cover
e9783641155940_cover.jpg

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor
Widmung
Prolog
ERSTER TEIL
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
TEIL ZWEI
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
TEIL DREI
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
TEIL VIER
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
TEIL FÜNF
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
Anmerkungen des Autors
Dank
Copyright

Dank

Mit jedem meiner Bücher habe ich den wunderbaren Leuten bei Random House meinen Dank abgestattet. Darin mache ich auch diesmal keine Ausnahme. So geht nun an Gina Centrello, Libby McGuire, Cindy Murray, Kim Hovey, Christine Cabello, Beck Stvan, Carole Lowenstein und alle in Marketing und Vertrieb ein herzliches und ehrliches Dankeschön. Außerdem verbeuge ich mich vor Laura Jorstad, die alle meine Romane Korrektur gelesen hat. Kein Schriftsteller könnte sich ein besseres Team von Profis wünschen. Ihr seid alle ohne jede Frage die Besten.

Ein großer Dank geht an die freundlichen Leute in Aachen, die all meine beharrlichen Fragen mit großer Geduld beantwortet haben. Mit seit langem überfälligem Dank möchte ich Ron Chamblin erwähnen, dem die Chamblin Bookmine in Jacksonville, Florida, gehört. Dort führe ich seit Jahren den Großteil meiner Recherchen durch. Es ist ein erstaunlicher Ort. Danke, Ron, dass du ihn geschaffen hast. Danke auch unserer Australierin, Kate Taperell, die mir einen Einblick verschafft hat, wie die Leute »down under« reden.

Schließlich widme ich dieses Buch meiner Agentin Pam Ahearn und meinem Lektor Mark Tavani. 1995 nahm Pam mich als Klienten an und stand dann sieben Jahre und fünfundachtzig Ablehnungen mit mir durch, bevor sie ein Zuhause für uns fand. Was für eine Geduld. Und dann ist da noch Mark. Was für ein Risiko er mit diesem verrückten Anwalt eingegangen ist, der Bücher schreiben wollte!

Aber wir haben es alle geschafft.

Ich schulde Pam und Mark mehr, als ein Mensch in einem einzigen Leben zurückerstatten kann.

Ich danke euch.

Für alles.

Autor

 

Steve Berry war viele Jahre als erfolgreicher Anwalt tätig, bevor er seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Mit jedem seiner hoch spannenden Thriller stürmt er in den USA die Spitzenplätze der Bestsellerliste. Steve Berry lebt mit Frau und Tochter in Camden County, Georgia.

Anmerkungen des Autors

Dieses Buch war nicht nur für Malone, sondern auch für mich selbst eine sehr persönliche Reise. Während Malone seinen Vater gefunden hat, habe ich geheiratet. Für mich nicht unbedingt etwas Neues, aber eindeutig ein Abenteuer. In puncto Reisen hat diese Geschichte mich nach Deutschland (Aachen und Bayern) geführt, in die französischen Pyrenäen und nach Asheville, North Carolina (das Biltmore Estate). Lauter kalte, verschneite Orte.

Jetzt kommt die Zeit, Fantasie und Realität voneinander zu trennen.

Das streng geheime U-Boot NR-1 (Prolog) ist real und ebenso seine Geschichte und seine Leistungen. Nach vierzig Jahren dient die NR-1 auch heute noch der amerikanischen Nation. Die NR-1A ist meine Erfindung. Es gibt sehr wenige schriftliche Berichte über die NR-1, aber derjenige, auf den ich mich gestützt habe, ist Dark Waters von Lee Vyborny und Don Davis, eines der seltenen Zeugnisse aus erster Hand über das Leben an Bord. Der Bericht des Untersuchungsausschusses über den Untergang der NR-1A (Kapitel fünf) ist tatsächlichen Untersuchungsberichten über den Untergang der Thresher und der Scorpion nachempfunden.

Die Zugspitze und Garmisch sind wirklichkeitsgetreu beschrieben (Kapitel eins), ebenso das Posthotel. Urlaub in Bayern ist wunderschön und die in den Kapiteln dreizehn, dreiunddreißig und siebenunddreißig beschriebenen Weihnachtsmärkte sind zweifellos ein Teil der Attraktion. Die Abtei Ettal (Kapitel sieben) ist mit Ausnahme des Untergeschosses wirklichkeitsgetreu beschrieben.

Karl der Große ist eine Schlüsselfigur dieses Romans. Der dargestellte historische Kontext ist zutreffend geschildert (Kapitel sechsunddreißig) und ebenso Karls Signum (Kapitel zehn). Er bleibt eine der rätselhaftesten Gestalten der Weltgeschichte und trägt noch immer den Titel Vater Europas. Ob Otto III. tatsächlich 1000 n. Chr. das Grab Karls des Großen geöffnet hat, ist umstritten. Der sonderbare Bericht aus Kapitel zehn wurde viele Male weitererzählt – allerdings ist das merkwürdige Buch, das Otto findet, natürlich von mir hinzugefügt. Anderen, ebenfalls überzeugenden Berichten zufolge wurde Karl der Große in einem Marmorsarkophag liegend bestattet (Kapitel vierunddreißig). Mit Sicherheit weiß es keiner.

Einhards Das Leben Karls des Großen wird bis heute als eines der großen Werke jener Zeit betrachtet. Einhard selbst war ein Gelehrter und stand Karl dem Großen tatsächlich sehr nahe. Nur die Verbindung der beiden mit den Heiligen ist meine Erfindung. Einhards in Kapitel einundzwanzig und zweiundzwanzig zitierten Berichte basieren locker auf Teilen des Buches Henoch (Enoch) – eines alten, rätselhaften Texts.

Operation Highjump und Operation Windmill liefen ab wie geschildert (Kapitel elf). Beides waren ausgedehnte militärische Operationen. Große Teile davon blieben über Jahrzehnte unter Verschluss und sind bis heute geheimnisumwittert. Admiral Richard Byrd war einer der Leiter der Operation Highjump. Meine Beschreibung der technischen Ausstattung, die Byrd mit sich in den Süden führte (Kapitel dreiundfünfzig), ist zutreffend und ebenso der Bericht über seine ausgedehnte Erforschung des Kontinents. Sein geheimes Tagebuch (Kapitel siebenundsiebzig) ist genauso fiktiv wie der angebliche Fund von behauenen Steinen und alten Büchern. Die deutsche Antarktisexpedition von 1938 (Kapitel neunzehn) hat stattgefunden und wurde zutreffend geschildert – einschließlich des Abwurfs kleiner Hakenkreuze auf der Eisfläche. Nur Hermann Oberhausers Entdeckungen sind meine Erfindung.

