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Sissi Kaipurgay

Winterträume

Männerliebe





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Winterträume: Männerliebe

 

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/

 

Ein weichherziger Bulle

Jan ist Polizist und hat ein großes Herz. Entsprechend gerät er in eine gefühlsmäßige Schieflage, als er eines Nachts eine Person ohne Papiere aufsammelt. Hinzu kommt, dass er den Mann schon mal in einer anderen Situation gesehen hat und jener anscheinend nicht weiß, wo er schlafen soll.

~ * ~


1.

„Fahr bitte rechts ran“, bat Jan seine Kollegin Claudia. „Ich guck mir den Typen da mal näher an.“

Es war das zweite Mal, dass sie an der Bank vorbeikamen und der Mann hockte immer noch reglos darauf. Bei den niedrigen Temperaturen keine gute Idee. Ein praller, schäbiger Rucksack stand neben der schmächtigen Gestalt und die schwarze Wollmütze war tief ins Gesicht gezogen.

Claudia hielt am Bordstein. Er stieg aus und näherte sich vorsichtig dem zusammengesunken dasitzenden Mann. Man konnte nie wissen, wie solche Typen reagierten. Es war ihm schon passiert, plötzlich mit einer Waffe bedroht zu werden.

„Guten Abend. Gibt es irgendwelche Probleme?“, sprach er den Mann an, woraufhin der aufschaute und die Mütze etwas zurückschob.

Ein Auge war zugeschwollen und die Unterlippe aufgeplatzt. Trotz dieser Verunstaltungen glaubte er den Sohn der Familie wiederzuerkennen, zu der Claudia und er vor wenigen Tagen von Nachbarn gerufen worden waren. Biedere Leute, die sich über den nächtlichen Lärm beschwerten und zugleich Sorge hatten, dass sich in der Wohnung nebenan eine Tragödie abspielte.

„Nein.“

„Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?“

Als Claudia und er in jener Nacht bei der Familie eintrafen, herrschte bereits wieder Ruhe. Insofern gab es keinen Anlass besonders forsch aufzutreten. Sie beließen es dabei eine freundliche Ermahnung auszusprechen, zukünftig die Hausordnung einzuhalten. Im Rücken des Mannes, der die Tür öffnete, standen eine Frau, ein Mädchen und Junge, die ihren Auftritt aus großen Augen verfolgten. Aus der Zentrale hatte man ihnen vier Personen für den Haushalt gemeldet. Somit war offenbar niemand verletzt. Daran, ob beide Kinder minderjährig waren, erinnerte er sich allerdings nicht mehr, bloß an das hübsche Gesicht des Jungen mit den ausdrucksvollen Glutaugen.

„Den hab ich nicht dabei“, antwortete sein Gegenüber.

„Dann muss ich Sie leider bitten mir aufs Revier zu folgen.“

„Ich hab doch gar nichts verbrochen!“

Der Junge tat ihm leid, dennoch hatte er seine Pflicht zu erfüllen. „Sobald wir Ihre Personalien überprüft haben, steht es Ihnen frei zu gehen.“

Natürlich nur, wenn sich sein Verdacht als nichtig herausstellte, es mit einem minderjährigen Ausreißer zu tun zu haben. Andernfalls blühte ihm die unschöne Aufgabe, den Grund für die Blessuren herauszufinden und eventuell für eine Notunterbringung zu sorgen. Irgendwie ahnte er, dass jemand aus der Familie Schuld an den Hämatomen trug.

Die schmale Gestalt stand auf, schulterte den Rucksack und trottete zum Wagen. Nachdem er den Jungen auf die hintere Bank dirigiert hatte, nahm er wieder neben Claudia Platz, die unverzüglich losfuhr.

Sie war 15 Jahre länger als er im Dienst, doch keineswegs so abgebrüht, wie andere alteingesessene Kollegen. An jeder roten Ampel betrachtete sie mitleidig im Rückspiegel die lädierte Visage ihres Mitfahrers. Wer auch immer dem Jungen das Matschauge verpasst hatte, besaß eine verdammt markante Handschrift.

