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Agnes Habenicht ist Logopädin in eigener Praxis in Waldalgesheim (Landkreis Mainz/Bingen) und hat gemeinsam mit ihren Hunden eine Ausbildung zum „Therapiebegleithundeteam“ absolviert.

Hinweis: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02820-7 (Print)

ISBN 978-3-497-60997-0 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61060-0 (EPUB)

2. Auflage

© 2018 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Cover unter Verwendung von Fotos von ©istockphoto.com/ivanmateev und von Agnes Habenicht

Abb. 25 im Innenteil von Anne Piontek, alle weiteren Abbildungen von Agnes Habenicht

Abbildungen 6,8,29–33 und 40–41 mit freundlicher Genehmigung des Therapiezentrums Auromed

Satz: Bernd Burkart; www.form-und-produktion.de

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de  E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1Einführung in die Arbeit mit dem Therapiebegleithund

1.1Die Idee der tiergestützten Therapie

Geschichte der tiergestützten Therapie

Situation im deutschsprachigen Raum

Ausbildungssituation von Therapiebegleithundeteams in deutschsprachigen Ländern

1.2Der Therapeut in der Doppelrolle

1.3Die Dreiecksbeziehung in der hundgestützten Therapie

2Rahmenbedingungen der hundgestützten Sprachtherapie

2.1Räumliche Voraussetzungen

2.2Tierschutz und Versicherungsrecht

2.3Hygienevorschriften

3Der Hund und die Ausbildung

3.1Therapiebegleithund – eine Begriffsklärung

„Besuchshunde“ im Rahmen einer „hundgestützten Aktivität“

„Pädagogikbegleithunde“ im Rahmen einer „hundgestützten Förderung“

„Therapiebegleithunde“ im Rahmen einer „hundgestützten Therapie“

3.2Die Auswahl des Hundes

3.3Der Hund außerhalb der Therapie

3.4Ausbildungsmöglichkeiten für Hund und Hundeführer

Was sollte der Ausbildungsbetrieb leisten?

Wann sollte mit der Ausbildung begonnen werden?

Wie hoch ist der Zeitaufwand für die Ausbildung?

4Einfluss des Therapiebegleithundes auf die Sprachtherapie

4.1Einfluss des Therapiebegleithundes auf das Lernen

„Sensomotorisch-perzeptive Verarbeitung“

„Sozio-emotionale Fähigkeiten“

„Kognition“

„Geistige/Intellektuelle Fähigkeiten“

4.2Wirkungen des Therapiebegleithundes auf den Patienten

5Der Hund in der Sprachtherapie

5.1Wann kann ich den Hund einsetzen? Wann besser nicht?

Gründe für den Einsatz eines Therapiebegleithundes

Gedanken vor und während jeder hundgestützten Therapie

Gründe, die einem Einsatz entgegensprechen

5.2Wie führe ich den Hund bei den Patienten ein?

Einführung des Hundes über mehrere Ebenen

Umgang mit der Angst vor dem Hund

5.3Lernentwicklung und Körpersprache des Hundes

Die Entwicklung des Hundes

Vier Lernmöglichkeiten des Hundes

Die Körpersprache des Hundes

5.4Was muss der Hund in der Praxis können und warum?

