Der Autor

Walter Bachmeier – Foto © Privat

Walter Bachmeier, geboren 1957 in Karlsruhe, wuchs in Münchsmünster in der Hallertau auf. Nach seiner Ausbildung zum Koch begann er unter dem Pseudonym zu schreiben. Sein erstes Werk war ein Kochbuch, das sehr erfolgreich verkauft wurde. Dies gab ihm den Ansporn, seinen Beruf aufzugeben und weiter zu schreiben. Im Laufe der Jahre entstanden so mehrere Erzählungen, Kinderbücher und Artikel in verschiedenen Tageszeitungen. Seit etwa 2012 widmet er sich voll und ganz der Literatur. Immer wieder finden in seinen Büchern auch Erlebnisse aus seinem Leben Platz.

Das Buch

Der persönlichste Fall für Chefinspektor Egger

Chefinspektor Egger und die gesamte Polizeidirektion Zell am See sind in Aufruhr. Eines der neuen Dienstfahrzeuge der Abteilung wurde in die Luft gejagt. Es handelt sich offensichtlich um einen Anschlag auf einen Polizisten. Gleichzeitig erhalten Egger und seine Frau Drohbriefe. Doch wer hat es auf den Inspektor abgesehen? Egger findet heraus, dass kürzlich ein Mörder, den er vor vielen Jahren ins Gefängnis gebracht hatte, wegen Strafunfähigkeit wieder auf freien Fuß gekommen ist. Will dieser sich nun rächen? Doch der Mann ist todkrank. Als ein ehemaliger Vorgesetzter von Egger erschossen aufgefunden wird, bekommt selbst der erfahrene Chefinspektor Angst um seine Familie und sein Leben …

Von Walter Bachmeier sind bei Midnight by Ullstein erschienen:
Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1)
Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2)
Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3)
Mord im Pinzgau (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 4)
Mord in der Berghütte (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 5)
Mord am Wildkogel (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 6)
Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1)
Berge, Brotzeit, Bauernherbst (Chefinspektor Egger Fall 2)
Koppeln, Kühe, Kaseralm (Chefinspektor Egger Fall 3)
Morde, Matsch, Marillenknödel (Chefinspektor Egger Fall 4)
Diebe, Dörfer, Dampfnudeln (Chefinspektor Egger Fall 5)

Walter Bachmeier

Diebe, Dörfer, Dampfnudeln

Ein Alpenkrimi

Midnight by Ullstein
midnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight
Midnight ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
September 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
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zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95819-275-1

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Die Hauptfiguren

Chefinspektor Martin Egger

An sich ein ruhiger und besonnener Mann. Er ist streng, gerecht, und wenn er einmal unrecht hat, ist er sofort bereit, sich zu entschuldigen. Er sieht vorschnelle Reaktionen nicht eng und versucht mit seinem Team das Beste aus seinen Fällen zu machen. Sein Wahlspruch lautet: »Wir kriegen sie alle. Sie wissen’s nur nicht.« Er ist zweiundvierzig Jahre alt und hat eine sportliche Figur, wenn man von dem kleinen Bauchansatz absieht, den er sich durch die leckere Küche seiner Frau Julia angegessen hat. Er raucht nicht, trinkt nur selten ein Glas Wein, verabscheut aber Alkohol in Mengen. Alkoholfreies Bier schmeckt ihm nicht, da es seiner Meinung nach nur ein »isotonisches Kaltgetränk mit Biergeschmack« ist. Martin ist in der glücklichen Lage, zwei Familien zu haben. Die erste und wichtigste ist seine eigene Familie, die aus Julia, seiner zweiten Frau, seinen Söhnen Max und Moritz und seiner Tochter Lenchen besteht. Die zweite Familie bilden seine Arbeitskollegen, mit denen ihn eine enge Freundschaft verbindet.

Julia

Martins zweite Frau Julia ist zweiunddreißig Jahre alt und eine hervorragende Musikerin. Mit ihren blonden halblangen Haaren, hellblauen Augen, ihrer schlanken Figur und ihrem braunen Teint sieht sie Martins erster Frau nicht unähnlich. Sport liebt sie zwar, betreibt aber keine Sportart aktiv. Nur manchmal, wenn Martin wieder eine Trainingseinheit ausführt, geht sie mit. Martin macht das eher weniger aus, denn er liebt sie auch mit ihrem kleinen Rettungsring um die Hüften. Sie ist wie Martins erste Frau Leni der ruhende Pol in seinem Leben. Martin sucht Rat bei ihr, wenn ihm ein Fall zu kompliziert erscheint. Julia weiß, wie sie ihn anpacken muss, wenn er meint, aus der Reihe tanzen zu müssen. Beruflich ist sie als Musikdozentin für Geige und Klavier am Konservatorium in Salzburg tätig.

Max und Moritz

Inspektor Eggers Zwillinge sind dreizehn Jahre alt. Max ist der ruhigere der beiden. Er ist etwas mollig, hat dunkelbraune Augen wie sein Vater und ebensolche dunklen gelockten Haare. Er sitzt lieber daheim in seinem Zimmer und liest, während Moritz, der um fünf Minuten Ältere der beiden, wie er gerne betont, eher sportlich veranlagt ist und seiner bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommenen Mutter nicht nur wegen seiner blonden Haare, den blauen Augen und der hohen Musikalität ähnlich ist.

Lenchen (Helene)

Sie ist drei Jahre alt, hat blonde Haare und ist oft zu Scherzen aufgelegt. Martin hat sich mit Julia auf diesen Namen geeinigt, da er es wichtig fand, seiner ersten Frau, die ebenfalls so hieß und bei einer Wanderung verstorben ist, eine Art Andenken zu setzen.

Lenchen ist der eigentliche Mittelpunkt von Martins Familie, da sie jedem ans Herz gewachsen ist. Sie ähnelt ihrer Mutter Julia und lässt bereits jetzt erahnen, dass sie ebenso musikalisch wie sie sein wird. Lenchen ist das Ergebnis einer Vergewaltigung, die Julia vor ein paar Jahren erleiden musste. Martin nahm sich des Falles an und verliebte sich sofort in Julia. Dass Lenchen nicht sein leibliches Kind ist, stört weder ihn noch sonst jemanden. Er liebt das Kind wie seine beiden Söhne.

Helga Egger

Martins Schwester ist die gute Seele der Familie. Sie war nie verheiratet und hat keine eigenen Kinder. Sie ist da, wenn Martin und Julia sie brauchen. Wenn Martin im Dienst ist und Julia an der Salzburger Musikschule unterrichtet, sorgt sie für die Kinder und die Hausgäste, die Martin im Sommer und Winter hat, wenn er Zimmer vermietet. Ab und zu wohnt Helga bei ihnen, wenn die Zimmer belegt sind und sie nicht jeden Tag von ihrem nicht weit entfernten Haus herüberlaufen will.

