand wischte sich Rico über die Augen, hob seine Brille dabei an. Er konnte nur hoffen, dass die drei Halbdämonen in der Hölle selbst an einem guten Plan arbeiteten, um Luzifer aufzuhalten. Seufzend zog er sein Handy wieder heraus und öffnete die erste Social-Media-App.

 

Adriana zuckte zusammen, machte vor Schreck einen Satz rückwärts. Drei Delta-Dämonen sprangen zähnebleckend auf sie zu, hielten erst knapp vor ihr an. Grüner Geifer tropfte an ihren Lefzen zu Boden. Waren das die Wachhunde im Palast? Zumindest trugen alle grüne Halsbänder.

Sie schluckte, versuchte sich ihre Angst vor den rottweilerähnlichen Höllenhunden mit ihren Alligatorgebissen nicht anmerken zu lassen. Hunde, beziehungsweise Dämonen, die bellten und nicht sofort angriffen, würden es auch später nicht tun, richtig?

»Brave Deltas … Ich will nur mit Luzifer, eurem Boss, etwas besprechen. Er braucht mich lebend …« Der Delta ganz links schnappte nach ihrem Knöchel. Daraufhin setzten die anderen beiden zum Sprung an, wollten ihr ganz offensichtlich die Kehle durchbeißen.

Alarmiert tauchte Adriana hinter einer gold gesprenkelten Statue ab. Leider kein besonders sicheres Versteck. Blöderweise klemmte sie nun auch noch mit ihrem Rucksack zwischen Statue und Wand fest. Fantastisch. In Adrianas Ohren rauschte es, während sie in ihrem Kopf mehrere Fluchtoptionen durchging. Eine weniger vielversprechend als die andere.

Doch da tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt auf und schnellte mit unmenschlicher Geschwindigkeit nach vorn. Zwei rote Hände legten sich um die Halsbänder der Deltas und rissen sie zurück. Der dritte Delta-Dämon sah sich nach dem Neuankömmling um und winselte dann.

Immer noch rann Adriana ein eiskalter Hauch von Abscheu die Wirbelsäule entlang, als sie sich von der Statue losriss, den Kopf hob und Ahel direkt ins Gesicht sah. Ahel, der rote Dämon, Sohn von Luzifer. Einer der mächtigsten seiner direkten Nachkommen und sein Lieblingssohn, zumindest behauptete das Cruz gewöhnlich.

»Hallo Adriana, schön, dich wiederzusehen.« Der Dämon lächelte. Seine ungewöhnlich dünnen Lippen verzogen sich fast bis zu den Ohren und seine Wangen legten sich bei dieser Bewegung in Falten. »Unerwartet, aber ich beklage mich nicht.«

Wieder beschwor sich Adriana, nicht zurückzuweichen und keine Angst zu zeigen. Selbst vor Ahels scharfem Körpergeruch nicht. Am liebsten hätte sie jedoch das Atmen eingestellt, um das herb stinkende Odeur nicht inhalieren zu müssen. Sie fand es kein bisschen schön, den Dämon wiederzusehen. Merkte man ihr vermutlich auch an. Doch Luzifers Sohn lächelte ihr einfach nur entgegen. Kommentarlos.

»Fort mit euch!« Die Nasen der Höllenhunde zuckten. Gleichzeitig bewegten sich ihre Lefzen so heftig auf und ab, dass es aussah, als würden sie kauen.

Winselnd trollten sich letztlich zwei der Hunde davon. Lediglich der mittlere hielt den Blickkontakt mit Ahel, stieß sogar einen Schnaublaut aus.

Sobald Ahel jedoch die Zähne bleckte, stolzierte auch dieser Delta von dannen. Womöglich waren das Luzifers persönliche Schoßhündchen, wenn dieser Delta so viel Selbstbewusstsein besaß …

In einer übertrieben ausholenden Geste wandte sich Ahel Adriana zu. »Was führt dich hierher, in unser bescheidenes Heim?« Wieder dieses breite Lächeln, während seine Lippen fast ganz in seiner roten Gesichtshaut versanken. »Und an diesem ungewöhnlichen Datum?« Er schnüffelte, wobei ihm ein Faden Sabber aus dem Mundwinkel rann, wenn sie das richtig erkannte. »Erster Januar?«

»Nun ja«, antwortete Adriana leichthin, »das Höllentor stand offen und ich habe etwas mit deinem Vater zu klären. Halbdämonen wie ich können wohl doch die Grenze übertreten. Ihr müsst euch geirrt haben.« Bei ihren Worten zwang sie sich, dem Dämon fest in die Augen zu sehen. Hoffentlich bemerkte er ihre Gänsehaut nicht.