Kommandos, die ein Hund unbedingt können muss

Kommandos, die sich in der Praxis bewährt haben

6Praxisideen für die hundgestützte Sprachtherapie mit Kindern

6.1Allgemeine Spielideen

6.2Therapie phonetisch-phonologischer Störungen

Therapie phonetischer Störungen

Therapie phonologischer Störungen

6.3Therapie semantisch-lexikalischer Störungen

Ideen nach dem HOT-Konzept

Wortschatzerweiterung: Nomen, Verben, Adjektive und Präpositionen

6.4Therapie syntaktisch-morphologischer Störungen nach Motsch

6.5Myofunktionelle Therapie

Myofunktionelle Übungen

Luftstromlenkung

6.6AVWS-Therapie und Legasthenietraining

Übung zur Merkfähigkeit

Übungen zur Erarbeitung der Wort- und Lautstruktur

6.7Gruppenarbeit mit Kindern

Einstieg in die Gruppenarbeit

Wortschatzarbeit

Übung zur Satzstruktur

Myofunktionelle Gruppenübung

Übungen zur Handlungsplanung

7Praxisideen für die hundgestützte Sprachtherapie mit Erwachsenen

7.1Stimmtherapie

Atemtherapie

Stimmeinsatz/-absatz

7.2Aphasie-Therapie

Wortfindung

Satzstruktur

7.3Dysarthrophonie-Therapie

Strukturiertes Sprechen

Artikulationsprägnanz

Artikulationsprägnanz in komplexen Handlungen

7.4Gedächtnistraining für Gruppen

Training des Kurzzeitgedächtnisses

Training des Langzeitgedächtnisses

8Verwendung und Herstellung von speziellem Material

Literatur

Adressen

Weiterführende Websites

Anhang: Beispiel eines Hygieneplans

Sachregister

Vorwort

„Was macht ein Hund in der Logopädie?“ „Bringt der den Kindern das Bellen bei?“ „Für Kinder ist das bestimmt eine tolle Sache!“ „Meine Freundin hat auch so einen Therapiehund. Mit dem geht sie immer ins Altersheim.“

Mit solchen und ähnlichen Aussagen werde ich täglich konfrontiert. Es ärgert mich zugegebenermaßen, dass die tiergestützte Therapie im deutschsprachigen Raum noch nicht den Stellenwert und die Anerkennung hat, die sie verdient. Therapeuten, die unter Zuhilfenahme eines Tieres heilen, werden meist von Außenstehenden und von Kollegen belächelt. Wer jedoch selber Tiere in der Therapie einsetzt, stellt sehr schnell fest, welchen positiven Einfluss sie auf den Verlauf der Therapie haben. Da es sehr schwierig ist, diesen Einfluss in nachweisbare Zahlen umzusetzen, ist die Wirksamkeit des Einsatzes von Tieren durch wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum noch sehr wenig belegt. Diese Tatsache erschwert die Überzeugungsbemühungen der Therapeuten gegenüber Ärzten, Krankenkassen oder den Berufsverbänden, die Therapieform als sinnvoll und wirksam einzustufen. Hier gilt es, noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

In der Logopädie ist der Einsatz eher unbekannt. Eine Kollegin von mir äußerte, dass sie den Einsatz eines Hundes im Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen als sinnvoll ansieht, nicht aber in der Arbeit in der täglichen sprachtherapeutischen Praxis. Warum der Einsatz eines Hundes in der Logopädie sehr sinnvoll ist, beschreibt das vorliegende Buch. Es soll Einblicke in die hundgestützte logopädische Arbeit geben und z. B. darüber aufklären, was hinter dem Einsatz eines ausgebildeten Therapiebegleithundes steckt (Kap. 5.1). Es soll Ordnung in die Begrifflichkeiten von „Therapiebegleithund“ und ähnlichen Bezeichnungen bringen (Kap. 3.1). Es zeigt den interessierten Therapeuten, was sie vor, während und nach dem Einsatz eines Therapiebegleithundes bedenken sollten (Kap. 1 und 2). Es gibt einen Einblick in die Ausbildung in einer professionellen Ausbildungsstätte und beschreibt, was Sie bei der Auswahl einer Ausbildungsstätte beachten sollten (Kap. 3). Dieses Buch soll Ihnen auch zeigen, wie Sie den Hund in der Logopädie einsetzen können und wie eine Therapie ablaufen kann (Kap. 6 und 7). Mithilfe von Übungsbeispielen wird gezeigt, wie ein Hund in den verschiedenen logopädischen Krankheitsbildern eingesetzt werden kann und was er dafür können sollte. Kap. 5.4.1 und 5.4.2 beschreiben, wie ich es meinem Hund beigebracht habe oder beibringen werde.

