Anni Lechner

Die Schmugglerschenke
Ohne die Liebe ist es kein Leben
Wirbel um Rosi

Anni Lechner: Band 16, Die Schmugglerschenke ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-223-8

Die Schmugglerschenke

Einige Wanderer stiegen von Kreiling kommend zum Hohen Göll hoch. Als sie den Grünhof erreichten, blieben sie stehen und sahen das ebenso stattliche wie malerische Anwesen neugierig an. Ein Mann ging sogar einige Schritte auf das Wohnhaus mit seinem hölzernen Obergeschoss und dem blumengeschmückten Altan zu.

"So schön möchte ich auch einmal wohnen", platzte er mit nördlichem Zungenschlag heraus. Er blieb vor dem aus einem dicken Baumstamm gehauenen Brunnentrog stehen und benetzte seine schweißnasse Stirn mit dem kalten, klaren Wasser. Dabei sah er kurz zu den beiden Menschen hoch, die auf dem Altan saßen und sich unterhielten.

"Werden dir die Leute ned lästig, wenn sie alleweil in den Hof hereinkommen?", fragte Alma Firmbeck ihren Bruder Martin, den Besitzer des Grünhofes.

"So schlimm ist's auch wieder ned", antwortete dieser gelassen. "Wenn einer bei der Hitze am Brunnen trinken will, soll er's ruhig tun."

Alma Firmbeck war sechzehn Jahre älter als Martin und hatte den Hof verlassen, um in den Nachbarort einzuheiraten, als er gerade mal in die zweite Schulklasse ging. Aus diesem Grund hatte sich keine engere Verbindung zwischen ihnen entwickelt, auch wenn Alma ihre Enttäuschung über die Geburt ihres Bruders, der sie vom ersten Tag an als Hoferbe und Liebling der Eltern entthront hatte, längst überwunden glaubte. Besser als mit ihrem Sepp hatte sie es wirklich nicht treffen können. Mochte der Grünhof auch etwas größer und moderner eingerichtet sein als ihr eigener, so besaß der Firmbeck von Holzen doch auch seine Bedeutung im Tal.

Sie musterte Martin und fand mit einem gewissen Stolz, dass er gut aussah. Groß und schlank gewachsen besaß er ein schmales, rassiges Gesicht mit einer leichten Adlernase und hellgraue Augen, die einem bis ins Herz zu blicken schienen und lockiges, brünettes Haar.

Martin bemerkte den forschenden Blick seiner Schwester und blickte unwillkürlich an sich herab, ob er etwa sein Hemd verknöpft hatte. Er fand jedoch alles in Ordnung. Almas Seufzen sagte ihm jedoch, dass sie wieder auf ihrem alten Thema herumkaute. Er machte sich schon auf den Vorwurf gefasst, warum er noch nicht geheiratet hatte, als Alma auf einmal mit dem Finger schnippte und auf die grünen Wiesen des Hofes hinaus sah.

"Der Wanderer dort hat recht", erklärte sie. "Du hast es wirklich schön da. Da ist es kein Wunder, dass dein Hof auf dem Werbeprospekt des Fremdenverkehrsvereins zu sehen ist. Aber ich wollt eigentlich über was anderes mit dir reden."

Martin wies auf die leeren Gläser, die auf dem Tisch standen. "Hast du noch Durst?"

"Du kannst mir noch einmal ein Glas Hollersaft bringen. Aber diesmal mit ein bisserl mehr Wasser als beim Letzten. Die Lina macht den Saft arg stark."

Martin stand auf und kehrte nach wenigen Minuten mit zwei vollen Gläsern zurück. "So, und jetzt red, wo dich der Schuh drückt", forderte er seine Schwester auf.

"Es geht um unseren Toni", erwiderte Alma zu seiner Verwunderung. "Du weißt, er ist im Winter zwanzig Jahr alt geworden, ohne dass er bis jetzt mehr von der Welt gesehen hat wie unseren Hof daheim. Der Franz und ich haben uns jetzt halt denkt, ob du ihn ned für den Rest des Jahres als Volontär auf deinen Hof nehmen könntest, damit er einmal was anderes sieht."

Da Martins Meinung nach nichts gegen den Vorschlag seiner Schwester einzuwenden war, nickte er zustimmend. "Also, ich hätt nix dagegen. Die Frage ist halt, ob er euch ned bei der Arbeit abgeht?"

"Wir kommen schon zurecht", versicherte ihm seine Schwester eifrig. "Von dir kann der Toni nämlich einiges lernen. Einen besseren Bauern wie dich gibt's im ganzen Landkreis ned."

"Jetzt mach mal halblang", wehrte Martin das Lob ab.

Alma ließ sich jedoch nicht beirren. "Das hat auch der Landrat beim letzten Landwirtschaftsball gesagt. Der Grünhof wär ein Musterhof wie kein zweiter, und er tät sich freuen, wenn du in die Politik gehen würdest. Solche Männer wie dich täten sie nämlich brauchen."

"Ich bin damit zufrieden, ein Bauer zu sein. Was soll ich in der Politik. Davon versteh ich nix." Martins Gesichtsausdruck zeigte Alma, wie wenig er von den einheimischen Politikern hielt. Sie wollte ihm schon raten, nicht so streng zu sein. Da fiel ihr im letzten Moment ein, dass er ja vor einigen Jahren kurz mit der Tochter des hiesigen Landtagsabgeordneten gegangen war. Als alle bereits die Verlobungsanzeige erwartet hatten, hatte sie Martin den Laufpass gegeben und sich für einen Parteifreund ihres Vaters entschieden.

"Na ja, du musst es selbst wissen", erwiderte sie und fragte ihn dann, ob ihr Sohn schon morgen bei ihm anfangen könnte.

Obwohl Martin seinen Neffen, der ihm vom Alter her näher stand als seine Schwester, durchaus mochte, wunderte er sich über die Eile, die Alma jetzt zeigte. "Also, von mir aus kann er morgen kommen."

Alma nickte zufrieden und blickte dabei den Wanderern nach, die mittlerweile weitergezogen waren. "Die wollen wohl zur Bergschenke hoch."

