Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags

Inhaltsverzeichnis

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Erster Artikel. Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen
Dritter Artikel. Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz

Erster Artikel
Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

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*** Zum Erstaunen des ganzen schreibenden und lesenden Deutschlands publizierte die »Preußische Staats-Zeitung« an einem schönen Berliner Frühlingsmorgen ihre Selbstbekenntnisse. Allerdings wählte sie eine vornehme, diplomatische, nicht eben kurzweilige Form der Beichte. Sie gab sich den Schein, ihren Schwestern den Spiegel der Erkenntnis vorhalten zu wollen; sie sprach mystischerweise nur von anderen preußischen Zeitungen, während sie eigentlich von der preußischen Zeitung par excellence, von sich selbst redete.

Diese Tatsache läßt mancherlei Erklärung zu. Cäsar sprach von sich als einer dritten Person. Warum sollte die »Preußische Staats-Zeitung« nicht von dritten Personen als sich selbst sprechen? Kinder, die von sich selbst sprechen, pflegen sich nicht »Ich«, sondern »Georg« etc. zu nennen. Warum sollte die »Preußische Staats-Zeitung« für ihr »Ich« die »Vossische«, »Spenersche« oder irgendeinen anderen Heiligennamen nicht gebrauchen dürfen?

Die neue Zensurinstruktion war erschienen. Unsere Zeitungen glaubten das Aussehen und die Konventionsbildung der Freiheit adoptieren zu müssen. Auch die »Preußische Staats-Zeitung« war gezwungen, zu erwachen und irgendeinen liberalen – wenigstens selbständigen – Einfall zu haben.

Die erste notwendige Bedingung der Freiheit ist aber Selbsterkenntnis, und Selbsterkenntnis ist eine Unmöglichkeit ohne Selbstbekenntnis.

Man halte daher fest, daß die »Preußische Staats-Zeitung« Selbstbekenntnisse geschrieben hat; man vergesse nie, daß wir hier das erste Erwachen des halboffiziellen Preßkindes zum Selbstbewußtsein erblicken, und alle Rätsel werden sich lösen. Man wird sich überzeugen, daß die »Preußische Staats-Zeitung« »manches große Wort gelassen ausspricht«, und nur unschlüssig bleiben, ob man mehr die Gelassenheit der Größe oder die Größe der Gelassenheit bewundern soll.

Kaum war die Zensurinstruktion erschienen, kaum hatte sich die »Staats-Zeitung« von diesem Schlage erholt, als sie in die Frage ausbricht: »Was hat euch preußischen Zeitungen die größere Zensurfreiheit genützt?«

Offenbar will sie sagen: Was haben mir die vielen Jahre strikter Zensurobservanz genützt? Was ist aus mir, trotz sorgfältigster und allseitigster Beaufsichtigung und Bevormundung, geworden? Und was soll nun gar jetzt aus mir werden? Das Gehen habe Ich nicht gelernt, und ein schaulustiges Publikum erwartet Entrechats von der Lendenlahmen! So wirds euch auch sein, meine Schwestern! Laßt uns dem preußischen Volke unsere Schwächen bekennen, doch laßt uns diplomatisch in unserem Bekenntnis sein. Wir sagen ihm nicht geradezu, daß wir uninteressant sind. Wir sagen ihm, daß, wenn die preußischen Zeitungen uninteressant für das preußische Volk, der preußische Staat uninteressant für die Zeitungen ist.

Die kühne Frage der »Staats-Zeitung«, die noch kühnere Antwort sind bloße Präludien ihres Erwachens, traumartige Andeutungen des Textes, den sie durchführen wird. Sie erwacht zum Bewußtsein, sie spricht ihren Geist aus. Lauscht dem Epimenides!

Es ist bekannt, daß die erste theoretische Tätigkeit des Verstandes, der noch halb zwischen Sinnlichkeit und Denken schwankt, das Zählen ist. Das Zählen ist der erste freie theoretische Verstandesakt des Kindes. Laßt uns zählen, ruft die »Preußische Staats-Zeitung« ihren Schwestern zu. Die Statistik ist die erste politische Wissenschaft! ich kenne den Kopf eines Menschen, wenn ich weiß, wieviel Haare er produziert.

Was du willst, daß dir geschehe, das tue anderen. Und wie könnte man uns selbst und gar mich, die »Preußische Staats-Zeitung«, besser würdigen als statistisch! Nicht nur, daß ich so oft erscheine wie irgendeine französische oder englische Zeitung, so wird die Statistik nachweisen, daß ich weniger gelesen werde als Irgendeine Zeitung der zivilisierten Welt. Zieht die Beamten ab, die sich halb mißliebig für mich interessieren müssen, rechnet die öffentlichen Lokale ab, denen ein halboffizielles Organ nicht fehlen darf, wer liest mich, ich frage, wer? Berechnet, was ich koste; berechnet, was ich einnehme, und ihr werdet gestehen, daß es kein einträgliches Amt ist, große Worte gelassen auszusprechen. Seht ihr, wie schlagend die Statistik ist, wie das Zählen weitläufigere geistige Operationen überflüssig macht! Also zählt! Zahlentabellen instruieren das Publikum, ohne seinen Affekt zu erregen.

Und die »Staats-Zeitung« stellt sich mit ihrer statistischen Wichtigkeit nicht nur dem Chinesen, nicht nur dem Weltstatisten Pythagoras zur Seite! sie zeigt, daß sie von dem großen Naturphilosophen jüngster Zeit affiziert ist, der die Unterschiede der Tiere etc. einst in Zahlenreihen darstellen wollte.

So ist die »Preußische Staats-Zeitung« nicht ohne moderne philosophische Grundlagen, wenn sie auch ganz positiv scheint.

Die »Staats-Zeitung« ist allseitig. Sie bleibt nicht bei der Zahl, der Zeitgröße stehen. Sie treibt ihre Anerkennung des quantitativen Prinzips weiter, sie spricht auch die Berechtigung der Raumgröße aus. Der Raum ist das erste, dessen Größe dem Kinde imponiert. Es ist die erste Größe der Welt, die das Kind erfährt. Es hält daher einen großgewachsenen Mann für einen großen Mann, und die kindliche »Staats-Zeitung« erzählt uns, daß dicke Bücher unverhältnismäßig besser sind wie dünne, und nun gar einzelne Blätter, Zeitungen, die täglich nur einen Druckbogen liefern.

Ihr Deutschen könnt euch nun einmal nur umständlich aussprechen! Schreibt recht weitläufige Bücher über Staatseinrichtung, recht grundgelehrte Bücher, die niemand liest als der Herr Verfasser und der Herr Rezensent, aber bedenkt, daß eure Zeitungen keine Bücher sind. Bedenkt, wieviel Bogen auf ein gründliches Werk von drei Bänden gehen! Sucht also den Geist des Tages und der Zeit nicht in den Zeitungen, die euch statistische Tabellen liefern wollen, sondern sucht ihn in den Büchern, deren Raumgröße schon für ihre Gründlichkeit bürgt.

