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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2229

 

Zuflucht der Motana

 

Sie erreichen die Welt der Freien – und halten Gericht über den Todbringer

 

Frank Borsch

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Im Jahr 1332 NGZ ist die Lage in der Milchstraße so prekär wie lange nicht mehr: Obwohl das Kristallimperium und die Liga Freier Terraner im Sektor Hayok zu einem labilen Frieden gefunden haben, ist allen klar, dass es sich nur um einen Zeitgewinn handeln kann.

Perry Rhodan und Atlan, zwei der prominentesten Persönlichkeiten der Galaxis, ahnen von all den Ereignissen nichts: Sie befinden sich zwar noch in der Milchstraße, aber in einem entrückten Raum, dem »Sternenozean von Jamondi«.

Zum Nachforschen bleibt den beiden Männern bislang wenig Zeit: Gemeinsam mit einigen der menschenähnlichen Motana und Rorkhete, dem letzten Shoziden, nehmen sie den Kampf gegen die kybernetische Zivilisation Jamondis auf.

Sie entdecken den Bionischen Kreuzer SCHWERT, erhalten einen Sternenkatalog und bergen Lotho Keraete, den Boten der Superintelligenz ES. Im Sternenkatalog finden sie Daten für eine ZUFLUCHT DER MOTANA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide geht auf Distanz.

Zephyda – Die Epha-Motana sucht Unterstützung.

Selboo – Der Todbringer ist »schlechte Gesellschaft«.

Kischmeide – Die Planetare Majestät sorgt sich um den Erhalt der freien Motana.

Venga – Eine Botin von sorglosem Naturell.

1.

 

Epasarr rief – und alle kamen.

Die siebzehn Motana, die zusammen mit ihm die Besatzung der SCHWERT bildeten, an ihrer Spitze Zephyda, die Epha-Motana und Kommandantin des Bionischen Kreuzers.

Rorkhete, der schweigsame, stämmige Shozide, der wie üblich in der Nähe des Eingangs verharrte, das doppelläufige Gewehr über den Rücken geschnallt, als befürchte er einen plötzlichen Angriff.

Perry Rhodan und Atlan, die beiden Fremden von jenseits des Sternenozeans, die den Motana so sehr ähnelten; deren seltsame, runde Augen eine Zuversicht verströmten, die Epasarr noch niemals zuvor wahrgenommen hatte und die nie zu versiegen schien.

Er hatte sie gerufen. Und sie waren seinem Ruf gefolgt, hatten stehen und liegen lassen, mit was immer sie gerade beschäftigt gewesen waren, dringende Aufgaben aufgeschoben, um zu hören, was er zu sagen hatte.

Es war ein ungewohntes Gefühl für Epasarr. Er war ein Mann – und demzufolge daran gewöhnt, überhört zu werden. Zudem war er ein eher klägliches Exemplar seiner Gattung: einen Kopf kleiner als der Durchschnitt, schwächlich, mit dünnem rotem Haar, durch das das Weiß seines Schädels glänzte. Er hatte seine Heimat, die Residenz von Pardahn, vor der Ankunft der Fremden niemals verlassen – man hatte es ihm nicht gestattet, zu gleichen Teilen aus Sorge um sein eigenes Wohl und um das der Residenz: Ein Tölpel wie er hätte draußen im Wald die Kybb-Cranar innerhalb kürzester Zeit auf die Spur der Residenz gebracht.

Und nun war er hier, war einer der wichtigsten Motana an Bord, das Verbindungsstück zu Echophage, dem geheimnisvollen Bionischen Bordrechner. Sie alle kamen nicht seinetwegen, wie er sich klar machen musste, sondern um dessentwillen, wofür er stand. Eines Tages würde das keinen Unterschied mehr machen, weder für sie noch für ihn, aber heute tat es das. Ihm schwirrte der Kopf.

Epasarr schluckte, dann sagte er: »Ich danke euch für euer Kommen. Ihr werdet sehen, es hat sich gelohnt.« Der Motana wandte sich um, zu der mattgrauen Kugel, die an einer Seite der mittleren Zentrale-Ebene der SCHWERT in einer Schale ruhte.

Mit ihren beinahe zweieinhalb Metern Durchmesser beherrschte die Kugel den Raum. Selbst der hochgewachsenen Atlan wurde von ihr überragt.