Ahel neigte den Kopf aufmerksam zur Seite. Bei jeder Bewegung schien seine rote Haut zu schimmern. Wo sie eben noch rot wirkte, konnte man genau denselben Fleck Haut plötzlich als violett bezeichnen. Besonders auf seinen ausgeprägten Armmuskeln.

»Interessant. Du bist interessant … Luzifer also …?« Kurz schien er innezuhalten, doch dann streckte er eine Hand nach ihr aus, fuhr mit seinen Fingern über ihr Kinn. »Du bist viel zu schade für seine Halbdämonen-Experimente.«

Nie hätte sie geglaubt, dass nicht zurückweichen sich als so schwierig erweisen könnte. Jede Faser ihres Körpers schrie bei Ahels Berührung. Und diesen selbstgefälligen Blick, mit dem er sie dauernd von Kopf bis Fuß musterte, ertrug sie keine Sekunde länger. Zwei dunkle Augen, deren Blick viel zu intensiv auf ihr ruhte.

Mit so viel Kraft, wie sie aufbringen konnte, schlug sie seine Hand weg, unterbrach den Blickkontakt dabei nicht.

»Experimente? Nein, ich bin hier wegen … des Verdunklungsplans.« Besser, er erfuhr erst mal nichts von Cruz. Wenn er die Verbindung durchschaute, könnte Ahel dieses Wissen am Ende zu seinem Vorteil nutzen. Nur … Adriana runzelte die Stirn. Von welchen Halbdämonen-Experimenten hatte Ahel gesprochen?

Doch bevor sie den Gedanken weiter ausführen konnte, hörte Adriana den Schrei. Cruz’ Schrei. Eindeutig. Und es klang, als würde ihm jemand bei lebendigem Leib die Haut abziehen.

Eine dunkle Vorahnung legte sich wie ein eiskalter Handschuh um ihre Kehle.

»Ich muss los«, rief sie Ahel über ihre Schulter hinweg zu, dann rannte sie in die Richtung, aus der Cruz’ anhaltende Schreie kamen, ohne sich noch einmal umzusehen.

 

Major Dwight starrte Rico aus zusammengekniffenen Augen an. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, während er an seinem Schreibtisch lehnte, der die beiden voneinander trennte. Rico betrachtete die silberne Militärmarke, die an einer Kette um den Hals des Majors baumelte und das Sonnenlicht reflektierte. Es grenzte fast an ein Wunder, dass er ihn überhaupt empfangen hatte. Miss Twerbeed hatte sich für ihn eingesetzt. Die Sekretärin hatte etwas übrig für Kinder und erst recht für Tequila, der gerade bei ihr im Vorzimmer saß und sich die Keksdose vornahm.

»Du erwartest nicht wirklich, dass ich dir das glaube, Harry Potter?«

»Sehen Sie«, versuchte er es noch einmal mit Vernunft bei Major Dwight. »Die Dämonen sind unheimlich intelligente Wesen. Was glauben Sie? Dass sie sich für immer und ewig damit zufriedengeben, nur an fünf Tagen im Jahr auf der Erde zu jagen? Sie wollen die Tore dauerhaft öffnen. Es wird einen Krieg geben, wie damals!« Bloß ohne Engel. Außer, sie fanden sie rechtzeitig.

Immer noch wirkte der Major nicht überzeugt. Vielleicht wollte er es auch einfach nicht glauben.

