Anni Lechner

Es war nicht so, wie du denkst
Das Kind der Schwester
Sieg der Liebe

Anni Lechner: Band 8, Es war nicht so wie du denkst ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-215-3

Es war nicht so, wie du denkst

„Die akute Entzündung ist ja Gott sei Dank vorbei, Frau Krauß. Aber trotzdem macht mir die Lunge vom Stefan noch Sorgen. Wenn wir ned scharf aufpassen, kann seine Bronchitis leicht chronisch werden", erklärte die Kinderärztin eindringlich.

Wie um ihre Worte zu bestätigen, hustete Stefan mehrmals heftig und sah schmerzgequält zu seiner Mutter auf.

"Es tut noch immer weh da drin", jammerte er und zeigte dabei auf seine Brust.

"Das glaub ich dir gern, Stefan", meinte die Ärztin und reichte ihm ein Kräuterbonbon. "Das hilft ein bisserl gegen den Hustenreiz. Aber auf Dauer müssen wir uns schon was anderes einfallen lassen", setzte sie dann an Anita gewandt hinzu.

"Mir macht Stefans Husten ja auch Sorgen, Frau Doktor", antwortete diese. "Ich hab schon alles versucht. Es gibt kein Mittel aus der Apotheke mehr, das ich ned gekauft hab. Können Sie dem Stefan ned was verschreiben, damit wenigstens seine Hustenkrämpfe aufhören?"

"Das ist ein Problem, Frau Krauß. Ich verschreib einem Kind ungern so starke Medikamente. Die meisten davon haben nämlich Nebenwirkungen, mit denen schon ein Erwachsener schwer zu kämpfen hat. Bei einem Kind wie Stefan können sie jedoch verheerende Schäden anrichten. Und das wollen wir doch lieber ned riskieren."

"Gibt's wirklich nichts, was man tun kann? Der Bub kann in der Nacht vor Hustenanfällen oft ned schlafen", fragte Anita leise nach.

"Stefan hat leider empfindliche Bronchien", sagte die Ärztin mit einer bedauernden Handbewegung. "Er müsste heraus aus der Stadt an die frische Luft, damit sich seine Lunge erholen kann. Sie glauben gar nicht, wie gut ihm zum Beispiel drei Wochen an der See täten. Genauso gut wäre aber auch ein Luftkurort in den Bergen. Sie sollten es aber bald tun. Ich kann Ihnen nämlich keine Garantie geben, dass der Bub hier in München gesund wird!"

"Das sagt sich so leicht, Frau Doktor. Aber mein Arbeitgeber wird mir was anderes erzählen, wenn ich drei Wochen Urlaub von ihm haben will. Ich hab in diesem Winter schon vierzehn Arbeitstage wegen Stefan in der Firma gefehlt. Wissen Sie ned eine andere Möglichkeit? Es muss doch ein Kindererholungsheim geben, in das ich Stefan schicken kann. Ich trenne mich ja ned gern von meinem Kind, aber wenn es sein muss, bin ich dazu bereit."

Die Kinderärztin schüttelte bedauernd den Kopf. "Es tut mir leid, aber für eine direkte Lungenklinik ist der Stefan nicht krank genug und für einen Kuraufenthalt ist er leider noch zu klein. Sie müssen das schon auf eigene Faust machen. Ich hab ein paar Angebote von Kurorten aus den Bergen da. Wenn Sie möchten, gebe ich sie Ihnen gerne mit."

"Danke, das wäre mir schon recht", erwiderte Anita und zog ihren von einem erneuten Hustenanfall gequälten Sohn an sich. Die beiden gaben ein schönes Bild ab, fand die Ärztin. Anita war noch keine fünfundzwanzig Jahre und sah so jung aus, dass sie eher wie eine Schwester des Buben wirkte. Sie war eher schlank als üppig, ohne jedoch knabenhaft zu sein. Ihr halblanges, brünettes Haar war modisch frisiert und zeigte über der linken Schläfe eine helle Strähne, die zu natürlich aussah, um eingefärbt zu sein. Sie besaß ein schön modelliertes Gesicht mit großen, blauen Augen, die sie ihrem Sohn wohl als Einziges von ihrem Aussehen vererbt hatte. Stefans Gesicht war zwar noch kindlich, aber sein hellblondes Haar und den etwas eigensinnigen Zug um die Lippen musste er wohl von seinem Vater haben.

Die Ärztin stand auf und kramte in einer Schublade, bis sie mehrere bunte Prospekte in Händen hielt. Einen davon legte sie wieder zurück, da es sich um einen recht teuren Kurort handelte, und reichte Anita die beiden anderen hin.

"Hier, Frau Krauß. Vielleicht ist was dabei, das Sie brauchen können. Besinnen Sie sich aber nicht zu lange. Sonst hat sich Stefan die nächste Erkältung eingehandelt, und wenn wir nicht aufpassen, vielleicht sogar eine Lungenentzündung."

"Danke, Frau Doktor. Ich werd alles tun, damit der Bub wieder gesund wird. Was ich noch fragen wollte: Glauben Sie, ob ich den Stefan wieder in den Kindergarten schicken kann?"

"Um Gottes willen, nein. Er fängt sich unter Garantie sämtliche Bazillen ein, die dort herumschwirren", wehrte die Ärztin entsetzt ab.

Anita senkte den Kopf und sah nachdenklich zu Boden. "Ich muss morgen unbedingt wieder in die Firma. Mein Chef ist mir am Montag schon durch das Telefon ins Gesicht gesprungen, als ich ihm gesagt hab, dass ich noch ned kommen kann."

"Sie sind da nicht die einzige Mutter, die damit ihre Probleme hat, Frau Krauß. Ich könnte Ihnen da Sachen erzählen", meinte die Ärztin mitfühlend und reichte Anita die Hand. "Auf Wiedersehen. Passen Sie ja auf Ihren Buben auf."