"Da werden sie auch bloß Brunnenwasser bekommen", spottete Martin. "Die Bergschenke ist schon seit zwei Jahren zu. Ich glaub ned, dass da so schnell wieder ein Wirt hinkommt."

"Ich find's schad. Als Dirndl hab ich oft hinaufgeschaut, ob ich ned einen Wilderer oder Schmuggler sehe. Die Bergschenke war damals arg verrufen, und es ist kaum ein ehrlicher Bauer hinaufgegangen. Holzknecht waren die Gäste und noch andere Leute, die in der Nacht ins Österreichische hinübergingen und mit Zigaretten und anderen Sachen auf der Kraxen zurückgekommen sind", erklärte Alma mit einem Seufzen, das mehr den Jahren galt, die seitdem vergangen waren. Immerhin hatte sie vor Kurzem ihren fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert.

"Vielleicht kauf ich das Gebäude selbst und bau sie als Almhütte um. Derzeit ist mir aber der Preis noch zu hoch." Auch ihr Bruder hing seinen Gedanken nach. Aber so war es meistens, wenn sie selten genug zusammentrafen. Es gab kaum einen Gesprächsstoff, der sie beide interessierte. Martin war daher fast froh, als Alma ihr Glas leer trank und erklärte, jetzt fahren zu müssen.

*

Zuhause angekommen, eilte Alma sofort ans Telefon. Mit der Geschicklichkeit, mit der sie wählte, musste sie die Nummer auswendig kennen. Als sich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung meldete, sprudelte sie sofort los.

"Du, Christa, es hat alles geklappt. Der Martin nimmt den Toni auf den Hof. Du weißt, was du jetzt zu tun hast."

"Herrlich", jubelte die andere auf. "Ich komm auf jeden Fall mit, wenn du den Toni auf dem Grünhof besuchst. Da dein Bruder fast wie ein Einsiedler lebt und kaum unter die Leute geht, ist das die beste Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen. Weißt du eigentlich, was er für eine Vorliebe bei den Madln hat? Vielleicht muss ich vorher noch zum Friseur."

"Wenn, dann lass ned zu viel tun. Der Martin steht ned auf das Aufgedonnerte. Versuch so natürlich wie möglich zu bleiben und übertreib's ned, wenn du den Hof und seine Lage lobst. Heb dir das Lob besser für das auf, was man uns auftischen wird. Auf die alte Lina lässt der Martin nämlich nix kommen." Alma gab Christa noch etliche Ratschläge, die diese befolgen sollte, und legte schließlich mit einem zufriedenen Gefühl auf. Wenn die Nichte ihres Mannes es jetzt nicht schaffte, Martin einzufangen, dann war bei ihm wirklich Hopfen und Malz verloren.

Ihrem Mann Franz und Toni sagte sie jedoch nichts von ihren und Christas Plänen, sondern berichtete nur, dass Martin einverstanden wäre, Toni für ein paar Monate unter seine Fittiche zu nehmen.

"Also, ich tät schon gern zum Onkel gehen", erklärte Toni, ein mittelgroßer hübscher Bursche mit braunen Dackelaugen und halb langen, dunkelblonden Haaren. "Das heißt, wenn's von der Arbeit her geht", setzte er mit einem bangen Seitenblick auf seinen Vater hinzu.

Sepp Firmbeck winkte nur lachend ab. "So wichtig bist du für unseren Hof dann doch noch ned, als dass wir dich ned für ein paar Wochen entbehren könnten. Außerdem lernst du nirgends mehr als beim Martin."

"Ich freue mich riesig." Toni war so aufgeregt, dass er nicht mehr still sitzen konnte.

Sein Vater schüttelte lächelnd den Kopf. "Du kannst jetzt schon einmal mit der Stallarbeit anfangen. Ich komm dann nach." Er wartete, bis Toni verschwunden war, und sah dann seine Frau neugierig an.

"Glaubst du, dass es was wird mit der Christa und dem Martl?"

"Freilich. Sonst hätt ich den Plan mit dem Toni doch gar ned erst aufgebracht."

Sepp Firmbeck war nicht so überzeugt wie seine Frau. "Wir dürfen auf alle Fälle dem Toni nix davon sagen. Der wär glatt im Stand, den Martin zu warnen."

"Warnen, vor was?" Alma winkte lachend ab. "Der Martin ist auch bloß ein Mannsbild. Wenn's die Christa halbwegs gescheit anfängt, hat sie ihn schnell am Wickel."

"Gebe es Gott! Mir schaut der Martl ned so aus, als wenn ihn eine Frau so ohne Weiteres angeln könnt. Der hat seinen eigenen Willen, sag ich dir. Immerhin ist er dein Bruder."

"Was soll denn das schon wieder heißen?", fragte Alma mit gerunzelter Stirn.

"Dass du genau die Frau bist, die ich haben hab wollen." Sepp drückte sie kurz an sich und küsste sie in den Nacken.

Alma quietschte auf und rieb dann über seine stachelige Wange. Es stimmte schon, dass sie ein wenig herrisch veranlagt war und sich nicht die Butter vom Brot nehmen ließ, dachte sie lächelnd. Ihr Mann war fast das Gegenteil. Er hatte eine fast magische Hand, was das Vieh und den Feldbau betraf, war aber dabei so gutmütig, dass fast jeder mit ihm Schlitten fahren konnte. Ihre Schwiegereltern hatten sie nicht zuletzt wegen ihrer Durchsetzungsfähigkeit gern auf dem Hof gesehen.

Wenn sie ehrlich war, wollte sie Toni auch deshalb zu ihrem Bruder schicken, damit er auch einmal ein anderes Vorbild vor Augen hatte als seinen zwar liebenswerten, in Geschäftsdingen jedoch unbedarften Vater. Trotzdem galt ihr Hauptinteresse einer baldigen Heirat ihres Bruders. Und da schien ihr Sepps Nichte Christa genau die richtige Braut zu sein.