»Wollen Sie etwa schuld daran sein, wenn heute Nacht Hunderttausende Menschen ihr Leben verlieren? Wenn nicht Millionen? Sie müssen General Whittaker davon in Kenntnis setzen und der muss die ganze BKOD, am besten auch gleich das Militär und die Presse informieren.«

Die Nasenflügel des Majors bebten. »Der General wird dir erst recht nicht glauben, wenn ich es schon nicht tue.«

»Aber das Foto …«

»So einen Effekt mache ich dir mit jedem drittklassigen Bildbearbeitungsprogramm«, unterbrach ihn der Major.

Langsam meldete sich ein Kopfschmerz wie graue Wolken in Ricos Kopf. Er betrachtete den Bildschirm seines Handys. Mehr als einen blauen Schimmer konnte man auf den Fotos, die Adriana geschickt hatte, wirklich nicht erkennen. Trotz mehrerer Versuche ihrerseits. Ob man als Mensch einfach nicht mehr von dieser dämonischen Magie erkennen konnte? Generell nie?

»Gut. Dann spreche ich mit der Presse. Dadurch wird zwar niemand Schutzmaßnahmen errichten, weil sie mich nicht ernst nehmen werden. Aber morgen nach dem Angriff wird dann jeder wissen, dass die BKOD mir nicht glauben wollte und deshalb viele Unschuldige ums Leben kamen. Auf Facebook und anderen Medien habe ich die Info bereits gestreut. Morgen werden sie alle über den Jungen berichten, der die Katastrophe vorhergesagt hatte, aber dem Sie nicht glauben wollten.« Rico sah seinem Gegenüber fest in die Augen. »Ihr Name wird fallen.«

Stöhnend löste der Major seine verschränkten Hände und legte sie auf die Stuhllehne. »Also gut, ich spreche mit General Whittaker und verbreite unter allen Militärs die Nachricht, dass wir zu erhöhter Vorsicht in der kommenden Nacht raten.«

»Und der Presse sagen Sie, dass heute Nacht zumindest eine Übung stattfindet. Dass die Menschen zu Hause bleiben sollen. Verhängen Sie eine Ausgangssperre mit der Begründung, dass Sie eine neue Waffe gegen die Dämonen testen wollen. Oder etwas in der Art. Weltweit.«

Der Major presste die Lippen aufeinander. Der Stuhl unter seinen Fingern knarrte, sobald er ihn ein paar Fingerbreit in Richtung Schreibtisch schob. Vier Stuhlbeine kratzten über den Boden, dass es in den Ohren wehtat. »Ist ja gut, Harry Schlotter. Mach dir nicht ins Hemd.«

 

Adriana nahm den Gang, der ganz rechts von der Ruhmeshalle abzweigte und aus dem auch Ahel gekommen sein musste. Während sie lief und Cruz schrie, rasten ihre Gedanken. Es klang so, als würde er gefoltert, womit ihre schlimmsten Befürchtungen wahr wurden. Hoffentlich kam sie nicht zu spät! Und was zum Teufel hatte Ahel damit gemeint, dass sie zu schade für Luzifers Halbdämonen-Experimente sei? Konnte das bedeuten, dass er in ebendiesem Moment ein grausiges Experiment an Cruz durchführte? Ihr Herz donnerte so heftig gegen ihre Rippen, dass Adriana glaubte, es würden Abdrücke auf dem Herzmuskel zurückbleiben. Ihr graute davor, was sie gleich zu sehen bekommen würde. Sollte das der Grund dafür sein, weshalb Luzifer nicht nur sie, sondern auch Cruz unbedingt in seinen Besitz bringen wollte? Er hatte wirklich alles darangesetzt, dass Cruz seinen Höllenpakt schloss. Nein, halt. Adriana dagegen brauchte er allem Anschein nach wegen der Informationen ihrer Mutter. Oder hing beides zusammen? Aus irgendeinem Grund schien das oberste Priorität für den Herrn über die Unterwelt zu haben. Doch Adriana machte sich nichts vor. Luzifer würde sie danach nicht laufen lassen. Nicht, wenn sie so ein wertvolles Studienobjekt für den Höllenfürsten darstellte. Und wie wertvoll, beziehungsweise speziell sie tatsächlich war, wusste er ja noch nicht einmal. Solange ihr nicht plötzlich Engelsflügel wuchsen, würde sie dieses Geheimnis hoffentlich verbergen können.