"Das tu ich, Frau Doktor", erwiderte Anita mit einem liebevollen Blick auf Stefan. Sie nahm ihn dann ungeachtet seiner Proteste auf den Arm und trug ihn zur Praxis hinaus. Als sie auf die feuchtkalte Straße hinaustrat, fühlte sie sich für einige Augenblicke so mutlos wie selten zuvor in ihrem Leben. Doch dann spürte sie durch ihre Jacke den kleinen, eng an sie geschmiegten Kinderkörper und erhielt dadurch die Kraft, sich notfalls mit der ganzen Welt anzulegen.

*

In der Wohnung war es nach dem Schmuddelwetter draußen warm und gemütlich. Anita bewohnte mit Stefan ein fünfunddreißig Quadratmeter großes Appartement in einem Stadtteil, in dem die Mieten auch für alleinerziehende Mütter wie sie noch erschwinglich waren. Der große Wohnblock lag dafür aber auch direkt an einer Hauptdurchgangsstraße. Anita wäre gerne in einen ruhigen Vorort umgezogen. Doch dafür verdiente sie einfach nicht genug. So versuchte sie eben hier, es ihrem Sohn so angenehm wie möglich zu machen. Als Erstes kochte sie einen Hustentee und füllte anschließend die Duftlampe mit frischem Wasser und erfrischenden Essenzen.

"Hast du Hunger?", fragte sie Stefan sanft, als sie ihm die Teetasse reichte. Er schüttelte abwehrend den Kopf und sah dann mit einem sehnsüchtigen Blick auf das Regalfach, in dem Anita die Süßigkeiten aufbewahrte.

"Vielleicht mag ich ein bisserl Schokolad", schlug er clever vor. Doch jetzt war es seine Mutter, die den Kopf schüttelte.

"Wenn du nichts isst, kannst du auch nichts naschen", erklärte sie ihm. "Das ist ned gesund!"

"Dann ess ich halt eine Kleinigkeit", antwortete der Bub schmollend.

"Ich mach dir ein Butterbrot mit Honig. Das schmeckt dir sicher", rief Anita und huschte in die Kochecke. Sie kehrte mit einem großen, dick mit Butter und Honig bestrichenen Brot zurück und schnitt es für Stefan in kleine Stücke, die er mit den Fingern nehmen und essen konnte. Sie nahm gerne in Kauf, dass er dabei klebrige Finger bekam. Er war jedoch brav und streckte ihr gehorsam die Hände hin, als sie mit einem feuchten Küchentuch kam. Sie wischte ihm auch das Kinn ab, auf das sich ein Tropfen Honig verirrt hatte, und reichte ihm zuletzt einen Riegel Schokolade.

"Weil du so artig gewesen bist, gibt es später noch ein Stückerl. Aber jetzt muss ich dich für einen Augenblick allein lassen. Ich komm aber gleich wieder zurück", erklärte sie ihm und streichelte ihm über den Kopf.

"Bleib aber ned lang aus. Ich krieg schon wieder einen Husten", sagte Stefan quengelnd. Anita füllte ihm noch einmal die Tasse und verließ dann die Wohnung. Drei Stockwerke höher klingelte sie an einer Tür. Sie sah, wie jemand durch den Türspion spähte und dann öffnete. Eine ältere, untersetzte Türkin, die selbst in der Wohnung ihr Kopftuch trug, sah heraus und lud sie in gebrochenem Deutsch in die Wohnung ein.

"Dank schön, Frau Akgün. Ich wollt bloß fragen, ob ich Ihnen morgen den Stefan bringen könnt. Er hat jetzt seine Erkältung hinter sich, soll aber von der Ärztin aus noch ned in den Kindergarten gehen", erklärte Anita der anderen.

"Es ist nix gut, wenn Kind krank in Kindergarten schicken. Habe ich letztes Jahr mit meinen Eyüp gemacht. Ist dann drei Wochen in Bett gewesen. Können morgen Stefan gerne bringen. Ich werde gut aufpassen!", erwiderte die Türkin freundlich.

"Danke, Frau Akgün. Sie nehmen mir einen großen Stein vom Herzen. Ich muss nämlich morgen unbedingt wieder arbeiten, sonst wird mein Chef fuchsteufelswild."

"Chef ist immer böse, wenn nicht kommen", meinte die Türkin mit schief gezogenem Mund, der anzeigte, dass sie aus eigener Erfahrung sprach.

Anita stimmte ihr unbesehen zu. Sie erkundigte sich noch kurz nach dem Wohlergehen der Familienmitglieder ihrer Nachbarin und verabschiedete sich zuletzt mit sichtlicher Erleichterung von Frau Akgün.

Auf dem Weg in ihre eigene Wohnung kam ihr eine ältere Frau entgegen und sah sie herausfordernd an. "Sie waren wohl wieder bei der Türkin oben, damit's wieder einmal auf ihren Bambsn aufpassen soll? Haben S' da ned Angst, dass der Bub in der Schul einmal besser türkisch als deutsch reden kann?", fragte sie mit gehässigem Unterton.

"Wissen S' was, Frau Steirer? Bellen S' daheim Ihr Spiegelbild an. Da kriegen S' die Antwort, die Sie verdienen", erwiderte Anita kühl und ging weiter, um nicht noch ein paar böse Worte zu sagen.

Dabei hatte ihre Beziehung zu Amalie Steirer vor ein paar Jahren beinahe freundschaftlich begonnen. Die alte Frau war oft auf ein Schwätzchen in ihr Appartement gekommen und hatte von ihrer Familie erzählt. Ihren Worten zufolge war sie mit einem halben Dutzend Enkeln gesegnet und die beste und liebevollste Oma der Welt.

Durch diese Worte ermuntert hatte Anita die alte Dame schließlich einmal gebeten, für ein paar Stunden auf den damals einjährigen Stefan achtzugeben. Es war damals wirklich dringend gewesen.

"Ich hab mir doch gleich gedacht, dass Sie sich bloß deshalb an mich herangemacht haben, um einen Dummen zu finden, der auf Ihren Bankert aufpasst", war Frau Steirers Antwort gewesen - und der Knall einer zuschlagenden Wohnungstür. Während Anita damals noch völlig perplex im Flur stand, kam Frau Akgün, die zufällig Zeugin der Szene geworden war, auf sie zu und machte ihr im unbeholfenen Deutsch das Angebot, sich um den Kleinen zu kümmern.

