3Wa(h)re Gefühle

Authentizität im Konsumkapitalismus

Herausgegeben von Eva Illouz

Mit einem Vorwort von Axel Honneth

Aus dem Englischen von Michael Adrian

Suhrkamp

7Axel Honneth

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist das Produkt einer Gemeinschaftsarbeit, deren Initiatorin und Ideengeberin die Soziologin Eva Illouz gewesen ist; ihr war es im Laufe der letzten Jahre gelungen, einen Kreis von Studentinnen und Studenten der Hebrew University in Jerusalem für das Ziel zu begeistern, gemeinsam in Form von thematisch miteinander verknüpften Einzelstudien zu erkunden, wie unsere Gefühle und emotionalen Einstellungen heute durch das rapide Anwachsen der kapitalistischen Konsumsphäre geformt, verändert und sogar kommerzialisiert werden. Das ist als solches gewiss kein neues Thema für die mittlerweile weltweit hoch angesehene Soziologin; schon in älteren Studien hatte sie unter verschiedenen Aspekten die Frage verfolgt, welchen Einfluss der Kapitalismus in den letzten zweihundert Jahren auf die Formung unseres Gefühlslebens genommen hat.[1] Aber inzwischen hat Eva Illouz ihre Sichtweise noch um einiges radikalisiert: Sie glaubt nicht mehr nur, dass die kapitalistische Konsumsphäre die Emotionen der Gesellschaftsmitglieder bloß irgendwie »äußerlich« beeinflusst, indem sie diese an gesellschaftskonforme Ziele bindet; vielmehr ist sie heute überzeugt davon, dass unsere Gefühle unter dem wachsenden Druck der Verwertbarkeit allen Verhaltens selbst dabei sind, die Form von jederzeit einsatzfähigen Waren, von »Emodities«, wie sie sagt, anzunehmen. Diese, um es gelinde zu sagen, steile These bildet den provokativen Dreh- und Angelpunkt der hier versammelten Einzelstudien. In ihnen geht es an so unterschiedlichen Beispielen wie der Tourismusindustrie, der Werbung für kommerziellen Sex oder der Musikproduktion um nichts Geringeres als den Nachweis, dass wir auf dem besten Wege sind, unsere Fähigkeit zur Unterscheidung von tatsächlich empfundenen und instrumentell eingesetzten, also irgendwie simulierten Gefühlen zu verlieren.

8Eva Illouz ist sich des herausfordernden Gehalts dieser Mutmaßung vollends bewusst. In ihrer weit ausholenden Einleitung versucht sie, die These einer zunehmenden Kommodifizierung unserer Gefühle soziologisch zu belegen, in ihrem »Fazit« überlegt sie, welche Konsequenzen mit ihrer Diagnose für die normativen Ansprüche einer kritischen Gesellschaftstheorie verknüpft sein könnten. Die Schwelle zu einer Kommodifizierung unserer Emotionen war aus der Sicht der Autorin in dem historischen Augenblick überschritten, als die Gesellschaftsmitglieder begannen, ihr affektives Erleben dem Ziel der Erreichung von strategischen Vorteilen, sei es beruflicher oder privater Art, unterzuordnen. Dieser Umschwung, der sich Illouz zufolge in den 1960er Jahren ereignet hat, war dadurch gekennzeichnet, dass man nicht mehr nur gelegentlich den emotionalen Skripten der Werbeindustrie folgte, um in bestimmten Zusammenhängen die darin feilgebotenen Stimmungen an sich selber erleben oder strategisch verwenden zu können; vielmehr verlor man zusehends die Kontrolle darüber, welche Gefühle nun »eigentlich« die eigenen und welche bloß simuliert sind. Im Gefolge dieses tiefgreifenden Wandels werden unsere Gefühle zunehmend selbst, so die starke These, zu »Waren«, strenggenommen also zu Gütern, die auf verschiedenen Märkten zum Zweck der Erzielung von beliebigen Gewinnen eingesetzt werden können. Es ist, so gesehen, heute nicht mehr nur unsere Arbeitskraft, die wir auf dem Markt zum Verkauf anzubieten vermögen, sondern es sind von nun an auch unsere Gefühle, mit denen wir mehr oder weniger profitable Geschäfte treiben können. Allerdings wären Illouz zufolge die Subjekte alleine, je für sich, nicht dazu in der Lage, ihre emotionalen Befindlichkeiten stets auf die Eigenschaften hin zu trimmen, die sie zu geeigneten Gütern in solchen Tauschgeschäften machen würden; in der Aufgabe, ihnen bei dieser Zurichtung zu helfen, erblickt Illouz vielmehr das Geschäftsmodell jenes wachsenden Industriezweiges, der unentwegt damit beschäftigt ist, den Konsumentinnen und Konsumenten vorgestanzte Stimuli zur gezielten Verfertigung und Formung ihrer Gefühle zu liefern. In dem panoramatischen Überblick, den die hier versammelten Studien über die Wirkungsweise dieser mit der Produktion von Gefühlsschablonen befassten Unternehmen bieten, besteht ganz ohne Frage eine der herausragenden Leistungen des Bandes.

