ANTHONY HOPE

 

DER GEFANGENE VON ZENDA

Die Abenteuer des Rudolf Rassendyll, Band 1

 

 

 

 

 

Roman

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

DER GEFANGENE VON ZENDA 

1. Kapitel: Die Rassendylls (und ein Wort über die Elphbergs) 

2. Kapitel: Über die Farbe des männlichen Haars  

3. Kapitel: Ein fröhlicher Abend bei einem entfernten Verwandten 

4. Kapitel: Der König hält seinen Termin  

5. Kapitel: Die Abenteuer eines Ersatzmannes 

6. Kapitel: Das Geheimnis eines Kellers 

7. Kapitel: Seine Majestät nächtigt in Strelsau 

8. Kapitel: Eine hübsche Base - und ein finsterer Bruder 

9. Kapitel: Die Umfunktionierung eines Teetischchens 

10. Kapitel: Eine grosse Chance für einen Schurken 

11. Kapitel: Jagd auf einen Riesen-Eber 

12. Kapitel: Ich empfange einen Besucher und lege einen Köder aus 

13. Kapitel: Eine Veredelung der Himmelsleiter  

14. Kapitel: Eine Nacht vor der Burg 

15. Kapitel: Ich rede mit einem Verführer 

16. Kapitel: Ein verzweifelter Plan 

17. Kapitel: Jung-Ruperts mitternächtlicher Zeitvertreib  

18. Kapitel: Die Falle schnappt zu 

19. Kapitel: Nahkampf im Wald  

20. Kapitel: Der Gefangene und der König 

21. Kapitel: Wenn Liebe alles wäre! 

22. Kapitel: Gegenwart, Vergangenheit - und Zukunft? 

 

Das Buch

 

Ende des 19. Jahrhunderts kommt der englische Gentleman und Nichtstuer Rudolf Rassendyll als Tourist in den fiktiven Kleinstaat Ruritanien, der irgendwo südlich von Dresden liegt. Seine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem von finsteren Schurken und politischen Intriganten entführten Monarchen zwingen ihn bald, dessen Stelle einzunehmen, da die Vertrauten des Königs um jeden Preis verhindern wollen, dass er Thron einem Usurpator zugeschanzt wird...

 

Der im Jahre 1894 erstmals erschienene, äußerst rasante und selbstironische Fantasy-Abenteuerklassiker gehört zu den populärsten Romanen des englischen Sprachraums und wurde mehrmals mit großem Aufwand verfilmt. Die nicht minder spannende, ebenfalls von Anthony Hope verfasste Fortsetzung erscheint ebenfalls im Apex-Verlag unter dem Titel Die Rückkehr nach Zenda.

Beide Romane wurden ins Deutsche übersetzt von Ronald M. Hahn.

 

 

 

 

Der Autor

 

Anthony Hope.

(* 19. Februar 1863, † 8. Juli 1933).

 

 Anthony Hope war das Pseudonym von Sir Anthony Hope Hawkins, einem britischen Rechtsanwalt und Schriftsteller.

Hope war ein Sohn von Reverend Edward Connerford Hawkins, einem anglikanischen Geistlichen, und Jane Isabella Grahame. Er verließ die Universität Oxford 1885 mit einem first-class degree und wurde Anwalt in London. Er heiratete 1903, hatte zwei Söhne und eine Tochter. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er im Ministry of Information. 1918 wurde er für seine Verdienste während des Krieges zum Ritter geschlagen.

Sein erstes Buch war A Man of Mark (1890), später schrieb er The Dolly Dialogues (1894). Den größten Erfolg hatte er mit dem mehrfach verfilmten Werk The Prisoner Of Zenda (dt. Der Gefangene von Zenda). Anschließend verfasste er die Fortsetzung Rupert Of Henzau (1898) und zahlreiche weitere Bücher wie z.B. The King's Mirror (1899), The Great Miss Driver (1908) und Beaumaroy Home From The Wars (1919).

 

Der Apex-Verlag veröffentlicht Anthony Hopes Romane Der Gefangene von Zenda (Orig.: The Prisoner Of Zenda) und Die Rückkehr nach Zenda (Orig.: Rupert Of Henzau), die in Kenner-Kreisen der Fantasy-Literatur zugerechnet werden, als Übersetzungen des mehrfach preisgekrönten Ronald M. Hahn.

  DER GEFANGENE VON ZENDA

 

     

  1. Kapitel: Die Rassendylls (und ein Wort über die Elphbergs)

 

»Ich frage mich, Rudolf«, sagte die Frau meiner Bruders, »wann, in aller Welt, du endlich etwas tun wirst.«

»Meine liebe Rose«, antwortete ich und legte den Eierlöffel nieder, »warum, in aller Welt, sollte ich etwas tun? Meine Position ist doch wohl behaglich. Ich habe ein Einkommen, das in etwa meinen Bedürfnissen entspricht - als ausreichend kann man ja wohl kein Einkommen bezeichnen -, und ich erfreue mich einer beneidenswerten gesellschaftlichen Stellung: Ich bin der Bruder Lord Burlesdons, und der Schwager einer charmanten Lady, seiner Komtess. Also, bitte - mir reicht das völlig aus!«

»Du bist neunundzwanzig«, bemerkte sie, »und bisher hast du noch nichts getan, außer... «

»... mich herumzutreiben? Stimmt. Unsere Familie hat es halt nicht nötig, etwas zu tun.«

Diese meine Bemerkung verärgerte Rose aufs äußerste, da jedermann weiß (weswegen es auch nichts Böses sein kann, diese Tatsache zur Sprache zu bringen), dass ihre Familie, so hübsch und vollkommen sie auch persönlich ist, kaum die gleiche Stellung innehat, wie die der Rassendylls.