Gezwungenermaßen war Anita darauf eingegangen, und hatte es bis heute nicht bereut. Als Amalie Steirer gesehen hatte, dass Anita jemand für ihren Sohn gefunden hatte, kam sie auch wieder auf sie zu und wollte das vorige Verhältnis fortsetzen. Die jedoch tief enttäuschte Anita hatte ihr die kalte Schulter gezeigt. Seitdem verfolgte Frau Steirer sie mit ihrem Hass und redete ihr im ganzen Haus schlecht nach.

Anita war froh, als sie ihre Wohnungstür hinter sich schließen konnte und Stefan zwar etwas schmollend, aber sonst guter Dinge, vorfand. Er bekam als Belohnung einen weiteren Schokoriegel und wurde danach von seiner Mutter ins Bad verfrachtet und für die Nacht vorbereitet.

Als er schließlich in dem kleinen Bett an der Stirnseite des Zimmers eingeschlafen war, drehte Anita ihre Leselampe so, dass er von ihrem Lichtschein nicht gestört wurde, und nahm sich ein Buch aus dem Regal. Es handelte sich um einen Roman, den sie früher einmal ganz gerne gemocht, aber schon seit Jahren nicht mehr gelesen hatte. Heute wollte sie es wieder einmal tun. Doch als sie das Buch aufschlug, fielen ihr zwei Blätter entgegen. Eines davon war ihr seit Jahren vermisstes Zwischenzeugnis aus der Uni, das sie bei ihrer Arbeitsuche dringend gebraucht hätte. Das andere war das Foto eines jungen, gut aussehenden Mannes in Jeans und T-Shirt.

Anita erstarrte, als sie es in die Hand nahm. Sie hatte seit Stefans Geburt nur noch selten an Georg gedacht. Nun schienen die Jahre, die seitdem vergangen waren, zu Tagen zu schmelzen und sie sah ihren Ex-Freund förmlich vor sich. Sie hatte ihn an der Uni kennengelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Bei ihm schien es genauso gewesen zu sein, und so hatte ein Jahr voller Glück für sie beide begonnen. Heute schüttelte sie den Kopf über ihre damalige Naivität. Wie hatte sie glauben können, dass der zwar immer fröhliche, aber allen Schwierigkeiten des Lebens aus dem Weg gehende Georg der Mann ihres Lebens sein konnte.

So fest war ihr Vertrauen in ihn gewesen, dass sie zu keinen anderen Verhütungsmitteln gegriffen hatte, als sie die Pille nicht mehr vertrug. Sie war sogar direkt glücklich gewesen, als ihre Frauenärztin erklärt hatte, dass sie schwanger wäre. Voller Freude war sie zu Georg gekommen, um ihm die Neuigkeit zu berichten. Doch sie würde bis an das Ende ihrer Tage nicht sein entsetztes Gesicht vergessen, und auch nicht die Worte, die er zu ihr gesagt hatte.

"Was, du kriegst ein Kind? Aber das kannst du doch sicher noch wegmachen lassen!" Diese Worte hatten sich wie Säure in ihre Gedanken gebrannt und ihr Glück mit einem Schlag zerstört. Georgs wütenden Kommentar, dass sie nicht zu glauben bräuchte, dass er für das Kind zahlen würde, hatte sie nur mehr mit einem Achselzucken quittiert. Von dem Augenblick an war Stefan, von dem sie noch nicht gewusst hatte, ob es nicht auch eine Stefanie werden würde, ihr Kind gewesen, an dem Georg keinen Anteil mehr hatte. Nur sie allein wusste, was sie alles für das Kind aufgegeben hatte. Von ihrem Studium angefangen bis zu dem unbeschwerten Leben ihrer Jugend. Aber sie hatte es geschafft. Bis auf seine Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten war Stefan kerngesund. Wenn auch ihre beruflichen Träume geplatzt waren, verdiente sie doch genug, um sich dieses bequeme Appartement leisten zu können. Außerdem hatte sie jetzt ihr Zeugnis wieder und konnte der unausweichlichen Auseinandersetzung mit ihrem Chef beruhigter als sonst entgegensehen.

Anita legte das Zeugnis in die Mappe zu ihren wichtigen Papieren und sah dann auf Georgs Foto herab. Im ersten Impuls wollte sie es zerreißen und in den Papierkorb werfen, wie sie es nach ihrem Streit mit Georgs anderen Sachen getan hatte. Doch dann dachte sie daran, dass dieses Foto wohl das Einzige war, was Stefan von seinem Vater bleiben würde. Daher verstaute sie in tief in der untersten Schublade ihrer Kommode und beschloss, es dort zu vergessen, bis Stefan größer geworden war. Danach widmete sie sich wichtigeren Dingen und nahm die Prospekte zur Hand, die ihr die Ärztin mitgegeben hatte.

*

"So wird das nix, Hansi", meinte Georg Sinnhuber kopfschüttelnd und nahm dem Lehrling das Werkzeug aus der Hand. "Schau her, so musst du es machen. Du musst den Hobel in einem Zug über das Brett ziehen, sonst kriegst du keine glatte Fläche zusammen, sondern ein Waschbrett."

"Aber so mach ich's doch", verteidigte sich Hansi und versuchte es jetzt selbst noch einmal. Georg lächelte, als der Hobel diesmal glatt über das Brett lief und einen feinen, langen Span abhob.

"So ist's richtig, Hansi. Wenn du so weitermachst, wirst du gewiss noch einmal ein guter Möbelschreiner werden!", lobte er den Lehrling.

"Meinst du wirklich?", fragte der Bursche atemlos.

"Denk dir immer eines, Hansi. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wer was anderes behauptet, der lügt!"

"Dann tät aber der Franzl andauernd lügen", sagte Hias treuherzig. "Weil wenn du dem zuhörst, hat er schon im Mutterleib alles können!"

"Er ist vielleicht ein bisserl zu ungeduldig mit dir. Aber er ist ein guter Möbelschreiner, das musst du zugeben. Schau nur zu, dass du was von ihm lernst", riet ihm Georg lachend.

