Weitere Bücher der Reihe

Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion ist die Gelegenheit alle fünfhundert dieser zeitlos schönen Liebesromane zu sammeln, die die gefeierte Liebesromanautorin geschrieben hat.

Die Reihe trägt den Namen Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion weil sie Geschichten solche der wahren Liebe sind. Jeden Monat sollen zwei Bücher im Internet veröffentlicht werden, bis alle fünfhundert erhältlich sind.

Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion, klassisch schöne Romane wahrer Liebe erhältlich überall für alle Zeit.

  1. Der Fluch der Hexe
  2. Die Brigantenbraut
  3. Zärtliche Indira
  4. Ein Fremder kam vorbei
  5. Der Clan der McNarn
  6. Der Liebesschwur
  7. Jawort unter Fremden Sternen
  8. Gefangene der Liebe
  9. Laß mich bei dir Sein
  10. Das Traumpaar
  11. Bezaubernde Hexe
  12. Die Zärtliche Versuchung
  13. Liebe unter Fremdem Himmel
  14. Hochzeit Mit dem Ungeliebten
  15. Hochzeit Mit dem Ungeliebten
  16. Liebe unterm Tropenmond
  17. Weiße Lilie
  18. Amor in Sankt Petersburg
  19. Die Zähmung der Wilden Lorinda
  20. Die Zigeuner-prinzessin
  21. Flucht ins Gluck
  22. Die Einsame Frau das Herzogs
  23. Sehnsucht nach dem ersten Kuß
  24. Schlittenfahrt ins Glück
  25. Das Mädchen und der Maler
  26. Die Weiße Sklavin
  27. Bleib bei mir, Kleine Lady
  28. Die Braut des Rebellen
  29. Nur ein Hauch von Liebe
  30. Geheimnis um Virginia
  31. Liebestrommeln auf Haiti
  32. Ich Schenke dir mein Herz
  33. Das Glück hat deine Augen
  34. Liebesglück in Schottland
  35. Der Herzensbrecher
  36. Die Flamme der Liebe
  37. Die Schmugglerbraut
  38. Der Marquis und das Arme Mädchen
  39. Die Herrin des Clans
  40. In Deinen Armen will ich Trämen
  41. Liebe mit Hindernissen
  42. Die Kapelle im Wald
  43. Zauber des Herzens
  44. Verzieh mir Liebster
  45. Der Prinz und die Tänzerin
  46. Triumph der Liebe
  47. Geliebte Lady
  48. Heimliche Liebe
  49. Ich Liebe Sie, Mylord
  50. Alle Zärtlichkeit für Dich
  51. Das Gefährliche Spiel
  52. Irrwege der Liebe
  53. Heimliche Brautschau
  54. Das Wunder der Liebe
  55. Geliebte Dominica
  56. Die Maske der Liebe
  57. Geliebte Stimme
  58. Die Liebenden von Valmont
  59. Die Vernunftehe
  60. Die Heimliche Geliebte
  61. Ich Begleite dich auf Allen Wegen
  62. Wie ein Trauma us der Nacht
  63. Reise ins Paradies
  64. Alvina, Engel meines Herzens
  65. Entführer meines Herzens
  66. Geküßt von Einem Fremden
  67. Dein Zärtlicher Blick
  68. Meine Stolze Prinzessin
  69. Verliebt in einen Engel
  70. Verwundetes Herz
  71. Im Garten der Liebe
  72. Indischer Liebeszauber
  73. Die Brautfahrt
  74. Die Intrigen der Lady Brandon
  75. Der Herzensdieb
  76. Porträt Eines Engels
  77. Diona und ihr Dalmatiner
  78. Sternenhimmel über Tunis
  79. Ein Junggeselle wird Bekehrt
  80. Liebe im Hochland
  81. Jagd nach dem Glück
  82. Deine Liebe ist ein Juwell
  83. Bis Daß der Tod uns Scheidet
  84. Lektion in Sachen Liebe
  85. Geliebt und glücklich
  86. Entscheidung des Herzens
  87. Im Zeichen der Liebe
  88. Opfer der Gefühle
  89. Garten der Sehnsucht
  90. Lady Bartons Rache
  91. Reise im Glück
  92. Nur die Liebe Zählt
  93. Prinzessin meines Herzens
  94. Liebe im Wüstensand
  95. Atemlos aus Lauter Liebe
  96. Liebende auf der Flucht
  97. Das Pfand der Liebe
  98. Melodie des Herzens
  99. Alles Glück der Erde
  100. Magie des Herzens
  101. Im Banne der Hexe

Die Falsche Herzogin

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2019

Copyright Cartland Promotions 1984

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

Zur Autorin

Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein.  Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.

1870 ~ I

Der vierte Duke von Tregaron, Murdoch Proteus Edmond Garon, lag im Sterben.

Kein Laut war in dem riesigen Schloß zu hören, die Diener bewegten sich auf Zehenspitzen, und überall herrschte jene verräterische Ruhe, die dem Tod vorauszugehen pflegt.