Wir als Therapeuten wissen, welche Therapieinhalte wir durchführen wollen. Letztendlich müssen wir nun „nur noch“ überlegen, wie der Hund in den geplanten Inhalt integriert werden kann. Dieses Buch soll und kann jedoch die Ausbildung in einer professionellen Ausbildungsstätte nicht ersetzen!

Möglichkeiten der praktischen Umsetzung zeigen die Fallbeispiele und die beschriebenen Übungsideen. Die in den Übungsideen erwähnten Vorlagen für die Therapie können als Zusatzmaterial auf der Verlagshomepage unter www.reinhardt-verlag.de heruntergeladen werden.

Danken möchte ich an dieser Stelle meinen zahlreichen großen und kleinen Patienten und deren Angehörigen, ohne die ich die Therapieideen nicht hätte entwickeln können und ohne die die Bilder nicht entstanden wären. Einen Dank möchte ich auch Martin Hardt vom Therapiezentrum „auromed“ aussprechen, der die Idee, einen Hund einzusetzen, erst möglich gemacht hat. Außerdem einen großen Dank an Katharina Gedike, die alle Übungsideen aus logopädischer Sicht gelesen hat. Einen weiteren Dank möchte ich Selina Sulzbach, Stefanie Honig, Anne Piontek und Annika Rugen aussprechen. Danken möchte ich auch Guido Huck von der Ausbildungsstätte MITTT, auf dessen Konzept ich mich in manchen Kapiteln beziehe, und der Ausbildungsstätte SATTT. Einen großen Dank an alle, die dieses Buch im Vorfeld gelesen, korrigiert und kommentiert haben, vor allem an Sylvia Jagelle-Lauenstein. Der letzte Dank gilt meinem Mann, Jürgen Habenicht, der viele Bilder gemacht und auch sonst viel zu diesem Buch beigetragen hat.

Hinweis: Der Einfachheit halber habe ich bei der Ansprache immer die männliche Form (Therapeut, Patient, Hund und Hundeführer) gewählt. Die weiblichen Therapeutinnen, Patientinnen, Hündinnen und Hundeführerinnen sind damit natürlich ebenfalls gemeint. Alle Namen in Fallbeispielen etc. wurden geändert.

Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen und bei der Arbeit mit Ihrem Therapiebegleithund.

Waldalgesheim, im Frühjahr 2018

Agnes Habenicht

1Einführung in die Arbeit mit dem Therapiebegleithund

1.1Die Idee der tiergestützten Therapie

Dieses Kapitel thematisiert zunächst die Geschichte der tiergestützten Therapie, vor allem deshalb, weil sich daraus auch die verschiedenen Schwierigkeiten und Vorbehalte ergeben, auf die tiergestützt arbeitende Therapeuten treffen. Auf einige dieser Vorurteile wird in diesem Kapitel ebenfalls eingegangen.

Geschichte der tiergestützten Therapie

Der gezielte Einsatz von Tieren in der Therapie wird schon lange praktiziert. Schon aus dem achten Jahrhundert liegen Berichte darüber vor, dass Tiere für Heilzwecke eingesetzt werden (Röger-Lakenbrink 2011). Genauer beschrieben und spezifiziert wird der tiergestützte Einsatz im angelsächsischen Raum seit dem 19. Jahrhundert. Es liegen Aufzeichnungen vor, dass „1796 von William Tuke und der in York vertretenen Quäkergemeinde, der Society of Friends“ (Greiffenhagen/Buck-Werner 2007) das „York Retreat“ gegründet wurde. Dabei handelt es sich um eine Anstalt für Geisteskranke, die anstelle von Ketten und Misshandlungen u. a. Tiere für die Heilung der Kranken einsetzte. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts rückte die Wirkungsweise der Tiere in der Therapie und in der Medizin immer mehr in den Vordergrund. In dieser Zeit entdeckte der amerikanische Kinderpsychotherapeut B. Levinson in einem Elterngespräch zufällig die Wirkung seines Hundes auf ein Kind, das bisher alle Zugangsversuche zu ihm und anderen Therapeuten verweigert hatte. Er sorgte dafür, dass der Hund bei jeder Behandlung des Jungen anwesend war und schrieb seine Beobachtungen auf. Diese Aufzeichnungen, erschienen 1969 und 1972 als Buch mit dem Titel „Pet oriented Child Psychiatry“, wurden bald Standardwerke und dienten weiteren Wissenschaftlern (z. B. S. und E. Corson, die ebenfalls die Wirkung von Hunden auf psychisch kranke Menschen erforschten) als Grundlage für weitere Forschungen auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie (Greiffenhagen/Buck-Werner 2007). Zu dieser Entwicklung trug bspw. ein großer Kreis von Medizinern und Therapeuten im angelsächsischen Raum bei, die sich 1977 in Portland zur Gesellschaft „Delta Society“ zusammenschlossen und es sich zur Aufgabe machten, die „Mensch-Tier-Beziehung“ als neuen, sinnvollen und wissenschaftlichen Zweig in ihren Berufsalltag zu integrieren (Röger-Lakenbrink 2011).