"Lieber lass ich mir die Sachen von dir erklären. Du hast nämlich eine Geduld, die der Franzl ned hat. Außerdem bist du was Besonderes. Der Franzl hat nämlich gesagt, dass du ein studierter Möbelschreiner bist. Und der Franzl ist doch bloß ein Gesell", sagte Hansi so treuherzig, dass Georg erneut lachen musste.

"Ich hab zwar einmal studiert, aber gewiss ned die Möbelschreinerei", erwiderte er und schaute auf die Uhr. "Du machst seit fünf Minuten Überstunden, Hansi. So viel Eifer ist auch wieder ned nötig!"

"Aber wo ich doch so viel lernen will", erwiderte der Bursche und wollte weiterhobeln.

"Der Schorsch hat recht, Hansi", mischte sich Georgs Onkel Michael Grassl, der Besitzer der Möbelschreinerei, ein. "Du musst jetzt heimgehen, sonst denkt deine Mutter womöglich noch, dass wir dich wie einen Sklaven schuften lassen."

"Das glaubt sie gewiss ned. Sie ist ja so froh, weil ihr mich genommen habt, wo doch auch der Sulzeder Toni bei euch anfangen hat wollen", erklärte Hansi energisch. "Sie tät mir höchstens die Löffel langziehen, wenn ihr ned mit mir zufrieden seid."

Michael Grassl zupfte spielerisch an Hansis Ohr. "Wenn wir mit dir zufrieden sein sollen, musst du auch tun, was wir dir sagen. Und jetzt sagen wir, dass du Feierabend hast. Dein Brett läuft dir schon ned weg. Daran kannst du auch morgen weiterhobeln", meinte er und gab Hansi einen aufmunternden Klaps.

"Ein lieber Bursch, aber ein bisserl anstrengend", bemerkte Georg, als der Lehrling schließlich verschwunden war.

"Er ist arbeitswillig und bereit, zu lernen. Außerdem hat er keine Höhenflüge, wie der Sulzeder Toni. Hat der mich doch glatt beim Vorstellungsgespräch gefragt, wie lang es dauert, bis er Meister ist, und was er dann verdienen könnt", erwiderte sein Onkel mit einer gewissen Verachtung.

"Der Sulzeder wird es dir in diesem Leben nimmer verzeihen, dass du seinen Superbuben ned genommen hast. Dabei wollt er doch extra eine neue Wohnzimmereinrichtung von uns schreinern lassen", gab Georg lachend zurück.

"Ja, aber nur deswegen, um bei seinen Bekannten angeben zu können, dass sein Filius alles gemacht hätt. Aber jetzt was anderes. Du weißt schon, dass gleich mein Schwager und seine Leut auf Besuch kommen? Wenn's nach meiner Maria ging, wär heut noch eine Verlobung fällig!"

"Warum denn auch ned?", antwortete Georg völlig ruhig. "Die Burgl ist ein sauberes Dirndl und dann auch noch die Nichte deiner Frau. Wenn's bloß ein bisserl von der Tante hat, wird's mir gewiss eine gute Ehefrau sein."

"Wenn ich dich so anhör", brummte Grassl kopfschüttelnd. "Also, wie ich und meine Maria vor dreißig Jahren ans Heiraten gedacht haben, bin ich ned wie ein Hackstock dagestanden und hab gemeint, dass sie nach ihrer Tante kommen soll. Saxndi noch einmal! Zu einer Heirat gehört auch die Lieb!"

"Ist die Lieb zu früh und zu aufschäumend, geht sie in der Ehe meistens schnell verloren. Aber aus gegenseitiger Sympathie und gemeinsamen Interessen kann ein Gefühl entstehen, das einmal viel stärker ist", wies Georg seinen Onkel zurecht.

"Du musst es wissen. Schließlich willst du die Burgl heiraten und ned ich. Mir wär das Madl ein bisserl zu kühl!", meinte dieser achselzuckend.

"Die Burgl und ich sind eben keine so munteren Menschen, wie du und die Tante es seid", antwortete Georg darauf.

"Also, wenn ich daran denk, wie du früher einmal warst, so hast du dich fei arg verändert!", meinte Grassl brummig.

"Ich bin mit den Jahren halt ein bisserl ruhiger und gescheiter geworden", antwortete Georg mit einem Grinsen, das seinen gesetzten Worten völlig entgegenstand.

Während der kurzen Unterhaltung hatten die beiden die Werkstätten kontrolliert und die Türen hinter sich abgeschlossen. Als sie auf das hübsche Wohnhaus der Grassls zugingen, fuhr gerade ein Auto auf den Hof. Fünf Personen stiegen aus und eilten Grassl und seinem Neffen entgegen.

"Da samma", grüßte Grassls Schwager Martin Huber selbstbewusst und gab zuerst dem Älteren und dann Georg die Hand. Seine Frau Regine beließ es nicht beim einfachen Händedruck, sondern drückte Georg an ihren ausladenden Busen.

"Ach, Schorsch, du weißt ja gar ned, wie aufgeregt ich bin, seit mir die Burgl die freudige Nachricht mitgeteilt hat!", rief sie sichtlich bewegt.

"Grüß dich, Schwager!" Der siebzehnjährige Florian gab Georg einen aufmunternden Klaps und schob ihn an dem Nesthäkchen Lisa vorbei in Burgls Arme.

"Servus, Georg. Ich hoff, du bist mir ned bös, weil ich den Mund ned halten hab können", sagte die junge Frau und schloss Georg in die Arme.

"Aber woher denn. Es war ja doch eigentlich schon alles ausgemacht zwischen uns zweien", beruhigte Georg sie und zog sie an sich.

Ihr warmer Körper und ihr dezentes Parfüm blieben nicht ohne Wirkung auf ihn, und er dachte, dass es für ihn wirklich an der Zeit war, zu heiraten. Ein Mann war nun einmal nicht dazu gebaut, um wie ein Mönch zu leben. Er hob Burgl auf und schwenkte sie im Kreis, so dass sie erschreckt aufkreischte. Dann stellte er sie lachend wieder auf die Beine und gab ihr einen herzhaften Kuss.