»Es dauert ziemlich lange mit ihm«, sagte einer der Diener leise zu seinem Nebenmann, der mit ihm in der gotischen Empfangshalle stand und auf die ankommenden Wagen wartete.

»Das liegt alles nur an den Ärzten«, meinte der andere. »Bist du ein armer Schlucker, machen sie kurzen Prozeß mit dir. Bist du ein reicher Krösus, halten sie dich mit Gewalt am Leben, damit sie so lange wie möglich ihre fetten Honorare von dir kassieren können!«

Der erste Diener ließ ein unterdrücktes Lachen hören, verstummte jedoch, als sich der grauhaarige Butler gemessenen Schrittes dem Portal näherte.

Dawson mußte einen Wagen gesehen haben, der die lange, von alten Eichen gesäumte Auffahrt hinaufrollte.

Dienstbeflissen eilten die beiden Diener die Stufen der breiten Freitreppe hinunter, während zwei andere — auch sie mit gepuderten Perücken und in der bordeauxroten, goldbetreßten Livree der Garons — ihren Platz in der Eingangshalle einnahmen.

Der Butler war unter der Eingangstür stehengeblieben und beobachtete, wie die Gräfinwitwe von Humber ihre Kutsche verließ.

Plötzlich kam ihm der Gedanke, bei dem liederlichen und ausschweifenden Leben, das der Duke geführt hatte, sei es eigentlich nicht zu verwundern, daß Seine Lordschaft schon im verhältnismäßig frühen Alter von achtundfürifzig Jahren das Zeitliche segnete.

Die Gräfinwitwe bewegte sich langsam und würdevoll die Freitreppe hinauf. Sie war eine äußerst stattliche Erscheinung, deren Figur zur Fülle neigte und ihr jede Hektik von vornherein verbot.

»Guten Tag, Dawson!«

»Guten Tag, Mylady«, erwiderte der Butler mit einer Verneigung. »Ein trauriger Tag für uns alle, wie Ihre Ladyschaft ja schon wissen.«

»Ja, Dawson. Ich werde gleich zu Seiner Gnaden hinaufgehen«, sagte die Gräfin. »Nicht nötig, daß Sie mich begleiten, Dawson. Ich nehme doch an, daß Mister Justin benachrichtigt wurde!«

»Ja, Mylady. Soviel ich weiß, brach der Bote schon gestern morgen nach Frankreich auf.«

»Frankreich!«

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Und während sie das Wort aussprach, kräuselte die verwitwete Gräfin verächtlich und mißbilligend die Lippen. Dann setzte sie sich erneut in Bewegung und rauschte die große Marmprtreppe hinauf, deren kunstvoll verschlungenes Geländer mit zahlreichen wappentragenden Fabeltieren geschmückt war.

Oben, in dem riesigen Schlafzimmer, das vor langer Zeit einmal Königen als Schlafgemach gedient hatte, lag der vierte Duke von Tregaron mit geschlossenen Augen auf einer mächtigen Bettstatt und schien den Gebeten, die sein Hauskaplan mit leiernder Stimme sprach, nicht die geringste Beachtung zu schenken.

Auf der anderen Seite des Bettes saß die unverheiratete Schwester des Duke, Lady Alice Garon, in einem bequemen Lehnsessel.

Ihre Arthritis verbot ihr das Knien, und mit einem Anflug von Ironie dachte sie, daß wahrscheinlich weder ihr Bruder noch der Allmächtige selbst für diese Haltung Verständnis zeigen würden.

In einer entfernten Ecke des Raumes standen die Ärzte, die sich im Flüsterton miteinander unterhielten.

Sie hatten ihr Bestes getan, das Leben des Duke zu verlängern. Doch als der Duke sich auch noch eine Lungenentzündung zugezogen hatte, war ihnen klar gewesen, daß sie mit ihrem Wissen und ihrer ärztlichen Kunst am Ende waren.

Die Tür öffnete sich, und die verwitwete Gräfin von Humber erschien im Zimmer wie ein Schiff, das mit vollen Segeln in den Hafen einfährt.

Sie trat an das Bett ihres Bruders und warf einen gebieterischen Blick zu dem Geistlichen hinüber. Auf der Stelle erstarb das monotone Gemurmel, und der schmächtige Gottesmann zog sich in das im Zimmer herrschende Halbdunkel zurück.

Die Gräfin beugte sich über das Bett und legte ihre Hand auf die des Bruders.

»Kannst du mich verstehen, Murdoch?« fragte sie leise.

Sehr langsam hob der Duke die Lider.

»Ich bin da«, sagte die Gräfinwitwe, »und ich bin froh, daß du noch lebst!«

Ein schwaches, spöttisch wirkendes Lächeln kräuselte die dünnen, blutleeren Lippen des Duke.

