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Nr. 2889

 

Im Kerker des Maschinisten

 

In den Gewölben der Ewigkeit – Gucky hat unerwartete Begegnungen

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Abgang Gucky

1. RAS TSCHUBAI

2. Gewölbe

3. RAS TSCHUBAI

4. Gewölbe

5. RAS TSCHUBAI

6. Gewölbe

7. RAS TSCHUBAI

8. Gewölbe

9. RAS TSCHUBAI

10. Gewölbe

11. RAS TSCHUBAI

12. Auftritt Gucky

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort liegt die Ursprungswelt der Tiuphoren, eines Volkes, das unendliches Leid über viele Welten gebracht hat, ehe der ominöse »Ruf der Sammlung« sie dorthin zurückbeorderte.

In Orpleyd muss Perry Rhodan erkennen, dass die Galaxis seltsamen, nicht vorhersehbaren Zeitabläufen unterliegt – manchmal vergeht die Zeit innerhalb der Sterneninsel langsamer als im restlichen Universum. Zudem herrschen dort die Gyanli nicht nur über die Tiuphoren – sie arbeiten auch auf ein nebelhaftes Ziel hin.

Allmählich kristallisiert sich für Rhodan die Vermutung heraus, dass aus Orpleyd eine Materiesenke entstehen soll – eine Entwicklungsstufe, von der gemeinhin angenommen wird, sie liege zwischen jener der Superintelligenzen und der der Chaotarchen. Ein Name taucht dabei auf: KOSH, das Lot.

Gemeinsam mit der Mannschaft der RAS TSCHUBAI will Perry Rhodan tun, was er kann, um diese Bedrohung zu eliminieren. Einer seiner wichtigsten Helfer befindet sich allerdings derzeit IM KERKER DES MASCHINISTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber fühlt sich einem Grafen verwandt.

Perry Rhodan – Die Sorgen des Unsterblichen nehmen zu.

Tellavely – Ein Lügner baut eine Zuflucht.

Dominik Sonntag – Der Verantwortliche für Information, Beschaffung und Transport macht sich unverzichtbar.

Abgang Gucky

16. September 1522 NGZ

 

Die Haare in Guckys Fell stellten sich auf.

Der Schwarze Sternensturm! Direkt hinter mir ... die anderen werden mitten hineinlaufen!

Er aktivierte den Funk. Aber ehe er ein Wort sagen konnte, bebte die Welt um ihn. Er stolperte rückwärts, fing sich an einer Wand ab.

»Carage!«, schrie er in den offenen Kanal. »Carage, melde dich!«

Keine Antwort.

»Oh, verflucht.«

Toja und Vetulon sind in Gefahr. Aber womöglich brauchen Carage und seine Leute Hilfe. Ich muss zumindest nachsehen.

Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, teleportierte er bereits.

Der Mausbiber materialisierte inmitten von Chaos. Nur die schnelle telekinetische Aktivierung des Flugaggregats seines SERUNS bewahrte ihn vor dem Sturz. Unter und über ihm war über drei Wohnebenen hinweg und auf einem Durchmesser von etwa zwanzig Metern das Grundskelett des Schiffes freigelegt. Kunststoff tropfte auf glühende Metallstreben und erzeugte kleine Flämmchen.

Wo die Gänge wieder begannen, sah der Ilt ein rußgeschwärztes Trümmerfeld, in das Roboterteile und leblose Körper hineingestreut lagen; Soldaten ebenso wie Bewohner, die sich in ihren Quartieren verschanzt hatten. Einige waren unter Schiffsteilen verschüttet, andere wie Puppen an die Wände geschleudert worden und dort liegen geblieben. Gucky esperte.

Alles Denken innerhalb des Kraters war erloschen. Er spürte die Gedanken von Col Tschubai, der gut geschützt am Ende eines der Gänge kauerte und versuchte, den Schrecken zu verdauen. Er war unverletzt. Ansonsten war nichts Lebendes mehr in der Nähe. An diesem Ort gab es keine Möglichkeit mehr zu helfen.

Gucky blinzelte die aufsteigende Tränenflüssigkeit weg und teleportierte weiter.

Er materialisierte vor Toja Zanabazars Quartier. Dort war es völlig still – zu still vielleicht. Gucky überlegte. Weder Toja noch Vetulon waren über Interkom erreichbar gewesen, obwohl sie sich definitiv für eine Erholungspause in ihre Quartiere zurückgezogen hatten. Carages Gruppe hatte nach ihnen sehen sollen.