Auf einmal verstummten die Schreie, schienen zwei Sekunden danach aus einer völlig anderen Richtung zu kommen. Adrianas Kopf flog herum. Wie zum Teufel …? Bewegten sich die Zimmer im Schloss ebenso wie die Bereiche in der Hölle umher?

Ein schmerzerfüllter Schrei hinter ihr. Sie fuhr herum und lief zögernd in diese Richtung. Der Schrei riss ab und sie stand schwer atmend, lauschend da, drehte sich langsam um sich selbst. Da! Wieder schrie er. Sie hätte seine Stimme überall erkannt. Schlitternd gelangte sie an eine Abzweigung, in deren Mitte ein Springbrunnen stand, der mit Teer statt Wasser gefüllt war. Es stank erbärmlich, schien allen Sauerstoff aus diesem Gang zu tilgen. Adriana hustete. Nach kurzem Zögern, während dem sie sich an der roten Marmorwand abstützte, um nach Luft zu schnappen, nahm sie auch hier den rechten Gang. Cruz’ Schreie wurden lauter und Adriana zwang sich, noch schneller zu laufen. Sie musste ihn erreichen, bevor er wieder verschwand.

Schon beim nächsten Schrei, der ganz offensichtlich aus Cruz’ Kehle stammte, schüttelte sie all ihre Erschöpfung ab. Rannte stattdessen schneller und schneller, sodass das Rauschen ihres eigenen Blutes ihre Ohren heiß pochen ließ.

Und dann bog sie in den Flur ein, aus dem die Schreie kamen. Hier irgendwo musste es sein. Der Ort, an dem Cruz festgehalten wurde. Bei ihrem Abbiegemanöver hätte sie beinahe den zierlichen Springbrunnen umgeworfen, der etwas wie zähen, vielleicht sogar ätzenden Schleim ausspuckte. Gelb leuchtend, sodass sie lieber einen großen Bogen darum machte. Sofort danach fand sie sich in einem dunklen Gang mit zahllosen Türen wieder, aber sie wusste sofort, welche es sein musste. Eine massive Stahltür, ziemlich angerostet, aber doppelt so breit wie die anderen Türen aus Holz. Kurz darauf fuhr ihr ein gequälter Schrei aus Cruz’ Kehle durch den Leib. Diese Bestien! Das würden sie bereuen.

Ihre Hand zitterte, als sie sie auf die Türklinke legte. Mit aller Kraft drückte und zerrte sie daran, doch das Schloss wollte einfach nicht nachgeben. Kein bisschen. In einem Anflug von Wahnsinn überlegte sie, ob ihre Engelskräfte wohl etwas nützen konnten, doch sie hatte keine Ahnung, was genau sie imstande war zu tun, und wie man irgendwelche Kräfte einsetzen konnte, war ihr ungefähr so vertraut wie eine Straßenkehrmaschine in Taiwan.

Adriana sah sich in dem Gang um. Dann ging sie zurück zu dem kleinen Brunnen und versuchte ihn anzuheben. Das Ding wog weniger als gedacht und die kleine Schale ließ sich ohne Probleme von der Halterung brechen. Kurz darauf schmetterte sie das steinerne Gebilde samt dem hoffentlich säurelastigen Schleim gegen die Tür. Es zischte und dampfte, als das widerliche gelbe Zeug sich in die Stahlplatten fraß.

Fast hätte sie einen wilden Jubelschrei ausgestoßen, aber es war wohl noch zu früh, um sich zu freuen, denn das Zischen ließ bereits wieder nach.

Als Nächstes nahm sich Adriana eine Tonfigur mit einem grinsenden Dämonengesicht von einem Sockel und warf es gegen die Tür. Die Figur zersplitterte und ein halber Grinsemund blieb vor Adrianas Füßen liegen.

»Aufmachen!«, schrie sie. »Macht sofort auf, ihr verdammten feigen Missgeburten!«

Das Schreien hinter der Tür ebbte ab.

»Da draußen ist wer«, sagte eine kratzige Stimme und Adriana war alles recht, Hauptsache, sie ließen endlich von Cruz ab.