Oberinspektor Josef Faltermeier

Josef ist zweiundvierzig Jahre alt, hat dunkle Haare, die sich lichten, und einen Bauchansatz, der ein wenig größer ist als der von Martin. Josef und Martin kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit und es war kein Zufall, dass die beiden zur Polizei gingen. Martins Vater war Polizist und so bekamen sie einen guten Einblick in die Arbeit. Josef ist behäbiger und ruhiger als Martin.

Oberinspektorin Andrea Hauser

Andrea ist zweiunddreißig Jahre alt, schlank und sportlich, mit einem olivfarbenen Teint, den sie ihrer pakistanischen Mutter verdankt. Sie ist schon lange Mitglied in Martins Team und er schätzt sie als gute und zuverlässige Kollegin. Sie ist mit Karl Hauser, einem Feuerwehrmann aus Zell am See, verheiratet und hat mit ihm einen Sohn, der dank Josefs Patenschaft ebenfalls Beppi, also Josef, heißt. Andrea ist genauso wie Josef eine Kollegin, auf die sich Martin hundertprozentig verlassen kann. In schwierigen Situationen lässt sie ihn nicht im Stich, auch wenn sie öfter mal anderer Meinung als ihr Chef ist.

Kommissär Vanessa Bieringer

Vanessa ist sechsundzwanzig Jahre alt und sehr sportlich. Sie ist das Küken oder Nesthäkchen in Martins Team. Martin sieht sie trotz ihres Alters als vollwertiges Mitglied seiner Truppe. Mehr als einmal hat sie Martin mit ihren eigensinnigen Aktionen das Leben gerettet. Dadurch bringt sie sich jedoch auch selbst in Gefahr. Manchmal handelt sie, bevor sie denkt. Allerdings sieht sie ihre Fehler immer ein.

Hofrat Gmeiner

Er ist etwa fünfundsechzig Jahre alt (sein wirkliches Alter verrät er nie), trägt einen Backenbart wie einst Kaiser Franz Joseph I., wodurch man seine Affinität zur damaligen Monarchie erkennt. Er besitzt eine füllige Figur, die ihn aber auch gemütlich und typisch wienerisch aussehen lässt. Sein Wahlspruch lautet: »Ich bin zwar Salzburger, aber dennoch ein treuer Österreicher.« Gütige Augen mit einem verschmitzten Lächeln in den Augenwinkeln strahlen im tiefsten Blau. Er ist ein alter Freund der Familie, der sogar für Martins Zwillinge den Göden machte. Er steht Martin stets bei, wenn es mal Schwierigkeiten im beruflichen Umfeld gibt. Hofrat Gmeiner ist ein strenger, aber auch gerechter Vorgesetzter. Sein steter Begleiter ist sein Dackel Ludwig, mit dem er gerne und oft spazieren geht. Frei nach dem Motto: »Wenn ich mit meinem Dackel von Grinzing heimwärts wackel …« von Peter Alexander.

Oberst Wolkenstein

Er ist der Leiter der wichtigsten polizeilichen Sondereinheit Österreichs, der COBRA. Er steht Martin bei brenzligen Situationen mit seiner Truppe zuverlässig zur Seite. Auch privat sind die beiden gut befreundet. Oberst Wolkenstein fällt wegen seiner sportlichen, nahezu schlaksigen Figur auf. Der stechende Blick seiner stahlblauen Augen bringt jeden, der ihm begegnet, automatisch dazu, zu glauben, er hätte etwas angestellt und Wolkenstein sähe ihm das sofort an. Seine Haare sind zweckmäßig auf eine Länge von nur einem Millimeter getrimmt. Er ist streng, nahezu gnadenlos, aber dennoch fair und gerecht. Er hält nicht viel davon, einem Straftäter einen Finalschuss zu geben, da er der Meinung ist, dass auch solche Menschen ein Recht auf Leben haben.

Prolog

Die schwere Stahltüre fiel mit lautem Dröhnen hinter ihm zu. Es regnete und der Wind peitschte ihm die Regentropfen ins Gesicht. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch und rückte seinen Panamahut zurecht, den er noch von früher besaß. Mit einer Hand hielt er seinen Kragen zusammen. In der anderen trug er die kleine Reisetasche, die seine wenigen Utensilien beherbergte.

Nach zehn Jahren im Häfn stand er vor dem großen Betonbau. Dreißig Jahre hatte man ihm damals aufgebrummt. Was jetzt? Die Außenwelt, von der er nur wenig mitbekommen hatte, war verändert. Die Autos, die vorbeifuhren, kannte er nicht. Die Marken sagten ihm etwas, aber nicht die Modelle. Sie waren anders, größer. Mit dunklen Scheiben und großen Rädern. Konnte sich heute jeder so ein Auto leisten?

Ob er sich in dieser neuen Welt zurechtfände? Die Busse, die an ihm vorbeifuhren, sahen auch anders aus.

Er drehte sich um und musterte die Mauern, die kalt und grau vor ihm in die Höhe ragten. Das Tor, die kleine Türe darin. Sollte er umdrehen und freiwillig im Gefängnis bleiben? Nein, das ging nicht. Man hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass er mit seiner tödlichen Krankheit haftunfähig sei und man den Gnadenweg gehen und ihn entlassen müsse. Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Dazu Metastasen im ganzen Körper, in der Leber, der Lunge, den Nieren. Alles befallen von diesem Krebs. Austherapiert, hieß es im Gefängniskrankenhaus. Das Todesurteil. Eigentlich wollte er der Krankheit den Kampf ansagen. Wenn du mich umbringst, stirbst du auch, hatte er damals gedacht. Aber das nutzte nichts. Also hatte er aufgegeben. Für ihn war das wie ein Hinauswurf aus seiner Wohnung, seinem Haus und seinem Leben, in dem er sich eingerichtet hatte.

Was jetzt? Wohin sollte er gehen? Wohin konnte er gehen? Nach Hause? Gab es das überhaupt noch? Stand das Haus noch, in dem er viele Jahre gelebt hatte? Dorthin würde er mit der Bahn fahren müssen. Wo war der Bahnhof? Wie kam er dorthin? Mit einem Taxi? Nein, das konnte er sich nicht leisten. Noch nicht. Sobald er zu Hause wäre, würde er sich ein Taxi leisten. Ein Auto kaufen? Möglich wär’s. Mit anderthalb Millionen stand ihm die Welt offen.