»Du hast — schon immer gewünscht, mein Ende mitzuerleben, Muriel!«

Durch die majestätische Gestalt der Gräfin ging ein Ruck. Ihre Haltung versteifte sich. Sie schien die Spitze in der Bemerkung ihres Bruders genau verstanden zu haben.

Doch bevor sie noch antworten konnte, fuhr der Duke mit keuchender Stimme fort:

»Wo ist Justin?«

»Wie Dawson mir sagte, hat man erst gestern einen Boten zu ihm geschickt«, entgegnete die Gräfinwitwe. »Wenn du mich fragst, ist es eine grobe Nachlässigkeit, daß dies nicht schon früher geschehen ist.«

Sie drehte den Kopf und blickte ihre Schwester auf der anderen Seite des Bettes vorwurfsvoll an. Es war offensichtlich, daß Lady Alice die Antwort auf diesen Vorwurf nicht schuldig geblieben wäre, wenn der Duke nicht mit stockender Stimme weitergesprochen hätte.

»Er wird ein besserer Duke sein als ich.«

Das letzte Wort war kaum noch zu hören. Den Kranken schüttelte ein krampfartiger Husten, der in ein bedrohliches Röcheln überging.

Aufgeregt eilten die Ärzte ans Bett, doch ein Blick auf ihren Patienten, der plötzlich verstummt war, zeigte ihnen, daß der vierte Duke von Tregaron ausgelitten hatte ...

 

 

Die Sonne drang nur zaghaft durch den gestreiften Vorhang, der ein Fenster verdeckte, das dringend einer Reinigung bedurfte.

Es war warm im Raum. Ein Mann saß mit ausgestreckten Beinen in einem Lehnsessel und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dann blickte er zu der Frau hinüber, die in der anderen Ecke des Zimmers auf einer niedrigen Couch lag.

»Ein sehr warmer Tag heute. Möchtest du ein wenig an die frische Luft, mein Schatz?«

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte die Frau. »Aber wenn du ausgehen willst, kannst du das ruhig tun.«

»Nein, nein. Ich fühle mich ganz gut«, antwortete der Mann.

Nach einer kurzen Pause sagte die Frau: »Es muß schrecklich für dich sein, ständig in diesem Zimmer zu sitzen. Ich weiß, was du meinetwegen alles auf dich nimmst, Harry. Und ich bin dir so dankbar.«

Sie streckte, während sie sprach, die Hand aus. Der Mann erhob sich, durchquerte das Zimmer und setzte sich zu ihr auf die Couch.

Zärtlich nahm er ihre Hand und hielt sie in der seinen.

»Du weißt doch, daß ich gerne bei dir bin, Katie«, sagte er. »Und ich wünschte zu Gott, ich könnte irgend etwas tun.«

»Das wünschte ich auch. Die Untätigkeit, zu der ich verdammt bin, wird mir um diese Tageszeit, so kurz vor dem Abend, regelrecht zur Qual. Ich möchte die Wohnung verlassen und endlich wieder auf der Bühne stehn. Unaufhörlich muß ich an die anderen Mädchen denken. Ich sehe, wie sie in der neuen Garderobe sitzen, die herrlichen Kostüme anlegen und sich für den Auftritt zurechtmachen. O Harry, wer mag jetzt wohl meine Sachen tragen?«

Die letzten Worte waren wie ein Schrei, der aus tiefster Seele zu kommen schien.

Und Harrys Finger verstärkten ihren Druck, als er beruhigend sagte: »Niemand trägt sie. Hollingshead hält dir deinen Platz frei. Das hat er mir ausdrücklich versprochen!«

Es war eine Lüge, doch seine Stimme klang überzeugend, und er bemerkte das Leuchten in ihren Augen: »Heute werden wir Gewißheit erhalten, nicht wahr?« fragte Katie. »Dr.  Medwin war sicher, uns heute etwas Endgültiges sagen sagen zu können.«

»Ja, so habe ich ihn auch verstanden«, stimmte Harry zu.

Besorgt betrachtete er das Mädchen, dessen blasses Gesicht — umgeben von langem, rotgoldenem Haar — tief in den Kissen lag.

Obwohl die Sonne nur gedämpft ins Zimmer drang, war der Raum von hellem Licht erfüllt, das Katies Haar einen warmen, lebendigen Schimmer verlieh.

»Woran denkst du, Harry?« wollte Katie wissen.

»Ich dachte daran, wie schön du bist.«

»Schön! Aber was nützt mir die Schönheit, wenn ich hier eingesperrt und ans Bett gefesselt bin. Wenn ich nicht mehr tanzen kann, Harry!«

Ihre Stimme klang verzweifelt.

Harry unternahm den Versuch, das Gesprächsthema zu wechseln. Er stand auf und griff nach der Zeitung, die neben seinem Sessel auf dem Boden lag.

»Der Duke von Tregaron liegt im Sterben«, sagte er und kehrte zur Couch zurück.

