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Nr. 2881

 

Angriff der Gyanli

 

Das Schicksal des Aggregats – und ein junger Mann in tödlicher Gefahr

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Im Fokus des Feindes

1. Zwei Tage vorher

2. Zurück im Jetzt

3. Wieder im Aggregat

4. Im Schlachtgetümmel

5. Im Wettlauf

Epilog: Im Auge des Betrachters

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Januar 1519 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) veränderte sich die Situation in der heimatlichen Milchstraße grundlegend: Die Herrschaft des Atopischen Tribunals, das aus der Zukunft agiert, wurde abgeschüttelt. Gleichzeitig endete der Kriegszug der Tiuphoren, die aus der Vergangenheit aufgetaucht waren.

Als eine Folge dieser Ereignisse werden die Milchstraße und die umliegenden Sterneninseln künftig frei sein, was den Einfluss von Superintelligenzen und anderen kosmischen Mächten angeht.

Der Mausbiber Gucky ist mit dem Raumschiff RAS TSCHUBAI auf der Spur der Tiuphoren, die der »Ruf zur Sammlung« in deren Heimat zurückbeordert hatte – und mit ihnen Perry Rhodan.

Die RAS TSCHUBAI erreicht die Galaxis Orpleyd, und Gucky sieht sich in der seltsamen Situation, die Tiuphoren nicht mehr länger als Täter, sondern als Opfer zu betrachten. Ein Grund dafür ist ein mörderischer ANGRIFF DER GYANLI ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber versucht, Leben zu retten.

Vogel Ziellos – Der Transterraner überschreitet Sicherheitsdistanzen.

Lua Virtanen – Die Geniferin spürt ein Band reißen.

Pika Vastire – Die Algustranerin zeigt, was sie kann.

Prolog

Im Fokus des Feindes

 

»Oh, verflixt!«, entfuhr es Gucky. »Scheint, als wäre die SAMY in dicken Schwierigkeiten.«

Mit einem Griff aktivierte Farye Sepheroa die umfangreiche Tarntechnologie, die ihnen an Bord der Space-Jet zur Verfügung stand. Gleichzeitig zog sie das Raumboot in eine scharfe Kehre und flog im Anschluss einen weiteren Haken. Falls wider Erwarten doch jemand ihr Auftauchen registriert hatte, würde zumindest niemand ihren Kurs nachvollziehen können.

»Scheint nicht, als hätte uns jemand bemerkt«, stellte sie schließlich mit einem schnellen Blick auf die Ortung fest. »Ich denke, wir sind sicher.«

»Das Beste an Tarntechnologie, was die Liga Freier Terraner zu bieten hat, ist für unseren Freund HARVEY gerade gut genug«, stellte Gucky fest und tätschelte die Konsole.

Farye betrachtete eingehend die Holodarstellung des Kampfschauplatzes vor ihnen.

»Vier fremde Raumschiffe. Drei sind vom gleichen Typ wie das Schiff, das die Hogarthi gejagt hat. Das vierte ist um einiges größer. Sie haben der SAMY anscheinend schon ziemlich zugesetzt und sind dabei, sie einzukesseln.«

»Aber sie wehrt sich tapfer!«, rief Gucky.

Immer wieder flackerte der Schutzschirm des 500 Meter großen Schlachtkreuzers, doch jedes Mal wand er sich mit schnellen, unerwarteten Manövern aus dem Feuerbereich und setzte sich weiter von den Gegnern ab. Dabei teilten die Geschütze der SAMY GOLDSTEIN ihrerseits kräftig aus und trieben die kleineren Gyanlischiffe immer wieder in die Deckung ihres großen Begleiters.

»Wahrscheinlich hat Jonas Pakuda es sich nicht verkneifen können, ein paar weiteren Flüchtlingen aus dem Schlamassel zu helfen«, sagte Gucky. »Die Hyperfunkboje hat uns ja schon verraten, dass er sich zurückziehen musste, weil die Gyanli ihn entdeckt hatten. Er hat seine SAMY allerdings offensichtlich nicht sonderlich gut versteckt, und jetzt sind die Gyanli hier und haben ihren großen Bruder mitgebracht, um es noch mal zu versuchen. Der ist im Übrigen genauso hässlich wie die Kleinen.«

Farye vergrößerte die Darstellung des vierten Schiffes. Tatsächlich entsprach es in allen wesentlichen Merkmalen dem bekannten Raumschiffstypus, nur eben größer. Der lang gezogene, mit einigen niedrigen Aufbauten versehene Zylinder war 2000 Meter lang anstatt nur 700 Meter, und er durchmaß 500 Meter. Ebenso wie die kleineren Ausführungen endete er vorne in einer Halbkugel, während das Heck in etwas auslief, das an Finnen erinnerte.