Er wollte Passanten fragen. Einer musste ihm sagen, wo der Bahnhof war. Aber die Leute, die ihm entgegenkamen, wechselten die Straßenseite, wenn er auf sie zuging. Sah man ihm an, wo er herkam? Konnte das sein? Trug er ein Schild am Mantel, auf dem stand: »Ich bin grad aus dem Häfn entlassen worden«? Nein, sicher nicht. Sah man es an seiner Kleidung, dass sie zehn Jahre in den Räumen der JVA Salzburg gehangen hatte? Konnte das sein? Zugegeben, er sah nicht gerade vertrauenswürdig aus. Rasiert hatte er sich zwar und geduscht auch, ehe man ihm seine Habseligkeiten gegeben hatte. Aber das Gesicht? Er erinnerte sich kurz daran, wie abgemagert und bleich ihn sein Gesicht aus dem polierten Blech in seiner Zelle angesehen hatte. Vielleicht war es das? Oder war es eher der unheimliche Tumor, der in seinem Körper wucherte, ihm alle Kraft nahm und ihn langsam von innen heraus zerfraß?

Zuerst hatte er in Salzburg eingesessen. In der Schanzlgasse in der Salzburger Altstadt. Dann aber hatte man einen neuen Häfn gebaut. Zwölf Kilometer entfernt vom alten Gefängnis. In Puch-Urstein bei Hallein hatte man es hingestellt, für sechsunddreißig Millionen Euro. Eine Menge Geld, wenn man bedenkt, dass dort nur für zweihundertfünfundzwanzig Häftlinge Platz war. Er war einer der Ersten gewesen, die umgesiedelt wurden. Es hatte eine Weile gedauert, bis er sich eingelebt hatte. Und jetzt warf man ihn hinaus. Haftunfähig sei er, hieß es. Lebensunfähig nannte er es. Er fühlte sich weggeworfen wie ein Stück Dreck, für das man keine Verwendung mehr hatte. Jetzt war er frei. Durfte gehen, wohin er wollte oder – konnte. Aber wohin?

Da vorne. Hundert Meter weiter war eine Bushaltestelle. Sollte er mit dem Bus fahren? Oder sollte er sich das Geld sparen, von dem er ohnehin nicht viel hatte? Das Geld, das er damals mit seinen Komplizen erbeutet hatte, lag irgendwo. Seine Freunde bewahrten es für ihn auf. Das nutzte ihm jetzt aber wenig. Nur ein paar hundert Euro waren übrig geblieben vom jahrelangen Arbeiten in der Gefängnisschreinerei. Er hatte dies und das gebraucht. Rasierschaum oder eine Zeitung. Eine Tageszeitung hatte er nicht abonniert. Die lieh er sich von anderen Gefangenen. Dafür bekamen sie ab und zu eine Zigarette von ihm. Er rauchte nicht, kaufte aber trotzdem immer wieder eine Schachtel. Zigaretten waren eine begehrte Währung im Häfn.

Er lief zur Bushaltestelle. Dabei musste er sich beeilen. Ein Bus fuhr gerade vor und ließ ein paar Leute aussteigen. Atemlos stieg er ein. Der Busfahrer sah ihn merkwürdig an. »Wo soll’s hingehen?«, fragte er ihn.

»Zum Bahnhof – wie weit ist das? Wo muss ich da langlaufen?«

»Wollns nicht mitfahren?«

»Nein, ich lauf’ lieber zu Fuß«, antwortete er.

»Gehns die Straße runter. A paarmal links und rechts, und scho sands durt«, erklärte ihm der Busfahrer mehr oder weniger freundlich.

»Danke«, antwortete er und stieg aus.

Die Türen des Busses schlossen sich und er fuhr an.

Nun stand er da, am Straßenrand, seine alte Reisetasche in der Hand, und sah sich hilflos um. Langsam ging er los. Er lief in die Richtung, die ihm der Busfahrer gezeigt hatte. An der ersten Kreuzung blieb er stehen. Warum gibt es keine Schilder, auf denen steht, wo es zum Bahnhof geht?, überlegte er. Es half nichts. Er ging weiter. Zuvor aber wanderte sein Blick über die Berge. Dort hinten. Da musste der Untersberg sein. Aber heute war er nicht zu sehen, denn die Wolken hingen tief. Von seiner Zelle in Salzburg konnte er hinüberblicken zur alten Veste, die nachts besonders schön anzusehen war, wenn sie von allen Seiten beleuchtet über der Stadt schwebte. Schade, auf der Veste war ich nie. Eigentlich eine Schande, wenn man im Salzburger Land lebte und sich nie die Zeit nahm, die alte Veste zu besichtigen. Die werde ich mir aber noch anschauen, bevor ich … ach was. Im Geburtshaus Mozarts war ich auch noch nie. Ebenso wenig in der Eisriesenwelt. Die Festspiele hab ich mir auch nicht angeschaut. Was hab ich alles verpasst? Was noch nicht gesehen? Sicher, ich war auf der ganzen Welt. Überall. Rio, Tokio, Barcelona und Malibu. Aber hier? Warum hab ich mir das nicht angesehen? Ich werde das auf jeden Fall nachholen, ehe ich … Aber hab ich überhaupt die Zeit dazu? Ich werde sie mir nehmen. So oder so, überlegte er.

Irgendwann kam er am Bahnhof an. Er löste eine Fahrkarte und fuhr mit dem Zug nach Salzburg. Von dort wollte er weiter nach Zell am See. Das war sein Ziel.

Kapitel 1

Chefinspektor Egger saß mit seinen Kollegen Josef Faltermeier, Andrea Hauser und Vanessa Bieringer in seinem Büro in der Dienststelle Zell am See. Martin war unruhig und stand auf, um ans Fenster zu gehen und hinunterzublicken auf den Parkplatz, auf dem sein neues »Spielzeug«, wie die Kollegen gerne frotzelten, stand. Es war ein nagelneuer SUV. Zwar waren nicht alle Annehmlichkeiten, die man bei einem privaten Fahrzeug dieser Klasse erwarten konnte, eingebaut, aber er war zumindest zweckmäßig ausgestattet. Sein Blaulicht musste man nicht mehr auf das Dach kleben, sondern es war hinter der Windschutzscheibe im Inneren des Wagens eingebaut. Er hatte über dreihundert PS und war mit Allrad ausgestattet, was ihn für alle Fälle beweglicher machte. Auf die PS hätte Martin gerne verzichtet, denn sie erschienen ihm unnötig.

Mit Wehmut im Herzen dachte er zurück an seinen alten Wagen, der ihm die letzten Jahre immer treue Dienste geleistet hatte. Über zweihunderttausend Kilometer war er mit ihm gefahren. Sicher, manchmal hatte er seine Macken gehabt, aber die kleinen Probleme reparierte der Fahrdienst innerhalb von ein paar Stunden. Auch die Sitze hatten ein paarmal erneuert werden müssen, weil sie durchgescheuert waren. Deshalb hatte der neue Wagen wohl Ledersitze.

