Märchen des Lebens


Überarbeitung der 1924 erschienen Ausgabe
Umschlaggestaltung, Überarbeitung:
Daniel Neuner
1. Auflage 2015

Einst

Ich ging heute, 3 Uhr nachmittags, bei hellem Frühlingssonnenschein, 3. Mai 1907, auf der »Freiung« an einem Manne vorüber, der mich freundlich grüßte und ich, ich grüßte ihn höflich zurück. Es war der Professor an der Universität für Augenheilkunde K. Ich liebte ihn einst fanatisch, er war 5 Jahre lang mein Hofmeister gewesen. Seitdem ist er grau geworden, Frau und Töchterchen sind ihm gestorben. Wenn wir so aneinander vorübergehen, höflich grüßend, ist es wie ein Rätsel, wohin die Dinge der Seele entschwinden!?! Ich glaube nicht, dass er Frau und Tochter lieber hatte wie einst mich, seinen Schüler. Und ich selbst hatte bestimmt nie, nie, nie einen Menschen lieber als ihn, den gütigen verständnisvollen Hofmeister. Ich schenkte ihm die Zärtlichkeit meiner Seele und er wusste sie mehr zu achten als später jene vielen Frauen, die mich schmählich verraten haben! Er wusste es, dass ich seine Güte, sein Verständnis für mich mit unendlicher Liebe vergälte, und wenn ich ihn niemals kränken hatte können, so war es deshalb, weil es eine Gemeinheit gewesen wäre aller seiner edlen Rücksicht gegenüber!

Meine Schwester, die rotgoldene Schönheit, hatte ihn auch sehr lieb, obzwar sie erst 13 Jahre alt war. Er behandelte sie mit ungeheurem Respekte. Viele fanden es übertrieben und unnatürlich, nur ich nicht. Ich gönnte ihm meine geliebte Schwester. Später heiratete er reich und die Fäden der Seele wurden abgeschnitten. Was hat er, was habe ich seitdem erlebt, erlitten?!? Nun traf ich ihn, 3. Mai 1907, im Frühlingssonnenscheine, auf der »Freiung«; er grüßte freundlich, ich erwiderte den Gruß höflich-verlegen. Und dennoch bin ich einst fanatisch an dir gehangen, geliebter Hofmeister. Wohin entschwindet ihr, Dinge der Seele?!?

Mein exzeptionell geliebter Schmetterling war während meiner ganzen Kindheit der Apollofalter; ich kannte alle Nuancen seiner Färbungen. Die grellroten Ringelein und die grellgelben und die glasartig durchscheinenden Flügel. Mein geliebter Hofmeister und ich gingen auf Bergwiesen auf die Jagd nach Apollofaltern. Er sagte gemessen: »Nun, dieses ist ein wahres Prachtexemplar.« Ich war wie berauscht von dem Fange. Andere müssen erst ein Nilpferd schießen oder einen uralten Elefanten im Kongolande, der alle Kniffe kennt des kühnen Erlegers. Aber ich erlegte bereits als Kind in der Sonnenglut ein seltenes Prachtexemplar von einem Apollofalter. Mein Hofmeister nahm an meinem Glücke lebhaft teil. Er sagte: »Wir bringen heute eine seltene Jagdbeute«. Und meine wunderschöne Schwester von 13 Jahren sagte: »Gewiss haben Sie ihm den schönen Schmetterling verschafft, lieber Herr Hofmeister«. Und der Hofmeister erwiderte: »Nein, er saß im ausgetrockneten Bachbette auf einer Hollunderstaude, Peter hat sich geschickt angeschlichen wie ein Indianer auf dem Kriegspfade«. Ich hatte eine Sammlung von 300 Stück Apollofaltern, aber ein jeder war für mich Kenner ein von allen anderen grundverschiedenes Exemplar. Wo seid ihr, Zeiten der Liebe zu Hofmeister und Apollofalter?!

