ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 12:

Hidden Moon

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

 

HIDDEN MOON 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 13: DIE ZWEITE WIRKLICHKEIT 

von Adrian Doyle & Timothy Stahl 

 

Glossar 

 

Das Buch

 

Er war ein Vampir. Eigentlich hätte Lilith Eden sein Genick brechen und sein Blut trinken müssen, wollte sie ihrer Aufgabe gerecht werden.

Doch Hidden Moon ließ sie ihre Pflicht vergessen. Er war anders. Mit der Natur im Einklang. Ein Adler war sein Totemtier, das ihn befähigte, die Macht des Bösen zu überwinden. So hatte er sogar der Seuche getrotzt, die über die Vampire gekommen war und sie bis auf wenige ausgerottet hatte. Diese wenigen zu vernichten war Liliths Bestimmung. Und Hidden Moon entschloss sich, sie dabei zu unterstützen, nicht ahnend, dass sie dadurch beide ins Verderben gerissen werden sollten.

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

Alle Vampiroberhäupter rund um den Globus werden von einer schrecklichen Seuche befallen, die sie auf ihre Sippen übertragen. Die infizierten Vampire – bis auf die Anführer selbst – können ihren Durst nach Blut nicht mehr stillen und altern rapide. Gleichzeitig wird in einem Kloster in Maine, USA, ein Knabe geboren, der sich der Kraft und Erfahrung der todgeweihten Vampire bedient, um schnell heranzuwachsen.

Die Epidemie macht auch vor dem Häuptling eines Stammes von Vampir-Indianern nicht halt, die sich vom Bösen abgewandt haben, indem sie geistigen Kontakt zu ihren Totemtieren, der Adlern, halten. Makootemane kämpft mit dem Traumbild der Seuche – einem Purpurdrachen – und drängt sie zurück.

Sowohl die Seuche als auch die Geburt des Kindes erschüttern das Weltgefüge auf einer spirituellen Ebene. Rund um den Erdball reagieren para-sensible Menschen, träumen von unerklärlichen Dingen und möglichen Zukünften. Die »Illuminati«, ein Geheimbund in Diensten des Vatikans, rekrutiert diese Träumer.

Als das Kind die Kraft in Lilith erkennt, bringt es sie in seine Gewalt und seine Träume. Doch Rafael Baldacci, ein Gesandter von Illuminati, rettet sie aus einer Traumwelt, in der die Vampire die Erde beherrschen, indem er sein Leben für sie opfert.

Baldacci ist der Sohn Salvats, der Illuminati vorsteht. Die Ziele des Ordens sind mysteriös, scheinen aber eng an ein Tor gebunden, das er in einem unzugänglichen Kloster nahe Rom bewacht. Lilith hört zum ersten Mal von jenem Tor, als sie auf einen Vampir in der Kutte eines Mönchs trifft, der vor gut 500 Jahren dem Illuminati-Orden angehörte. Eines Tages wurde er von jenseits des Tores in Bann geschlagen. Zwar konnte er die Pforte nicht öffnen, lebte fortan aber als Vampir weiter.

Und noch jemand wird auf das Tor – und die Mächte dahinter – aufmerksam: Gabriel, das Kind, dessen Kraft mit jeder Seele wächst, die es sich einverleibt. Mittlerweile zum Neunjährigen herangewachsen, sucht Gabriel das Kloster auf und erkundet die Lage. Gleichzeitig ruft er Landru herbei, dessen Kraft er sich einverleiben will, bevor er das Tor öffnet...

In der Zwischenzeit führt die Seuche einen zweiten Schlag gegen den Stamm der Vampir-Indianer. Hidden Moon, Makootemanes Schüler, macht sich auf, um die ebenfalls gute Halbvampirin Lilith Eden um Hilfe zu bitten – und rettet sie mit indianischer Magie aus den Klauen eines Dämons. Zum Dank steht sie dem Stamm der Arapaho gegen die Seuche bei, die jedoch alle Adler tötet. So zerstreut sich der Stamm auf der Suche nach neuen Totemtieren, und Hidden Moon (dessen indianischer Name Wyando lautet) schließt sich Lilith an...

HIDDEN MOON

 

 

 

OSCEOLA steht auf dem Schild vor der kleinen Stadt. 

»Hier ist es«, sagt der Mann, der den Wagen fährt. »Wie geht es dir?«

Der Mann ist groß. Er ist attraktiv – und ein Vampir...