"Das sind die angenehmen Seiten einer Verlobung", meinte er grinsend zu seinem Onkel.

"Da wüsst ich schon noch mehr", erwiderte dieser anzüglich.

"Aber, Onkel", protestierte Burgl und wurde rot. Georgs Feixen wurde hingegen noch größer.

"Das kommt schon noch, Onkel. Überlass das nur ruhig mir und der Burgl!"

"Jung sollt man halt noch einmal sein, ned wahr, Regine?", meinte Martin Huber mit einem zufriedenen Lachen.

"Seien wir zufrieden mit unserer eigenen Jugend. Sie war eh schöner als die unserer Eltern und Großeltern, und freuen wir uns über das Glück unserer Kinder", erwiderte seine Frau mit einem seelenvollen Seufzen.

"Recht hast du, Regine!" Grassls Frau Maria war aus dem Haus gekommen und begrüßte ihre Verwandten. "Die zwei sind aber auch ein blitzsauberes Paar", setzte sie mit einem zufriedenen Blick auf ihre Nichte und den Neffen ihres Mannes hinzu.

"Das kannst du laut sagen", stimmte ihr Mann zu und betrachtete Georg nicht weniger stolz als seine Frau ihre Nichte Burgl. Sein Neffe war knapp über eins achtzig groß und ein schlanker, sportlicher Typ mit einer angenehmen Erscheinung. Sein helles, etwas widerspenstiges Haar und sein kurz gehaltener Schnurrbart gaben ihm das Aussehen eines verwegenen Wilderes, das von seinen blitzenden grauen Augen noch verstärkt wurde. Burgl wirkte gegen ihn trotz ihrer rabenschwarzen Haare ein wenig farblos. Sie war nur wenig kleiner als Georg und sehr schlank, besaß aber eine durchaus weibliche Figur. Sie war zwar keine direkte Schönheit, sah aber gewiss nicht schlechter aus als die meisten anderen Mädchen im Dorf.

Obwohl sie die Lieblingsnichte seiner Frau war, gefiel Michael Grassl der Plan einer Hochzeit zwischen ihr und Georg nicht besonders. Er hätte seinen Neffen lieber glückstrahlend und toll vor Freude gesehen, und nicht so beherrscht wie jetzt. Doch wenn Georg damit zufrieden war, wollte auch er es sein.

"Wollen wir ned reingehen und ein Flascherl Wein köpfen? Ein bisserl feiern gehört nun einmal zu einer Verlobung", fragte Grassl die anderen, um auf andere Gedanken zu kommen.

"Ich hab schon ein paar Flaschen von einem guten Wein aus dem Keller geholt und eine kleine Brotzeit hergerichtet", erklärte seine Frau und ging voraus.

"Ich könnt schon eine Kleinigkeit vertragen", meinte Huber und strich sich mit der rechten Hand über seinen stattlichen Bauch.

Bei einer Kleinigkeit blieb es dann aber doch nicht. Maria Grassl trug nämlich auf, als müsste sie neben ihren Verwandten, ihrem Mann und dessen Neffen auch noch eine Kompanie ausgehungerter Soldaten verköstigen. Während die Frauen nur wenig Wein tranken und schon bald auf Kaffee umstiegen, ließen sich Grassl und sein Schwager den süffigen Müller-Thurgau schmecken. Sie versuchten, auch Georg zum Mithalten zu bewegen. Dieser hielt sich jedoch zurück und beantwortete brav die Fragen, mit denen ihn seine künftige Schwiegermutter überschüttete. Allerdings musste ihm mehrmals Maria Grassl zu Hilfe eilen, da er sich selbst noch nicht die geringsten Gedanken über den Termin und die Art der Hochzeit gemacht hatte.

"So sind nun einmal die Männer. Sie lassen einfach alles auf sich zukommen", spöttelte Regine. "Für eine Frau ist die eigene Hochzeit hingegen ein Fest, das sie so schön wie möglich haben will!"

"Das will ich auch", erwiderte Georg freundlich, aber genervt. "Aber mir ist's wirklich wurscht, ob wir jetzt am Michaelitag oder zu St. Martin heiraten."

"Es muss auf alle Fälle ein Tag sein, der dir im Gedächtnis bleibt", riet ihm Burgls Vater. "Sonst vergisst du womöglich euren Hochzeitstag, und das vergisst dir wiederum deine Frau ned."

"Aber, Martin, du tust ja so, als wenn ich dir das schon einmal vorgeworfen hätt!", rief Regine empört.

"Gesagt hast du nix! Aber deine Blicke, die waren für mehr als tausend Worte gut."

"Am besten heiratet ihr an Burgls Geburtstag. Dann hast du alles in einem Aufwasch!", mischte sich Maria Grassl ein.

"Oder einen total schief hängenden Haussegen, wenn du beides vergisst", feixte ihr Mann.

"Also, eigentlich sind wir jetzt doch erst einmal bei unserer Verlobung. Über den Hochzeitstermin können wir uns wirklich auch ein anderes Mal unterhalten", beendete Georg die Debatte.

Über Burgls Gesicht huschte ein Schatten, als sie es hörte. Sie hatte sich aber rasch wieder in der Gewalt und lächelte ihm zu. "Zu lang sollten wir damit aber ned warten", mahnte sie leise.

"Gewiss ned. Schließlich hat das Verheiratetsein so seine Vorzüge", erwiderte Georg lächelnd.

"Man braucht nimmer Kammerfensterln gehen", warf Huber anzüglich ein.

"Martin, ich glaub, du hast schon ein bisserl zu viel getrunken", tadelte ihn seine Frau.

"Es ist doch wahr, Regine. Das Bett gehört nun einmal zum Eh'stand", verteidigte sich ihr Mann und prostete Grassl zu. "Das Glasl noch, Michl. Dann müssen wir wieder heim."

"Aber du fährst mir heut nimmer, Martin. Auf dem Heimweg soll sich die Burgl ans Steuer setzen", sagte seine Frau resolut.