Die Seiten mit der sonderbaren Schrift (Kapitel zwölf und einundachtzig) stammen aus dem Voynich-Manuskript. Dieses Buch befindet sich in der Beinecke Rare Book and Manuscript Library an der Yale University und wird gemeinhin als die geheimnisvollste Schrift der Welt betrachtet. Es ist noch niemandem gelungen, den Text zu entziffern. Eine gute Einführung in diese merkwürdige Schrift gibt Der Voynich-Code von Gerry Kennedy und Rob Churchill. Das Symbol, das zum ersten Mal in Kapitel zehn auftaucht – ein unteilbares Zeichen –, stammt aus dem Buch der beiden und ist eine archetypische Darstellung des Originals, das in einem Vertrag des sechzehnten Jahrhunderts gefunden wurde. Das sonderbare Familienwappen der Oberhausers (Kapitel fünfundzwanzig) kommt ebenfalls aus Kennedys und Churchills Buch und stellt in Wirklichkeit das von Voynich selbst entworfene Familienwappen der Voynichs dar.

Die wahre Erklärung des Terminus Arier (Kapitel zwölf) zeigt, wie etwas zunächst Harmloses höchst gefährlich werden kann. Das Ahnenerbe hat es natürlich gegeben. Erst in den letzten Jahren haben Historiker sowohl das dort herrschende pseudowissenschaftliche Chaos als auch die begangenen Gräueltaten enthüllt (Kapitel sechsundzwanzig). Eines der besten Bücher zu diesem Thema ist The Master Plan von Heather Pringle. Die in Kapitel einunddreißig aufgezählten internationalen Expeditionen des Ahnenerbes haben stattgefunden und wurden massiv genutzt, um die wissenschaftlichen Fiktionen der Forschungsorganisation zu produzieren. Hermann Oberhausers Arbeit für diese Organisation ist meine Erfindung, aber seine Erfahrung der Diskreditierung nach geleisteter Arbeit entspricht den Erlebnissen historischer Mitarbeiter des Ahnenerbes.

Die Idee einer Ersten Zivilisation (Kapitel zweiundzwanzig) stammt nicht von mir. Viele Bücher wurden darüber geschrieben, aber Civilization One von Christopher Knight und Alan Butler ist ausgezeichnet. Alle Argumente, die Christl Falk und Douglas Scofield für die Existenz einer Ersten Zivilisation anführen, stammen von Knight und Butler. Ihre Theorie ist gar nicht so abwegig, aber der Mainstream der Wissenschaft reagiert darauf so ähnlich, wie er einmal mit der Theorie der Kontinentaldrift umging (Kapitel vierundachtzig). Die naheliegendste Frage bleibt natürlich bestehen. Falls eine solche Kultur existiert hat, warum gibt es dann keine Überreste?

Aber vielleicht gibt es die ja.

Die von Scofield in Kapitel sechzig erwähnten Erzählungen über »gottähnliche« Menschen, die weltweit mit verschiedenen Kulturen Kontakt hatten, gibt es tatsächlich, und ebenso gibt es die unerklärlichen Artefakte und den Bericht über das, was Columbus gezeigt wurde. Noch verblüffender sind das Bild und die Inschrift aus dem Hathor-Tempel in Ägypten (Kapitel vierundachtzig), die eindeutig etwas Außergewöhnliches zeigen. Leider ist jedoch Scofields Anmerkung, dass neunzig Prozent des Wissens unserer Vorfahren auf immer unbekannt bleiben werden, potenziell richtig. Das bedeutet, dass wir vielleicht nie eine eindeutige Antwort auf diese faszinierende Frage erhalten werden.

Die Erste Zivilisation in der Antarktis anzusiedeln (Kapitel zweiundsiebzig, fünfundachtzig und sechsundachtzig), war meine Idee. Ebenso stammen die Ausführungen über das Wissen dieser Zivilisation und ihre begrenzten technischen Möglichkeiten von mir (Kapitel zweiundsiebzig und einundachtzig). Ich habe die Antarktis nicht besucht (sie steht unbedingt ganz oben auf meiner Liste der Orte, die ich noch besichtigen muss), aber ihre Schönheit und ihre Gefahren sind anhand von Berichten aus erster Hand wirklichkeitsgetreu beschrieben. Die Halvorsen-Forschungsstation (Kapitel zweiundsechzig) ist fiktiv, aber die Polarausrüstung, die Malone und seine Begleiter anziehen, ist real (Kapitel sechsundsiebzig). Politisch gesehen bleibt der antarktische Kontinent mit den verschiedenen internationalen Verträgen und einzigartigen Kooperationsregeln kompliziert (Kapitel sechsundsiebzig). Das Gebiet, das Malone erkundet (Kapitel vierundachtzig), steht tatsächlich unter norwegischer Hoheit, und in einigen Texten ist angemerkt, dass es besonderen Umweltschutzbestimmungen unterliegt. Ramseys Unterwasserexpedition ist Zeugnissen von Menschen nachempfunden, die in diesen ursprünglichen Gewässern getaucht sind. Die Trockentäler (Kapitel vierundachtzig) gibt es, allerdings sind sie im Allgemeinen auf den südlichen Teil des Kontinents beschränkt. Die einerseits tödlichen und andererseits konservierenden Auswirkungen großer Kälte auf den menschlichen Körper sind zutreffend geschildert (Kapitel neunzig und einundneunzig). Ice von Mariana Gosnell liefert eine ausgezeichnete Beschreibung dieser Phänomene.

Der Aachener Dom (Kapitel vierunddreißig, sechsunddreißig, achtunddreißig und zweiundvierzig) ist einen Besuch wert. Die Offenbarung des Johannes hat bei seiner Errichtung eine Schlüsselrolle gespielt, und das Bauwerk ist eines der letzten aus der Zeit Karls des Großen, das bis heute steht. Natürlich ist meine Eingliederung der Heiligen in seine Geschichte nur Teil des vorliegenden Romans.

Die lateinische Inschrift im Dom (Kapitel achtunddreißig) stammt aus der Zeit Karls des Großen und wurde exakt wiedergegeben. Beim Abzählen jedes zwölften Wortes entdeckte ich, dass dabei nur drei Worte herauskamen, da die letzte Zählrunde beim elften Wort endete. Dann ergaben die drei Worte erstaunlicherweise einen Sinn – das Leuchten Gottes.

In die Seitenwand des Throns Karls des Großen ist tatsächlich ein Mühlespiel eingeritzt (Kapitel achtunddreißig). Wie es dort hinkommt und warum es dort ist, weiß keiner. Das Spiel war in römischer und in karolingischer Zeit bekannt und wird bis heute gespielt.

Die Suchfahrt Karls des Großen mit den verschiedenen Hinweisen, darunter auch Einhards Testament, ist meine Erfindung. Ossau, Frankreich, (Kapitel einundfünfzig) und die Abtei sind ausgedacht, aber Bertrand basiert auf einem wirklichen Abt, der in dieser Gegend gelebt hat.

Fort Lee (Kapitel fünfundvierzig) ist real, das Lagerhaus und die Kühlkammer allerdings nicht. Vor kurzem habe ich mir ein iPhone angeschafft, und so musste auch Malone eines besitzen. Sämtliche Untersuchungen der US-Regierung über paranormale Phänomene und Hinweise auf Außerirdische (Kapitel sechsundzwanzig) wurden während des Kalten Krieges wirklich durchgeführt. Ich habe einfach noch eine weitere hinzugefügt.

