Buchcover

Lise Gast

Mit Büchern unterwegs

Saga

»Und was haben Sie für den Herbst vor?«

»Im Herbst«, pflegte mein vielbewunderter Freund Münchhausen – der Balladendichter, nicht der auf der Kanonenkugel – auf diese Frage zum Ärger seiner Frau zu antworten: »Im Herbst lasse ich mich für Geld sehen.«

Damit meinte er: Ich gehe zu Lesungen auf Tournee.

Lesungen, Dichterlesungen, damals schon und heute noch immer oder wieder. Auch wer sich nicht zu den ›Dichtern‹ zählt, sondern nur zu der bescheidenen Gilde der Schriftsteller, auch Schreiberlinge genannt, wird dazu aufgefordert; von Schulen, Volkshochschulen, von Pfarrern, Jugendpflegern, ländlichen Hausfrauenverbänden. Von Büchereien, Altersheimen, Kindergärten, von der Nachbarschaftshilfe, dem Diakoniewerk, – ja sogar Strafanstalten bitten einen mitunter, zu kommen und vorzulesen. Und da die Jugendbuchwoche im Herbst stattfindet, könnte auch ich sagen: »Im Herbst lasse ich mich für Geld sehen.«

Hier möchte ich jedoch gleich betonen: Es ist nicht das Geld, das mich lockt, immer wieder mein Bündel – das heißt, meinen Bücherpack – zu schnüren, sondern der Kontakt mit dem Leser. Ich wohne auf dem Land, also hinterm Mond und muß deshalb immer wieder ausprobieren, was in meinen Büchern den Leser anspricht, auf welche Stellen er reagiert, was ihm diese Bücher lieb macht. Deshalb nehme ich alle Strapazen, die mit solch einer Reise verbunden sind, immer wieder auf mich und sage »Ja«, wenn man mich bittet. Je ferner der Termin, desto eher bin ich bereit, zuzusagen: denn ich bin keineswegs eine Reisende aus Leidenschaft, sondern am allerliebsten zu Hause. Aber um der guten Sache willen...

Das muß sich inzwischen herumgesprochen haben; denn seit einigen Jahren werde ich schon Monate vorher, fast immer telefonisch, um meine Zustimmung gebeten, und meist sage ich dann: »Jaja, bis dahin – aber rufen Sie mich bitte am Tag davor nochmal an, damit ich es nicht vergesse.« Ich notiere den Termin und gehe zur Tagesordnung über, denke im Stillen: »Bis dahin – na ja.« Wenn es dann soweit ist, paßt es mir meist überhaupt nicht in den Kram, aber zu seinem Wort muß man ja stehen.

Ich spreche hier nur von mir. Sicherlich gibt es Autoren, für die solche Reisen mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden sind, sie freuen sich sogar darauf. Wahrscheinlich haben sie nicht so viel um die Ohren wie ich, leben in der Stadt oder besitzen zum mindesten zivile Kleidung.

Ich hab nichts anzuziehen

Ja, damit fängt es an. Mit diesem fürchterlichen, sich stets wiederholenden: »Was ziehe ich an?«

Zu Hause laufen wir in Jeans oder Reithosen herum, im Sommer barfuß, im Winter in Gummistiefeln. Dazu tragen wir die ältesten Pullis oder Blusen. Das ist kein Tick oder Arme-Leute-Look. Aber steigen Sie mal pausenlos über Zäune, schieben Mistkarren oder fangen ausgerissene Pferde ein – in anständiger Kleidung! Dann werden Sie bald auf unsere Masche kommen. Aus der Notwendigkeit wird es in Jahrzehnten zur Gewohnheit, so herumzulaufen. In unserer Einsamkeit sieht es ja keiner, auch im Auto nicht, das uns seit ein paar Jahren das Leben erleichtert. Und in den Läden der Kleinstadt, in denen wir das Nötigste kaufen, kennt man uns ja. Eleganz ist also nicht erforderlich und daher nicht vorhanden. Ich weiß, Kollegen, vor allem aber Kolleginnen, sind mir da weit überlegen. Einmal hörte ich die Lesung einer mir sehr lieben Landsmännin, Schlesierin, mit an. Ich möchte ja immer gern wissen, wie es die andern machen. Sie trug ein weißes Kostüm, Ohrringe, Ketten, sah schnucklich und mindestens zwanzig Jahre jünger aus als ich – sie ist auch jünger – und begeisterte mich. Ihr Kostüm ließ mich nicht schlafen. Aber – weiß? Weiß macht dick. Leider bin ich nicht schlank. Also ähnlich, vielleicht mattblau? In einer Frauenzeitschrift, die ich in der Vorhölle – für mich das Wartezimmer des Zahnarztes – durchblätterte, sah ich ein schickes Kostüm im Safaristil. Mein Entschluß war gefaßt. Ich kaufte mattblauen Stoff (Blau? Zu Safari? Schon das war falsch!) und ließ es mir von der Schneiderin einer meiner Töchter nähen. Das heißt, diese versprach es, und ich glaubte ihr, ungewohnt, mit solchen Damen umzugehen. So oft ich aber hinkam – sechzehn Kilometer entfernt! –, hatte sie noch keine Zeit dafür gefunden. Ein Jahr später war es endlich fertig. Meine Enttäuschung war groß. Es knitterte und sah nach der ersten Lesung aus wie alt gekauft. Ich ließ es, heimgekehrt, reinigen und schenkte es meiner Schwiegertochter.