»Hoffentlich schmort er bald in der Hölle!«

»Ich würde mich deinem Wunsch anschließen«, sagte Harry, »wenn ich nicht der Überzeugung wäre, daß es sich für den Duke um eine sehr komfortable Hölle handelte, mit ausgesuchten Teufeln, die ihn mit Champagner und Kaviar versorgen, wann immer er Lust darauf verspürt!«

Er hatte gehofft, seine Worte würden Katie etwas aufmuntern, doch sie sagte nur: »Es ist eine verdammte Ungerechtigkeit, daß er stirbt, umgeben von seinem Luxus, seinen Dienern und einer Schar Ärzten, während ich hier liege, mittellos, ohne Hilfe und voller Angst vor dem, was werden wird. Ich darf gar nicht daran denken, was geschieht, wenn wir bis zum Ende der Woche nicht an etwas Geld gekommen sind.«

»Ich habe dir gesagt, du sollst dir deswegen keine Sorgen machen«, beruhigte Harry sie. »Ich werde mir schon etwas einfallen lassen!«

»Aber was?« fragte Katie. »Ich müßte wieder tanzen können, dann wäre alles gut.«

 »Ja«, stimmte Harry zu. »Das wäre natürlich das einfachste. Aber das geht eben nicht. Erst müssen wir abwarten, was Dr. Medwin dazu sagt.«

Er blickte auf die Zeitung in seinen Händen und machte ein zweitesmal den Versuch, sie von ihren trüben Gedanken abzulenken.

»Erzähle mir von dem Duke!« forderte er Katie auf. »Du hast bisher immer nur Andeutungen über ihn gemacht. Ich möchte endlich einmal genau wissen, was er dir getan hat.«

»Was soll er mir schon getan haben«, gab Katie heftig zurück. »Dieser ekelhafte alte Teufel! Es wird mir übel, wenn ich nur an ihn denke!«

»Du mußt noch sehr jung gewesen sein, als du ihn kennenlemtest. Schließlich leben wir beide schon vier Jahre zusammen.«

»Es war vor sechs Jahren, als ich das erstemal nach London kam«, begann Katie. »Es dauerte einen ganzen Monat, bis ich endlich einen Job in der Olympic Music Hall fand. Zunächst nur als Chorgirl. Meinen Haaren habe ich es zu verdanken, daß ich kurz darauf eine Solorolle erhielt.«

»Was meinst du damit?«

»Es geschah während einer Generalprobe«, erzählte Katie. »Ich tanzte zusammen mit der Gruppe, und vielleicht war ich ein wenig zu temperamentvoll in meinen Bewegungen. Jedenfalls verlor ich eine Haarklammer. Mein Haar löste sich auf und fiel mir lang über die Schultern hinab.«

Ein versonnenes Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie weitersprach.

»Die Sache war mir natürlich peinlich, aber ich tanzte weiter. Nach dem Auftritt lief ich auf die Bühne zurück, um meine Klammer zu suchen. Da hörte ich hinter mir die Stimme des Regisseurs, der mir nachgegangen war: »Laß mal dein Haar so, wie es ist. Versuch, die letzten Schritte solo zu tanzen!««

Mit einem Mal lag in Katies Stimme ein heller Klang, und ihre Augen leuchteten, als sie fortfuhr: »Du kannst dir vorstellen, daß ich mir alle Mühe gab. Und was denkst du, der Regisseur war begeistert! Von dem Tag an betrat ich jeden Abend mit aufgesteckten Haaren die Bühne. Und wenn sie sich plötzlich mitten im Tanz lösten und mir um den Kopf wehten, klatschte das  Publikum vor Begeisterung.«

Einen Augenblick lang schien Katie mit ihren Gedanken ganz in der Vergangenheit zu weilen. Harry schwieg und überließ sie ihren Erinnerungen.

 Schließlich fuhr das Mädchen fort: »Das ging so etwa drei Wochen lang. Dann kam eines Abends eine meiner Kolleginnen in den Ankleideraum und sagte: »Heute sitzt ein richtig vornehmer Pinkel in der Bühnenloge, Kinder!« Ich war natürlich genauso neugierig wie alle anderen und versuchte während des Auftritts einen Blick auf den Mann zu werfen. Ich war ziemlich überrascht.«

»Ich nehme an, es war Duke«, bemerkte Harry.

»Ich wußte das natürlich an diesem Abend noch nicht«, sagte Katie. »Das heißt, ich erfuhr es erst nach der Vorstellung. Er schickte mir seine Karte und lud mich zum Essen ein.«

»Und du hast die Einladung angenommen?«

»Natürlich. Die anderen Mädchen waren grün vor Neid, als sie hörten, daß ich mit einem wirklichen Duke ausgehen würde.«

Sie machte eine Pause, dann berichtete sie weiter, ohne den kleinsten Beiklang von Triumph in der Stimme: »Die Vortänzerin meinte: »Was glaubst du wohl, was er mit dieser Einladung im Schilde führt! Männer sind doch immer nur auf das eine aus!« Die anderen Mädchen dachten nicht anders. Alle warnten mich und rieten mir, die Finger davon zu lassen.«

»Es würde mich nicht wundern, wenn sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hätten«, sagte Harry.