Bedenkt, ihr guten Kinder, daß es sich hier um »gelehrte« Dinge handelt, geht in die Schule der dicken Bücher, und ihr werdet uns Zeitungen schon liebgewinnen wegen unseres luftigen Formats, wegen unserer weltmännischen Leichtigkeit, die wahrhaft erquickend sind, nach den dicken Büchern.

Allerdings! Allerdings! Unsere Zeit hat nicht mehr jenen realen Sinn für Größe, den wir am Mittelalter bewundern. Seht unsere winzigen pietistischen Traktätlein, seht unsere philosophischen Systeme in kleinem Oktav, und nun wendet euren Blick auf die 20 Riesenfolianten des Duns Scotus. Ihr braucht die Bücher nicht zu lesen; schon ihr abenteuerlicher Anblick rührt euer Herz, schlägt eure Sinne, wie etwa ein gotisches Gebäude. Diese naturwüchsigen Riesenwerke wirken materiell auf den Geist; er fühlt sich erdrückt unter der Masse, und das Gefühl der Gedrücktheit ist der Anfang der Ehrfurcht. Ihr habt die Bücher nicht, sie haben euch. Ihr seid ein Akzidens zu ihnen, und so, meint die »Preußische Staats-Zeitung«, solle das Volk ein Akzidens zu seiner politischen Literatur sein.

So ist die »Staats-Zeitung« nicht ohne historische, der gediegenen Zeit des Mittelalters angehörige Grundlagen, wenn sie auch ganz modern redet.

Ist aber das theoretische Denken des Kindes quantitativ: so ist sein Urteil wie sein praktisches Denken zunächst praktisch-sinnlich. Die sinnliche Beschaffenheit ist das erste Band, das es mit der Welt verknüpft. Die praktischen Sinne, vorzugsweise Nase und Mund, sind die ersten Organe, mit denen es die Welt beurteilt. Die kindliche »Preußische Staats-Zeitung« beurteilt daher den Wert der Zeitungen, so ihren eigenen Wert, mit der Nase. Wenn ein griechischer Denker die trockenen Seelen für die besten hält, so hält die »Staats-Zeitung« die »wohlriechenden« Zeitungen für die »guten« Zeitungen. Sie weiß nicht genug den »literarischen Parfüm« der Allgemeinen Augsburger und des »Journal des Débats« anzupreisen. Lobenswerte, seltene Naivität! Großer, allergrößter Pompejus!

Nachdem die »Staats-Zeitung« uns so durch einzelne, dankenswerte Äußerungen tiefe Blicke in ihren Seelenzustand erlaubt hat, faßt sie schließlich ihre Staatsansicht in eine große Reflexion zusammen, deren Pointe die große Entdeckung ist:

»daß in Preußen die Staatsverwaltung und der ganze Organismus des Staates getrennt seien vom politischen Geiste, daher weder für Volk noch für Zeitungen politisches Interesse haben könnten«.

Nach der Ansicht der »Preußischen Staats-Zeitung« hätte also die Staatsverwaltung in Preußen nicht den politischen Geist, oder der politische Geist hätte die Staatsverwaltung nicht. Undelikate »Staats-Zeitung«, zu behaupten, was der ärgste Gegner nicht schlimmer wenden könnte, zu behaupten, daß das wirkliche Staatsleben ohne politischen Geist sei, und daß der politische Geist nicht im wirklichen Staate lebe!

Doch wir dürfen den kindlich-sinnlichen Standpunkt der »Preußischen Staats-Zeitung« nicht vergessen. Sie erzählt uns, daß man bei Eisenbahnen bloß an Eisen und Bahnen, bei Handelsverträgen bloß an Zucker und Kaffee, bei Lederfabriken bloß an Leder zu denken habe. Allerdings, das Kind bleibt bei der sinnlichen Wahrnehmung stehen, es sieht bloß das Einzelne, und die unsichtbaren Nervenfäden, die dieses Besondere mit dem Allgemeinen verknüpfen, die, wie überall, so im Staate, die materiellen Teile zu beseelten Gliedern des geistigen Ganzen machen, sind für das Kind nicht vorhanden. Das Kind glaubt, die Sonne drehe sich um die Erde; das Allgemeine drehe sich um das Einzelne. Das Kind glaubt daher nicht an den Geist, aber es glaubt an Gespenster.

So hält die »Preußische Staats-Zeitung« den politischen Geist für ein französisches Gespenst; und sie denkt das Gespenst zu beschwören, wenn sie ihm Leder, Zucker, Bajonette und Zahlen an den Kopf wirft.

Doch, wird unser Leser einfallen, wir wollten über die »rheinischen Landtagsverhandlungen« debattieren, und statt dessen führt man uns den »unschuldigen Engel«, das greisenhafte Preßkind, die »Preußische Staats-Zeitung« vor und repetiert die altklugen Wiegenlieder, mit denen sie sich und ihre Schwestern in gedeihlichen Winterschlaf wieder und wieder einzulullen sucht.

Aber sagt nicht Schiller:

»Und was kein Verstand der Verständigen sieht,

Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.«

Die »Preußische Staats-Zeitung« hat uns »in aller Einfalt« daran erinnert, daß wir in Preußen so gut wie in England Landstände besitzen, deren Verhandlungen die Tagespresse ja debattieren dürfe, wenn sie könne; denn die »Staats-Zeitung« in großem klassischen Selbstbewußtsein vermeint, es fehle den preußischen Zeitungen nicht an dem Dürfen, sondern am Können. Das letztere gestehen wir ihr vorzugsweise als Privilegium zu, indem wir uns zugleich, ohne weitere Explikation über ihre Potenz, die Freiheit nehmen, den Einfall, den sie in aller Einfalt hatte, zu verwirklichen.

Die Veröffentlichung der landständischen Verhandlungen wird erst eine Wahrheit, wenn dieselben als »öffentliche Tatsachen« behandelt, d.h. Gegenstand der Presse werden. Der letzte rheinische Landtag liegt uns am nächsten.

Wir beginnen mit seinen »Debatten über Preßfreiheit« und müssen vorläufig bemerken, daß, während in dieser Frage unsere eigene positive Ansicht zuweilen als Mitspieler auftritt, wir in den späteren Artikeln mehr als historische Zuschauer den Gang der Verhandlungen begleiten und darstellen werden.