Am liebsten wäre er hinuntergegangen, um noch ein paar Runden damit zu fahren. Aber das ließ sein Dienstplan nicht zu. Die gesamte Inspektion war mit diesen neuen Autos ausgestattet worden. Eins wie das andere hatte die typische blaue Farbe, obwohl einige der Kollegen Sonderwünsche gehabt hatten. Martin wäre ein dezentes Lindgrün am liebsten gewesen, aber das ließ sich nicht ändern. Der Leiter des Fuhrparks hatte nur gemeint, sie sollten froh sein, dass sie überhaupt ein neues Auto bekamen. Der Wagen hatte selbstverständlich eine Klimaanlage und beheizbare Vordersitze. Ein Navi war eingebaut, obwohl die meisten der Fahrer es nicht benötigten, da sie aus der Gegend stammten. Darauf hätte auch Martin gerne verzichtet. Die Schlüssel waren etwas Besonderes für ihn, es waren Funkschlüssel, mit denen das Auto automatisch entsperrt wurde, sobald man sich ihm bis auf ein paar Meter näherte. Früher, beim alten Auto, hatte Martin aus der Ferne eine Taste auf dem Schlüssel gedrückt, damit er schnell einsteigen konnte.

Martin war trotz Wehmut stolz auf das neue Auto. Am letzten Wochenende war er damit mit seiner Familie, die aus seiner Frau Julia, den Zwillingen Max und Moritz sowie der kleinen Leni bestand, zu einem kleinen Familienausflug gestartet. Ernüchtert hatte er feststellen müssen, dass das neue Fahrzeug wesentlich mehr Sprit verbrauchte als sein alter Wagen, der nun auf irgendeinem Schrottplatz vor sich hin gammelte. Natürlich tankte er auf eigene Kosten, denn seinen Ausflug den Steuerzahler finanzieren zu lassen, erschien ihm nicht gerecht.

»Gibst mir den Autoschlüssel? Ich möchte ein paar Runden mit ihm drehen«, fragte Josef.

»Meinetwegen. Hol ihn dir aus der Schublade«, antwortete Martin. »Pass aber auf, dass du mir keine Delle reinfährst oder Kratzer in den Lack kommen«, fügte er hinzu.

»Ich fahr’ nicht zum ersten Mal mit einem Auto«, gab Josef zurück und grinste.

Als die Dienststelle die neuen Fahrzeuge bekommen hatte, hatte jeder Fahrer eine Art Schulung durchlaufen müssen, wie er mit dem Fahrzeug umzugehen hatte. Martin hatte darauf bestanden, dass in seiner Abteilung alle Mitarbeiter an der Schulung teilnahmen. Vanessa hatte es fertiggebracht, den Wagen ins Schleudern zu bringen, was bei solchen Fahrzeugen nicht so einfach war.

Josef ging zu Martins Schreibtisch und holte eine kleine Blechdose heraus, in der sich der Schlüssel befand. Dies war eine Anordnung vom Fahrdienst, um zu verhindern, dass Fremde das Fahrzeug fahren und benutzen konnten, indem sie mithilfe eines elektronischen Gerätes die Signale der Schlüssel abfingen. Die Dose sollte die Funksignale abschirmen.

Josef verließ das Büro. Martin postierte sich wieder am Fenster und beobachtete den Parkplatz. Irgendetwas stimmte da unten nicht. Martin konnte nicht genau sagen, was, und doch fiel ihm etwas auf.

Einer der Kollegen aus einer anderen Abteilung verließ soeben das Gebäude und ging auf die Autos zu. Als er bei einem der Fahrzeuge ankam, gab es eine Explosion. Ein riesiger Feuerball stieg auf, der von einem lauten Knall begleitet wurde. Die Fensterscheibe in Martins Büro vibrierte leise. Blechteile und Glassplitter flogen durch die Luft und der Kollege, der noch kurz vorher in der Nähe des Fahrzeugs gestanden hatte, wurde einige Meter zurückgeschleudert. Die Alarmanlagen nahezu aller Fahrzeuge begannen zu hupen und die Lichter blinkten.

Dies alles spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab. Martin kam es vor, als sähe er es in Zeitlupe. Sofort drehte er sich um und rannte hinaus.

»Was ist passiert?«, rief ihm Andrea hinterher.

»Ich weiß es noch nicht«, rief Martin zurück und spurtete den Flur entlang und die Treppen hinunter. Vor der Haustüre standen Kollegen, die sich ratlos ansahen. Ein paar andere hatten beherzt zu Feuerlöschern im Treppenhaus gegriffen und versuchten, die Flammen zu löschen, die zehn Meter in die Höhe schlugen. Andere wiederum kümmerten sich um den schwer verletzten Kollegen, der benommen auf dem Boden saß. Aus der Ferne war das Martinshorn der Feuerwehr zu hören, die kurz darauf auf dem Parkplatz eintraf. Die Feuerwehrler sprangen aus dem Fahrzeug und stellten sich zunächst in Reih und Glied neben dem Fahrzeug auf, um die Befehle ihres Kommandanten entgegenzunehmen. Dann begannen sie, in überlegter Geschwindigkeit ihre Schläuche und alle anderen benötigten Geräte aus dem Fahrzeug zu holen. Sie benutzten zum Löschen Schaum, der die Flammen bald erstickte.

Endlich kam der Notarzt, der sich umgehend um den Verletzten kümmerte. Martin wartete ab, bis die Leute von der Feuerwehr ihre Schläuche eingerollt und verpackt hatten, ehe er zu seinem Auto ging. Das stand neben dem Wagen, der soeben in die Luft geflogen war.

Josef, der bisher inmitten der anderen Beamten gestanden hatte, kam ebenfalls dazu. »Eine schöne Sauerei ist das«, stellte er fest, als er den demolierten Wagen sah. Die Seitenscheiben waren eingedrückt und die Karosserie hatte einiges abbekommen. Er schien zwar noch fahrtüchtig zu sein, musste aber wohl trotzdem in die Werkstatt. Martin wandte sich um und besah sich das kaputte Auto.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen weckte ihn Julia fröhlich. »Guat Murgn, Martin. Zeit zum Aufsteh!«, rief sie und gab ihm einen Kuss. Ihre Fröhlichkeit war nur gespielt. Das merkte Martin sofort. Sie machte sich Sorgen. Ernsthafte Sorgen. Er bemerkte, wie Julia immer wieder zum Fenster hinaussah, während sie gemeinsam frühstückten.

Die Buben saßen mit am Tisch und beobachteten beide.

»Ist was, Mama?«, fragte Moritz.