Katie lächelte ihn an und fuhr fort: »Als ich ihn vor dem Bühnenausgang das erstemal sah, war ich nicht sonderlich beeindruckt von ihm. Er wirkte alt auf mich, und irgend etwas an ihm stieß mich ab. Doch dann stieg ich in seine Kutsche, und es wurde mir klar, daß ich dabei war, eine Welt zu betreten, von deren Existenz ich vorher nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte.«

»Wie alt warst du damals?«

»Gerade siebzehn«, antwortete Katie. »Und ich wußte nicht das geringste von Leuten wie ihm. Wie sollte ich auch!«

»Ja, du hast recht!« sagte Harry nachdenklich.

»Du bist ein Gentleman. Du weißt, wie solche Leute leben und denken. Für mich war all das neu: Ein Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde, ein Diener auf dem Kutschbock, der Restaurantbesitzer, der sich fast zerriß vor lauter Ergebenheit und Diensteifer. Man wies uns den besten Tisch an, für mich gab es eine weiße Orchidee, Kaviar und Champagner. Alles Dinge, die ich nie zuvor gekannt hatte.«

»Du mußt doch vorher schon einmal Champagner getrunken haben«, meinte Harry zweifelnd.

»Nicht die Sorte, die der Duke für mich bestellte. Das war ein großer Unterschied zu dem sauren Getränk, das ich einmal in Stockport getrunken habe. Und das Essen! Ein Gedicht und so reichlich, daß ich eine Woche davon hätte leben können!«

»Und was geschah danach?« fragte Harry ungeduldig.

»In der ersten Nacht nichts und auch nichts in den ersten drei oder vier Wochen. »Ich bin ein anständiges Mädchen, Euer Gnaden!« wehrte ich ihn ab, als er mir seine Wünsche zu verstehen gab.«

»Und wie reagierte er?«

»Er versuchte mich rumzukriegen. Mit Engelszungen redete er auf mich ein. »Ich kann dich sehr glücklich machen, Katie. Ich kann dir einen solchen Luxus bieten, wie du ihn dir in deinen Träumen nicht vorstellen kannst!« bedrängte er mich immer wieder.«

»Aber du bliebst standhaft.«

»Ich erlaubte ihm nicht, mich anzurühren. Ich mochte ihn einfach nicht, ich fand ihn alt und abstoßend. Aber ich mochte die Blumen und Geschenke, die er mir mitbrachte.«

»Machte er dir teure Geschenke?«

»Ja. Jedenfalls glaubte ich das. Doch später, als ich in Not war und sie verkaufen wollte, stellte ich fest, daß er nicht allzu freigiebig gewesen war. Aber wie hätte ich das damals wissen sollen, denn außer einem Drink hatte mir noch kein Mensch jemals etwas geschenkt.«

»Erzähl weiter!« drängte Harry.

»Nun, der Duke führte mich immer wieder zum Essen aus. Nicht jeden Abend, aber bestimmt dreimal in der Woche. Und jedesmal wurde er zudringlicher und hartnäckiger. Schließlich wurde mir klar, daß ich mich entscheiden mußte. Entweder gab ich seinem Drängen nach und willigte in das ein, was mir zuwider war, oder aber ich machte Schluß mit ihm.«

»Und was hast du getan?«

»Ich überlegte mir alles reiflich und versuchte zu einer Entscheidung zu kommen. Und das war gar nicht so einfach. Die anderen Mädchen rieten mir in ihrem Neid natürlich, ihm den Laufpaß zu geben. Und außerdem hatte ich inzwischen auch gehört, welchen Ruf er besaß.«

»Ich kann mir vorstellen, was du gehört hast.«

»Ich weiß, du denkst schlecht über mich«, sagte Katie. »Aber wenn man jung ist, bildet man sich ein, es sei ein leichtes, mit jedem Mann fertigzuwerden. Und obgleich ich ihn unsympatisch fand, hatte ich keine eigentliche Angst vor ihm. Dabei war es in der Kutsche schon öfter zu einem regelrechten Handgemenge gekommen.«

»Hat er nie versucht, dich irgendwo hinzubringen, wo ihr allein ward?«

»Natürlich«, antwortete Katie. »Er meinte: »Wenn du mit mir allein ißt, sind wir doch ganz unter uns!« Aber ich bin auf seinen Vorschlag nie eingegangen. »Oh nein. Euer Gnaden« hab' ich zu ihm gesagt, »ich möchte mit Ihnen gesehen werden. Es schmeichelt meiner Eitelkeit, daß ein Mann von Ihrem Rang und Ihrem Ansehen sich mit mir in der Öffentlichkeit zeigt. ««

Harry lachte.