Doch neben ihrer Ausstrahlung verfügt sie auch noch über ein großes Vermögen, und mein Bruder Robert war klug genug, keine Einwände gegen ihre Herkunft zu erheben. Doch Herkunft ist in der Tat eine Angelegenheit, die in Verbindung mit Roses nächster Bemerkung einige Wahrheiten aufweist.

»Gute Familien sind im allgemeinen schlimmer als alle anderen«, sagte sie.

Daraufhin fuhr ich mir übers Haar: Ich wusste ziemlich gut, was sie meinte.

»Wie froh ich bin, dass Robert schwarzhaarig ist!« rief sie aus.

In diesem Augenblick trat Robert (der um sieben Uhr aufsteht und schon vor dem Frühstück arbeitet) ein. Er warf seiner Gattin einen Blick zu.

Ihre Wangen waren leicht gerötet. Er tätschelte sie liebevoll.

»Was ist denn los, mein Schatz?« fragte er.

»Sie hat etwas gegen mein rotes Haar und mein Nichtstun«, sagte ich in einem beleidigten Tonfall.

»Oh, natürlich kann er nichts für sein Haar«, gab Rose zu.

»Einmal in jeder Generation kommt es zum Vorschein«, sagte mein Bruder. »Und auch die Nase. Rudolf hat beides erwischt.«

»Ich wünschte, es wäre nicht so«, sagte Rose, immer noch rot im Gesicht.

»Also mir gefällt’s«, sagte ich, stand auf und verbeugte mich vor dem Porträt von Komtess Amelia.

Die Gattin meines Bruders äußerte einen Ausruf der Abneigung.

»Ich wünschte, du würdest das Gemälde fortschaffen, Robert«, sagte sie.

»Meine Liebe!« rief er aus.

»Gütiger Himmel!« fügte ich hinzu.

»Dann wird man die Sache vielleicht vergessen«, fuhr sie fort.

»Wohl kaum«, sagte Robert kopfschüttelnd, »solange sich Rudolf hier herumtreibt.«

»Warum sollte man sie auch vergessen?« fragte ich.

»Rudolf!« rief die Gattin meines Bruders aus und errötete, dass es eine Freude war.

Ich lachte und widmete mich wieder meinem Ei. Zumindest hatte ich die Frage nach dem, was ich (wenn überhaupt) tun sollte, damit erst einmal auf Eis gelegt.

Und um die Diskussion abzuschließen - und, ich will es nicht verhehlen, meine kleine Schwägerin noch etwas weiter auf die Palme zu bringen -, bemerkte ich: »Ich wäre viel lieber ein Elphberg.«

Wenn ich eine Geschichte lese, überschlage ich die Erklärungen; doch sobald ich eine schreibe, bin ich der Meinung, dass es ohne sie nicht geht. Denn es ist verständlich, dass ich erklären muss, warum meine Schwägerin sich so sehr über meine Nase und mein Haar ereiferte, und wieso ich zu behaupten wagte, lieber ein Elphberg zu sein.

Mit Einschränkungen muss ich zugeben, dass das Blut der Rassendylls, so berühmt sie auch viele Generationen lang gewesen sind, auf den ersten Blick natürlich nicht das Prahlen einer Verbindung mit der höheren Linie der Elphbergs oder gar die Behauptung, Angehöriger eines Königshauses zu sein, rechtfertigt.

Denn welche Verbindungen gibt es schon zwischen Ruritanien und Burlesdon, zwischen dem Palast in Strelsau oder Burg Zenda und der Nummer 305 in der Park Lane West?

Nun ja - ich muss vorausschicken, dass ich nun notgedrungen in genau jenem Skandal rühren muss, den meine liebe Lady Burlesdon am liebsten vergessen hätte.

Im Jahre 1733, als George II. auf dem Thron saß, momentaner Friede herrschte, und der König und der Prinz von Wales sich noch nicht an die Kehle gingen, kam nämlich ein gewisser Prinz zu Besuch an den englischen Hof, der der Geschichte im Nachhinein als Rudolf III. von Ruritanien bekannt wurde.

Der Prinz war ein hochgewachsener, gutaussehender junger Bursche, den eine (vielleicht verunstaltete, ich kann’s nicht sagen) etwas ungewöhnlich lange, doch gerade, spitze Nase und ein Büschel dunkelroten Haars zierten. In der Tat haben diese Nase und dieses Haar den Elphbergs seither einen Stempel aufgedrückt. Der Prinz verbrachte mehrere Monate in England, wo er äußerst herzlich aufgenommen wurde; doch am Ende ging er unter ziemlich finster dräuenden Wolken. Denn er hatte sich in einem Duell (man rechnete es ihm hoch an, dass er sich nicht mit dem Hinweis auf seinen hohen Rang herausredete) mit einem Edelmann geschlagen, der seinerzeit gesellschaftlich hoch angesehen gewesen war - nicht nur aufgrund seiner eigenen Werte, sondern wegen seiner Gattin, einer äußerst schönen Lady.