An ihrer Dienststelle angekommen, führten sie den armen Kerl in ihr Büro. Während er Kaffee besorgte, kümmerte sich Claudia um die Formalitäten. Bei seiner Rückkehr winkte sie ihn hinter ihren Schreibtisch und zeigte auf den Monitor.

„Elyas Karaimamoglu, 20 Jahre alt. Das Foto hat gewisse Ähnlichkeit.“ Sie schnappte sich einen der beiden Becher, um einen Schluck daraus zu trinken. „Wohnsitz: Wandsbeker Chaussee 52. Klingelt da was bei dir?“

Schon merkwürdig, dass Claudia erst jetzt darauf kam. Andererseits lag ihr Fokus auf ganz anderen Dingen, als seiner.

„Sie erinnern sich vielleicht, dass wir neulich vor der Tür Ihrer Eltern standen?“, wandte er sich an Elyas.

Stummes Nicken.

Er machte eine Handbewegung in Richtung des Veilchens. „Hat Ihr Vater Ihnen das angetan?“

Elyas schüttelte den Kopf.

„Möchten Sie den Täter anzeigen?“, kam ihm Claudia zu Hilfe.

Erneutes Kopfschütteln.

„Dickschädel“, murmelte Jan, nur für seine eigenen Ohren bestimmt und fügte lauter hinzu: „Sie können dann gehen.“

Schwerfällig stand Elyas auf, schulterte den Rucksack und schlurfte zur Tür.

„Sollen wir Sie in eine Notunterkunft bringen?“, bot Claudia an.

Elyas, bereits die Klinke in der Hand, erwiderte: „Danke für das Angebot, aber ich komm schon klar.“

Um den Jungen zum Ausgang zu geleiten, stellte Jan seinen unangerührten Kaffee auf Claudias Schreibtisch ab und folgte ihm auf den Gang. Bis zum Lift schaffte er es einigermaßen, seine Sorge bezüglich Elyas‘ Verbleib zu verdrängen, doch im Fahrstuhl holte sie ihn mit voller Wucht wieder ein. Der Arme machte einen total verlorenen Eindruck. Vermutlich war Elyas in Gedanken schon wieder auf der Straße.

‚Junger Türke an Unterkühlung gestorben, weil ein Polizeibeamter nach Vorschrift gehandelt hat‘, sah er im Geiste bereits die Schlagzeile in der Boulevardpresse. ‚Weitet sich das gespaltene Verhältnis zu dieser Nation nun auch schon auf integrierte Mitbürger aus?‘

„Hast du Freunde, bei denen du übernachten kannst?“, erkundigte er sich leise.

Elyas presste die Lippen zusammen, was wohl ein ‚nein‘ bedeutete.

Die Kabine erreichte das Erdgeschoss. Die Aufzugtüren glitten auf und entließen sie in den, zu dieser Stunde an einem Wochentag, wenig belebten Eingangsbereich. Die Uhr über dem Empfangstresen zeigte halb elf. Der Schichtwechsel stand kurz bevor. Feierabend war in 30 Minuten.

Die Glastüren, die von einem Bewegungssensor gesteuert wurden, öffneten sich wie von Zauberhand. Mit hängendem Kopf trat Elyas in die Kälte, fasste nach dem Geländer und trottete die Stufen hinab. Der Anblick verstärkte Jans schlechtes Gewissen, so dass er einem Impuls folgend hinterherlief. Am Fuß der Treppe stoppte er Elyas.

„Wenn du magst, darfst du auf meiner Schlafcouch übernachten.“

Überrascht sah Elyas ihn an.

„Sie ist nicht sonderlich komfortabel, aber immer noch besser als eine Parkbank.“

„Meinen Sie das ernst?“

Ihr Altersunterschied betrug bloß sieben Jahre, außerdem sprachen sie nun als Zivilpersonen miteinander. Also blieb Jan bei der vertraulichen Anrede, in die er automatisch verfallen war.