»Zum Glück lagen die privaten Gasträume der Restaurants immer im ersten Stock«, erzählte Katie weiter, »und ich weigerte mich entschieden, meinen Fuß auch mir auf die unterste Treppenstufe zu setzen. Seine Gnaden waren wütend und verärgert. Aber am Ende blieb ich Siegerin. Meiner Standhaftigkeit war er nicht gewachsen.«

»Und was passierte dann?« wollte Harry wissen.

»Hochmut kommt vor dem Fall.« Katies Stimme klang bedrückt. »Ich hätte wissen müssen, daß ich ihn mir nicht ewig vom Leibe halten konnte.«

Sie schwieg gedankenvoll.

Schließlich fuhr sie fort: »Es war an einem Samstagabend. Ich hatte eine lange und sehr anstrengende Woche hinter mir. An diesem Tag hatte es sogar eine Matinee-Vorstellung gegeben.. Ich war müde, und der Duke bestellte mir unentwegt Champagner. Ich hatte nicht direkt einen Schwips, aber ich war dennoch nicht so wachsam wie bisher. Plötzlich erschien der Oberkellner an unserem Tisch. »Empfehlung von Lady Constance, Euer Gnaden«, sagte er. »Sie würde sich freuen, wenn Sie und die junge Lady ihr die Ehre gäben, an ihrer Party in den oberen Gesellschaftsräumen teilzunehmen. Ihre Ladyschaft ist sicher, daß Sie sich bestens unterhalten werden. Vor allem, da einige bekannte Damen und Herren vom Theater ebenfalls ihre Gäste sind!«

 Der Duke wandte sich zu mir um und sagte: »Es wird sicher sehr amüsant für dich sein, und wir brauchen ja nicht allzu lange bleiben. Wer weiß, vielleicht treffen wir einige einflußreiche Leute, deren Bekanntschaft deiner Karriere förderlich ist.««

Katie machte eine Pause und sah Harry um Verständnis bittend an.

»Ich war sofort Feuer und Flamme. Irgendwie hatte ich mir schon immer gewünscht, einmal den maßgeblichen Leuten anderer Theater zu begegnen, in der Hoffnung, etwas für mein berufliches Weiterkommen tun zu können. Also gab ich begeistert meine Zustimmung. Der Duke strahlte und beauftragte den Kellner, Lady Constance seinen herzlichen Dank zu sagen und ihr mitzuteilen, daß Miss King und er ihre Einladung gern annähmen. Sobald das Souper beendet sei, würden wir nach oben kommen. Der Mann verbeugte sich, drehte sich um und stieg die Treppe hinauf, die zu den oberen Räumen führte. Keine Sekunde lang kam mir der Gedanke, daß an der Sache irgend etwas nicht stimmen könnte.«

»Willst du damit sagen, das Ganze sei nur ein geschicktes Täuschungsmanöver gewesen, um dich in eins der privaten Gastzimmer zu locken?« fragte Harry verblüfft.

»Genau das war es«, erwiderte Katie. »Etwa zehn Minuten danach waren wir mit dem Souper fertig. Wir gingen die Treppe hinauf, und der Ober führte uns einen dunklen Gang entlang. Wir kamen an mehreren Türen vorbei, hinter denen Stimmengemurmel und Lachen zu hören war. Schließlich öffnete der Mann eine Tür!«

Eine starke Erregung hatte sich Katies bemächtigt. Ihr Atem ging heftig, und als sie weitersprach, war ihr Ton scharf und unversöhnlich.

»Ich betrat den Raum, in dem nur wenige Kerzen ein gedämpftes Licht verbreiteten. Ahnungslos und noch ein wenig benebelt von dem reichlich genossenen Champagner blickte ich mich um. Ich glaubte, es handele sich um eine Art Vorzimmer zu dem Saal, in dem die Party stattfinden sollte. Dann drehte ich mich um und sah, daß der Duke die Tür abschloß und den Schlüssel in seiner Tasche verschwinden ließ. Erst in diesem Augenblick begriff ich, daß ich in eine Falle getappt war.«

»Und es gab nichts, das du tun konntest?« fragte Harry.

»Ich schrie vor Entsetzen. Und als er mich schlug, setzte ich mich verzweifelt zur Wehr«, sagte Katie bedrückt. »Aber das beeindruckte ihn nicht, im Gegenteil. Je mehr ich mich wehrte, um so zudringlicher wurde er. Und da ich gegen seine Körperkraft nicht ankam, gab ich meinen Widerstand nach einigen vergeblichen Versuchen auf.«

»Arme Katie!«

»Später erfuhr ich, daß die Hälfte aller Mädchen aus dem Theater ähnliches erlebt hatten. Jetzt, wo es zu spät. ist, gibt es für mich nur einen Grundsatz: Trau nie einem Adligen und rühre in seiner Gegenwart keinen einzigen Tropfen Alkohol an, wenn du ihm nicht auf den Leim gehen willst.«

»Es ist allgemein bekannt, daß der Duke einen üblen und gemeinen Charakter besitzt«, sagte Harry. »Und wie hat er dich entschädigt?«

»Er steckte mir fünfzig Pfund zu. Das war alles. Und von dem Moment an gab es weder Blumen noch Einladungen zum Essen.«

»Das kann doch nicht wahr sein«, rief Harry empört.

