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© 2015 JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Text: Bettina Göschl, Klaus-Peter Wolf

Illustrationen: Franziska Harvey

Redaktion: Julia Stefanie Kress

Grafische Bearbeitung: Katrin Wahl

eISBN: 978-3-8337-3877-7

Das gleichnamige Buch (ISBN 978-3-8337-3382-6)
und Hörbuch (ISBN 978-3-8337-3408-3), gelesen von
Robert Missler, ist im JUMBO Verlag erschienen).

Die deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

www.jumboverlag.de

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Inhalt

Familie Janssen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

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Regen prasselte auf die Windschutzscheibe. Quietschend bewegten sich die Scheibenwischer nach links. Dann stoppten sie und mit einem Ruck glitten sie nach rechts. Durch den dichten Regen sah Mick Janssen keine zwanzig Meter weit. Langsam fuhr er die schmale Straße entlang. Die Lichtkegel der Scheinwerfer schreckten Möwen auf, die kreischend davonflatterten.

„Wann sind wir endlich da, Papa?“, fragte Emma und drückte ihren roten Stoffelefanten an sich. Eigentlich hatte sie sich auf den Umzug an die Nordsee gefreut. Aber jetzt kam ihr die dunkle Gegend hier unheimlich vor.

„Wir haben es gleich geschafft, Emma! Du wirst sehen, das wird total toll.

Du musst das Zimmer nicht mehr mit deinem Bruder teilen wie in Oberhausen.

Die Villa hat mindestens zwölf Zimmer.

Vielleicht gibt es da sogar einen Swimmingpool. Und am Meer kann man ganz viele tolle Sachen unternehmen.“

„Was denn?“, wollte Lukas gelangweilt wissen. „Möwenkacke sammeln vielleicht?“

Mick Janssen wusste, dass er seinen Kindern in letzter Zeit viel zugemutet hatte. Selten waren sie länger als ein Jahr am selben Ort geblieben.

„Lass den Kopf nicht hängen, Lukas!“, sagte er. „Diesmal werden wir wirklich sesshaft. Und übrigens gibt es hier eine Seehundstation. Wenn kleine Heuler auf einer Sandbank ihre Mutter verloren haben, werden sie dort hingebracht.

Sie werden großgezogen und später im offenen Meer wieder ausgewildert.“

„Kriegen die Baby-Seehunde auch Fläschchen?“, fragte Emma neugierig.

„Das gucken wir uns ganz genau an!“, versprach Mick.

Lukas gähnte absichtlich. „Seehundbabys. Ganz toll, Papa. Wie spannend.“

Eine noch stärkere Windböe peitschte den Regen gegen die Windschutzscheibe.

Mick Janssen kniff die Augen zusammen.

Während der Fahrt sah er kaum noch etwas. Trotzdem versuchte er seinen Sohn zu begeistern.

„Es gibt hier in der Nähe auch ein Waloseum, Lukas.“

„Hä? Ein Walo-was? Ich kenne gerade mal ein Museum. Hängen in diesem Waloseum auch Wale an der Wand?“

Emma kicherte. „Lukas ist manchmal einfach echt doof. Im Muuuuseum hängen ja auch keine Kühe an der Wand. Da guckt man Bilder an.“

Mick Janssen wischte mit der Hand das beschlagene Seitenfenster frei.

„Das ist bestimmt was für dich, Lukas. Vor ein paar Jahren ist vor Norderney ein 15 Meter langer Pottwal gestrandet. Sein Skelett ist im Waloseum ausgestellt. Das könnt ihr euch angucken und alles über Wale erfahren.“

Lukas putzte die Brillengläser mit seinem Pullover.

„Ganz klasse, Papa! Aber ich wäre froh, wenn wir langsam ankommen würden.“

Mick Janssen sah sich um. „Ja, die Villa muss hier doch irgendwo sein!“

Lukas breitete die zerknitterte Landkarte auf der Kühlbox aus und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf eine entlang des Deiches eingezeichnete Straße.

„Das hier müsste die Tunnelstraße sein, Papa. Vielleicht sollten wir uns ja doch mal ein Navi zulegen …“

Mick Janssen drehte sich zu seinem Sohn um. „Meine Kinder lernen wenigstens noch Landkarten zu lesen. Das kann heute kaum noch jemand.“

„Wie lange dauert das denn noch?“, maulte Emma. „Ich hab Hunger!“

„Gleich!“, versprach Mick Janssen.

„Und als Erstes braten wir uns dann die frischen Regenbogenforellen …“

„Ich will aber die, die ich selber gefangen habe!“

„Klar, Emma! Wer den größten Fisch gefangen hat, darf ihn auch essen.“ Emma hoffte, dass es hier an der Nordsee auch so leckere Fische gab wie in ihrem Lieblingsforellenteich in Oberhausen.