„Absolut. Allerdings musst du eine halbe Stunde warten, bis ich Feierabend habe.“

„Das macht mir nichts aus.“

Sie gingen zurück in den Empfangsbereich. Elyas nahm den Rucksack ab und setzte sich auf einen der Plastikstühle. Bevor er wieder in den 9ten Stock fuhr, bat Jan die Kollegin hinterm Tresen ihn zu alarmieren, falls der junge Mann Anstalten machte zu türmen. So recht glaubte er das zwar nicht, aber Vorsicht war besser als Nachsicht.

Claudia empfing ihn mit Selbstvorwürfen. „Ich hätte den armen Jungen mit zu mir nehmen sollen. In Markus‘ Arbeitszimmer steht ein Klappbett. Ganz wohl wäre mir dabei nicht gewesen, schließlich kenne ich das Kerlchen nicht, doch irgendwie tut er mir leid.“

Markus war Claudias Mann, ein Studienrat.

„Elyas sitzt unten im Foyer. Ich hab ihm meine Schlafcouch angeboten.“

„Puh! Da fällt mir ein Stein vom Herzen.“ Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Dann sieh zu, dass du nach Hause kommst. Ich krieg die Übergabe allein hin.“

„Danke! Bist ein Schatz.“ Flink brachte er seinen Kaffeebecher in die Pantry, winkte Claudia zum Abschied und benutzte erneut den Lift.

Bei seinem Erscheinen warf Elyas einen erstaunten Blick auf die Uhr. Nachdem er sich bei der Zeiterfassung abgemeldet hatte, gab er seinem Übernachtungsgast einen Wink. Sofort stand Elyas auf, schob sich die Rucksackriemen über die Schultern und verließ mit ihm das Gebäude. Nebeneinander gingen sie über den Parkplatz.

„Sie hätten wegen mir nicht eher Feierabend machen müssen.“

„Meine Kollegin hat mich einfach weggeschickt. Ich bin übrigens Jan und hör bitte auf mich zu siezen.“

„Okay.“

Allmählich freundete er sich immer mehr mit dem Gedanken an, Elyas zu beherbergen. Vielleicht bot das die Chance herauszufinden, wer für das Veilchen verantwortlich war. Zu gern würde er das Arschloch dafür zur Rechenschaft ziehen. Außerdem fragte er sich, wieso Elyas keine Papiere bei sich trug und überhaupt in den Fokus des Schlägers geraten war. Religiöse Hintergründe? Bei Fanatikern ja keine Seltenheit.

Sie erreichten seinen Wagen, ein älteres schwedisches Modell. Elyas Gepäck landete im Kofferraum, anschließend nahmen sie auf den vorderen Sitzen Platz.

Eine Weile verlief die Fahrt schweigend. Aus dem Radio erklangen Oldies, glücklicherweise selten unterbrochen von einem nervigen Moderator. Oft wünschte Jan dieses Volk auf den Mond. Die eine Hälfte laberte, als wären sie ständig auf Tranquilizer, die andere, als ob sie dauernd Speed schluckten.

„Sag mal, gehst du noch zur Schule?“, ergriff er schließlich das Wort.

„Ich mache eine Ausbildung. Na ja. Das dürfte sich vielleicht erledigt haben.“

„Warum?“

„Darüber möchte ich nicht reden.“

„Ich frage das nicht in meiner Eigenschaft als Bulle, sondern privat.“

„Trotzdem.“

Was für eine harte Nuss! „Also gut. Dann halte ich eben den Mund.“

Normalerweise hätte Elyas darauf mit höflichem Zurückrudern reagieren müssen, doch Pustekuchen. Die Ausgeburt an Verstocktheit brachte es sogar fertig, seine vorwurfsvollen Seitenblicke zu ignorieren.

Als er wenig später den Volvo vor seiner Garage abstellte, hatte sich sein Unmut über dieses ungebührliche Verhalten wieder gelegt. Schließlich gab es gute Gründe, weshalb Elyas ihm misstraute. Beispielsweise ihr Status als praktisch Fremde und sein Beruf. Er sollte sowieso die Finger von der Sache lassen. Eigene Probleme hatte er auch ohne die von Elyas genug.

„Bist du jetzt sauer?“ Ein Auge heftete sich im Halbdunkel des Wageninneren auf sein Gesicht.

