Fürstenkrone – 136 – Ich hol dich auf mein Schloss

Fürstenkrone
– 136–

Ich hol dich auf mein Schloss

Doch wird sich Angela dort wohlfühlen?

Viola Marquardt

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-446-0

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»Onkel Fred hat telefoniert.« Die kleine rundliche Frau Millner kam ihrer Tochter ganz aufgeregt entgegen. »Er gibt übermorgen eine Gesellschaft und möchte dich gern dabeihaben.«

»Und du und der Vater? Seid ihr nicht eingeladen?«

Angela hängte ihr bescheidenes Regenmäntelchen an den Garderobenhaken.

Frau Millner errötete leicht. Sie sah auf einmal wie ein junges Mädchen aus.

»Du kennst Vater ja. Er verläßt seine vier Wände nur sehr ungern, und ich – ich bleibe am liebsten bei ihm. In den glänzenden Rahmen von Freds Haus passen wir ohnedies nicht so recht.«

»Ach du!« Angela umfing die Mutter zärtlich mit beiden Armen. »Du bist doch noch immer eine wunderhübsche Frau! Und Vater würde auch in einem noch so glänzenden Rahmen eine gute Figur machen – mit seinem ausgeprägten Gelehrtenkopf und...«

Frau Millner gab Angela einen herzhaften Kuß.

»Du siehst uns eben mit den Augen der Liebe, Angi. Aber du kennst Vater ja. Er ist gerade seinem berühmten Bruder gegenüber ein bißchen empfindlich. Fred hat es ja zumindest nach außen hin viel weiter gebracht als dein Vater. Er ist ein gesuchter Orthopäde, Dozent und außerdem durch das Vermögen, das seine verstorbene Frau mit in die Ehe gebracht hat, ein wohlhabender Mann. Er war ja auch immer der Lebenstüchtigere von beiden Brüdern. Vater lebt nur für seine Schüler, für seine Bücher und für seine Geige. Gesellschaftlicher Ehrgeiz ist ihm fremd.«

»Gerade das liebe ich an ihm!« Es klang beinahe heftig. »Wenn Vater auch ›nur‹ Gymnasialprofessor ist – auf seinem Gebiet bewirkt er sicher mindestens ebensoviel Gutes wie Onkel Fred als Arzt! Und daß wir nicht solche Mittel zur Verfügung haben wie Onkel Fred, stört mich am allerwenigsten!«

Frau Millner seufzte leise und strich ihrer Tochter übers Haar.

»Ich weiß! Du bist wie dein Vater. Viel zu bescheiden und anspruchslos. Aber glaub mir, Angi...«

Sie stockte. Dann gab sie sich einen Ruck.

»Ich weiß, du hast es nicht gern, wenn ich darüber spreche. Aber ganz allmählich wird es doch Zeit, daß du an deine Zukunft denkst – ich meine...«

»Oh, Mutti!« Angela legte der Mutter lächelnd die Hand über die Lippen. »Du meinst, und Onkel Fred meint und alle meinen, daß ich zusehen sollte, eine ›Partie‹ zu machen, wie es so schön heißt! Das ist ja auch der Grund, weshalb mein Onkel Fred zu seinen Gesellschaften einlädt. Denkst du, ich wüßte das

nicht? Ihr wollt mich verheiraten, stimmt’s?«

»Nun – wäre es denn so schlimm, wenn du einen Mann fändest, der dir eine gesicherte Existenz bietet?«

Die kleine Frau Millner richtete sich beinahe krampfhaft empor.