Bei diesem Duell zog sich Prinz Rudolf eine ernstliche Verletzung zu, und als er sich von ihr erholt hatte, schmuggelte ihn der ruritanische Gesandte, dem er eine Menge Kummer bereitet hatte, außer Landes. Der Edelmann war bei dem Duell zwar nicht verletzt worden, doch da der Morgen ihrer Begegnung ziemlich frisch und feucht gewesen war, zog er sich eine schwere Erkältung zu, die er nicht mehr los wurde, so dass er sechs Monate nach der Abreise Prinz Rudolfs verstarb - ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, mit seiner Gattin wieder ins Reine zu kommen: Zwei Monate später schenkte sie seinem Titel und dem Besitz der Familie Burlesdon das Leben und einen Erben.

Diese Dame war Gräfin Amelia gewesen, deren Bild meine Schwägerin am liebsten aus dem Wohnzimmer Park Lane verbannt hätte. Ihr Gatte hatte James geheißen und war der fünfte Earl of Burlesdon und zweiundzwanzigste Baron Rassendyll gewesen. Er hatte zu den Peers von England gehört und war Ritter des Hosenbandordens gewesen.

Was Rudolf anbetraf, so kehrte er nach Ruritanien zurück, nahm sich eine Frau und bestieg den Thron, auf dem von da an bis heute in direkter Linie seine Nachfahren sitzen, wenn man von einer kurzen Unterbrechung einmal absieht. Und schlussendlich kann man, wenn man durch die Gemäldegalerie von Burlesdon geht, unter den etwa fünfzig Porträts der letzten eineinhalb Jahrhunderte fünf oder sechs solche sehen (einschließlich dem des sechsten Earls), die sich durch lange, gerade, spitze Nasen und eine Unmenge dunkelroten Haars auszeichnen. Diese fünf oder sechs haben zudem blaue Augen, obwohl unter den Rassendylls eher die braunen dominieren.

Das ist die Erklärung, und ich freue mich, dass ich sie hinter mich gebracht habe: Ein Makel, der einer ehrenwerten Linie anhaftet, ist ein heikles Thema, und gewiss ist diese Vererbung, von der man so viel hört, das größte Lästermaul der Welt; sie lacht über Diskretion und schreibt seltsame Einträge in das Buch der Adelsgeschichte.

Man wird bemerkt haben, dass meine Schwägerin - mit einem Mangel an Logik, der ihr (da es uns nicht mehr gestattet ist, dies ihrem Geschlecht zuzuschreiben) eigentlich hätte selbst auffallen müssen - in meinem Aussehen fast einen Angriff sah, für den ich die Verantwortung trug: als schlösse sie aufgrund dieser äußerlichen Merkmale auf inwendige Qualitäten, die ich nur in absoluter Unschuld von mir weisen kann.

Und dieser ungerechte Einwand diente ihr dazu, mich auf die Sinnlosigkeit des Lebens hinzuweisen, das ich führte.

Nun, wie dem auch sei, ich hatte mich ordentlich vergnügt und auch eine Menge Wissen erworben. Ich hatte eine deutsche Schule und eine deutsche Universität besucht, und ich sprach Deutsch so fließend und akzentfrei wie Englisch. Ich war in Frankreich durch und durch Zuhause. Ich hatte Italienisch gelernt, und ich sprach genug Spanisch, um fluchen zu können. Ich hielt mich für einen starken, wenn auch nicht gerade eleganten Fechter und guten Schützen. Ich konnte alles reiten, das einen Rücken zum Aufsitzen hatte, und mein Verstand war so kühl wie jeder andere, auch wenn auf meinem Kopf stets ein Feuer zu brennen schien.

Hätte jemand gesagt, ich hätte meine Zeit mit nützlicher Arbeit verbringen sollen, hätte ich dem nichts entgegensetzen können - außer, dass meine Eltern nichts anderes im Sinn gehabt hatten, als mir den Charakter eines Vagabunden und zweitausend Pfund pro Jahr zu hinterlassen.

»Der Unterschied zwischen Robert und dir«, sagte meine Schwägerin, die oftmals (Gesegnet sei sie!) von einem Podium herunter spricht und sich noch öfter so verhält, als sei sie selber eins, »besteht darin, dass er die Pflichten seiner Stellung erkennt - und du nur die Gelegenheiten, die sich dir bieten.«

»Für einen Mann des Geistes, meine liebe Rose«, antwortete ich, »sind Gelegenheiten auch Pflichten.«

»Unsinn!« sagte sie kopfschüttelnd; und kurz darauf fuhr sie fort: »Hier, Sir Jacob Borrodaile bietet dir genau das an, was deinem Stand entspricht.«

»Tausend Dank«, murmelte ich.

»Er wird in sechs Monaten eine Gesandtschaft übernehmen, und Robert sagt, er ist sicher, dass er dich als Attaché brauchen kann. Nimm die Stellung an, Rudolf - meinetwegen.«

Nun ja, wenn meine Schwägerin auf diese Weise redet, dabei die hübsche Stirn runzelt, ihre kleinen Händchen zu Fäustchen ballt, und ihr Blick nachdenklich wird - und sich all das gegen einen müssiggehenden Tagedieb wie mich richtet, dem sie sich auf natürliche Weise verpflichtet fühlt, werde ich natürlich von Gewissensbissen geplagt.