»Nein, was soll denn sein?«

»Ich mein nur, weil du immer aus dem Fenster schaust. Das tust du doch sonst nicht.«

»Ich schau bloß, wie das Wetter heut wird. Es schaut nach Regen aus. Zieht eure warmen Jacken an, wenn ihr zur Schule geht.«

Draußen hupte ein Auto. Wieder sah Julia erschrocken hinaus. Beruhigt meinte sie dann: »Das ist Andrea. Josef und Vanessa sitzen auch drin. Wieso holt sie dich ab?«

»Weil mein Wagen in der Werkstatt ist. Irgendwie muss ich doch ins Büro kommen.«

»Ach so, ja.«

Martin trank noch schnell den Rest des Kaffees aus. Er zog seine Jacke an und verabschiedete sich von seiner Familie.

»Pass gut auf dich auf. Du wirst noch gebraucht«, sagte Julia ganz entgegen ihrer Gewohnheit leise zu ihm, als sie ihm noch einen Kuss gab.


»Hast du heut nicht gut geschlafen?«, fragte ihn Andrea, als er im Wagen saß.

»Nein, ganz und gar nicht. Ich hab Albträume gehabt.«

»So siehst du auch aus.«

»Müssen wir uns Sorgen machen?«, erkundigte sich Vanessa mitfühlend.

»Nein, warum auch? Mir geht’s gut und alles ist in bester Ordnung«, sagte er mit einem Hauch von Bitterkeit in der Stimme.

»Das hört sich aber gar nicht danach an. Was ist los? Ärger mit Julia?«, fragte Josef.

»Ist was mit Max oder Moritz?«, fiel Vanessa ihm ins Wort.

»Oder mit Lenchen? Ist sie krank?«, bohrte Andrea weiter.

»Jetzt lasst mich in Ruhe. Es ist alles in bester Ordnung. Ich habe keinen Streit mit Julia. Max und Moritz geht es gut und auch Lenchen fehlt nichts«, fuhr er seine Kollegen an.

»Aber irgendetwas scheint mit dir nicht zu stimmen«, stellte Andrea fest.

»Es ist alles in Ordnung«, wiederholte Martin. »Und du schau lieber auf den Verkehr«, fügte er an Andrea gewandt zu, die beinahe einen Radfahrer geschnitten hätte.

»Jaja. Ist schon gut. Man wird sich doch noch Sorgen machen dürfen«, erwiderte Andrea.

»Macht euch um mich keine Sorgen. Ich komm schon selbst klar«, sagte er gereizt.

»Ach so? Selbst klarkommen? Womit willst du selbst klarkommen?«, setzte Josef an, der hinter Martin saß.

»Das geht dich nichts an, und jetzt lasst mich gefälligst in Ruhe.«

Bis zur Dienststelle schwiegen alle. Selbst im Büro setzten sie sich schweigend an ihre Arbeitsplätze. Martin spürte regelrecht die Spannung, die im Raum lag. Schließlich hielt er es nicht mehr aus.

»Na gut. Setzen wir uns zusammen. Ich hab euch was zu sagen«, begann er und zeigte auf den Besprechungstisch. Es war nur ein kleiner, viereckiger Tisch, den sie sich aus der Kantine ins Büro geholt hatten. Aber er erfüllte seinen Zweck. Oft setzten sie sich gemeinsam an den Tisch und besprachen den Fall oder was es eben gerade zu besprechen gab.

Sie zogen ihre Bürostühle an den Tisch. Martin spürte die neugierigen Blicke auf sich.

»Die Sache ist die«, begann er. »Julia und ich haben gestern einen anonymen Brief bekommen, in dem Fotos waren. Ich …«

Es klopfte an der Türe.

»Jetzt nicht!«, rief Martin verärgert.

Die Türe öffnete sich. »Es wäre aber wichtig«, hörte Martin Maurer sagen.

»Hast du was herausgefunden?«, fragte Martin.

Maurer hatte das Kuvert bei sich und brachte es ihm. Es klang wie eine Entschuldigung, als er sagte: »Tut mir leid, Martin. Aber außer deinen und den Fingerabdrücken deiner Frau habe ich nichts gefunden. Außerdem müssen die Fotos nachbearbeitet worden sein. Die Bilder wurden schätzungsweise aus einer Entfernung von fünfhundert Metern gemacht. Ich hab das mit dem Mikroskop festgestellt. Ferner ist das am Bokeh zu sehen. Ich hab auch keine weitere DNA gefunden. Der Zettel oder Brief, wie immer du das nennst, wurde auf einem PC geschrieben. Ausgedruckt wurde er auf einem Nadeldrucker. Einem alten Star LC 24.«

Martin nahm das Kuvert an sich. »Dann kann man wohl nichts machen. Trotzdem danke.«

»Ich geh dann wieder. Ich hab jetzt Feierabend. Servus, ihr vier.«

»Servus, Maurer«, verabschiedete ihn Martin.

»Was ist mit den Fotos? Sind das die, von denen du uns eben erzählen wolltest?«, fragte Andrea aufgeregt.

Josef schnappte sich das Kuvert.

»Finger weg«, fuhr ihn Martin aufgebracht an und nahm es wieder an sich. Er holte die Bilder heraus und legte sie vor sich auf den Tisch.

»Sind das Bilder vom letzten Wochenende? Das ist aber schön dort«, meinte Vanessa und fischte eines heraus.

»Ja, das sind Bilder vom letzten Wochenende. Sie zeigen meine Familie und mich und Julias Großeltern. Ich hab aber keine Ahnung, wer die gemacht haben könnte. Der Zettel lag auch dabei«, erklärte er und zeigte darauf.

Josef nahm ihn und sah ihn sich genau an. »Normales Schreibpapier, würde ich sagen«, stellte er fest und legte den Zettel zurück.

»Jetzt verstehe ich dich«, sagte Andrea und platzierte das Foto, das sie in der Hand hatte, ebenfalls auf dem Stapel.

»Tut mir leid, dass wir dir auf die Nerven gegangen sind«, entschuldigte sich Vanessa. »Aber du musst uns verstehen. Wir machen uns eben Sorgen um dich. Dass du heute nicht ganz bei der Sache bist, ist doch ganz klar. Aber wir sind doch Freunde. Eine Familie, sozusagen. Du kannst und sollst mit uns über solche Sachen reden. Wir bringen das schon in Ordnung. Du kennst uns ja.«

»Ja, Vanessa. Ich kenn euch, und eben darum muss ich sehen, wie ich das regle.«

»Du regelst erst mal gar nichts. Ab sofort stehst du unter Polizeischutz. Wir drei passen abwechselnd auf dich auf. Wir wollen doch unseren Chef nicht verlieren«, sagte Andrea und grinste Martin an.