"Sollst recht haben, und ich meine Ruh", brummte Huber und warf seiner älteren Tochter den Autoschlüssel zu. "Also dann bis zum nächsten Mal. Pfia Gott miteinander!" Er reichte seinem Schwager und seiner Schwester die Hand und gab Georg einen aufmunternden Rippenstoß. "Wir anderen gehen derweil schon raus, damit die Burgl und du euch verabschieden könnt!"

"Du tust ja glatt so, als wenn die zwei der Romeo und die Julia persönlich wären", meinte Grassl mit leichtem Spott.

"Aber, Michl, Liebesleut waren zu allen Zeiten gleich. Da gehört ein Busserl halt einmal dazu", erwiderte Huber gut gelaunt und verließ von den anderen gefolgt das Zimmer. Georg und Burgl blieben allein zurück und sahen einander ein wenig hilflos an. Georg ergriff schließlich die Initiative, küsste sie und ließ seine Hände sanft über ihre schlanken Formen wandern.

Burgl ließ seine Liebkosungen relativ passiv über sich ergehen und beendete schließlich das Zusammensein, indem sie sich zwar sacht, aber nachdrücklich, aus Georgs Armen löste und ihren Verwandten folgte.

*

"Einen schönen guten Morgen, Anita. Es freut mich, dass du heut doch kommen hast können. Es ist nämlich ein Haufen Arbeit liegen geblieben."

Der Abteilungsleiter Rudolf Gussauer begrüßte Anita bei deren Erscheinen so fröhlich, dass die junge Frau instinktiv auf Abwehr schaltete. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er sie angeschnauzt und ausgescholten hätte. Dann hätte sie wenigstens gewusst, woran sie war. Doch jetzt konnte er in fünf Minuten explodieren, oder noch schlimmer, aufdringlich anhänglich werden.

"Grüß Gott, Herr Gussauer. Dem Stefan geht's zum Glück wieder besser, so dass ich nimmer daheimbleiben muss", erklärte sie und nahm ihren Platz am Schreibtisch ein. Sie hoffte, dass Gussauer jetzt gehen und sie in Ruhe lassen würde. Er trat jedoch hinter sie und sah ihr über die Schulter bei der Arbeit zu.

Schließlich stand er so eng neben ihr, dass es ihr unangenehm wurde und sie etwas von ihm wegrückte. Doch da legte er ihr die Hand auf den Rücken und ließ sie nach unten wandern, bis seine Fingerspitzen ihren Busenansatz berührten.

"So kann ich ned arbeiten, Herr Gussauer", erklärte sie und sah ärgerlich zu ihm auf. Er verzog sein breitflächiges Gesicht zu einem überlegenen Grinsen und fasste mit beiden Händen nach ihren Brüsten.

"Du bist eine begehrenswerte Frau, Anita. Das habe ich dir schon ein paar Mal gesagt. Und ich schau ja auch ned so schlecht aus, das musst du doch zugeben", flüsterte er ihr ins Ohr.

"Wollen S' Ihnen vielleicht scheiden lassen?", fragte Anita bissig.

"Wieso?", fragte er verblüfft und lachte dann auf. "Aber, Anita, man braucht doch keine Brauerei zu kaufen, wenn man ein Bier trinken will. Es geht die Rosl doch gar nichts an, was wir zwei tun."

"Da ist Ihre Frau wahrscheinlich anderer Ansicht!"

"Was sie ned weiß, macht sie ned heiß", erklärte er im Tone eines Verschwörers. "Und wir zwei haben gewiss ned die Absicht, ihr unser Verhältnis unter die Nase zu reiben!"

"Erstens haben wir beide kein Verhältnis miteinander, und zum andern mag ich's ned, wenn ich bei der Arbeit gestört werd. Ich müsst sonst vielleicht ein paar Worte mit der Franka reden", drohte Anita mit der Betriebsrätin.

"Das tät ich an deiner Stell lieber ned", meinte Gussauer grinsend. "Die Geschäftsleitung hat nämlich beschlossen, dass ich in meiner Abteilung drei Leute abbauen muss. Wer die im Einzelnen sein werden, ist meine Sache. Du solltest daher ein bisserl netter zu mir sein, sonst ..." Gussauer ließ seine Drohung unausgesprochen. Sein Blick sprach jedoch Bände.

"Jetzt wollen S' wohl alle weiblichen Angestellten durchbumsen und danach die behalten, die am fügsamsten sind?", fragte Anita bissig und entwand sich mit einer geschickten Drehung ihres Bürostuhles seinem Griff.

"Tu doch ned so g`schamig! Deinen Buben hast du ja auch ned durch den Heiligen Geist bekommen", blaffte Gussauer sie an.

"Aber aus freien Stücken, Herr Gussauer! Darauf leg ich auch in Zukunft Wert. Und mit Ihnen mag ich ned", erklärte Anita leise, aber bestimmt.

"Ich hab dir ja bloß den Vorschlag gemacht", meinte Gussauer auflachend. "Wenn du lieber arbeitslos sein willst, ist das deine Sache!"

"Ich bin wirklich lieber arbeitslos, als Ihr Betthaserl!", fauchte Anita zurück.

"Das sagst du jetzt. Aber wenn ich dich nächste Woche frag, denkst du ganz anders drüber", tat Gussauer ihren Einwand ab.

"Das wird schwierig sein", erwiderte Anita mit sehr freundlicher Stimme. "Ich nehme nämlich ab Montag drei Wochen Urlaub. Ich muss mit meinem Buben in einen Luftkurort, damit er sich von seiner Bronchitis erholen kann."

"Aber, das ist doch ...", fuhr Gussauer auf.

"Leider ned zu umgehen", unterbrach ihn Anita mit heimlicher Zufriedenheit. "Ich hab ein Attest von der Kinderärztin, die dringend dazu rät. Wenn S' mir den Urlaub ned geben wollen, muss ich wirklich mit der Franka reden."

"Bleib mir mit dem Schlachtross vom Leib. Die hat ja mehr Haar auf den Zähnen als auf dem Kopf!"

"Mögen S' vielleicht die Franka ned?", fragte ihn Anita lauernd.