Die Natur der Verhandlungen selbst bedingt diesen Unterschied der Darstellung. In allen übrigen Debatten finden wir nämlich die verschiedenen Meinungen der Landstände auf gleichem Niveau. In der Preßfrage dagegen haben die Gegner der freien Presse manches voraus. Abgesehen von den Stichworten und Gemeinplätzen, die in der Atmosphäre liegen, finden wir bei diesen Gegnern einen pathologischen Affekt, eine leidenschaftliche Eingenommenheit, die ihnen eine wirkliche, nicht imaginäre Stellung zur Presse gibt, deren Verteidiger auf diesem Landtag im ganzen kein wirkliches Verhältnis zu ihrem Schützling haben. Sie haben die Freiheit der Presse nie als Bedürfnis kennengelernt. Sie ist ihnen eine Sache des Kopfes, an der das Herz keinen Teil hat. Sie ist ihnen eine »exotische« Pflanze, mit der sie durch bloße »Liebhaberei« in Konnex stehen. Es geschieht daher, daß ein zu allgemeines vages Räsonnement den besonderen »guten« Gründen der Gegner entgegengestellt wird, und der bornierteste Einfall hält sich für bedeutend, solange ihm seine Existenz nicht genommen ist.

Goethe sagt einmal, dem Maler glückten nur solche weibliche Schönheiten, deren Typus er wenigstens in irgendeinem lebendigen Individuum geliebt habe. Auch die Preßfreiheit ist eine Schönheit – wenn auch gerade keine weibliche – die man geliebt haben muß, um sie verteidigen zu können. Was ich wahrhaft liebe, dessen Existenz empfinde ich als eine notwendige, als eine, deren ich bedürftig bin, ohne die mein Wesen nicht erfülltes, nicht befriedigtes, nicht vollständiges Dasein haben kann. Jene Verteidiger der Preßfreiheit scheinen vollständig da zu sein, ohne daß die Preßfreiheit da wäre.

[»Rh. Ztg.« Nr. 128 v. 8. Mai 1842]

Die liberale Opposition zeigt uns den Höhestand einer politischen Versammlung, wie die Opposition überhaupt den Höhestand einer Gesellschaft. Eine Zeit, in welcher es philosophische Kühnheit ist, an Gespenstern zu zweifeln, in welcher es Paradoxie ist, sich gegen Hexenprozesse aufzulehnen, eine solche Zeit ist die legitime Zeit der Gespenster und Hexenprozesse. Ein Land, welches, wie das alte Athen, Speichellecker, Parasiten, Schmeichler als Ausnahmen von der Volksvernunft, als Volksnarren traktiert, ist das Land der Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Ein Volk, welches, wie alle Völker der besten Zeit, das Recht, die Wahrheit zu denken und auszusprechen, den Hofnarren vindiziert, kann nur ein Volk der Abhängigkeit und der Selbstlosigkeit sein. Eine Ständeversammlung, in welcher die Opposition versichert, daß die Willensfreiheit zum Wesen des Menschen gehöre, ist wenigstens nicht die Ständeversammlung der Willensfreiheit. Die Ausnahme zeigt uns die Regel. Die liberale Opposition zeigt uns, was liberale Position, wieweit die Freiheit Mensch geworden ist.

Wenn wir daher bemerkt haben, daß die landständischen Verteidiger der Preßfreiheit sich keineswegs auf der Höhe ihres Gegenstandes bewegen, so gilt dies noch mehr von dem ganzen Landtag überhaupt.

Und dennoch nehmen wir die Darstellung der landständischen Verhandlungen an diesem Punkte auf, nicht nur aus besonderem Interesse für die Preßfreiheit, sondern ebensowohl aus allgemeinem Interesse für den Landtag. Wir finden nämlich den spezifisch ständischen Geist nirgends klarer, entschiedener und voller ausgeprägt als in den Debatten über die Presse. Vorzugsweise gilt dies von der Opposition gegen die Preßfreiheit, wie überhaupt in der Opposition gegen eine allgemeine Freiheit der Geist der bestimmten Sphäre, das Individuelle Interesse des besondern Standes, die natürliche Einseitigkeit des Charakters sich am schroffsten und rücksichtslosesten herauswenden und gleichsam ihre Zähne zeigen.

Die Debatten bringen uns eine Polemik des Fürstenstandes gegen die freie Presse, eine Polemik des Ritterstandes, eine Polemik des Standes der Städte, so daß nicht das Individuum, sondern der Stand polemisiert. Welcher Spiegel könnte also den inneren Charakter des Landtages treuer zurückgeben als die Preßdebatten?

Wir beginnen mit den Opponenten gegen die freie Presse, und zwar wie billig mit einem Redner aus dem Fürstenstand.

Auf den ersten Teil seines rednerischen Vertrags, nämlich: »daß Preßfreiheit und Zensur beides Übel seien usw.«, gehen wir nicht sachlich ein, da dieses Thema von einem andern Redner gründlicher durchgeführt wird; nur die eigene Argumentation des Redners dürfen wir nicht übergehen.

»Die Zensur« sei »ein geringeres Übel als der Unfug der Presse«. »Diese Überzeugung befestigte sich nach und nach so in unserm Deutschland« (es fragt sich, welcher Teil von Deutschland das ist), »daß auch von Bundes wegen Gesetze darüber erlassen wurden, welche Preußen mit gab und sich ihnen mit unterwarf.«

Der Landtag verhandelt über die Befreiung der Presse von ihren Banden. Diese Bande selbst, ruft der Redner, die Ketten, an denen die Presse liegt, beweisen, daß sie nicht zu freier Bewegung bestimmt ist. Ihre gefesselte Existenz zeugt ihr Wesen. Die Gesetze gegen die Preßfreiheit widerlegen die Preßfreiheit.

Ein diplomatisches Argument gegen alle Reform, welches am entschiedensten die klassische Theorie einer gewissen Partei ausspricht. Jede Freiheitsschranke ist ein faktischer, ein unumstößlicher Beweis, daß bei den Machthabern die Überzeugung einmal vorhanden war, man müsse die Freiheit beschränken, und diese Überzeugung dient dann als Regulativ für die spätern Überzeugungen.

Man hatte einmal befohlen, daß die Erde sich nicht um die Sonne bewege. War Galilei widerlegt?

So hatte sich auch in unserm Deutschland die Reichsüberzeugung, welche die einzelnen Fürsten teilten, gesetzlich gebildet, daß die Leibeigenschaft eine Eigenschaft gewisser menschlicher Leiber sei, daß die Wahrheit am evidentesten durch chirurgische Operationen, wir meinen die Folter, ermittelt werde, daß die Flammen der Hölle dem Ketzer schon durch die Flammen der Erde zu demonstrieren seien.

War die gesetzliche Leibeigenschaft nicht ein faktischer Beweis gegen die rationelle Grille, daß der menschliche Leib kein Objekt der Behandlung und des Besitzes sei? Widerlegte die naturwüchsige Folter nicht die hohle Theorie, daß man mit Aderlässen nicht die Wahrheit herauszapft, daß die Spannung des Rückens auf der Marterleiter nicht rückhaltlos macht, daß Krämpfe keine Bekenntnisse sind?