Mehr noch: Ich hielt es für möglich, dass ich die Zeit in der von ihr vorgeschlagenen Stellung durchaus angenehm hinter mich bringen konnte.

Deswegen sagte ich:

»Meine liebe Schwägerin, falls es in sechs Monaten zu keinem unvorhersehbaren Zwischenfall gekommen ist, und Sir Jacob mich bittet, in seine Dienste zu treten, will ich verflucht sein, wenn ich nicht mit ihm gehe!«

»Oh, Rudolf, wie lieb von dir! Ich freue mich sehr!«

»Wohin geht er denn?«

»Er weiß es noch nicht; aber es ist gewiss eine gute Gesandtschaft.«

»Madame«, sagte ich, »ich gehe nur für Euch, selbst wenn’s nicht mehr ist als ein untergeordneter Posten. Wenn ich etwas tue, dann tue ich’s richtig.«

Damit hatte ich mein Versprechen gegeben; doch sechs Monate sind sechs Monate, und sie erscheinen einem wie eine Ewigkeit. Und da sie sich noch zwischen mir und meinem zukünftigen Fleiß (ich nehme an, dass Attachés fleißig sind, obwohl ich es nicht weiß, da ich weder der Sir Jacobs noch der eines anderen wurde) erstreckten, dachte ich mir eine wünschenswerte Methode aus, sie hinter mich zu bringen.

Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nach Ruritanien reisen würde. Es mag vielleicht seltsam klingen, dass ich dieses Land noch nie besucht hatte, doch mein Vater hatte mich (trotz seiner heimlichen Schwäche für die Elphbergs, die ihn dazu verleitet hatte, mir, seinen zweiten Sohn, den berühmten Elphberg-Namen Rudolf zu geben) stets davon abgehalten. Seit seinem Tod hatte mein Bruder, von Rose beeinflusst, die Familientradition hochgehalten, und sie besagte, dass man einen weiten Bogen um dieses Land machen sollte.

Doch kaum hatte ich an Ruritanien gedacht, nagte auch schon die Neugier an mir, wie es dort wohl aussähe. Schließlich sind rotes Haar und lange Nasen nicht allein auf das Haus Elphberg begrenzt, und die alte Geschichte schien mir ein lächerlicher Grund, mich selbst von der Bekanntschaft mit einem hochinteressanten und wichtigen Königreich abzuhalten, das in der Geschichte Europas keine unbedeutende Rolle gespielt hatte und unter dem Einfluss eines jungen, tatkräftigen Herrschers wie dem neuen König, um den sich die Gerüchte rankten, vielleicht bald wieder spielen würde.

Mein Entschluss stand fest, als ich in der Times las, Rudolf V. solle im Laufe der nächsten drei Wochen in Strelsau gekrönt werden, und man wolle bei dieser Gelegenheit mit großem Pomp aufwarten.

Mir wurde sofort klar, dass ich dabei sein musste, und so  begann ich sofort mit den Vorbereitungen. Da es jedoch noch nie meine Art gewesen war, die Verwandtschaft mit den Einzelheiten meiner Reisen zu langweilen, und ich in diesem Falle auch starke Abneigung gegen meinen Vorhaben witterte, täuschte ich vor, ich wolle mich auf eine Wandertour nach Tirol begeben (ein alter Alptraum von mir). Doch ich beschwor Roses Zorn auf mich herab, als ich erklärte, ich hätte die Absicht, die politischen und gesellschaftlichen Probleme eines interessanten Gemeinwesens zu studieren, dass sich irgendwo in dieser Gegend befände.

»Vielleicht«, deutete ich sybillinisch an, »kommt diese Expedition sogar zu irgendwelchen Resultaten.«

»Was meinst du damit?« fragte sie.

»Nun«, sagte ich sorglos, »ich glaube, es gibt da noch Lücken zu schließen, die man vielleicht mit einem umfassenden Werk... «

»Oh!« rief sie aus und klatschte in die Hände. »Du willst ein Buch schreiben? Wäre das nicht großartig, Robert?«

»Sowas ist heutzutage die beste Einführung in die Welt der Politik«, bemerkte mein Bruder, der sich übrigens auf diese Weise mehr als einmal irgendwo eingeführt hat. »Burlesdon über Theorien der Antike und Tatsachen der Moderne« und »Die ultimate Schlussfolgerung (geschrieben von einem Studenten der Politik)« sind beides Werke von anerkannter Wichtigkeit.

»Ich glaube, da hast du recht, Bob, alter Junge«, sagte ich.

»Jetzt musst du aber auch versprechen, dass du es schreibst«, sagte Rose ernsthaft.

»Nein, versprechen kann ich nichts; aber sollte ich genügend Material finden, dann verspreche ich es.«

»Dagegen kann man nichts sagen«, sagte Robert.

»Ach, das Material ist doch kein Problem!« sagte Rose schmollend.

Doch diesmal bekam sie nicht mehr als ein Versprechen mit Einschränkung aus mir heraus.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich hätte ein hübsches Sümmchen darauf gewettet, dass die Geschichte meiner diesjährigen Sommerexpedition weder ein Blatt Papier füllen noch einen Bleistift verbrauchen würde. Was wiederum zeigt, wie wenig wir über das wissen, was die Zukunft für einen bereithält: Denn hier bin ich, erfülle mein eingeschränktes Versprechen, und schreibe, was ich nie geglaubt hätte, ein Buch; auch wenn es mir kaum als Einführung ins politische Leben dienen wird und rein gar nichts mit Tirol zu tun hat.