Hässlich waren die Schiffe entgegen der Feststellung des Ilts jedoch keineswegs. Das Hüllenmaterial war schwach transparent, wodurch das königliche Purpurrot des Materials gut zur Geltung kam. Schattenhaft konnte man unter der Hülle technische Apparaturen erahnen.

Etwas vor der Mitte des Schiffes ragten aus dem Rumpf zwei Türme heraus, die mit je 400 Metern Höhe im gleichen Maßstab vergrößert waren wie der Rumpf. Ihr Zweck erschloss sich der tefrodischen Pilotin nicht. Waffen- und Defensivsysteme enthielten sie jedenfalls keine, denn diese saßen in nahezu kreisförmigen Vertiefungen entlang des Rumpfes und jagten immer wieder ihre tödliche Fracht in den Paratronschirm der SAMY GOLDSTEIN.

Das Beiboot der RAS TSCHUBAI drehte ab und raste vor seinen Häschern her auf ein nahes Sonnensystem zu. Deutlich sah Gucky in der Ortung Spuren von Beschädigungen auf der Außenhülle des Kreuzers. Ob sie von einem früheren Kampf stammten oder aus dem aktuellen Gefecht, war allerdings nicht zu erkennen. Aber auch wenn die Technologie der Gyanli nach allem, was die Galaktiker bislang gesehen hatten, jener der Terraner in einigem nachstand, mochten die vielen Hunde hier des Hasen Tod werden.

»Die schießen mit ihren Kampfbeulen unsere SAMY am Ende wirklich schrottreif«, sagte Gucky und schlug auf die Armlehne seines Sessels. »Und wir können nichts tun ...«

Farye hörte Vogel Ziellos auf einem der hinteren Sitze leise murmeln. »Was machen wir, wenn sie die SAMY manövrierunfähig schießen oder sie zerstören?«

Die Pilotin wandte sich zu ihm um, bevor sie allerdings eine Antwort formuliert hatte, sagte Aichatou Zakara: »Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird.«

Die Targia saß neben dem Transterraner und wirkte deutlich gefasster als der junge Mann, der nervös an dem blauen Federflaum in seinem Gesicht zupfte. Sein grüner Schnabel zitterte noch immer.

Auf Vogels anderer Seite legte Lua Virtanen beruhigend eine Hand auf seine Schulter und beugte sich vor, als versuchte sie, etwas Bestimmtes in den Holos vor Farye zu erkennen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich brenzlig wird«, stimmte Gucky der Einschätzung der dunkelhäutigen Chronotheoretikerin zu. »Die SAMY hat bestimmt schon die RAS TSCHUBAI gerufen. Sie müssen die Kerle nur lang genug hinhalten ...«

»Achtung!«, rief Lua und deutete auf den Schirm.

Farye Sepheroa fuhr herum und sah gleichzeitig mit dem Aufgellen des Kollisionsalarms einen Schatten in der Ortung. Sie riss die Steuerung herum, doch sie ahnte, dass es zu spät war.

»Festhalten!«, schrie sie.

Im nächsten Moment blitze es neben der HARVEY auf. Das kleine Schiffchen wurde aus der Bahn geworfen, löste einen weiteren Blitz aus und taumelte so unkontrolliert durch den Raum, dass wohl nicht nur Gucky bereits vom Anblick des Umgebungsholos schlecht wurde.

»Das waren Minen«, stieß Farye empört hervor, während sie darum kämpfte, die Space-Jet wieder zu stabilisieren. Zahllose Warnsignale verlangten ihre Aufmerksamkeit. »Sie müssen sie für die SAMY ausgelegt haben.«

»Das hat unsere Position verraten, fürchte ich«, sagte Gucky nüchtern. »Und zu allem Überfluss scheint genug Energie durchgeschlagen zu sein, um unsere Dämpfungsfeldgeneratoren zu beschädigen. Sie können uns nun orten.«

»Sie können es nicht nur«, sagte Lua, »sie haben es offensichtlich bereits getan.«

Sie deutete auf das Holo. Einer der kleineren Angreifer löste sich von der SAMY und beschleunigte in ihre Richtung. Gegen den Kampfraumer hatte die kleine pilzförmige LAURIN-Jet von gerade 34 Metern Durchmesser und 30 Metern Höhe keine Chance. Sie war ein reines Erkundungsschiff.