Die Explosion, der Gucky gerade entgangen war, mochte nur zufällig genau auf ihrem Weg zu den Quartieren der beiden Betreuer der Schiffssemitronik ANANSI passiert sein. Vielleicht war es aber eine gezielte Falle für jeden gewesen, der versuchte, den beiden zu Hilfe zu kommen. Falls ja, mussten die Gyanli glauben, ihr Ziel erreicht zu haben.

Kurz entschlossen teleportierte Gucky durch die Tür. Als er materialisierte, flammte in Tojas Wohnraum Licht auf. Er starrte in die Mündung einer Kombiwaffe.

»Versuch nichts Falsches, Pelzwesen«, sagte der Gyanli vor ihm, bevor Gucky sich mit einem weiteren Sprung wieder in Sicherheit bringen konnte. »Sonst wird dem Weibchen, das hier gelebt hat, etwas zustoßen.«

Ein schnelles Espern sagte Gucky, dass zwei weitere Gyanli hinter ihm standen und ein weiterer in einem Nebenraum lauerte. Außerdem hatten sie einen Schirm um das Quartier gelegt, der ihm eine Flucht per Teleportation unmöglich machte. Offenbar war sein Kommen erwartet worden, oder zumindest die Ankunft irgendeines Teleporters.

Die Situation war kompliziert, aber nicht hoffnungslos. Er brauchte nur etwas Zeit.

»Ihr werdet Toja nichts tun«, behauptete er. »Ihr wollt sie als Druckmittel gegen ANANSI.«

»Wir haben einen weiteren Betreuer ANANSIS, und notfalls fangen wir auch den dritten. Das Weibchen ist also entbehrlich. Außerdem müssen wir sie nicht unbedingt töten, das Verharren in den Nanosekunden davor hat ebenfalls seinen Reiz.«

Gucky ballte die Hände zu Fäusten. Er hätte problemlos die Waffe seines Gegenübers telekinetisch zur Seite stoßen oder hinter ihn teleportieren können, um ihn anzugreifen. Daran konnte der Schirm ihn nicht hindern. Aber er las in den Gedanken des Soldaten, dass er nicht log. Sollte ihm oder den anderen in Tojas Appartement etwas zustoßen, hatten seine Kameraden Anweisung, das an Toja auszulassen – und wer immer das angeordnet hatte, musste wissen, dass Gucky diese Information aus den Gedanken des Soldaten entnehmen würde.

»Also gut«, sagte er. »Ich werde ...«

»Du wirst jetzt erst einmal deinen Schutzanzug ablegen, ehe du doch noch auf dumme Gedanken kommst.«

Gucky bleckte seinen Nagezahn. Aber es gab nicht viel, das er tun konnte. Nicht, ohne Toja zu gefährden. Es waren zu viele, um sie alle auszuschalten, bevor sie Nachricht geben konnten.

»Also gut«, sagte er, ließ den Helm sich einfalten und öffnete den Anzug. »Wenn ihr so auf Fell ...«

Weiter kam er nicht. Etwas knackte, und ein Stechen durchzog seine nur noch von der Bordkombination geschützte Brust. Im nächsten Moment versank seine Welt im Schmerz. Er spürte, wie er aufgefangen und weggeschleift wurde, dann war sein Geist nur noch damit beschäftigt, sich zu winden.

 

*

 

Verschwommen nahm Gucky das Gesicht eines Gyanli wahr, der sich über ihn beugte.

»Es tut mir leid«, sagte der Mann, und er klang, als würde er es ernst meinen. »Meine Leute waren etwas übereifrig mit den Traktatoren. Eine doppelte Ladung muss schwer zu ertragen sein. Nimm es als Kompliment – sie wollten dir nicht zu viel Zeit geben, dir etwas einfallen zu lassen, und dabei ganz sichergehen, dass du ausgeschaltet bist.«

»Kom ... Kompliment«, stieß Gucky mühsam hervor. »Kann ... ver... verzicht...en.«

Er krümmte sich auf dem Gangboden zusammen und versuchte verzweifelt, die Kontrolle über seine zuckenden Glieder zurückzubekommen. Immerhin hatten die Zuckungen dazu geführt, dass die Soldaten ihm den SERUN gelassen hatten. Im Moment brachte ihm das allerdings keinen Vorteil.