Das Biltmore Estate (Kapitel achtundfünfzig, neunundfünfzig und sechsundsechzig) ist einer meiner Lieblingsorte, gerade auch in der Vorweihnachtszeit. Restaurant, Herrenhaus, Village, Hotel und das Grundstück sind realistisch beschrieben. Die Konferenz zur Enthüllung alter Mysterien gibt es natürlich nicht, aber ihre Schilderung beruht auf einer Vielzahl wahrer Veranstaltungen.

Die Piri-Reis-Karte und andere Portolane (Kapitel einundvierzig) existieren wirklich, und jede dieser Karten wirft eine Vielzahl verwirrender Fragen auf. Maps of the Ancient Sea Kings von Charles Hapgood gilt als das entscheidende Werk zu diesem Thema. Die Diskussion um den Nullmeridian (Kapitel einundvierzig) hat wie geschildert stattgefunden, und die Entscheidung fiel willkürlich auf Greenwich. Legt man dagegen den nullten Längengrad durch die Pyramiden von Gizeh (Kapitel einundsiebzig), stößt man auf einige faszinierende Verbindungen mit heiligen Stätten auf der ganzen Welt. Das Megalithische Yard (Kapitel einundsiebzig) ist ein weiteres interessantes Konzept, das Übereinstimmungen, die Wissenschaftlern seit langem an alten Stätten der Baukunst auffallen, rational erklärt. Doch der Beweis seiner Existenz wurde bisher noch nicht erbracht.

Dieser Roman stellt einige interessante Möglichkeiten zur Diskussion. Nicht die eines mythischen Atlantis mit rätselhaften Techniken und fantastischer Technologie, sondern einfach nur die schlichte Idee, dass wir vielleicht nicht die Ersten waren, die zu einem intellektuellen Bewusstsein gelangten. Vielleicht gab es andere Völker, deren Existenz einfach unbekannt geblieben ist und deren Geschichte und Schicksal ausgelöscht wurden. Sie könnten zu den neunzig Prozent alten Wissens gehören, das für immer verloren ist.

Ist das weit hergeholt? Unmöglich?

Wie oft haben sich die Behauptungen der sogenannten Experten schon als falsch erwiesen?

Laotse, der große chinesische Philosoph, der vor zweitausendsiebenhundert Jahren lebte und noch immer als einer der brillantesten Denker der Menschheit gilt, hat es vielleicht am besten gewusst, als er schrieb:

Die vor alters tüchtig waren als Meister, waren im
Verborgenen eins mit den unsichtbaren Kräften.
Tief waren sie, so dass man sie nicht kennen kann.
Weil man sie nicht kennen kann, darum kann man nur mit
Mühe ihr Äußeres beschreiben.
Zögernd, wie wer im Winter einen Fluss durchschreitet,
vorsichtig, wie wer von allen Seiten Nachbarn fürchtet,
zurückhaltend wie Gäste, vergehend wie Eis, das am
Schmelzen ist,
einfach wie unbearbeiteter Stoff.

1

Garmisch, Deutschland
Dienstag, 11. Dezember, Gegenwart
13.40 Uhr

 

Cotton Malone hasste es, eingeschlossen zu sein.

Sein derzeitiges Unbehagen wurde noch dadurch gesteigert, dass die Gondel der Seilbahn gerammelt voll war. Die meisten Passagiere hatten Urlaub, waren farbenfroh gekleidet und hatten Skier und Skistöcke geschultert. Alle möglichen Nationen waren vertreten. Einige Italiener, ein paar Schweizer, eine Handvoll Franzosen, aber überwiegend Deutsche. Er war als einer der ersten Passagiere eingestiegen und hatte sich, um sein Unbehagen zu bekämpfen, an eines der vereisten Fenster gestellt. Dreitausend Meter weiter oben zeichnete sich die näher kommende Zugspitze als Silhouette vor dem stahlblauen Himmel ab; der eindrucksvolle graue Gipfel war mit spätherbstlichem Schnee bedeckt.

Es war nicht klug gewesen, diesem Ort zuzustimmen.

Die Gondel setzte ihre schwindelerregende Fahrt fort und kam an einer von mehreren Stahlstützen vorbei, die aus den zerklüfteten Felsen aufragten.

Er war entnervt und nicht nur wegen des Gedränges in der Gondel. Oben auf Deutschlands höchstem Gipfel erwarteten ihn die Geister der Vergangenheit. Er hatte diese Begegnung seit Jahrzehnten vermieden. Menschen wie er, die ihre Vergangenheit so entschlossen begraben hatten, sollten ihr nicht so mir nichts, dir nichts wieder aus dem Grab helfen.

Und doch tat er jetzt genau das.

Die Vibrationen hörten auf, als die Gondel in die Gipfelstation einfuhr und hielt.

Die mit Skiern beladenen Fahrgäste strömten zu einer anderen Bergbahn, die sie weiter abwärts in ein Bergtal bringen würde, wo ein Chalet und Skihänge auf sie warteten. Malone fuhr nicht Ski, das hatte er noch nie getan und hatte es auch in Zukunft nicht vor.

Das Besucherzentrum war mit einem gelben Schild als Münchner Haus gekennzeichnet. Die eine Hälfte des Gebäudes wurde von einem Restaurant eingenommen, in der anderen befanden sich ein Vortragssaal, ein Imbiss, Andenkenläden und eine meteorologische Beobachtungsstation.

Er schob sich durch die dicken Glastüren und trat auf eine von einer Brüstung eingefasste Terrasse. Die frische Alpenluft stach ihm in die Lippen. Stephanie Nelle zufolge sollte seine Kontaktperson ihn auf der Aussichtsplattform erwarten. Eines war offensichtlich. Die fast dreitausend Höhenmeter verliehen diesem Treffen zweifellos eine zusätzliche private Note.

Die Zugspitze lag an der Grenze. Südwärts in Richtung Österreich erhob sich eine Kette verschneiter Felsgipfel. Im Norden erstreckte sich ein von Felsspitzen umschlossenes Tal. Ein eisiger Nebelschleier verbarg das deutsche Städtchen Garmisch mit dem dazugehörigen Partenkirchen vor den Blicken. Beide Orte waren Sport-Mekkas, und in der Region waren nicht nur Skifahren, sondern auch Bobschlittenfahren, Eislauf und Eisstockschießen im Angebot.

Weitere Sportarten, die Malone immer gemieden hatte.

Die Aussichtsplattform lag verlassen da, abgesehen von einem älteren Paar und ein paar Skifahrern, die offensichtlich um des schönen Ausblicks willen hier Halt machten. Malone war hierhergekommen, um ein Geheimnis zu lüften, das ihm auf der Seele lag, seit die Männer in Uniform damals gekommen waren, um seine Mutter über den Tod ihres Mannes zu informieren.

