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Fachbereich

PHYSIOLOGISCHE PSYCHOLOGIE

Tatort Gehirn

Von Prof. Dr. Hans Joachim Markowitsch

Alle paar Monate berichten die Medien über Menschen, die augenscheinlich aus dem Nichts heraus schwer bewaffnet mehr oder weniger wahllos zahlreiche ihrer Mitmenschen umbringen. Amok-laufend bewaffnen sie sich mit Pumpgun und Pistole und metzeln, wie der Erfurter Schüler, 12 Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten brutal mit Todesschüssen nieder. Andere begehen als lebende Bomben Selbstmord und reißen dabei Dutzende Passanten mit in den Tod und verletzen noch einmal Dutzende weitere Menschen. Wieder andere – man denke an die Kriegsgreuel in Kambodscha, My Lai oder während der Nazizeit – bringen tausende oder Millionen von Menschen als Schreibtischtäter um und machen damit Mord zum Routinegeschäft.

Es gibt auch Mörder, die augenscheinlich aus reiner Lust dutzende ihrer Mitmenschen niedermetzeln, wie vor Kurzem der 33jährige Moskauer Pituschkin, der in einem Park rund 60 Menschen auf bestialische Weise ermordete, zum Teil ihre Schädel mit dem Hammer zertrümmerte und dann Vodka-Flaschen in das Schädelinnere leerte. Seine Mutter führt sein Verhalten auf einen Sturz von der Schaukel zurück, bei dem er sich die rechte vordere Hirnseite verletzte und meint, dies sei der Ursprung für seine Gewalttaten.

Was sich die moderne Hirnforschung fragt ist, wie kommt es tatsächlich dazu? Warum werden aus -zum Teil nach außen hin - normal wirkenden Menschen Mörder, während andere ganz anders in ihrem Verhalten sind. Man denke an den viel zu früh verstorbenen Schauspieler Ulrich Mühe, der in seiner jungen Erwachsenenzeit als DDR-Grenzschützer tätig sein musste und allein schon bei dem Gedanken, er könnte jemanden erschießen müssen, Magengeschwüre entwickelte, an denen er dann letztendlich auch später verstorben ist.

Jeder kann zum Mörder werden

Es gibt eine kurze, insgesamt wenig befriedigende Antwort auf die Frage, warum jemand zum Mörder wird, weil grundsätzlich jeder zum Mörder werden kann. Das ist eine These, die der Sozialpsychologe Harald Welzer vor kurzem im seinen Buch „Täter – wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ propagierte.

Es stellt sich dann aber die tiefergehende Frage: Was sind Gründe und Ursachen dafür, dass Menschen morden, stehlen, gewalttätig werden, gegen die 10 Gebote oder gegen das Steuergesetz verstoßen?

Diese Fragen und auch die Frage danach, ob man auf Grund von Hirnorganisation oder Verhaltensbeobachtung vorhersagen kann, ob jemand mit Wahrscheinlichkeit zum Terroristen oder Mörder wird, oder ob jemand eher im Kloster landet, soll im Folgenden einer Beantwortung näher gebracht werden. Hierzu möchte ich auf generelle Zusammenhänge zwischen Gehirn und Verhalten eingehen.

Generelle Zusammenhänge zwischen Gehirn und Verhalten

Seit der Mensch begriff, dass man nicht an allen Verletzungen stirbt, sondern dass selbst Kopfversetzungen überlebt werden können, begann er mit der Suche danach, ob es bestimmte Regionen im Gehirn gibt, die mit bestimmten Fähigkeiten zusammenhängen, und ob eine Fähgkeit verloren geht, wenn man die entsprechende Region im Gehirn zerstört oder schädigt.

Die Suche nach derartigen Zusammenhängen begann im 19. Jahrhundert durch Franz Joseph Gall. Er war Professor für Physiologie in Wien, lehrte später auch an anderen Universitäten – vor allem in Frankreich – und stellte die Lehre der Phrenologie auf, die auch von anderen, wie seinem Schüler Johann Spurzheim, weiter verbreitet wurde, und die sich sehr schnell über die ganze Welt ausbreitete.

Der Irrweg der Phrenologie

Die Annahme war, man könnte bestimmte Regionen finden, die für bestimmte Funktionen sprechen. Man könnte sogar von außen am Schädel erkennen, ob jemand über bestimmte Fähigkeiten verfüge oder nicht. Vielleicht gehen auf diese Annahmen sogar Ausdrücke wie „der musikalische Hinterkopf“ zurück: dass man, wenn man dort eine Ausbuchtung habe, musikalisch begabt wäre.

Die Lehre verbreitete sich bis nach Nepal und Australien – lediglich der Kaiser von Österreich hat sie verboten, weil er meinte sie sei zu gottlos und würde ein falsches Menschenbild verbreiten. Nach rund 20 Jahren stellte sich jedoch heraus, dass tatsächlich nicht viel an dieser Phrenologie dran war, dass die meisten Beheuptungen lediglich Erfindungen der Forscher waren, die damit ihre Lehre propagierten und wahrscheinlich auch im Ansehen stiegen.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es – auch durch die Entwicklung von entsprechenden Techniken und Methoden – zu genaueren Beobachtungen. Damals wurde erstmals das Mikroskop für Untersuchungen benutzt. Man hatte auch die Möglichkeit zur elektrischen Hirn- und Nervenreizung und konnte an Säugetieren Abtragungsversuche machen. Dabei wurde ein bestimmter Teil des Gehirns entfernt und dann überprüft, ob das Tier zum Beispiel noch normal laufen kann, wie sich seine Wahrnehmungsfähigkeit verändert hat und ob es noch Nahrung zu sich nehmen will und ähnliches.

Entwicklung der Neurologie

Es gab dann natürlich auch den großen Bereich der Beobachtung an Hirnbeschädigten Menschen, also die Entwicklung zu einer eigenständigen Neurologie