»Das verstehe ich«, sagte der Gyanli, der sich über ihn gebeugt hatte.

Hinter ihm stand eine totenbleiche Toja Zanabazar, fest gepackt von zwei Soldaten, die Mündungen ihrer Waffen an den Körper der Frau pressten. Obwohl die Mimik eines Gyanli sicher gänzlich anders war als die der anderen Völker, die der Ilt kannte, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie ihn hämisch angrinsten.

»Bist du ... der Boss ... von diesen unf...freundlichen Typen?«

»Ich bin Onodaurd. Meine Leute und ich sind auf dem Weg, euer Schiff zu erobern. Diese Frau und der Mann, der bereits auf uns wartet, werden der Schlüssel sein.«

Unwillkürlich versuchte Gucky, die Gedanken seines Gegenübers zu lesen. Aber er stieß ins Leere. Nicht etwa auf eine Mauer, wie es für Mentalstabilisierte typisch war. Es war, als würde Onodaurd gar nicht denken. Dafür funktionierten seine Pläne allerdings eindeutig zu gut.

Ein schnelles Espern der anderen Soldaten zeigte ihm, dass es nicht an seinen Fähigkeiten lag. Er konnte problemlos die Gedanken der anderen lesen, auch wenn er nichts darin fand, das ihm weiterhalf. Wieder versuchte er es bei Onodaurd. Nichts.

»Wer ... was ... bist du?«

Der Gyanli griff Gucky unter die Arme und richtete ihn auf.

»Das wirst du wahrscheinlich nie erfahren«, sagte er und ließ sich vor dem Ilt auf ein Knie nieder. »Oder vielleicht doch ... vielleicht erfährst du es dort, wo du jetzt hingehst.«

Onodaurd ließ Guckys Arme los. Mühsam kämpfte der Mausbiber um sein Gleichgewicht. Nach wie vor schmerzten ihn alle Glieder, und er bezweifelte, dass er genug Konzentration für eine Teleportation zusammenbekommen würde – ganz davon abgesehen, dass immer noch das Versprechen im Raum stand, jeden solchen Fluchtversuch an Toja zu rächen.

Sein Gegenüber legte Gucky die Hände an die Seiten seines Kopfes und zog ihn wie tröstend zu sich. Mit einem Seufzen sank der Mausbiber nach vorne und lehnte die Stirn gegen Onodaurds Schulter.

Flatternde Schatten zogen über die Welt, löschten sie mit ihren Flügelschlägen aus und ließen Schwärze zurück.

1.

RAS TSCHUBAI

20. September 1522 NGZ

 

Perry Rhodan fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

Ich wünschte, ich hätte etwas Zeit zum Ausruhen.

Aber noch war es nicht so weit. Es herrschte lediglich die atemlose Ruhe nach einem Sturm, der vier Tage lang Verwüstung über das Schiff und seine Mannschaft gebracht hatte. Die Ruhe des Momentes, in dem man den Bestand aufnahm und versuchte, nicht die Hoffnung zu verlieren, sondern die Ärmel hochzukrempeln und weiterzumachen.

Die wahre Arbeit lag erst vor ihnen.

Rhodan schloss die holografische Liste der Toten und sah das junge Mädchen an, das vor ihm innerhalb ihrer Holokugel inmitten eines feinen Gespinstes schwebte. Sie wirkte, als wäre sie gerade erst sechs oder sieben, aber ihr Blick war zu ernst für das junge Gesicht. Zu wissend.

»Sind wir in Sicherheit, ANANSI?«, fragte er.

»Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass irgendwelche Feinde an Bord zurückgeblieben sind«, antwortete der Avatar der Schiffssemitronik. Fäden umspielten die schlanken Glieder, jeder ein neuer Strom an Informationen von den Wänden der Kugel, in der ihre Projektion schwebte, zu ihrer Gestalt. »Unsere Linearetappen nach dem Ablegen des letzten Feindschiffes waren zudem weit und unregelmäßig genug, um eine Verfolgung oder zufällige Entdeckung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.«

»Verletzte?«

»Einige Hundert, aber die allermeisten außer Lebensgefahr. Willst du die Liste ebenfalls sehen?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Nein, genug Listen vorerst. Nur eines: Zu welcher Gruppe von Verletzten gehört Jawna Togoya – ist sie tatsächlich außer Lebensgefahr?«