»Der Kontakt mit dem Unterseeboot ist vor achtundvierzig Stunden verloren gegangen. Wir haben Such- und Rettungsschiffe in den Nordatlantik geschickt, die die letzte bekannte Position abgesucht haben. Wrackteile wurden vor sechs Stunden gefunden. Wir haben mit der Benachrichtigung der Familien gewartet, bis wir sicher sein konnten, dass es keine Überlebenden gibt.«

Seine Mutter hatte nicht geweint. Das war nicht ihre Art. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht niedergeschmettert war. Es dauerte Jahre, bevor ihm als Jugendlichem die ersten Fragen kamen. Die Regierung bot ihnen praktisch keine Erklärung an, die über die offiziellen Verlautbarungen hinausging. Als er bei der Marine anfing, hatte er versucht, Zugang zum Bericht der mit dem Untergang des U-Bootes befassten Untersuchungskommission zu bekommen, hatte aber erfahren müssen, dass dieser streng geheim war. Später, als Agent des Justizministeriums, der auch vertrauliche Dokumente einsehen konnte, hatte er es erneut versucht. Wieder ohne Erfolg. Als Gary, sein fünfzehnjähriger Sohn, in diesem Sommer zu Besuch gekommen war, hatte Malone sich mit neuen Fragen konfrontiert gesehen. Gary hatte mehr über seinen Großvater erfahren wollen und hatte sich besonders für dessen Tod interessiert. Die Presse hatte über den Untergang der USS Blazek im November 1971 berichtet, und so hatten sie viele der alten Artikel im Internet nachgelesen. Ihre Unterhaltungen hatten seine alten Zweifel wieder aufleben lassen – und zwar so stark, dass er schließlich beschlossen hatte, etwas zu unternehmen.

Er steckte die geballten Fäuste in die Taschen seines Parkas und ging über die Aussichtsterrasse.

Bei der Brüstung waren Teleskope aufgestellt. Vor einem davon stand eine Frau, deren dunkles Haar zu einem wenig vorteilhaften Knoten aufgesteckt war. Sie war in ein knalliges Outfit gekleidet, hatte Skier und Skistöcke neben sich abgestellt und betrachtete das tiefer gelegene Tal.

Er ging unauffällig hinüber. Eine Regel hatte er schon vor langer Zeit gelernt: nie etwas überstürzen. Das brachte nur Ärger.

»Eine eindrucksvolle Aussicht«, sagte er.

Sie drehte sich um. »Unbedingt.«

Ihr Teint war zimtbraun, was in Verbindung mit den, wie er fand, ägyptischen Zügen um Mund, Nase und Augen auf Vorfahren aus dem Nahen Osten schließen ließ.

»Ich bin Cotton Malone.«

»Woher wussten Sie, dass ich diejenige bin, die Sie treffen sollen?«

Er deutete auf den braunen Umschlag, der auf dem Sockel des Teleskops lag. »Offensichtlich ist das keine besonders dringliche Mission.« Er lächelte. »Sind Sie einfach nur eine Botin?«

»Etwas in der Art. Ich bin zum Skilaufen hergekommen. Eine Woche Urlaub, endlich einmal. Das wollte ich immer schon mal machen. Stephanie bat mich, das hier«, sie zeigte auf den Umschlag, »mitzunehmen.« Die Frau wandte sich wieder dem Teleskop zu. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier noch zu Ende schaue? Es hat mich einen Euro gekostet, und ich möchte sehen, was dort unten liegt.«

Sie drehte das Teleskop und betrachtete das deutsche Tal, das sich unten über Kilometer hinzog.

»Haben Sie einen Namen?«, fragte Malone.

»Jessica«, sagte sie, das Auge immer noch ans Okular geheftet.

Er griff nach dem Umschlag.

Sie verhinderte den Zugriff mit dem Schuh. »Noch nicht. Stephanie sagte, ich solle Sie eindringlich darauf hinweisen, dass Sie beide damit quitt sind.«

Letztes Jahr hatte er seiner ehemaligen Chefin in Frankreich aus der Patsche geholfen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie ihm gesagt, dass sie ihm einen Gefallen schulde und dass er sich dessen klug bedienen solle.

Das hatte er getan.

»Einverstanden. Die Schuld ist beglichen.«

Sie wandte sich vom Teleskop ab. Vom Wind waren ihre Wangen gerötet. »Ich habe im Magellan Billet von Ihnen gehört. Sie sind so eine Art Legende. Einer der ursprünglichen zwölf Agenten.«

»Mir war gar nicht bewusst, dass ich so beliebt bin.«

»Stephanie sagte, dass Sie auch bescheiden wären.«

Er war nicht in der Stimmung für Komplimente. Die Vergangenheit erwartete ihn. »Könnte ich die Unterlagen jetzt haben?«

Ihre Augen funkelten. »Klar.«

Er nahm den Umschlag an sich. Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf zuckte, war die Überlegung, wie etwas so Dünnes so viele Fragen beantworten konnte.

»Das muss wichtig sein«, sagte Jessica.

Noch eine Lektion, die er gelernt hat. Übergehe Fragen, die du nicht beantworten möchtest. »Sind Sie schon lange beim Billet?«

»Seit ein paar Jahren.« Sie trat vom Teleskopsockel herunter. »Aber es gefällt mir nicht. Ich denke übers Aussteigen nach. Wie ich hörte, sind auch Sie vorzeitig ausgestiegen.«

So sorglos, wie sie sich verhielt, erschien die Kündigung ihm als ein guter Karriereschritt. Während seiner zwölf Jahre beim Billet hatte er nur drei Mal Urlaub gemacht, und während dieser Zeit war er ständig auf der Hut gewesen. Paranoia war eine der Berufskrankheiten des Agenten, und nach zwei Jahren freiwilligen Rückzugs aus diesem Leben war er noch immer nicht geheilt.

»Viel Spaß beim Skifahren«, wünschte er Jessica.

Morgen würde er nach Kopenhagen zurückfliegen. Heute wollte er noch in der Gegend bleiben und bei ein paar Läden für seltene Bücher vorbeischauen – eine Berufskrankheit seines neuen Betätigungsfeldes. Er war Buchantiquar.

Mit einem wütenden Blick griff sie nach ihren Skiern und Stöcken. »Das habe ich auch vor.«

Sie verließen die Terrasse und gingen durch das beinahe menschenleere Besucherzentrum. Jessica wandte sich dem Lift zu, der sie ins Bergtal bringen würde. Malone kehrte zur Seilbahn zurück, die ihn dreitausend Meter tiefer am Fuß des Berges absetzen sollte.

Er trat in die leere Gondel, den Umschlag in der Hand. Es gefiel ihm, dass außer ihm keiner in der Gondel war. Doch unmittelbar bevor die Tür sich schloss, eilten ein Mann und eine Frau Hand in Hand herein. Der Seilbahnwart schlug die Tür von außen zu, und die Gondel glitt langsam von der Station weg.

Malone sah aus den vorderen Fenstern.