»Doch, das ist wahr. Später verrieten mir einige Eingeweihte, daß er es nur auf unschuldige und unberührte junge Mädchen abgesehen hatte. Er wollte der erste sein, der sie besaß. Nun, was mich betrifft, hat er bekommen, was er wollte. Ünd das zu einem beschämend niedrigen Preis.«

Katies Stimme klang hart und verbittert.

»Seitdem habe ich die Männer gehaßt und verabscheut, bis ich dir begegnete. Du bist so ganz anders als die anderen. O Harry, ich liebe dich!«

»Wir waren sehr glücklich miteinander«, sagte Harry. »Und das Glück wird uns auch weiterhin treu bleiben. Ich verspreche es dir! Wenn der Arzt dir gleich die gute Nachricht bringt, daß die Untersuchung zufriedenstellend ausgefallen ist, kannst du auch wieder auf der Bühne stehen. Und ehe du dich versiehst, hat Hollinghead dich zu seiner Ersten Tänzerin ernannt.«

»O Harry, das wäre mein Traum!« rief Katie, und die Verbitterung war aus ihrer Stimme geschwunden. »Die Erste im Gaiety Theatre. Stell dir vor: Miss Katie King in der Rolle der Prinzessin von Trebizonde!«

»Dein Traum wird sich erfüllen. Glaube fest daran!« versicherte Harry. »In einem Monat ist es soweit. Dann bist du wieder auf den Beinen. Ich hörte, die neue Show, die er aus Paris mitbrachte, sei das Prächtigste, was die Welt jemals gesehen habe. Ich bin überzeugt davon, daß es stimmt, denn die Musik von Offenbach hat mich schon immer begeistert.«

»Ich muß dabei sein, Harry! Ich muß einfach!« Katies Augen glühten,, als sie Harrys Hand griff und sie fest umschloß.

»Du wirst dabei sein, Katie. Keine Angst, ich weiß daß du es schaffst!« erwiderte er zuversichtlich.

Wie auf ein Stichwort klopfte es an die Tür, und beide wußten, daß der Doktor draußen stand.

Harry stand auf dem Treppenabsatz und wartete, bis der Arzt aus dem Zimmer kam.

Dr. Medwin war ein Mann Mitte Vierzig, dessen Haar an den Schläfen zu ergrauen begann. Die tiefen Linien in seinem Gesicht und die Blässe seiner Haut verrieten, daß er völlig überarbeitet war und seine Mahlzeiten unregelmäßig einnahm. Er war nicht nur ein hervorragender Arzt, sondern auch ein ausgezeichneter Menschenkenner. Er wußte, daß Harry Carrington seinen Lebensunterhalt auf eine sehr ungewöhnliche Weise bestritt, aber dennoch empfand Dr. Medwin eine gewisse Sympathie für den jungen Mann.

Carrington war ein Tunichtgut. Jemand, der niemals einer ehrlichen Arbeit nachgegangen war, der sich von Frauen aushalten ließ und von seinen Liebesdiensten lebte. Aber trotzdem war er ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Er war adligen Geblüts und besaß einen Charme, der ihn für Frauen unwiderstehlich machte.

Und ausgerechnet dieser Mann, dachte Dr. Medwin, ist so anständig, Katie King in dieser ausweglosen Situation ihres Lebens nicht im Stich zu lassen, sondern bei ihr auszuhalten. Carrington schien zu wissen, daß die kleine Tänzerin ohne ihn verloren war, daß sie mit ihrer Verzweiflung allein nicht fertig wurde und sich ohne ihn längst etwas angetan hätte.

Die Themse, die die nördliche Begrenzung von Dr. Medwins ausgedehnter Praxis in Lambeth bildete, hatte schon mehrere seiner Patienten ans Ufer gespült, die das Wissen um ihre unheilbare Krankheit zu einem verhängnisvollen Kurzschluß trieb.

Harry lehnte mit dem Rücken gegen die Wand des Treppenhauses, als Dr. Medwins die Tür von Katies Zimmer hinter sich schloß und zu ihm trat.

»Wie ist ihr Zustand?« fragte Harry gespannt.

»Schlecht.«,

»Das hatte ich erwartet.«

»Ja, ich auch. Aber ich wollte ganz sichergehen. Die Untersuchungen haben ergeben, daß es sich zweifellos um krebsartige Wucherungen handelt:«

»Was können Sie dagegen tun?«.

»Nur sehr wenig, fürchte ich.«

Dr. Medwin atmete tief.