Situation im deutschsprachigen Raum

In den deutschsprachigen Ländern hielt die tiergestützte Therapie erst viel später Einzug. Es gibt zwar schon Aufzeichnungen (Greiffenhagen/Buck-Werner 2007) aus dem 19. Jahrhundert, in denen der Einsatz von Tieren in einer Klinik in Bethel bei Bielefeld beschrieben wurde. Allerdings fanden diese Aufzeichnungen nicht den Weg in eine größere Öffentlichkeit. Erst als im angelsächsischen Raum der Erfolg tiergestützter Therapien größer und die wissenschaftlichen Beschreibungen der Wirksamkeit dieser konkreter wurden (z. B. durch die Aufzeichnungen von Levinson 1996), begann Ende der 1980er Jahre auch im deutschsprachigen Raum der Einzug der tiergestützten Therapie.

Für die Anerkennung dieser Therapieform mussten und müssen hierzulande immer wieder Widerstände überwunden werden. Zu diesen Widerständen gehört, dass die Erfolge der Therapie mit einem Tier nur schwer messbar und deshalb wissenschaftlich schwer zu belegen sind. Da der wissenschaftliche Beweis für die Wirksamkeit des Einsatzes eines Tieres fehlt und lediglich Einzelfallbeschreibungen (s. Einzelfalldarstellungen in Kap. 6 und 7) den Einfluss des Tieres aufzeigen, wird diese Therapieform oft nicht ernst genommen und von manchen Ärzten und den Krankenkassen noch abgelehnt.

Gründung von Vereinen: Aus mehreren Einzelinitiativen entstanden in den 1990er Jahren in verschiedenen Ländern und auf internationaler Ebene Vereine, welche die tiergestützte Therapie immer mehr in die Öffentlichkeit rückten. Dazu gehören (Kontaktinformationen siehe unter Adressen):

„IAHAIO“ (International Association of Human Animal Interaction Organisation; Internationaler Dachverband für die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung),

„Pet as Therapy“ (England),

„TAT“ (Tiere als Therapie; Österreich),

„VTHS“ (Verein Therapiehunde Schweiz),

„Tiere helfen Menschen e.V.“ (Deutschland).