Hilfreich sind bei der Lektüre dieser empirischen Einzelstudi9en sicherlich die Unterscheidungen, die Eva Illouz an der breiten Palette solcher Unternehmen vornimmt. Nach ihrer Auffassung lassen sich die Industriezweige, die heute auf die Herstellung von solchen normierten Gefühlsstimuli spezialisiert sind, unter dem Gesichtspunkt differenzieren, ob die produzierten Schablonen eher dem Erlebnis der emotionalen Befreiung vom Alltag, der Erfahrung von persönlicher Nähe und Intimität oder schließlich dem Verspüren von affektiver Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung dienen sollen. Für den ersten Sektor stehen in diesem Band stellvertretend etwa die Tourismusbranche, das Kino oder neue Trends in der Sexindustrie, für den zweiten Sektor die auf Geschenkartikel spezialisierten Unternehmungen und für den letzten Sektor die organisierte Psychotherapie und die pharmazeutische Industrie. In den Ausführungen, die diesen industriellen Agenturen gewidmet sind, kommt allerdings eine Ambivalenz in der Schlüsselthese zum Tragen, die den ganzen Band untergründig durchzieht. Einerseits scheint hier die bereits aus dem »Kulturindustrie«-Kapitel der Dialektik der Aufklärung bekannte Beobachtung aufgegriffen und radikalisiert zu werden, dass es einer Reihe von den im Konsumsektor tätigen Konzernen inzwischen gelingt, ihre »Waren«, also jene vorgefertigten Gefühlsschablonen, erfolgreich zu verkaufen und dadurch Einfluss auf unsere Bedürfnisbildung und die Formung unseres emotionalen Erlebens zu nehmen – nur eben in weit größerem Umfang und mit wirksameren Methoden als noch zu den Zeiten Adornos und Horkheimers, so dass wir heute selbst mit Bezug auf unsere Empfindungen und Gefühle das kapitalistische Prinzip der optimalen Verwertbarkeit aller verfügbaren Ressourcen verinnerlicht zu haben scheinen. Andererseits soll die Darstellung der erfolgreichen Strategien jener Unternehmen aber doch etwas viel stärkeres, weitaus Umstürzlerisches belegen als den Tatbestand, dass das individuelle Gefühlsleben in einem vorher nicht vorstellbaren Umfang sozial in Regie genommen wird. Die radikale Lesart der These lautet nämlich, dass die Individuen sich die dargebotenen Stimuli aktiv zu eigen machen, um mit ihrer Hilfe ihre Emotionen in warenförmige Größen zu verwandeln, die zu unterschiedlichen, rational kalkulierten Zwecken der Vorteilsgewinnung zu verwenden sind. Im ersten Fall sind die vorgestanzten Gefühlsstimuli die »Waren«, die von den Subjekten mal mehr, mal weniger konsumiert werden, im zweiten, viel brisanteren Fall aber 10sind unsere Gefühle selbst zu Waren geworden, die wir aktiv zu Markte tragen.