Die Oberfläche der Kugel zeigte Bewegung. Langsam glitten Farbschlieren über sie, drängten einander zur Seite, als seien sie Kontinente und die Kugel ein Globus, der im Zeitraffer die tektonischen Verschiebungen eines Planeten zeigte. An anderen Stellen flossen Farben ineinander, bildeten neue »Kontinente«, die sich ihrerseits wieder mit anderen verbanden.

In den Tagen, die verstrichen waren, seit Rorkhete die SCHWERT in einem unterirdischen Hangar der Feste von Shoz gefunden hatte, hatte Epasarr die Kugel kaum mehr aus dem Auge gelassen. Er hatte seine Schlafstelle neben ihr eingerichtet, verbrachte jede freie Minute mit ihr. Er war der Beistand.

»Echophage«, sagte er zu der Kugel. »Zeig ihnen, was wir herausgefunden haben.«

Der Bordrechner der SCHWERT gehorchte. Die Farbspiele auf seiner Kugeloberfläche beschleunigten ruckartig, als spanne die Biotronik ihre Muskeln an, um Epasarrs Aufforderung nachzukommen.

In der Mitte der Versammelten erschienen Sterne vor dem schwarzen Hintergrund des Alls. Motana und Menschen wichen unwillkürlich zurück, und Echophage nutzte die Gelegenheit, das Holo weiter auszudehnen.

Epasarr war, als müsse er nur die Arme ausstrecken, um nach den Sternen zu greifen. Ein zutreffendes Bild: Echophage hatte sich den Motana unterstellt. Ihnen gehörte die SCHWERT, einer der vernichtet geglaubten Bionischen Kreuzer und der derzeit womöglich einzige einsatzfähige Raumer im gesamten Sternenozean von Jamondi. Mit der Kraft ihres Geistes, geführt und gebändigt durch die Epha-Motana, konnte ihre kleine Gemeinschaft jeden beliebigen Ort innerhalb des Ozeans erreichen.

Die Frage war nur, welchen.

Um diesen Punkt zu klären, hatte Epasarr seine Gefährten herbeigerufen.

»Ihr seht eine Darstellung Jamondis«, erläuterte Epasarr, »die auf dem Sternenkatalog aufbaut, den wir von den Fahrenden Besch erhalten haben. Echophage hat die Daten für uns neu aufbereitet.«

Echophage schwieg. Der Motana hatte den Bordrechner darum gebeten, sich still zu verhalten, weil er sich, seit sie die SCHWERT einsetzten, oft etwas ungeschickt im Umgang mit Lebewesen gezeigt hatte. Aber dafür hatte er ja nun ihn, Epasarr, seinen Beistand.

Das Holo des Sternenozeans rotierte langsam um die eigene Achse, um allen Anwesenden eine zufrieden stellende Sicht zu gewähren.

»Ein hervorragender Überblick«, lobte Atlan. »Sofern wir auch die Koordinaten all dieser Sterne sowie ihrer Planeten und Monde besitzen.«

»Selbstverständlich haben wir alle Daten.«

»Stellare Informationen genügen nicht. Woher wissen wir, wo uns potentielle Freunde erwarten und wo die Kybb-Cranar?«

»Ganz einfach.« Epasarr gab Echophage ein Zeichen. Ein roter Schleier legte sich über weite Teile des Ozeans. »Das sind die Systeme, die von Kybb-Cranar beherrscht werden.«

Die Motana begrüßten seine Eröffnung mit einem Schauer von betrübten Misstönen.

»Was habt ihr euch denn so?« Zephyda, die, vom Holo des Sternenozeans getrennt, Rhodan und Atlan gegenüberstand, machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir sehen nur das, was wir schon immer wussten: Die Kybb-Cranar sind beinahe allgegenwärtig. Zeig uns etwas, das wir noch nicht wissen, Epasarr!«

»Gerne«, antwortete der Motana. Er versuchte nicht, den Stolz in seiner Stimme zu verbergen. Ein weiteres Zeichen an Echophage und ein zweiter Farbschleier legte sich über das Holo, grün wie der Wald von Pardahn.

»In diesen Systemen leben Motana.«

Das Grün und das Rot waren deckungsgleich. Der Schluss daraus war für jeden der Anwesenden offensichtlich: Das Volk der Motana befand sich in seiner Gesamtheit unter der Herrschaft der Kybb-Cranar. Baikhal Cain und Ash Irthumo waren keine Einzelfälle, sondern die Regel.