All diese Vereine und Initiativen arbeiten daran, die Wirksamkeit der tiergestützten Therapie in der Praxis zu beweisen. Ihnen zur Hilfe kommt die Wissenschaft, die anhand von Studien ebenfalls die Richtigkeit und Wirksamkeit des Einsatzes der Tiere in der Therapie evaluiert. So fand die amerikanische Soziologin E. Friedmann in einer wissenschaftlichen Studie heraus, dass die Patienten, die ein Haustier besitzen, nach der Entlassung eine viel höhere Lebenserwartung hatten, als diejenigen, die keine Haustiere hatten (Friedmann et al. 1980; Greiffenhagen/Buck-Werner 2007). In einer anderen Studie beschrieben S. und E. Corson die Wirkung von Hunden in einem Pflegeheim in Amerika. Hier sorgten die eingesetzten Hunde nicht nur für Heiterkeit, Wachheit und Leben auf der Pflegestation, sondern die Pfleger und Ärzte litten auch seltener an Burn Out als in der Zeit vor Einsatz des Hundes (Greiffenhagen/Buck-Werner 2007). Die Veröffentlichung dieser und anderer wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Berichte führte dazu, dass der Einsatz eines Tieres in der Therapie immer populärer wurde. Damit ging einher, dass auch die Einsatzgebiete der Tiere vielschichtiger wurden. In der Therapie kamen neben Katzen, Pferden, Delfinen und Kleintieren vor allem Hunde zum Einsatz. Hunde haben den Vorteil, dass sie schnell lernen, nicht zu groß sind und sich problemlos an verschiedenen Orten einsetzen lassen. Das hat zur Folge, dass Hunde nicht nur in den medizinischen, therapeutischen und psychologischen Bereichen eingesetzt werden, sondern auch in der Pädagogik, Sonderpädagogik und Geriatrie.

Ausbildungssituation von Therapiebegleithundeteams in deutschsprachigen Ländern

Nachdem im deutschsprachigen Raum immer mehr Hunde im Gesundheitsbereich eingesetzt wurden, entstehen immer mehr Ausbildungsstätten, die mehr oder weniger professionell Hunde und Hundeführer für die verschiedenen Aufgaben ausbilden. Leider führte die Entstehung der verschiedensten Ausbildungsstellen nicht dazu, dass einheitliche Ausbildungsstandards oder einheitliche Begrifflichkeiten für die verschiedenen Ausbildungen eingeführt wurden. Diese Standards wären im Sinne einer Professionalisierung der Ausbildung und deren anschließenden Anerkennung sicherlich sehr wünschenswert; ebenso wie die Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten („Besuchshund“, „Therapiebegleithund“ oder „Pädagogikbegleithund“), die im Rahmen der hundgestützten Interventionen benutzt werden (Kap. 3.1). Kriterien, die helfen, eine geeignete Ausbildungsstelle zu finden, werden in Kap. 3.4 vorgestellt. Einige Adressen von Ausbildungsinstitutionen finden Sie am Ende des Buches unter Adressen.

Als Folge der uneinheitlichen Begrifflichkeiten und Ausbildungsordnungen kommt es immer wieder zu Missverständnissen und Vorurteilen, von denen einige an dieser Stelle geklärt werden sollen:

Vorurteil 1: Jeder irgendwie ausgebildete Hund ist ein „Therapiehund“:

Therapiehund“ ist ein Begriff, der umgangssprachlich üblich ist, welcher aber nichts über die Befähigung des Hundes und seines Hundeführers aussagt. Im Moment kann jeder seinen Hund auf unterschiedliche Arten ausbilden lassen und ihn im Anschluss daran als „Therapiehund“ bezeichnen. Viele Menschen und Organisationen leisten mit ihren sogenannten „Therapiehunden“ hervorragende und anerkennenswerte Arbeit in Kindergärten, Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen. Darum wird der Hund oftmals zum „Therapeut auf vier Pfoten“ erhoben, obwohl er, streng genommen, als „Besuchshund“ bezeichnet werden müsste (Kap. 3). Denn ein Hund kann kein Therapeut sein! Für die Arbeit in der therapeutischen Praxis, in welcher der Hund auf Basis eines wissenschaftlich fundierten Therapie- und Behandlungsplanes als Therapiemittel eingesetzt werden soll, ist eine umfassende Schulung erforderlich, die mit der Prüfung zum „Therapiebegleithund“ endet. Dahl (2012) hat untersucht, ob die spezielle Ausbildung eines Hundes als Therapiebegleithund gegenüber einem nicht speziell ausgebildeten Hund Auswirkungen auf den Erfolg der Therapie hat. Sie kam zu dem Ergebnis „dass der Einsatz eines speziell ausgebildeten Therapiebegleithundes einen Mehrwert […] in der logopädischen Therapie darstellt und damit zum Heilungserfolg beiträgt.“ Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass der Hund und auch der Hundeführer eine fundierte Ausbildung erhalten sollten.