»Die Posbi schwebt nicht mehr in existenzieller Gefahr. Es mag sein, dass ihre vollständige Wiederherstellung mehrere Monate dauern wird, aber sie wird es schaffen.«

»Gut.« ANANSI hatte die einzigen passenden Begriffe gewählt. Ein positronisch-biologischer Körper konnte weder gänzlich geheilt noch gänzlich repariert werden. Das Zusammenspiel von beidem war entscheidend. Bei den schweren Verletzungen und Schäden, die Jawna in ihren zwei Kämpfen gegen Pushaitis davongetragen hatte, war es durchaus nicht selbstverständlich gewesen, dass das gelingen würde.

Unwillkürlich blitzte die Erinnerung in Rhodan auf. Schon aus ihrer ersten Konfrontation mit Onodaurd/Pushaitis war Jawna als kaum mehr als ein Metallklumpen hervorgegangen. Sämtliche organische Bestandteile waren zerstört worden und auch ihre Sensorik stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Posbis hatten die Grundfunktionen wiederhergestellt und ihr ein Stützgerüst gebaut, damit sie sich bewegen konnte. Eine wahre Ritterrüstung mit zweieinhalb Metern Höhe.

Ein riesenhaftes Metallungetüm mit matt glühenden Augen und einer unmodulierten Stimme, schwerfällig erst in seinen Schritten, dann immer gewandter. Was für eine Ironie, dass gerade die immer so auf ihr Aussehen bedachte Jawna plötzlich in so einem Körper steckte. Aber Jawna hat es schon immer verstanden, aus jedem Körper in kurzer Zeit das Beste zu machen – und bei diesem hatte die Primitivität und Wuchtigkeit zweifellos ihre Vorteile.

Die Fallen, die sie eingerichtet hatten, um Onodaurd bei seinem Rückzug aufzuhalten, waren sämtlich wirkungslos geblieben. Der Schwarm aus kleinsten und größeren Maschinenteilen hatte alles unaufhaltsam durchdrungen und sich schließlich auf Rhodan und die Posbi gestürzt. Metallfragmente hatten sie umwimmelt, umschwärmt, die Schutzschirme überlastet ... Rhodans hätte unweigerlich sein Leben verloren, hätte ihn Jawna nicht in Richtung des wartenden Krans befördert.

Er schloss die Augen und hatte die Szene wieder bildlich vor sich.

»Geh zurück!«, hatte sie dröhnend gerufen und sich mit wie Windmühlen rotierenden Armen dem Schwarm entgegengestellt. Die Geschwindigkeit und Wucht der Arme hatten die Metallkomponenten auseinanderspritzen lassen. Dann der Kran, der goldene Schlag. Die Materialisierung in der Zentrale. Er war sofort zu den Holobildschirmen gestürzt, die Jawnas Kampf zeigten, hatte verfolgt, wie immer wieder Schwarmkomponenten Teile von ihr beschädigten oder abrissen, und sie im Gegenzug Teile des Schwarms gegen die Gangwand schleuderte oder zwischen ihren Pranken zermalmte.

Es war ein Patt gewesen, das erkannte Pushaitis zweifellos schnell. Aber die Pashukan hatte im Laufe des Kampfes bereits ihr Ziel erreicht: An Jawna vorbeizukommen, um ihren Rückzug fortzusetzen. Zurückgeblieben war eine erneut bis zur Funktionsuntüchtigkeit beschädigte, verletzte Jawna Togoya, die einen Haufen aus Pushaitis herausgeschlagener Schwarmteile wie einen Schatz behütete.

Sie hatten Onodaurd gehen lassen müssen. Er drohte, mit einer weiteren Katopore – einem Schwarzen Sternensturm – die RAS TSCHUBAI zu zerstören und zudem die Gefangenen hinzurichten. Beides waren Dinge, die Rhodan nicht hatte verantworten können. Sie hatten sich in dieser Schlacht geschlagen geben müssen, den Kampf aber nicht verloren. Solange die RAS TSCHUBAI intakt blieb, bestand die Hoffnung, die Verlorenen zu retten.