Ein weiterer gequälter Aufschrei erklang.

Epasarr hob beschwichtigend die Arme. »Nicht so voreilig!« Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf ihn.

Es war Zeit für seine große Eröffnung. Er nickte Echophage zu. Das Holo drehte sich, zoomte heran. Es schien, als sprängen die Sterne ihnen entgegen. Einige Augenblicke später verlangsamte sich die Fahrt. Von den Tausenden Sternen war nur ein einziger geblieben, ein großer, orangefarbener Ball, um den insgesamt acht kleinere Bälle rotierten. Sah man genau hin, sah man, dass diese wiederum von noch kleineren Kugeln umkreist wurden.

»Was ... was ist das?«, fragte eine der Motana.

»Das System der Sonne Tom. Es ist die Heimat der letzten freien Motana.«

Noch bevor einer der anderen Versammelten sich zu Wort melden konnte, erfüllte Zephydas Stimme den Raum. »Start in vier Stunden. Macht euch bereit!«

Die Epha-Motana verließ die Zentrale ohne ein weiteres Wort.

2.

 

Venga fand Kischmeide, als diese sich anschickte, den äußersten Gürtel der Kantblätter hinter sich zu lassen.

»Halt!«, rief die junge Motana. »Warte!« Und dann, als käme ihr der Gedanke erst jetzt: »Majestät!«

Kischmeide, Planetare Majestät des Planeten Tom Karthay und damit Herrscherin über ein Volk von mittlerweile 180 Millionen Motana, verharrte in der Bewegung. Sie spürte, wie die feinen Härchen der Kantblätter über ihre Oberarme strichen, sie streichelten.

Die Härchen fingen den Flodder ein, der von den Winden herbeigeweht wurde; Pflanzenteile, von den unermüdlichen Stürmen Tom Karthays über den halben Globus getrieben und zu winzigen, für das bloße Auge unsichtbaren Fragmenten zerrieben. Die Kantblätter fingen sie ein, absorbierten und leiteten die Nährstoffe dem zentralen Baum der Stadt zu.

»Was gibt es, Venga?«, rief Kischmeide zurück. Ihre Stimme übertönte nur mit Mühe das Tosen des Sturms, das durch die zur Seite geschobenen Kantblätter hereindrang. »Du keuchst ja vor Anstrengung. Etwas Wichtiges, nehme ich an?«

»Ja!« Venga sprang vor Aufregung auf und ab. Sie war eine junge Motana, gerade siebzehn Jahre alt. Seit einigen Monaten diente sie der Planetaren Majestät als Botin. Kischmeide hätte es nie öffentlich eingestanden, aber Venga war ihr in dieser kurzen Zeit bereits ans Herz gewachsen, trotz ihrer Flatterhaftigkeit. Kischmeide war dazu übergegangen, wichtige Botschaften, die sie der jungen Motana anvertraute, stets einer zweiten, erfahrenen Botin zu übergeben, damit diese sie überbrachte, sollte Venga es aus irgendeinem Grund – und an Gründen mangelte es der Botin nie – nicht gelingen.

Venga spazierte mit den großen Augen eines Kindes durch die Welt – eines außergewöhnlich hübschen und langbeinigen Kindes, das Geschmack an dem anderen Geschlecht gefunden hatte. Sah sie ein hübsches Gesicht in der Menge, einen knackigen Männerhintern, vergaß sie alles um sich herum. War es gerade nicht ein Mann, der sie aufhielt, war es eine Freundin, die sie lange nicht gesehen hatte und mit der sie auf der Stelle das Wiedersehen feiern musste.

Und sollte Venga von Begegnungen dieser Art verschont werden, kam etwas anderes dazwischen: eine neu gezüchtete Pflanze, eine kuriose Begebenheit oder auch nur die Spiegelung des Lichts im Innern der Stadt. Vengas Neugierde war grenzen- und vorurteilslos.

»Also, was ist los?«, fragte die Majestät, als Venga unmittelbar vor ihr anhielt.

Die Botin schöpfte laut schnaufend Atem. Ihr hübsches Gesicht war feuerrot angelaufen, die langen Haare waren schweißverklebt. Ihre Uniform, die sie als Botin der Majestät auswies und ihr Vorrang auf allen Wegen verschaffte, war zerknittert. Der Brustteil war mit dunklen Flecken übersät; Kischmeide nahm an, dass es sich um Hinweise auf Art und Umfang der letzten Mahlzeit handelte. Und die Hose ... Venga hatte wieder einmal das Kunststück fertig gebracht, sie falsch herum anzuziehen.