Gucky drehte seinen Sessel zu den hinteren Sitzen. »Gebt mir eure Hände! Ich teleportiere uns nacheinander in die SAMY GOLDSTEIN. Da sind wir immer noch weniger auf dem Präsentierteller als hier.«

In diesem Moment schlugen die Taster heftig an. Farye zuckte unwillkürlich zusammen, und Vogel krächzte erschrocken. Weniger als hundert Kilometer entfernt, quasi über ihren Köpfen, trat eine riesige Masse aus dem Linearraum ...

1.

Zwei Tage vorher

 

Pika Vastire schob sich zwischen den Beinen der wartenden Menge hindurch. An die fünfzig Freischichtler und sogar ein paar Zivilisten warteten in der Messe 18 West auf das Ereignis des Tages. Auch die Algustranerin war deshalb gekommen und schuf sich mit Schubsern und harten Handkantenschlägen ohne Rücksicht auf Knie und Füße eine Gasse für sich und den hinter ihr her schwebenden Antigravrucksack.

Allistair Woltera sah die Dritte Pilotin kommen. Mit einem verschmitzten Lächeln fuhr er den Sitzplatz neben sich auf seine Wadenhöhe hinunter und bot ihn ihr mit einer Handbewegung an. Sie nickte zu dem terranischen Riesen hoch, kletterte auf den Stuhl, fuhr ihn hoch und schwang sich mit einem Klimmzug auf den Tisch. In der Mitte der Tischplatte angekommen desaktivierte sie den Antigrav des Rucksacks. Sie löste die Feldschnur um ihre Hochfrisur, schüttelte das rückenlange kastanienbraune Haar, pfiff einmal schrill zwischen zwei Fingern und brüllte: »Ruhe!«

Zufrieden registrierte sie, wie Woltera zusammenzuckte. Kaum jemand erwartete eine solche Stimmgewalt in ihrem schlanken Körper. Natürlich half sie auch mit einem gut verborgenen Stimmverstärker ein wenig nach, um gegen die terranischen Schreihälse anzukommen, aber trotzdem hatte sie bereits von Natur aus eine solide Grundlautstärke.

Stolz reckte sie ihre vollen 55 Zentimeter Körpergröße, griff mit beiden Händen in den Rucksack und stemmte die drei eng zusammengerollten Folien hoch, die sie darin transportiert hatte. Sofort wandte sich die Aufmerksamkeit der Menge ihr zu. Es wurde still. Nur da und dort scharrte jemand mit den Füßen oder räusperte sich.

»Drei Holonderiana«, rief Pika. »Drei einmalige und handverlesene Kunstwerke unseres hochtalentierten Zweiten Piloten Cascard Holonder stehen heute zur Versteigerung an. Und weil das Leben zurzeit so langweilig ist, lege ich am Ende vielleicht sogar noch einen Kuss von mir obendrauf! Was haltet ihr davon?«

Applaus und schrilles Pfeifen brandeten auf. Pika verstaute zwei der Folien wieder und hob die dritte erneut hoch, dieses Mal auseinandergezogen. Sofort sank der Geräuschpegel auf das Normalmaß einer gespannt wartenden Menge. Jemand hatte eine Kamera auf Pika gerichtet und projizierte die von ihr gehaltene Bildfolie auf alle Holoschirme der Messe. Es zeigte einen fröhlich grinsenden Mausbiber, der mithilfe beider Hände und des Schwanzes – sowie augenscheinlich einer Portion Telekinese – mit acht angebissenen Möhren jonglierte und eine neunte wie eine Zigarre im Mund hielt.

»Beginnen wir mit diesem Prachtwerk, einer exzellent getroffenen Darstellung von Gucky, dem Überall-Zugleich-Möhrentöter! Wer bietet ein passendes Tauschobjekt?«

»Hier! Ein originaler Pyzhurg!«, rief ein vierschrötiger Kerl und hielt einen grob behauenen kurzen Holzstock hoch.