...den ich töten müsste, denkt Lilith. Sie antwortet nicht. Sie kauert auf dem Beifahrersitz. Ihr schwammig pochendes Herz treibt steifes Blut und unsägliche Gedanken durch ihr Gehirn. Wirre Schatten von Gedanken, die noch einmal dorthin zurückdriften, wo es begonnen hat. 

Das Chaos der Gefühle...

 

Vergangenheit, 26. März 1997

Oberer Missourilauf, South Dakota

Im Licht des schwindenden Tages wirkte das Dorf der Unsterblichen fast unwirklicher als während der Schlacht, die gegen den göttlichen Drachen geführt worden war. Gegen das, dachte Lilith tief erschüttert, was ich von »drüben« mitgebracht habe. 

Drüben. Vom Anfang der Zeit.

Vom Anfang der Schöpfung...

Ihr schauderte. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, welche Lawine sie ins Rollen gebracht hatte. Welches gigantische Sterben.

Die Folgen ihres Aufbruchs in die Vergangenheit waren zu groß, zu gewaltig. Selbst in der verschwommenen Erinnerung mutierten die Erlebnisse im und am Ende des Zeitkorridors bei Uruk zu etwas, das im Rückblick völlig unbegreiflich war. 

Ihre Begegnung mit dem Geschöpf, auf das nicht nur die Vampire, sondern auch sie selbst zurückgingen...

Flammen knisterten. Brandgeruch stieg ihr in die Nase.

Suchend sah sie sich nach Wyando um. Der Arapaho-Vampir hatte ihr zweimal das Leben gerettet – und damit bewiesen, dass er ihr Feind nicht sein konnte.

Trotz der Farbe seines Blutes. Trotz des unheiligen Durstes, der ihn nicht von den Begierden anderer Kelchkinder unterschied. 

Lilith wusste immer noch wenig von ihm. Und selbst dieses Wenige war voller Widersprüche. Vorhin hatte er sie töten wollen – nachdem sie seinen gefiederten Begleiter getötet hatte.

Creeaa!

Sie erinnerte sich genau an den Namen, den sie in der Seele des Adlers gelesen hatte, während sie ihn auf die dornenartigen Klauen ihrer Bestiengestalt gespießt hatte.

Bestiengestalt? Sie schüttelte sich.

Was war das für ein Leben, das sie führte? Sie jagte Ungeheuer und war selbst eines! Das Erbe ihrer biologischen Mutter war immer noch bestimmend. Die Vampirin Creanna hatte sie einst im Auftrag der Ur-Lilith gezeugt. Ohne Lilienkelch. Creanna war eine verbotene Verbindung mit dem sterblichen Menschen Sean Lancaster eingegangen – und hatte das Unmögliche wahrgemacht: ein lebendes Kind geboren. Lilith...

»O Gott...«, rann es über ihre Lippen.

Früher wäre bereits dies ein Unding gewesen. Früher hätte sie nicht im Traum daran gedacht, Gott anzurufen! 

Und heute?

Langsam wanderte sie über den Platz zwischen den verbrannten Holzgerüsten, um die sich ein paar Stunden zuvor noch Büffelhäute gespannt und in denen Vampire gehaust hatten. Seit drei Jahrhunderten.

Indianer vom Stamm der Arapaho, die Ende des 17. Jahrhunderts vom damaligen Kelchhüter Landru besucht und dazu auserkoren wurden, die Kelchtaufe zu erhalten. Vierzehn von ihnen.

Makootemane, damals noch ein neunjähriger Knabe, hatte den Stamm in Sterbliche und Unsterbliche geteilt.

Die erwachsenen Arapaho waren ungetauft geblieben, und die Stärksten von ihnen durften am Leben bleiben, um die heranwachsenden, anfangs noch kindlichen Vampire mit ihrem Blut zu nähren. Später hatten diese menschgebliebenen Arapaho die Stadt New Jericho innerhalb der Grenzen ihrer traditionellen Jagdgründe erbaut.

Und die Kelchkinder...

... hatten den ungewöhnlichsten Weg überhaupt beschritten, von dem Lilith bis zu diesem Tage gehört hatte. Sie hatten sich – nicht von heute auf morgen, aber doch beständig – dem Zwang, böse zu sein und Böses zu tun, entsagt! Sie hatten der »Programmierung«, die der Lilienkelch als etwas Absolutes in sie gepflanzt hatte, widersprochen. 