Ebenso wenig, fürchte ich, würde es Lady Burlesdon erfreuen, würde ich es ihrem kritischen Blick präsentieren. Doch es liegt auch nicht in meiner Absicht, diesen Schritt zu tun.

2. Kapitel: Über die Farbe des männlichen Haars

 

Für meinen Onkel William galt die Maxime, dass man nicht durch Paris fährt, ohne vierundzwanzig Stunden dort zu verbringen. Mein Onkel sprach aus reifer Welterfahrung, und ich erwies seinem Rat alle Ehre, indem ich mich - auf dem Weg nach Tirol - für eine Nacht im ‘Continental` einmietete.

Ich rief George Featherly in der Gesandtschaft an.

Wir nahmen bei Durand ein kleines Dinner und schauten noch auf einen Sprung in die Oper hinein; danach genossen wir ein kleines Soupé, und später tauchten wir dann bei Bertram Bertrand auf, einem Verseschmied von gewissem Ruf, der nebenher noch Pariser Korrespondent des Critic. ist. Er verfügte über eine äußerst komfortable Suite, und dort stießen wir auch auf ein paar nette Leute, mit denen wir rauchten und tranken.

Es traf mich jedoch, dass Bertram persönlich ziemlich geistesabwesend und nicht sonderlich vergnügt war, und nachdem außer uns alle anderen gegangen waren, zog ich ihn mit seiner griesgrämigen Gedankenverlorenheit auf. Er widersetzte sich mir zwar eine Weile, doch schließlich erklärte er, indem er sich auf ein Sofa warf:

»Na schön; wenn du’s nicht anders haben willst: Ich bin verliebt - ich bin wahnsinnig verliebt!«

»Dann solltest du lieber Gedichte schreiben«, sagte ich tröstend.

Er raufte sich mit beiden Händen die Haare und paffte erregt vor sich hin. George Featherly, der mit dem Rücken zum Kaminsims stand, lächelte ohne Mitgefühl.

»Wenn`s die alte Geschichte ist«, sagte er, »solltest du sie lieber vergessen, Bert. Sie verlässt eh morgen die Stadt.«

»Das weiß ich«, fauchte Bertram.

»Es würde auch keinen Unterschied machen, wenn sie bliebe«, stichelte George unbarmherzig weiter. »Sie trägt die Nase nämlich noch höher als die Presse, alter Junge.«

»Der Teufel soll sie holen!« sagte Bertram.

»Es würde die Sache viel interessanter für mich machen«, warf ich vorsichtig ein, »wenn ich wüsste, über wen ihr überhaupt sprecht.«

»Über Antoinette Mauban«, sagte George.

»De Mauban«, brummte Bertram.

»Oho!« sagte ich, nachdem ich das ‘de’ vernommen hatte. »Bert, willst du damit etwa sagen... «

»Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?«

»Wohin reist sie denn?« fragte ich, da die Dame so etwas wie eine Berühmtheit war.

George klimperte mit seinem Geld, lächelte den armen Bertram grausam an und erwiderte freundlich:

»Das weiß niemand. - Übrigens, Bert, ich habe kürzlich abends einen großen Mann vor ihrem Haus getroffen. Es ist etwa einen Monat her. Bist du ihm je begegnet - dem Herzog von Strelsau?«

»Ja, bin ich«, brummte Bertram.

»Ich halte ihn für einen äußerst formvollendeten Menschen.«

Es war nicht schwierig, zu erkennen, dass Georges Hinweise auf den Herzog dazu dienen sollten, die Leiden des armen Bertram noch zu verstärken, und so zog ich den Schluss, dass der Herzog Madame De Mauban mit seinen Tändeleien eingewickelt hatte.

Sie war eine reiche, gutaussehende und - dem Vernehmen nach ehrgeizige - Witwe, und es war gut möglich, dass ihr, wenn sie die Nase wirklich so hoch trug, wie George es ausdrückte, jetzt nichts anderes mehr fehlte, als Gesellschaft königlichen Geblüts.

Denn der Herzog war der Sohn des verstorbenen Königs von Ruritanien - aus zweiter und morganatischer Ehe. Er war der Halbbruder des neuen Königs. Er war der Liebling seines Vaters gewesen, und es hatte einige mehrdeutige Kommentare gegeben, als er zum Herzog ernannt worden war - mit einem Titel, der keine geringere als die Hauptstadt Ruritaniens betraf. Seine Mutter war von zwar ansehnlichem, doch nicht gerade exaltiertem Geblüt gewesen.

»Er ist doch momentan nicht in Paris, oder?« fragte ich.

»Oh, nein! Er ist abgereist, um der Krönung des Königs beizuwohnen - einer Zeremonie, die er, sollte ich wohl sagen, nicht sonderlich genießen wird. Doch Bert, mein Alter, du solltest nicht verzweifeln! Er wird die schöne Antoinette schon nicht heiraten - zumindest nicht, bevor nichts aus seinen anderen Plänen geworden ist. Dennoch wird sie vielleicht... «

Er machte eine Pause und fügte dann mit einem Lachen hinzu: »Königlicher Aufmerksamkeit kann man sich nur schwerlich entziehen - das weißt du doch auch, nicht wahr, Rudolf?«

»Zum Henker mit dir!« sagte ich und stand auf. Ich ließ den hilflosen Bertram in Georges Gesellschaft zurück, kehrte nach Hause zurück und ging zu Bett.