Rhodan atmete durch. »Wie sieht es mit den Vermissten aus?«

»Nach der Identifizierung aller Toten und nach Abzug der letzten Besatzung der RALPH SIKERON, von deren Tod ebenfalls ausgegangen werden muss, fehlen für 30 Personen nach wie vor jegliche Angaben zum Aufenthaltsort. Das entspricht der Zahl, die Onodaurd als die Anzahl seiner Gefangenen angegeben hat. Unter den Vermissten sind Gucky und Farye Sepheroa.« Einen Moment herrschte Stille, ehe ANANSI unerwartet hinzusetzte: »Und ich vermisse Toja und Vetulon.«

Unwillkürlich sah Perry Rhodan zu der Stelle, an der sie die beiden Toten gefunden hatten. ANANSIS Betreuer waren mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem Leben geschieden, als hätten sie zuletzt einen Blick auf etwas Wunderschönes werfen können.

Es musste ebenso geschehen sein wie später bei Kommandant Kakulkan. Die restliche Zentralebesatzung hatte es beschrieben: Onodaurd hatte einfach seinen Kopf zwischen die Hände genommen und an seine Schulter gezogen. Dann ließ er den Kommandanten los, und der sackte leblos zu Boden.

»Sie und Kakulkan haben im Gegensatz zu vielen der anderen Gefallenen nicht gelitten«, sagte er in einem schwachen Versuch, die Semitronik zu trösten. »Und Toja hat vermutlich das Schiff gerettet, als sie dich ins positronische Koma geschickt hat.«

»Ja. Trotzdem wünschte ich, jemand hätte im Gegenzug auch ihr helfen können. Ich bin froh, dass wenigstens Shalva weder hier noch in seiner Kabine war und dadurch den Gyanli entkommen ist.«

Rhodan sah zu dem Kamashiten. Als letzter überlebender Betreuer ANANSIS war er allein dafür verantwortlich, der Semitronik nach ihrem Koma und den Zerstörungen an Bord wieder zu voller Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu verhelfen. Von einem der Terminals aus prüfte er zurzeit die Peripherie der Semitronik auf noch unentdeckte Beschädigungen.

Seine goldbraune Haut wirkte blass, das Tuch auf seinem kahlen Kopf war verrutscht, und dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Shalva Galaktion Shengelaia lächelte bei ANANSIS Worten schief, unterbrach seine Arbeit jedoch nicht.

»Wir müssen weitermachen«, stellte Rhodan fest. »Und Weitermachen heißt vor allem, Informationen zu gewinnen. Wir müssen herausfinden, wohin unsere Vermissten verschleppt wurden, und wir müssen uns darum kümmern, wie wir die Entstehung einer Materiesenke in Orpleyd verhindern können.«

»Falls das überhaupt möglich ist«, klang eine Frauenstimme hinter ihm auf.

Perry Rhodan drehte sich um und lächelte Sichu Dorksteiger an, die durch den halbdunklen Raum auf ihn zukam. Die bernsteinfarbenen Augen der Ator reflektierten ANANSIS Schimmern. Ihr langes silbernes Haar erinnerte an die feinen Fäden innerhalb der Kugel. Für einen Moment irrte Rhodans Blick über die fraktalartigen Goldmuster auf ihrer hellgrünen Haut, ehe er antwortete: »Ich will so lange davon ausgehen, dass dieser Prozess verhindert werden kann, bis mir das Gegenteil bewiesen wurde«, sagte er. »Aber die Vermissten haben für mich trotzdem erst einmal Vorrang.«

»Auch dabei gibt es noch offene Punkte«, stellte die Wissenschaftlerin fest. »Von Farye und einigen weiteren Besatzungsmitgliedern wissen wir, dass sie zu dem Gitterschiff verschleppt wurden, mit dem Pushaitis abgezogen ist. Du hast es selbst mitverfolgen müssen, ohne helfen zu können.«

Rhodan ballte bei der Erinnerung unwillkürlich eine Hand zur Faust. Viel Zeit war verstrichen, seit er für den Schutz des Solsystems sein Leben aufgegeben hatte. Eine der Personen, die er in dieser Zeit am meisten vermisst hatte, war seine Enkelin gewesen. Obwohl sie sich erst kennengelernt hatten, als sie bereits eine erwachsene Frau war, hatte sich eine enge Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Und nun war sie gerade in dem Moment, als er zurückgekehrt war, quasi vor seinen Augen entführt worden. Sie wusste noch nicht einmal, dass er wieder lebte.