»Die alten Frauen schicken mich«, keuchte die Botin. »Sie ...«

»Danke, das genügt.«

»Aber ... aber du hast meine Nachricht noch gar nicht gehört!«

»Das brauche ich auch nicht, ich habe sie schon hundertmal gehört.«

»Wie kannst du so etwas? Ich ...«

»Ich kenne die Worte, Venga, glaub mir. Ich kenne sie. Ich bin nicht erst seit gestern Planetare Majestät.« Kischmeide wandte sich ab und schob die Kantblätter, die vor ihr eine dichte Wand bildeten, zur Seite. Eine Windbö erfasste sie und hätte sie zurückgeworfen, hätte die Motana sich nicht mit aller Kraft an den robusten Blättern festgehalten.

Sie wandte den Kopf noch einmal zu der Botin. »Und als Majestät nehme ich mir das Recht heraus, Dinge, die ich nicht hören will, nicht zu hören.«

Mit einem Ruck zog sie sich nach vorn, begünstigt von einer wenige Augenblicke anhaltenden Flautephase. Hinter Kischmeide schlossen sich die Kantblätter, bildeten eine kompakte Mauer, das äußere Bollwerk gegen die ewigen Stürme.

Kischmeide fand sich auf einem schmalen, ungesicherten Pfad wieder, gerade so breit, dass sie ihre Füße nebeneinander aufsetzen konnte. Zu ihrer Rechten erstreckte sich der Wall der Kantblätter in alle Richtungen. Zu ihrer Linken fiel die Wand der Kantblätter nahezu senkrecht ab, Dutzende Meter tief bis zum Flusslauf, der die größte Ansiedlung Tom Karthays im Norden und Osten begrenzte.

Es war ein klarer Tag. Am Horizont zeichneten sich die Berge von Roedergorm ab, gewaltige Felsgebilde, gekrönt von weißen Spitzen. Mächtig und die Heimat dieser widerwärtigen ... Kischmeide wollte nicht daran denken. Sie hatte weiß Gott bereits genug Sorgen.

Die Motana zwang ihren Blick auf den schmalen Saumpfad zu ihren Füßen und machte sich auf den Weg. Sie verzichtete darauf, ihren Sicherungshaken in das in Hüfthöhe verlaufende Seil einzuklinken. Es war nicht windstill, aber dem schwachen Sturm widerstand sie mühelos. Wozu verfügte sie über den ausgezeichneten Gleichgewichtssinn ihres Volkes?

Dazu kam eine völlige Schwindelfreiheit – und ein Nebeneffekt ihres inzwischen fortgeschrittenen Alters: Kischmeide hatte in den Jahren, seit sie zur Planetaren Majestät aufgestiegen war, an Leibesfülle gewonnen. Und zumindest hier draußen, wo die Stadt sie nicht vor den Stürmen schütze, war ihre erhöhte Standfestigkeit von Vorteil.

Der Pfad führte in gleich bleibender Höhe um die Stadt. In unregelmäßigen Abständen zweigten weitere Wege nach oben oder unten ab, so schmal, dass nur das geübte Auge sie wahrnahm. Diese Pfade waren das Revier der Graugärtner, der einzigen Einwohner Kimtes, die die Stadt regelmäßig verließen – und zwar täglich. Ganz gleich, wie furchtbar die Stürme wüteten. Ein Sprichwort besagte, dass Kimte an dem Tag untergehen würden, an dem die Graugärtner sich nicht hinauswagten.

Kischmeide gab im Allgemeinen nicht viel auf Sprichwörter, stellten sie doch ihrer Meinung nach nichts weiter dar als den verbrämten und überhöhten Unsinn früherer Generationen. Doch in diesem einen fand sie ein Samenkorn der Wahrheit: Ohne die unermüdliche Arbeit der Graugärtner wäre Kimte tatsächlich zum Untergang verurteilt. Das komplizierte Zusammenspiel der verschiedenen Pflanzen, die das Grundgerüst der Stadt bildeten, bedurfte ständiger Überwachung. Verwilderte auch nur ein kleiner Teil des Kantblätterpanzers, der nächste Orkan hätte die Bresche zielsicher aufgespürt und die Stadt verheert.