Die Glücklichsten

Die Glücklichsten sind die Schwäne am Gmundner See. Sie genießen alle Vorteile der Zivilisation, der noblen Protektion durch die Menschen, und alle Vorteile der Freiheit, indem sie an den schilfbewachsenen Ufern eines zwölf Kilometer langen Sees wohnen! Im Winter wird ihnen von der Gemeinde aus Futter gestreut, im Herbste fliegen sie über den See mit tönendem singendem Flügelschlage, ihre Verstecke werden geschont und ihre Jungen mit Respekt behandelt. Sie gelten als Zierde der Landschaft und ohne irgendjemandem etwas Gutes zu erweisen, befinden sie sich von selbst in der Huld aller. Nie werden sie verfolgt, geschossen und gebraten und ein jeder sagt, sie hätten übrigens ein schrecklich zähes ungenießbares Fleisch. Auf die Schwanendaunen wird sogar verzichtet im Interesse der landschaftlichen Staffage, der sie redlich dienen, von selber und ohne Verdienst. Sie sind die »Lieblinge des Publikums«, und ihre Daunen schwimmen wie Sommerschneeflocken unbenützt auf dem Seespiegel. Nur einmal wurde einer vom Jägerburschen erschossen, weil er schrecklich aggressiv gegen ein kleines Boot und seine zu Tode erschreckten Insassen, junge Damen, vorging, mit Flügelschlägen, weil man sein Weib und fünf hellgraue Junge gestört und angefahren hatte mit Kiel und Rudern, wenn auch unabsichtlich. Aber auch dieser starb damals in höchster leidenschaftlicher Erregung, für sein Geliebtestes kämpfend, den edlen, beneidenswerten Heldentod, während einer Ekstase, in der man keine körperlichen Schmerzen wahrscheinlich spürt!

Ein Glücklichster ist noch der wunderbare riesige Schimmel »Ali Baba«, Deckhengst in dem berühmten Gestüt Kladrup. Alle seine Lebensenergien werden liebevollst gehegt und gepflegt, dass er sie bewahre für seine herrlichen Geliebten, die berühmten Stuten. Um ihn herum in der Welt werden täglich Milliarden von Tieren malträtiert, gefoltert, sei es zu diesem, sei es zu jenem Zwecke, geschlachtet, kastriert, dickgefüttert auf Mästung zwangsweise, für Leberentartung künstlich präpariert! Aber er, der Schimmelhengst wird gepflegt und gehegt, und als Belohnung für Dienste, die nur Freuden waren, erhält er ein reichliches Gnadenbrot in seinen schwachen Tagen.

Ein anderer Glücklichster ist noch Beethoven. Taub für die Niederträchtigkeiten seiner Nebenmenschen, ließ er die »Symphonie der Welt« in sich ungestört ertönen.. Stundenlang fischte er leidenschaftlich in Nußdorf an der Donau, war glücklich, wenn ein ungenießbarer Fisch endlich nach Stunden anbiss. Alle hielten ihn für einen verrückten Dichter, grüßten ihn aber ehrfurchtsvoll. Niemand störte ihn, er klagte sich aus in Adagios, tobte sich aus in vierten Sätzen, lächelte wehmütig über sich selbst und die Erde in Scherzos. Er fühlte sich als Geber und Spender, als Vermehrer und Entwickler, trotzdem er selbst davon nichts wusste direkt und an die Donau fischen ging.