»Ich brauch keinen Polizeischutz. Ich kann auf mich selbst aufpassen«, widersprach Martin.

»Aber wenn …«

»Kein Wenn und kein Aber. Ich pass auf mich selbst auf. Dann brauch ich mir wenigstens keine Sorgen um euch zu machen.«

»Sag ich doch! Wie in einer Familie!«, meinte Vanessa.

»Was ist jetzt mit dem Anschlag von gestern? War das eine Warnung an dich oder hat sich der Attentäter nur vertan?«

»Das weiß ich nicht. Verdammt noch mal, ich weiß es nicht!«, rief Martin, der Verzweiflung nahe.

»Ich denk, wir sollten den Staatsanwalt Diederich informieren«, beschloss Andrea und stand auf.

Auch Martin erhob sich. Er reckte drohend den Zeigefinger in die Luft. »Untersteht euch. Ihr sagt nichts, gar nichts, und schon gar nicht dem Staatsanwalt. Wenn euch meine Freundschaft etwas wert ist, dann redet ihr mit niemandem darüber. Habt ihr mich verstanden?«

»Jetzt reicht’s aber, Martin! Wir machen uns Sorgen um dich und du tust, als wenn nichts wäre. Du bekommst anonyme Post mit ebenso anonymen Bildern, und du glaubst, du könntest das alleine lösen? Vergiss es! Denk daran, was Vanessa vorhin zu dir gesagt hat. Wir sind nicht nur Freunde, wir sind auch eine Familie, und ich bin bei Gott dankbar, weil ich eine solche Familie habe«, fauchte ihn Andrea an.

Martin setzte sich wieder. »Ihr habt ja recht. Aber ich will euch da nicht mit hineinziehen. Das Ganze ist meine Angelegenheit, und ich will das auch als meine behandelt wissen.«

»Jaja, schon gut. Ich möchte nur, dass du verstehst, dass wir dich in dieser Situation nicht alleine lassen wollen. Du tätest dasselbe für jeden von uns.«

Auch Andrea setzte sich wieder.

»Seid ihr jetzt fertig?«, fragte Vanessa gereizt.

»Ja«, antworteten beide unisono. »Dann will ich erst mal von Martin wissen, ob ihm gestern noch etwas aufgefallen ist, was mit der Sache zu tun haben könnte.«

»Ja, das ist es«, begann Martin. »Als ich gestern Abend hier war, hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich hab genau geschaut und aufgepasst, ob mich jemand verfolgt. Aber ich habe nur ein Pärchen gesehen, das bei der Straßenlaterne am Parkplatz herumgeknutscht hat.«

»Na also. Da haben wir ja schon etwas«, rief Vanessa freudig. »Ich geh gleich mal zur Hausverwaltung und lass mir die Überwachungsvideos von gestern Abend zeigen. Da muss doch was drauf zu sehen sein.«

»Bleib hier, Vanessa. Das bringt nichts. Ich war schon unten. Die Kameras sind kaputt«, meinte Martin.

»Wieso sind die kaputt?«, fragte Vanessa erregt.

»Weil der Hersteller Mist gebaut hat«, antwortete Martin angespannt.

»Und was machst du?«, fragte Andrea Josef.

»Ich für meinen Teil weiche nicht von Martins Seite. Egal, wohin er geht, ich bleib in seiner Nähe«, versprach Josef.

»Aber aufs Klo darf ich alleine?«, erwiderte Martin erleichtert.

»Siehst du? Dir geht’s schon besser. Sogar blöde Witze kannst du wieder reißen«, entgegnete Andrea.

»Also, an die Arbeit«, ordnete Martin an und ging zu seinem Schreibtisch.

»Womit fangen wir an?«

»Zunächst mal fahren wir zu unserem Kollegen, der gestern schwer verletzt wurde. Vielleicht kann er ja eine Aussage machen. Vielleicht weiß er was«, schlug Martin vor.

»Besorgst du einen Blumenstrauß, Vanessa?«, fragte Andrea.

»Ja, ich hol einen aus der Gärtnerei in der Klinik.«

Es klopfte an der Tür.

»Ja bitte?«, rief Martin.

Meiler kam herein. »Du kannst deinen Wagen heut noch abholen. Er ist so gut wie fertig«, sagte er zu Martin.

»Danke. Habt ihr was gefunden?«

»Du meinst, an dem Wagen, der in die Luft gejagt wurde?«

»Ja, den mein ich.«

»Außer, dass es militärischer Sprengstoff war, nicht viel. Aber das weißt du ja eh schon.«

»Wie geht’s dem Kollegen?«

»So weit ganz gut. Er hat etliche Prellungen, ein Arm wurde ausgekugelt und einen Gehörschaden trägt er augenscheinlich auch davon.«

»Also Schluss mit Streifendienst?«, fragte Josef mitleidig.

»Davon kann man ausgehen. Er wird halt Innendienst machen müssen. Für eine vorzeitige Pensionierung ist er noch zu jung.«

»Ist er verheiratet?«

»Ja, und das ist das Tragische dran. Er ist erst seit fünf Jahren verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Nicht auszudenken, wenn das schiefgegangen wäre.«

»Wir fahren jetzt zu ihm. Glaubst du, dass er was braucht? Was kann man ihm mitbringen? In welchem Zimmer und auf welcher Station liegt er?«

»Soweit ich weiß, braucht er nichts. Aber ich denke, über eine Kleinigkeit wird er sich freuen. Nur bitte keine Blumen. Er ertrinkt schon fast darin. Er liegt in der Chirurgie. Zimmer zweiundsechzig.«

»Pralinen? Oder eine Flasche Wein? Saft? Raucht er? Obst? Was denkst du?«, fragte Vanessa neugierig.

»Ich denk, Pralinen werden am besten sein. Wenn er sie selbst nicht isst, kann sie ja seine Frau essen. Die ist eine Naschkatze.«

»Dann besorg ich die«, verkündete Vanessa.

Meiler verließ das Büro. Martin holte sich ein Ersatzfahrzeug aus der Fahrbereitschaft. Ihm war klar, dass er es sofort nach seiner Rückkehr zurückgeben musste. Schließlich wurde das Fahrzeug für eventuelle weitere Einsätze gebraucht. Obwohl alle Beamten neue Fahrzeuge bekommen hatten, standen zum Glück ein paar der älteren Fahrzeuge bereit.

»Was ist? Fahren wir?«, fragte Andrea ungeduldig.

»Mach das Fenster zu. Es zieht«, reklamierte Josef, der hinten im Wagen saß, als Martin das Seitenfenster herunterließ.

»Wieso? Genießt doch mal diese Luft. Diese saubere klare Luft. Das ist etwas anderes als in unserem stickigen Büro.«

»Jaja, und gleich wandern wir auf die Schmittenhöhe und schauen uns das Panorama an«, witzelte Andrea.