*

Martin saß mit seinen beiden Knechten und der alten Haushälterin Lina beim Abendessen, als er sich an den Wunsch seiner Schwester erinnerte. Er wartete ab, bis alle mit dem Essen fertig waren, und bat dann Lina, mit dem Abräumen ein wenig zu warten.

"Die Alma war heut da. Ihr Toni kommt für die nächsten Monate zu uns auf den Hof, um auch einmal was anderes zu sehen als den heimischen Betrieb. Lina, kannst du bis morgen eine Kammer für ihn herrichten?"

"Freilich kann ich das", erwiderte das alte Weiblein. "Hast du was dagegen, wenn er im ehemaligen Zimmer seiner Mutter schläft?"

"Natürlich ned." Martin wandte sich jetzt an die beiden Knechte. "Ich will ned, dass mein Schwager wegen dem Toni Probleme bei der Arbeit kriegt. Darum wird einer von euch von Zeit zu Zeit beim Firmbeck in Holzen aushelfen müssen."

"Das geht schon in Ordnung, Bauer", erwiderte der Altknecht Simmerl.

"Kriegen wir heut noch Besuch?" Jakob, der zweite Knecht auf dem Hof wies durch das Fenster zur Hauptstraße, wo eben ein geländegängiger Wagen in den Weg zum Hof einbog.

Die anderen schauten jetzt ebenfalls hinaus. Das Auto kam im raschen Tempo näher und zog eine dichte Staubwolke hinter sich her. Es blieb jedoch nicht beim Grünhof stehen, sondern rauschte daran vorbei.

"Hat der Depp denn ned lesen können. Auf dem Verkehrsschild dort vorn steht extra ´Nur für Anlieger`. Und die einzigen Anlieger sind wir", schimpfte Lina los.

"Es ist kein Depp, sondern höchstens eine Deppin", korrigierte Jakob sie lächelnd. "Es waren nämlich zwei Frauen im Auto. Die Fahrerin hat recht jung und schmackhaft ausgeschaut."

Simmerl starrte dem Geländewagen verärgert nach. "Ich frag mich trotzdem, was sie da wollen. Ober uns kommt bloß noch die Bergschenke, und da sind die Fenster vernagelt."

"Vielleicht glaubt die Fahrerin auch, dass sie mit ihrem halben Unimog über den Berg kommt und den Weg in die Stadt abkürzen kann. Aber da hat sie sich geschnitten. Gleich hinter der Bergschenke ist die Straße zu Ende", wandte Jakob ein.

Martin beobachtete belustigt seine Knechte, die sich in wilden Theorien über die Insassen des fremden Wagens ergingen. Auf alle Fälle handelte es sich um Ausländer, denn das Auto hatte kein deutsches Kennzeichen getragen. Schließlich zuckte er mit den Schultern. Ihm konnte es ja egal sein, wer diese Frauen waren.

"Auf alle Fälle wird das Auto bald zurückkommen", erklärte Lina und begann, den Tisch abzuräumen. Sie irrte sich hier jedoch, denn der Abend verging, ohne dass der fremde Wagen wieder erschien.

Zuletzt wurde Martin doch etwas unruhig. Die schmale Straße zur Bergschenke war nicht ungefährlich. Bei dem Tempo, das die Fahrerin eingeschlagen hatte, konnte leicht etwas passiert sein. Er holte sein Fernglas aus dem Schrank und ging ins Freie, um nachzuschauen. Nach einem Kilometer hatte er freie Sicht auf die Bergschenke und sah den Wagen davor stehen. Als er auch noch die beiden Frauen gesund und munter bei dem Auto entdeckte, kehrte er erleichtert zu seinem Hof zurück.

*

"Schön liegt die Bergschenke ja. Aber das ist auch schon alles." Irmgard Klein rümpfte die Nase angesichts des vernachlässigten Gebäudes, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren. Das Dach war noch halbwegs in Ordnung, das hölzerne Obergeschoss musste jedoch dringend gebeizt werden, und auch der gemauerte Sockel konnte einen Anstrich vertragen.

Irmgards Nichte Anita winkte jedoch nur lachend ab. "Das kriegen wir schon wieder hin. Wenn erst die Bretterverschläge weg sind und ein paar Liter Farbe verstrichen, erkennst du die Wirtschaft ned wieder."

"Du willst die Bergschenke also unbedingt kaufen?" Irmgard klang nicht gerade begeistert.

"Ich hab sie schon gekauft", erwiderte Anita munter. "Gestern, als du Schwimmen gewesen bist, hab ich den Vertrag unterschrieben."

Ihre Tante sah sie erschrocken an. "Bist du denn übergeschnappt, diese Bruchbude zu kaufen, ohne sie je gesehen zu haben."

Ein kurzer Schatten huschte über Anitas Gesicht. "Ich hab meine Gründe dafür."

"Ich will hoffen, dass du mit der Sache ned voll danebenliegst. Schließlich soll die Bergschenke zuletzt nimmer besonders gut gegangen sein."

Statt einer Antwort zog Anita einen Schlüssel aus ihrer Jeanstasche und ging auf die Haustür zu. Als sie öffnete, musste sie erst die Spinnweben beseitigen, die von der Decke hingen. Innen war es stockdunkel.

"Wir hätten besser eine Taschenlampe mitnehmen sollen", sagte Irmgard mit gerümpfter Nase.

Anita hatte unterdessen den Lichtschalter gefunden. Sie fragte sich, ob die Leitung überhaupt noch Strom führte. Als sie jedoch den Schalter umlegte, leuchtete ein arg zahnlückiger Kronleuchter auf und zeigte ihr das wahre Ausmaß der Vernachlässigung. Der Staub lag fingerdick auf den Tischen und Stühlen der Gaststube, und die Schanktheke war hinter einem weiteren Vorhang aus Spinnweben verborgen.

"Da haben wir morgen was zu tun", erklärte Anita gelassen. Sie ging weiter und stieg schließlich die Treppe zu den Schlafzimmern hoch. Dort war es zwar auch staubig, aber mit Hilfe ihrer Tante schaffte sie es, wenigstens eines der Zimmer halbwegs sauber zu machen. Sie fanden sogar einige gut verpackte Überzüge, in die sie die entstaubten Federbetten hüllen konnten.