Vorurteil 2: Ein Therapiebegleithund ist ein „Kuscheltier“:

Oft heißt es, dass ein Hund in der Therapie nur zum Streicheln da ist und sonst keine Aufgaben hat. Mit diesem Buch soll das Klischee des „Kuschelhundes in der Therapie“ aufgehoben und gezeigt werden, dass der Hund in der Therapie mehr Aufgaben hat, als nur gestreichelt zu werden (Kap. 6 und 7).

Vorurteil 3: Der Einsatz eines Hundes in der Therapie ist nur bei Kindern oder Menschen mit Behinderungen sinnvoll:

Auch dieses Vorurteil ist falsch. Der Einsatz eines ausgebildeten Therapiebegleithundes in der Logopädie ist sehr sinnvoll – und das nicht nur bei Menschen mit Behinderungen. Die Arbeit mit einem Therapiebegleithund in der Logopädie ist noch jung und deshalb noch wenig bekannt. Deshalb erschließt sich die Sinnhaftigkeit Außenstehenden oft nicht, und der Einsatz eines Hundes wird oft in Frage gestellt. Aus den kurzen Beispielen in Kap. 6 und 7 wird ersichtlich, wie sinnvoll der Einsatz sein kann.

Vorurteil 4: Ein Hund darf aus hygienischen Gründen nicht in einer Praxis eingesetzt werden:

Dieses Vorurteil stimmt so nicht. In Kap. 2.3 wird beschrieben, unter welchen Voraussetzungen der Hund in den Räumen einer Praxis eingesetzt werden kann und darf.

Vorurteil 5: Ein ausgebildeter Therapiebegleithund vollbringt Wunder:

Wird ein Hund in der Therapie eingesetzt, ergeben sich manchmal positive Veränderungen, die in der Form nicht zu erwarten waren und nicht zu erklären sind. Dazu folgendes Beispiel:

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Zu Beginn der Therapie war Kazim (Name geändert) 4;6 Jahre alt. Er ist der ältere von zwei Brüdern, die beide das Fragile-X-Syndrom haben. Kazim wächst zweisprachig auf – seine Eltern sind Araber. Die Eltern sprechen beide sehr gut Deutsch und unterhalten sich auch mit den Jungen auf Deutsch.

Im Anamnesegespräch ist Kazim sehr unruhig und geht im Zimmer hin und her. Sein Kommunikationsverhalten ist auffällig. Er kann keinen Blickkontakt aufbauen und spricht oder lautiert nicht. Körperkontakt lehnt er ab. Seine Körperhaltung zeigt, dass er jede Berührung als unangenehm empfindet. Die Mutter gibt an, dass Kazim bereits Therapie mit einem Hund gehabt habe und er sehr gut auf den Hund angesprochen habe. Da sie die Therapie privat bezahlen müsse, habe sie diese aus finanziellen Gründen abbrechen müssen. Zwischen den hier beschriebenen Therapieeinheiten liegen oftmals einige Wochen, in denen Inhalte wiederholt werden oder die ohne Fithe, den Therapiebegleithund, stattfinden. Die Gesamtzeit der Therapie beläuft sich auf ein Jahr.

Erste Therapieeinheit

Ziel: Kennenlernen des Hundes und Vertrauensaufbau

Thema: Freies Spiel mit dem Hund mit begleitetem Sprechen

Fithe liegt unter dem Tisch im Therapieraum, den Kopf zwischen den Pfoten. Kazim sieht Fithe, legt sich im Abstand von ca. 15 cm vor seine Nase, legt ebenfalls seinen Kopf zwischen seine Hände auf den Boden und schaut Fithe in die Augen. Dort bleibt er über mehrere Minuten ganz ruhig liegen. Dann hebt Fithe den Kopf und Kazim tut es ihm nach. Fithe hechelt, Kazim imitiert es. Dann bellt Kazim und Fithe antwortet ebenfalls, initiiert durch das Kommando „Laut!“. Beide bellen sich kurz gegenseitig an. Kazim fängt nicht nur an, Fithe zu imitieren, sondern beginnt auch eine Kommunikation mit ihm aufzubauen. Er behält den Blickkontakt zu Fithe sehr lange aufrecht.