So, meint der Redner, widerlegt das Faktum der Zensur die Preßfreiheit, was seine faktische Richtigkeit hat, was eine Wahrheit von solcher Faktizität ist, daß die Topographie ihre Größe abmessen kann, indem sie bei gewissen Schlagbäumen aufhört, faktisch und wahr zu sein.

»Weder in Rede noch in Schrift«, werden wir weiter belehrt, »weder in unserer Rheinprovinz noch im ganzen Deutschland erscheine die wahre und edlere geistige Entwicklung gefesselt.«

Der edle Wahrheitsschmelz unserer Presse sei eine Gabe der Zensur.

Wir kehren zunächst die frühere Argumentation des Redners gegen ihn selbst; wir geben ihm statt eines rationalen Grundes eine Verordnung. In der neuesten preußischen Zensurinstruktion wird offiziell bekanntgemacht, daß die Presse bisher übergroßen Beschränkungen unterlegen, daß sie wahren nationalen Gehalt erst zu erringen habe. Redner sieht, daß die Überzeugungen in unserm Deutschland wandelbar sind.

Aber welch unlogisches Paradoxon, die Zensur als Grund unserer bessern Presse zu betrachten!

Der größte Redner der französischen Revolution, dessen voix toujours tonnante noch in unsere Zeit herübertönt, der Löwe, den man selbst brüllen hören mußte, um ihm mit dem Volke zuzurufen: »Gut gebrüllt, Löwe!«, Mirabeau, hat sich in Gefängnissen gebildet. Sind deswegen Gefängnisse die Hochschulen der Beredsamkeit?

Es ist ein wahrhaft fürstliches Vorurteil, wenn trotz aller geistigen Mautsysteme der deutsche Geist ein Großhändler geworden ist, zu meinen, die Zollsperren und Kordons hätten ihn zum Großhändler gemacht. Die geistige Entwicklung Deutschlands ist nicht durch, sondern trotz der Zensur vor sich gegangen. Wenn die Presse innerhalb der Zensur verkümmert und verelendet, so führt man dies als Argument gegen die freie Presse an, obgleich es nur gegen die unfreie zeugt. Wenn die Presse trotz der Zensur ihr charaktervolles Wesen bewährt, so führt man dies für die Zensur an, obgleich es nur für den Geist und nicht für die Fessel spricht.

Übrigens hat es mit der »wahren edleren Entwicklung« seine Bewandtnis.

In der Zeit der strikten Zensurobservanz von 1819-1830 (später wurde die Zensur, wenn auch nicht in »unserm Deutschland«, so doch in einem großen Teile Deutschlands von den Zeitverhältnissen und seltsamen Überzeugungen, die sich gebildet hatten, zensiert) erlebte unsere Literatur ihre »Abendblattszeit«, die man mit demselben Recht »wahr und edel und geistig und entwicklungsreich« nennen kann, als sich der Redakteur der »Abendzeitung«, ein geborner »Winkler«, humoristischerweise »Hell« benamste, obgleich wir ihm nicht einmal die Helligkeit der Sümpfe um Mitternacht nachrühmen dürfen. Dieser »Krähwinkler« mit der Firma »Hell« ist der Prototyp der damaligen Literatur, und jene Fastenzeit wird die Nachwelt überzeugen, daß, wenn wenige Heilige 40 Tage ohne Speise ausharren konnten, ganz Deutschland, welches nicht einmal heilig war, über zwanzig Jahre ohne alle geistige Konsumtion und Produktion zu leben verstand. Die Presse war niederträchtig geworden, und man schwankt nur, ob der Mangel an Verstand den Mangel an Charakter, ob die Formlosigkeit die Inhaltslosigkeit übertraf, oder ob umgekehrt. Für Deutschland würde die Kritik das Höchste erreichen, wenn sie beweisen könnte, daß jene Periode nie existiert hat. Das einzige Literaturgebiet, in welchem damals noch lebendiger Geist pulsierte, das philosophische, hörte auf, deutsch zu sprechen, weil die deutsche Sprache aufgehört hatte, die Sprache des Gedankens zu sein. Der Geist sprach in unverständlichen, mysteriösen Worten, weil die verständlichen Worte nicht mehr verständig sein durften.

Was nun gar das Beispiel der rheinischen Literatur betrifft – und allerdings liegt dies Beispiel einem rheinischen Landstand ziemlich nahe –, so könnte man mit der Diogeneslaterne alle fünf Regierungsbezirke durchwandern, und nirgends würde man »diesem Menschen« begegnen. Wir halten dies nicht für einen Mangel der Rheinprovinz, sondern vielmehr für einen Beweis ihres praktisch-politischen Sinnes. Die Rheinprovinz kann eine »freie Preise« zeugen, aber zu einer »unfreien« fehlt es ihr an Gewandtheit und an Illusionen.

Die eben erst abgelaufene Literaturperiode, die wir als »die Literaturperiode der strikten Zensur« bezeichnen können, ist also der evidente, der geschichtliche Beweis, daß die Zensur allerdings die Entwicklung des deutschen Geistes auf eine heillose, unverantwortliche Art beeinträchtigt hat und daß sie also keines wegs, wie dem Redner dünkte, zum magister bonarum artium bestimmt ist. Oder verstand man etwa unter der »edlern wahren Presse« eine Presse, die ihre Ketten mit Anstand trägt?

Wenn sich der Redner »erlaubt, an ein bekanntes Sprichwort vom kleinen Finger und der ganzen Hand« zu erinnern, so nehmen wir uns die Gegenerlaubnis, zu fragen, ob es der Würde einer Regierung nicht am meisten gezieme, dem Geist ihres Volkes nicht nur eine ganze Hand, sondern beide Hände ganz zu geben?

Unser Redner hat, wie wir gesehen, die Frage über das Verhältnis von Zensur und geistiger Entwicklung auf nachlässig vornehme, diplomatisch nüchterne Weise beseitigt. Noch entschiedener repräsentiert er die negative Seite seine Standes in seinem Angriff auf die historische Gestaltung der Preßfreiheit.

Was die Existenz der Preßfreiheit bei anderen Völkern betreffe, so könne

»England keinen Maßstab abgeben, da dort schon seit Jahrhunderten auf historischem Wege sich Verhältnisse ausgebildet hätten, die in keinem andern Lande durch Anwendung von Theorien hervorgerufen werden könnten, sondern in Englands eigentümlicher Lage ihre Begründung gefunden hätten«. »In Holland habe Freiheit der Presse nicht vor erdrückender Nationalschuld bewahren können und größtenteils zur Herbeiführung einer Revolution mitgewirkt, die den Abfall der Hälfte dieses Landes zur Folge gehabt habe.«

Frankreich übergehen wir, um später darauf zurückzukommen.