Gussauer schüttelte sich in der Erinnerung an so manchen Strauß, den er bereits mit der Betriebsrätin ausgefochten hatte. Seiner Meinung nach hätte die schon längst auf den Mond geschossen gehört. Leider arbeitete sie jedoch nicht in seiner Abteilung, sondern im Verkauf und war dabei so tüchtig, dass ihr Vorgesetzter große Stücke auf sie hielt.

"Sie ist halt ned mein Typ", erwiderte er arrogant und fasste Anita unters Kinn. "An deiner Stell tät ich ned so viel auf sie geben. In der heutigen Zeit steht man nämlich schneller auf der Straße, als man denkt. Da kann dir auch kein Betriebsrat helfen. Aber ich will ja ned so sein. Ich geb dir deinen Urlaub, damit du mit deinem Buben zur Kur kannst. Aber wenn du zurückkommst, möcht ich deine Antwort hören. Hast du mich verstanden? Es soll ja auch ned umsonst sein. Wenn im nächsten Jahr die Springerin aufhört, könntest du ihre Nachfolgerin als Gruppenleiterin werden!"

"Eine Karriere per Prostitution", meinte Anita bitter auflachend. „Na ja, was kann man von einem Mann wie Ihnen anderes erwarten! Aber jetzt lassen S' mich bittschön allein, sonst liegt der Aktenhaufen auch am Montag noch da!"

Gussauer trat plötzlich einen Schritt beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust. "So ist's richtig, Anita! Du weißt ja, nur wer vollen Einsatz zeigt, kann bei uns auch vorwärtskommen."

Anita sah etwas überrascht auf und erkannte, dass seine Worte weniger ihr als ihrer Kollegin Susanne galten, die eben durch die Tür ins Büro kam. Susanne war eine pferdegesichtige Mittvierzigerin, die sich keine Sorgen mehr machen musste, von Gussauer belästigt zu werden. Da sie sehr tüchtig war, würde sie gewiss auch nicht durch das Sieb fallen. Bei sich selbst war sich Anita nicht so sicher. Gussauer war sehr von sich eingenommen und würde ihr allein schon aus Bosheit kündigen, wenn sie nicht auf sein Angebot einging.

Sie wandte sich achselzuckend ihrer Arbeit zu und trug an diesem Vormittag einiges von dem Berg auf ihrem Schreibtisch ab. Es kam ihr zugute, dass Susanne derzeit schlecht auf sie zu sprechen war und kaum mit ihr redete. Susanne machte sich nämlich selbst Hoffnungen auf den Gruppenleiterposten und sah sie als ihre härteste Konkurrentin dafür an. Sie hatte sogar schon unter der Belegschaft verbreitet, dass sich Anita Gussauer an den Hals werfen würde, um voranzukommen.

Anita ärgerte sich über dieses Gerede, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Die Pläne der Geschäftsleitung hinsichtlich einer Verringerung der Belegschaft öffneten nun einmal dem Mobbing Tür und Tor und gaben einem Schwein wie Gussauer eine Macht über die zumeist weiblichen Angestellten, mit der er sich fast alles herausnehmen konnte.

"Aber bei mir hat er sich gebrannt", erklärte Anita bei der Mittagspause ihrer Freundin, der Betriebsrätin Franka.

"Schau zu, dass du einen Beweis für seine Belästigungen kriegst. Dann schieß ich diesen aufgeblasenen Möchtegerncasanova wie einen Luftballon ab", sagte Franka und tat dabei so, als würde sie ein Gewehr anlegen.

"Der Kerl wird leider bloß dann frech, wenn er mit mir allein ist. Sobald andere in der Näh sind, spielt er den braven Vorgesetzten", erwiderte Anita bissig.

"Notfalls stellen wir ihm eine Falle", schlug Franka vor. "Ich versteck mich in deinem Büro und ertapp den Gussauer in flagranti."

"Dann müsstest du schon in eine Schreibtischschublade passen. Sonst ist nix da zum Verstecken."

"Es war halt ein Vorschlag", meinte Franka seufzend. "Wenn wir uns wenigstens auf deine Kolleginnen verlassen könnten!"

"Die meisten sind arme Hascherl, die sich ned trauen, ein Wort gegen den Gussauer zu sagen, und die anderen würden mich mit Vergnügen in die Pfanne hauen, um eine Konkurrentin um den Gruppenleiterposten loszuwerden", erwiderte Anita bitter.

"Irgendwie müssen wir diesen Kerl doch hochgehen lassen können?", meinte Franke kämpferisch.

"Sobald du eine Möglichkeit siehst, mach ich sofort mit", erwiderte Anita flüsternd, weil sich Susanne und ein paar andere Frauen ihrem Tisch näherten.

"Vergiss es ned. Aber jetzt wünsch ich dir einen schönen Urlaub, und dass sich der Stefan gut erholt!"

"Was, du gehst in Urlaub, Anita, wo so viel zu tun ist?", fragte Susanne direkt gehässig. "Na ja, wenn man's so gut mit dem Gussauer kann wie du, darf man sich halt alles erlauben!"

Anita zog es vor, nichts darauf zu antworten. Aber diese Szene bekräftigte den Entschluss, der schon seit gestern in ihr keimte. Wenn sie aus dem Urlaub zurückkam, würde sie sich mit aller Kraft eine neue Stelle suchen. Ihr wiedergefundenes Zeugnis bot ihr jetzt eine weitaus bessere Chance dazu, als sie sonst gehabt hätte. Es tat ihr nur leid, dass sie Franka dann nicht mehr dabei helfen konnte, Gussauer abzuschießen. Dann aber sagte sie sich, dass sie dabei wahrscheinlich selbst mit in den Schmutz gezogen würde, und war fast erleichtert über ihre Entscheidung.

*

"Fährst du heut nach Hochbruck zur Burgl?", fragte Maria Grassl, als Georg nach Feierabend in das Haus kam.

"Wieso? Ist heut was Besonderes?", erwiderte Georg überrascht.