"Jetzt sieht's doch schon recht manierlich aus", erklärte Anita zuletzt lächelnd.

"Schlafen können wir ja. Aber das Frühstück können wir morgen in den Wind schreiben." Irmgard ließ sich deutlich anmerken, dass sie von der Idee, hier zu übernachten, überhaupt nichts hielt.

Anita hob lachend die Hand. "Gut, dass du mich daran erinnerst. Ich hab nämlich eine Kühltasche eingepackt. Ich hol sie schnell aus dem Auto. Schau du inzwischen, ob du in der Küche so was wie einen Kühlschrank findest." Damit eilte sie ins Freie und kehrte kurz darauf mit einer großen Campingbox zurück.

Irmgard war schon dabei, den Kühlschrank mit kaltem Wasser und einem Rest Spülmittel, das sie in einem Schrank gefunden hatte, zu säubern. Anita half ihr, und so konnten sie die mitgebrachten Lebensmittel bald in den Kühlschrank stellen. Als sie ihn einschaltete, zeigte sein Brummen, dass er noch in Ordnung war.

"Damit ist unser Frühstück für morgen gerettet", lachte Anita ihrer Tante zu. Dann verließ sie noch einmal das Haus und schleppte einen Koffer herein, der beider Toilettensachen, wie auch die entsprechenden Schlafanzüge enthielt.

Die Zeit bis zum Schlafengehen nützte Anita aus, um im Haus noch weiter für Ordnung zu sorgen. Die Gaststube sparte sie fürs Erste noch aus, aber das Bad im Obergeschoss glänzte danach fast wie neu. Sie schaffte es sogar, den Badeofen in Gang zu bringen, so dass sie sich mit warmem Wasser waschen und die Zähne putzen konnten.

Eine halbe Stunde später lagen sie nebeneinander in ihren Betten. Irmgard konnte nicht einschlafen und lauschte zunächst den Geräuschen der nächtlichen Natur. Schließlich drehte sie sich zu ihrer Nichte um und fragte: "Bist du noch wach?"

"Ja, warum?"

"Weil ich dich etwas fragen will. Hat das vielleicht einen besonderen Grund, warum du diese abgehalfterte Wirtschaft gekauft hast? Ich hab mich nämlich eben daran erinnert, dass deine Großmutter einmal von einer Schmugglerschenke erzählt hat."

Anita setzte sich im Bett auf und schaltete das Licht ein. "Du liegst ned ganz falsch, Tanterl. Ich hab die Bergschenke gekauft, weil sie eigentlich mir gehören tät, wenn alles mir rechten Dingen zugegangen wär."

Irmgard sah sie mit großen Augen an. "Erzähl."

Anita verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blickte zur fleckigen Decke hoch. "Vor gut fünfzig Jahren war mein Großvater der Wirt der Bergschenke. Außerdem war er ein ziemlich erfolgreicher Schmuggler und Wilderer. Es waren damals die Jahre nach dem Krieg, und da hat man's mit den Gesetzen noch ned so genau genommen", setzte sie hinzu, um ihren Ahnen nicht als Kriminellen erscheinen zu lassen.

Irmgard war trotzdem beeindruckt. "Also, das hab ich ned gewusst. Deine Großmutter hat wenig über ihre Herkunft erzählt, und dein Vater muss noch zu klein gewesen sein, um sich daran zu erinnern."

"Er war fünf Jahr alt, als der Großvater umgekommen ist und seine Mutter die Wirtschaft verlassen hat müssen", erklärte Anita mit herber Stimme. "Ich hab ja schon gesagt, dass der Großvater geschmuggelt hat. Es waren insgesamt fünf Männer, die zu der Bande gehört haben. Neben dem Großvater war das noch sein Vetter Konrad, sowie drei, von denen ich bloß ihre Vornamen kenn, nämlich der Hartl, der Lukas und der Korbinian. Die fünf waren recht erfolgreich und damit natürlich auch den Grenzern ein Dorn im Aug. Aber weil sie die Berg wie ihre Westentasche gekannt haben, sind sie immer heil durchgekommen."

Anita schwieg, weniger um die Spannung zu erhöhen, als um ihre aufgewühlten Gedanken wieder zu beruhigen. "Irgendwann wollte dann der Großvater mit dem Schmuggeln aufhören. Bei seinem letzten Gang über die Grenze hat ihn dann sein Vetter Konrad an die österreichischen Gendarmen verraten. Der Konrad selbst ist ned mitgegangen, weil er angeblich einen wehen Haxn gehabt hat. Der Großvater und die drei anderen sind hingegen in eine Falle der Grenzer gelaufen. Der Hartl, der Lukas und der Korbinian haben sofort die Hände gehoben. Der Großvater hat hingegen noch versucht, zu entkommen. Da haben sie ihn erschossen."

"Das ist ja entsetzlich", rief Irmgard entsetzt.

"Das war noch ned alles. Die drei anderen sind verhaftet und angezeigt worden. In der Verhandlung haben sie aber eisern dichtgehalten und den Konrad ned verraten, obwohl sie in Österreich zu einigen Jahren Kerker verurteilt worden sind. Der Konrad hat inzwischen die Großmutter, die nach dem Tod ihres Mannes völlig verzweifelt war, mit gemeinen Tricks um die Bergschenke gebracht und sie schließlich samt ihrem Buben, meinem Vater, aus dem Haus getrieben."

"So ähnlich hab ich's von ihr einmal gehört. Ich hab bloß ned gewusst, dass es hier in dieser Gegend gewesen ist", wandte Irmgard ein.

"Es geht noch weiter." Anita atmete tief durch und wandte sich ihrer Tante zu. "Das gesamte Geld, das die fünf Männer beim Schmuggeln verdient haben, hatte mein Großvater in Verwahrung. Es hätte später aufgeteilt werden sollen. Als die anderen Männer aus dem Gefängnis entlassen worden sind, wollten sie von Konrad ihren Anteil haben. Weißt du, was er ihnen erzählt hat? Bloß der Großvater hätt gewusst, wo es zu finden wär. Er selbst hätt schon alles umsonst durchsucht, aber nix gefunden."