Pika schnaubte. »Der ist so original wie Glazindas Haarfarbe! Schieb dir das Ding in die Mitternacht, Kerl! Etwas Originelleres!«

»Zwei ›Golden-Hesperid‹-Äpfel«, meldete sich über dem Gekicher eine blonde Pilotin.

»Wenn du mich in deine Kabine einladen willst, sag's doch direkt, meine Süße! Aber ich bezahle nicht oder gebe gar Kunstwerke dafür her!« Hier und da wurde gelacht, bis die Pilotin ihrem Nebenmann eine auf den Hinterkopf gab.

»Eine Führung durch Ogygia mit romantischer Bootsfahrt!«, gingen die Gebote indessen weiter.

»Dafür müsste ja ich von dir etwas verlangen, nicht anders herum!«

»Selbst gebackene Gucky-Kekse!«

Pika klatschte in die Hände. »Ha! Thematisch passend und äußerst verführerisch im Klang! Komm her, Goldjunge!«

Ein verlegen grinsender Kadett mit kurzen blonden Locken kam unter dem Johlen und Pfeifen der Menge nach vorne. Er stellte eine Schachtel auf den Tisch und öffnete sie. Reihe um Reihe goldgelber Kekse mit dem unverkennbaren Antlitz des Mausbibers darauf lachte Pika an – samt dem einsamen Nagezahn als Mandelspalt auf jedem einzelnen davon. Ein paar Marzipanmöhren rundeten das Bild ab.

»Hervorragend«, rief Pika begeistert. »Ein Meisterwerk für ein Meisterwerk! Und als Dreingabe werde ich dich bei Gelegenheit dem Universumsretter als Hofkonditor-Confiseur empfehlen!«

»Um Iltus Willen!« Der Kadett hob erschrocken die Hände.

Pika legte ihm das heiß begehrte Kunstwerk hinein. Zufrieden drückte er es an die Brust und verschwand in der lachenden Menge. Pika zog die nächste Folie aus der Tasche.

Als Dritte Pilotin der RAS TSCHUBAI hatte sie in der Regel direkt nach Cascard Holonder Dienst. Ursprünglich hatte sie sich über die Unordnung geärgert, die der Ertruser regelmäßig an der Station hinterließ. Schnell hatte sie jedoch herausgefunden, dass die Kritzeleien, die er selbst blind unter der SERT-Haube noch hinwarf, bei der Mannschaft hoch im Kurs standen.

Seither sammelte sie alles auf, traf eine kritische Qualitätsauswahl, verschenkte alles, was nicht bestand, und versteigerte den Rest. In eingeweihten Kreisen zählten die Auktionen bereits zu einer der Hauptattraktionen des Bordlebens. Die Pilotin hatte ebenfalls eine Menge Spaß daran.

»Nummer zwei – des Kommandanten Haarpracht in kubistischer Interpretation!« Pika hob eine Zeichnung hoch, auf der die Posbi Jawna Togoya hinter Kommandant Sergio Kakulkan stand und dessen Glatze als Spiegel nutzte. Das Bild hatte eindeutig mehr als eine Bedeutungsebene. Die ehemalige Kommandantin der RAS TSCHUBAI hatte nach ihrer Rückkehr das Kommando nicht zurückgefordert und stand Kakulkan offiziell nur als Beraterin und Stellvertreterin zur Seite. Der Meinung einiger alteingesessener Besatzungsmitglieder zufolge trugen trotzdem viele seiner Entscheidungen ihren Stempel.

Gelächter und Beifall klangen auf, und die ersten Angebote wurden gerufen.

Den Zuschlag bekam schließlich ein älterer Kertone, der Pika einen Satz wunderschöner hölzerner Spangen anbot, die perfekt mit ihrem Haar harmonierten. Die insektoiden Kertonen waren berühmt für das Geschick, mit dem sie Holz bearbeiteten. Mit seinen Mandibeln knabberte er im letzten Feinschliff die Überlänge von den Spangen ab und glättete die Oberfläche mit den rauen Oberseiten der Unterarme, ehe er die kleinen Kunstwerke Pika übergab. Die Algustranerin steckte sie unter allgemeinem Jubel in ihr Haar.