»In der Schweiz endlich, sollte man dort wohl ein durch Freiheit der Presse beglücktes Eldorado finden können? Gedenke man nicht mit Ekel der rohen, in dortigen Blättern verhandelten Parteistreitigkeiten, in welchen die Namen der Parteien, im richtigen Gefühl ihrer geringen menschlichen Würde, sich nach Teilen des tierischen Körpers in Horn- und Klauenmänner sonderten und durch platte Schmähreden sich bei allen Nachbarn verächtlich machten!«

Die englische Presse spricht nicht für die Preßfreiheit überhaupt, weil sie auf historischen Grundlagen beruht. Die Presse in England hat nur Verdienst, weil sie historisch ist, nicht als Presse überhaupt, denn sie hätte sich ohne historische Grundlagen machen müssen. Die Historie hat hier das Verdienst und nicht die Presse. Als wenn die Presse nicht auch zur Historie gehörte, als wenn die englische Presse nicht unter Heinrich VIII., Maria der Katholischen, Elisabeth und Jakob harte, oft barbarische Kämpfe bestanden hätte, um dem englischen Volke seine historischen Grundlagen zu erringen!

Und spräche es nicht im Gegenteil für die Preßfreiheit, wenn die englische Presse bei größter Ungebundenheit nicht destruierend auf die historischen Grundlagen wirkte? Allein der Redner ist nicht konsequent.

Die englische Presse beweist nicht für die Presse überhaupt, weil sie englisch ist. Die holländische Presse spricht gegen die Presse überhaupt, obschon sie nur holländisch ist. Das eine Mal werden alle Vorzüge der Presse den historischen Grundlagen, das andere Mal alle Mängel der historischen Grundlagen der Presse vindiziert. Das eine Mal soll die Presse nicht auch ihren Anteil an der historischen Vollkommenheit, das andere Mal soll die Historie nicht auch ihren Anteil an den Mängeln der Presse haben. Wie die Presse in England mit dessen Historie und eigentümlicher Lage verwachsen ist, so in Holland und der Schweiz.

Soll die Presse historische Grundlagen abspiegeln, aufheben oder entwickeln? Jedes macht ihr der Redner zum Vorwurf.

Er tadelt die holländische Presse, weil sie historisch ist. Sie hätte die Historie verhindern, sie hätte Holland vor erdrückender Nationalschuld bewahren müssen! Welche unhistorische Forderung! Die holländische Presse konnte das Zeitalter Ludwig des XIV. nicht verhindern; die holländische Presse konnte nicht verhindern, daß die englische Marine unter Cromwell sich zur ersten europäischen heraufschwang; sie konnte keinen Ozean zaubern, der Holland von der peinlichen Rolle erlöst hätte, der Schauplatz der kriegführenden Kontinentalmächte zu sein; sie konnte ebensowenig, wie alle Zensuren in Deutschland zusammen, Napoleons Machtgebote annullieren.

Hat aber die freie Presse jemals Nationalschulden erhöht? Als unter Orleans dem Regenten ganz Frankreich in Law'sche Finanzrasereien sich verlor, wer trat dieser phantastischen Sturm- und Drangperiode der Geldspekulation gegenüber als einige Satiriker, die allerdings keine Bankbilletts sondern Bastillebilletts bezogen.

Das Verlangen, die Presse solle vor Nationalschuld bewahren, was dahin weiter ausgeführt werden kann, daß sie auch den einzelnen Individuen ihre Schulden bezahlen solle, erinnert an jenen Literaten, der stets auf seinen Arzt grollte, weil dieser ihm zwar die Krankheiten seines Leibes wegkuriere, nicht aber zugleich die Druckfehler seiner Schriften. Die Preßfreiheit verspricht sowenig wie der Arzt, einen Menschen oder ein Volk vollkommen zu machen. Sie ist selbst keine Vollkommenheit. Es ist triviale Manier, das Gute damit zu schmähen, daß es ein bestimmtes Gut und nicht alles Gute auf einmal, daß es dieses und kein anderes Gute sei. Allerdings, wenn die Preßfreiheit alles in allem wäre, so machte sie alle übrigen Funktionen eines Volks und das Volk selbst überflüssig.

Redner wirft der holländischen Presse die belgische Revolution vor.

Kein Mensch von einiger geschichtlicher Bildung wird leugnen, daß die Trennung Belgiens und Hollands ungleich historischer war als ihre Vereinigung.

Die Presse in Holland habe die belgische Revolution bewirkt. Welche Presse? Die reformatorische oder die reaktionäre? Eine Frage, die wir auch in Frankreich aufwerfen können, und wenn Redner etwa die klerikalisch-belgische Presse tadelt, die zugleich demokratisch war, so tadle er ebenso die klerikalische Presse in Frankreich, die zugleich absolutistisch war. Beide haben zum Umsturz ihrer Regierungen mitgewirkt. In Frankreich hat nicht die Preßfreiheit, sondern die Zensur revolutioniert.

Aber abgesehen hiervon, die belgische Revolution erschien zuerst als geistige Revolution, als Revolution der Presse. Weiter hat die Behauptung keinen Sinn, daß die Presse die belgische Revolution gemacht habe. Ist das nun zu tadeln? Soll die Revolution gleich materiell auftreten? Schlagen statt sprechen? Die Regierung kann eine geistige Revolution materialisieren; eine materielle Revolution muß erst die Regierung vergeistigen.

Die belgische Revolution ist ein Produkt des belgischen Geistes. Also hat auch die Presse, die freieste Weise, in welcher heutzutag der Geist erscheint, ihren Anteil an der belgischen Revolution. Die belgische Presse wäre nicht die belgische Presse, wenn sie der Revolution ferngestanden, aber ebensowohl wäre die belgische Revolution keine belgische, wenn sie nicht zugleich Revolution der Presse gewesen. Die Revolution eines Volkes ist total; d.h. jede Sphäre revoltiert auf ihre Weise; warum nicht auch die Presse als Presse?

Redner tadelt an der belgischen Presse also nicht die Presse, er tadelt Belgien. Und hier finden wir den Springpunkt seiner historischen Ansicht von der Preßfreiheit. Der volkstümliche Charakter der freien Presse – und bekanntlich malt selbst der Künstler keine großen historischen Tableaux mit Wasserfarben –, die historische Individualität der freien Presse, die sie zur eigentümlichen Presse ihres eigentümlichen Volksgeistes macht, widerstreben dem Redner aus dem Fürstenstande, er stellt vielmehr die Forderung an die Pressen der verschiedenen Nationen, die Pressen seiner Ansicht, die Pressen der haute volée zu sein, und statt um die geistigen Weltkörper, die Nationen, um einzelne Individuen zu kreisen. Unverhüllt tritt diese Forderung in der Beurteilung der Schweizerpresse hervor.