"Das muss ja ein ausgesuchtes Miststück gewesen sein", rief Irmgard kopfschüttelnd.

"Es hat ihm aber ned viel Glück gebracht. Der Konrad ist kurz darauf verunglückt. Seine Frau hat später noch einmal geheiratet und die Wirtschaft schließlich ihrem Stiefsohn übergeben. Doch der hat schließlich alles herunterkommen lassen und die Bergschenke schließlich an die Brauerei verkaufen müssen, um seine Schulden zu zahlen."

"Und von dieser Brauerei hast du die Bergschenke jetzt gekauft."

"Sie hatten außer mir nur einen Interessenten, nämlich den Grünhofer von Kreiling, der aber die Wirtschaft ned weiterführen wollte. Darum war man um mein Angebot froh", erklärte Anita lächelnd.

"Hoffentlich war's ned zu teuer. Du wirst nämlich noch einiges an Geld brauchen, um den alten Kasten wieder auf Vordermann zu bringen." Irmgard hatte Angst, Anita könnte über den Tisch gezogen worden sein.

"Wenn sich meine Hoffnung erfüllt, ist das Geld kein Problem", antwortete Anita mit einem nachdenklichen Lächeln.

Irmgard schüttelte ungnädig den Kopf. "Glaubst du vielleicht, du findest den Schatz, den dein Großvater versteckt hat. Das hat sich gewiss sein Vetter unter den Nagel gerissen."

"Ich hab dir gesagt, dass der Konrad sehr überraschend gestorben ist. Wenn seine Frau nix von dem versteckten Geld gewusst hat ..." Anita ließ die Antwort darauf offen.

Ihre Tante starrte für einige Augenblicke zum Fenster hinaus und zeigte schließlich auf den Mond, der rund und voll über den Bergen stand. "Du bist mondsüchtig, auf so eine ungewisse Sache hin die Bergschenke zu kaufen, Anita", sagte sie kopfschüttelnd.

"Ich hab's ned bloß deswegen getan", flüsterte Anita so leise, dass ihre Tante sie kaum verstehen konnte. "Du weißt ja, dass meine Großmutter es nie länger als ein Jahr an einem Ort ausgehalten hat, und mein Vater auch ned. Es war, als wenn sie von den himmlischen Mächten dazu verurteilt worden wären, nirgends heimisch zu werden, bevor alles wieder in Ordnung gebracht worden ist. Die anderen Männer haben oftmals ihr Leben riskiert und sind um ihren Lohn geprellt worden."

"Woher weißt du denn alles?", fragte Irmgard verwirrt. "Du hast doch keine Kontakte in diese Gegend gehabt."

"In den ersten Jahren hat der Hartl öfters der Großmutter geschrieben. Nach ihrem Tod war natürlich die Verbindung abgerissen. Als aber der Papa im letzten Jahr so lang im Krankenhaus gelegen ist, hat er sich an einige Sachen aus seiner Kindheit erinnert und sie mir erzählt."

"Und du hast mir nix davon gesagt!" Irmgard war schlichtweg empört.

"Ich hab damals ned gewusst, dass die Bergschenke zum Verkauf steht und erst einmal Informationen einholen wollen. Dann ist der Papa gestorben, und ich hab an andere Dinge denken müssen."

"Und was willst du jetzt unternehmen?", wollte Irmgard wissen.

"Du wirst es morgen sehen", erklärte Anita lächelnd und knipste das Licht aus. "Schlaf schön, Tanterl!"

"Wie denn, nachdem du mich so neugierig gemacht hast, dass mein Herz grad so pumpert", schimpfte Irmgard. Sie erntete jedoch nur ein kurzes Auflachen ihrer Nichte dafür. Kurz darauf zeigten Anitas regelmäßige Atemzüge, dass sie eingeschlafen war. Irmgard beneidete sie deswegen und richtete sich auf lange, schlaflose Stunden ein. Das Zirpen der Grillen und Zikaden vor dem Haus klang in ihren Ohren jedoch so einschläfernd, dass auch sie bald in Morpheus Arme glitt.

*

Am nächsten Morgen ging Anita zunächst nicht auf das Gespräch am Abend ein. Während sie mit Feuereifer das Haus aufräumte und säuberte, stellte ihre Tante das Frühstück zusammen. Sie erinnerte Anita jedoch daran, dass ihre Vorräte für keine weitere Mahlzeit mehr ausreichen würden.

"Wir fahren am Vormittag eh noch in die Stadt. Schließlich müssen wir uns auch standesgemäß einkleiden", erklärte Anita fröhlich.

"Wieso einkleiden?"

Anita strich mit der rechten Hand über ihr T-Shirt und die Jeanshose. "So was können wir höchstens bei der Arbeit anziehen. Aber wenn wir unter die Leute gehen, brauchen wir ein paar Dirndlkleider. Wir sind im Gebirge, Tanterl. Da halten die Leute die alten Bräuche noch in Ehren. Vorher will ich aber noch etwas nachschauen. Hast du im Haus schon so etwas wie einen Pickel und eine Schaufel entdeckt?"

Irmgard schüttelte den Kopf. "Die wirst du dir kaufen müssen. Ich glaub ned, dass wir hier noch etwas finden."

"Ich geh ned eher, bevor ich nachgeschaut hab." Anita durchsuchte den angebauten Schuppen und kehrte schließlich mit einer großen Brechstange zurück.

"Die wird's auch tun", rief sie ihrer Tante zu und stieg in den Keller hinab. Sie musste erst etliche alte Bierträger beiseiteschaffen, bis sie schließlich vor einem wuchtig aussehenden Weinfass standen. Als Anita dagegen klopfte, klang es hohl. "Hilf mir, das Fass beiseitezuschieben", forderte sie Irmgard auf.