»Es ist schrecklich, das sagen zu müssen bei einer Frau, die erst dreiundzwanzig Jahre alt ist und dazu noch so schön wie Katie King.«.

»Aber da muß doch irgend etwas zu machen sein, Doktor!«

»Ich kann nur dafür sorgen, daß sie keine allzu großen Schmerzen hat. Aber auch das ist nur möglich bis zu einem bestimmten Punkt. Mit Medikamenten werden wir nur eine relative Linderung erzielen. Katie die Schmerzen völlig nehmen können wir nicht.«

»Und eine andere Möglichkeit gibt es nicht?« fragte Harry mit müder Stimme.

»Wenn Sie ein reicher Mann wären, könnte ich Ihnen eine anderslautende Antwort geben«, entgegnete Dr. Medwin. »Es gibt eine Hoffnung für die Kranken, die sich einer Operation unterziehen. Vor fünf Jahren hat ein Arzt namens Joseph Lister einen solchen Eingriff zum erstenmal vorgenommen und erzielt mit dieser Methode inzwischen sensationelle Erfolge.«

»Ich glaube, ich habe darüber gelesen.«

»Lister hat einen Artikel geschrieben,, in dem er die Auffassung vertritt, daß keimtötende Mittel eine Infektion bei Operationswunden verhindern. Seine Theorien fußen auf den Forschungen eines französischen Wissenschaftlers mit Namen Louis Pasteur.«

»Und doch kommt eine solche Operation für Katie nicht in Betracht, meinen Sie?«

 »Nein«, sagte Dr. Medwin bedrückt. »Wie ich schon erwähnte, ist es eine Geldfrage. Das einzige, was ich tun könnte, wäre, sie in eins der hiesigen Krankenhäuser zu überweisen, falls dort zufällig ein Bett frei ist.«

Er machte eine Pause, dann fuhr er in ernstem Ton fort: »Die Ärzte dort geben zu, daß die Aussichten, eine Operation ohne Anwendung antiseptischer Stoffe zu überleben, fünfzig zu fünfzig stehen. Ich kann Ihnen jedoch auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen versichern, daß die Chancen weit geringer sind.«

 »Dasselbe habe ich auch gehört«, erklärte Harry heftig, »und ich würde nicht einmal ein Tier in einem solchen Krankenhaus unterbringen. Dort sollen ja katastrophale Zustände herrschen!«

»Das stimmt«, pflichtete Dr. Medwin ihm bei.

Die beiden Männer schwiegen, und der Arzt dachte daran, wie niederdrückend es war, daß es normalerweise noch keine Möglichkeit gab, einer Wundinfektion Herr zu werden. Wie oft hatte er bei seinen Patienten beobachtet, daß sich das Fleisch im Umkreis einer Wunde plötzlich rötete, entzündete und anschwoll.

Das war dann der Beginn eines unaufhaltsam fortschreitenden Fäulnisprozesses. Die Wundzone färbte sich allmählich schwarz und ging in Brand über. Ein übelriechendes Sekret trat aus, der Patient wurde von Schüttelfrost befallen, und fast immer endete das Ganze mit dem Exitus.

Es war, als sei Harry den Gedankengängen des Arztes gefolgt, denn er sagte: »Aber Sie erwähnten soeben, daß es unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine Alternative gäbe.«

»Ja. Im Augenblick arbeitet ein einziger Chirurg auf der Basis der Listerschen Erkenntnisse und unterhält eine Art Privatklinik.«

»Wie ist der Name des Arztes?«

»Sheldon Curtis. Er verwendet nicht nur die antiseptischen Stoffe während und nach seinen Operationen, sondern er ist überdies auch noch ein ganz hervorragender Chirurg. Es wurde mir berichtet, daß es ihm gelungen ist, die Zahl der Todesfälle bei seinen Eingriffen auf weniger als fünf Prozent zu reduzieren.«

Ein längeres Schweigen entstand, dann sagte Harry knapp: »Wieviel verlangt er für eine Operation?«

»Mit den Kosten für den Klinikaufenthalt müßten Sie wenigstens mit zweihundert Pfund rechnen.«

Harry stieß ein kurzes, grimmiges Lachen aus.

»Im Augenblick verfüge ich nicht einmal über zweihundert Shilling.«

»Dann werden wir wohl bei meinem Vorschlag bleiben müssen«, sagte Dr. Medwin. »Ich werde alles tun, um Miss King die schlimmsten Schmerzen zu ersparen.«

»Und was soll sie in der Zwischenzeit beachten?«

»Nichts. Sie soll alles tun, was sie will. Aber sie wird weder Lust verspüren noch in der Lage sein, sich viel zu bewegen. Und ganz gewiß wird sie nicht wieder tanzen könne. Es tut mir leid, Carrington, aber ich weiß, daß Sie die Wahrheit hören wollen.«

»Ja, natürlich.«