Die Majestät winkte einem Graugärtner, der in einiger Entfernung über ihr an einem Kantblatt arbeitete. Ein Sturm hatte das Blatt eingerissen. Der Gärtner nähte die Wunde, ähnlich, wie er die Wunde einer Motana genäht hätte, nur dass sein Werkzeug ungleich gröber war. Der Mann winkte fröhlich zurück und tauchte die Hand anschließend in einen Topf mit Salbe, die er über die Wundränder strich.

Er und seinesgleichen hatten längst aufgehört, sich über die einsamen Spaziergänge der Majestät zu wundern. Anfangs, hatte Kischmeide sich zutragen lassen, hatten die Graugärtner sie verlacht, inzwischen war der Spott aufrichtigem Respekt gewichen. Kischmeide ließ ihren Spaziergang entlang der Außenhaut der Stadt nur bei schlimmstem Orkewetter ausfallen, gewöhnliche Stürme konnten sie nicht schrecken. Die Graugärtner begriffen die einsamen Touren der Planetaren Majestät mittlerweile als Verbeugung vor ihrer Arbeit.

Und auch in dieser Auffassung liegt der Same der Wahrheit, dachte Kischmeide.

Die Planetare Majestät schätzte die Arbeit der Graugärtner – ebenso wie die ihrer Wegweiserinnen, die ihr mit Rat und Tat zur Seite standen, die der Baumpfleger, die dafür sorgten, dass die Basis der Stadt nicht abstarb, und natürlich – ihr Werdegang ließ es nicht anders zu – die der Grauarchitekten, die die Grenzen Kimtes beständig nach außen trieben, um Platz für das wachsende Gemeinwesen zu schaffen.

Doch die Spaziergänge dienten nicht der Begutachtung der Arbeit anderer, sondern der Verrichtung ihrer eigenen. Nirgends sonst gelang es ihr so gut, die Flut ihrer Pflichten und Aufgaben zu ordnen, die zahllosen – unweigerlich unverzüglich zu erfüllenden – Wünsche, mit denen man sie tagtäglich konfrontierte. Hier draußen, wo die Stürme Tom Karthays ihr in den Ohren rauschten, fand sie eine Ruhe wie an keinem anderen Ort. Hier schöpfte sie seelische Kraft, um ihr Amt auszufüllen.

Das Amt verlangte ihr alles ab, angefangen bei den alltäglichsten, grundlegenden Fragen, und mochten sie auf Außenstehende noch so banal wirken: nach dem Ausbau des Müllentsorgungssystems der Stadt beispielsweise. Ein Teil ihrer Beraterinnen sah keine Notwendigkeit dazu. Ein anderer prophezeite, dass die Bewohner Kimtes in wenigen Jahren in ihrem eigenen Müll ersticken würden, schritte man nicht unverzüglich zur Tat. Da waren aber auch die privaten Streitigkeiten um Pflanzen, die in den Bereich des Nachbarn wuchsen, und Ähnliches. Jeder der Kontrahenten war von der überragenden Wichtigkeit seines Anliegens überzeugt und ebenso davon, dass ausschließlich die Planetare Majestät über seinen Fall befinden konnte.

Und über allem hing die große Sorge: Tom Karthay war ein Versteck, der einzige Ort im Sternenozean von Jamondi, an dem die Motana noch in Freiheit lebten. Nach der Blutnacht von Barinx hatten die Flüchtlinge an diesem Ort, aus dem später die Stadt Kimte heranwachsen und erblühen sollte, ihre Behelfsquartiere aufgeschlagen. Sie waren vor den Kybb-Cranar geflohen. Sollten die Igelwesen jemals auf Tom Karthay stoßen, würden die Tage der freien Motana gezählt sein. Es erwartete sie die Sklaverei oder der Tod. Kischmeide wusste nicht, welches von beidem sie im Ernstfall vorzöge. Sie wusste nur eines: dass es ihre Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass die Motana von Tom Karthay niemals vor diese Wahl gestellt wurden.

Kischmeide wechselte mit einigen schnellen Schritten auf einen aufsteigenden Pfad. Sie ging heute eine ihrer üblichen Routen ab, ihre in dünne Lederstiefel gekleideten Füße fanden fast von selbst den Weg, ungeachtet des Abgrunds zur ihrer Rechten.