"Das kriegen wir nie weg", sagte diese kopfschüttelnd. Zu ihrer Verwunderung ging es jedoch ziemlich leicht. Sie schoben das Fass ein Stück nach vorne, bis Anita "Halt" sagte. Danach zählte Anita die Bodenplatten, nahm die Brechstange zur Hand und schob sie in die Ritze zwischen zwei von ihnen. Als sie die Platte hob, lag darunter ein in Wachstuch gewickeltes Paket.

Anita hob es heraus und schleppte es nach oben in die Wirtsstube. Dort schlitzte sie die Hülle mit einem scharfen Messer auf. Innen befanden sich fünf kleine Päckchen, von denen jedes mit einem Namen versehen war. Anita nahm das mit dem Namen ihres Großvaters und wickelte es aus.

"Das sind ja Goldmünzen", rief ihre Tante überrascht. "Aber wer hat dir denn gesagt, wo sie zu finden sind?"

"Der Papa ist als kleiner Bub einmal in den Keller gekommen und hat seinen Vater und Konrad dabei überrascht, wie sie was in das Versteck getan haben. Sie haben ihm eingeschärft, zu niemandem, auch zu seiner Mutter nix davon zu sagen. Er hat's auch bald wieder vergessen und sich erst kurz vor seinem Tod wieder daran erinnert. Anita, hat er zu mir gesagt, das Gold ist wie ein Fluch."

"Aber wie willst du denn wissen, wem es gehört. Die Schmuggler von damals sind, wenn sie überhaupt noch leben, uralte Männer."

Anita zuckte mit den Achseln. "Irgendwie werd ich's schon herausfinden. Die Packerl vom Großvater und vom Konrad gehören auf alle Fälle mir." Sie nahm die beiden Packen an sich und wollte sie wegbringen, entschied sich aber dann anders.

"Wir nehmen das ganze Zeug mit in die Stadt und tun's bei der Sparkasse in einen Tresor. Hier ist es mir ned sicher genug."

"Das ist der erste, gescheite Gedanke, den du seit Langem hast", kommentierte Irmgard kopfschüttelnd. Sie half ihrer Nichte, das Gold zu verpacken und ins Auto zu tragen. Als sie schließlich losfuhren, blickte sie immer wieder ängstlich zurück, ob ihnen nicht doch Räuber oder Schmuggler folgten, um sie zu berauben.

*

Toni fand die Arbeit auf dem Hof seines Onkels herrlich. Er musste zwar nicht weniger tun als daheim, hatte jedoch in dem jungen Knecht Jakob auf Anhieb einen Freund gefunden, mit dem er über alles reden konnte. Bei Martin Grünhofer traute er sich doch nicht so recht, da dieser doch eher eine Respektsperson für ihn war.

Obwohl Martin die Gehälter Linas und seiner Knechte auf deren Konten bei der Sparkasse überwies, zahlte er ihnen jeden Samstag eine gewisse Summe aus, damit sie nicht andauernd in die Stadt zur Bank mussten. An diesem Samstag reichte er auch Toni einige Scheine hin. Der nahm sie freudig entgegen und sah ihn mit einem bettelnden Dackelblick an.

"Was meinst du, Onkel. Kann ich heut mit dem Jackl zum Wirt gehen?"

"Ich bin doch ned dein Vormund", erwiderte Martin lachend. Er wusste, dass seine Schwester ihren Sohn bisher an der kurzen Leine gehalten hatte, und hielt es für einen Fehler. Toni sollte dieselben Erfahrungen und Fehler machen können wie jeder andere junge Bursche in dieser Gegend auch.

"Musst du denn ned übers Wochenend heim?", fragte Lina verwundert.

Toni schüttelte den Kopf. "Na, die Mama hat extra gesagt, dass ich dableiben kann. Sie will mich dafür am Sonntagnachmittag besuchen."

Martin wunderte sich darüber, sagte sich aber dann, dass Alma anscheinend doch erkannt hatte, dass sie Toni mehr Freiraum lassen musste.

Jakob zwinkerte Toni unterdessen grinsend zu. "Fangen wir erst einmal im ´Lamm` an. Später können wir ja noch in die Stadt fahren und uns dort eine Disco anschauen. Vielleicht geht da was."

"Du meinst mit den Madln?" Toni war so aufgeregt, dass er nichts mehr essen konnte. Er musste jedoch warten, bis auch Jakob seinen Teller zurückschob und aufstand.

"Gut hast du gekocht, Lina. Das hält für ein paar Maß Bier her", lobte der Knecht die alte Haushälterin und winkte dann Toni, ihm zu folgen. "Gehen wir. Ich hör schon das Rauschen, mit dem die Wirtsrosl das Bier einschenkt."

"Hoffentlich treiben's die zwei ned zu arg", sagte Lina kopfschüttelnd, als Jakob und Toni gegangen waren.

"Wenn der Toni zu viel trinkt, hat er morgen halt einen rechten Brummschädel", antwortete Simmerl lachend.

"Ich mein wegen den Weiberleuten, du Depp", fuhr ihn Lina an.

"Das muss der Toni auch lernen. In meiner Jugend war ich ned anders. Das gehört halt einmal dazu." Simmerl grinste dabei den Bauern an und begann dann seine Pfeife zu stopfen.

Toni und Jakob gingen derweil ins Dorf hinab und bogen schließlich in die Gastwirtschaft ein. Als sie die Tür öffneten, scholl ihnen bereits das Lachen vieler Leute entgegen.

"Das wird was werden mit der Bergschenke", rief ein junger Bursche aus. "Wenn die aufmacht, geh ich schon aus reiner Neugier hin."

"Was ist mit der Bergschenke, Franzl?", fragte Jakob verwundert.

Der andere drehte sich zu ihm um und deutete auf den freien Platz neben sich. "Hock dich her zu mir, Jackl. Du müsstest es eigentlich am besten wissen. Schließlich führt der Weg zur Bergschenke ja direkt an eurem Hof vorbei."

Jakob folgte der Aufforderung, sich zu setzen. Toni stand einen Moment unschlüssig neben ihm, bis die anderen Burschen auf der Bank zusammenrückten, damit auch er Platz bekam.