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Mick Janssen jubelte: „Das da vorne muss die Villa sein. Wir haben es geschafft!“

Dann sah er in die enttäuschten Gesichter seiner Kinder. Denn auf dem Foto hatte das Haus am Deich ganz anders ausgesehen als in Wirklichkeit. Irgendwie herrschaftlicher, prächtiger und weniger wie eine Herberge für Fledermäuse, sondern eben wie eine Villa.

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Als sie ausstiegen, lugte der Mond hinter einer schwarzen Wolke hervor, als würde er die fremden Gäste neugierig beobachten.

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Es hatte aufgehört zu regnen. Aber immer noch pfiff ein kalter Wind.

„Von wegen Villa“, spottete Lukas. „Das sieht ja aus wie Draculas Schloss.“

Inzwischen klemmte sich Emma ihren roten Elefanten unter den Arm und holte die Kühlbox mit den Fischen aus dem Auto. Eine Krähe kreischte zur Begrüßung und flatterte von der Dachrinne in einen windschiefen Kastanienbaum.

Mick Janssen kramte den alten Schlüsselbund hervor, den ihm der Notar zugesandt hatte. Der lange, handgeschmiedete Doppelbartschlüssel musste für das große Eisentor sein.

„Mann, ist das hier dunkel!“, stöhnte Mick.

„Leuchte mal hierhin, Lukas.“

„Guck mal, Papa, was liegt denn da im Matsch? Ist das der Briefkasten? Und deinen verrosteten Schlüssel kannst du auch gleich bei eBay verticken. Das Tor steht offen.“

Emma lief als Erste hindurch und stellte die Kühlbox auf den Treppenstufen der Villa ab. Der breite Kiesweg gefiel ihr.

Das war die reinste Prinzessinnenauffahrt.

Emma konnte sich vorstellen, dass in dem verwilderten Garten viele bunte Schmetterlinge lebten. In Oberhausen hatte sie sich immer einen großen Garten gewünscht. In ihrem alten Zuhause konnte sie auf dem Balkon im Frühling nur ein paar Primeln und im Sommer Sonnenblumen ziehen. Doch hier war Platz genug für ein ganzes Blumenfeld.

Lukas war seinem Vater auf die Veranda gefolgt und begutachtete die kaputte Dachrinne. Eine Hälfte hing herunter und erinnerte ihn an die Wasserrutsche im AQUApark Oberhausen. Das Rohr endete vor der Regentonne und ein kleiner Wasserfall platschte auf den Boden.

„Super Konstruktion!“, grinste Lukas.

„Unser berühmter Großonkel Theodor C. Janssen war bestimmt ein unheimlich guter Handwerker.“

Mick Janssen versuchte einen Schlüssel nach dem anderen ins Türschloss zu stecken, aber keiner passte.

Emma trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Papa, ich muss mal …“

Mick Janssen strich sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr. „Mist. Das blöde Türschloss klemmt!“

Lukas schob seinen Vater vorsichtig zur Seite. „Lass mich mal!“

Lukas ruckelte ein paar Mal mit dem Schlüssel hin und her. Die alte Holztür knarrte. Sie ließ sich nur schwer öffnen, denn ein Haufen Zeitungen lag dahinter. Offensichtlich warf der Zeitungsjunge immer noch einmal pro Woche das „Echo“ ein.

Modriger Geruch kam ihnen von innen entgegen. Mick Janssen tastete mit seiner Hand nach dem Lichtschalter.

Er knipste zweimal an und aus, aber es blieb dunkel.

„Also entweder ist die Glühbirne kaputt“, erklärte er, „oder die Sicherung ist rausgeflogen.“

Lukas leuchtete mit der Taschenlampe in die Mitte des Raumes. Es sah aus, als würde dort eine Gruppe Gespenster stumm um einen schweren Holztisch sitzen. Erschrocken ließ Lukas die Taschenlampe fallen. Sie rollte seinem Vater vor die Füße.

„Ich gehe lieber hier draußen zur Toilette!“, rief Emma und rannte in den Garten zurück.

Mick hob die Taschenlampe auf und leuchtete den Raum ab. Da war ein großer, offener Kamin. In der Ecke sah er eine verstaubte, mannshohe Standuhr. An der Decke hing ein mächtiger, achtarmiger Kronleuchter. Um den großen Tisch saßen keine Gespenster, sondern die Möbel waren mit weißen Laken abgedeckt, um sie vor Staub zu schützen.