Dann sind noch zu den Glücklichsten zu zählen die Otterhunde, welche in Rudeln reiche Züchter in England loslassen gegen die Fischottern in Bächen und deren Erdhöhlen und Felsenhöhlen am Ufer. Sie hassen die Fischotter pathologisch, fürchten nicht den Tod durch ihre Rasiermesserzähne. Sie haben einen krankhaften Hass gegen die Fischottern, die ihnen nie, nie etwas Böses angetan haben. Aber wenn man sie loslässt gegen sie, sind sie glücklich! Unter deren spitzigen unerbittlichen Zähnen verenden, ist Wollust! Wozu hat man denn seine Kräfte, als um sie im Fischotterhasse zu verbrauchen?!? Die Fischotterhunde sind daher auch wirklich Glückliche! Sie kennen nur Hass und Leidenschaft. Und ein solcher Hund blickt ebenso traurig, wenn die Fischotter entwischt ist, als ein Adagio Beethovens ertönt. Sie träumen Tag und Nacht vom Fischottertode. Sie sind groß, haben ein wüstes stichelhaariges Fell und Augen, in welchen eine unerbittliche mysteriöse grausame Mission funkelt, der Fischottertod! Auch diese Organisationen sind wirklich Glückliche!

Aber diese anderen, auf dem Prokrustesbett des Lebens verkrüppelt zum Bedürfnis des Tages, sind nicht eine Stunde lang glücklich, sondern sterben dahin im Dienste, wehmütig wenn auch unbewusst trauernd um ihre zurückgedämmte Natur!

Die Donauinsel »Gänsehäufel«, Strandbad bei Wien

Die Luft ist vollkommen staubfrei, die Wasserfläche ist wie ein weiter See. Die Insel besteht aus Weiden und Donausand. Es ist ein Labyrinth von Weiden, ein Urwald, ein Riesengeflechtwerk. Schützet diese Insel wie ein Lebensheiligtum, das Lebensenergien zubringt dem Leib des armen Städters! In der Praterstraße ist noch das Gift der Großstadt, und eine Viertelstunde später kannst du dich reinbaden von allen Schädlichkeiten! Aus dem Gewirre von kühlen Weiden blickt die Natur dich liebevoll an, trägt dir ihre Regenerationskräfte an, ohne dich zu zwingen! Wie eine heilige Insel ist es der physiologischen Wahrhaftigkeiten, ein moderner Jungbrunnen aus dem alten Märchen! Die malträtierte halberstickte Haut trinkt nun hier mit ihren Milliarden Poren Licht und Luft in sich hinein, sucht alle Sünden emsig auszugleichen, während die Seele, angeregt durch Gottes Frieden, mittut und die Sorge wegschafft, die Hemmungen erzeugt und Trägheiten! Das Auge atmet die Landschaft ein und das Ohr rastet in der weiten Stille von den schrecklichen Geräuschen der Stadt! Möwen fliegen in der reinen Luft, Wasserpflanzen dunkeln aus dem Wasser herauf. Mögen die Menschen mit Achtung diese Insel behandeln, eigentlich sogar bereits mit Andacht! Möge nicht der Übermut, und komme er auch natürlich aus überschüssigen Lebenskräften heraus, dieses Paradies der Ursprünglichkeit stören, das die Stadt Wien seinen müden Kindern erschlossen hat!

Wasser, reiner Donausand und reine Luft sollen uns vom Innersten heraus Gott näher bringen. Die Zeiten sind schwer, die Körper und die Seelen sind, ohne dass sie es selbst genau wissen, übermüdet und verbittert, gleichsam unbewusst zänkisch und launenhaft, den Ungerechtigkeiten zugänglich in ihrer reizbaren Schwäche! So möge die Natur Frieden bringen und Ordnung! Diese Donauinsel »Gänsehäufel« sei ein respektierter Ort, ein Wallfahrtsort für sündige Leiber. Und wer, wer sündigte nicht hienieden?!

Gesundheit

Ich habe zu viel »überschüssige Lebensenergien.« Wohin damit?! Dass sie sich naturgemäß aufbrauchten?!

Das Leben stellt mir ja doch nur »Fallgruben«, in die ich zuletzt hineinstürze, meine Kräfte verbrauche, um wieder herauszukommen! Zum Beispiel Frauen, die man zärtlich lieb hat!