»Das wär mal was anderes. Heut ist doch ein herrlicher Tag. Schaut mal rüber zum Kitzsteinhorn. Prächtig, oder? Diese Macht, die von diesem Berg ausgeht. Da fühlt man sich als Mensch doch winzig klein.«

»Hör auf zu philosophieren. Du nervst«, sagte Josef gereizt.


In der Klinik angekommen, begaben sie sich sofort zum Zimmer des Kollegen. Martin kannte sich im Krankenhaus aus, da er selbst bereits einige Male auf der Station gelegen hatte. Vor dem Zimmer saß ein uniformierter Kollege und las Zeitung. Als er Martin erkannte, sprang er sofort auf und legte seine Hand an die Mütze.

»Guten Morgen, Herr Chefinspektor«, grüßte er.

»Guten Morgen. Behalten Sie ruhig Platz. Ist jemand bei ihm drinnen?«

»Nein, er ist im Moment allein.«

Martin klopfte kurz und betrat, gefolgt von den anderen, das Zimmer. Der Kollege lag im Bett und las Zeitung.

»Guten Morgen, Herr Zimmermann. Wie geht es Ihnen heute?«, fragte Martin und gab ihm die Hand.

»So weit ganz gut, Herr Chefinspektor. Nur hören tu ich schlecht«, sagte er überlaut.

»Das kommt wohl von dem Knall. Der war schon etwas lauter als ein Pistolenschuss.«

»Ja, ich bin mir vorgekommen wie bei einer Verfolgungsjagd.«

»Hoffentlich kommen Sie bald hier heraus. Ihre Familie wird Sie vermissen.«

»Ich vermiss sie auch. Noch mehr meine Arbeit. Glauben Sie, ich kann wieder Streife fahren?«

»Das kann ich nicht beurteilen. Das liegt nicht in meiner Hand«, erwiderte Martin.

»Hier, das haben wir dir mitgebracht«, sagte Vanessa und gab ihm die schön eingepackte Schachtel Pralinen.

»Danke.« Er entfernte das Geschenkpapier und freute sich sichtlich.

»Blumen hast du ja schon eine ganze Menge«, bemerkte sie.

»Ja, ich komm mir vor wie auf meiner eigenen Beerdigung.«

»Haben Sie schon darüber nachgedacht, wer dafür verantwortlich sein könnte?«, fragte Martin vorsichtig.

»Ja, ich hab mir die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen. Aber ich komm einfach nicht drauf, wer das getan haben könnte.«

»Gibt es vielleicht jemanden, dem Sie … sagen wir mal, unrecht getan haben? Oder jemanden, der glaubt, von Ihnen ungerecht behandelt worden zu sein? Das muss nicht unbedingt im Beruf sein. Es könnte auch in Ihrem privaten Umfeld sein.«

»Nein. Wie gesagt. Ich hab die ganze Nacht drüber nachgedacht, aber mir fiel niemand ein.«

»Gut, wir werden Ihre Fälle einen nach dem andren durchsehen. Vielleicht fällt uns da was auf.«

»Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Herr Chefinspektor. Aber ich glaub, das bringt nichts.«

»Haben Sie in der letzten Zeit Drohbriefe oder seltsame Anrufe bekommen?«

Er lachte kurz auf. »Was glauben Sie? Drohmails und Anrufe bekomme ich genug. Das sind nur Wichtigtuer, die meinen, mir damit einen Schreck einjagen zu können.«

»Können wir die Mails sehen?«

»Ja, gerne. Aber auch das wird zu nichts führen, es sind einfach zu viele. Ich lass sie von meiner Frau ausdrucken und Ihnen bringen.«

Martin gab ihm noch einmal die Hand. »Wir müssen jetzt wieder zurück. Ich wünsche Ihnen noch gute Besserung.«

»Danke. Auf Wiedersehen. Es hat mich gefreut, dass Sie da waren.«

»Keine Ursache, das haben wir gerne getan.«


Zurück im Büro fragte Vanessa nachdenklich: »Glaubst du, dass der Anschlag dir galt, Martin?«

»Ich weiß es nicht. Es könnte sein. Allerdings stellt sich mir die Frage, ob der Täter wirklich so blöd war und unsere Autos verwechselt hat.«

»Manchen Leuten kann man beim Blödwerden zuschauen«, meinte Andrea und grinste Martin an.

»Ich find das nicht zum Lachen, Andrea. Schließlich muss der Kollege wahrscheinlich sein Leben lang darunter leiden. Aber wir kriegen den Kerl schon noch.«

»Glaubst du?« Josef klang zweifelnd.

»Ganz sicher. Du kennst doch meine Devise. Wir kriegen sie alle. Sie wissen es nur nicht.«

»Wie gehen wir jetzt weiter vor?«

»Wir holen uns alle Akten von Fällen, die wir bearbeitet haben. Die schauen wir durch. Machst du das, Andrea?«

»Bin schon weg«, rief sie und verließ das Büro.

»Du gehst also immer noch davon aus, dass es eine Warnung an dich war?«

»Ja, Vanessa. Eine andere Erklärung fällt mir dazu nicht ein.«

»Was ist mit den Mails und den Anrufen, die Zimmermann bekommen hat?«

»Ich glaub nicht, dass unser Täter dabei ist. Aber wir werden die Spur natürlich ebenfalls verfolgen. Vielleicht gibt es ja doch einen Zusammenhang.«

Josefs Handy klingelte. Er nahm den Anruf an: »Faltermeier?«

Martin maß dem Anruf keine Bedeutung bei, bis er hörte: »Julia, jetzt mach dir mal keinen Kopf. Es geht ihm gut. Nein, nichts ist passiert. Da hat sich einer einen schlechten Scherz erlaubt. Er ist hier und …«

Martin winkte Josef zu. »Ist das Julia?«

»Ja, ich …«

»Gib her. Gib mir das Telefon«, sagte er.

Josef sagte in den Hörer: »Einen Moment, Julia. Ich geb ihn dir.«

Martin nahm das Telefon entgegen. »Julia? Wos is passiert? Wiaso ruafst du an Josef on?«

»I … i hob grod an Onruaf kriagg. I woaß nit, vo wem. Aba dea Mon hot gsoggt, dass du in a Schiasserei klemma bist und schwaar voletzt wurn bist. Ea hot a no gsoggt, dass du auf Lem und Dot in da Klinik liegst. «, erzählte sie unter Tränen.

»Des woar a foische Information. Mia is nix passiert. Es hot aa koa Schiassarei nit gem. Wannst mechst, kimm i sofort hoam.«

»Jo guat. I woart auf di«

»Du gehst nit ausm Haus, vostehst? Du bleibst dahoam und mochst neamandn auf. I bin glei bei dia.«

»Jo, is recht.«

Martin trennte die Verbindung und gab Josef das Handy zurück.