Eingeschlossensein war schon schlimm genug. Aber in einem engen Raum eingeschlossen zu sein, das war noch schlimmer. Er litt nicht an Klaustrophobie, nein, es ging eher um ein Gefühl verwehrter Freiheit. Er hatte das bisher schon oft genug ertragen – mehr als einmal hatte er sich unter der Erde befunden  –, aber sein Unbehagen war einer der Gründe, aus denen er sich vor Jahren, als er zur Navy ging, anders als sein Vater nicht für U-Boote entschieden hatte.

»Mr. Malone.«

Er drehte sich um.

Die Frau stand da, eine Pistole in der Hand.

»Ich nehme diesen Umschlag an mich.«

2

Baltimore, Maryland
09.10 Uhr

 

Admiral Langford C. Ramsey sprach ausgesprochen gerne zu Menschenmengen. Dass er diese Erfahrung genoss, hatte er zum ersten Mal in der Marineakademie bemerkt, und im Laufe seiner über vierzigjährigen Karriere hatte er ständig nach Möglichkeiten gesucht, diesem Vergnügen nachzugehen. Heute sprach er zur nationalen Versammlung des Kiwanis-Clubs – was für den Chef des Nachrichtendiensts der Marine ein bisschen ungewöhnlich war. Er lebte normalerweise in einer geheimen Welt aus Fakten, Gerüchten und Spekulationen, und über einen gelegentlichen Auftritt vor dem Kongress gingen seine Möglichkeiten zur öffentlichen Rede sonst nicht hinaus. Doch in jüngster Zeit war er mit dem Segen seiner Vorgesetzten verfügbarer geworden. Er sprach honorarfrei und es gab keine Restriktionen für die Presse. Je größer die Zuhörerschaft, desto besser.

Und viele hatten zugegriffen.

Dies hier war sein achter Auftritt in diesem Monat.

»Ich bin heute gekommen, um Ihnen von etwas zu erzählen, worüber Sie mit Sicherheit wenig wissen. Es war lange Zeit geheim. Amerikas kleinstes atomgetriebenes Unterseeboot.« Er sah in die aufmerksame Menge. »Jetzt fragen Sie sich bestimmt: Spinnt der? Der Chef des Nachrichtendienstes der Marine will uns von einem streng geheimen U-Boot erzählen?«

Er nickte.

»Genau das habe ich vor.«

 

»Captain, es gibt ein Problem«, sagte der Seitenrudergänger.

Ramsey war hinter dem Sitz des Tiefenrudergängers immer wieder eingedöst. Der U-Boot-Kapitän, der neben ihm saß, stand auf und konzentrierte sich auf die Kamerabildschirme.

Jede einzelne Außenkamera zeigte Seeminen.

»Heilige Mutter Gottes«, murmelte der Kapitän. »Sofort komplett stoppen. Keinen Zentimeter weiter.«

Der Pilot gehorchte dem Kommando und betätigte eine Reihe von Schaltern. Auch wenn Ramsey damals erst Leutnant war, wusste er doch, dass Sprengstoffe hochempfindlich wurden, wenn sie längere Zeit in Salzwasser lagen. Sie fuhren unmittelbar vor der französischen Küste über den Grund des Mittelmeeres und waren plötzlich von hochgefährlichen Überresten des Zweiten Weltkriegs umgeben. Eine einzige Berührung mit einem der Metallkörper, und NR-1 wäre nicht mehr streng geheim, sondern einfach ausradiert.

Das Boot war die spezialisierteste Waffe der Navy, von Admiral Hyman Rickover forciert und für schlappe hundert Millionen Dollar gebaut. Mit seinen nur fünfzig Metern Länge und vier Metern Breite und einer Besatzung von gerade mal elf Mann war das U-Boot zwar vergleichsweise winzig, steckte aber voller Raffinessen. Das bis tausend Meter tauchfähige Fahrzeug wurde von einem einzigartigen Reaktor angetrieben. Drei Beobachtungsfenster gestatteten eine visuelle Inspektion des Außengeländes, Scheinwerfer unterstützten zahlreiche Außenkameras. Mit Hilfe eines mechanischen Greifarms ließen sich Objekte einholen; ein Manipulatorarm verfügte über Greif- und Schneidewerkzeuge. Im Gegensatz zu Angriffsoder Raketen-U-Booten war die NR-1 mit einem Turm in knalligem Orange, einem flachen Oberdeck, einem klobigen Kastenkiel und zahlreichen äußeren Zusatzteilen ausgerüstet, darunter zwei ausfahrbare Räder mit alkoholbefüllten LKW-Reifen von Goodyear, die es ihr gestatteten, über den Meeresgrund zu fahren.

»Abwärtsstrahlruder betätigen.«

Ramsey begriff, was sein Kapitän tat. Er hielt den Bootsrumpf auf dem Meeresgrund fest. Das war gut so. Auf den Monitoren waren zahllose Minen zu sehen.

»Anblasen der Tauchzellen vorbereiten«, sagte der Kapitän. »Ich möchte, dass wir lotrecht aufsteigen. Kein Schwanken.«

In der Kommandozentrale war es still, wodurch das Heulen der Turbinen, das Zischen von Luft, das Quietschen der hydraulischen Flüssigkeit und das Piepen der elektronischen Geräte nur umso deutlicher zu hören war, ein Geräuschpegel, der vor kurzem noch wie ein Beruhigungsmittel auf ihn gewirkt hatte.

»Ruhig und stetig«, sagte der Kapitän. »Halten Sie das Boot beim Aufsteigen in der Balance.«

Der Pilot packte die Steuerknüppel.

Das Boot war nicht mit einem Steuerrad ausgestattet. Stattdessen waren vier Steuerknüppel von Kampfjets umgerüstet worden. Das war typisch für die NR-1. Obgleich Antrieb und Konzeption dem neuesten Stand der Technik entsprachen, gehörte die Ausstattung eher ins Steinzeit- denn ins Raumfahrtzeitalter. Das Essen wurde im billigen Nachbau eines Ofens zubereitet, wie er in Passagierflugzeugen zum Einsatz kam. Der Manipulatorarm war von einem anderen Projekt der Navy übrig geblieben. Das von Langstreckenflugzeugen adaptierte Navigationssystem funktionierte unter Wasser so gut wie gar nicht. Die Mannschaftsquartiere waren beengt, die Toilette fast immer verstopft, und zum Essen gab es nur Fertigmahlzeiten, die vor dem Aufbruch in einem Supermarkt vor Ort eingekauft worden waren.

»Hatten wir keinen Sonarkontakt zu diesen Minen?«, fragte der Kapitän. »Bevor sie plötzlich da waren?«

»Nein«, antwortete ein Besatzungsmitglied. »Sie sind ganz plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht.«

Druckluft rauschte in die Tauchzellen, und das U-Boot stieg auf. Der Pilot hatte beide Hände um die Steuerknüppel gelegt und war darauf vorbereitet, die Lage des Bootes mit Hilfe der Strahlruder zu korrigieren.

Sie mussten nur etwa dreißig Meter aufsteigen, dann waren sie aus der Gefahrenzone.