»Und nun kommen wir zum Höhepunkt, dieses Mal etwas ganz Besonderes! Na, was sagt ihr ... dazu?«

Die Zeichnung, die sie nach einer Kunstpause präsentierte, zeigte Holonders eigenes Gesicht, wie er erstaunt auf die Spitze seiner knollenartig karikierten Nase schielte. Weiter hinten im Raum zückten einige Zuschauer Feldoptiken, um erkennen zu können, was den gezeichneten Ertruser da so überraschte. Pika wusste es ganz genau: Es war sie selbst, die da fröhlich dem Meister auf der Nase herumtanzte.

»Zwei geniale Geister auf einem Blatt vereint«, pries sie das Meisterwerk an. »Daran kommt kein anderer klassischer oder zeitgenössischer Künstler heran! Also, gebt mir eure Gebote, und seid nicht schüchtern!«

 

*

 

Als Pika eine halbe Stunde später auf den Stuhl heruntersprang, kicherte Woltera noch immer.

»Ich wusste gar nicht, dass wir eine so begabte Komödiantengruppe unter den Rekruten haben«, stellte er fest.

»Und wenn es mich nicht gäbe, hättest du es auch nie erfahren. Ihre Vorführung war jedenfalls das Bild und alle drei Küsse wert. Ich frage mich nur, wie sie das Meisterwerk unter sich aufteilen wollen.« Die Algustranerin setzte sich zurecht und gab einen Getränkewunsch in die Automatik ein.

»Vielleicht stellen sie einen Schichtplan auf, nach dem jeder es eine Woche in seiner Kabine aufhängen darf«, vermutete Woltera. »Oder sie machen drei Holos davon und legen das Original in einen Safe.«

»Möglich, aber Verschwendung.« Pika bot Woltera einen Keks an.

Der Leiter der Funk- und Ortungsabteilung zögerte. »Irgendwie käme ich mir wie ein Kannibale vor, wenn ich das annähme.«

»Ach was, ich bin sicher, Gucky wird gerne mal vernascht – wenn schon nicht durch eine Iltdame, dann wenigstens auf diese Art. Er freut sich, wenn andere sich freuen, und was macht mehr Freude als die tägliche Dosis Süßgebäck?« Wie zur Bekräftigung ihrer Worte griff sie in die Schachtel und schob sich einen der fast handteller- und damit für sie übergroßen Kekse in den Mund.

»Na gut.« Zaghaft nahm Woltera ebenfalls einen und knabberte daran herum. Das Gebäck sah tatsächlich nicht nur gut aus, sondern schmeckte auch noch und machte Lust auf mehr. Der Ortungschef griff nach dem nächsten Keks. »Ich staune jedes Mal wieder, wenn ich eine deiner Auktionen besuche. Wie kannst du hier so anders sein als in der Zentrale? Oder hast du etwa eine Zwillingsschwester an Bord geschmuggelt?«

»Träum weiter, Kollege.« Pika zuckte die Achseln. »Ich finde daran nichts Ungewöhnliches. Dienst ist eben Dienst, und Gork ist Gork.«

»Gork?«

»Gork.«

Woltera sparte sich weiteres Nachfragen. »Ich glaube, ich habe heute zum ersten Mal miterlebt, dass du etwas für dich selbst genommen hast.«

»Du meinst wegen der Spangen?« Pika tastete nach ihnen. »Es war einfach zu verlockend ... und auf diese Art hat der Knabe gute Werbung für sein Geschäft bekommen.«

»Geschäft? Hatte er nicht eine Technikermontur an?«

»Einige Leute hier haben Hobbys, deren Erzeugnisse sie in einem kleinen Online-Laden verkaufen oder tauschen. Wenn du ihn noch nicht kennst, können wir gelegentlich mal auf der Virtuellpromenade hinschlendern.«

»Darauf komme ich zurück. – Hast du weitere Pläne für die Zeit der Freiwache?«

Pika streckte sich und zupfte die bunte Jacke zurecht, deren Farben genau auf das Grün ihrer Haut abgestimmt waren. »Nachdem ich meiner Kehle die angemessene Ölung gegönnt habe, stehen erst einmal eine ausgiebige Dusche und etwas Ruhe auf dem Programm. Später muss ich mich um ein paar Sachen kümmern, die mir während der Schicht aufgefallen sind. Vielleicht prüfe ich allerdings zuvor, welche Äpfel die Pilotin vorhin wirklich meinte. Wieso?«