Drei Monate später

Ziel: Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und der sprachlichen Fähigkeiten

Thema: Freies Spiel mit Fithe mit kommunikativen Angeboten

Kazim wird eine Kiste mit vielen Holzobstsorten gegeben. Er sucht sich einen Apfel aus, der in dieser Therapieeinheit in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Zunächst wird die Wortstruktur geklatscht, was Kazim gerne aufnimmt.

Kazim beschäftigt sich in dieser Therapieeinheit immer wieder mit dem Wort „Apfel“, und der Therapeut bietet das Wort „Apfel“ in verschiedenen Kontexten immer wieder an. Das Wort wird dann so wichtig, dass Kazim den Apfel sogar Fithe zeigt.

Zum Ende dieser Therapieeinheit geht Kazim sehr zielstrebig in die Personalküche, zeigt auf die Obstschale und spricht „Affel“. Dies ist das erste Wort, das er gesprochen hat! Nach diesem Erfolg nimmt Kazim noch mehr Wörter in seinen aktiven Wortschatz auf.

Im Fallbeispiel „Kazim“ wird beschrieben, wie der Patient, der ein Fragiles-X-Syndrom hat und weder lautierte noch sprach, nach sechs Monaten Sprachtherapie mit einem Therapiebegleithund zum Sprechen fand. Die Angehörigen oder Patienten selber setzen oft sehr hohe Erwartungen in den Hund, den Therapeuten und die Therapie. In diesem Fall hoffen die Angehörigen, dass dieses kleine Wunder nun auch mit dem kleineren Bruder gelingen würde, der an der gleichen Erbkrankheit leidet. In dieser Situation muss Aufklärungsarbeit geleistet werden, um Enttäuschungen im Vorfeld zu verhindern.

Vorurteil 6: Therapiebegleithunde müssen Rassehunde sein:

In der therapeutischen Arbeit am Menschen werden oft bestimmte Rassen eingesetzt, wie z. B. Golden Retriever, Labradore, Australien Shepherds oder Border Collies. Jedoch kommen nicht nur diese Rassen als Therapiebegleithund in Frage. Es gibt keinen Hund – egal welcher Rasse – der extra für die Aufgaben und Herausforderungen des Therapiebegleithundes gezüchtet worden ist. Wichtig ist der Charakter des Hundes. Wenn ein Hund gewisse Voraussetzungen mitbringt (Kap. 3.2), kann auch ein Mischling ein sehr guter Therapiebegleithund sein.

Vorurteil 7: Der Einsatz eines Hundes in der Therapie ist Tierquälerei:

In der Arbeit mit Hunden gibt es bestimmte Kommandos oder Einsätze, die tatsächlich den Eindruck erwecken können, dass der Hund hier nicht artgerecht eingesetzt wird. Dazu gehört z. B. das Lagern von Patienten oder das „Nimm’s Dir!“ (Kap. 5.4). Damit die Übungen für den Hund keine Quälerei werden und er diese gerne macht, muss er deren Umsetzung als Spiel ansehen und sie mit Spaß ausführen. Deshalb sollen Hunde Kommandos im Allgemeinen mit Hilfe von positiver Verstärkung lernen (Kap. 5.3). Des Weiteren soll Hunden genügend Ausgleich außerhalb und innerhalb der Praxis geboten werden.

Viele der hier erwähnten Vorurteile sind durch Unwissenheit entstanden, weil das Gebiet der hundgestützten Therapie im Allgemeinen und der hundgestützten Logopädie im Speziellen noch sehr neu ist. Mit zunehmender Aufklärung und Bekanntheit des Einsatzes eines Therapiebegleithundeteams werden diese Vorurteile hoffentlich abnehmen. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten.

1.2Der Therapeut in der Doppelrolle