Man müsste »haushalten« mit seinen überschüssigen Lebenskräften, ohne zu geizen! Man müsste seine edlen Kräfte »krankhaft ängstlich« bewachen, was man leider aber erst kann, bis man wirklich »krank« ist. Bis dahin vergeudet man! Der Gesunde vergeudet; denn er wird durch nichts gemahnt! Erst der Kranke wird weise sparsam, nachdem es ihm nichts mehr nützt zu sparen, da er total verarmt ist! Als Gesunder die Weisheit des Erkrankten haben, da könnte man in die Sterne wachsen!

Aber das hat niemand mit Bewusstsein.

Unbewusst haben es die wenigen Lebensenergiegenies, die von selbst über 100 Jahre alt werden und im Lehnstuhle hinüberschlummern. Wie haben sie gelebt?!? Jedenfalls sparsam bei einem Großkapitale an Lebensenergien. Es gibt keine »hygienischen Wunder«, die man nicht mathematisch berechnen könnte! Es sind immer Einnahmen und Ausgaben!

Gesundheit ist eine »Gnade des Himmels«.

Man muss sich ihrer wert erweisen durch die Weisheit seiner Lebensführung. Man muss sie betrachten, achten und schätzen am eigenen Leibe, wie der monomane Sammler seinen echten »Rembrandt« achtet!

Leichtsinn ist Satans Fluch der Gesunden! Des Himmels Gnadengeschenk »Gesundheit« will verdient sein durch unendliche Opfer!

Bringe sie, Mensch, freudigen Herzens; Gottes Gnade ist unerschöpflich für die, die sich beherrschen!

Sommer 1906

Eine junge Dame, für die ich eine zärtliche Freundschaft empfand, hatte eine besondere Vorliebe für schönes edles Schuhwerk an Männerfüßen. Besonders ein sehr eleganter Mann hatte es ihr diesbezüglich angetan mit seiner idealen Chaussüre. Ich selbst trug Schuhe, die ich seit drei Jahren täglich trug, dreimal bereits gesohlt und überhaupt schrecklich. Ich bemerkte an dem süßen Fräulein die herbe Enttäuschung. Ein Dichter mit solchen Schuhen, pfui!

Da arrangierte ich es eines heißen Nachmittags, dass alle nahe dem flachen Ufer in den lauen Seesand barfuß aus dem Boote stiegen. Ja, ich setzte mich eigentümlich eindringlich dafür ein. Das süße Fräulein blickte mich an.

Spät abends, im Hotel, beim Abschied nehmen, sagte sie zu mir: »Verzeihen Sie es mir, P.A., Sie haben mir eine Lektion erteilt. Ich danke Ihnen.«

Ich küsste ihr stumm die Hand. Moral: Ein schöner Fuß ist schöner als ein schöner Schuh.

Die traurige Bürgerliche

Ich sagte zu Fräulein K.: »Frauen verstehen es zu wenig, ihre brachliegenden Seelenkräfte einfach für Tierattachements zu verwenden, die überschüssigen inneren Liebesfähigkeiten an edlen Hündchen oder Vögelchen ausleben zu lassen!«

Sogleich kamen ihr Tränen in die Augen.

»Nie kann es auf Erden eine zärtlichere Beziehung gegeben haben als zwischen mir und meinem Kanarienvogel. Sechs Jahre lang war es eine unerschöpfliche Zärtlichkeit, Sehnsucht und Beglückung. Er war nicht wie ein Mensch, denn Menschen sind nicht so! Alles an ihm war jauchzende Freundschaft und der Süßeste überbot sich in Beweisen und Beweisen seiner allerzartesten Zuneigung. Er konnte sich nie genug leisten, überpurzelte sich in Liebesbeweisen. Bei den Mahlzeiten lag er am Fußboden auf dem Saum meines Kleides, am Rücken, um ununterbrochen zu mir aufschauen zu können. Ich blickte hinab während des Essens, immer sah ich sein treues Auge auf mich gerichtet. Eines Abends, beim Nachtmahle, wollte mir meine Mutter rasch etwas ins Ohr flüstern, näherte sich meinem Sitze und zertrat ihn.«

Pause.