»Ich wollte fragen, ob du Lust auf eine Runde Planetenboule hast.«

»Frag mich wieder, wenn die Schichten spannender werden. Solange ich in der Zentrale fast nur Däumchen drehe, sind mir in der Freizeit aktivere Beschäftigungen lieber. Ich hoffe allerdings, dass die SAMY GOLDSTEIN bald von ihrer Expedition zum Staubring zurückkommt und wir dann tiefer in diese Galaxis vordringen. Es wird Zeit, dass wir den Gyanli auf die Finger klopfen.«

»Ich weiß nicht ...« Woltera strich sich über das kurze krause Haar. »Solche Situationen finde ich knifflig zu beurteilen. Wir sind immerhin wegen der Tiuphoren hier, nicht wegen dieser Gyanli. Und wir wissen nichts über die Ursachen der Ereignisse, die wir beobachten. Dürfen wir da einfach für eine Seite Partei ergreifen?«

»Wir werden mehr wissen, sobald die SAMY zurück ist«, sagte Pika. Sie nahm einem Servoroboter das Getränk ab, das sie bestellt hatte. »Danke, Junge. – Wo war ich? Ach ja. So oder so – diese Leute, die wir gerettet haben, waren wehrlose Zivilisten. Egal, wie gut die Gründe für einen Konflikt sein mögen, nichts rechtfertigt ein solches Vorgehen. Sind wir uns da einig?«

»Natürlich.«

»Also müssen wir eingreifen, und sei es nur, um den Konfliktparteien Benimm beizubringen!«

Woltera seufzte. »Vermutlich hast du recht.«

»Natürlich habe ich recht. Das ist Teil meiner genetischen Last.« Pika warf ihr Haar zurück, lächelte allerliebst und prostete ihm zu.

Woltera hob ebenfalls sein Glas, trank und ließ den Blick anschließend zu den Holoschirmen schweifen. Sie zeigten inzwischen wieder den nur 50 Lichtjahre entfernten Streifen des markanten Staubgürtels, zu dem der Schwere Kreuzer der MARS-Klasse RT-M2 – Eigenname SAMY GOLDSTEIN – vor zwölf Tagen aufgebrochen war. Hinter dem Gürtel lag der spiralförmige Teil der irregulären Galaxis. Ein ausgedehnter Sternenhalo umgab NGC-6861, die sich als Zwitter zwischen einer elliptischen und einer Spiralgalaxis präsentierte.

Pika räusperte sich. »Sag mal, Wolle, ich habe gehört, es sei ein Funkspruch von der SAMY reingekommen, und sie dümpele wie wir im Schutz des Paros-Schattenschirms unmittelbar am Rand des Staubgürtels dahin. Angeblich sind nur Gucky, Farye Sepheroa, Aichatou Zakara und die Kinder mit den Geretteten in den Staubgürtel eingeflogen, in derselben LAURIN-Jet, mit der Gucky die Leute aufgefischt hatte. Stimmt das?«

»Stimmt an sich«, bestätigte der Leiter der Abteilung Funk und Ortung. »Allerdings kann man Lua Virtanen und Vogel Ziellos eigentlich nicht mehr Kinder nennen. Sonst hätte Gucky sie kaum mitgenommen.«

Pika schnaubte. »Bei uns zu Hause gilt jemand mit 19 oder 20 Jahren als gerade aus der Schale geschlüpft! Wie viel Lebenserfahrung kann man in so kurzer Zeit sammeln?«

»Kommt auf die Umstände an. Vergiss nicht, dass sie mit Atlan unterwegs waren. An seiner Seite ist das Leben selten ruhig. Angeblich haben sie unterwegs sogar einen Zellaktivator gefunden oder geschenkt bekommen. Außerdem kannst du Terraner nicht mit Algustranern vergleichen; eure Lebenserwartung ist ja fast doppelt so hoch wie unsere, wenn ich das richtig weiß.«

Pika nickte. »Voraussichtlich kann ich euch noch zwei bis drei Jahrhunderte auf die Nerven gehen, wenn ihr so lange durchhaltet. Ich bin ja mit meinen 70 Jahren selbst noch ein junger Hüpfer. Wir leben zwar nicht mehr so lange wie unsere siganesischen Vorfahren, aber dafür müssen wir zumindest nicht mehr fürchten, von irgendwelchen grobschlächtigen Riesen versehentlich zerquetscht zu werden.«

»Das hat der Abenteuerlust der alten Siganesen aber selbst zu den Zeiten extremster Schrumpfung keinen Abbruch getan«, sagte Woltera.