Geholfen hatten ihnen dabei ihre Adler. Die Totemtiere der Hitanivo'iv, der »Wolkenmänner«, wie die Arapaho von den befreundeten Cheyenne seit jeher genannt wurden. Über die reinen Tierseelen der gefiederten Partner hatten die Arapaho wieder zu sich selbst zurückgefunden... 

So jedenfalls hatte Wyando es ihr damals im Beisein Nonas erklärt. Beide waren Lilith nach Bangor, Maine, gefolgt, um sie für das Sterben der Vampir-Sippen zur Verantwortung zu ziehen. Doch bei dieser Konfrontation hatte Wyando sich als schlechter Verbündeter der Werwölfin erwiesen1 – zu Liliths Glück... 

Sie wusste nicht, wie es gekommen war, dass Wyando und sie zueinander gefunden hatten. Aber vor einer Stunde, kurz bevor er und seine überlebenden Geschwister selbst ihre Tipis in Brand gesetzt hatten, waren ihre Lippen miteinander verschmolzen und hatten sich einander zugehörig gefühlt.

Sie beide – Lilith war überzeugt gewesen, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.

Aber Wyando war ohne ein erklärendes Wort verschwunden. Sie hatte gesehen, wie er sich an die Fersen seiner Brüder und Schwestern geheftet hatte, die dem brennenden Dorf den Rücken kehrten. Wie schon einmal, beim ersten Auftauchen des Drachen, wollten sie sich in alle Winde zerstreuen. Wollten versuchen, Frieden mit sich selbst und der Welt zu machen, die nur Legenden von ihnen und ihresgleichen kannte...

Aber bisher war Wyando nicht zurückgekehrt.

Hidden Moon.

Im Moment einer totalen Mond-Eklipse mit Makootemanes Blut getauft, schien er schon immer eine Außenseiterstellung innerhalb des Stammes innegehabt zu haben. Makootemane, der Häuptling, war sein Freund und Förderer gewesen.

Gewesen.

Makootemane war tot. Nicht als einziger. Unsterbliche waren gestorben...

Lilith wusste, dass es die Unsterblichkeit des Körpers nicht gab, höchstens die menschlicher Seelen.

Und vampirischer Seelen?

Hatten Vampire überhaupt noch eine Seele? War sie bei ihrer unheiligen Taufe nicht im Bodensatz des Lilienkelchs zurückgeblieben? So hatte es immer ausgesehen. Und so hätte es auch bei den »unsterblichen« Arapaho sein müssen.

Besaß Wyando demnach keine Seele mehr? War er des wertvollsten Guts beraubt, das man sich überhaupt vorstellen konnte?

Lilith schüttelte den Kopf. Sie wollte es nicht glauben, nicht wahrhaben. Ein entseeltes Wesen konnte nicht... küssen, wie Hidden Moon es getan hatte. Er konnte sie nicht mit diesem Ausdruck in den nachtschwarzen Augen ansehen... 

Fröstelnd befahl sie ihrem Mimikrykleid, mehr Fläche ihrer Haut zu bedecken. Der Symbiont gehorchte, aber als Lohn seines Gehorsams nahm er sich ein wenig von ihrem Blut.

Lilith wehrte sich nicht dagegen, denn es war rechtens. Sie hatten einen Pakt geschlossen. So wie das Blut, das sie nährte, die Farbe gewechselt hatte, verhielt es sich auch bei dem Fragment des Symbionten, den sie einst von Creanna erhalten hatte. Dieses lebendige und beliebig wandelbare Kleidungsstück brauchte von Zeit zu Zeit menschliches Blut, um den Funken, der in ihm wohnte, am Glimmen zu halten. Und Liliths Körpersäfte waren rot – dunkelrot. Offenbar genügte dem Symbionten die darin enthaltene menschliche Komponente... 

Sie lief ein Stück weit in die Richtung, in der Wyando verschwunden war, ohne eine Spur von ihm oder anderen Arapaho zu finden.

Komm zurück, dachte sie. So darfst du nicht gehen. 

Zweifel erwachten. Von Minute zu Minute versuchten sie sich lauter Gehör in ihr zu verschaffen.

Du kannst keine Beziehung zu einem Vampir eingehen! Du weißt nicht, was du tust! Aber vielleicht weiß er es – und hat die Konsequenz daraus gezogen, ist deshalb fortgegangen. Du hast den Mann getötet, der ihm wie ein Vater war! Und auch seinen Adler hast du umgebracht! Warum sollte er zu dieser Mörderin zurückkehren? Außer... um sie zu bestrafen...? 