»Ich werde nie heiraten«, sagte sie dann sanft.

XIX. Ausstellung der »Secession«, Wien

Ferdinand Hodler in Genf, mit kalter Kraft, mit der Poesie des weisen und kühlen Endgereiften gibst du Natur und Menschen wieder! Voll Tiefe und Einfachheit bist du!

Wie ein alter Holzfäller im Gebirge, wie einer der berühmten Tiroler Bergführer kommst du mir vor als Maler! In ernster schweigsamer Kraft dich betätigend, wortekarg, aber nahe der Natur mit ihren schweigsamen Tiefen!

Keusch und unverbraucht!

Wie wenn jemand die Flitter des Kulturtages nie zu überwinden gehabt hätte, weil er von vornherein gepanzert war mit Ernst und Würde und gleichsam von Geburt aus in anderen Regionen atmete! Sauerstoffreich! Das wunderbarste Bild ist für mich Nummer 20: Der Tag.

Seinen Weg geht Ferdinand Hodler schnurgerade, dem Schicksale seiner Organisation blindlings, ohne Zaudern, wie einem heiligen Gebote folgend, sicher geleitet von seiner ungeheuren Kraft in ihm, ein starker einfacher Wanderer auf Gipfeln! Rundum blickend, aber von oben herab!

Musik

I. Grammophonplatte

(Deutsche Grammophonaktiengesellschaft.)


C 2–42 531. Die Forelle von Schubert.

In Musik umgesetztes Gebirgswässerlein, kristallklar zwischen Felsen und Fichten murmelnd. Die Forelle, ein entzückendes Raubtier, hellgrau, rot punktiert, auf Beute lauernd, stehend, fließend, vorschießend, hinab, hinauf, verschwindend. Anmutige Mordgier!

Die Begleitung auf dem Klavier ist süßes sanftes eintöniges Wassergurgeln von Berggewässer, tief und dunkelgrün. Das reale Leben ist nicht mehr vorhanden. Man spürt das Märchen der Natur!

In Gmunden wusste ich es, dass täglich in den Nachmittagsstunden eine Dame in dem Laden des Uhrmachers die Grammophonplatte C 2 – 42531 zwei- bis dreimal spielen ließ. Sie saß auf einem Taburett, ich stand ganz nahe beim Apparate.

Wir sprachen niemals miteinander.

Sie wartete dann später immer mit dem Konzerte, bis ich erschien.

Eines Tages bezahlte sie das Stück dreimal, wollte sich dann entfernen. Da bezahlte ich es ein viertes Mal. Sie blieb an der Türe stehen, hörte es mit an bis zu Ende.

Grammophonplatte C 2 – 42 531, Schubert, Die Forelle.

Eines Tages kam sie nicht mehr.

Wie ein Geschenk von ihr blieb mir nun das Lied zurück.

Der Herbst kam und die Esplanade wurde licht von gelben spärlichen Blättern.

Da wurde denn auch das Grammophon im Uhrmacherladen eingestellt, weil es sich nicht mehr rentierte.

 

II. Märsche


Es gibt drei Märsche, die in Musik umgewandelte Todeskühnheit und Blutdunst sind:

Lorrainemarsch (Louis Ganne).

Sternenbannermarsch (Susa).

Einzug der Gladiatoren (Fuzek).

Sie müssen mit einer kurzen und schrecklichen Entschlossenheit gespielt werden!

Der Kapellmeister werde da zum unerbittlichen Feldherrn selbst und die Instrumente mögen direkt in den Tod gehen!

Besonders kleine Trommel und Klarinette seien Helden! Sterben fürs Vaterland! Ex!

Man muss die Bataillone gleichsam sehen, die den Selbsterhaltungstrieb hinter sich zurücklassen!

Vor, vor, vor!

Eine schreckliche Krankheit hat das Gehirn, das Nervensystem ergriffen: »Du oder ich, Hund!«

Sonst nichts!