„Quatsch. Es ist völlig in Ordnung, dass du mir Grenzen setzt. Lass uns reingehen. Ich brauch einen Kaffee.“

„Um diese Zeit?“, erwiderte Elyas, während sie ausstiegen und guckte ihn übers Wagendach hinweg an.

„Du kennst doch sicher diese Gerüchte über Bullen: Die trinken ständig schwarze Plörre und essen Donuts.“

„Das gilt nur für die amerikanische Spezies.“

„Stimmt“, gab er Elyas Recht, holte dessen Rucksack aus dem Kofferraum und steuerte aufs Haus zu.

Sämtliche Versuche ihm das Gepäck zu entwenden ließ er unbeachtet, schloss die Tür auf und stellte seine Last im Flur ab.

„Willst du auch einen Kaffee?“, erkundigte er sich. „Oder lieber was anderes? Ich kann dir einen Tee kochen.“

„Tee wäre schön. Darf ich vorher mal wohin?“

„Klar.“ Er zeigte Elyas das Bad und ging in die Küche.

Während er Teebeutel aus einem Oberschrank kramte, überlegte er, ob er eine Pizza in den Ofen schieben sollte. Vielleicht hatte Elyas Hunger. Er könnte ebenfalls etwas zu beißen vertragen. Sein Abendessen war schon lange verdaut.

Nachdem er den Wasserkocher angestellt hatte, holte er eine Pizza mit Thunfisch aus dem Eisfach. Gerade heizte er den Backofen an, als Elyas wieder auftauchte.

„Magst du Thunfisch?“

„Mhmja.“

„Kümmerst du dich um Tee und Pizza? Ich muss noch Bettwäsche für dich beziehen.“

„Klar. Du willst auch welchen?“ Elyas sah vielsagend die beiden Becher mit den Teebeuteln darin an.

„Ich hab mir das mit dem Kaffee nochmal überlegt.“

„Soll ich dir nicht lieber helfen?“

„Ich bekomm das allein hin“, versicherte er und verließ die Küche.

Als erstes klappte er im Wohnzimmer die Schlafcouch aus, als nächstes schaffte er Decke, Kissen und Wäsche herbei. Damit es Elyas etwas bequemer hatte, breitete er eine Wolldecke über die Liegefläche, bevor er das Laken darüber warf. Anschließend bezog er Kopfkissen sowie Bettdecke. Zum Schluss schob er den Couchtisch an die Seite des provisorischen Lagers und positionierte darauf die Tischlampe, die sonst auf dem Sideboard stand.

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Sicher, es war keine fünf Sterne Unterkunft, aber immerhin ziemlich heimelig.

Er gesellte sich wieder zu Elyas, der am Küchentisch saß und Tee schlürfte. Die Thunfischpizza befand sich mittlerweile im Ofen.

„Darf ich dich was persönliches fragen?“, wagte er einen Vorstoß.

Elyas, der abwesend in die Gegend geguckt hatte, richtete die Aufmerksamkeit auf ihn. „Kommt drauf an.“

„Bist du Moslem?“

„Auf gewisse Weise bin ich von dem Glauben geprägt, aber ich praktiziere ihn nicht.“

„Hat man dich deshalb verdroschen?“

„Es hängt damit zusammen, ja.“

„Hast du irgendeine Sünde begangen?“

„Bitte, können wir das Thema ruhen lassen?“

„Tut mir leid. Das ist wohl mein Helfersyndrom. Bin ja nicht umsonst Polizist geworden.“ Jan griff nach seinem Becher und nahm einen Schluck.

„Das war deine Absicht? Leuten helfen zu wollen?“

„Ursprünglich schon. Inzwischen bin ich natürlich etwas desillusioniert. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen ich meinen Job liebe.“

„Hast du schon mal jemanden angeschossen?“

„Nein, zum Glück nicht. Ich hoffe, es bleibt dabei.“ Abermals nippte er an seinem Tee. „Du kannst deine Sachen schon mal ins Wohnzimmer bringen. Ich zieh mir derweil was Bequemeres an.“