In ihrem »Fazit«, in dem sie aus den Ergebnissen der Untersuchung Schlüsse in Hinblick auf die Zukunft einer kritischen Gesellschaftstheorie zieht, lässt Eva Illouz keine Zweifel daran aufkommen, dass sie die zugrunde gelegte These in dem zweiten, stärkeren Sinn verstanden wissen möchte. Die Beibehaltung einer kritischen Perspektive ist in ihren Augen heute deswegen so schwierig, weil die Wünsche und Empfindungen der Subjekte inzwischen von diesen selbst beinah nur noch als Mittel zur individuellen Gewinnmaximierung eingesetzt werden, so dass sie als »unschuldige« Instanzen der Rechtfertigung von missbilligender Wertung oder kritischem Einspruch nicht länger dienen können. Wenn es keine »wahren« Gefühle oder »authentischen« Empfindungen mehr gibt, weil diese mittlerweile ihrerseits zu »Waren« geworden sind, so ist damit augenscheinlich die letzte Bastion gefallen, auf die die Kritik sich innerhalb der existierenden Gesellschaft noch stützen konnte, um ihren Einwänden und Attacken internen Halt zu verleihen. Auf die selbstgestellte Frage, wie unter solchen Umständen eine kritische Gesellschaftstheorie noch möglich sein soll, antwortet Eva Illouz mit der Idee einer »postnormativen« Kritik; aller immanenten, von den Beteiligten selbst artikulierten Maßstäbe der Hinterfragung sozialer Praktiken verlustig gegangen, hätte diese veränderte Form der Kritik die Flucht nach vorne anzutreten, indem sie so beunruhigende, verstörende Neubeschreibungen der sozialen Realität liefert, dass damit unter den Betroffenen ein Funken der Empörung und des Aufbegehrens entfacht wird. Die Kritik sollte sich mithin zukünftig, so will Illouz sagen, stärker auf ihre performativen als auf ihre normativ-begründenden Möglichkeiten besinnen; anstatt zum Zweck ihrer immanenten Rechtfertigung vergeblich nach Zeichen des Widerstands und der Opposition in der gesellschaftlichen Realität zu suchen, sollte sie einen solchen Widerstandsgeist durch den geschickten Einsatz rhetorischer Mittel erst zu erzeugen versuchen.

Nun ist natürlich – wie auch Eva Illouz weiß – weder die Vorstellung neu, die kapitalistische Gesellschaft sei inzwischen ein geschlossenes System geworden, noch der Vorschlag, darauf mit Strategien der einstellungsverändernden Neubeschreibung zu reagieren. Die Annahme, wir lebten in einem totalen »Verblendungszusammenhang«, findet sich bereits bei Adorno, Horkheimer und Mar11cuse; und die therapeutische Empfehlung, dem mit rhetorischen Mitteln der verblüffenden Entzauberung zu begegnen, glaubt man in der Nachfolge von Nietzsche schon bei Foucault und denen, die in seiner Tradition stehen, gelesen zu haben. Allerdings tritt beides hier in einem vollkommen neuen Gewand auf: Die Behauptung einer Totalintegration kapitalistischer Gesellschaften wird mit Hilfe einer soziologischen Analyse der Wandlung unserer gesamten Gefühlskultur begründet, und die rhetorischen Mittel der schockartigen Beunruhigung über die gewandelten Zustände scheinen eher dem Arsenal von Schauerromanen – und nicht der Genealogie Nietzsches – entnommen. Überhaupt hat man, legt man nach der Lektüre die Studie aus der Hand, das unangenehme Gefühl, hier seien nun für die Schreckensbilder eines Michel Houellebecq am Ende doch schon die empirischen Belege aufgespürt worden – überall, wohin man auch schaut, scheinen nur noch Subjekte zu existieren, die, angetrieben durch die Vergnügungsindustrie, in sich allein noch Regungen und Emotionen kennen, die ihrem persönlichen Fortkommen in irgendeiner Weise zugutekommen. Vielleicht wird sich daher dieses Buch in Zukunft auch exakt an diesem Kriterium messen lassen müssen: ob sich darin genügend soziologisch stichhaltige Beweise versammelt finden, die uns tatsächlich überzeugt sein lassen, dass wir bereits jetzt in der grausigen Welt des Michel Houellebecq leben.