 

»Wie Sie sehen, haben wir das Boot aus dem Minenfeld herausgeschafft«, erklärte Ramsey den Versammelten. »Das war im Frühjahr 1971.« Er nickte. »Richtig, das ist lange her. Ich war einer der wenigen, die das Glück hatten, auf der NR-1 zu dienen.«

Er registrierte die verblüfften Blicke.

»Nur wenige Leute wissen über dieses U-Boot Bescheid. Mitte der Sechzigerjahre wurde es unter strenger Geheimhaltung gebaut, selbst die meisten Admiräle wussten damals nichts davon. Es war mit einem verblüffenden Arsenal von Geräten ausgestattet und konnte dreimal tiefer tauchen als jedes andere U-Boot. Es trug keinen Namen, war nicht mit Waffen oder Torpedos ausgerüstet und hatte keine offizielle Besatzung. Seine Missionen waren geheim, und viele bleiben es bis zum heutigen Tag. Noch verblüffender ist, dass das Boot noch heute im Einsatz ist – es ist inzwischen das zweitälteste U-Boot im Dienst, nämlich seit 1969. So geheim wie früher ist es nicht mehr. Heute wird es sowohl zu militärischen als auch zu zivilen Zwecken genutzt. Aber wo immer tief im Ozean menschliche Augen und Ohren vonnöten sind, ist die NR-1 gefragt. Erinnern Sie sich an all diese Geschichten, wie Amerika transatlantische Telefonkabel angezapft und die Sowjets belauscht hat? Das war die NR-1. Als 1976 eine F-14 mit einer neuen Phoenix-Rakete in den Ozean stürzte, barg die NR-1 diese, bevor sie den Sowjets in die Hände fallen konnte. Nach dem Challenger-Unglück war es die NR-1, die die Feststoffrakete mit dem fehlerhaften O-Ring gefunden hat.«

Mit nichts konnte man ein Publikum besser fesseln als mit solchen Geschichten, und aus seiner Dienstzeit auf dem einzigartigen U-Boot hatte er eine Menge davon auf Lager. Die NR-1 war keineswegs ein technologisches Meisterwerk gewesen, sondern geplagt von Fehlfunktionen. Allein der Erfindungsreichtum ihrer Crew hatte sie in Betrieb gehalten. Die Betriebsanleitung war unbrauchbar gewesen – und so hatte das Motto an Bord Innovation geheißen. Beinahe jeder Offizier, der an Bord gedient hatte, war später in eine höhere Position aufgestiegen, Ramsey selbst eingeschlossen. Es gefiel ihm, dass er jetzt von der NR-1 erzählen konnte. Im Rahmen des Rekrutierungsprogramms der Navy wurden Erfolge zur Schau gestellt. Veteranen wie er konnten ihre Geschichten erzählen, und Leute wie jene, die ihm jetzt von ihren Frühstückstischen aus zuhörten, würden ihn später Wort für Wort zitieren. Die Presse, deren Anwesenheit man ihm zugesagt hatte, würde für eine noch weitere Verbreitung sorgen. Admiral Langford Ramsey, Chef des Nachrichtendienstes der Marine, sagte bei einer Rede vor der nationalen Versammlung des Kiwanis-Clubs …

Er hatte eine schlichte Sicht auf das Thema Erfolg.

Erfolg räumte mit Misserfolgen auf.

Bereits vor zwei Jahren hätte er in Pension gehen sollen, doch er war der höchstrangige farbige Angehörige des US-Militärs und der erste bekennende Junggeselle, der je in den Admiralsrang aufgestiegen war. Er hatte sein Vorhaben lange geplant und war äußerst vorsichtig gewesen. Er achtete darauf, dass sein Gesicht so ruhig wie seine Stimme blieb, seine Stirn faltenfrei und sein offener Blick mild und gelassen. Er hatte seine gesamte Karriere in der Marine mit der Präzision eines U-Boot-Navigators geplant. Störungen würde er nicht dulden, insbesondere jetzt nicht, da sein Ziel in Sicht war.

Und so blickte er auf seine Zuhörerschaft und erzählte mit zuversichtlicher Stimme weitere Geschichten.

Doch ein Problem belastete ihn.

Ein mögliches Schlagloch auf seinem Weg.

Garmisch.

3

Garmisch

 

Malone sah auf die Waffe und bewahrte die Fassung. Er hatte ein bisschen hart über Jessica geurteilt. Offensichtlich war auch er nicht wachsam genug gewesen. Er winkte mit dem Umschlag. »Das hier wollen Sie? Sind nur ein paar Rettet-die-Berge-Broschüren, die ich meiner Greenpeace-Ortsgruppe zuschicken will. Wir bekommen Sonderpunkte für Reisen vor Ort.«

Die Gondel setzte ihre Abwärtsfahrt fort.

»Sehr witzig«, sagte die Frau.

»Ich hatte an eine Karriere als Stand-up-Comedian gedacht. Meinen Sie, das war ein Fehler?«

Genau solche Situationen waren der Grund, warum er sich hatte pensionieren lassen. Ein Agent des Magellan Billet verdiente 72 300 Dollar jährlich vor Steuern. Als Buchantiquar machte er mehr Gewinn, und zwar ohne das Risiko.

Zumindest hatte er das geglaubt.

Jetzt wurde es Zeit, zur alten Sichtweise zurückzukehren.

Und auf einen Patzer des Gegners zu warten.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

Sie war klein und untersetzt, und ihr Haar wies einen wenig schmeichelhaften, rötlichen Braunton auf. Vielleicht war sie Anfang dreißig. Sie trug einen blauen Wollmantel und einen goldfarbenen Schal. Der Mann trug einen roten Mantel und schien weiter keine Rolle zu spielen. Sie gab ihrem Komplizen einen Wink mit der Waffe und sagte: »Nehmen Sie das.«

Rotmantel sprang vor und riss den Umschlag an sich.

Die Frau warf einen kurzen Blick auf die zerklüfteten Felsen, die an den beschlagenen Fenstern vorbeisausten. Diesen Moment nutzte Malone, um den Pistolenlauf mit einem linken Haken zur Seite zu schlagen.

Sie schoss.

Der Knall dröhnte ihm in den Ohren; die Kugel durchschlug eine der Fensterscheiben.

Kalte Luft strömte herein.

Er verpasste dem Mann einen Faustschlag, so dass dieser zurücktaumelte. Dann umfasste er das Kinn der Frau mit seiner behandschuhten Hand und schlug ihren Hinterkopf gegen das Fenster. Ein Spinnennetz von Rissen bildete sich im Glas.

Ihre Augen klappten zu, und er stieß sie zu Boden.

Rotmantel sprang auf und stürzte sich auf ihn. Zusammen krachten sie gegen die gegenüberliegende Gondelwand und stürzten dann auf den feuchten Boden. Malone wälzte sich zur Seite, um einen Würgegriff um seine Kehle zu lösen. Er hörte, wie die Frau etwas murmelte, und begriff, dass er es bald wieder mit zwei Gegnern zu tun haben würde, von denen einer bewaffnet war. Also öffnete er die Hände und schlug mit den Handflächen auf die Ohren des Mannes. Das mit den Ohren hatte er bei seiner Ausbildung als Navy-Soldat gelernt. Die Ohren waren so ziemlich die empfindlichsten Körperteile. Die Handschuhe waren ungünstig, doch beim dritten Schlag schrie der Mann vor Schmerz auf und ließ seinen Hals los.