Vorläufig erlauben wir uns eine Frage. Warum besann sich der Redner nicht, daß die Schweizerpresse der Voltaireschen Aufklärung in Albrecht v. Haller entgegentrat? Warum gedenkt er nicht, daß, wenn die Schweiz auch gerade kein Eldorado, doch den Propheten des künftigen Fürsteneldorado gezeugt hat, ebenfalls ein Herr v. Haller, der in seiner »Restauration der Staatswissenschaften« das Fundament zu der »edlern wahren« Presse, zu dem »Berliner politischen Wochenblatt« gelegt hat? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und welcher Boden in der Welt hätte der Schweiz eine Frucht von dieser vollsaftigen Legitimität entgegenzuhalten?

Redner verübelt es der Schweizerpresse, daß sie die »tierischen Parteinamen« der »Horn- und Klauenmänner« aufgenommen, kurz, daß sie schweizerisch spricht und zu Schweizern, die mit Ochsen und Kühen in gewisser patriarchalischer Eintracht leben. Die Presse dieses Landes ist die Presse dieses Landes. Weiter ist darüber nichts zu sagen. Zugleich aber führt eben die freie Presse über die Beschränktheit des Landespartikularismus hinaus, wie ebenfalls die Schweizerpresse beweist.

Über die tierischen Parteinamen insbesondere bemerken wir, daß die Religion selbst das Tierische als Symbol des Geistigen würdigt. Unser Redner wird jedenfalls die indische Presse verwerfen, die in religiöser Begeisterung die Kuh Sabala und den Affen Hanuman feierte. Er wird der indischen Presse die indische Religion, wie der Schweizerpresse den Schweizercharakter, vorwerfen; aber es gibt eine Presse, die er schwerlich der Zensur unterwerfen will, wir meinen die heilige Presse, die Bibel; und teilt diese nicht die ganze Menschheit in die beiden großen Parteien der Böcke und Schafe? Charakterisiert Gott selbst sein Verhältnis zu den Häusern Juda und Israel nicht folgendermaßen: Ich bin dem Hause Juda eine Motte und dem Hause Israel eine Made? Oder, was uns Weltlichen näher liegt, gibt es nicht eine fürstliche Literatur, welche die ganze Anthropologie in Zoologie verwandelt, wir meinen die heraldische Literatur? Die bringt noch andere Kuriosa als Horn- und Klauenmänner.

Was hat also der Redner an der Preßfreiheit getadelt? Daß die Mängel eines Volkes zugleich die Mängel seiner Presse sind, daß sie die rücksichtslose Sprache, die offenbare Gestalt des historischen Volksgeistes ist. Hat er bewiesen, daß der deutsche Volksgeist von diesem großen Naturprivilegium ausgeschlossen ist? Er hat gezeigt, daß jedes Volk seinen Geist in seiner Presse ausspricht. Soll dem philosophisch gebildeten Geist der Deutschen nicht zukommen, was nach des Redners eigner Versicherung bei den im Tierischen gebundenen Schweizern sich findet?

Meint endlich der Redner, daß die nationalen Mängel der freien Presse nicht ebenso Nationalmängel der Zensoren sind? Sind die Zensoren eximiert von der historischen Gesamtheit, unberührt vom Geiste einer Zeit? Leider mag es der Fall sein, aber welcher gesunde Mensch wird in der Presse nicht lieber die Sünden der Nation und der Zeit, als in der Zensur die Sünden gegen Nation und Zeit entschuldigen?

Wir haben im Eingange bemerkt, daß in den verschiedenen Rednern ihr besonderer Stand gegen die Preßfreiheit polemisiert. Der Redner aus dem Fürstenstande stellte zunächst diplomatische Gründe auf. Er bewies das Unrecht der Preßfreiheit aus den fürstlichen Überzeugungen, die in Zensurgesetzen sich deutlich genug ausgesprochen hätten. Er meinte, die edlere, wahre Entwicklung des deutschen Geistes sei durch die Hemmungen von oben gemacht worden. Er polemisierte endlich gegen die Völker und verwarf mit edler Scheu die Preßfreiheit als die undelikate, indiskrete, auf sich selbst gerichtete Sprache eines Volkes.

[»Rh. Ztg.« Nr. 130 v. 10. Mai 1842]

Der Redner aus dem Ritterstande, zu dem wir jetzt kommen, polemisiert nicht gegen die Völker, sondern gegen die Menschen. Er bestreitet in der Preßfreiheit die menschliche Freiheit, im Preßgesetz das Gesetz. Bevor er auf die eigentliche Frage über Preßfreiheit eingeht, nimmt er die Frage über unverkürzte und tägliche Publikation der Landtagsdebatten auf. Wir folgen ihm, Schritt vor Schritt.

»Dem ersten der Anträge auf Veröffentlichung unserer Verhandlungen sei genügt.« »In die Hände des Landtags sei es gelegt, von der erteilten Erlaubnis einen weisen Gebrauch zu machen.«

Eben das ist das punctum quaestionis. Die Provinz glaubt, daß der Landtag erst in ihre Hände gelegt ist, sobald die Veröffentlichung der Debatten nicht mehr der Willkür seiner Weisheit überlassen, sondern eine gesetzliche Notwendigkeit geworden ist. Wir müßten die neue Konzession als einen neuen Rückschritt bezeichnen, wenn sie so zu interpretieren, daß die Publikation der Willkür der Landstände anheimfällt.

Privilegien der Landstände sind keine Rechte der Provinz. Vielmehr hören die Rechte der Provinz gerade da auf, wo sie zu Privilegien der Landstände werden. So hatten die Stände des Mittelalters alle Rechte des Landes in sich absorbiert und wendeten sie als Vorrechte gegen das Land.

Der Staatsbürger will das Recht nicht als Privilegium wissen. Kann er für ein Recht halten, neue Privilegierte zu alten Privilegierten hinzuzufügen?

Die Rechte des Landtags sind auf diese Weise nicht mehr Rechte der Provinz, sondern Rechte wider die Provinz, und der Landtag selbst wäre das der Provinz am meisten entgegenstehende Unrecht mit der mystischen Bedeutung, für ihr größtes Recht gelten zu sollen.

Wie sehr nun der Redner aus dem Ritterstande dieser mittelaltrigen Auffassung des Landtags verfallen ist, wie rückhaltlos er das Privilegium des Landstandes gegen das Recht des Landes verficht, wird der Verfolg seiner Rede beweisen.