"Das ist übrigens der Firmbeck Toni aus Holzen, der Sohn von der Alma", klärte Jakob die anderen auf.

"Ich hab ihn die Woche schon bei euch auf dem Feld gesehen", sagte Franz und kam sofort wieder auf das Thema zu sprechen, das ihm auf dem Herzen lag.

"Sag schon, was sind das für Leute, die die Bergschenke gekauft haben?"

"Was weiß denn ich. Wir haben auf dem Grünhof was anderes zu tun, als nachzuschauen, wer alles bei uns vorbeifährt. He, Rosl, bring mir eine Halbe und dem Toni auch." Jakob winkte die Wirtstochter heran und wandte sich dann wieder seinen Freunden zu.

"Also, ich hab zwei Frauenzimmer gesehen, die mit ihrem Geländewagen alleweil bei uns vorbeifahren. Aber wer und was sie sind, davon hab ich keine Ahnung. Ich hör jetzt von dir zum ersten Mal, dass die Bergschenke wieder geöffnet wird."

"Leider", entfuhr es dem Lammwirt Georg Kress.

"Hast du etwa Angst wegen der Konkurrenz", verspottete ihn ein Bauer. "Du hättest ja die Bergschenke bloß selbst kaufen müssen."

"Das hätt ich ja gern", antwortete der Wirt mit schiefem Gesicht. "Aber sie hat halt einer anderen Brauerei gehört als der, die mir das Bier liefert. Die wollten der Konkurrenz ned noch mehr verdienen lassen."

"Da kann man nix machen. Aber ich glaub ned, dass du dich vor dem neuen Bergwirt oder einer Wirtin fürchten musst. Wer außer einem Wanderer, der zufällig dort vorbeikommt, geht fast eine Stunde bergan, bloß um eine Halbe Bier zu trinken", warf ein alter Mann vom Nebentisch ein.

"Recht hast du, Bergervater", stimmte ihm Franz eifrig zu und gab damit Jakob die Gelegenheit, ihn aufzuziehen.

"Eben hast du noch gesagt, dass du auf alle Fälle hinaufschaust."

"Ja, einmal zwengs der Neugier. Das war's aber dann auch schon", zog sich Franz geschickt aus der Klemme.

"Also, mich interessiert die Bergschenke auch", rief Toni mit leuchtenden Augen. "Meine Mutter hat mir da Sachen erzählt, sag ich euch. Das muss ja das reinste Verbrechernest gewesen sein. Lauter Wilderer und Schmuggler."

"Schmarrn", unterbrach ihn der Altbauer Leonhard Berger scharf. "Bloß wegen einem oder zwei Hirschen und ein paar Zigaretten, die man im Rucksack heimlich über die Grenze getragen hat, ist man noch lang kein Verbrecher."

Toni war ganz entsetzt über den bösen Blick, mit dem ihn der Bergervater dabei bedachte.

"Du darfst dir nix dabei denken, Toni. Der Berger Hartl ist in Tirol drüben wegen Schmuggels und Widerstand gegen die Staatsgewalt im Kerker gesessen", raunte Jakob seinem Freund leise zu. Es war nicht leise genug für die Ohren des Alten.

"Das Schmuggeln geb ich gern zu", antwortete er heftig. "Aber der Widerstand gegen die Staatsgewalt hat daraus bestanden, dass ich versucht hab, einen Gendarmen daran zu hindern, auf den Deissler Xare zu schießen. Es hat eh nix gebracht, weil ihn ein anderer Grenzer über den Haufen geknallt hat." Man sah Leonhard Berger an, dass er diesen Vorfall selbst nach fünfzig Jahren noch nicht vollständig überwunden hatte.

"Ihr sollt ja damals arg auf die Schnauze gefallen sein, weil der Deissler der Einzige gewesen sein soll, der das Versteck eures Schatzes gekannt hat", spottete einer der Bauern am Honoratiorentisch.

"Welchen Schatz?", fragte Toni verwundert.

"Na, das ganze Geld, das die Schmuggler verdient gehabt haben und das nach dem Tod vom Bergwirt verschwunden war", berichtete ihm Franz.

"Das Geld hat sich gewiss der Vetter vom Deissler unter den Nagel gerissen. Viel war's ja eh ned", erwiderte Leonhard Berger mit einer Miene, die genau das Gegenteil aussagte.

"Na ja, in der damaligen Zeit war's gewiss ein großer Verlust für euch", warf der Lammwirt ein und funkelte dann die jungen Burschen drohend an. "Dass ihr mir fei ja ned zu oft zur Bergschenke hochgeht. Sonst könnt ihr glatt euer Stammtischschild da abmachen." Er zeigte dabei auf ein hübsches, holzgeschnitztes Schild über dem Tisch, das eine fröhliche Runde mit erhobenen Maßkrügen zeigte.

"Es geht dir doch an die Nieren, dass die Bergschenke wieder aufmacht", spottete Jakob. Als wenn er sich jedoch für seine Worte entschuldigen wollte, bestellte er sich die nächste Halbe und auch gleich einen Wurstsalat dazu.

*

Obwohl Jakob und Toni spät aus dem "Lamm" heimgekommen waren, standen sie am nächsten Morgen rechtzeitig im Stall. Toni sah zwar recht übermüdet aus und hatte sicher ein Bier mehr getrunken, als er vertragen hatte. Er erledigte seine Arbeit jedoch tapfer und kam nach einer ausgiebigen kalten Dusche halbwegs frisch zum Frühstück. Der gerade überstandene Rausch hatte seinen Appetit nicht beeinträchtigt. Er trank mehrere Tassen Kaffee und aß ausgiebig, während Jakob lustlos an seinem Frühstücksbrot herumkaute.

"Irgendwie muss das letzte Bier schlecht gewesen sein", stöhnte er schließlich und schob den noch fast vollen Teller von sich weg.

"Ich glaub, es war weniger das Bier schlecht, als dir selbst", verspottete ihn Simmerl.

"Brauchst du ein Aspirin?" Lina wartete Jakobs Antwort ned ab, sondern schlurfte in die Küche, um eine Tablette zu holen.