Besonders der Lorrainemarsch von Ganne, ein Extrakt von Revanchefanatismus!

Im Sternenbannermarsch geht Amerika freudig in den Tod!

Der Einzug der Gladiatoren in die Arena ist in Musik gesetztes Schicksal von Todesmutigen!

Wirble, kleine, flache Trommel, dass die Trommelfelle der Hörer bersten, kreische, Klarinette, wie schwangere Frauen in Angstgeburten, und du, Bass, murmle dumpf und verhängnisvoll, wie griechischer Chor zu tragischen Ereignissen!

Du aber, Kapellmeisterfeldherr, sei unerbittlich, furchtbar und entschlossen!!

Die Dichterin

Er glaubte es gar nicht, dass sie die wirkliche Seelenneigung zu ihm habe. Er hielt es zum Teil für Frauenromantik, um Situationen zu schaffen, die außerhalb der Algebra des Irdischen sich befänden das Unerwartete, Unausrechenbare! Sie mache einfach aus ihm eigenwillig ein Ideal!

Nach Jahren mannigfachen Schicksals machte sie nun Gedichte ihrer Erlebnisse. Alle waren mäßig. Nur die, die sich auf ihn bezogen, waren genial, aus Tiefen, die sonst nicht vorhanden waren. So Kernschüsse der Seele.

Da fühlte er: »Sie hat mich also doch geliebt!« Und er schrieb ihr das nach vielen Tagen.

Sie antwortete: »Nein, ich habe Dich nie geliebt, habe anderen hingegen mich leidenschaftlich angeschlossen. Aber in Dir, siehe, war ein Atom von dem vorhanden, was meinem eigentlichen, nie realisierbaren Ideale entsprochen hat, vielleicht Deine unbeschreiblich schönen Hände, die Anmut Deines Gehens, Dein Auge voll Güte und zugleich voll zarten Geistes. Dich habe ich nie geliebt, aber Du brachtest mir in einem Nichts ein Bruchstück jenes Ideales, das nicht ist und das nicht kommen wird! Nicht an Dich sind diese Gedichte gerichtet, sondern an mein Phantom, von dem Du nur einen Blutstropfen, aber eben doch einen, in Dir birgst! Ein Teilchen des Unerfüllbaren warst Du mir!

Deshalb sind es meine besten Gedichte.«

Preisklettern

Ich möchte diese Begebenheit aus meiner Jugendzeit, ich war damals 22 Jahre alt, nicht mitteilen, um etwas Besonderes anzuführen, sondern weil sie eine Art von Lebensweisheit enthält, die ich in meinem Leben einige Male erprobt habe, und die theoretisch mein Evangelium des Lebens enthält, fast für alle Angelegenheiten desselben. Ich kam als Großstädter im Oktober in das Gebirgsdorf R. in Niederösterreich. Eines Tages sagte die junge Wirtin zu mir: »Heute Nachmittag ist das Preisersteigen eines hohen Hügels für die Bergführer und Holzknechte der ganzen Umgebung. Steigen Sie zum Spaße mit, es wird die Leute freuen.« Wir fuhren zwei Stunden weit hinaus bis an einen steilen grasbewachsenen Hügel, auf dessen Plateau der Preis, 20 Dukaten, deponiert war in einem Ledersäckchen an einer Stange. Ich kam oben an, nahm das Ledersäckchen und sah alle Konkurrenten weit entfernt vom Gipfel hinauf keuchen. Woher kam es, dass der Stubenhocker, der Großstadtkrüppel alle besiegt hatte?!? Ich hatte ganz einfach jeden Morgen nach dem Aufstehen im Zimmer die tiefe Kniebeuge jahrelang geübt, so dass meine Muskeln und Gelenke für das Aufwärtsklettern viel besser eingeübt waren wie die der besten Bergsteiger. Denn ich hatte mit solcher Präzision und Raschheit diese tiefen Kniebeugen ausführen gelernt im Zimmer der Großstadt, dass ich tatsächlich nach übereinstimmender Aussage aller Zuschauer den steilen Hügel hinauflief, wie wenn es ebener Boden gewesen wäre.