»Ganz recht, hier draußen ist wer!«, rief sie zurück. »Sofort die Tür aufmachen oder ich zerschlage hier jeden einzelnen verblödeten Zimmerbrunnen und sämtlichen Kram in eurer großen Halle! Für eure dämlichen Deckengemälde könnt ihr schon mal den Restaurator bestellen!«

»Adriana? Bist du das wirklich?« Cruz’ Stimme klang erstickt, rau, als hätte er seit Tagen nichts getrunken. »Bitte dreh sofort wieder um. Das ist kein Ort für dich.«

Bevor sie antworten konnte, zerriss ein Peitschenknall die Stille, dann ertönte ein elektrisches Knacken und Zischen. Ein Beta-Dämon gluckste, so wie es sich anhörte.

Als sie Cruz’ Knurren vernahm, ein Knurren, das er sicher nur ausstieß, um nicht zu schreien, damit sie vor der Tür nicht allzu viel von der Folter mitbekam, bohrte sie ihre Fingernägel in ihre Handballen.

»Also gut, ihr wollt es anscheinend so!« Wild sah sie sich um. Sie brauchte eine Brechstange oder etwas Ähnliches. Vielleicht in der großen Halle? Voller Wut in ihrem Herzen drehte sie sich um und prallte gegen eine harte Brust, fühlte Haut von der Temperatur einer finnischen Sauna auf ihrer. Angewidert wich sie zurück und starrte in ein wohlbekanntes Gesicht.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Adriana Astara. Schön, dass du doch noch meiner Einladung gefolgt bist.« Der Teufel persönlich.

Adriana musste sich zusammenreißen, um nicht wie Cruz zu knurren. Sie durfte nichts von ihren Gefühlen offenbaren, tief in sich drin wusste sie das. Und auch mit keiner Silbe erwähnen, wer sie wirklich war. Sich mit keiner unbedachten Äußerung verraten. Wenn er es nicht sowieso schon wusste.

Bitte, lass es ihn nicht wissen!

»Meine Diener sagten mir, dass du auf dem Weg zu mir bist. Um etwas mit mir zu besprechen? Mir vielleicht ein attraktives Angebot zu machen?« Bei dem Wort »attraktiv« glitt sein Blick von unten nach oben über sie und dann über den Scherbenhaufen am Boden. »Wie schön. Du bist in der Lage, dir die Zeit zu vertreiben, wenn es drauf ankommt. Wusstest du, dass sechsundsiebzig Prozent der Menschen sich in ihrem Leben regelmäßig langweilen? Also ich finde das bedenklich. Und ziemlich undankbar. Nicht wahr?«

»Ich wüsste nicht, was an einer frei erfundenen Statistik bedenklich sein sollte«, entgegnete Adriana.

In diesem Moment setzten Cruz’ Schreie wieder ein und sie brauchte all ihre Selbstbeherrschung, um sich nichts anmerken zu lassen, zumal Luzifer ihr Gesicht studierte, offenbar gierig auf eine emotionale Regung oder ein Zeichen der Qual. Sein erwartungsfrohes Grinsen verflüchtigte sich, als Adriana seinem Blick weiter standhielt.

»Was ist jetzt?«, fragte sie. »Machst du hier Small Talk oder gehörst du zu den zweiundachtzig Prozent der Höllenkreaturen, die den ganzen Tag vor Langeweile andere quälen und sich kindische Statistiken ausdenken?«

Sie musste jetzt durch diese Tür, die Luzifer blockierte, und Cruz sehen. Sofort!

Über Luzifers Gesicht schien ein Schatten zu ziehen und Adriana glaubte, die Gefahr körperlich spüren zu können. Ihr war durchaus bewusst, dass sie nur noch unversehrt hier stand, weil er etwas von ihr wollte. Aber sie durfte den Bogen nicht überspannen.