Wie es die anderen fertigbringen, auf einer Tournee nach der vierzehnten Lesung noch auszusehen wie frisch aus dem Modeblatt geschnitten, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Zu jeder Gewandung tragen sie richtige Schuhe, haben hübsche Mäntel, knitterfreie Halstücher und entzückende Hütchen. Bei mir wirkt jeder Hut wie ein Scherzartikel, Schuhe besitze ich ein einziges Paar ›gute‹, und ein Halstuch, einmal umgeknüpft, sieht aus wie das, mit dem ich den Pferden daheim, wenn nötig, die Augen auswische oder es als Halsband für die Hündin verwende.

Einmal hatte ich eine Haustochter, die kümmerte sich um mein Aussehen, ehe ich losfuhr. Sie suchte mir den Pulli aus, wusch ihn und erlaubte nicht, daß ich zwei verschiedene Handschuhe mitnahm, weil ich in der Eile – wir sind immer in Eile – kein komplettes Paar fand. Sie putzte mir die Schuhe, frisierte mich, bürstete mich ab. Sogar schminken mußte ich mich unter ihrer Aufsicht.

»Nein, weniger, ganz dezent nur. Die Lippen noch etwas – haben Sie sich die Hände gewaschen?«

Natürlich habe ich. Aber ebenso natürlich habe ich inzwischen schon wieder Hunde, Kater, Pferdehufe oder Heugabeln angefaßt, im Vorbeirennen. Wir rennen immer. Also nochmal Hände waschen. »Es wird zu spät!«

Meist wird es wirklich sehr spät. Einmal fuhr sie mit mir nach Stuttgart, per Anhalter. Wir fuhren damals alle noch auf diese billige, wenn auch mühsame Art. Sie hatte mich einigermaßen zurechtgedonnert, sich auch, unter anderem trug sie Pumps. Mit denen konnte sie nicht oder doch nur schlecht laufen. Normalerweise kommen wir bis Stuttgart mit einem Wagen. Damals stotterten wir die Strecke mit dreien ab. Dazwischen liefen wir, sie litt, ich mit ihr. Im Auto wurde ihr schlecht – am Abend zuvor hatten wir die unvermutete Schwangerschaft einer Stute gefeiert und begossen. Zum Glück hatte sie eine Plastiktüte mit. Die gutherzigen Autofahrer, die sich unserer erbarmten, hielten uns für Mutter und Tochter. Mitleidig sahen sie in Karins blasses Gesichtchen.

»Sie erwartet kein Kind«, beteuerte ich immer wieder, obwohl das den Autofahrern ja eigentlich gleichgültig sein konnte. Mit Müh und Not erreichten wir den Hof, sprich das Gustav-Siegle-Haus, wo ich vor Jungbuchhändlern lesen sollte, mit Dia- und Filmvorführung. Nun aber wollte der Filmprojektor nicht so, wie wir wollten. Die jungen Leute halfen mir fröhlich, ihn zur Raison zu bringen. Das dauerte bis neun, um acht hätte die Lesung beginnen sollen. Hinterher hielt der damalige Betreuer dieser Jugend eine reizende Dankesrede und meinte, seine jungen Freunde wären sicherlich damit einverstanden, wenn sie ihren diesjährigen Betriebsausflug nicht, wie bisher geplant, in die Reutlinger Bärenhöhle, sondern lieber zu uns auf den Ponyhof machten, alle vierzig Mann. Ob es mir nächste Woche paßte.

Nun wird jeder vernünftige Mensch unserer Zeit sagen: Es gibt doch Möglichkeiten, auch unterwegs gepflegt auszusehen. Knitterfreie Pullis, bunt, damit man nicht jeden Fleck sieht, eine hübsche Halskette, lange Hosen möglichst aus einem Stoff, der nicht sofort Kummerfalten macht und unter denen die Mehrzweckschuhe nicht auffallen. Warme Jakke, kurz, wie man sie im Wagen trägt. Fertig. Genau richtig. So weit bin ich jetzt auch (in der Theorie jedenfalls). Jetzt, das ist nach einem Vierteljahrhundert jährlicher Lesungen, bei denen ich nicht richtig, also standesgemäß gekleidet war.

Ach ja, die leidige Garderobe!