Sapienti sat! Redet euch nicht auf das Stadtleben aus und eure geistigen Berufe! In einer Konzipientenstube in dem Rotgässchen könnte man Elastizitäten erhalten eines englischen Champions, wenn man genug Kultur hätte, seinen Körper zu achten! Wie wenn jemand sagte: »Ich habe nicht die Zeit dazu, meine Nägel blank zu halten, wie der Graf so und so.« O ja, Zeit haben sie alle genug; aber innere Kultur haben sie zu wenig!

Mit aufgedeckten Karten

»Soll ich, Anna, als Tierbändiger mit dir verkehren, ununterbrochen mit dem durchdringenden Blick des Weisen, des Voraussichtigen, vor dem du ängstlich wirst und zaghaft?!? Oder wollen wir, zwei Menschen, Hand in Hand gehen?!?«

»Lasse mich zuerst deine weise Macht fühlen, Liebster, bis ich so weit bin; denn viel Barbarisches, Unerzogenes steckt noch jedenfalls in mir!«

Und eines Tages sagte sie: »Ich bin gebändigt. Gehen wir nun, zwei Menschen, Hand in Hand!«

Da bemerkte er die ersten Runzeln auf ihrem geliebten Antlitz und die Züge des Verfalles.

Bei Buffalo Bill

Als sie 18 Jahre alt geworden war, fragte man sie einmal, weshalb sie denn allen ihren so netten Herren Hofmachern gegenüber sich so kühl und abweisend verhalte?!?

Da erwiderte die Wunderschöne: »Es war in meinem zehnten Lebensjahre. Da war ich mit meinem geliebten Papa und dem Herrn Dichter abends bei Buffalo Bill. Papa und der Dichter waren sehr lieb zu mir und ich befand mich in außergewöhnlicher Stimmung. Der weite Platz war erfüllt von Bogenlichtschimmer und Pistolenrauch und die amerikanischen Bläser schmetterten die raschen Märsche. Alles war besonders. Es dauerte fast drei Stunden, und Papa wollte vor der allerletzten Nummer bereits mit mir nach Hause gehen.« Da sagte der Dichter: »Elisabeth darf die drei tscherkessischen Reiter nicht versäumen.« Und so blieben wir. Wie im Sturmwinde kamen sie heran gefegt, stehend in den verkürzten Steigbügeln, die Arme weit ausgebreitet, nirgends ein Zügel, in unendlich freier und stolzer Art, wie schwebend auf fliegenden Pferden. Ich stand auf von meinem Sitz, ich ergriff Papa zitternd bei der Hand. Seitdem kann mir niemand mehr wirklich gefallen.

Die Stätten unserer paradiesischen Kinderzeit

Pehoferalm auf der »Rax«

Wie oft, wunderbares Schwesterlein Gretl, süße edle 15 Jährige, übernachtetest du selig im einsamen Frieden der Pehoferalm! Dem Nachtsturm lauschend in Bergföhrenwipfeln!

Da alles, alles noch vor dir lag, das Leben mit geöffneten Toren, gabst du dich sorglos-träumerisch hin dem Glücke der Pehoferalm!

Jetzt, nach langen Jahren, öffnet sie dir ihre Schutzhütte, Schutzstätte; weinend aber, gebrochen, meidest du nun ihren Frieden, den sie dir anbietet wie eh und jeh.

 

Pürsthof am »Gahns«

Gretl, von dir allein unter allen Frauen spürte man es ganz deutlich, dass du die mysteriöse Pracht einer Berglandschaft ebenso lieb haben konntest wie einen geliebten Menschen!

 

Holzgatter beim Mieseltalsteig Schneeberg

Die Menschen sagen: »Das gehört dir und das gehört mir.« Sogar im Gebirge!