Lilith ballte die Hände zu Fäusten. Weil es in Notwehr geschah, dachte sie. Und weil er das weiß, denn er war schließlich dabei! 

Aber wer wusste schon sicher, was in einem anderen vorging? Welche Motive ihn lenkten?

Das Hochgefühl, das Wyandos Zärtlichkeit vorübergehend in ihr ausgelöst hatte, war verschwunden. Liliths Augen forschten erfolglos in den Schatten unter den Zederbäumen nach seinem Verbleib.

Wyando blieb verschwunden.

Stundenlang harrte Lilith zwischen den erkaltenden Resten des Dorfes aus. Stundenlang... aber nicht ewig.

 

 

27. März, New Jericho

Motel LAKE SUPERIOR

Im ersten Morgengrauen hatte es begonnen.

Mit Schweißausbrüchen und Fieber. Eine zehrende, widernatürliche Hitze nahm Besitz von Lilith, und mittlerweile ahnte sie, worum es sich handelte.

Um ihre verdiente Strafe.

ER – oder das Programm, das SEIN WILLE in ihren Genen, in den unauslotbaren Tiefen ihres Bewusstseins verankert hatte – reagierte schnell.

Sie litt wie ein Hund. Wimmernd lag sie auf dem Boden des Zimmers, krümmte und wand sich.

Einmal hatte ihr jemand von einem Superhelden erzählt, der kläglich zugrunde ging und seine Macht verlor, sobald er einem Erz namens Kryptonit zu nahe kam. Dieses Kryptonit – oder Schlimmeres – steckte wie ein Splitter in ihrem Herzen und strahlte Entsetzliches in die fernsten Winkel ihres Körpers aus!

Gütiger Himmel, sie kam sich vor wie ein Junkie! Und sie wusste genau, welche »Droge« ihr fehlte...

Plötzlich erstarrte sie.

Ein Gefühl, als würde all die peinigende Hitze schlagartig ins Gegenteil umschlagen, lähmte sie sekundenlang. Aus ihrem Mund troff zäher Speichel, und der Mund selbst hatte sich verändert.

Alles veränderte sich. Nicht nur ihr Körper, auch ihre Gesinnung...

Katzenhaft kam Lilith auf die Beine. Tief in ihr brannten die frostigen Feuer noch immer, aber jetzt war es, als würden Mauern sie abschirmen. Stählerne hohe Wände. Es war noch da – aber es war fern und eingedämmt und deshalb erträglich...

Sie huschte zur Tür.

Jemand hatte ihr berichtet, dass Nona in diesem Haus gewohnt – und gemordet hatte. Nona hatte ihrem Fluch nachgegeben – und ihren Drang befriedigt. Den Wolf von der geistigen Kette gelassen, der zu jedem vollen Mond in ihr wütete und sein Recht forderte...

Im Grunde war Landrus Geliebte nichts anderes als eine Kannibalin. Weniger als nach dem Blut ihrer Opfer verlangte es ihr nach deren Fleisch.

Wie damals Konrad, dachte Lilith.

(Konrad?)

Vergessenes und Verschüttetes schraubte sich an die Oberfläche ihres Verstands, der mehr denn je einem stürmischen Ozean glich.

Die Erde war eine Scheibe, keine Kugel! Wer hätte sich je etwas so Absurderes wie eine Kugel ausdenken können?

Lilith spürte, wie sie auf den Rand der Scheibe zugetragen wurde. Eine Strömung, stärker als sie, hatte sie erfasst und gab die Richtung vor…

Sie erreichte die Tür. Öffnete sie.

Stille.

Lüge!

Ohrenbetäubender Lärm begleitete jeden ihrer Schritte. Lärm, der in ihr tobte. Und den keine noch so dicke Mauer dämpfen konnte (wie das eisige Feuer).

Sie huschte über den Gang.

Vielleicht war sie nackt. Vielleicht weigerte sich das Ding an ihrem Körper, dem Ding, in das sie sich verwandelt hatte, zu gehorchen – und zu dienen. Es war bedeutungslos. Das Ding konnte ihr nicht geben, wonach ihr verlangte.

Vielleicht vermochten andere es. Andere, deren Blut warm und beseelt – aber VERBOTEN war...!

Ein Geräusch ließ Lilith erstarren.

Es war der Atem eines Menschen. Eines anderen Gastes in diesem durch Nonas Morde in Verruf geratenen Haus.