»Die Situation in Bezug auf Gucky ist dagegen nach wie vor unklar«, fuhr Sichu mit der Aufzählung der Tatsachen fort, als hätte sie seine Reaktion nicht bemerkt. »Er wollte mit Carages Einheit für die Sicherheit von ANANSIS Betreuern sorgen. Die Einheit wurde durch die explosive Verdampfung einer Katopore vollständig ausgelöscht, und es gibt niemanden, der Gucky seither gesehen hat.«

Sichus äußere Sachlichkeit täuschte Rhodan nicht. Er hatte die Ator in den fast dreißig Jahren ihrer Bekanntschaft gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass sie sich ebensolche Sorgen um Farye und Gucky machte wie er selbst. Aber die Erfahrungen ihrer frühen Jahre hatten sie dahingehend konditioniert, Bindungen zu scheuen. Selbst eine effektive Teamarbeit war ihr lange schwergefallen, gar nicht zu reden von gefühlsmäßigen Bindungen – und noch schwerer fiel es ihr, solche Gefühle zu zeigen.

In den sechs Jahrzehnten ihres Lebens unter Terranern hatte sich diese Prägung zwar immer weiter gelockert, aber trotzdem wirkte sie auf Fremde weiterhin kühl. Ihm aber war inzwischen meist klar, was wirklich im Inneren der Chefwissenschaftlerin vorging.

»Wir wissen nicht, wohin genau das Gitterschiff geflogen ist«, stellte Rhodan fest. »Und vorerst hoffe ich einfach, dass er ebenfalls an Bord gebracht wurde. Vielleicht ist er sogar aus eigenem Antrieb dem Gitterschiff gefolgt, um die Entführten zu befreien. Zuzutrauen wäre es ihm. So oder so hat Gucky schon oft bewiesen, dass er sehr gut auf sich aufpassen kann. Ich schätze, um ihn müssen wir uns weniger Sorgen machen als um die anderen.«

Er las Skepsis in Sichus Blick, aber sie widersprach ihm nicht. Er war froh darum.

Was blieb ihnen schon anderes, als zu hoffen?

2.

Gewölbe

Irgendwo, irgendwann

 

Die Schwärze wurde zu Braun.

Es war ein schlammiges, verschwurbeltes, rauschendes Sandbraun.

Nein, Moment. Einfach nur ... verschwommen.

Er rieb sich die Augen. Blinzelte.

Schon besser.

Die Sache bekam Struktur. Die Struktur von ... Stein. Und noch mehr Stein. Stein auf Stein auf Stein, jeder an den Verbindungsstellen sauber geformt, und alle sorgfältig aufeinandergesetzt.

Er lag auf der Seite und starrte eine Mauer an. Der Boden unter ihm war ebenfalls Stein, auch wenn er durch den SERUN nichts von dessen Härte und Kälte spürte.

Seine Gedanken schienen durch zähen Schlamm zu waten. Mit einem Seufzen schloss er noch einmal die Augen, sammelte sich und überlegte. Langsam zog sich das Rauschen in seinem Kopf zurück und machte einem Mindestmaß an Ordnung Platz.

Die RAS TSCHUBAI. Die Gyanli. Sie haben uns überfallen. Der Schwarze Sternensturm ... ich wollte ... verdammt, was wollte ich?

Gucky setzte sich auf, schüttelte den Kopf und starrte wieder auf die rauen Steine. Die in den Raum ragenden Oberflächen waren unregelmäßig, als wäre dort, wo funktionell keine Glätte notwendig war, die Arbeit gespart worden. Mit dem Blick folgte er den Bergen und Tälern, über die Spalten hinweg, in deren Tiefe Flüsse dahinrauschen mochten ...

Er schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. Die Gedanken in seinem Schädel waren derzeit nicht so ohne Weiteres unter Kontrolle zu bekommen. Er musste sich darauf konzentrieren, wirklich wichtige Dinge über seine Umgebung herauszubekommen, anstatt sich in irgendwelchen Phantasien zu ergehen.

Er öffnete die Augen wieder. Der Stein war keine Landschaft mehr. Langsam streckte er die Hand aus, berührte die Mauer.

Nichts. Die Tastsensoren sind tot.

Unwillig zerrte Gucky an den Magnetverschlüssen des Handschuhs, zog ihn aus und ließ ihn fallen. Wieder streckte er die Hand aus, damit die pelzigen Finger über die raue Oberfläche gleiten konnten.