Am nächsten Tag ging George Featherly mit mir zum Bahnhof, wo ich mir ein Billett nach Dresden besorgte.

»Fährst du zur Kunstausstellung?« fragte George mit einem Grinsen.

George ist ein unverbesserliches Klatschmaul, und hätte ich ihm erzählt, dass ich im Begriff war, nach Ruritanien zu fahren, so hätte diese Nachricht nach drei Tagen London und in einer Woche die Park Lane erreicht. Deswegen wollte ich schon zu einer ausweichenden Antwort ansetzen, als er mein Gewissen rettete, indem er mich plötzlich stehenließ und über den Bahnsteig jagte.

Als ich ihm hinterherschaute, sah ich, wie er den Hut abnahm und eine elegante, modisch gekleidete Frau begrüßte, die gerade vom Fahrkartenschalter gekommen war.

Sie war etwa Anfang dreißig, hochgewachsen, dunkelhaarig, und hatte eine ziemlich üppige Figur. Während George auf sie einsprach, sah ich, dass sie mir einen Blick zuwarf, was meiner Eitelkeit schmerzte, war ich doch - eingemummt in einen Pelzmantel mit Schal (denn es war ein kalter Apriltag) und dem weichen Reisehut, den ich mir bis über die Ohren gezogen hatte - gewiss weit davon entfernt, einen guten Eindruck zu machen.

Kurz darauf kehrte George zu mir zurück.

»Du hast eine charmante Reisegefährtin«, sagte er. »Und zwar keine andere als Antoinette De Mauban, die Abgöttin des armen Bert. Sie fährt nach Dresden, wie du - zweifellos will sie sich auch die Ausstellung ansehen. Es ist allerdings ziemlich komisch, dass sie im Augenblick nicht das Verlangen hat, deine Bekanntschaft zu machen.«

»Ich habe auch nicht darum gebeten, ihr vorgestellt zu werden«, bemerkte ich ein bisschen verärgert.

»Nun ja, ich habe ihr angeboten, dich ihr vorzustellen; doch sie sagte `Ein anderes Mal`. Mach dir nichts draus, alter Junge, vielleicht gibt’s ja eine Rauferei, und du hast die Chance, sie zu retten und den Herzog von Strelsau auszustechen.«

Es kam jedoch zu keiner Rauferei, weder mit mir noch mit Madame de Mauban. Ich kann sicher ebenso für sie als für mich sprechen, denn nach einer Übernachtung in Dresden setzte ich meine Reise fort, und sie stieg in den gleichen Zug.

Da ich wusste, dass sie allein bleiben wollte, vermied ich es sorgfältig, ihr zu begegnen, doch als ich bemerkte, dass sie das gleiche Reiseziel hatte wie ich, nahm ich die Gelegenheit wahr und schaute sie mir an, wenn ich unbeobachtet war und Gelegenheit dazu hatte.

Sobald wir die ruritanische Grenze erreichten (wo der alte Offizier, der über die Zollstation gebot, mich mit einem Blick musterte, dass ich mich meiner Elphberg-Physiognomie immer sicherer fühlte), erstand ich einige Zeitungen und fand darin Nachrichten, die meine Bewegungen beeinflussten.

Aus irgendeinem Grund, der nicht deutlich erklärt war und mir etwas rätselhaft erschien, hatte man den Tag der Krönung plötzlich vorverlegt.

Nun sollte die Zeremonie bereits am übernächsten Tag stattfinden. Das ganze Land schien daran interessiert zu sein, und es war offensichtlich, dass Strelsau völlig übervölkert war.

Es war sehr unwahrscheinlich, dass ich eine Unterkunft finden würde, und wenn doch, würde ich gewiss eine horrende Summe dafür zahlen müssen.

Also fasste ich den Entschluss, in Zenda auszusteigen, einer kleinen Stadt, die etwa siebzig Kilometer von der Hauptstadt und fünfzehn Kilometer von der Grenze entfernt lag.

Den nächsten Tag - Dienstag - wollte ich mit einer Wanderung durch die Hügel verbringen, denen man große Schönheit nachsagte. Außerdem wollte ich einen Blick auf die berühmte Burg werfen. Am Mittwochmorgen würde ich dann mit der Eisenbahn nach Strelsau fahren und für die Nacht nach Zenda zurückkehren, um dort zu schlafen.

Ich stieg wie geplant in Zenda aus, und als der Zug abfuhr und ich auf dem Bahnsteig stand, sah ich meine Freundin Madame de Mauban an ihrem Platz sitzen. Sie fuhr offensichtlich nach Strelsau weiter, wo sie sich - mit mehr Beziehungen ausgestattet als denen, womit ich prahlen kann - gewiss eine Unterkunft gesichert hatte. Ich lächelte bei dem Gedanken, wie überrascht Georgen Featherly sein würde, hätte er gewusst, wie lange sie und ich Reisegefährten gewesen waren.