»Das soll natürlich nicht heißen, daß du den erstbesten – nein, Angi, dazu haben wir dich viel zu lieb! Aber ich will es nicht leugnen, ich bin Onkel Fred dankbar, daß er dir die Möglichkeit bietet, in seinem Haus jemanden kennenzulernen. Wo solltest du auch sonst Gelegenheit dazu haben? Zu uns verirrt sich niemand, außer ein paar Kollegen deines Vaters mit ihren Frauen. Und es ist nicht gut, wenn sich ein junger Mensch von der Welt abschließt.« Mit einem jener Gedankensprünge, wie Frau Millner sie gern vollführte, schloß sie: »Was wirst du anziehen, Angi?«

Angela zuckte die Achseln. »Das Schwarze, wie üblich!« erwiderte sie gleichgültig. »Ich habe ja kein anderes gutes Kleid, und du behauptest immer, daß ich nicht so schlecht darin aussehe.«

»Aber ich trenne den Spitzenkragen ab und vergrößere den Ausschnitt ein wenig!« sagte Frau Millner mit jenem Eifer, den Angela in der Kleiderfrage vermissen ließ. »Wenn du dann dazu die Goldkette mit der Perle trägst, merkt niemand...«

Angela lachte. »Mütterchen, du bist einzig! Natürlich merkt jeder, daß ich das Kleid zum xtenmal anhabe! Aber was liegt daran? Man lädt ja schließlich mich ein und nicht mein Kleid! Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht hinzusehen! So – und nun Schluß mit der Debatte, Mutter! Ich habe Vater noch nicht begrüßt und muß noch eine Menge lernen. Nächsten Monat ist Prüfung, wie du weißt!«

Halb stolz und halb bekümmert sah Frau Millner der Tochter nach, die leichtfüßig durch den Flur eilte und nach kurzem Klopfen im Arbeitszimmer Professor Millners verschwand.

Es war ein harmonisches Familienleben, das Millners führten, obgleich sie finanziell nicht eben auf Rosen gebettet waren.

Der etwas weltfremde Professor und seine kleine, lebhafte, immer tätige Frau ergänzten einander aufs beste.

Manchmal seufzte Frau Millner zwar über ihren »zerstreuten Professor«, aber im Grunde war er ihr doch recht, wie er war, und sie hätte ihn nicht anders haben mögen.

Auch Angela hätte sie nicht anders haben wollen, obwohl ihr das junge Mädchen schon so manche schlaflose Nacht bereitet hatte.

Angela war nun schon dreiundzwanzig Jahre alt und hatte ihr Herz offenbar noch immer nicht entdeckt.

Natürlich war sie jung genug, um warten zu können, aber es hätte auch nichts geschadet, wenn sie ein bißchen mehr Bereitschaft gezeigt hätte, die Bemühungen ihres Onkels zu unterstützen, fand die Mutter.

*

Die Gesellschaftsräume waren feenhaft erleuchtet. Die lange Tafel blitzte nur so in ihrem Silber- und Kristallschmuck. Etwa dreißig Personen standen in Gruppen umher, plauderten und lachten und nahmen dabei einen Aperitif.

Angela entdeckte sogleich ihre Kusine Ina – eine Nichte von Onkel Freds verstorbener Frau und eine geborene Baronesse Marwitz wie diese –, denn Ina war einfach nicht zu übersehen. Sie war hübsch und und schwarzhaarig, und ihr feuerrotes Spitzenkleid leuchtete weithin.

Neben ihr stand ein auffallend großer, schlanker Herr im untadeligen Gesellschaftsanzug und hörte ihrem Geplauder höflich, aber ohne sonderliches Interesse zu.

Angela wußte selbst nicht, wie ihr geschah. Noch nie hatte sie einen Mann gesehen, der ihr einen solchen Eindruck gemacht hätte.

Mit seinem klaren leichtgebräunten Gesicht, den regelmäßigen Zügen, dem dunkelblonden Haar, das an Stirn und Schläfen golden schimmerte, den Augen von leuchtendem Blau war er wirklich eine auffallende Erscheinung. Der ernste Zug um seinen schmalen Mund machte ihn nur noch anziehender.

Jede seiner Bewegungen war von gemessener Eleganz – vielleicht hielt er sich nur ein klein wenig zu gerade.

»Ah, Angela, da bist du ja!«

Die Stimme des Onkels riß Angela aus ihrer Versunkenheit. Über und über errötend, wandte sie sich um und begrüßte hastig den stattlichen grauhaarigen, aber noch sehr gutaussehenden Herrn, der ihr erfreut die Hand entgegenstreckte.