»Ich muss heim, und zwar sofort. Übernehmt ihr das mit den Akten?«

»Ja, selbstverständlich.«

Martin nahm den Telefonhörer ab und rief in der Kriminaltechnik an.

»Meiler, KTU«, meldete sich der Kollege.

»Meiler. Du musst mir einen Gefallen tun. Meine Frau hat eben einen mysteriösen Anruf bekommen. Kannst du bitte rausfinden, wer da angerufen hat und von wo aus?«

»Das kann aber eine Weile dauern, Martin. Ich kümmer mich so schnell wie möglich drum.«

»Ich fahr jetzt heim. Ich bin in circa einer Stunde wieder da. Schaffst du das bis dahin?«

»Kommt auf den Provider an. Aber ich denke, das ist zu schaffen.«

»Gut. Danke einstweilen.«

Martin legte auf und rief gleich darauf in der Bereitschaft an.

»Waller, Bereitschaftsdienst. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich der Kollege.

»Egger hier. Herr Waller, ich brauch sofort einen Dienstwagen. Ich hab einen dringenden Einsatz. Meiner ist noch in der Werkstatt.«

»Kommen Sie runter, Herr Chefinspektor. Sie bekommen den Wagen. Aber einen Fahrer hab ich nicht für Sie.«

»Das macht nichts. Ich kann selbst fahren.«

Martin legte wieder auf. »So. Ich bin dann weg«, verabschiedete er sich.

Er rannte die Treppen hinunter bis in den Keller, wo sich das Büro der Bereitschaft befand. Der Kollege dort erwartete ihn bereits mit dem Schlüssel und den Fahrzeugpapieren in der Hand.

»Hier. Sie müssen noch unterschreiben«, sagte er zu Martin und hielt ihm eine Kladde hin. Martin unterschrieb, dann eilte er hinaus auf den Parkplatz. Er verglich die Nummer auf den Papieren mit den Kennzeichen der neuen Fahrzeuge, die dort standen. Als er den Wagen gefunden hatte, lief er hin und stieg ein.

Mit quietschenden Reifen fuhr er vom Parkplatz. Er versuchte die Verkehrsregeln zu beachten, die auch weitgehend galten, wenn sie einen Einsatz hatten. Nur an den Ampeln schaltete er kurz die Sirene ein.

Da er in Zell wohnte, war er bald zu Hause. Julia erwartete ihn bereits am Hoftor. Er blieb stehen und sprang aus dem Wagen.

»Wos in olla Wöt mochst du do? I hob doch gsoggt, dass du im Haus bleim soyst.«

»I hob auf di gwoart. Außadem woar da Briaftroga do. Ea hot a Packerl brocht. Do is koa Absender nit drauf.«

»Wo is des Packerl?«, fragte er aufgebracht.

»Im Haus. I hobs in de Kuchl einiglegt.«

Martin schob sie beiseite und rannte ins Haus. In der Küche sah er ein kleines Paket auf dem Tisch liegen. Bevor er es in die Hände nahm, zog er Handschuhe an. Dann trug er es hinaus. Vorsichtig legte er es in den Kofferraum seines Wagens.

»Des nimm i mit. I loss des untasuachn. Wo is eigentli de Helga?«

»De is heit nit kumma. I hob scho bei ihra dahoam ongruafn. Aba do geht neamand ans Telefon.«

»Und de Kloa? Wo is de?«

»De liegt im Bett und schlofft.«

Martin geriet in Panik. Er rannte ins Haus und lief zu Lenis Kinderzimmer. Er befürchtete das Schlimmste. Als er die Türe öffnete, sah er Leni friedlich in ihrem Bettchen liegen und schlafen. Gott sei Dank. Es ist nichts passiert. Aber das Päckchen. Ich muss es sofort zur Technik und zur Spurensicherung bringen.

Er ging zurück zu Julia. »Konnst du di no an de Stimm erinnern vo dem, dea wo di ongruafn hot? Wos woar des füa oane? A junge oda a ölterne? A Mon oda a Frau?«

»I … i glaub, des woar a Mon. A ölterne Stimm woars. Er hot se ois Inspektor Lämmerer vurgstöt. Do hob i doch nit denkt, dass des nit stimma kannt, wos ea soggt.«

»Oiso woars a Mon?«, stellte Martin fest.

»Ja, i glaub scho.«

»Du gehst iatz sofurt wieda ins Haus und gehst ma jo nit mehr raus. Du losst a neamand nei. Vostehst?«

»Ja, aba worum? Hot des wos mit dene Fotos zum doan? Martin, i hob Ongst.«

»Des brauchst nit, Julia. Es is ois in Urdnung. I foahr iatz wieda ins Büro. Wenn wos is, ruafst mi glei on.«

»Ja, mach i.«

Er gab ihr noch einen Kuss und stieg in den Wagen. In der Dienststelle brachte er das Päckchen sofort zu Meiler.

»Ein Überraschungspaket?«, fragte dieser.

»Ja, aber ich denk, dass mir die Überraschung nicht gefällt. Da ist kein Absender drauf. Pass auf, wenn du es aufmachst.«

»Du denkst an eine Bombe?«

»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Was ist mit dem Telefon?«

»Ach so, ja. Wir haben da was. Deine Frau wurde von einem Prepaidhandy aus angerufen. Es befand sich zur Zeit des Telefonats in der Stadtmitte. Ich hab sofort jemanden dorthin geschickt. Aber da waren nur ein alter Mann mit einer Gitarre, der ein paar Lieder trällerte, und eine Menge Touristen.«

»Den Besitzer konntet ihr natürlich nicht feststellen, und auch nicht, wo das Handy jetzt ist, vermute ich.«

»Da hast du recht. Wahrscheinlich wurde die Karte weggeworfen.«

»Du kümmerst dich um das Paket?«

»Ja, ich mach das sofort. Ich geb dir Bescheid, wenn ich mehr weiß.«

»Ich bin dann im Büro, und – danke.«

»Keine Ursache.«


Während Martin die Treppen hochstieg, überlegte er. Ein Paket ohne Absender. Wer verschickt so etwas? Was da wohl drin ist? Eine Bombe wohl kaum. Das wäre zu riskant. Das Ding könnte schon beim Transport hochgehen. Aber dass es ausgerechnet Julia bekam? Der Typ hätte es auch hierherschicken können und nicht nach Hause. Aber vielleicht war das Absicht? Will er auch meiner Familie schaden? Will er mich so treffen? Was will er? Wieso meldet er sich nicht? Noch ist er nicht direkt an mich herangetreten.