»Wenn du einen Pakt mit mir schließen willst, hättest du dir wirklich nicht die Mühe machen müssen, den weiten Weg hierher zu reisen«, unterbrach Luzifers Stimme ihre Gedanken. »Ich hätte zu dir kommen können. Du weißt doch, wie diese Beschwörung funktioniert, nicht wahr? Du bist ein kluges Mädchen, du hast herausgefunden, wie Molly Svensson es getan hat.«

Bei der Erwähnung von Molly, Harrys Ehefrau, die an seinem Tod eine Mitschuld trug, wurde Adriana flau im Magen. Sie würde ihren ehemaligen Kinderheimleiter nie wiedersehen. Jedenfalls nicht lebendig und aus Fleisch und Blut.

»Der Drudenfuß?«, half Luzifer nach, als sie immer noch nichts darauf antwortete. Er streckte eine Hand nach ihr aus, zweifellos, um ihr ein umgedrehtes Pentagramm auf den Arm zu malen, doch sie schlug nach ihm.

»Finger weg!« Jetzt knurrte sie wahrhaftig. »Oder du gehörst zu den neunundneunzig Prozent der Dämonen, die nach einem Körperkontakt mit mir ihre Hand verlieren.«

Das Lächeln im Gesicht des Teufels leuchtete daraufhin noch intensiver. Sein ganzer Körper und ja – sogar seine Hörner schienen zu vibrieren. »Verstehe. Nun gut. Es ist nicht so, dass ich nicht erwarte, dass du einen Pakt schließen möchtest. Allerdings solltest du dazu deine Zunge benutzen anstelle deiner Retourkutschen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Adrianas Blick glitt über seine Handgelenke, die von ledernen Riemen bedeckt, praktisch zugeschnürt wurden. Ein Pakt. Luzifer hatte sie ja nicht mehr alle. Gut, aus seiner Sicht war das womöglich äußerst naheliegend.

»Du willst also nicht mit mir reden. Dann mache ich dir eben ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst, Adriana Astara. Und ja, auf diesen Spruch besitze ich das Copyright und nicht ein gewisser Autor.« Er leckte sich über die Lippen. »Denn warum du hier bist, scheint mir doch recht offensichtlich.« Er kratzte sich über den Rand seiner Ohrmuschel, schien Cruz’ Schreien zu lauschen. Dabei rieselten ein paar Ohrschuppen zu Boden. Widerwärtig. Beinahe so widerwärtig wie der Blick, mit dem er sie musterte. Seine Augen schienen jedes Detail in ihrem Gesicht nachzuzeichnen. »Ich gebe dir diesen Nichtsnutz mit. Sagen wir, ich schiebe seinen Pakt für ein Jahr auf. Dafür erwarte ich aber zuerst Antworten. Im Detail: Ich möchte alle Informationen zu den Forschungen deiner Mutter. Du bringst mir alle Aufzeichnungen, die du über Dämonenforschungen finden kannst. Sicher hat deine Mom sie gut versteckt.«

Zweimal holte Adriana Luft, bevor sie sich halbwegs sortiert hatte und bereit für eine Antwort war. Aufzeichnungen ihrer Mom? Über Dämonen? Ihr Gehirn schaltete blitzschnell.

»Welche Forschungen genau?«

Luzifer zögerte. »Ich will einfach alles. Bring mir alles, an was sie zuletzt gearbeitet hat.«

»Gut.« Adriana konnte nur hoffen, dass Luzifer das leichte Zittern in ihrer Stimme überhörte. »Wenn ich sämtliche Aufzeichnungen herschaffe, ist Cruz’ Pakt damit aufgehoben.«

»Kommt darauf an.«

»Auf was?«

»Ob es das ist, was ich will.« Er neigte sich nach vorn, sodass er diesen letzten Satz in ihr Ohr flüstern konnte. Ganz der Psychopath.

Noch während Adriana scharf einatmete, presste der Dämonenfürst eine Hand gegen die Tür. Ganz sachte. Keine halbe Sekunde später ertönte ein sattes Schmatzen und die Tür zu Cruz’ Folterkammer glitt einfach in den Boden, wie in einem Comic. Verwundert starrte Adriana ihr nach. In das schmale Loch, das nach unten führte.

»Upps. Eben war Cruz doch noch da?« Luzifer setzte ein betont überraschtes Gesicht auf. Als Adriana nicht reagierte, sanken seine Mundwinkel im Sekundentakt nach unten.