»Guten Abend, Onkel Fred! Ich bin doch nicht zu spät gekommen?«

»Nein, nein! Gerade rechtzeitig eingetroffen. Leider hat der Tischherr, den ich dir zugedacht hatte, abgesagt, und ich mußte eine kleine Verschiebung vornehmen.« Er kniff ein Auge zusammen. »Allzu gut wirst du dich vermutlich nicht unterhalten, meine Kleine. Graf Thorsholm ist stumm wie ein Fisch – frag nur Ina, die sich bereits eine halbe Stunde lang mit ihm abmüht, ohne ihm mehr als ein allerdings äußerst höfliches Ja oder Nein entlocken zu können! Es tut mir wirklich leid, Angela – Dr. Mathissen hätte dir sicher gefallen, er mußte überraschend zu einer Tagung fahren und...«

Angela hörte dem Onkel nicht mehr zu. Das also war Graf Thorsholm?

Ein jähes Gefühl der Enttäuschung schnürte ihr die Kehle zusammen. Er würde natürlich nicht die geringste Notiz von ihr nehmen, da er sich nicht einmal für Ina interessierte, die heute wirklich berückend aussah.

Warum mußte er auch gerade ein Graf sein und nicht irgendein gewöhnlicher Mann? dachte sie kindlich.

Im gleichen Moment drehte sich Graf Thorsholm um – und seine Augen begegneten einen Herzschlag lang denen Angelas.

»Komm, Angela, ich muß dich ja doch wohl mit deinem Tischherrn bekannt machen.«

Dozent Millner zog Angelas Arm durch den seinen, ging so mit ihr dem Grafen entgegen, der sich von seiner Gesprächspartnerin gelöst hatte.

»Liebe Angela, darf ich dir meinen lieben Patienten, den Grafen Lennart Thorsholm, vorstellen? Er hat sich nach Wien begeben, um eine alte Beinverletzung auszukurieren, die er sich bei einem Sturz vom Pferd zugezogen hat. Ja, so was passiert auch dem besten Reiter! Er ist hier ganz allein, kennt keine Menschenseele – da hab’ ich ihn kurzerhand eingeladen. Graf, das ist meine Nichte Angela.«

»Guten Abend, gnädiges Fräulein.«

Er hatte eine dunkle, etwas spröde Stimme und sprach das leicht singende Deutsch der Skandinavier.

»Guten Abend.«

Zwei Augenpaare begegneten einander zum zweitenmal – das graue Angelas und das blaue des Schweden.

Wer vermag zu sagen, was innerhalb weniger Sekunden in einem Mädchenherzen vorgeht, das plötzlich fühlt: dieser – oder keiner. Angela hätte es selbst nicht zu erklären gewußt. Eine süße Bangigkeit beschlich sie, wie sie sie noch nie empfunden hatte.

Dann saßen sie nebeneinander an der Tafel. Angela fragte den Grafen, wie es ihm in Wien gefiele, und er antwortete, er fände es sehr schön. Dann geriet die bescheidene Konversation auch schon wieder ins Stocken.

Angela zermarterte sich vergeblich den Kopf nach einer witzigen oder geistreichen Bemerkung – du lieber Gott, er mußte sie ja für dumm halten!

Da wandte er den Kopf und sagte mit seinem ernsten Lächeln: »Es ist gut, neben Ihnen zu sitzen!«

Angela errötete über und über.

»Ja – wieso?« stammelte sie.

»Sie können schweigen. Wissen Sie, daß man diese Eigenschaft sehr selten bei Frauen findet?«

Angela wurde, wenn überhaupt möglich, noch roter.

»Aber ich – ich möchte ja so gern reden – wenn ich nur wüßte, worüber!« platzte sie ganz kindlich heraus.

Ihr Tischnachbar lachte leise. Wenn er lachte, sah er viel jünger aus. In seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen, die die Strenge seiner Züge milderten und ihm für Minuten ein fast jungenhaftes Aussehen verliehen.

»Wirke ich denn so schwierig?« fragte er.