Im Hotel wurde ich sehr freundlich aufgenommen, auch wenn es sich um kaum mehr als eine kleine Pension handelte, die von einer dicken alten Dame und ihren beiden Töchtern betrieben wurde. Es waren gute und ruhige Leute, die an dem, was sich in Strelsau abspielte, wenig interessiert zu sein schienen.

Der Herzog war das Idol der alten Dame. Jetzt war er - nach dem Willen des alten Königs - Herr über die Ländereien von Zenda und die Burg, die sich am Tal-Ende, etwa eineinhalb Kilometer von der alten Pension entfernt, auf einem steilen Hügel in die Höhe reckte. Tatsächlich drückte die alte Dame auch ohne zu zögern ihr Bedauern darüber aus, dass nicht der Herzog, sondern dessen Bruder auf den Thron gekommen war.

»Wir kennen Herzog Michael«, sagte sie. »Er hat immer unter uns gelebt; jeder Ruritanier kennt Herzog Michael. Aber der König ist beinahe ein Fremder für uns; er ist so oft außer Landes gewesen. Nur jeder zehnte würde ihn erkennen, wenn er ihm gegenüberstünde.«

»Und jetzt heißt es«, mischte sich eine der jungen Frauen ein, »dass er sich auch noch den Bart abrasiert hat, damit ihn keiner mehr erkennen kann.«

»Den Bart hat er sich abrasiert?« rief ihre Mutter aus. »Wer sagt denn das?«

»Johann, der Verwalter des Herzogs. Er hat den König gesehen.«

»Ach ja. Der König, mein Herr, hält sich jetzt hier im Forst auf; in der Jagdhütte des Herzogs; von dort aus fährt er Mittwochmorgen zur Krönung nach Strelsau.«

Es interessierte mich, dies zu hören, und ich nahm mir vor, am nächsten Tag in die Richtung zu wandern, in der sich die Hütte befand. Vielleicht hatte ich die Chance, dem König zu begegnen.

Die alte Dame fuhr mürrisch fort:

»Ach, am liebsten wäre mir, er würde weiter jagen. Die Jagd, der Wein, und noch etwas, sagt man, sind alles, was ihn interessiert. Würde man doch Mittwoch unseren Herzog zum König krönen! Nur das wünsche ich mir, und es ist mir gleich, wer es erfährt.«

»Pssst, Mutter!« wurde sie von ihren Töchtern ermahnt.

»Ach, es gibt viele, die so denken wie ich!« rief die alte Frau störrisch aus.

Ich warf mich in den tiefen Armsessel zurück und lachte über ihre Inbrunst.

»Was mich betrifft«, so sagte die jüngere und hübschere ihrer beiden Töchter, eine blonde, vollbusige, lächelnde Dirn, »ich hasse den Schwarzen Michael! Für mich zählt nur ein roter Elphberg! Der König, heißt es, ist so rot wie ein Fuchs, oder... «

Und sie lachte schelmisch, als sie mir einen Blick zuwarf und den Kopf in Richtung auf das missbilligende Gesicht ihrer Schwester schüttelte.

»Viele Männer haben ihr rotes Haar schon verflucht«, murmelte die alte Dame - und mir fiel James, der fünfte Earl von Burlesdon ein.

»Aber noch keine Frau!« rief das Mädchen.

»Doch, auch Frauen, wenn es zu spät war«, lautete die ernste Antwort, die das Mädchen zum Schweigen und Erröten brachte.

»Wie kommt der König hierher?« fragte ich, um die peinliche Stille zu überbrücken. »Sie sagten doch, das Land hier gehört dem Herzog.«

»Der Herzog hat ihn eingeladen, sich hier bis Mittwoch auszuruhen, mein Herr. Der Herzog ist in Strelsau, um den Empfang des Königs vorzubereiten.«

»Dann sind die beiden wohl Freunde?«

»Es gibt keine besseren«, sagte die alte Dame.

Doch meine rosige Damsel schüttelte erneut den Kopf. Man brachte sie nicht für lange zum Schweigen, und so platzte sie erneut heraus:

»Ja, sie lieben einander wie zwei Männer, die auf das gleiche Haus und die gleiche Frau aus sind!«

Die alte Dame warf ihr einen finsteren Blick zu, doch die letzten Worte des Mädchens hatten meine Neugier erregt, und bevor sie böse werden könnte, warf ich ein:

»Was, auch noch die gleiche Frau? Wie das, junge Dame?«

»Alle Welt weiß, dass der Schwarze Michael - na schön, Mutter: der Herzog - seine Seele dafür hergeben würde, könnte er seine Base Prinzessin Flavia heiraten. Doch sie wird Königin werden.«

»Auf mein Wort«, sagte ich, »allmählich tut mir der Herzog leid. Doch wenn ein Mann der Zweitgeborene ist, muss er nehmen, was der ältere ihm lässt- und Gott so dankbar sein, wie irgend möglich.« Als ich dabei an mich selbst dachte, zuckte ich die Achseln und lachte. Erst dann fielen mir wieder Antoinette de Mauban und ihre Reise nach Strelsau ein.

»Der Schwarze Michael hat so gut wie keine Schwierigkeiten mit... « begann das Mädchen, um die Verärgerung ihrer Mutter anzustacheln, doch im gleichen Moment wurden auf dem Boden schwere Schritte laut, und eine barsche Stimme sagte in drohendem Tonfall:

»Wer wagt es, den Herzog auf seinem eigenen Grund und Boden den Schwarzen Michael zu nennen?«

Das Mädchen stieß einen leisen Schrei aus - halb aus Angst, und halb, wie ich glaube, aus Erheiterung.