"Das nächste Mal muss ich eine Halbe weniger saufen", erklärte Jakob einsichtig. "Aber es ist halt so lustig zugegangen. Wir haben nämlich den Wirt geärgert, weil doch die Bergschenke wieder aufmacht."

"Das passt mir wenig", warf Martin ärgerlich ein. "Das heißt, dass wieder ein Haufen Autos am Hof vorbeifahren, deren Fahrer ned unbedingt nüchtern sein werden."

"Ich glaub ned, dass es so schlimm wird", wandte Simmerl ein. "Wenn du dich erinnerst, war in den letzten Jahren, in denen die Bergschenke noch offen war, auch ned viel los."

"Da war aber auch der Wirt entsprechend. Aber bei einem neuen Wirt oder einer Wirtin sind die Leute neugierig und rennen hin." Martin erinnerte sich, immer nur Frauen oben gesehen zu haben. Er wollte schon sagen, dass die jungen Burschen auf alle Fälle einer jungen, hübschen Wirtin nachlaufen würden, kam aber nicht dazu, da das Telefon anschlug.

Lina ging an den Apparat, kam aber schnell wieder zurück. "Das war deine Mutter", sagte sie zu Toni. "Sie und dein Vater kommen nach dem Mittagessen von Holzen herüber."

Toni sah aus, als wüsste er nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. "Wenn wir dich stören, kann ich mit der Mama und dem Papa auch einen Spaziergang machen", sagte er zu Martin.

Dieser winkte mit einer nachlässigen Bewegung ab. "Jetzt mach mal halblang. Wie tät das aussehen, wenn ich meine Schwester und meinen Schwager ned in mein Haus ließ. Lina, richt ein Flascherl Wein und ein bisserl Gebäck her. Es tut uns auch einmal ganz gut, Besuch zu bekommen."

Toni blickte ihn dankbar an und fragte dann Jakob, ob sie zum Frühschoppen gehen sollten.

"Wenn, kannst du allein gehen. Mein Inwendiges verträgt heut noch kein Bier", antwortete Jakob kläglich. "Ich glaub, ich leg mich jetzt lieber noch eine Stund hin, damit ich beim Mittagessen wieder fit bin."

"Das ist wohl das Beste", riet ihm Simmerl. Toni überlegte, ob er auch noch einmal ins Bett gehen sollte. Er war jedoch nicht schlafensmüde genug. Außerdem brannten ihm einige Fragen wegen der Bergschenke auf der Zunge, die er unbedingt seinem Onkel stellen wollte.

Er bat Lina noch um eine Tasse Kaffee, weil die Kanne leer war, und wandte sich an Martin. "Weißt du eigentlich mehr über die Schmugglerbande aus der Bergschenke?"

"Dafür bin ich doch um fast drei Jahrzehnte zu jung, um das noch mitbekommen zu haben", antwortete Martin lachend. "Das Wenige, das ich weiß, hab ich vom Simmerl erfahren."

"Erzählst du es mir auch?", fragte Toni den Altknecht.

Simmerl klopfte seine Pfeife aus und starrte düster vor sich hin. "Mein Gott, was soll ich dir viel erzählen. Du tust ja fast so, als wenn bei den Schmugglern ein zweiter Jennerwein gewesen wär. Dabei waren es ganz einfache Burschen aus dem Dorf, die zuerst die Not, und schließlich der Gewinn dazu verleitet hat, zu schmuggeln."

"Ich hab gehört, dass der Boss der Banditen von den Grenzern erschossen worden sein soll?" Toni sah Simmerl bittend an, so dass dieser ihm schließlich die Geschichte von dem Bergwirt Xaver Deissler und dessen Kameraden erzählte.

"Auf alle Fälle hat man gesehen, dass unrecht Gut ned gedeiht", erklärte er zuletzt. "Der Deissler ist erschossen worden. Sein Vetter Konrad hat sich ein Jahr darauf mit dem Auto darennt und die Übrigen, die früher so gute Freund gewesen sind, waren einander hinterher spinnefeind."

Toni stellte noch einige Fragen, bis Lina hereinkam und die Männer hinausscheuchte, weil sie den Tisch für das Mittagessen decken müsse.

Martin machte jetzt einen Rundgang über den Hof, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Simmerl setzte sich derweil auf die Bank vor dem Haus und blickte zu den Bergen hoch, wo sich der Weg zur Bergschenke hinter einem Felsvorsprung verlor. Mit einem bitteren Geschmack im Mund erinnerte er sich daran, wie oft sein Vater, der Kleinhäusler Korbinian Zeilinger dort hinauf war, um sein Leben für einen Rucksack voller Zigaretten zu riskieren. Das Leben hatte es ihn schließlich nicht gekostet, doch er war als gebrochener Mann aus dem österreichischen Kerker zurückgekommen. Die Hoffnung, seinen Kindern ein besseres Leben bieten zu können, hatte sich brutal zerschlagen. Im Gegensatz zu Korbinian Zeilinger waren die beiden anderen Bandenmitglieder ledige, junge Burschen gewesen. Beide hatten später reich geheiratet und so in gewisser Weise ihr Glück gemacht.

"Träumst du, Simmerl?" Martins Stimme brachte den Knecht wieder in die Gegenwart zurück. Er schüttelte die trüben Gedanken ab und stand auf. Als er an seiner Pfeife zog, war diese kalt. Seufzend brannte er sie wieder an und folgte dem Bauern ins Haus. Toni hatte unterdessen Jakob geweckt. Der kurze Schlaf hatte dem jungen Knecht gutgetan, denn er sprühte förmlich vor Übermut. Er schlug Toni vor, noch am selben Nachmittag mit ihm zur Bergschenke hochzugehen und nachzuschauen, wer dort eingezogen war.

"Ich tät ja gern mitkommen, aber meine Eltern haben ihren Besuch angesagt", erwiderte Toni etwas kleinlaut.

"Die Bergschenke läuft euch gewiss ned fort", wandte Simmerl mit rauer Stimme ein. "Da könnt ihr auch ein anderes Mal hochgehen."