»Schwierig nicht – nur... Ich denke mir, Sie sind schon so viel in der Welt herumgekommen, und was ich Ihnen erzählen könnte, müßte Sie doch schrecklich langweilen!«

»Meinen Sie? Es ist gar nicht so schlimm mit dem Viel-in-der-Welt-Herumgekommensein. Ich habe den größten Teil meines Lebens in Thorsholm verbracht und mir eigentlich nie etwas anderes gewünscht. Als ich noch ein Junge war, dachte ich sogar, man könnte nirgendwo anders leben als in Thorsholm.«

Angela warf ihm einen scheuen Blick zu.

»Ist Thorsholm – ein Schloß?« fragte sie stockend.

Der servierende Diener unterbrach ihre Unterhaltung. Erst als sie von der Vorspeise genommen hatten, konnte der Graf auf Angelas Frage antworten. Er tat es in gleichmütigem Ton.

»Nun ja – man kann es so nennen. Die Leute im Dorf nennen es jedenfalls so. Ich habe nie darüber nachgedacht. Für mich ist es einfach der Platz, an dem ich zur Welt gekommen und aufgewachsen bin.«

Warum nur wurde Angela bei diesen Worten so schwer ums Herz? Ihr war, als täte sich eine tiefe Kluft zwischen ihr und dem Mann an ihrer Seite auf.

Graf Thorsholm – und Angela Millner...?

Aber was dachte sie da? Nach diesem Abend sah sie ihn wahrscheinlich niemals wieder – und er vergaß sie wohl schon in der nächsten Minute, nachdem er ihr die Hand zum Abschied gereicht hatte...

»Darf ich nun auch etwas über Sie erfahren?« Der Graf sah Angela ernst und doch mit freundlichem Ausdruck in den Augen an. »Sie sind die Nichte des trefflichen Dozenten Millner, der mein Bein so wunderbar zusammengeflickt hat – das ist alles, was ich weiß.«

»Oh, über mich gibt es nicht viel zu erzählen!« erwiderte Angela ein wenig befangen. »Ich studiere Kunstgeschichte und hoffe, in einem Jahr mein Examen zu machen – das ist alles.«

»Das ist allerdings nicht viel. Aber wie leben Sie? Verzeihen Sie, ich bin sehr neugierig, nicht wahr? Aber Sie sind hier der erste Mensch, mit dem ich spreche – ich meine: richtig spreche, denn geredet habe ich natürlich mit anderen auch.«

Sein forschender Blick ließ Angela abermals erröten. Sie ärgerte sich darüber. War sie denn ein kleines Mädchen, daß sie rot wurde, obwohl nicht der geringste Anlaß dazu bestand?

»Wir leben sehr einfach!« antwortete sie fast mit einem Anflug von Trotz. »Vater ist Professor für Literatur und Kunstgeschichte an einem Gymnasium. Er haßt es, in Gesellschaft zu gehen – deshalb ist er auch heute nicht mitgekommen. Wir leben – nun ja, wie kleine Leute eben leben!«

Er sah sie erstaunt an.

»Sie sagen das so... Habe ich etwas Falsches gefragt?«

Da schämte sich Angela ihrer kindlichen Aufwallung.

»O nein!« entgegnete sie rasch. »Ich verstehe schon, Sie wollen sich ein Bild von dem Land machen, in das es Sie verschlagen hat – und das kann man eben am besten, indem man sich für die Lebensumstände der Menschen interessiert, die dort zu Hause sind.«

Sie war ganz stolz, weil sie es fertiggebracht hatte, so kühl und sachlich zu sprechen, obwohl ihr Herz wie verrückt klopfte.

Ein leichtes Lächeln war in seinen blauen Augen, als er zustimmend den Kopf neigte.

Angela gewann an Sicherheit. Sie hatte sich mittlerweile zu der Auffassung durchgerungen, daß dies eine ganz gewöhnliche Konversation und sie selbst dazu verpflichtet war, den Gast ihres Onkels zu unterhalten. Ihr Herzklopfen war ebenso töricht wie unangebracht. Es war nur gut, daß der Graf nichts davon wußte – wie hätte er sich sonst über das dumme kleine Mädchen lustig gemacht!