»Du wirst ihm doch nichts von mir erzählen, Johann?« fragte sie.

»Da siehst du, wohin dieses Getratsche führt«, sagte die alte Dame.

Der Mann, der gesprochen hatte, trat vor.

»Wir haben Gesellschaft, Johann«, sagte meine Gastgeberin, und der Bursche lüpfte seine Mütze. Einen Augenblick später sah er mich - und zuckte zu meiner Überraschung einen ganzen Schritt zurück. Er benahm sich, als hätte er etwas geradezu Wundersames erblickt.

»Was hast du denn, Johann?« fragte das ältere Mädchen. »Der Herr hier ist extra in unser Land gekommen, um sich die Krönung anzusehen.«

Der Mann hatte sich zwar schon wieder erholt, doch er starrte mich mit einem durchdringenden, forschenden, beinahe wilden Blick an.

»Einen schönen Guten Abend«, sagte ich.

»Guten Abend, mein Herr«, murmelte er, wobei er mich immer noch angaffte. Und das fröhlichere der beiden Mädchen rief lachend:

»Schau mal Johann, es ist die Farbe, die du liebst! - Er ist zusammengezuckt, als er Ihr Haar sah, mein Herr. Es hat nicht gerade die Farbe, die man hier in Zenda öfters sieht.«

»Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr«, stammelte der Bursche mit verwundertem Blick. »Ich habe nicht erwartet, jemanden hier anzutreffen.«

»Geben Sie ihm ein Glas auf mein Wohl. Ich wünsche Ihnen allen eine Gute Nacht. Und vielen Dank, meine Damen, für ihre Freundlichkeit  - und das unterhaltsame Gespräch.«

Mit diesen Worten stand ich auf und wandte mich mit einer leichten Verbeugung der Tür zu.

Das junge Mädchen eilte voraus, um mir zu leuchten. Der Mann trat zur Seite, um mich vorbeizulassen, doch er ließ mich nicht aus den Augen.

Als ich auf seiner Höhe war, machte er einen Schritt nach vorn und fragte mich:

»Ich bitte um Vergebung, mein Herr - aber kennen Sie unseren König?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen«, sagte ich. »Aber ich hoffe, das ändert sich am Mittwoch.«

Er sagte nichts mehr, doch ich spürte, dass sein Blick mir folgte, bis sich die Tür hinter mir schloss. Meine kesse Führerin warf, während sie vor mir die Treppe hinaufstieg, einen Blick über ihre Schulter und sagte:

»Man kann Meister Johann wirklich nicht mit einer Haarfarbe wie der Ihren erfreuen, mein Herr.«

»Ich nehme an, die Ihre ist ihm lieber?« fragte ich.

»Ich sprach nur von der männlichen Haarfarbe, mein Herr«, erwiderte sie mit einem koketten Augenaufschlag.

»In welcher Hinsicht«, fragte ich, indem ich das andere Ende des Kerzenhalters in die Hand nahm, »ist die Haarfarbe eines Mannes von Wichtigkeit?«

»In keiner, doch die Ihre gefällt mir - es ist das Rot der Elphbergs.«

»Farbe in einem Mann«, sagte ich, »ist eine Sache, die nicht mehr erfordert als dies!«

Und ich gab ihr etwas, das nichts kostete.

»Heiliger Bimbam!« sagte sie.

»Amen!« sagte ich und ließ sie stehen.

Allerdings weiß ich jetzt, dass in bestimmten Momenten Farbe für einen Mann tatsächlich sehr wichtig sein kann.

3. Kapitel: Ein fröhlicher Abend bei einem entfernten Verwandten

 

Ich war nicht so unvernünftig, Vorurteile gegen den herzoglichen Verwalter zu hegen, weil ihm mein Aussehen missfiel; doch wenn es so gewesen wäre, hätte mich sein höfliches und entgegenkommendes Benehmen (wie es mir erschien) am nächsten Morgen entwaffnet.

Da er gehört hatte, dass ich nach Strelsau wollte, kam er während des Frühstücks zu mir und berichtete, eine seiner Schwestern, die mit einem wohlhabenden Kaufmann verheiratet sei und in der Hauptstadt lebe, habe ihn eingeladen, in ihrem Hause ein Zimmer zu bewohnen. Er hatte zwar freudig angenommen, doch jetzt erkannt, dass seine Verpflichtungen seine Abwesenheit nicht gestatteten. Deswegen bat er mich, ich solle, vorausgesetzt, eine solch bescheidene (doch saubere und behagliche, wie er sich hinzuzufügen beeilte) Unterkunft könne mich befriedigen, seine Stelle einnehmen.

Er lobte die Gastfreundschaft seiner Schwester und wies mich auf die Unannehmlichkeiten und die Überfüllung hin, denen ich mich auf der Fahrt nach und von Strelsau am nächsten Tag würde unterwerfen müssen.

Ich nahm sein Angebot ohne das geringste Zögern an, und  während ich meine Sachen packte und mich darauf vorbereitete, den nächsten Zug zu nehmen, machte er sich auf, um seiner Schwester zu telegraphieren.