»Die Ausdehnung dieser Erlaubnis« (der Publikation der Debatten) »könne nur aus der inneren Überzeugung, nicht aber aus äußeren Einwirkungen hervorgehen.«

Eine überraschende Wendung! Die Einwirkung der Provinz auf ihren Landtag wird als ein Äußeres bezeichnet, dem die Überzeugung der Landstände als zartsinnige Innerlichkeit gegenübersteht, deren höchstirritable Natur der Provinz zuruft: »Noli me tangere!« Um so denkwürdiger ist diese elegische Floskel von der »inneren Überzeugung« gegenüber dem rauhen, äußerlichen, unberechtigten Nordwind der »öffentlichen Überzeugung«, als der Antrag gerade darauf geht, die innere Überzeugung der Landstände äußerlich zu machen. Allerdings finden wir auch hier Inkonsequenz. Wo es dem Redner füglicher scheint, in den kirchlichen Kontroversen, provoziert er auf die Provinz.

»Wir«, fährt der Redner fort, »würden sie« (die Publikation) »eintreten lassen, da, wo wir es für zweckmäßig erachten, und sie beschränken, da, wo uns eine Ausdehnung zwecklos oder gar wohl schädlich erschiene.«

Wir werden tun, was wir wollen. Sie volo, sic iubeo, stat pro ratione voluntas. Es ist vollständige Herrschersprache, die allerdings im Munde eines modernen Standesherrn einen rührenden Beigeschmack hat.

Wer sind »wir«? Die Landstände. Die Veröffentlichung der Debatten ist für die Provinz und nicht für die Stände, aber Redner belehrt uns des Besseren. Auch die Publikation der Verhandlungen ist ein Privilegium der Landstände, die das Recht haben, wenn sie es passend finden, ihrer Weisheit das vielstimmige Echo des Preßbengels zu geben.

Der Redner kennt nur die Provinz der Landstände, nicht die Landstände der Provinz. Die Landstände haben eine Provinz, worauf das Privilegium ihrer Tätigkeit sich erstreckt, aber die Provinz hat keine Landstände, durch welche sie selbst tätig wäre. Allerdings hat die Provinz das Recht, unter vorgeschriebenen Bedingungen, sich diese Götter zu machen, aber gleich nach der Schöpfung muß sie, wie der Fetischdiener, vergessen, daß es Götter ihres Händewerkes sind.

Es ist dabei unter anderem nicht abzusehen, warum eine Monarchie ohne Landtag nicht mehr wert ist als eine Monarchie mit Landtag, denn ist der Landtag nicht die Repräsentation des Provinzialwillens, so hegen wir zur öffentlichen Intelligenz der Regierung mehr Vertrauen als zur Privatintelligenz von Grund und Boden.

Wir haben hier das sonderbare, vielleicht im Wesen der Landtage gegründete Schauspiel, daß die Provinz nicht sowohl durch als mit ihren Stellvertretern zu kämpfen hat. Nach dem Redner hält der Landtag nicht die allgemeinen Rechte der Provinz für seine einzigen Privilegien, denn in diesem Falle wäre die tägliche unverkürzte Publikation der Landtagsverhandlungen ein neues Recht des Landtags, weil des Landes, sondern vielmehr soll das Land die Vorrechte der Landstände für seine einzigen Rechte halten; warum nicht auch die Vorrechte irgendeiner Beamtenklasse und des Adels oder der Priester!

Ja, unser Redner spricht unverhohlen aus, daß die Vorrechte der Landstände in dem Maße abnehmen, als die Rechte der Provinz zunehmen.

»Ebenso wünschenswert es ihm erscheine, daß hier in der Versammlung Freiheit der Diskussion stattfände und ein ängstliches Abwägen der Worte vermieden würde, ebenso notwendig erscheine es ihm zur Erhaltung dieser Freiheit des Wortes und dieser Unbefangenheit der Rede, daß unsere Worte zurzeit nur noch von denjenigen beurteilt würden, für die sie bestimmt seien.«

Eben weil die Freiheit der Diskussion, schließt der Redner, in unserer Versammlung wünschenswert ist – und welche Freiheiten wären uns nicht wünschenswert, wo es sich von uns handelt – eben darum ist die Freiheit der Diskussion in der Provinz nicht wünschenswert. Weil es wünschenswert ist, daß wir unbefangen sprechen, ist es noch wünschenswerter, die Provinz in der Gefangenschaft des Geheimnisses zu erhalten. Unsere Worte sind nicht für die Provinz bestimmt.

Man muß den Takt anerkennen, womit der Redner herausgefühlt hat, daß der Landtag durch die unverkürzte Publikation seiner Debatten aus einem Vorrecht der Landstände ein Recht der Provinz würde, daß er, unmittelbar Gegenstand des öffentlichen Geistes geworden, sich entschließen müßte, eine Vergegenständlichung des öffentlichen Geistes zu sein, daß er, in das Licht des allgemeinen Bewußtseins gestellt, sein besonderes Wesen gegen das allgemeine aufzugeben hätte.

Wenn aber der ritterliche Redner persönliche Privilegien, individuelle, dem Volke und der Regierung gegenüberstehende Freiheiten für die allgemeinen Rechte versieht und damit unstreitig den exklusiven Geist seines Standes treffend ausgesprochen hat, so interpretiert er dagegen den Geist der Provinz aufs allerverkehrteste, wenn er nun ebenfalls ihre allgemeinen Forderungen in persönliche Gelüste umwandelt.

So scheint der Redner eine persönlich-lüsterne Neugier der Provinz auf unsere Worte (sc. der landständischen Persönlichkeiten) zu unterstellen.

Wir versichern ihn, daß die Provinz keineswegs neugierig ist auf »die Worte« der Landstände als einzelner Personen, und nur »solche« Worte können sie mit Recht »ihre« Worte nennen. Vielmehr verlangt die Provinz, daß die Worte der Landstände sich verwandeln sollen in die öffentlich vernehmbare Stimme des Landes.

Es handelt sich davon, ob die Provinz ein Bewußtsein über ihre Vertretung haben soll oder nicht! Soll zu dem Mysterium der Regierung das neue Mysterium der Vertretung hinzukommen? Auch in der Regierung ist das Volk vertreten. Die neue Vertretung desselben durch die Stände ist also rein sinnlos, wenn nicht eben darin ihr spezifischer Charakter besteht, daß hier nicht für die Provinz gehandelt wird, sondern daß sie vielmehr selbst handelt; daß sie hier nicht repräsentiert wird, sondern vielmehr sich selbst repräsentiert. Eine Repräsentation, die dem Bewußtsein ihrer Kommittenten entzogen ist, ist keine. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Es ist der sinnlose Widerspruch, daß die Funktion des Staates, die vorzugsweise die Selbsttätigkeit der einzelnen Provinzen darstellt, sogar ihrem formellen Mitwirken, dem Mitwissen entzogen ist, der sinnlose Widerspruch, daß meine Selbsttätigkeit die mir unbewußte Tat eines anderen sein soll.

Eine Publikation der Landtagsverhandlungen aber, die der Willkür der Landstände anheimgefallen ist, ist schlechter als gar keine, denn wenn der Landtag mir gibt, nicht was er ist, sondern was er für mich scheinen will, so nehme ich ihn als das, als was er sich gibt, als Schein, und es ist schlimm, wenn der Schein gesetzliche Existenz hat.