Malone stieß den Angreifer mit einem Tritt von sich und sprang auf. Ehe er jedoch den nächsten Schritt einleiten konnte, langte Rotmantel ihm über die Schulter, umklammerte erneut seine Kehle und zwang sein Gesicht gegen eine der Fensterscheiben, wo das überfrierende Kondenswasser eiskalt seine Wangen berührte.

»Keine Bewegung«, befahl der Mann.

Malones rechter Arm war verdreht. Er versuchte, sich zu befreien, doch Rotmantel war stark.

»Keine Bewegung, hab ich gesagt.«

Malone beschloss, vorläufig zu gehorchen.

»Panya, alles in Ordnung mit Ihnen?« Rotmantel versuchte offensichtlich, die Frau auf sich aufmerksam zu machen.

Malones Gesicht war noch immer gegen das Glas gepresst, und sein Blick war nach vorn gerichtet, in Fahrtrichtung der Gondel.

»Panya?«

Malone sah etwa fünfzig Meter entfernt und schnell näher kommend eine der Stahlstützen. Dann merkte er, dass sein linker Arm gegen etwas gequetscht war, das sich wie ein Griff anfühlte. Offensichtlich waren sie bei ihrem Kampf an der Tür gelandet.

»Panya, antworten Sie mir. Alles in Ordnung mit Ihnen? Suchen Sie die Pistole.«

Der Druck auf seine Kehle war enorm, und sein Arm steckte wie in einem Schraubstock. Doch Newton hatte recht. Für jede Aktion gab es eine gleichwertige, entgegengesetzte Reaktion.

Inzwischen waren sie beinahe bei den dünnen Streben der Stahlstütze angelangt. Die Gondel würde so nahe daran vorbeifahren, dass man die Stütze mit ausgestrecktem Arm berühren konnte.

Daher riss er den Türgriff nach oben und öffnete die Tür, wobei er sich gleichzeitig in die eiskalte Luft hinausschwang.

Rotmantel, der damit nicht gerechnet hatte, wurde aus dem Wagen geschleudert und prallte gegen die Stütze. Malone hielt den Türgriff fest umklammert. Sein Angreifer, der zwischen der Gondel und der Stütze eingeklemmt wurde, stürzte in die Tiefe.

Sein Schrei verhallte rasch.

Malone hangelte sich wieder nach drinnen. Mit jedem Atemzug stieß er ein weißes Wölkchen aus. Seine Kehle war mehr als trocken.

Die Frau richtete sich mühsam auf.

Er trat ihr gegen das Kinn, und sie ging wieder zu Boden.

Dann taumelte er nach vorn und sah nach unten.

An der Haltestation der Gondel standen zwei Männer in dunklen Mänteln. Verstärkung? Er befand sich noch dreihundert Meter über ihnen. Unter ihm breitete sich ein dichter Wald aus, der sich über die unteren Berghänge zog, ein dichter Bewuchs immergrüner, dick mit Schnee bedeckter Zweige. Er bemerkte eine Kontrolltafel. Drei Lichter blinkten grün, zwei rot. Er starrte aus dem Fenster und sah, dass eine weitere der hoch aufragenden Stützen sich näherte, deshalb griff er nach der Notbremse und legte den Hebel um.

Ein Ruck ging durch die Gondel, und sie verlangsamte ihre Fahrt, blieb aber nicht vollkommen stehen. Wieder galt Isaac Newtons Gesetz. Die Reibung würde die Vorwärtsbewegung schließlich stoppen.

Er hob den Umschlag auf, der neben der Frau lag, und steckte ihn unter seinen Mantel. Dann griff er nach der Pistole und ließ sie in seine Manteltasche gleiten, trat zur Tür und wartete darauf, dass die Stütze näher kam. Die Gondel bewegte sich im Schneckentempo, aber trotzdem würde der Sprung riskant sein. Tempo und Entfernung abschätzend, sprang er zu einer der stählernen Querstreben, wo er mit seinen behandschuhten Händen Halt suchte.

Unsanft krachte er gegen das Gestell und dämpfte den Aufprall mit seinem Ledermantel.

Zwischen seinen Fingern und der Strebe knirschte Schnee.

Er klammerte sich daran fest.

Die Gondel setzte ihre Abwärtsfahrt fort und blieb etwa dreißig Meter weiter unten stehen. Malone schnappte ein paar Mal nach Luft und hangelte sich dann auf eine Leiter zu, die an der Hauptstütze nach unten führte. Trockener Schnee rieselte herab wie Talkumpuder. Bei der Leiter angekommen, stellte er seine Gummisohlen auf eine schneebedeckte Sprosse. Er sah, wie die beiden Männer in den dunklen Mänteln unten bei der Station eilig wegrannten. Sie bedeuteten Ärger, genau wie er vermutet hatte.

Er stieg die Leiter hinunter und sprang auf den Boden.

Jetzt befand er sich in gut hundertfünfzig Meter Höhe auf dem bewaldeten Hang.

Er stapfte zwischen den Bäumen hindurch und stieß auf eine asphaltierte Straße, die den Hang entlangführte. Vor ihm erhob sich ein von schneebedeckten Büschen umsäumtes, mit braunen Schindeln gedecktes Gebäude. Irgendein Arbeitsgebäude. Dahinter führte die von Schnee geräumte Straße weiter. Er ging zum Tor, das auf das umzäunte Gelände führte. Ein Vorhängeschloss verschloss den Eingang. Plötzlich hörte er einen Motor, der die Straße heraufdröhnte, zog sich hinter einen abgestellten Traktor zurück und beobachtete, wie ein dunkler Peugeot um die Kurve kam und langsamer wurde, um das Gelände rings um das Gebäude zu inspizieren.

Die Waffe in der Hand, wartete Malone kampfbereit ab.

Doch der Wagen beschleunigte wieder und fuhr bergauf weiter.

Malone sah das schwarze Band eines weiteren schmalen Sträßchens, das durch den Wald zur Seilbahnstation hinunterführte.

Er eilte darauf zu.

Hoch oben stand die Gondel noch immer still. In der Kabine lag eine bewusstlose Frau in einem blauen Mantel. Ein toter Mann, der einen roten Mantel trug, lag irgendwo im Schnee.

Beides ging ihn nichts an.

Und was war dann sein Problem?

Nun, die Frage, wer über Stephanie Nelles und seine Angelegenheiten Bescheid wusste.