 

Österreichs Urwald Rax Nasskamm

Im Bergwald vermodern horizontal die Baumriesen, werden zu braunroter feuchter Erde. Weil die Transportkosten den Wert des Holzes verschlängen. Aber aus ihrem rotbraunen Humus erstehen neue Bäume, die bereits vom »Genie des Verkehres« verwertet werden können. Aber die Erde wird dabei dürrer und dürrer.

 

Schneeberg Waxriegel

Vom »Baumgartnerhaus« pilgerten wir Kinder hunderte mal nachts den Zickzackweg hinan, dem Sonnenaufgang zu, unausgeschlafen, frierend. Kühe schliefen auf der dunklen Alm und das niedrige schwarze Zirbelgebüsch war wie ein verzauberter Zwergwald. Feuchter Sturm blies und rauschte und wir hofften nur inständig auf Licht und Wärme. Um 4 Uhr brach die Sonne durch das Wolkenmeer.

 

Schneeberg Elisabetkirchlein

Zirbelgebüsch, wie kriechst du am Boden, nachgebend dem Bergsturm!?

Elisabeth, du standest aufrecht. Da brach dich der Sturm!

 

Knofeleben Alm am Feuchter

Hier werden keine kleinen Kinder malträtiert, hier ersehnt niemand sich Reichtümer und Ehrenämter. Nur das getroffene Reh erhebt leise Anklage. Aus dem Rindenbrunnenrohre kommt Wasser mit fadem Geschmacke. Lebe du so, dass es dir dennoch besser mundete als Pommery!

 

Vorfrühling am Schneeberg

Schneeflecken und weiße Steine sprenkeln die graugrüne Alm. Und zwischen 11 und 2 trinkt der Boden den Schnee, welchen die Sonne ihm schmilzt!

 

Schneeberg Rast am Wege

Jeder schöne Punkt des Weges ist ein Ziel! Aber die anderen wollen ganz oben hinauf gelangen, rastlos.

Am Wege rasten können, mit unerschöpfter Lunge, mit unerschöpftem Herzen, wäre mehr!

 

Einer jungen schönen Dame, die mir erklärte,

die Natur mache sie »Melancholisch«

Je näher du den Frieden der Natur erschaust, erlauschest, die selber wunschlos, selbstlos ihre Schönheit spendet, o Frau, desto tiefer fühlst du deine eigene Selbstsucht, Härte und Friedlosigkeit, fliehest naturgemäß den Frieden der schönen Landschaft, der dich aburteilt!

 

Bobsleighrennen am Schneeberg

Winter; gebannt in romantischen Melancholien Tag und Nacht lauscht ein Beethoven deiner stummen Pracht, Winter! Aber die anderen müssen sich bewegen, sich von außen wärmen, nahe Ziele, Zwecke suchen körperlicher Betätigung!

Bodenwiese am Gahns

Ohne »krankhaften Fanatismus«, erinnernd an das Heimweh der Nachtigall im Käfig, enträtselt sich dir nie die Schönheit der Welt! Hysterische Melancholie ist die beste Veranlagung, einer Landschaft gerecht zu werden!

 

Waldbänke beim »Talhof«

Des Abends kommt frischer duftender Waldwind von allen Hügeln und von allen Bergen. Nichts geht vor und dennoch ist man gerührt und ergriffen. Der Tag ruht aus vom Sonnenbrande. Eintagsfliege »Mensch«, Waldwind wird wehen von Hügeln und Bergen, von den Bergen und von den Hügeln immerdar.

 

Baumgartnerhaus

Märchen des Lebens! Vom Mittagstische auf der Terrasse, Baumgartnerhaus am Schneeberg, sahen wir dich in Sonnennebeln, Rax! Wie ein weißer leuchtender Kreideberg erstandest du uns Kindern, während wir gierig in zehrender Bergluft aßen und tranken.

 

Die Blumen