Ja selbst die tägliche unverkürzte Veröffentlichung durch den Druck, heißt sie mit Recht unverkürzt und öffentlich? Ist es keine Verkürzung, die Schrift dem Wort, Schemata den Personen, die papierne Aktion der wirklichen Aktion zu substituieren? Oder besteht die Öffentlichkeit nur darin, daß die wirkliche Sache dem Publikum referiert, und nicht vielmehr darin, daß sie dem wirklichen Publikum referiert wird, d.h. nicht dem imaginären lesenden, sondern dem lebendigen gegenwärtigen Publikum?

Nichts ist widersprechender, als daß die höchste öffentliche Aktion der Provinz geheim sei, daß die Gerichtstüre zu Privatprozessen der Provinz offensteht und daß sie in ihrem eigenen Prozesse vor der Tür stehenbleiben muß.

Die unverkürzte Publikation der Landtagsverhandlungen kann daher in ihrem wahren konsequenten Sinne nichts anderes sein als die volle Öffentlichkeit des Landtags.

Unser Redner geht im Gegenteil dahin fort, den Landtag als eine Art Estaminet zu betrachten.

»Auf eine langjährige Bekanntschaft sei bei den meisten von uns das gute persönliche Einvernehmen gegründet, in welchem wir uns trotz der verschiedensten Ansichten über die Sachen befänden, ein Verhältnis, welches sich auf die neu Eintretenden vererbe.«

»Gerade dadurch seien wir am meisten imstande, den Wert unserer Worte zu würdigen, und würde dies um so unbefangener geschehen, je weniger wir äußeren Einflüssen eine Einwirkung gestatteten, die nur alsdann von Nutzen sein dürfte, wenn sie uns in der Gestalt eines wohlmeinenden Rates zur Seite treten, nicht aber in Gestalt eines absprechenden Urteils, eines Lobes oder Tadels, auf unsere Persönlichkeit durch die Öffentlichkeit einzuwirken suchen.«

Der Herr Redner spricht zum Gemüt.

Wir sind so familiär zusammen, wir parlieren so ungeniert, wir wägen so genau den Wert unserer respektiven Worte, sollten wir unsere so patriarchalische, so vornehme, so bequeme Stellung durch das Urteil der Provinz alterieren lassen, die unseren Worten vielleicht weniger Wert beimißt?

Da sei Gott für. Der Landtag verträgt den Tag nicht. In der Nacht des Privatlebens ist uns heimlicher zumute. Wenn die ganze Provinz das Vertrauen hat, ihre Rechte einzelnen Individuen anzuvertrauen, so versteht es sich von selbst, daß diese einzelnen Individuen so herablassend sind, das Vertrauen der Provinz zu akzeptieren, aber es wäre wirkliche Überspanntheit, zu verlangen, sie sollten nun Gleiches mit Gleichem vergelten und vertrauensvoll sich selbst, ihre Leistungen, ihre Persönlichkeiten, dem Urteil der Provinz hingeben, die ihnen erst ein Urteil von Konsequenz gegeben hat. Jedenfalls ist es wichtiger, daß die Persönlichkeit der Landstände nicht durch die Provinz, als daß das Interesse der Provinz nicht durch die Persönlichkeit der Landstände gefährdet werde.

Wir wollen auch billig sein, auch huldvollst. Wir, und wir sind eine Art Regierung, wir erlauben zwar kein absprechendes Urteil, zwar kein Lob, zwar keinen Tadel, wir erlauben der Öffentlichkeit keinen Einfluß auf unsere persona sacrosancta, aber wir gestatten wohlmeinenden Rat, nicht in dem abstrakten Sinne, daß er es für das Land wohlmeine, sondern in dem voller tönenden, daß er eine passionierte Zärtlichkeit für die landständischen Personen, eine besondere Meinung von ihrer Vorzüglichkeit besitze.

Zwar könnte man meinen, wenn die Öffentlichkeit unserem guten Einvernehmen, so müsse unser gutes Einvernehmen der Öffentlichkeit schädlich sein. Allein diese Sophistik vergißt, daß der Landtag der Tag der Landstände und nicht der Tag der Provinz ist. Und wer vermöchte dem schlagendsten aller Argumente zu widerstehen? Wenn die Provinz verfassungsmäßig Stände ernennt, um ihre allgemeine Intelligenz zu repräsentieren, so hat sie sich selbst eben damit alles eigenen Urteils und Verstands völlig begeben, die nun einzig in den Auserwählten inkorporiert sind. Wie Sagen gehen, daß große Erfinder getötet, oder, was keine Sage ist, lebendig auf Festungen vergraben wurden, sobald sie ihr Geheimnis dem Machthaber mitgeteilt, so stürzt sich die politische Vernunft der Provinz jedesmal ins eigene Schwert, sobald sie die große Erfindung der Landstände gemacht hat, allerdings um als Phönix für die folgenden Wahlen neu zu erstehen.

Nach diesen gemütvoll zudringlichen Schilderungen der Gefahren, die den landständischen Persönlichkeiten durch die Publikation der Verhandlungen von außen, d.h. von der Provinz drohen, schließt der Redner diese Diatribe mit dem leitenden Gedanken, den wir bisher verfolgt haben.

»Die parlamentarische Freiheit«, ein sehr wohlklingendes Wort, »befinde sich in ihrer ersten Entwicklungsperiode. Sie müsse unter Schutz und Pflege diejenige innere Kraft und Selbständigkeit gewinnen, die durchaus notwendig wären, bevor sie äußeren Stürmen ohne Nachteil preisgegeben werden könnte.«

Wieder der alte fatale Gegensatz des Landtags als des Inneren und der Provinz als des Äußeren.

Wir waren allerdings schon lange der Meinung, daß die parlamentarische Freiheit erst im Anfang ihres Anfangs steht, und selbst vorliegende Rede hat uns von neuem überzeugt, daß die primitiae studiorum in den politicis noch immer nicht absolviert sind. Keineswegs aber meinen wir damit – und die vorliegende Rede bestätigt wiederum unsere Meinung –, daß dem Landtag noch längere Frist zu geben sei, sich selbständig zu verknöchern, gegen die Provinz. Vielleicht versteht der Redner unter parlamentarischer Freiheit die Freiheit der alten französischen Parlamente. Nach seinem eigenen Geständnis herrscht eine langjährige Bekanntschaft unter den Landständen, ihr Geist geht schon als epidemisches Erbe auf die homines novi über, und noch immer nicht Zeit zur Öffentlichkeit? Der 12. Landtag kann dieselbe Antwort geben wie der 6., nur mit der dezidierteren Wendung, daß er zu selbständig sei, um sich das vornehme Privilegium des geheimen Verfahrens entreißen zu lassen.