4

Atlanta, Georgia
07.45 Uhr

 

Stephanie Nelle sah auf die Uhr. Sie hatte seit kurz vor sieben in ihrem Büro gearbeitet und war Berichte ihrer Agenten durchgegangen. Von ihren zwölf juristisch geschulten Agenten waren derzeit acht im Einsatz. Zwei hielten sich in Belgien auf, als Teil eines internationalen Teams, das mit der Überführung von Kriegsverbrechern betraut war. Zwei weitere waren gerade mit einer Mission, die heikel werden konnte, in Saudi-Arabien eingetroffen. Die restlichen vier waren an verschiedenen Orten Europas und Asiens im Einsatz.

Eine ihrer Agentinnen befand sich jedoch im Urlaub.

In Deutschland.

Das Magellan Billet beschränkte sich absichtlich auf wenige Mitarbeiter. Neben dem einen Dutzend Juristen-Agenten beschäftigte die Einheit fünf Verwaltungsassistenten und drei Berater. Stephanie hatte darauf bestanden, dass ihre Mannschaft klein blieb. Je weniger Augen und Ohren, desto weniger undichte Stellen, und in den vierzehn Jahren der Existenz des Billets war es nie gefährdet worden.

Sie wandte sich von ihrem Computer ab und schob ihren Stuhl zurück.

Ihr Büro war schlicht und funktional eingerichtet. Nichts fiel aus dem Rahmen – das wäre nicht ihr Stil gewesen. Sie war hungrig, da sie zu Hause nach dem Aufwachen vor zwei Stunden das Frühstück übergangen hatte. Anscheinend verschwendete sie immer weniger Gedanken auf das Essen. Zum Teil wohl, weil sie allein lebte, und zum Teil auch, weil sie nicht gerne kochte. Sie beschloss, sich einen Happen in der Cafeteria zu besorgen. Natürlich war das Kantinenfraß, aber ihr knurrender Magen wollte gefüllt werden. Vielleicht würde sie sich zu Mittag ein Essen außerhalb des Büros gönnen – gegrillten Fisch oder etwas Ähnliches.

Sie verließ ihren gesicherten Bürotrakt und ging zum Lift. Der vierte Stock des Gebäudes beherbergte das Innenministerium und außerdem eine Abteilung des Gesundheitsministeriums. Das Magellan Billet lag hier absichtlich versteckt – JUSTIZMINISTERIUM, JURISTISCHE TASK FORCE stand in unauffälligen Buchstaben an der Tür – und ihr gefiel die Anonymität.

Der Lift kam an. Als die Tür aufging, trat ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit schütterem, grauem Haar und ruhigen blauen Augen heraus.

Edwin Davis.

Er lächelte sie kurz an. »Stephanie. Genau zu Ihnen wollte ich.«

Sie war sofort auf der Hut. Einer der stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten. Bei ihr in Georgia. Unangekündigt. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

»Und es ist erfrischend, Sie einmal nicht in einer Gefängniszelle anzutreffen«, sagte Davis.

Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als Davis plötzlich aufgetaucht war.

»Wo wollten Sie denn hin?«, fragte er.

»In die Cafeteria.«

»Was dagegen, dass ich mitkomme?«

»Habe ich die Wahl?«

Er lächelte. »So schlimm ist es nicht.«

Sie fuhren zum ersten Stock hinunter und fanden einen Tisch. Sie trank Orangensaft, während Davis eine Flasche Wasser leerte. Der Appetit war ihr vergangen.

»Möchten Sie mir sagen, warum Sie vor fünf Tagen auf den Untersuchungsbericht zum Untergang der USS Blazek zugegriffen haben?«

Sie verbarg ihre Überraschung. »Es war mir nicht bewusst, dass ich damit das Weiße Haus involvieren würde.«

»Die Akte ist geheim.«

»Ich habe kein Gesetz gebrochen.«

»Sie haben sie nach Deutschland geschickt. An Cotton Malone. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie damit in Gang gesetzt haben?«

Jetzt schrillten bei ihr alle Alarmglocken. »Ihr Informationsnetzwerk ist gut.«

»Das sichert unser aller Überleben.«

»Cotton hat eine hohe Sicherheitseinstufung.«

»Hatte. Er ist pensioniert.«

Jetzt war sie erregt. »Das hat Sie nicht weiter gestört, als Sie ihn letzthin in all diese Probleme in Zentralasien mit hineingezerrt haben. Und das war bestimmt auch streng geheim. Es hat auch den Präsidenten nicht daran gehindert, Cotton zu involvieren, als es um den Orden vom Goldenen Vlies ging.«

Davis’ glattes Gesicht legte sich in Sorgenfalten. »Sie wissen nicht, was vor weniger als einer Stunde auf der Zugspitze vorgefallen ist, oder?«

Sie schüttelte den Kopf.

Er stürzte sich in einen umfassenden Bericht und erzählte, dass ein Mann aus einer Seilbahngondel gestürzt war, während ein anderer Mann aus derselben Gondel gesprungen und eine der Stahlstützen hinuntergeklettert war, und dass man eine bewusstlose Frau und ein durchschossenes Fenster vorgefunden hatte, als die Gondel endlich nach unten gebracht worden war.

»Wer von den beiden Männern ist wohl Cotton?«, fragte Davis.

»Ich hoffe derjenige, der entkommen ist.«

Er nickte. »Sie haben die Leiche gefunden. Es war nicht Malone.«

»Woher wissen Sie das alles?«

»Ich habe das Gebiet überwachen lassen.«

Ihre Neugier war geweckt. »Warum denn das?«

Davis leerte sein Wasser. »Ich habe es immer merkwürdig gefunden, dass Malone das Billet so abrupt verlassen hat. Zwölf Jahre war er dabei, und dann ist er einfach so mir nichts, dir nichts komplett ausgestiegen.«

»Dass in Mexico City damals sieben Menschen ums Leben gekommen sind, hat ihn sehr mitgenommen. Und es war schließlich Ihr Chef, der Präsident, der ihn persönlich hat gehen lassen. Eine Revanche für einen geleisteten Gefallen, wie ich es erinnere.«

Davis schien in Gedanken versunken. »Das ist die Währung der Politik. Die Leute denken, dass Geld das System am Laufen hält.« Er schüttelte den Kopf. »Es sind die Gefälligkeiten. Man tut jemandem einen Gefallen und hat Anspruch auf Revanche.«

Sie bemerkte einen sonderbaren Unterton. »Ich habe mich bei Malone für einen Gefallen revanchiert, als ich ihm die Akte gab. Er will über seinen Vater Bescheid wissen …«

»Dazu hatten Sie kein Recht.«

Ihre Erregung machte Verärgerung Platz. »Das sehe ich anders.«

Sie leerte ihren Orangensaft und versuchte, die zahllosen verstörenden Gedanken abzuwehren, die ihr durch den Kopf schwirrten.

»Die Sache liegt inzwischen achtunddreißig Jahre zurück«, erklärte sie.

Davis griff in seine Anzugtasche und legte einen USB-Stick vor ihr auf den Tisch. »Haben Sie die Akte gelesen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht angerührt. Ich habe einen meiner Agenten damit beauftragt, eine Kopie auszudrucken und diese Malone zu überbringen.«

Er zeigte auf den USB-Stick. »Sie müssen das hier lesen.«