"Das ned. Aber ich hab mir halt denkt, weil Freitag ist und du die Burgl jetzt schon eine ganze Woch ned gesehen hast", meinte seine Tante. "Ihr seid ja immerhin Brautleute, und da ist's doch normal, wenn ihr so oft wie möglich zusammen sein wollt!"

"Das stimmt schon", versuchte Georg Maria zu beschwichtigen. "Ich fahr auch morgen nach dem Mittagessen zu ihr. Im Möbelhaus Leineder ist übers Wochenende eine Ausstellung, und da wollen wir uns ein bisserl umschauen!"

"Was wollt ihr denn beim Leineder, wo wir doch selber eine Möbelschreinerei haben?", fragte Maria Grassl verblüfft.

"Vielleicht sind wir der Burgl ned gut genug", warf ihr Mann etwas gehässig ein.

"Aber geh, Michl, sonst tät sie doch ned bei uns einheiraten wollen", verteidigte Maria ihre Nichte.

"Non olet", brummt Grassl mehr für sich.

"Was hast du gesagt?", fragte seine Frau neugierig.

"Ich? Nix?"

"Jetzt fangt ned noch zum Streiten an. Die Burgl will mir auf dieser Ausstellung doch bloß zeigen, welche Art von Möbeln sie haben will."

"Da hätt sie genauso bei uns in die Kataloge schauen können", murrte Grassl noch immer unversöhnt.

"Sag der Burgl einen schönen Gruß von mir, und dass ich ihr viel Spaß beim Aussuchen wünsch", sagte Maria, ohne auf den letzten Ausfall ihres Mannes einzugehen.

"Ich werd's ausrichten", erwiderte Georg lachend und setzte sich an den Tisch. Sein Onkel tat es ihm gleich und sah ihn dabei mit anzüglicher Miene an.

"Euer Schlafzimmer musst du aber selbst schreinern, hast du mich? Das gehört sich nun einmal so! Ich hab's damals ned anderes gemacht, ned wahr, Maria?"

"Es bürgt für Eheglück und Kindersegen, wenn ein Schreiner sein Brautbett selber macht", stimmte ihm diese zu. "So heißt's wenigstens in alten Zunftbüchern!"

"Du musst auf alle Fälle auf eine gute Federung achten. Das ist das Wichtigste bei einem Ehebett. Sonst quietscht es zu stark", meinte Grassl grinsend.

"Schäm dich, Michl! Du redest fast so krachert daher wie mein depperter Bruder", seufzte seine Frau kopfschüttelnd. "Mannsleut, sag ich da bloß! Ihr habt wirklich nur das eine im Kopf!"

"Aber, Maria, du tust ja grad so, als wenn der Schorsch den Unterschied zwischen einem Buben und einem Madl bloß aus dem Sexualkundebuch kennen oder gar noch an den Klapperstorch glauben tät."

"Geh ins Bad und wasch dir die Händ! Wir essen gleich", sagte seine Frau mit strafender Miene.

Georg zupfte seinen Onkel am Ärmel. "Wir sollten lieber tun, was die Tante sagt", erklärte er und zog ihn auf die Tür zu.

Eine Stunde später hatten sie gegessen und saßen im Wohnzimmer zusammen. Während Michael Grassl voller Engagement eine Sportsendung verfolgte, blätterte Georg etwas gelangweilt in der Programmzeitschrift und stand schließlich auf.

"Gehst du vielleicht in die Wirtschaft?", fragte ihn sein Onkel hoffnungsvoll.

Georg schüttelte den Kopf. "Nein, ich geh in mein Zimmer, hör mir ein bisserl Musik an und schau meine Unterlagen durch. Das hab ich nämlich schon lang nimmer gemacht. Vielleicht sortier ich auch die Sachen aus meiner Studentenzeit. Die setzen nämlich schon Staub an."

"Was tun sie? Wo ich doch mindestens einmal im Monat bei dir abstaub", rief Maria Grassl erschrocken und wollte aufstehen.

"Ich mein das doch bloß symbolisch", beruhigte Georg sie lächelnd. "Ich weiß doch, dass du mein Zimmer tipptopp in Schuss hältst." Er tätschelte seiner Tante liebevoll die Wange und verließ das Zimmer.

"Der Schorsch ist wirklich ein lieber Bub", fand Maria Grassl, nachdem er die Tür hinter sich zugemacht hatte. "Wenn ich nur daran denk, wie er uns damals beigestanden hat, als unser Klausi verunglückt ist!" Sie brach bei diesen Worten in Tränen aus und suchte umständlich nach ihrem Taschentuch. Ihr Mann nickte, als er es hörte und blickte mit starren Augen in eine andere Zeit.

"Da hast du recht, Maria. Ich weiß ned, was aus uns zweien geworden wär, wenn uns der Schorsch ned geholfen hätt. Er hat sogar sein Studium dafür aufgegeben."

"Aber er hat seinen Abschluss später im Fernstudium nachgeholt. Und das sogar mit Auszeichnung", lobte seine Frau den Ehrgeiz seines Neffen. "Auf alle Fälle haben wir zwei jetzt wieder einen Buben. Und da dein Neffe meine Nichte heiraten wird, werden ihre Kinder fast wie richtige Enkerl für uns sein. Du weißt ja gar ned, wie ich mich darauf freu."

"Mir gefällt's ja auch. Aber ich tät's lieber sehen, wenn die zwei mehr ineinander verliebt wären. So hab ich immer das Gefühl, dass der Schorsch die Burgl bloß deswegen heiraten will, um uns einen Gefallen zu tun", erwiderte Grassl etwas nachdenklich.

"Ach geh, Michl, so schlimm, wie du das sagst, ist's auch wieder ned. Der Schorsch und die Burgl sind vernünftige Leut und benehmen sich halt einmal ned so albern wie manch anderes Paar!", erklärte seine Frau.

"Ich weiß ned, was daran albern sein soll, wenn sich zwei Menschen gern haben und das auch zeigen", brummte Grassl etwas eingeschnappt. Seine Frau setzte sich neben ihn und strich ihm mit der Hand sanft über die Stirn.

"Aber, Michl, wir wollen doch alle zwei nur das Beste für den Buben", raunte sie ihm zu und gab ihm einen Kuss.